Gesammelte Werke Alexander Moszkowskis - Alexander Moszkowski - E-Book

Gesammelte Werke Alexander Moszkowskis E-Book

Alexander Moszkowski

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Beschreibung

Diese Sammlung der Werke von Alexander Moszkowski, des berühmten deutschen Schriftstellers und Satirikers, dessen Bruder der Komponist und Pianisten Moritz Moszkowski war, enthält: Von Genies und Kamelen Unglaublichkeiten Die Ehe im Rückfall und andere Anzüglichkeiten (Satiren) Der Venuspark Die Romane der Herrin Verschwimmende Epochen Erotische Seitensprünge Die Inseln der Weisheit (Utopischer Roman) Entthronte Gottheiten Einstein - Einblicke in seine Gedankenwelt Das Panorama meines Lebens (Autobiographie) Meine Zeitlupe Als ich Detektiv wurde Ein stürmischer Fahrgast Am Strick in der Luft Natürlich, der Einjährige Wie ich ihn anlernte Abenteuer im Bremer Ratskeller Die Symphonie auf dem Gorner Grat Horribilicribrifax Die effektvolle Jungfrau Das Gastmahl des Apiciusoder: Die Freude im Rahmen Mein dressierter Regenwurm Wie ich die Kilometer fraß Eine Pfeife Opium Ich und mein Beruf Neu-Abdera Kuriositäten-Kabinett Die vertauschten Köpfe Lust im Eise Die geschüttelte Muse Meine Jubelouvertüren Quer durch das A.B.C. Einsteins Streckenwärter Kleine Parodie großer Geistestat. Die Krone der Meisterwerke Die verschlafenen Aktualitäten

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Inhaltsverzeichnis
Gesammelte Werke Alexander Moszkowskis
Von Genies und Kamelen
I. Teil
Meine Zeitlupe
Als ich Detektiv wurde
Ein stürmischer Fahrgast
Am Strick in der Luft
Natürlich, der Einjährige
Wie ich ihn anlernte
Abenteuer im Bremer Ratskeller
Die Symphonie auf dem Gorner Grat
II. Teil
Horribilicribrifax
Die effektvolle Jungfrau
Das Gastmahl des Apiciusoder: Die Freude im Rahmen
Mein dressierter Regenwurm
Wie ich die Kilometer fraß
Eine Pfeife Opium
Ich und mein Beruf
Neu-Abdera
III. Teil
Kuriositäten-Kabinett
Die vertauschten Köpfe
Lust im Eise
Die geschüttelte Muse
Meine Jubelouvertüren
Quer durch das A.B.C.
Einsteins Streckenwärter
Kleine Parodie großer Geistestat.
Die Krone der Meisterwerke
Die verschlafenen Aktualitäten
IV. Teil
Von der Welt und andern Nebensächlichkeiten
Meskal oder der Multimilliardär
Der Garten Gallettis
Sexualforschung
Werther und Lotte von heute
Ein Roman von Goethe und mir.
Der Einbruch bei Schlemihls
Ein unbeliebter Mitarbeiter
V. Teil
Leider, leider!
Beichtende Kavaliere
Wie eine Revue entsteht
Ich als Schwerverbrecher
Linse, G.m.b.H.
Photographische Novelette
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel.
Viertes Kapitel
dritte Kapitel
Was dem Mann im Kasten passierte
Unterhaltung mit dem gesunden Menschenverstand
Der interessante Einbruch
Aus dem Märchenbuch der Tante Physika
VI. Teil
Lockerer Kram
Zwischen Kunst und Geschäft
Ein Abendbrot mit Hindernissen
Die fürchterliche Melodie
Das Zahnbürstl
Endlich engagiert
Eine schaurige Nacht
Der halbierte Storch
Desperanto
Die neue, verbesserte Weltsprache
Zur Empfehlung.
Erste Lektion:
Beispiel:
Zweite Lektion:
Beispiel:
Verdeutscht:
The Monstre-Sketch
Ein amerikanisches Duell
Unglaublichkeiten
Ernste und heitere Paradoxe
Vorspruch.
Erste Abteilung: Begebnisse.
Das doppelt geöffnete Tor.
Die verbogenen Welten.
Wie Lord Pinkleton gutes Wetter machte.
Die Geiseln des Senators.
Die siebente Ernte.
Zweite Abteilung: Erlebnisse.
Das Überweibchen und das Untermännchen.
Vom Geld und Fraß.
Die unglaubliche Gattin.
Der Koran.
Der Höhenmensch.
Meine Geliebte.
Der alte Herr auf der Schulbank.
Siehst du so aus?!
Die Zeitbörse.
Ein glorioser Augenblick.
Der verbesserte Klassiker.
Alles schon dagewesen.
Dritte Abteilung: Ergebnisse.
Ein tausendjähriges Rätsel.
Die Wissenschaft des Teufels.
Faust, letzter Teil.
Kant und das Meerschweinchen.
Das Übervieh.
Unermeßlich.
Die anschauliche Milliarde.
Das stärkste Bombardement.
Die Antipoden von Berlin.
Das Alterswunder.
Das Buch der Bücher.
Eine mögliche Unmöglichkeit.
Das rasche Urteil.
Propheten und Kabbalisten.
Die Ehe im Rückfall
und andere Anzüglichkeiten
Anzügliche Vorrede.
Die Ehe im Rückfall.
Eine moderne Dame auf Reisen.
Der Neurosen-Kavalier.
Eine Wiener Maskerade, frei nach der berühmten Oper.
Hulda lernt tanzen.
K-Reise eines Zerstreuten.
Der Spezialist.
Ein Roman mit Lokalfarbe.
Herr von Oedipus.
Berliner Sittengemälde.
Der Mann ohne Schlaf.
Ein merkwürdiges Mädchen.
Phantasien im Berliner Ratskeller.
Niemand weiß es.
Der Mann mit dem schönen Organ.
»Nanu schlägt's dreizehn!«
Siehst du so aus?!
Eine angenehme Unterhaltung.
Einer von Vielen.
(Besuch bei einem Komponisten.)
Ich trage vor.
Skizze von A. M.
Der Herr Intendant.
(Szene: Eine kleine Residenzstadt.)
»Der Gentleman« bei der Arbeit.
Geschnatter.
(Im Frauen-Abteil zwischen Görlitz und Breslau.)
Werdegang eines Künstlers.
Rauchhunger.
»Und jedes Ohr hing an Aeneens Munde.«
Das Buch der Erfindungen und Entdeckungen.
Ein kurzgefaßtes Vademekum zum Auswendiglernen.
Der Sprechanismus.
Warum?
Impressionen.
Unten durch!
Nach Kellermanns berühmtem Roman »Der Tunnel«.
Biographie des Giovanni Boccaccio.
Nach authentischen Quellen, von Jeremias Mückerlein.
Damen-Konversation.
Kleines Konversationslexikon.
für Abstinenten und solche, die es nicht werden wollen.
Der Venuspark
Phantasien über Liebe und Philosophie
Die Verlockung
Der Lebenskünstler
Lichter und Schatten
Das Tempelwunder
Auferstehung
Entdeckung
Sinnliches und Übersinnliches
Orgien im Geiste
An der Quelle der Weisheit
Die Romane der Herrin
I. Die Liebe in Marmor
II. Die Liebe in Lumpen
Verschwimmende Epochen
Das erste Symposion
Der Weg zum Ruhm
Erotische Seitensprünge
Das zweite Symposion
Ausklang
Das verlorene Paradies
Die Inseln der Weisheit
Geschichte einer abenteuerlichen Entdeckungsfahrt
Vorbereitendes Kapitel
Die Ausfahrt
Balëuto.
Die Platonische Insel
Vléha.
Die Insel der glücklichen Bedingungen.
Kradak
Die Insel der Perversionen.
Sarragalla
Die mechanisierte Insel.
Vorreia
Die rückschrittliche Insel
Helikonda
Die Insel der schönen Künste.
Die Zwischen-Inseln
Bei den Zweiflern. – Die Relativisten und die Als Ob-Leute. – Insula complicatoria. – Die Epikureische Insel. – Die Pramiten. – Die Insel des Einsamen.
Allalina und O-Blaha
Die Inseln der Pazifisten
Die Heimfahrt
Was folgt daraus? – Das Prinzip der Prinzipe. – Insel-Weisheit und Weisheits-Inseln. – Haec fabula docet.
Entthronte Gottheiten
Ketzereien
Geleitwort
Der wankende Parnass
Die Kunst in tausend Jahren
Die Kunststadt der Zukunft
Der Begriff der »Unmöglichkeit«
Verminderter Personenkultus
Schwingungen und Sensationen
Hörbilder und Sehklänge
Musik als Raumkunst
Der Kunstwert der Dimension
Jenseits von richtig und falsch
Kunstwert und Kunstdauer
Parallele aus zwei Jahrhunderten
Das Tonwunder
Kunstfeindliche Erkenntnis
Wille und Emotion
Kunst und Distanz
Das Gesetz der Interessen
Neutöner
Operndämmerung
Erkennbare Grenzen
Das Erlöschen der Künste
In tausend Jahren
Nachsprüche zum »wankenden Parnass«
Sokrates der Idiot
»Der Weiseste aller Menschen«
Also sprach Pythia
Der Herold des klassischen Aujust
Das Gelächter der Götter
Flecken auf der Sonne
Collegium Idioticum
Abdera in Athen
Springprozession der Seele
Der Philosofaxenmacher
Groß-Zaches
Alexander Moszkowski
Einstein – Einblicke in seine Gedankenwelt
Gemeinverständliche Betrachtungen über die Relativitätstheorie und ein neues Weltsystem, entwickelt aus Gesprächen mit Einstein.
Vorspruch
Erscheinungen am Firmament.
Verkündung der neuen Mechanik. – Bewahrheitung theoretischer Ergebnisse. – Parallele mit Leverrier. – Neptun und Merkur. – Erprobung der Relativitätstheorie. – Die Sonnenfinsternis von 1919. – Das Programm einer Expedition. – Der gekrümmte Lichtstrahl. – Feinheit in Berechnung und Messung.– Sternphotographie. – Das Aequivalenzprinzip.– Sonnenmythus.
Über unsere Kraft
Nutzbare und latente Kräfte. – Beziehung zwischen Masse, Energie und Lichtgeschwindigkeit. – Kraftgewinnung durch Verbrennung. – Ein Gramm Kohle. – Ungewinnbare Kalorien. – Kohle-Wirtschaft. – Hoffnungen und Befürchtungen. – Gespaltene Atome.
»Ein Gramm Kohle«.
Walhalla
Rangordnung und Charakteristik großer Forscher. – Galilei und Newton. – Vorläufer und Prioritäten. – Wissenschaft und Religion. – Erblichkeit der Begabung. – Eine Gelehrten-Dynastie. – Alexander von Humboldt und Goethe. – Leonardo da Vinci. – Helmholtz. – Robert Mayer und Dühring. – Gauß und Riemann. – Max Planck. – Maxwell und Faraday.
Menschen-Erziehung
Schulplan und Unterrichtsreform. – Wert der Sprachbildung. – Zeit-Oekonomie. – Uebung im Handwerk. – Das Anschaulich-Interessante. – Die Kunst des Lehrvortrags. – Auslese durch Begabten-Prüfung. – Frauenstudium. – Soziale Schwierigkeiten. – Die Not als Erzieherin.
Der Entdecker
Entdeckung und Weltanschauung in zeitlicher Beziehung. – Absolutes und Relatives. – Der schöpferische Akt. – Wert der Intuition. – Die Tätigkeit des Konstruierens. – Die Erfindung. – Der Künstler als Entdecker. – Lehre und Beweis. – Klassische Experimente. – Physik der Urzeit. – Experimentum crucis. – Spektral-Analyse und Periodisches System. – Die Mitwirkung des Zufalls. – Widerlegte Erwartung. – Das Michelson-Experiment und der neue Zeitbegriff.
»Eripuit coelo fulmen ...«
Aus verschiedenen Welten.
Gedankenexperiment mit »Lumen«. – Unmöglichkeiten. – Eine zerstörte Illusion. – Ist die Welt unendlich? – Flächenwesen und Schattenwanderungen. – Was ist Jenseits. – Fernwirkung. – Mehrdimensionales. – Hypnotismus. – Erinnerungen an Zöllner. – Wissenschaft und Dogma. – Prozeß Galilei.
Probleme.
Zukunftsfragen. – Drei-Körper-Problem. – Begriff der Annäherung. – Die Aufgabe der Mechanik. – Einfachheit der Beschreibung. – Grenzen der Erweislichkeit. – Betrachtungen über den Kreis. – Aus der Geschichte der Irrtümer. – Kausalitäten. – Relativität auf physiologischer Grundlage. – Der Physiker als Philosoph.
Hauptlinien und Nebenwege
Praktische Ziele der Wissenschaft. – Reine Wahrheits-Erforschung. – Rückblickende Betrachtungen. – Kepler als Praktiker. – Ein Ausspruch Kants. – Mathematik als Wahrheitsprobe. – Deduktive und induktive Methode. – Kennen und Erkennen. – Glücksgefühl und theoretische Genüsse. – Wissenschaftstat und Kunstwerk. – Ethische Wirkungen. – Kleine Anfragen.
I.
II.
III.
IV.
Ein Hilfsversuch.
Formen der Naturgesetze. – Erleichterungen des Verständnisses. – Populäre Darstellungen. – Optische Signale. – Gleichzeitigkeit. – Versuch in Gleichnissen.
Vereinzelte Signale.
Bedingtheit und Unbedingtheit der Naturgesetze. – Begriff der Temperatur. – Sandkorn und Weltall. – Kann sich ein Gesetz ändern. – Wissenschaftliche Paradoxe. – Verjüngung durch Bewegung. – Gewinn einer Sekunde. – Deformierte Welten. – Das Atom-Modell. – Forschungen von Rutherford und Niels Bohr. – Mikro- und Makrokosmos. – Relativitätslehre in kurzer Darstellung. – Wissenschaft bei verminderten Sinnesorganen. – Die ewige Wiederkunft. – Ueberlegene Kulturen.
Er selbst.
Der Werdegang und die Persönlichkeit.
Das Panorama meines Lebens
An meine Leser
Fibel der Kindheit
Höhenrausch
Im Dienst des Lachens.
Zwischen Sumpf und Himmel
Zauber des Südens
Meine Circenses
Das Paradies von Weimar
Lichter ringsum
Nach Descartes:
Nach Kirchenvater Augustinus:
Nach Aristoteles:
Nach Quintilian:
Nach Montaigne:
Nach Pascal:
Nach Larochefoucauld:
Nach Chamfort:
Nach Hegel:
Zusatz im Sinne Schopenhauers:
Nach Romain Rolland: (ganz frei nach versprengten Prosa-Splittern)

Alexander Moszkowski

Gesammelte WerkeAlexander Moszkowskis

Von Genies und Kamelen

Ansprache des Verfassers:

»Lies!«

Berlin, im Lenz dieses Jahres

Alexander Moszkowski

Inhalt

I. Teil:Meine Zeitlupe

Als ich Detektiv wurde Ein stürmischer Fahrgast Am Strick in der Luft Natürlich, der Einjährige Wie ich ihn anlernte Abenteuer im Bremer Ratskeller Die Symphonie auf dem Gorner Grat

II. Teil:Horribilicribrifax

Die effektvolle Jungfrau Das Gastmahl des Apicius oder: Die Freude im Rahmen Mein dressierter Regenwurm Wie ich die Kilometer fraß Eine Pfeife Opium Ich und mein Beruf Neu-Abdera

III. Teil:Kuriositäten-Kabinett

Die vertauschten Köpfe Lust im Eise Die geschüttelte Muse Meine Jubelouvertüren Quer durch das A.B.C. Einsteins Streckenwärter Die Krone der Meisterwerke Die verschlafenen Aktualitäten

IV. Teil:Von der Welt und andern Nebensächlichkeiten

Meskal oder der Multimilliardär Der Garten Gallettis Sexualforschung Werther und Lotte von heute Der Einbruch bei Schlemihls Ein unbeliebter Mitarbeiter

V. Teil:Leider, leider!

Beichtende Kavaliere Wie eine Revue entsteht Ich als Schwerverbrecher Linse, G.m.b.H. Was dem Mann im Kasten passierte Unterhaltung mit dem gesunden Menschenverstand Der interessante Einbruch Aus dem Märchenbuch der Tante Physika

VI. Teil:Lockerer Kram

Zwischen Kunst und Geschäft

I. Teil

Meine Zeitlupe

Als ich Detektiv wurde

In einer Ecke des Raucherabteils hatte ich es mir vor Jahren bequem gemacht. Als alleiniger Insasse des Coupés schmökerte ich stundenlang in einem BLande von Sherlock Holmes, und geriet immer tiefer in den Ideenkreis des findigen Verfassers. Jeder Mensch, so dachte ich, sollte doch imstande sein, seine Wahrnehmungen soweit zu stärken und kombinatorisch zu steigern, daß er aus der Menge kleinster Indizien wichtige Ergebnisse zu gewinnen vermag, vielleicht ist das Genie eines Detektivs garnicht so merkwürdig, als unser aller Gleichgültigkeit den eigenen Beobachtungen gegenüber. Ich nahm mir vor, künftig besser aufzupassen, die Nebenmenschen schärfer unter die geistige Lupe zu nehmen, da müßte sich oft Interessantes, Unerwartetes ergeben. Freilich im Gewühl der Straße, in der Berührung mit den Vielzuvielen läßt sich das nicht bewerkstelligen. Aber hier, im Bahnabteil zum Beispiel, wäre ein guter Experimentalboden; da könnte man einen unbekannten Mitreisenden, ohne daß er es merkt, längere Zeit studieren und aus den anscheinend nebensächlichen Aeußerungen seiner Persönlichkeit Rückschlüsse ziehen auf seinen Beruf, Charakter, auf die Besonderheiten seiner Existenz.

Ich saß aber, wie gesagt, ganz allein im Abteil und hatte zunächst keine Gelegenheit, meine detektorischen Absichten zu verwirklichen.

Nach etlichen Stationen änderte sich das Milieu. Zwei Herren stiegen ein und ließen sich mir gegenüber, am entgegengesetzten Fenster, auf der Polsterbank nieder. Sie nahmen von mir nicht die geringste Notiz, und das schien mir für meine Absicht recht zweckdienlich. Da hatte ich zwei Beobachtungsobjekte, an denen ich meinen Vorsatz erproben konnte. Hier hieß es also: In Symptomen denken!

Daß die beiden zusammen gehörten, war ersichtlich. Dies ergab sich schon daraus, daß der eine dem kontrollierenden Schaffner zwei Fahrkarten vorwies. Sie neigten nicht zu besonderer Gesprächigkeit, begannen indes doch nach etlichen Kilometern eine Unterhaltung in kurzen, durch erhebliche Pausen getrennten Sätzen. Sie sprachen leise und vertraulich, so daß nur hin und wieder ein zusammenhangloses Wort mir vernehmlich wurde. Um so besser für mein Vorhaben. Ich wollte nicht direkt erfahren, sondern ahnen, kombinieren und erraten.

Der eine war schlank, blond, glatt rasiert, trug schwarzgeränderte Harold-Cloyd-Brille, sein Nachbar hatte eine behäbige Figur, wohlwollenden Gesichtsausdruck, sein bräunlicher, etwas schütterer und leise angegrauter, Bart verlieh seinem Antlitz eine gewisse Würde.

Geschäftsfreunde? Berufskollegen? – das war nicht anzunehmen, Männer, die zwischen sich das Land gemeinsamen Fachs spüren, pflegen in der Unterhaltung bald auf einen Punkt zu geraten, wo sich die Interessen zuspitzen, und das merkt man an der erhöhten Akzentuierung der Stimmen. Hier aber verlief alles imsottovoce, die kurzen Gesprächsstücke waren kaum mehr als ein verlängertes Schweigen; die Voraussetzung einer Vergnügungsreise kam schon gar nicht in Betracht, und ich schloß daraus, daß ihr spärliches Geflüster von einem Geheimnis beherrscht wurde. Soweit hatte mich das Verfahren der Induktion schon gebracht.

Ich betrachtete den schlanken Blonden genauer, heftete mir vors geistige Auge eine besonders kräftige Lupe, und vertiefte mich in die Figur seiner Kopfbildung. Ich verfuhr dabei optisch-geometrisch nach der gültigen Methode von Camper, indem ich nach Augenmaß die Gesichtslinien zog: eine im Profil vom Ohr zum Oberkiefer, und von da die zweite Linie nach der Stirn. Der Winkel beider Linien beträgt beim normalen Europäer etwa achtzig Grad, allein bei meinem Gegenüber am Coupéfenster konnte ich visuell knapp fünfundsiebzig feststellen, höchst verdächtig! Eine stark zurückfliehende Stirn findet man in der Regel nur bei niederen Rassen, oder unter Kaukasiern bei den Degenerierten. Gerade in jüngster Zeit hatte ich Schriften von Lombroso, Liszt und Ferri studiert, und es war mir in Erinnerung geblieben, daß der kleine Gesichtswinkel sehr oft als Merkmal des Verbrechertyps auftritt.

Aber mit dieser Vermutung kam ich hier nicht durch. Denn wenn der Blonde ein Verbrecher war, so hätte auch sein Begleiter, der behäbige Braune, mit dem er auf dem Fuß der Vertraulichkeit stand, der nämlichen Kategorie angehören müssen, und das war vollständig ausgeschlossen. Nein, das Verdachtsmoment blieb durchaus auf den Blonden beschränkt, aber bei diesem um so sicherer, als er auch das charakteristische Zeichen der hervortretenden Backenknochen besaß. Nur daß sich nunmehr der Verdacht auf eine andere Spur lenkte. Denn jene Abweichungen vom Normaltyp treten ja nicht nur beim Verbrecher auf, sondern auch bei Personen mit ererbtem oder erworbenem Irrsinn. Es ist der Geist – unter Umständen der Geistesdefekt –, der sich den Körper formt. Das wußte ich nun wieder aus den Werken von Griesinger, Krafft-Ebing und anderer Psychiater, die mir in diesem schwierigen Fall zur Erleuchtung dienten. Es geht doch nichts über eine gediegene Bildung, wenn man verborgene Zusammenhänge erforschen will!

Jetzt also stand ich auf der gesuchten Fährte; noch ein bißchen wacklig, noch nicht völlig überzeugt, denn die konkludenten Wahrnehmungen genügten mir nicht zum Beweis. Aber ich hatte doch den Ansatz zu einer Wahrscheinlichkeit. Der schlanke Blonde konnte sehr wohl ein Irrsinniger sein, und hieraus ergab sich ungezwungen die Begriffsbestimmung seines Nachbars, den man ohne weiteres als Arzt auffassen durfte. Erstens sah der Braune ungefähr so aus wie ein Medikus, und zweitens erklärte diese Annahme auch das leise, konfidentielle Verhalten der beiden. Ich hätte gern gewußt, wohin sie reisten, denn das konnte meiner Vermutung vielleicht eine Stütze gewähren. Möglich war es ja, daß hier ein Gesundheitspfleger seinen irren Patienten in eine Heilanstalt brachte. Aber ihr Reiseziel blieb vorläufig im Dunkeln.

Inzwischen befestigte sich meine Diagnose durch ein merkwürdiges Strahlenspiel in den Augen des Blonden. Das konnte ich durch seine Augengläser hindurch ganz genau verfolgen. Der Herr war absolut nicht imstande, seinen Blick auf einen bestimmten Gegenstand auch nur drei Sekunden lang zu konzentrieren: das war ein beständiges Irrlichterrieren in diffusem Hin und Her, von der Coupétür zu meinen Fußspitzen, zum Griff der Notbremse, zum Hebel der Heizung, zur Hand seines Begleiters, direktionslos, unstet flackernd, und mir schien es dabei, als ob sich seine Pupillen abwechselnd erweiterten oder verengten, ohne optische Ursache. Auch das Benehmen des Individuums bot des Auffälligen genug. Jetzt öffnete er ein Etui, entnahm daraus eine Zigarre von ersichtlich köstlicher Herkunft, entzündete sie und warf sie nach zwei aromatischen Zügen aus dem Fenster. Jetzt zog er ein Zeitungsblatt aus der Rocktasche und hielt es verkehrt vors Auge, lauter Anzeichen einer Gestörtheit, von der es zunächst unentschieden bleiben mußte, ob sie alsdementia praecoxoder alsparanoia juveniliszu definieren war.

Mehrfach betrat er den Wagenkorridor, um zur Handwaschung die Toilette aufzusuchen. Regelmäßig folgte ihm auf dem Fuße der andere, dem offenkundig daran gelegen war, ihn nicht einen Moment aus der Kontrolle zu lassen. Immer enger liefen die Radien meiner Vermutung zusammen, ein Zweifel erschien kaum noch statthaft.

Jetzt meldete sich der Schaffner, um die beiden auf ihr Reiseziel aufmerksam zu machen: »Die Herren wollten doch nach Pirna? Nächste Station – in fünf Minuten!«

Dieser Zuruf mußte die Entscheidung des Problems bringen. Pirna? Was hat der Mitteleuropäer dort zu suchen? Für Ausflüge in die sächsische Schweiz war die Jahreszeit und das Wetter nicht im mindesten geeignet. Schnell nahm ich meinen Baedeker zur Hand und überflog das Wissenswerte in dem roten Allerweltsbuch: Pirna – schöne katholische Kirche – Bismarckdenkmal – Progymnasium – Fabriken für emaillierte Blechgeschirre – nein, diese Sehenswürdigkeiten kamen als Reisemagnete nicht in Betracht. Über eine Zeile weiter las ich: dabei Bergschloß Sonnenstein mit Landesirrenanstalt.

Also wie genial hatte ich meine Vermutungen vom weiten Umkreis her bis zum unausweichlichen Zentrum zusammenfließen lassen! Das war ein detektorischer Triumph. Kaum hielt ich es noch für nötig, weiter nachzuspüren und nur aus einem begreiflichen Mitteilungsbedürfnis heraus wandte ich mich nachträglich an den Schaffner, den ich durch einen gewichtigen metallischen Händedruck zum Gespräch stimmte.

»Bitte, können Sie mir vielleicht zufällig sagen, wer die beiden Herren waren, die in Pirna ausgestiegen sind?«

»Das könnte ich schon, aber ich darf nicht. Ich weiß es nämlich vom Zugführer, dem die Herrschaften behördlich gemeldet worden sind, und so was ist Dienstsache mit Amtsverschwiegenheit.«

Ich erneuerte den metallischen Händedruck und ergänzte: »Eigentlich weiß ich ja schon, wonach ich frage. Ich war nämlich durch gewisse Beobachtungen zu dem Schluß gekommen, daß der blonde Herr mit der Brille ein Geisteskranker ist, der von dem andern zur Anstalt Sonnenstein gebracht wird.«

»Donnerwetter!« rief der Schaffner. »Sie sind mir aber ein Schlauer. Und so ziemlich stimmt's ja auch. Also, weil Sie's schon wissen: Jawohl es war ein Krankentransport. Bloß ein kleiner Irrtum ist Ihnen dabei passiert: nämlich derBlondemit der Brille, das ist einAnstaltsdoktor: und der andere, der Untersetzte mit dem braunen Bart, bei dem ist im Schädel eine Schraube locker!«

Ein stürmischer Fahrgast

Ich bin nicht sehr gut zu Fuß und würde heute als Mitbewerber im Stafettenlauf geringe Aussichten haben: aber zu Wagen bin ich ausgezeichnet, und als Insasse einesD-Zuges halte ich die größten Geschwindigkeiten aus. So auch diesmal, als ich das besondere Glück hatte, ein leeres Abteil zweiter Klasse zu erwischen. Ich kam vom Riesengebirge, wo ich in einem schöngelegenen Hotelrestaurant Wintersport mit gebackenen Schneehühnern getrieben hatte, und rollte nun wohlgemut der Heimat entgegen.

Ich machte es mir in der Ecke bequem, lauschte auf das Geräusch der ratternden Räder, übersetzte mir diesen Takt in den Rhythmus des Schmiedemotivs aus »Siegfried«, fühlte mich davon sanft geschaukelt und dachte sogar ans Einschlafen. Jedenfalls waren die Präludien des Schlummermotivs schon im besten Gange, allein bei der Fortsetzung dieser Tätigkeit ergab sich eine Störung. Denn auf irgendeinem Haltepunkt bekam ich Nachtbesuch. Wie ich blinzelnd wahrnahm, war es ein langer, glattrasierter, bebrillter Herr, der einen gelblichgrünen Koffer ins Gepäcknetz verstaute und sich mir gegenüber niederließ.

»Guten Abend!« sagte er.

Ich nahm diese Anrede stillschweigend zur Kenntnis.

»Guten Abend habe ich Ihnen geboten«, wiederholte der Eindringling nachdrücklicher.

»Also meinetwegen«, erwiderte ich, »oder noch besser: Gute Nacht und wohlzuschlafen. Sie werden vermutlich ebenso müde sein wie ich.«

»Darin täuschen Sie sich«, versetzte der andere. »Ich bin so wenig müde, daß ich nichts sehnlicher wünsche, als mich die ganze Nacht mit Ihnen angeregt zu unterhalten. Gestatten Sie, mich vorzustellen: Servatius Schlüpfer: Sie werden von mir gehört haben.«

»Bedaure, kann mich nicht besinnen.«

»Tut auch nichts zur Sache. Die Hauptsache ist, daß wir uns über die Gestaltung dieses Jahres verständigen. Sie wissen, das ist ein Jubeljahr.«

»Mein Herr, es ist halb zwei Uhr nachts!«

»Also die schönste Zeit zu einer gründlichen Erörterung. Was mich betrifft, so habe ich mein Programm schon ziemlich fertig ...«

»Ich nicht, mein Herr.«

»Um so mehr muß es Sie interessieren, die Ziele eines scharfdenkenden Zeitgenossen kennen zu lernen. Ich habe das alles schon mit dem berühmten Propagandisten Bombastus Utopikus durchgesprochen, und um mit der vollen Wahrheit herauszurücken: die aufsehenerregenden Flugschriften dieses Utopikus sind von mir.«

»Das will ich Ihnen glauben, unter einer Bedingung: setzen Sie sich in die andere Ecke und lassen Sie mich in Frieden.«

»Ihr Antrag ist abgelehnt, und ich fahre fort, Sie über das Thema aufzuklären. Also, wie gesagt: ein Jubeljahr, und unsere Aufgabe wird es sein, mitzujubeln. Die Veranlassung dazu liegt klar am Tage: wir treten nunmehr in den Völkerbund ein, und diese Genfer Körperschaft wird mit allem Eifer bemüht sein, unsere innigsten Wünsche zu erfüllen.«

»Ich habe nur den einen Wunsch, schlafen zu können.«

»In dieser Hinsicht bin ich anspruchsvoller. Der Völkerbund soll uns wieder zur Stellung einer bedeutenden Kolonialmacht verhelfen, und nach meinen Informationen haben wir alle Aussicht, das durchzusetzen. Es brauchen ja nicht ausgerechnet unsere alten Kolonien zu sein, es gibt ja noch andere. Um mit dem einfachsten anzufangen, verlange ich acht Millionen Quadratkilometer von Marokko.«

»Sie sind ein Ignorant: ganz Marokko ist noch nicht den zehnten Teil so groß.

»Nach Ihrer Meinung, aber nicht nach meiner! Wenn ich sage: Marokko, so meine ich natürlich: inklusive Tibet und Mongolei. Kennen Sie die Reisewerke von Sven Hedin und Ossendowski? Nein? Also da dürfen Sie gar nicht streiten. Tibet und Mongolei sind die Länder der Zukunft, und wenn wir diese durch Spruch des Völkerbundes bekommen, dann haben wir wirklich was zum Jubeln.«

»Wünschen Sie vielleicht auch Mesopotamien?«

»Selbstverständlich, so wahr ich Servatius Schlüpfer heiße. Oder haben Sie mich für einen Leisetreter gehalten?«

»Ganz gewiß nicht, danach zu schließen, wie Sie dauernd auf meinen Schuhen herumtreten. Ziehen Sie gefälligst Ihre Piedestale ein bißchen zurück.«

»Nichts ziehe ich zurück, weder meine Beine, noch meine kolonialen Ansprüche. Ich will auch einen Korridor!«

»Draußen, mein Herr: der Korridor diesesD-Zug-Wagens steht zu Ihrer Verfügung.«

»Das könnte Ihnen so passen, Sie Mann ohne ernste Ziele beim Beginn eines Heiljahres! Was ich unbedingt haben muß, ist ein Korridor nach dem Ural und nördlich weiter nach Spitzbergen und dem Nordpolgebiet. Wenn erst Amundsen und Fritjof Nansen in Preußen naturalisiert sind, werden wir das schon in Genf durchdrücken, haben Sie das begriffen?«

»Schreien Sie nicht so, Sie Mensch mit den Laubenkolonien im Eise! Und außerdem, Sie qualmen da eine Stinkadores, die mir die ganze Lausitz verpestet!«

»Bleiben wir beim Jubelthema! ...«

»Bleiben Sie mir vom Halse, Herr! Scheren Sie sich in einen anderen Wagen. Sie belästigen mich!«

»Wollen Sie mich beleidigen?«

»Mit Wonne, wenn ich Sie dadurch loswerden kann.«

»Sie werden mir Genugtuung geben, und zwar auf der Stelle!« – Dabei griff der nächtliche Unhold in seine Manteltasche: »Hier sind zwei Pistolen, wählen Sie eine! und auf zehn Schritt Abstand!«

Mir war alles recht, ja ich brannte darauf, dem verdammten Schwätzer eins auf den Pelz zu feuerwerkern. Die Sache vereinfachte sich dadurch, daß der Zug plötzlich auf offener strecke hielt. Wir stiegen aus, faßten Posto auf dem Fahrdamm, – auf genaue Innehaltung der Duellregeln kam es ja in so besonderem Fall nicht an, – zwei Kugelblitze durchzuckten die Finsternis, – ich sah Schlüpfern wanken, – mit dem Ausruf: »Ceylon muß an Braunschweig fallen!« schlug er auf die Schwellen des Nebengeleises.

Ich schleuderte die Pistole fort, kletterte in den Wagen zurück, warf mich in die Ecke zurück und konstatierte mit Befriedigung, daß man mit schlechtem Gewissen sehr gut einschlafen kann; allein bald geriet ich in einen dämmernden Zustand des Halbwachseins, und jetzt erst überkam es mich mit allen Schrecken. Allgütiger Himmel! Was war das eigentlich gewesen? Eine Vision? Ein Alpdruck? – Sicherlich doch! Ich hatte keinem was zuleide getan, keinen Hilflosen auf den Schwellen liegen lassen. Mir wurde leichter. War ja überhaupt auf der ganzen Fahrt ganz allein gewesen, da war niemand unterwegs eingestiegen – – –

Aber nein! Da oben im Gepäcknetz lag ja der gelblich-grüne Koffer!! und wie es mich angrinste, dieses Gepäckstück! Wie es mir die Anklage ins Gesicht schleuderte! Kein Zweifel, der Koffer gehörte zu einem Menschen, den ich nach einem fatalen Wortwechsel erschossen hatte!

Ich wankte auf den Korridor. Und da, – am Fenster stand der Herr, schlank, glatt, bebrillt und starrte mich an.

»Herr Schlüpfer! Sind Sie es wirklich?«

»Professor Doktor Servatius Schlüpfer; freut mich, daß Sie sich meinen Namen gemerkt haben, obschon Sie nahe am Einschlafen waren, als ich mir erlaubte, mich vorzustellen.«

»Ja, wie kommen Sie denn hier auf den Durchgang? Wir hatten doch ein böses Abenteuer miteinander?«

»Wir ein Abenteuer? Nicht daß ich wüßte. Ich bin bloß herausgegangen, weil ich es, offen gestanden, in Ihrer Nähe nicht aushalten konnte. Leiden Sie öfter an solchen Anfällen?«

»Ich? Anfälle? Wie verstehen Sie das?«

»Ja, Sie phantasierten dauernd von Marokko und Mongolei und Quadratkilometern, und dabei brüllten Sie und strampelten Sie, und was das Aergste war, Sie hielten eine kohlende Zigarre im Mundwinkel, die das ganze Coupé verstänkerte, – da zog ich es doch vor, das Feld zu räumen.«

»Ich begreife noch immer nicht. Sie waren es doch, Herr Schlüpfer, der mit ganz verschrobenen Zukunftsplänen anfing –«

»Nichts läge mir ferner. Ich bin Geschichtsprofessor und kümmere mich prinzipiell nur um das klassische Altertum, niemals um die Zukunft ...«

»Wir hatten also gar keinen Wortwechsel?«

»Soweit es mich betrifft, nur einen Platzwechsel. Uebrigens werden wir sogleich in Berlin einfahren, gestatten Sie, daß ich mir meinen Koffer hole.«

»Und Sie haben auch keinen Zorn gegen mich? Nein? O, wie gütig! Sollte ich je in die Lage kommen, mich Ihnen gefällig zu erweisen ...«

»Diese Lage ist bereits gegeben. Sie treffen eben Anstalten, um sich eine neue von Ihren Zigarren anzustecken – – wenn Sie vielleicht damit warten wollten, bis wir den Zug verlassen haben ...??«

Ich warf den Glimmstengel durchs Fenster, ergriff die Hand des Mannes in freudiger Erregung und, von aller Gewissensangst befreit, wünschte ich ihm ein gesegnetes Jubeljahr.

Am Strick in der Luft

Mehrere meiner Kollegen haben Luftfahrten unternommen in Zeppelin-Kojen und Aeroplanen und sie wissen darüber anschaulich zu berichten. Mir ziemt es dabei, stumm anzuhören, da in meinen eigenen Erfahrungen dergleichen nicht vorkommt. Aber ich habe mir einmal einen Flug geleistet, der doch noch Besonderheiten abseits der richtigen Wolkentouristik darbot, obschon das Instrument, das mich hinaufspedierte, keineswegs zur Masse der Edelmechanismen gehörte. Es war ein Fesselballon: und so ein Gestell trägt keinen dädalischen, keinen ikarischen Charakter. Es ist ein Flugzeug, dem die irdische Gefangenschaft in Gestalt eines strammen Seiles anklebt. Das wird von ihm getragen, wie der Galeerensträfling, der ja auch in einem Fluidum hinausfährt, seine Kette mitschleppt. Und wenn man davon erzählt, so weckt man in der Regel ein mitleidiges Lächeln bei den Hörern. Darin steht zu lesen: Na ja, Höhenflug mit Angstmeierei! Immer hübsch am Gängelband geblieben! Kurzum: Lorbeeren sind damit nicht zu holen.

Trotzdem mußte ich mir doch erst einen moralischen Ruck geben, bevor ich das Vehikel bestieg. Es war auf dem Marsfelde in Paris, als eben die Reste der vorletzten Weltausstellung abgeräumt wurden. Dort hatte man zwei Möglichkeiten des raschen Emporkommens, und ich schwankte zwischen zwei Maschinen: dort drüben standla Grande Roue, das Riesenrad in doppelter Höhe der Berliner Siegessäule, ein vertikal gestelltes Karussel mit baumelnden Hängeschiffchen, in denen man, wenn der Mechanismus nicht bockte, eine Totalumdrehung in zwanzig Minuten erleben konnte. Mir war das zu niedrig, und ich kokettierte mit dem andern Apparat, demBallon captif, der doch weit extravagantere Dinge versprach: Sechshundert Meter hoch und ansehlichen Aufenthalt im Wolkenbereich. Er war mit einer kleinen Maschinenbaracke verkuppelt, aus der es verheißungsvoll rasselte und trommelte: dort befand sich nämlich die Drehwalze, die den Fesselstrick losließ und nach erledigtem Flug wieder aufwickelte. Der riesige Ballonkörper sandte weithin den Atem von Leuchtgas, einen Duft, der mir lockender erschien als irgendwelches Blütenparfüm, kurzum, ich verspürte Lust, und da die Sache nicht sonderlich teuer war, so meldete ich mich zur Mitfahrt.

»Entrez, s'il vous plaît!«

Nein, nur nicht so hitzig. Ich habe Zeit. Erst möchte ich doch noch einen Probeflug anderer Passagiere abwarten, und wenn die heil zurückkommen, dann, wie gesagt, bin ich entschlossen, mein kostbares Leben Ihrem Strick anzuvertrauen.

Man befand sich damals eigentlich erst in den Anfängen der modernen Flugtechnik. Der Lenkballon war noch Traum patentlustiger Ingenieure und der Begriff des gaslosen Flugzeuges existierte nur als Utopie im Widerspruch zur strengen Wissenschaft. Hatten doch kurz zuvor Siemens und Helmholtz mathematisch »bewiesen«, daß ein Luftzeug schwerer als die Luft nur als Gedankenkonstruktion, nicht aber in Wirklichkeit möglich wäre, und dieser Beweis herrschte mit dogmatischer Wucht. Je mehr Freiballons die Luft bevölkerten, desto deutlicher war zu erkennen, daß der Typus selbst sich vom Modell der Montgolfière und Charlière nur wenig entfernt hatte. Ja in gewissem Betracht ließe sich behaupten, daß die Flugidee der Vorzeit weiter reichte, als die der Nachfahren vor etwa einem Menschenalter. Denn kaum hatten die Montgolfiers und Genossen ihre ersten Proben aufsteigen lassen, gegen Ende des vorvorigen Jahrhunderts, als die weisen Prognostiker der Welt ansagten, das wahre Wesen und die Zukunft aller Fliegertechnik läge in kriegerischer Zerstörung. Aber erst einer hochentwickelten Spätzeit war es vorbehalten, dieses Kulturideal zu verwirklichen, und die wirkliche »Eroberung der Luft« konnte erst platzgreifen, als man im Aether auch die ethischen Standpunkte erobert hatte. Jedenfalls konnte damals, als ich auf dem Marsfelde meine Aszension plante, alle Fliegerei noch als ein harmloser Spaß gelten. Mir war die Gefahrlosigkeit erwiesen, da ich meine Vormänner unbeschädigt landen sah: sie waren bei Windstille lotrecht aufgestiegen, kerzengerade niedergekommen, und um von dem Strick im Diminutiv zu sprechen: es ging alles wie am »Schnürchen«. Wir waren unser vier Personen im Korbe, als wir aufwärts schwebten, langsam, aber pompös, von der Illusion befangen, als stünden wir still, wahrend ringsum die Erde mit allen Baulichkeiten versänke: der amtlich bestallte, in Goldtressen imponierende Kondukteur, ein Elsässer Techniker, ein Wiener Lebejüngling und meine Wenigkeit, die sich bald als Vielzuvielheit vorkam; denn der Kondukteur hatte eine fatale Methode, von dreihundert Metern aufwärts die Aussicht zu erklären, gegen die sich zuerst nicht das Mindeste einwenden ließ: Paris wie auf einer Landkarte, in rapid verkleinerten Dimensionen übersichtlich zusammenschrumpfend. Allein der Kondukteur suchte sich zu unserer Orientierung fast durchweg solche Punkte heraus, deren Erwähnung unser vogelperspektivisches Hochgefühl sehr merklich beeinträchtigte.

»Dies dort drüben, Messieurs, ist die Kathedrale von Saint-Denis, wo die französischen Könige begraben liegen. Dort wiederum erblicken Sie das Pantheon, wo Rousseau und Voltaire begraben liegen. Nordöstlich streckt sich der Stadtteil Montmartre mit dem Friedhof, auf dem Heinrich Heine (er sprach Henri Hène), begraben liegt. Was so golden glänzt, ist die Kuppel des Invalidendoms, wo Napoleonle Grandbegraben liegt. Beachten Sie den weißen Punkt ganz nach Osten: das neue Krematorium auf dem Père Lachaise, wo Molière und Lafontaine begraben liegen. Auch Beaumarchais, Chopin und Bellini liegen dort begraben. Dies dort? Die Kirche Saint-Germain des Prés, wo Abailard und Heloise bis zum Jahre 1817 begraben lagen. Jetzt liegen sie gleichfalls auf dem Père Lachaise begraben.«

Ich war bloß neugierig, wo wir selber begraben liegen werden, wenn unserm Ballon etwas zustößt.

Dem Wiener vergingen alle Aussichtsgelüste. Er malte sich die Folgen eines Sturzes aus und kleidete diese Malerei in die grammatisch nicht ganz einwandfreie, sachlich aber ganz korrekte Form: »Tenez-vous cela pour dangereux?!«

Er empfing von dem Ingenieur höchst alarmierende Auskünfte: er selbst habe lange in einer Dynamitfabrik gearbeitet, mehrere Explosionen mitgemacht und sei gegen Todesschauer ziemlich abgebrüht. Aber im allgemeinen wäre doch solch ein Flug, wie der unsrige, eine Angelegenheit für ganz hartnäckige Selbstmörder. Jedenfalls ergäbe die Statistik geradezu fürchterliche Resultate.

Mir begannen trotz der Engnis im Korbe die Knie in weitausgreifender Amplitude zu schlottern, und ich gierte nach Beruhigung: Aber wir werden ja an einem Seil festgehalten, was soll uns denn da passieren?

Diese Laienansicht fand sofort schärfste Abfertigung: Das ist genau so, als ob Sie sich auf dem Rücken eines wilden Pferdes sicherer fühlten, wenn man Ihnen den Fuß mit einem Strick an den Steigbügel gefesselt hätte. Nichts potenziert die Gefahr so unheimlich, wie die Bindung. Ein Freiballon steht unbedingt vertikal, und keine Luftströmung wird den Insassen subjektiv fühlbar. Aber wenn uns hier ein Sturmstoß faßt, so legt er uns schief auf die Seite und drückt uns eventuell so vehement herab, daß eine Katastrophe erfolgen muß.

Die Worte des Technikers wurden augenblicklich atmosphärisch bekräftigt. Eine plötzliche Brise von Westen preßte uns in einer niederträchtigen Kurve nach Osten, wir hatten jetzt die Spitze des Eiffelturms genau unter uns und konnten uns der Ahnung hingeben, an dieser Turmspitze aufgespießt zu werden, was zweifellos ein sehr origineller Tod gewesen wäre. Allein der Wind setzte das Kurvenspiel fort und beschrieb mit uns in der Luft Kreisbögen von, gelinde ausgerechnet, achtzehnhundert Fuß Radius.

Der Kondukteur tröstete: Es ist ja leicht möglich, daß das Seil reißt, aber wir sind mit allem Erforderlichen versehen, um die Tour als Freifahrt fortsetzen zu können. Und dann werden wir schon irgendwo landen, vorausgesetzt, daß der Wind nicht umschlägt und uns in den Atlantischen Ozean wirft, was dann allerdings nicht als Erfreulichkeit aufzufassen wäre.

Der Techniker ergänzte: Wenn der Strick standhält, dann wird es noch schlimmer. Der gefirnißte Ballontaft hat nämlich, wie alle Nichtleiter, die Tendenz, bei jeder Reibung Elektrizität zu entwickeln. In unserem Fall sind alle Bedingungen gegeben: Das Netzwerk wird durch den Wind an die Hülle prall angedrückt, das widerstrebende Seil verschärft die Spannung, sehr leicht entladen sich elektrische Funken, die hineinschlagen, und dann steht der Ballon natürlich sofort in hellen Flammen. Erst in voriger Woche sei in Lille einBallon captifauf diese Weise verunglückt und ähnliches hätte sich fast gleichzeitig bei Straßburg, bei Chalons und bei Toulouse ereignet. Uebrigens wären die Fahrgäste von Lille nicht zerschmettert worden, sondern infolge der fallschirmartigen Wirkung der Ballonfetzen als ziemlich wohlerhaltene und nur teilweise geröstete Leichen unten angekommen.

Diese erquickliche Konversation verlängerte sich durch den Umstand, daß die Seiltrommel in der Tiefe nicht funktionierte. Wir hätten schon lange zurückgewickelt sein müssen, allein da haperte etwas an der Maschinerie auf dem Erdboden. Der Kondukteur tröstete abermals: Nächsten Morgen würde die Konstruktion ganz bestimmt in Ordnung gebracht werden, und selbst im Moment könne die Sache nicht gar so arg auslaufen, da das Luftschiff bei einer solventenCompagnie d'assurancezum vollen Werte versichert sei.

Zum Glück besann sich die Maschine nach einer weiteren halben Stunde, das Seil wurde angezogen, wir schnurrten zurück, und mit dem Faustischen Jubelruf »die Erde hat mich wieder!« durfte ich das Festland wieder betreten. Im Bureau der Fluggesellschaft wurde mir ein auf den Namen gefertigtes »Diplome de courage« ausgehändigt. Bis zum heutigen Tage bewahre ich dieses Dokument, das mir Kunde gibt von der außerordentlichen Tapferkeit, mit der ich damals nach überstandenem Schrecken aus dem Korb geklettert bin. Ich glaube, es ließen sich da Parallelen ziehen mit Mucius Scävola und mit Leonidas, die sich ja in kritischen Momenten auch ganz beherzt benommen haben.

Natürlich, der Einjährige

Bei der Verkündung des Waffenstillstandes im deutsch-französischen Kriege von 1870/71 versammelte ein preußischer Feldwebel seine Leute zu der denkwürdigen Ansprache: »Jetzt ist der Feldzug zu Ende und die Kriegsbummelei hört auf. Jetzt beginnt wieder der richtige, stramme Waffendienst.« Und diesen, gepfefferten Friedensdienst mit allen Schärfen eines raffinierten Drills habe ich bald darauf ausgiebig kennen gelernt; als »Einjähriger« im Kaiser-Franz-Regiment, als Privilegierter, der auf Grund seines amtlich bescheinigten Bildungsgrades vor den Dreijährigen einen gewaltigen Zeitvorteil und dazu die Aussicht auf rasche Beförderung voraus hatte. An diesem Privilegium war verfassungsmäßig nicht zu rütteln. Wir sogenannten Einjährig-Freiwilligen bildeten im Kommiß eine Oberschicht, und eben deswegen ließen die Vorgesetzten spüren, daß ihnen die ganze Einrichtung nicht paßte. Wo es der Anlaß nur irgend ermöglichte, wurden wir Vertreter der »Intellektuaille« als die Sündenböcke angeprangert. Und da verging keine Stunde ohne solchen Anlaß. Alles, was im Dienst nicht ganz exakt klappte, was die zornige Laune des jeweils Befehlenden herausforderte, wurde auf unser Konto gesetzt, auf unsere vielbelasteten Buckel abgeschoben. Die stehende Redensart lautete: »Natürlich, der Einjährige!« Das sollte bedeuten: Im Vergleich mit euch ist alles andere Mustertruppe; wenn hier etwas mißlingt, in Richtung, in Griffen, in irgendwelchem Exerzitium, so ist nur die Anwesenheit dieser Bildungsprotzen daran schuld; der Einjährige verdirbt selbstverständlich das ganze Militär. Und dieses Dogma stand ebenso fest, wie das Privilegium selbst.

Und auf keinen meiner Kameraden prasselte jenes ironische Donnerwort so häufig herab als auf mich. Die Summe dieser Erlebnisse verdichtete sich in mir zu der Empfindung, daß gerade ich mit meiner höchst unpassenden Bildung den Krebsschaden des gesamten Heerwesens darstellte.

Wie bekannt, gipfelte damals alle soldatische Vorzüglichkeit im »Parademarsch« – ein prachtvoller Anblick, wenn er in schnurgerader Ausrichtung gelang, eine Katastrophe, wenn die Linie ins Wanken geriet. Er war das eigentliche Staatsexamen, die höchste Erprobung, das untrüglicheExperimentum crucisfür die Leistungsfähigkeit der Truppe. Tief ins Bewußtsein bohrte sich zumal der kritische Augenblick, da man mit seiner blankgeputzten Reihe am Feldherrnhügel der hohen Offiziere vorbeiparadierte, die mit Adleraugen die Front bis auf den Zentimeter genau taxierten. Und ach, wie habe ich Unglückswurm diese strahlende Front ruiniert! Just im entscheidenden Moment packte mich ein Nieskrampf, meine persönliche Explosion pflanzte sich mit Lichtgeschwindigkeit fort, ich war der Unhold, der die pompöse Fassade zur scheußlichen Kurve verkrümmte. Der empörte Hauptmann wetterte los: »Natürlich, der Einjährige! Zwanzig Jahre hat er zum Niesen Zeit gehabt, muß er mir ausgerechnet in dieser Sekunde mit seiner infamen Platznase den Parademarsch verderben!«

Es sollte noch ärger kommen. Ich defilierte in der Rolle als schließender Unteroffizier in abgetrennter Reihe hinter der Zugfront, allen Blicken besonders exponiert. Ich trug in bitterer Winterkälte nach Vorschrift weiße Handschuhe, die zwar meine Körperlichkeit blendend idealisierten, aber die Gelenkigkeit meiner ohnedies halberstarrten Greifflossen auf Null herabdrückten. Nun gab es unter allen Dienstverbrechen kein grausigeres als die Lockerung der Waffe bei rechts angefaßtem Gewehr. Und richtig, es stand in den Sternen geschrieben, daß mir wiederum im heiligen Augenblick die Flinte von der Brustseite abrutschte. Mit der freien linken Hand versuchte ich danach zu greifen – an sich schon ein verfemtes Manöver –, allein die brutale Schwerkraft war stärker als mein Wille, kurzum, mein Gewehr ratterte fallend mit Gekrach den hochmögenden berittenen Herrschaften direkt vor die Füße. Virgil nennt als Symptom des höchsten Entsetzens: »vox faucibus haesit« (die Stimme blieb im Schlunde stecken) und diese perplexe Sprachlosigkeit stellte sich auch bei den Halbgöttern ein, die diesen verpfuschten Parademarsch abnahmen. Aber hinter mir her vernahm ich doch bald genug das Furiengeheul: »Natürlich, der Einjährige!« Dem Orestes mögen die Rufe der Rachegeister sanfter in den Ohren geklungen haben!

Ich gehörte zu den ersten, die zur Erprobung des damals neuen Mausergewehrs an den Scheibenstand kommandiert wurden. Dieses Instrument äußerte anfangs einen äußerst heftigen Rückschlag, und man mußte sich gewaltig zusammennehmen, um nicht beim Abfeuern glatt hintenüber zu purzeln. Allein ich trotzte dem akuten Kolbenstoß – der unter Umständen das Schlüsselbein entzweibrechen konnte –, ich zielte mit Wilhelm-Tell-Augen und leistete in erster Probe bei fünf Schüssen auf 120 Meter Scheibendistanz fünf Zentraltreffer. Sofort wurde mir ein ungeschriebenes Militärgesetz erläutert, wonach der Soldat bei solch seltenem Ergebnis gehalten wäre, das ganze Peloton mit einem Faß Bier freizuhalten. Wir verfügten uns also in nächster dienstfreier Stunde in eine gemütliche Kantine, die der gesamten Rotte zum Verhängnis werden sollte. Wir vertilgten nämlich zu dem Biergelage etliche frische Schweinswürste, und dieses äußerlich und im Geschmack sehr leckere Gericht barg einen perfiden Kern – du ahnst es, Leser: Trichinen! Die ganze Kumpanei erkrankte, und das Lazarett erhielt eine starke Belegschaft, durch deren Muskeln nach mikroskopischem Befund unzählbare Horden jener Spiralwürmer tobten.

Im ganzen Regiment war das Wort »Trichinose« zum Alarmsignal geworden, und obschon wir durchweg schließlich gesundeten, gab es doch allenthalben verängstigte Gesichter und peinliche Erörterungen. Wie und wo mochte bloß der fatale Vorgang entstanden sein? Hierüber gaben die Indizien deutliche Auskunft: bei einem Biergelage, das der bewußte glückliche Schütze mit den Freiwilligenschnüren zur Feier seiner fünf Treffer veranstaltet hatte. Eine moralische Schuld ließ sich freilich nicht konstruieren, aber der kausale Zusammenhang wies doch unzweideutig auf mich, als den eigentlichen Urheber der Verseuchung. Es fanden sich Stimmen, die mich direkt als Trichinenvater bezeichneten – »Natürlich, der Einjährige!«

*

Und des Sonnengottes Gluten versengten das Feld mit unerhörten Kalorien. Wir absolvierten eine Felddienstübung im freien Gelände nahe bei Berlin, und ich war durch die Hitze geradezu wie betäubt. Abgesehen davon, hatte ich während der Uebung meiner Feldflasche kräftig zugesprochen, und diese enthielt – sehr reglementwidrig – eine ziemlich hochgradige Alkoholmischung. Und aus diesem Zusammenprall von Temperatur und Schnaps entwickelten sich Zustände, die nach den Regeln militärischer Erfahrung als beispiellos gelten müssen.

Erstlich verlief ich mich während des Manövers derart, daß ich in eine ganz fremde Soldatenschaft hineingeriet und mit einer Truppe heimkehrte, zu der ich nach Dienstverhältnis und Uniform gar nicht gehörte. Und es muß ergänzt werden, daß so ein verirrtes Schaf in fremder Herde eine Rolle spielt, die zwar dem Betrachter sehr burlesk, dem Darsteller indes recht erbärmlich vorkommt. Ferner war mir infolge der diabolischen Glut der schwarze Lack vom Tornisterriemen auf den Waffenrock geflossen und hatte sich dort in breiter Fläche dermaßen verklebt, daß ich als Gesamterscheinung nur noch einen lackierten Klumpen vorstellte. Welch eine Toilette mußte ich an mir vollziehen lassen! Gewand und Tornister hafteten wie genagelt aufeinander und waren nur durch Faustgewalt und Messerschnitte zu trennen: Modell für einen Bilderbogen von Busch! Hier entstand die Frage, warum Tausende von schwarzberiemten Füsilieren heil durch die Sonne marschierten, während nur dieser einzige, dieses Monstrum, von den Strahlen des Tagesgestirns so nichtswürdig verdreckt wurde? Der nie um Antwort verlegene Chor der Vorgesetzten gab Bescheid: »Natürlich, der Einjährige?« Der Kerl mußte nicht nur eine Extrauniform, sondern auch eine Extraschmelzhitze für sich haben?

*

Es war eine Zeit, in der auf den Kasernenhöfen viel geflucht und geschimpft wurde, im Ernst und im Scherz, aber beständig mit Uebertreibungen, zu denen sich die Helden der Ilias nimmer aufgeschwungen hätten. Wie armselig erscheint Homers Vokabular gegen die kraftvolle Fülle dieser kasernendeutschen Umgangssprache! Man darf getrost behaupten, daß sämtliche zoologischen Gärten Europas froh gewesen wären, hätten sie nur zum hundertsten Teil so viele Dromedare, Büffel, Rhinozerosse und Paviane besessen, als in unserem Bataillon während eines Vormittags titularweise wimmelten. Man nahm es dabei naturkundlich nicht ganz genau. Mein Nachbar im Gliede bekam zu hören: »wissen Sie, was Sie sind? Ein Heupferd, und zum richtigen Kamel fehlt Ihnen bloß noch der Rüssel!« Dabei spielte auch die klassische Redewendung »pars pro toto« eine Rolle, indem zahlreiche Kommißbrüder als Affenschwänze und Hammelschnauzen angesprochen wurden. Man erlebte dazu Kreuzungsformen, die in »Brehms Tierleben« vergebens gesucht werden, wie zum Beispiel: Ochsenferkel, Tapirschaf, Mandrillschwein und Bullengimpel. Bei diesen Ernennungen bestand indes ein merklicher Unterschied insofern, als wir Freiwilligen nur selten in die Klasse der zoologischen Merkwürdigkeiten befördert wurden. Die Wortführer konnten davon um so eher absehen, als sie den Ausdruck ihrer Gefühle ein- für allemal in die höhnende Formel konzentriert hatten: »Natürlich, der Einjährige!«

*

Unser Dienstterrain erwies sich überhaupt als ein sehr ergiebiges Feld für Kasernenblüten. Viele sententiöse Drolligkeiten, die sich später in Druck und Volkserzählung fortpflanzten, sind Franzerischen Ursprungs, und ich selbst habe eine ganze Anzahl dieser jokosen Gewächse, deren Aufsprießen ich im Dienste erlebte, als erster in die Öffentlichkeit hinausgetragen.

Der Fahneneid – so lautete eine Erläuterung in der Instruktion – ist eine heilige Sache; wer ihn bricht, wird schwer bestraft, ganz abgesehen davon, daß er sich auch noch imJenseitsden größten Unannehmlichkeiten aussetzt! –

Die tägliche Löhnung beträgt zwölf Pfennig, und haben besonders die älteren Soldaten darüber zu wachen, daß die jüngeren Kameraden damit nicht in Verschwendung ausarten. – Heute abend findet auf Brigadebefehl eineMondfinsternisstatt, wovon die Truppen bei klarem Himmel Augenschein zu nehmen haben. Die Mondfinsternis beginnt pünktlich um ½10 Uhr,ausgenommenfür diejenigen Mannschaften, welche um diese Zeit in geschlossenen Räumen Wachtdienst verrichten. –

Das militärische Turnen hat den Hauptzweck, den Soldaten am Reck zu einem brauchbaren Menschen zu erziehen, und ihn im Leben auf die schwierigsten Klimmzüge vorzubereiten.

Bei Ansetzung des Dienstes soll laut Kabinettsorder auf die israelitischen Soldaten insoweit Rücksicht genommen werden, falls sie durch Immatrikulation oderanderejüdische Feiertage eine glaubhafte Abhaltung nachweisen. –

Der Soldat soll sein Gewehr lieben wie seine Braut, was sich auch auf die Rekruten bezieht, die noch kein Verhältnis haben. –

Es ist dem Soldaten strengstens verboten, sein Kommißbrot zu verkaufen, oder sonst Handel damit zu treiben,bevorer es selbst aufgegessen hat. –

Sollte ein Dissident versehentlich in die Garnisonkirche kommandiert werden, so steht es ihm frei, aus der Kircheauszutreten, aber nicht während des Chorgesangs. –

Begegnet der Soldat auf der Straße einem königlichen Prinzen, so muß er Front machen, ebenso vor einer Hofequipage, sobald anzunehmen, daß dernämliche Prinzsich im Innern der Kutsche befindet. Wird der Soldat von einem Vorgesetzten mit einem Auftrag fortgeschickt, so darf er diesen Auftrag nicht weitergeben, sondern er hat an den befohlenen Punkteigenhändigzu marschieren. –

Morgen nachmittags um 3 Uhr werden auf dem Kasernenhof Zielübungen vorgenommen, auch von den bereits am Vormittagnach der Scheibe geschossenenMannschaften. –

Das militärische Wort »Ponton« kommt aus dem Französischen, wogegen der »Ballon« von gefirnißtem Taft herkommt.

Und über all diesen Edikten schwebte als Hauptformel die pompöse Definition: Der Soldat ist nicht nur das dazu gehörige Lederzeug, sondern auch die Liebe zum angestammten Herrscherhause, verbunden mit den nötigen Griffen!

Wie ich ihn anlernte

Das war in jenen Tagen, als ich noch selbst das kritische Richtschwert schwang und Virtuosen wie Komponisten unterm Strich zu Blutwurst verarbeitete. Eben hatte ich wieder so ein Massaker verübt, mit der Grausamkeit eines Rifkabylen, und ich stand im Begriff, mich zu neuen Greueln durch eine Zigarre zu stärken. Aber das war ein übles Kraut, und ich warf den kohlenden Glimmstengel in den Aschenkasten; denn er hatte noch weniger Zug als die Oper, deren letzten Akt ich nunmehr lynchen wollte. Himmel, was war das heutige Blutbad für eine Strapaze! Ich sann darüber nach, wieviel Sorgen und Beschwerden auf meinem Beruf lasteten, und widmete meinen Neid allen Mitmenschen, die ein freundliches Geschick vor den hirnzerreißenden Qualen des Rezensententums bewahrt. Wie wahr, o Meister Berlioz, sagst du in deinen Grotesken: Elende Kritiker! Für sie hat der Winter kein Feuer, der Sommer kein Eis! Immer frieren, immer brennen. Immer hören, immer leiden! Immer den Eiertanz aufführen, zitternd, eins zu zerbrechen ... und nicht einmal ihre müde Feder an den Weiden des Flusses zu Babylon aufhängen und sich am Ufer niedersetzen zu können, um nach Muße zu weinen! ... An diese Jereminade mußte ich denken, und mit dem Goetheschen Donnerwort: »Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent!« schlug ich mit der Faust auf den Tisch, daß eine Fontäne, so schwarz wie meine Galle, aus dem Tintenfaß auf das Manuskript niederspritzte.

Gleichzeitig trat ein Herr, der nach Ausweis seiner Visitenkarte auf den Namen Zyprian hörte, mit der Frage, ob er störe, in mein Zimmer. Er sah aus wie ein Künstler, der eine bedeutende Zukunft hinter sich hat. Und er befleißigte sich eines Lächelns, das an Demokrit erinnert hätte, wenn es nicht so blöde gewesen wäre.

»Machen Sie's kurz!« sagte ich. »Spielen Sie Violine oder Klavier oder besitzen Sie am Ende die Verruchtheit, zu singen? ganz zu schweigen von der diabolischen Möglichkeit, daß Sie, Gott behüte, gar komponieren! Sie wollen natürlich als Konzertgeber auftreten und wünschen mich hierzu als literarischen Spießgesellen; ich möchte die Gefälligkeit haben, Ihnen eine Reklame zu schreiben? Ihr gemeines Vorhaben soll unter einer Bedingung verwirklicht werden, wenn Sie sofort mit Überlichtgeschwindigkeit das Weite suchen, werde ich Ihnen eine Notiz in die Zeitung bringen.«

»Danke verbindlichst«, erwiderte Zyprian. »Sie befinden sich indes im Irrtum. Ich bin vorderhand noch gar nichts, beabsichtige vielmehr erst etwas zu werden, vorläufig besitze ich von musikalischen Dingen kaum eine Ahnung und ich habe deshalb eine Stelle als Musikkritiker angenommen.«

»Bei welcher Zeitung?«

»Der Name des Blattes steht noch nicht fest. Uebermorgen wird erst die Probenummer herauskommen, und wenn dann in einer Woche die Zeitung immer noch erscheint, dann soll definitiv festgesetzt werden, wie sie heißt. Allein ich persönlich bin, wie gesagt, bereits durch Vertrag verpflichtet. Der Verleger sagte mir, wenn ich prinzipiell nur über solche Stoffe schriebe, von denen ich nichts verstände, dann könnte mir der Stoff niemals ausgehen. Deshalb habe ich mich zunächst für das tonkünstlerische Referat entschieden. Inzwischen sind mir aber doch einige leise Bedenken bezüglich meines Amtes angeflogen, und ich wollte Sie deswegen bitten, mir in Ihrer Eigenschaft als Fachmann etliche praktische Winke für meine künftige Tätigkeit zu erteilen.«

»Sind Sie des Konversationslexikons mächtig?«

»So ziemlich. Das heißt, bis zum Buchstaben G inklusive, weiter reicht mein Brockhaus nicht, da ich beim Buchhändler mit der Ratenzahlung im Rückstand geblieben bin.«

»Wenn Sie das Lexikon bis G besitzen, so genügt das fürs erste mehr als reichlich. Sobald in Ihrer Praxis von Auber, Bach, Beethoven, Brahms, Chopin und Gluck die Rede ist, können Sie da gar nicht in Verlegenheit kommen. Musikaufführungen, in denen Werke von Mozart, Mahler, Reger, Schönberg oder Strawinsky gespielt werden, dürfen Sie dann freilich nicht besuchen. Haben Sie ein gutes Gehör?«

»O ja. Ich wache vom leisesten Geräusch aus dem Schlaf auf.«

»Dann sind Sie geborgen. Setzen Sie sich im Konzert und im Opernhaus allemal so, daß Sie die Unterhaltungen anderer Fachkollegen behorchen können. Aber schärfen Sie Ihre Aufmerksamkeit, denn kleine akustische Irrtümer rächen sich oft bedenklich. Wenn jene kritischen Nachbarn zum Beispiel von der dreigestrichenen Oktave reden und Sie verstehen dreiunddreißig gestrichene Oktaven, so würde der Leser, falls Sie das druckten, an Ihrer Sachkenntnis irre werden. Oder wenn Sie statt Koloratur »Cholerakur« verstehen und schreiben, so könnte dies möglicherweise beim Chefredakteur Ihre Autorität untergraben.«

»Wie danke ich Ihnen für Ihre schätzbaren Weisungen! Durch deren Befolgung darf ich in der Tat hoffen, ein vielgelesener und beliebter Rezensent zu werden. Nur weiter mit Ihren Winken, ich bin ganz Ohr!«

»Also passen Sie auf, Herr Zyprian. Es kommt vor, daß ein und dasselbe Stück im Konzert doppelt auftritt. Hans v. Bülow hat sogar die ganze »Neunte« an einem Abend zweimal gemacht und bei sowas melden Sie nicht etwa, der Dirigent beabsichtigte, die Zweite Symphonie von Beethoven in einem Konzert neunmal zu spielen. Noch weniger dürften Sie solche vermeintliche Absicht tadelnd glossieren.«

»Aber der Tadel bleibt doch wohl beim Referieren die Hauptsache: oder meinen Sie, daß ein Rezensent auch loben darf?«

»Nur bedingungsweise. Wo Sie etwa schwanken sollten, geben Sie getrost dem Tadel den Vorzug. Richard Wagner hat die gesamte Musik als Liebe definiert, und in diesem Sinne bleibt es gültig, daß man sich als Journalist zwar verloben kann, aber niemals vertadeln. Das Publikum will amüsiert sein, und es ist einleuchtend, daß man mit Leichtigkeit einen pikanten Tadel zuwege bringt, wogegen gepfeffert zu loben ein Kunststück ist, das Sie sich als Anfänger nicht zutrauen sollten. Seien Sie indes recht behutsam in der Dosierung des Tadels. Sie dürfen unbedenklich jeden Künstler einen Epigonen nennen, einen Stümper, Sie dürfen leise andeuten, daß dieser Stümper eine unverkennbare Anlage zur Geistesschwäche bekundet und sich nur graduell von einem Trottel unterscheidet. Die Zensur »nicht ohne Talentlosigkeit« wird selten übelgenommen. Dagegen riskieren Sie Unannehmlichkeiten, wenn Sie namhafte Virtuosen und Tonsetzer mit Ausdrücken wie Ochse, Aujust, Rhinozeros, Dämelsack oder Schautenkönig belegen.«

»Das sind goldene Worte! Doch auch die sanftere Form des Tadelns könnte mir Feindschaften verursachen. Manche Fachmusiker sollen so eitel sein, daß sie selbst Beiworte wie Pfuscher, Nichtskönner und Tölpel nicht gern akzeptieren. Wie ist da zu helfen?«

»Sehr einfach. Das Publikum will Tadel lesen, also schreibe man den Tadel, daß die Späne fliegen. Damit ist indes nicht gesagt, daß gerade die aktuell zu behandelnde Person getadelt werden muß. Im Gegenteil. Setzen wir den Fall, die Dame so und so, nennen wir sie unpersönlich Meyer, gibt ein Konzert. Dann sagen Sie ihr einige schmeichelhafte Zeilen und ziehen die Parallele zwischen der Dame Meyer und der Dame Schultze, die vor Jahren in demselben Lokal die nämlichen Stücke vorgetragen hat. Jetzt haben Sie freies Feld und können die vormalige Konzertgeberin Schultze in Grund und Boden verschimpfieren. So hat der Leser sein Vergnügen und die Virtuosin von gestern ein noch größeres.«

»Das mag schon richtig sein. Aber die andere, die ich so fürchterlich verreiße, wird mir spinnefeind.«

»Kaum anzunehmen, die liest ja Ihre Kritik gar nicht. Höchstens könnte die andere im Laufe der Zeit einmal wiederkehren und abermals konzertieren. Nun dafür haben Sie ja jetzt das Rezept in der Tasche: Sie werden nunmehr der Schultzen etliche wohlwollende Zeilen spenden und dafür die Meyern bis auf die Knochen blamieren. Auf diese Weise üben Sie ausgleichende Gerechtigkeit und verschaffen sich lauter Freunde in der Künstlerwelt, obschon Ihre Artikel von Tadel strotzen.«

»Ja, so will ich's machen; diese Methode schützt mich ja nach allen Seiten.«

»Vorausgesetzt, daß sie sich nicht anderweitig kompromittieren. Vermeiden sie speziell lange Analysen bei vorzeitlichen Kirchenmusiken, denn da lauern die Fallstricke auf Schritt und Tritt. Ich nehme zwar an, daß Sie imstande sind, den altenPalestrinavonNeu-Palästinazu unterscheiden. Trotzdem könnten Sie straucheln, wenn Sie etwa diesen uralten Meister bis in die Zeit des Cheops oder Rhamses zurückverlegen. Und dann noch eins: für unerfahrene Kritiker liegt eine wesentliche Gefahr darin, daß sie dazu neigen, Aufführungen zu besprechen, die gar nicht stattgefunden haben. Die sichere Kenntnis davon, ob das betreffende Musikereignis nicht etwa verschoben oder ganz ausgefallen ist, gehört zu den wertvollsten Eigenschaften des Referenten.«

»Oh, davor ist mir nicht bange. Bevor ich zu schreiben anfange, kann ich ja jedesmal den äußeren Tatbestand durch eine Vertrauensperson feststellen, die sich in den Saal begibt und mir alles Erforderliche mitteilt. Mein Hausportier zum Beispiel, der mir allerlei Botengänge verrichtet, ist bis auf kleine Unregelmäßigkeiten ein ganz zuverlässiger Mensch. Er geht für mich durchs Feuer, weil ich der einzige im Hause bin, der ihn noch nicht bei der Polizei angezeigt hat. Sollte ich also gelegentlich ein Konzert schwänzen, so schicke ich diesen Mann in den Saal, und er wird mir berichten, ob sich dort alles nach Programm abgewickelt hat.«

»Sehr verständig. Und um ganz praktisch zu verfahren, brauchen Sie diese Methode nur noch um einen Grad auszubauen: lassen Sie doch Ihren Portier gleich die ganze Kritik aufschreiben! dann sind Sie von allem Mühsal entlastet, und es steht sogar zu hoffen, daß die Rezension gediegener geraten wird, als wenn Sie sich persönlich darum anstrengen.«

Ich habe nur noch nachzutragen, daß das zuvor erwähnte Blatt nicht über die erste Probenummer hinausgekommen ist. Sehr bedauerlich. Denn diese Nummer enthielt einen vorzüglichen Artikel, den Herr Zyprian mit rührender Treue aus Band II des Großen Brockhaus abgeschrieben hatte.

Abenteuer im Bremer Ratskeller

Phantasie wie beim alten Hauff? Oder Wirklichkeit? – Vielleicht beides. Jedenfalls kommen hier Dinge vor, Preise und Zahlen, die auf Wahrheit beruhen, und für die ich jede Garantie übernehme.

*

Es war zehn Minuten vor Mitternacht am ersten September, als ich dort Einlaß begehrte. Der letzte Gast hatte den Keller verlassen, und der Ratsküfer machte Schwierigkeiten: »Wir sind kurz vor der Gespensterstunde, und es ist nicht recht geheuer da unten; wollen Sie trotzdem....?«

»Ja ich will, unbedingt und absolut. Schließen Sie auf!«

Er führte mich durch hallende Gänge und über zahllose Stufen in einen düster erleuchteten Raum: »Die Weinkarte brauche ich Ihnen wohl nicht erst vorzulegen; Sie wissen wohl Bescheid?«

»Allerdings; es ist ja heut ein besonderes Datum.«

»Und Sie sind der einzige Mensch, der sich das gemerkt hat, das Dreihundertjahr-Jubiläum unseres weltberühmten Fasses, genannt ,Rose'. Wir besitzen darüber eine uralte Verordnung unseres löblichen Bremer Senats: Sollte sich in dieser Geisternacht ein einsamer Gast anfinden, der zu trinken begehrt, dann soll ergratisbewirtet werden. Und er darf sich aus dem ganzen Ratskeller einen beliebigen Schoppen aussuchen.«

»Vortrefflich, Küfer! Ich wünsche also eine Flasche aus dem herrlichen Apostelfaß Johannes!«

»Ihr seid sehr anspruchsvoll, Herr! Der Apostel darf sonst niemals angezapft werden. Aber Ihr seid ja eine Ausnahme und besitzet den Freibrief. Ich habe zu gehorchen.«

Er schlürfte davon und brachte das verlangte.

»Seit wann lagert dieser Wein im Bremer Keller?« fragte ich.

»Er ist ein Rüdesheimer vom Jahre 1670. Das Stück zu acht Ohm hat damals 300 Taler Gold gekostet.«

»Danke. Jetzt nehme ich ein Blatt Papier und will einmal ausrechnen, wieviel dieser Wein heute wert ist.«

»Das wird ein schwieriges Exempel; im Weinhandel rechnet man zehn Prozent aufZinseszins . . .«

»Diese Unterlage genügt mir. In drei Minuten wird das Resultat auf dem Papier stehen.«

Und da stand es:

Heute, am 1. September von 1925, beträgt der Preis dieses Rüdesheimers

pro Flasche:

24 683 750 000

Mark!

pro Glas:

3 085 469 000

Mark!

pro Tropfen:

3 085 469

Mark!!!

»Glatte Sache, wenn wir annehmen, daß ein Ohm 180 Flaschen, die Flasche 8 Gläser und das Glas 1000 Tropfen hergibt. Und jetzt entfernt Euch, Küfer. Ich will mir diesen Tranksolo solissimoin traumschwelgerischer Einsamkeit bezähmen!«

*

Das erste Glas! Ein Feuerstrom, der die Nebenbetrachtung heraufzaubert: Mehr als drei Milliarden gieße ich hier mit einem Zuge hinter die Krawatte. Mit diesem Betrage hätte man den größten Teil der Deutschen Reichsanleihen schon recht anständig aufwerten können. Für mich war das ein Schluck: prost Rest! Wie steh ich da?

Das zweite Glas! Ueberlegen wir doch einmal: Ein Reichstagsabgeordneter bekommt 20 Mark tägliche Diäten, macht fürs ganze Parlament rund drei Millionen im Jahr. Also habe ich hier ungefähr 1000 komplette Reichstage mit einem Hieb heruntergepichelt. Das soll mir erst einer nachmachen!

Das dritte Glas! Bilder aus vergangener Fahrtenlust steigen in mir auf. Für 20 Mark kann man sich heute sehr bequem eine Reise um die ganze Welt leisten. Also? Wie oft hätte ich für diesen Schluck rund um den Bauch des irdischen Globus reisen können? Reichlich 200 000 mal! Und wenn einer so'ne Masse Weltreisen tat, so kann er was erzählen!

Vivant sequentes!Beim letzten Glase lasse ich eine winzige Neige zurück, ein einziges Tröpfchen, aus künstlerischem Motiv; und denke dabei an die berühmte »Attische Göttin«, die jetzt vom Reiche, von Preußen und der Stadt Berlin zum Kaufpreis von einer Million erworben werden soll, von mir aus! Da wirtschafte ich doch ganz anders mit den Moneten! Jetzt pfeife ich extra den letzten Lippentriller, und mit diesem einzigen Tropfen träufle ich mir drei marmorne Attische Göttinnen auf die Zunge. Das nenne ich Groß-Zügigkeit.

Abgesehen davon habe ich bei meinem stillen Trinkfest die Weinsteuer gespart, das macht 20 Prozent vom Wert, gleich 4 Milliarden, 827 Millionen und 750 000 Mark, auf den Pfennig genau. Ich werde mich um die Zahlung dieser Summe nicht weiter bemühen, soll der Fiskus mir nachlaufen!

Also war das ein Genuß? Scheint so. Und da komme mir noch ein Abstinenter und erzähle mir von antialkoholischen Freuden! Den Kerl lache ich klaftertief unters Bremer Pflaster, wo er Grundwasser saufen soll. Ich habe mich für zahllose Milliarden amüsiert, und mein Kostenpunkt war alles in allem Null.

Herr Reichskanzler was sagen Sie zu der Preissenkung?!

Die Symphonie auf dem Gorner Grat

Ich hatte am Abend vorher Veronal genommen, und das wirkte noch bis zum Nachmittag, wo mich eine lethargische Müdigkeit auf dem Sofa festhielt. Aber da bekam ich Besuch. Es war nämlich mein Geburtstag, und mein Freund, der ausgezeichnete Techniker Konrad Sturm, erschien bei mir, um zu gratulieren und ein Präsent in Gestalt eines hübschen Kästchens abzuladen. Schön' Dank, lieber Konrad, sagte ich, stell's nur da auf den Schreibtisch und sei nicht böse, wenn ich dich nicht ausführlicher bewillkommne, ich bin nämlich so furchtbar müde und wollte gern noch ein bißchen nicken.

Aber der Techniker wollte mir doch sein Geschenk erläutern und begann einen Vortrag, von dem mir nur verschwommene Laute ins Bewußtsein drangen. Im Dusel vernahm ich seine Erklärung: das Kästchen, seine neueste Konstruktion, von der ich das erste Exemplar haben sollte; ein Apparat mit dem Titel »Dionys-Radio«, in mythologischem Anklang an das Ohr des Dionys von Syrakus, an jene sagenhafte Grotte, in der man die verborgensten Geräusche der Außenwelt hören konnte. Ich vernahm noch etwas von Antennen, von Vakuum-Röhren, und von einem neuen System Sturmscher Erfindung, das er »Infinitesimal-Röllchen« nannte. Das Radiokästchen sollte außerordentliches leisten, nicht nur als Schallempfänger, sondern auch als Sender nach beliebig zu bestimmenden Orten, und alles das mit den allereinfachsten Handgriffen.

Damit empfahl sich mein Freund und überließ mich meinen Träumen. Allein nach etlichen Minuten kam mir doch mein Benehmen allzu schlafmützig vor. Ich versuchte mich wachzurütteln, um das reizende Wunder in Gebrauch zu nehmen. Und das schien mir auch zu gelingen.

Ich war also wie gesagt in der Lage, den Apparat auf beliebige Distanzen einzustellen, und hatte es außerdem in der Gewalt, die Richtung zu bestimmen. Kurzum, ich konnte mir im ganzen Umkreis aller örtlichen Gegebenheiten den Punkt auswählen, mit dem ich empfangend und sendend klanglich zu korrespondieren wünschte, immer vorausgesetzt, daß sich in der Nähe dieses Punktes jemand befand, der mit einem brauchbaren Radioinstrument versehen, auf meinen Ruf und auf meine Intentionen einzugehen willens war. Da kam es also auf ein Probierverfahren an. In vielen Fällen konnte es mißglücken, aber das machte ja nichts, denn die Möglichkeiten an sich waren ja unbegrenzt, und selbst bei einem bescheidenen Prozentsatz an Treffern durfte ich auf eine stattliche Anzahl von Anschlüssen zählen. Es würden sich schon genug interessante Stationen finden, die auf meine Absicht reagierten.

Also machen wir den Anfang!