Gesammelte Werke - Georg Büchner - E-Book

Gesammelte Werke E-Book

Georg Büchner

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Beschreibung

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“

Georg Büchner hat nur ein schmales, gleichwohl breit gefächertes poetisches Werk hinterlassen: das Revolutionsdrama „Dantons Tod“ die Erzählung „Lenz“, die Gesellschaftssatire „Leonce und Lena“ und die soziale Tragödie „Woyzeck“. Jeder dieser Texte hat auch heute nichts von der Unmittelbarkeit seiner Wirkung verloren. Die vorliegende Ausgabe vereint dieses poetische Werk mit den Briefen des Autors, mit der politischen Kampfschrift „Der Hessische Landbote“ und weiteren Schriften. Alle Texte sind für diese Ausgabe neu ediert und erläutert.

Sämtliche Werke Büchners in einem Band.

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Buch

Georg Büchner (1813–1837), früh verstorbener Revolutionär, Dramatiker und Erzähler von höchstem Rang, Naturwissenschaftler und Dr. phil., hat nur ein schmales, gleichwohl breit gefächertes poetisches Werk hinterlassen: das Revolutionsdrama »Dantons Tod« – »Autopsie« des Wendepunkts der bürgerlichen Revolution im Frühjahr 1794 –, die bio- und pathografische Erzählung »Lenz«, die politisch-ästhetische Gesellschaftssatire »Leonce und Lena« und die unvollendete soziale Tragödie aus dem Leben der Armen: »Woyzeck«. Jeder dieser Texte hat auch heute nichts von der Unmittelbarkeit seiner Wirkung auf den Leser verloren. Die vorliegende Ausgabe vereint dieses poetische Werk mit den Briefen des Autors, mit der politischen Kampfschrift »Der Hessische Landbote«, mit Schriften aus der Jugend- und Gymnasialzeit sowie mit Büchners Züricher Probevorlesung »Über Schädelnerven«. Alle Texte sind für diese Ausgabe neu ediert und erläutert, Nachwort, Zeittafel und Literaturhinweise berücksichtigen die jüngste Forschung bis Ende 2000.

Herausgeber

Prof. Dr. Gerhard P. Knapp lehrt deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Utah, Salt Lake City (USA). Zahlreiche Buch- und Aufsatzveröffentlichungen zu Büchner, zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, zur Literaturgeschichte, Psychologie, Philosophie und Soziologie.

Dr. Herbert Wender ist Wissenschaftlicher Assistent an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken (BRD). Dissertation über die Quellen von »Dantons Tod«; weitere Studien zu Büchner, Lenz, Goethe. Seit 1990 spezialisiert im Arbeitsgebiet Edition&Computer, überwiegend im Team der Münchner Goethe-Ausgabe.

Inhaltsverzeichnis

BuchHerausgeberDantons Tod - Ein Drama
Erster Akt
Erste SzeneZweite Szene - EINE GASSEDritte Szene - DER JAKOBINERKLUBVierte Szene - EINE GASSEFünfte Szene - EIN ZIMMERSechste Szene - EIN ZIMMER
Zweiter Akt
Erste Szene - EIN ZIMMERZweite Szene - EINE PROMENADEDritte Szene - EIN ZIMMERVierte Szene - FREIES FELDFünfte Szene - EIN ZIMMERSechste Szene - STRASSE VOR DANTONS HAUSSiebte Szene - DER NATIONALKONVENT
Dritter Akt
Erste Szene - DAS LUXEMBURG. EIN SAAL MIT GEFANGENEN Ref 177Zweite Szene - EIN ZIMMERDritte Szene - DAS LUXEMBURG. EIN KORRIDORVierte Szene - DAS REVOLUTIONSTRIBUNALFünfte Szene - DAS LUXEMBURG. EIN KERKERSechste Szene - DER WOHLFAHRTSAUSSCHUSSSiebte Szene - DIE CONCIERGERIE Ref 226Achte Szene - EIN ZIMMERNeunte Szene - DAS REVOLUTIONSTRIBUNALZehnte Szene - PLATZ VOR DEM JUSTIZPALAST
Vierter Akt
Erste SzeneZweite Szene - EINE STRASSEDritte Szene - DIE CONCIERGERIEVierte Szene - PLATZ VOR DER CONCIERGERIEFünfte Szene - DIE CONCIERGERIESechste Szene - EIN ZIMMERSiebte Szene - DER REVOLUTIONSPLATZAchte Szene - EINE STRASSENeunte Szene - DER REVOLUTIONSPLATZ
LenzLeonce und Lena - Ein Lustspiel
Erster Akt
Erste Szene - EIN GARTENZweite Szene - EIN ZIMMERDritte Szene - EIN REICH GESCHMÜCKTER SAALVierte Szene - EIN GARTEN
Zweiter Akt
Erste Szene - FREIES FELD. EIN WIRTSHAUS IM HINTERGRUNDZweite Szene - DAS WIRTSHAUS AUF EINER ANHÖHE, AN EINEM FLUSS, WEITE AUSSICHT. DER GARTEN VOR DEMSELBENDritte Szene - EIN ZIMMERVierte Szene - DER GARTEN
Dritter Akt
Erste SzeneZweite Szene - FREIER PLATZ VOR DEM SCHLOSSE DES KÖNIGS PETERDritte Szene - GROSSER SAAL
Woyzeck - Lese- und Bühnentext
Erster Akt
Erste Szene - FREIES FELD. DIE STADT IN DER FERNEZweite Szene - DIE STADTDritte Szene - ÖFFENTLICHER PLATZVierte Szene - DAS INNERE DER BUDEFünfte Szene - BEIM HAUPTMANNSechste Szene - BEI MARIESiebte Szene - BEIM DOKTORAchte Szene - EINE GASSENeunte Szene - STRASSEZehnte Szene - DIE GASSE
Zweiter Akt
Erste Szene - DIE WACHTSTUBEZweite Szene - WIRTSHAUSDritte Szene - FREIES FELDVierte Szene - IN DER KASERNEFünfte Szene - DER HOF DES PROFESSORSSechste Szene - WIRTSHAUSSiebte Szene - EIN LADENAchte Szene - BEI MARIE
Dritter Akt
Erste Szene - KASERNEZweite Szene - DIE GASSEDritte Szene - AM ROTEN KREUZVierte Szene - DAS WIRTSHAUSFünfte Szene - DIE GASSESechste Szene - AM ROTEN KREUZSiebte Szene - AN EINEM TEICHAchte Szene - DIE GASSENeunte Szene
Briefe bzw. Briefexzerpte
Straßburg und Darmstadt 1831–1833Gießen und Darmstadt 1833–1835Straßburg 1835–1836Zürich 1836–1837
Poetisches aus der Schulzeit
Schiffbruch vor der chinesischen Küste Ref 668
Gymnasialreden und -aufsätze
Helden-Tod der vierhundert Pforzheimer Ref677Über den Traum eines Arkadiers Ref 695Rede zur Rechtfertigung des Kato von Utika Ref 698 Ref 699Rezension eines Aufsatzes über den Selbstmord Ref 710
Der Hessische Landbote
Erste Botschaft
Über Schädelnerven - PROBEVORLESUNGNachwort
Eine Zeit des Umbruchs. Die Jugendjahre 1813–1831Schule der Revolution. Straßburg 1831–1833Der Revolutionär. Gießen und Darmstadt 1833–1834Die Jahre des Exils. Straßburg und Zürich 1835–1837Die Positionen: Politik – Ästhetik – Philosophie – NaturwissenschaftTexte und Nachwirkung
Zeittafel zu BüchnerAnmerkungen
Editorische VorbemerkungDantons TodLenzLeonce und LenaWoyzeckBriefe bzw. BriefexzerptePoetisches aus der SchulzeitGymnasialreden und -aufsätzeDer Hessische LandboteÜber Schädelnerven
Bibliographische Hinweise
Ausgaben, Faksimile und MaterialienJahrbuch, Bibliographien, Kommentar, ForschungsberichtSammelbände, KatalogeBiographien und größere Studien zu Leben und WerkMonographien und Beiträge mit übergreifender ThematikMonographien und Beiträge zu den Texten
Copyright

Dantons Tod

Ein Drama

PERSONEN

GEORG DANTON Ref 2DeputierteRef 1LEGENDRE Ref 3CAMILLE DESMOULINS Ref 4HÉRAULT-SÉCHELLES Ref 5LACROIX Ref 6PHILIPPEAU Ref 7FABRE D’ÉGLANTINE Ref 8MERCIER Ref 9THOMAS PAYNE Ref 10ROBESPIERRE Ref 12Mitglieder des WohlfahrtsausschussesRef 11ST. JUST Ref 13BARRÈRE Ref 14COLLOT D’HERBOIS Ref 15BILLAUD-VARENNES Ref 16[AMAR][Mitglieder des[VOULAND]Sicherheitsausschusses]CHAUMETTE, Prokurator des GemeinderatsRef 17DILLON, ein GeneralRef 18FOUQUIER-TINVILLE, öffentlicher AnklägerRef 19HERRMANN Ref 20Präsidenten desDUMAS Ref 21RevolutionstribunalsPARIS, ein Freund DantonsRef 22SIMON, SouffleurLAFLOTTE Ref 23JULIE, Dantons GattinRef 24LUCILE, Gattin des Camille DesmoulinsRef 25ROSALIEGrisettenRef 26ADELAIDEMARIONMänner und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Deputierte,Henker etc.

Erster Akt

[Erste Szene]

Hérault-Séchelles, einige Damen (am Spieltisch). Danton, Julie (etwas weiter weg, Danton auf einem Schemel zu den Füßen von Julie).

DANTON. Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! ja wahrhaftig sie versteht’s, man sagt, sie halte ihrem Manne immer das Cœur und andern Leuten das Carreau Ref 27 hin. Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen.

JULIE. Glaubst du an mich?

DANTON. Was weiß ich? Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab – wir sind sehr einsam.

JULIE. Du kennst mich Danton.

DANTON. Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieb Georg. Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.

EINE DAME [(zu Hérault)]. Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?

HÉRAULT. Nichts!

DAME. Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn.

HÉRAULT. Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie.

DANTON. Nein Julie, ich liebe dich wie das Grab.

JULIE (sich abwendend). Oh!

DANTON. Nein, höre! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg’ ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg.

DAME. Verloren!

HÉRAULT. Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern.

DAME. Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie ein Taubstummer, mit den Fingern gemacht.

HÉRAULT. Ei warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die würden am leichtesten verstanden. Ich zettelte eine Liebschaft mit einer Kartenkönigin an, meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, Sie Madame waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich würde meine Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen so unanständig übereinander und die Buben kommen gleich hinten nach.

(Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.)

HÉRAULT. Philippeau, welch trübe Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mütze gerissen, hat der heilige Jakob ein böses Gesicht gemacht, hat es während des Guillotinierens geregnet oder hast du einen schlechten Platz bekommen und nichts sehen können? Ref 28Ref 29Ref 30

CAMILLE. Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Göttliche den Alkibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen fand? »Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein andrer besser gesungen oder besser die Zither geschlagen?« Welche klassischen Republikaner! Nimm einmal unsre Guillotinenromantik dagegen! Ref 31

PHILIPPEAU. Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man hat die Hébertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht systematisch genug verfuhren, vielleicht auch weil die Dezemvirn sich verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Männer gegeben hätte, die man mehr fürchtete, als sie. Ref 32Ref 33Ref 34

HÉRAULT. Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh’ es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen vieren kröchen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände. Ref 35Ref 36Ref 37Ref 38

PHILIPPEAU. Sie würden sich nicht scheuen zu dem Behuf an Marats Rechnung noch einige Nullen zu hängen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts. Der Gnadenausschuss muss durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten müssen wieder aufgenommen werden. Ref 39Ref 40Ref 41

HÉRAULT. Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt.Die Revolution muss aufhören und die Republik muss anfangen. In unsern Staatsgrundsätzen muss das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muss sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudringen.Jeder muss in seiner Art genießen können, jedoch so, dass keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören darf. Ref 42

CAMILLE. Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muss sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder hässlich sein, sie hat einmal das Recht zu sein wie sie ist, wir sind nicht berechtigt ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele und melodische Lippen: »ach, die gliederlösende, böse Liebe!« Ref 43 Wir wollen den Römern nicht verwehren sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. Der göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden. Ref 44Ref 45Ref 46Ref 47 Danton du wirst den Angriff im Konvent machen.

DANTON. Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben, sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. Nicht wahr mein Junge?

CAMILLE. Was soll das hier? das versteht sich von selbst.

DANTON. Oh, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?

PHILIPPEAU. Wir und die ehrlichen Leute. Ref 48

DANTON. Das »und« dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander, die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh wir zusammenkommen. Und wenn auch! – den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!

CAMILLE. Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?

DANTON. Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. (Er erhebt sich.)Ref 49

JULIE. Du gehst?

DANTON (zu Julie). Ich muss fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf.(Im Hinausgehn:) Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: Die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen. (Ab.)

CAMILLE. Lasst ihn, glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kommt?

HÉRAULT. Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.

[Zweite Szene]

EINE GASSE

Simon, sein Weib.

SIMON (schlägt das Weib). Du Kuppelpelz, du runzliche Sublimatpille, du wurmstichiger Sündenapfel! Ref 50Ref 51

WEIB. He Hilfe! Hilfe!

(Es kommen Leute gelaufen:) Reißt sie auseinander! Reißt sie auseinander!

SIMON. Nein, lasst mich Römer, zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin! Ref 52

WEIB. Ich eine Vestalin? das will ich sehen, ich.

SIMON. So reiß ich von den Schultern dein Gewand, Nackt in die Sonne schleudr’ ich dann dein Aas. Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht.

(Sie werden getrennt.)

ERSTER BÜRGER. Was gibt’s?

SIMON. Wo ist die Jungfrau? sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! nein, auch das nicht; die Frau, das Weib! auch das, auch das nicht! nur noch ein Name! oh der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.

ZWEITER BÜRGER. Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.

SIMON. Alter Virginius verhülle dein kahl Haupt. Der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! (Er sinkt um.)Ref 53

WEIB. Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen, der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.

ZWEITER BÜRGER. Dann geht er mit dreien.

WEIB. Nein, er fällt.

ZWEITER BÜRGER. Richtig, erst geht er mit dreien und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.

SIMON. Du bist die Vampirzunge die mein wärmstes Herzblut trinkt.

WEIB. Lasst ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird, es wird sich schon geben.

ERSTER BÜRGER. Was gibt’s denn?

WEIB. Seht ihr, ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, seht ihr, denn wir haben kein Holz, seht ihr –

ZWEITER BÜRGER. So nimm deines Mannes Nase.

WEIB. – und meine Tochter war da hinunter gegangen um die Ecke, sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.

SIMON. Ha sie bekennt!

WEIB. Du Judas, hättest du nur ein paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr herunterließen? Du Branntweinfass, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? Wir arbeiten mit allen Gliedern warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft wie sie zur Welt kam und es hat ihr wehgetan, kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut’s ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!

SIMON. Ha Lucretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha Appius Claudius! Ref 54

ERSTER BÜRGER. Ja ein Messer, aber nicht für die arme Hure, was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen! Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib und sie haben Magendrücken, ihr habt Löcher in den Jacken und sie haben warme Röcke, ihr habt Schwielen in den Fäusten und sie haben Samthände. Ergo ihr arbeitet und sie tun nichts, ergo ihr habt’s erworben und sie haben’s gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wieder haben wollt, müsst ihr huren und betteln, ergo sie sind Spitzbuben und man muss sie totschlagen. Ref 55Ref 56

DRITTER BÜRGER. Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: »Schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe!« Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: »Das Veto frisst euer Brot«, wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: »Die Girondisten hungern euch aus«, wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat! Ref 57Ref 58

ERSTER BÜRGER. Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!

ZWEITER BÜRGER. Totgeschlagen, wer auswärts geht! Ref 59

(Alle schreien:) Totgeschlagen! Totgeschlagen!

(Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.)

(Einige Stimmen:) Er hat ein Schnupftuch! Ein Aristokrat! An die Laterne! An die Laterne!

ZWEITER BÜRGER. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne!

(Eine Laterne wird heruntergelassen.)

JUNGER MENSCH. Ach meine Herren!

ZWEITER BÜRGER. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne! (Einige singen:)

Die da liegen in der Erden, Ref 60Von de Würm gefresse werden. Besser hangen in der Luft, Als verfaulen in der Gruft!

JUNGER MENSCH. Erbarmen!

DRITTER BÜRGER. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! ’s ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit, wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden.An die Laterne!

JUNGER MENSCH. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen!

(Die Umstehenden:) Bravo! Bravo!

(Einige Stimmen:) Lasst ihn laufen!

(Er entwischt.)

(Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.)Ref 61

ROBESPIERRE. Was gibt’s da Bürger?

DRITTER BÜRGER. Was wird’s geben? Die paar Tropfen Blut vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen. Ref 62Ref 63

ERSTER BÜRGER. Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch füttern. Heh! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat.

(Alle:) Totgeschlagen! Totgeschlagen!

ROBESPIERRE. Im Namen des Gesetzes ...

ERSTER BÜRGER. Was ist das Gesetz?

ROBESPIERRE. Der Wille des Volks.

ERSTER BÜRGER. Wir sind das Volk, und wir wollen, dass kein Gesetz sei, ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt’s kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!

(Einige Stimmen:) Hört den Aristides! Hört den Unbestechlichen! Ref 64

EIN WEIB. Hört den Messias, der gesandt ist zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl und seine Hände sind die Hände des Gerichts!

ROBESPIERRE. Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk du bist groß. Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlägen. Aber Volk deine Streiche dürfen deinen eignen Leib nicht verwunden, du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen, ihre Augen sind untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern. Eure Brüder werden euch ihre Arme öffnen, wir werden ein Blutgericht über unsere Feinde halten.

(Viele Stimmen:) Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre!

(Alle ab.)

SIMON. Weh mir, verlassen! (Er versucht sich aufzurichten.)

WEIB. Da! (Sie unterstützt ihn.)

SIMON. Ach meine Baucis, du sammelst Kohlen auf mein Haupt. Ref 65Ref 66

WEIB. Da steh!

SIMON. Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat es. Ref 67

Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind Hamlet tat’s nicht, Hamlet verleugnet’s. Ref 68

Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen?

WEIB. Dort um das Eck herum.

SIMON. Fort zu ihr, komm mein tugendreich Gemahl.

(Beide ab.)

[Dritte Szene]

DER JAKOBINERKLUB

EIN LYONER. Die Brüder von Lyon senden uns um in eure Brust ihren bittern Unmut auszuschütten. Wir wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur Guillotine fuhr, der Totenwagen der Freiheit war, aber wir wissen, dass seit jenem Tage die Mörder Chaliers wieder so fest auf den Boden treten, als ob es kein Grab für sie gäbe. Habt ihr vergessen, dass Lyon ein Flecken auf dem Boden Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen der Verräter zudecken muss? Habt ihr vergessen, dass diese Hure der Könige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone abwaschen kann? Habt ihr vergessen, dass dieser revolutionäre Strom die Flotten Pitts im Mittelmeere auf den Leichen der Aristokraten muss stranden machen? Eure Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Atemzug eines Aristokraten ist das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie. Wisst, finden wir in euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. August, des September und des 31. Mai, so bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Cato. Ref 69Ref 70Ref 71Ref 72

(Beifall und verwirrtes Geschrei.)

EIN JAKOBINER. Wir werden den Becher des Sokrates mit euch trinken! Ref 73

LEGENDRE (schwingt sich auf die Tribüne). Wir haben nicht nötig unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die seidne Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den Logen im Theater sitzen und nach dem Diktionär der Akademie sprechen, tragen seit einigen Tagen die Köpfe fest auf den Schultern. Sie sind witzig und sagen, man müsse Marat und Chalier zu einem doppelten Märtyrertum verhelfen und sie in effigie guillotinieren. Ref 74Ref 75Ref 76

(Heftige Bewegung in der Versammlung. Einige Stimmen:) Das sind tote Leute. Ihre Zunge guillotiniert sie.

LEGENDRE. Das Blut dieser Heiligen komme über sie. Ich frage die anwesenden Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, seit wann ihre Ohren so taub geworden sind –

COLLOT D’HERBOIS (unterbricht ihn). Und ich frage dich Legendre, wessen Stimme solchen Gedanken Atem gibt, dass sie lebendig werden und zu sprechen wagen. Es ist Zeit die Masken abzureißen. Hört! die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf sein Echo, der Grund seine Folge. Der Wohlfahrtsausschuss versteht mehr Logik, Legendre! Sei ruhig. Die Büsten der Heiligen werden unberührt bleiben, sie werden wie Medusenhäupter die Verräter in Stein verwandeln. Ref 77Ref 78

ROBESPIERRE. Ich verlange das Wort.

(Die Jakobiner:) Hört! Hört den Unbestechlichen!

ROBESPIERRE. Wir warteten nur auf den Schrei des Unwillens, der von allen Seiten ertönt, um zu sprechen. Unsere Augen waren offen, wir sahen den Feind sich rüsten und sich erheben, aber wir haben das Lärmzeichen nicht gegeben, wir ließen das Volk sich selbst bewachen, es hat nicht geschlafen, es hat an die Waffen geschlagen. Wir ließen den Feind aus seinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn anrücken, jetzt steht er frei und ungedeckt in der Helle des Tages, jeder Streich wird ihn treffen, er ist tot, sobald ihr ihn erblickt habt. Ich habe es euch schon einmal gesagt: in zwei Abteilungen, wie in zwei Heereshaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen. Unter Bannern von verschiedener Farbe und auf den verschiedensten Wegen eilen sie alle dem nämlichen Ziele zu. Die eine dieser Faktionen ist nicht mehr. In ihrem affektierten Wahnsinn suchte sie die erprobtesten Patrioten als abgenutzte Schwächlinge beiseite zu werfen um die Republik ihrer kräftigsten Arme zu berauben. Sie erklärte der Gottheit und dem Eigentum den Krieg um eine Diversion zu Gunsten der Könige zu machen. Sie parodierte das erhabne Drama der Revolution um dieselbe durch studierte Ausschweifungen bloß zu stellen. Héberts Triumph hätte die Republik in ein Chaos verwandelt und der Despotismus war befriedigt. Das Schwert des Gesetzes hat den Verräter getroffen. Ref 79Ref 80Ref 81 Aber was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Verbrecher einer andern Gattung zur Erreichung des nämlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben. Sie ist das Gegenteil der vorhergehenden. Sie treibt uns zur Schwäche, ihr Feldgeschrei heißt: »Erbarmen!« Sie will dem Volk seine Waffen und die Kraft, welche die Waffen führt, entreißen um es nackt und entnervt den Königen zu überantworten. Ref 82Ref 83 Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend. Die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmächtig ist. Der Schrecken ist ein Ausfluss der Tugend, er ist nichts anders als die schnelle, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Sie sagen, der Schrecken sei die Waffe einer despotischen Regierung, die unsrige gliche also dem Despotismus. Freilich, aber so wie das Schwert in den Händen eines Freiheitshelden dem Säbel gleicht, womit der Satellit der Tyrannen bewaffnet ist. Regiere der Despot seine tierähnlichen Untertanen durch den Schrecken, er hat Recht als Despot, zerschmettert durch den Schrecken die Feinde der Freiheit und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder Recht. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei. Ref 84 »Erbarmen mit den Royalisten!« rufen gewisse Leute. Erbarmen mit Bösewichtern? Nein! Erbarmen für die Unschuld, Erbarmen für die Schwäche, Erbarmen für die Unglücklichen, Erbarmen für die Menschheit. Nur dem friedlichen Bürger gebührt von Seiten der Gesellschaft Schutz. In einer Republik sind nur Republikaner Bürger, Royalisten und Fremde sind Feinde. Die Unterdrücker der Menschheit bestrafen ist Gnade, ihnen verzeihen ist Barbarei. Alle Zeichen einer falschen Empfindsamkeit scheinen mir Seufzer, welche nach England oder nach Österreich fliegen. Ref 85 Aber nicht zufrieden, den Arm des Volkes zu entwaffnen, sucht man noch die heiligsten Quellen seiner Kraft durch das Laster zu vergiften. Dies ist der feinste, gefährlichste und abscheulichste Angriff auf die Freiheit. Das Laster ist das Kainszeichen des Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der politische Feind der Freiheit, er ist ihr um so gefährlicher je größer die Dienste sind, die er ihr scheinbar erwiesen. Der gefährlichste Bürger ist derjenige, welcher leichter ein Dutzend rote Mützen verbraucht, als eine gute Handlung vollbringt. Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Karossen fahren und mit ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben. Wir dürfen wohl fragen, ist das Volk geplündert oder sind die Goldhände der Könige gedrückt worden, wenn wir Gesetzgeber des Volks mit allen Lastern und allem Luxus der ehemaligen Höflinge Parade machen, wenn wir diese Marquis und Grafen der Revolution reiche Weiber heiraten, üppige Gastmähler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider tragen sehen. Wir dürfen wohl staunen, wenn wir sie Einfälle haben, schöngeistern und so etwas vom guten Ton bekommen hören. Man hat vor kurzem auf eine unverschämte Weise den Tacitus parodiert, ich könnte mit dem Sallust antworten und den Catilina travestieren; doch ich denke, ich habe keine Striche mehr nötig, die Porträts sind fertig. Ref 86Ref 87Ref 88 Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen welche nur auf Ausplünderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplünderung ungestraft zu vollbringen hofften, für welche die Republik eine Spekulation und die Revolution ein Handwerk war. In Schrecken gesetzt durch den reißenden Strom der Beispiele suchen sie ganz leise die Gerechtigkeit abzukühlen. Man sollte glauben, jeder sage zu sich selbst: »Wir sind nicht tugendhaft genug, um so schrecklich zu sein. Philosophische Gesetzgeber erbarmt euch unsrer Schwäche, ich wage euch nicht zu sagen, dass ich lasterhaft bin, ich sage euch also lieber, seid nicht grausam!« Beruhige dich tugendhaftes Volk, beruhigt euch ihr Patrioten, sagt euren Brüdern zu Lyon, das Schwert des Gesetzes roste nicht in den Händen, denen ihr es anvertraut habt. – Wir werden der Republik ein großes Beispiel geben...

(Allgemeiner Beifall. Viele Stimmen:) Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre!

PRÄSIDENT. Die Sitzung ist aufgehoben.

[Vierte Szene]

EINE GASSE

Lacroix, Legendre.

LACROIX. Was hast du gemacht Legendre, weißt du auch, wem du mit deinen Büsten den Kopf herunter wirfst?

EGENDRE. Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das ist alles. Ref 89

LACROIX. Du bist ein Selbstmörder, ein Schatten, der sein Original und somit sich selbst ermordet.

LEGENDRE. Ich begreife nicht.

LACROIX. Ich dächte, Collot hätte deutlich gesprochen.

LEGENDRE. Was macht das? er war wieder betrunken.

LACROIX. Narren, Kinder und – nun? – Betrunkne sagen die Wahrheit. Wen glaubst du denn, dass Robespierre mit dem Catilina gemeint habe?

LEGENDRE. Nun?

LACROIX. Die Sache ist einfach, man hat die Atheisten und Ultrarevolutionärs aufs Schafott geschickt, aber dem Volk ist nicht geholfen, es läuft noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schuhe machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen, noch einige Grade und der Wohlfahrtsausschuss kann sich sein Bett auf dem Revolutionsplatz suchen. Ref 90

LEGENDRE. Was haben damit meine Büsten zu schaffen?

LACROIX. Siehst du’s noch nicht? Du hast die Konterrevolution offiziell bekannt gemacht, du hast die Dezemvirn zur Energie gezwungen, du hast ihnen die Hand geführt. Das Volk ist ein Minotaurus, der wöchentlich seine Leichen haben muss, wenn er sie nicht auffressen soll. Ref 91

LEGENDRE. Wo ist Danton?

LACROIX. Was weiß ich? Er sucht eben die mediceische Venus stückweise bei allen Grisetten des Palais Royal zusammen, er macht Mosaik, wie er sagt; der Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade ist. Es ist ein Jammer, dass die Natur die Schönheit, wie Medea ihren Bruder, zerstückelt und sie so in Fragmenten in die Körper gesenkt hat. Ref 92Ref 94Gehn wir ins Palais Royal! Ref 93

(Beide ab.)

[Fünfte Szene]

EIN ZIMMER

Danton, Marion.

MARION. Nein, lass mich! So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen.

DANTON. Du könntest deine Lippen besser gebrauchen.

MARION. Nein, lass mich einmal so. Meine Mutter war eine kluge Frau, sie sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schöne Tugend, wenn Leute ins Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hätten, so sagte sie mir, ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so musst ich fast immer einige Seiten überschlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war alles heilig, aber es war etwas darin, was ich nicht begriff, ich mochte auch niemand fragen; ich brütete über mir selbst. Da kam der Frühling, es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, sie erstickte mich fast, ich betrachtete meine Glieder, es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus, er war hübsch und sprach oft tolles Zeug, ich wusste nicht recht, was er wollte, aber ich musste lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebenso gut zwischen zwei Betttüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewähren und das größere entziehen wollte. Wir taten’s heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich merkt’ er’s. Er kam eines Morgens und küsste mich, als wollte er mich ersticken, seine Arme schnürten sich um meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ er mich los und lachte und sagte: er hätte fast einen dummen Streich gemacht, ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es wäre doch das Einzige, was ich hätte. Dann ging er, ich wusste wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster, ich bin sehr reizbar und hänge mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen, ich versank in die Wellen der Abendröte. Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den Fenstern. Ich sah hinunter, sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich ersäuft. Ich musste weinen. Das war der einzige Bruch in meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon. Ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins. Ein ununterbrochnes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben, die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen, es ist das nämliche Gefühl, wer am meisten genießt, betet am meisten.

DANTON. Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht ganz umschließen?

MARION. Danton, deine Lippen haben Augen.

DANTON. Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen.

(Lacroix, Adelaide, Rosalie treten ein.)

LACROIX (bleibt in der Tür stehn). Ich muss lachen, ich muss lachen.

DANTON (unwillig). Nun?

LACROIX. Die Gasse fällt mir ein.

DANTON. Und?

LACROIX. Auf der Gasse waren Hunde, eine Dogge und ein Bologneser Schoßhündlein, die quälten sich.

DANTON. Was soll das?

LACROIX. Das fiel mir nun gerade so ein und da musst’ ich lachen. Es sah erbaulich aus! Die Mädel guckten aus den Fenstern, man sollte vorsichtig sein und sie nicht einmal in der Sonne sitzen lassen, die Mücken treiben’s ihnen sonst auf den Händen, das macht Gedanken. Ref 95Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nönnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschößen und wollten den Segen. Legendre gibt einer die Disziplin, aber er wird einen Monat dafür zu fasten bekommen. Da bringe ich zwei von den Priesterinnen mit dem Leib. Ref 96Ref 97Ref 98

MARION. Guten Tag, Demoiselle Adelaide, guten Tag, Demoiselle Rosalie!

ROSALIE. Wir hatten schon lange nicht das Vergnügen.

MARION. Es war mir recht leid.

ADELAIDE. Ach Gott, wir sind Tag und Nacht beschäftigt.

DANTON (zu Rosalie). Ei Kleine, du hast ja geschmeidige Hüften bekommen.

ROSALIE. Ach ja, man vervollkommnet sich täglich.

LACROIX. Was ist der Unterschied zwischen dem antiken und einem modernen Adonis? Ref 99

DANTON. Und Adelaide ist sittsam interessant geworden! eine pikante Abwechslung. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Feigenblatt, das sie sich vor den ganzen Leib hält. So ein Feigenbaum an einer so gangbaren Straße gibt einen erquicklichen Schatten. Ref 100

ADELAIDE. Ich wäre ein Herdweg, wenn Monsieur ... Ref 101

DANTON. Ich verstehe, nur nicht böse mein Fräulein.

LACROIX. So höre doch, ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern von Säuen zerrissen, er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel, sondern in den Leisten, und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor, sondern schießen Quecksilberblüten an. Ref 102

DANTON. Fräulein Rosalie ist ein restaurierter Torso, woran nur die Hüften und Füße antik sind. Sie ist eine Magnetnadel, was der Pol Kopf abstößt, zieht der Pol Fuß an, die Mitte ist ein Äquator, wo jeder eine Sublimattaufe nötig hat, der zum ersten Mal die Linie passiert. Ref 103Ref 105

LACROIX. Zwei barmherzige Schwestern, jede dient in einem Spital, d.h. in ihrem eignen Körper. Ref 106

ROSALIE. Schämen Sie sich, unsere Ohren rot zu machen!

ADELAIDE. Sie sollten mehr Lebensart haben.

(Adelaide und Rosalie ab.)

DANTON. Gute Nacht, ihr hübschen Kinder!

LACROIX. Gute Nacht, ihr Quecksilbergruben! Ref 104

DANTON. Sie dauern mich, sie kommen um ihr Nachtessen.

LACROIX. Höre Danton, ich komme von den Jakobinern.

DANTON. Nichts weiter?

LACROIX. Die Lyoner verlasen eine Proklamation, sie meinten, es bliebe ihnen nichts übrig, als sich in die Toga zu wickeln. Jeder machte ein Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: »Paetus es schmerzt nicht!« Legendre schrie, man wolle Chaliers und Marats Büsten zerschlagen; ich glaube, er will sich das Gesicht wieder rot machen, er ist ganz aus der Terreur herausgekommen, die Kinder zupfen ihn auf der Gasse am Rock. Ref 107Ref 108Ref 109

DANTON. Und Robespierre?

LACROIX. Fingerte auf der Tribüne und sagte: »Die Tugend muss durch den Schrecken herrschen.« Die Phrase machte mir Halsweh.

DANTON. Sie hobelt Bretter für die Guillotine.

LACROIX. Und Collot schrie wie besessen, man müsse die Masken abreißen.

DANTON. Da werden die Gesichter mitgehen.

(Paris tritt ein.)

LACROIX. Was gibt’s Fabricius?

PARIS. Von den Jakobinern weg ging ich zu Robespierre. Ich verlangte eine Erklärung. Er suchte eine Miene zu machen wie Brutus, der seine Söhne opfert. Er sprach im Allgemeinen von den Pflichten, sagte, der Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde. Ref 110

DANTON. Das war deutlich, man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht er unten und hält seinen Freunden die Leiter. Wir sind Legendre Dank schuldig, er hat sie sprechen gemacht. Ref 111

LACROIX. Die Hébertisten sind noch nicht tot, das Volk ist materiell elend, das ist ein furchtbarer Hebel. Die Schale des Blutes darf nicht steigen, wenn sie dem Wohlfahrtsausschuss nicht zur Laterne werden soll, er hat Ballast nötig, er braucht einen schweren Kopf. Ref 112

DANTON. Ich weiß wohl, – die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder. (Nach einigem Besinnen.) Doch, sie werden’s nicht wagen. Ref 113

LACROIX. Danton, du bist ein toter Heiliger, aber die Revolution kennt keine Reliquien, sie hat die Gebeine aller Könige auf die Gasse und alle Bildsäulen von den Kirchen geworfen. Glaubst du man würde dich als Monument stehen lassen?

DANTON. Mein Name! das Volk!

LACROIX. Dein Name! du bist ein Gemäßigter, ich bin einer, Camille, Philippeau, Hérault. Für das Volk sind Schwäche und Mäßigung eins. Es schlägt die Nachzügler tot. Die Schneider von der Sektion der roten Mütze werden die ganze römische Geschichte in ihrer Nadel fühlen, wenn der Mann des September ihnen gegenüber ein Gemäßigter war. Ref 114Ref 115

DANTON. Sehr wahr, und außerdem – das Volk ist wie ein Kind, es muss alles zerbrechen, um zu sehen was darin steckt.

LACROIX. Und außerdem Danton, sind wir lasterhaft, wie Robespierre sagt, d.h. wir genießen, und das Volk ist tugendhaft d.h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genussorgane stumpf macht, es besäuft sich nicht, weil es kein Geld hat, und es geht nicht ins Bordell, weil es nach Käs und Hering aus dem Hals stinkt und die Mädel davor einen Ekel haben.

DANTON. Es hasst die Genießenden, wie ein Eunuch die Männer.Ref 116

LACROIX. Man nennt uns Spitzbuben und (sich zu den Ohren Dantons neigend) es ist, unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran. Robespierre und das Volk werden tugendhaft sein, St. Just wird einen Roman schreiben und Barrère wird eine Carmagnole schneidern und dem Konvent das Blutmäntelchen umhängen und – ich sehe alles. Ref 117

DANTON. Du träumst. Sie hatten nie Mut ohne mich, sie werden keinen gegen mich haben; die Revolution ist noch nicht fertig, sie könnten mich noch nötig haben, sie werden mich im Arsenal aufheben. Ref 118

LACROIX. Wir müssen handeln.

DANTON. Das wird sich finden.

LACROIX. Es wird sich finden, wenn wir verloren sind.

MARION (zu Danton). Deine Lippen sind kalt geworden, deine Worte haben deine Küsse erstickt.

DANTON (zu Marion). So viel Zeit zu verlieren! das war der Mühe wert!(Zu Lacroix:) Morgen geh’ ich zu Robespierre, ich werde ihn ärgern, da kann er nicht schweigen. Morgen also! Gute Nacht meine Freunde, gute Nacht, ich danke euch.

LACROIX. Packt euch, meine guten Freunde, packt euch! Gute Nacht Danton! die Schenkel der Demoiselle guillotinieren dich, der Mons Veneris wird dein tarpejischer Fels. (Ab.)Ref 119Ref 120

[Sechste Szene]

EIN ZIMMER

Robespierre, Danton, Paris.

ROBESPIERRE. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind, seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.

DANTON. Wo die Notwehr aufhört fängt der Mord an, ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.

ROBESPIERRE. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig, wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muss sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muss bestraft werden, die Tugend muss durch den Schrecken herrschen. Ref 121

DANTON. Ich verstehe das Wort »Strafe« nicht.Mit deiner Tugend Robespierre! du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen bloß um des elenden Vergnügens willen andere schlechter zu finden als mich. Ref 122 Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: »Du lügst, du lügst!«

ROBESPIERRE. Mein Gewissen ist rein.

DANTON. Das Gewissen ist ein Spiegel vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich wie er kann und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert sich darüber in den Haaren zu liegen. Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen, aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren so herum zu gehn, hast du deswegen das Recht sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebenso gut mit ansehn, als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen. Ref 123

ROBESPIERRE. Du leugnest die Tugend?

DANTON. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß d.h. er tut, was ihm wohl tut.Nicht wahr Unbestechlicher, es ist grausam dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?

ROBESPIERRE. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.

DANTON. Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre undankbar, du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. Ref 124Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen. Ref 125

ROBESPIERRE. Wer sagt dir denn, dass ein Unschuldiger getroffen worden sei?

DANTON. Hörst du Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! (Er geht, im Hinausgehn zu Paris:) Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen! Ref 126

(Danton und Paris ab.)

ROBESPIERRE (allein). Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen. Mir die Absätze von den Schuhen treten! »Um bei deinen Begriffen zu bleiben!« Halt! Halt! Ist’s das eigentlich? Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. Ref 127 Und wenn sie Recht hätten? Ist’s denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muss weg. Es ist lächerlich wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. Er muss weg. Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehen bleibt, leistet so gut Widerstand als trät’ er ihr entgegen; er wird zertreten. Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen, wir müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt, und wenn er es mit den Zähnen packte! Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat. Keine Tugend! die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! Wie das immer wieder kommt. Warum kann ich den Gedanken nicht los werden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln als ich will, das Blut schlägt immer durch. – (Nach einer Pause:) Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt. (Er tritt ans Fenster.) Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum, sind wir nicht Nachtwandler, ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspielt, das ist Zufall.

(St. Just tritt ein.)

ROBESPIERRE. He, wer da im Finstern? He Licht, Licht!

ST. JUST. Kennst du meine Stimme?

ROBESPIERRE. Ah, du St. Just!

(Eine Dienerin bringt Licht.)

ST. JUST. Warst du allein?

ROBESPIERRE. Eben ging Danton weg.

ST. JUST. Ich traf ihn unterwegs im Palais Royal. Er machte seine revolutionäre Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte.Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen.

ROBESPIERRE. Was wollt ihr tun?

ST. JUST. Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheits- und den Wohlfahrtsausschuss zu feierlicher Sitzung. Ref 128

ROBESPIERRE. Viel Umstände.

ST. JUST. Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder. Wir dürfen sie nicht zerstücken, all ihre Glieder müssen mit hinunter.

ROBESPIERRE. Sprich deutlicher.

ST. JUST. Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten. Lacroix –

ROBESPIERRE. Ein ausgemachter Spitzbube, gewesner Advokatenschreiber, gegenwärtig Generallieutenant von Frankreich. Weiter.

ST. JUST. Hérault-Séchelles.

ROBESPIERRE. Ein schöner Kopf.

ST. JUST. Er war der schöngemalte Anfangsbuchstaben der Konstitutionsakte, wir haben dergleichen Zierrat nicht mehr nötig, er wird ausgewischt. Ref 129Philippeau, Camille ...

ROBESPIERRE. Auch den?

ST. JUST (überreicht ihm ein Papier). Das dacht’ ich. Da lies!

ROBESPIERRE. Aha, ›Der Alte Franziskaner‹, sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat über euch gelacht. Ref 130

ST. JUST. Lies, hier! hier! (Er zeigt ihm eine Stelle.)

ROBESPIERRE (liest). »Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schächern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht geopfert wird. Die Guillotinenbetschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt, er trägt seinen Kopf wie eine Monstranz.« Ref 131Ref 132Ref 133

ST. JUST. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen. Ref 134

ROBESPIERRE (liest weiter). »Sollte man glauben, dass der saubre Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs ist und dass seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden Finger Guillotinenmesser sind?Und du Barrère, der du gesagt hast, auf dem Revolutionsplatz werde Münze geschlagen. Doch – ich will den alten Sack nicht aufwühlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb Dutzend Männer hatte und sie begraben half. Wer kann was dafür? Das ist so seine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen setzen und den Gestank riechen?« Also auch du Camill? Ref 135Ref 136 Weg mit ihnen! Rasch! nur die Toten kommen nicht wieder. Hast du die Anklage bereit?

ST. JUST. Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern gemacht.

ROBESPIERRE. Ich wollte sie schrecken.

ST. JUST. Ich brauche nur durchzuführen, die Fälscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort. Ref 137Ref 138

ROBESPIERRE. Dann rasch, morgen. Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. Nur rasch!

(St. Just ab.)

ROBESPIERRE (allein). Ja wohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. – Er hat sie mit seinem Blut erlöst und ich erlöse sie mit ihrem eignen. Er hat sie sündigen gemacht und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die Wollust des Schmerzes und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, ich oder er? – Und doch ist was von Narrheit in dem Gedanken. – Was sehen wir nur immer nach dem einen? Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern mit seinen Wunden. – Mein Camille! – Sie gehen alle von mir – es ist alles wüst und leer – ich bin allein. Ref 139

Zweiter Akt

[Erste Szene]

EIN ZIMMER

Danton, Lacroix, Philippeau, Paris, Camille Desmoulins.

CAMILLE. Rasch Danton wir haben keine Zeit zu verlieren.

DANTON (kleidet sich an). Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder heraus zu kriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen, da ist gar kein Absehen wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig und dass Millionen es schon so gemacht haben und dass Millionen es wieder so machen werden und dass wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so dass alles doppelt geschieht. Das ist sehr traurig.

CAMILLE. Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.

DANTON. Sterbende werden oft kindisch.

LACROIX. Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, dass es Zeit ist sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf. Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribünen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht. Du musst dich deinem Zorn überlassen. Lasst uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben. Ref 140Ref 141Ref 142

DANTON. Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr Recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen, sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest Recht. Ref 143

LACROIX. Warum hast du es dazu kommen lassen?

DANTON. Dazu? Ja wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! ’s ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir’s bequem machen. Ich hab’ es erreicht, die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte. Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinenbetschwestern aufnehmen, sonst weiß ich nichts. Es lässt sich an den Fingern herzählen: Die Jakobiner haben erklärt, dass die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent – das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht. Ref 144 Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt, wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen worden, es fehlt uns was, ich habe keinen Namen dafür, wir werden es uns einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchemisten!

CAMILLE. Pathetischer gesagt würde es heißen: wie lange soll die Menschheit im ewigen Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder, wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder, wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten x unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben? Ref 145

DANTON. Du bist ein starkes Echo.

CAMILLE. Nicht wahr, ein Pistolenschuss schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.

PHILIPPEAU. Und Frankreich bleibt seinen Henkern?

DANTON. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück, kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben? Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und passt für uns, wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden. Es ist recht gut, dass die Lebenszeit ein wenig reduziert wird, der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an, wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? ’s ist Zeit, dass man das bisschen Essenz nicht mehr aus Zübern, sondern aus Likörgläschen trinkt, so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen. Ref 146 Endlich – ich müsste schreien, das ist mir der Mühe zu viel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.

PARIS. So flieh Danton!

DANTON. Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? Und endlich – und das ist die Hauptsache: Sie werden’s nicht wagen.(Zu Camille:) Komm mein Junge, ich sage dir: Sie werden’s nicht wagen. Adieu. Adieu!

(Danton und Camille ab.)

PHILIPPEAU. Da geht er hin.

LACROIX. Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen, als eine Rede halten.

PARIS. Was tun?

LACROIX. Heim gehn und als Lucretia auf einen anständigen Fall studieren.

[Zweite Szene]

EINE PROMENADE

Spaziergänger.

EIN BÜRGER. Meine gute Jacqueline – ich wollte sagen Corn ... wollt’ ich Cor ...

SIMON. Cornelia, Bürger, Cornelia.

BÜRGER. Meine gute Cornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.

SIMON. Hat der Republik einen Sohn geboren.

BÜRGER. Der Republik, das lautet zu allgemein, man könnte sagen...

SIMON. Das ist’s gerade, das Einzelne muss sich dem Allgemeinen...

BÜRGER. Ach ja, das sagt meine Frau auch.

BÄNKELSÄNGER.

Was doch ist, was doch ist Aller Männer Freud und Lüst? Ref 147

BÜRGER. Ach mit den Namen, da komm ich gar nicht ins Reine.

SIMON. Tauf’ ihn Pike, Marat. Ref 148

BÄNKELSÄNGER.

Unter Kummer, unter Sorgen Sich bemühn vom frühen Morgen, Bis der Tag vorüber ist.

BÜRGER. Ich hätte gern drei, es ist doch was mit der Zahl Drei, und dann was Nützliches und was Rechtliches, jetzt hab’ ich’s: Pflug, Robespierre.Und dann das dritte?

SIMON. Pike.

BÜRGER. Ich dank Euch, Nachbar. Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.

SIMON. Ich sage dir, die Brust deiner Cornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin, nein, das geht nicht. Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. Ref 149

(Gehn vorbei.)

EIN BETTLER (singt).

Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos Ref 150

Liebe Herren, schöne Damen!

ERSTER HERR. Kerl arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus.

ZWEITER HERR. Da! (gibt ihm Geld) er hat eine Hand wie Samt. Das ist unverschämt.

BETTLER. Mein Herr wo habt Ihr Euren Rock her?

ZWEITER HERR. Arbeit, Arbeit! du könntest den nämlichen haben, ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne ...

BETTLER. Herr, warum habt Ihr gearbeitet?

ZWEITER HERR. Narr, um den Rock zu haben.

BETTLER. Ihr habt Euch gequält um einen Genuss zu haben, denn so ein Rock ist ein Genuss, ein Lumpen tut’s auch.

ZWEITER HERR. Freilich, sonst geht’s nicht.

BETTLER. Dass ich ein Narr wäre. Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck und das geht ganz leicht. (Singt:)

Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos

ROSALIE (zu Adelaide). Mach fort, da kommen Soldaten, wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.

BETTLER.

Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!

Meine Herren, meine Damen!

SOLDAT. Halt! wo hinaus, meine Kinder?

(Zu Rosalie:) Wie alt bist du?

ROSALIE. So alt wie mein kleiner Finger.

SOLDAT. Du bist sehr spitz.

ROSALIE. Und du sehr stumpf.

SOLDAT. So will ich mich an dir wetzen. (Er singt:)

Christinlein, lieb Christinlein mein, Tut dir der Schaden weh, Schaden weh, Schaden weh, Schaden weh! Ref 151

ROSALIE (singt).

Ach nein, ihr Herrn Soldaten, Ich hätt’ es gerne meh, gerne meh, Gerne meh, gerne meh!

(Danton und Camille treten auf.)

DANTON. Geht das nicht lustig? Ich wittre was in der Atmosphäre, es ist als brüte die Sonne Unzucht aus. Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse?

(Gehen vorbei.)

JUNGER HERR. Ach Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns ...

MADAME. Der Duft einer Blume, diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuss der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafür.

EUGENIE (küsst ihrer Mutter die Hand). Ach Mama, ich sehe nur Sie!

MADAME. Gutes Kind!

JUNGER HERR (zischelt Eugenien ins Ohr). Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?

EUGENIE. Ich kenne sie.

JUNGER HERR. Man sagt, ihr Friseur habe sie à l’enfant frisiert. Ref 152

EUGENIE (lacht). Böse Zunge!

JUNGER HERR. Der alte Herr geht neben bei, er sieht das Knöspchen schwellen und führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.

EUGENIE. Wie unanständig, ich hätte Lust rot zu werden.

JUNGER HERR. Das könnte mich blass machen.

DANTON (zu Camille). Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu. Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehen bleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müssten zu den Fenstern und zu den Gräbern heraus lachen und der Himmel müsse bersten und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen.

ERSTER HERR. Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.

ZWEITER HERR. Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen und das alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. (Er bleibt verlegen stehn.)

ERSTER HERR. Was haben Sie denn?

ZWEITER HERR. Ach nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze, so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei, das konnte gefährlich werden!

ERSTER HERR. Sie fürchteten doch nicht?

ZWEITER HERR. Ja, die Erde ist eine dünne Kruste, ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. Man muss mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat’ es Ihnen. Ref 153

[Dritte Szene]

EIN ZIMMER

Danton, Camille, Lucile.

CAMILLE. Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird, und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen, welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und lässt das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt – ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall – ach die Kunst! Ref 154Ref 155Ref 156 Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: ach, die erbärmliche Wirklichkeit!