Vorwort.
I. Zur Einleitung.
II. Philosophie und arabisches Wissen.
III. Die pythagoreische Philosophie.
IV. Die neuplatonischen Aristoteliker des Ostens.
V. Der Ausgang der Philosophie im Osten.
VI. Die Philosophie im Westen.
VII. Zum Schluss.
I. Zur Einleitung.
1. Der
Schauplatz.1.Von
alters her war, wie heutzutage, die arabische Wüste der Tummelplatz
unabhängiger Beduinenstämme. Mit freiem, gesundem Sinn blickten
diese in ihre einförmige Welt hinein, deren höchster Reiz der
Beutezug, deren geistiger Schatz die Stammesüberlieferung war.
Weder die Errungenschaften geselliger Arbeit noch die Gaben schöner
Muße waren ihnen bekannt. Nur an den Rändern der Wüste wurde, in
Staatenbildungen, die oft von den Überfällen jener Beduinen zu
leiden hatten, eine höhere Stufe der Gesittung erreicht. So war es
im Süden, wo in christlicher Zeit unter abyssinischer oder
persischer Oberhoheit das alte Reich der Königin von Saba
fortbestand. Im Westen lagen an einer alten Handelsstraße Mekka und
Medina (Jathrib), und besonders Mekka mit seinem Markte im Schutze
eines Tempels war ein Mittelpunkt regen Verkehrs. Im Norden endlich
hatten sich zwei halbsouveräne Staaten unter arabischen Fürsten
gebildet: gegen Persien hin das Reich der Lachmiden in Hira und
gegen Byzanz der Gassaniden Herrschaft in Syrien. Aber in Sprache
und Poesie stellte sich schon vor Mohammed einigermaßen die Einheit
der arabischen Nation dar. Die Dichter waren die Wissenden ihres
Volkes. Ihre Zaubersprüche galten zunächst den Stämmen als Orakel.
Doch ging ihre Wirkung wohl oft über den eigenen Stamm
hinaus.2.Mohammed
und seinen nächsten Nachfolgern, Abu Bekr, Omar, Othman und Ali
(622–661) ist es nun gelungen, die freien Wüstensöhne zusammen mit
den gesitteteren Bewohnern der Küstenstriche für ein gemeinsames
Unternehmen zu begeistern. Diesem Ereignis verdankt der Islam seine
Weltstellung. Denn Allah zeigte sich groß und für die Ihm sich
Ergebenden (Muslime) war die Welt gar klein. In kurzer Zeit wurde
ganz Persien erobert und verlor das oströmische Reich seine
schönsten Provinzen: Syrien und Ägypten.Medina war der Sitz der ersten Chalifen oder
Stellvertreter des Propheten. Aber Mohammeds tapferer
Schwiegersohn, Ali, und dessen Söhne unterlagen Moawia, dem klugen
Statthalter von Syrien. Seit der Zeit besteht die Partei des Ali
(Schiiten), die unter mancherlei Wandlungen, bald unterworfen, bald
an einzelnen Stellen zur Herrschaft gelangt, ihr Wesen in der
Geschichte treibt, bis sie sich (1502) im persischen Reich
endgültig gegen den sunnitischen Islam
abschließt.In ihrem Kampfe gegen die weltliche Macht haben die
Schiiten sich aller möglichen Waffen, auch der Wissenschaft
bedient. Schon früh erscheint unter ihnen die Partei der
Kaisaniten, die dem Ali und seinen Erben eine übermenschliche
Geheimwissenschaft zuschreibt, ein Wissen, mit dessen Hilfe der
innere Sinn der göttlichen Offenbarung erst klar werde, das aber
auch von seinen Adepten nicht weniger Glauben und unbedingten
Gehorsam gegen die Träger solchen Wissens erfordert als der
Buchstabe des Korans. (Vgl.III, 2
§ 1.)3.Nach dem
Siege Moawias, der Damaskus zur Hauptstadt des muslimischen Reiches
machte, lag die Bedeutung Medinas hauptsächlich auf geistigem
Gebiete. Es musste sich damit begnügen, zum Teil unter jüdischen
und christlichen Einflüssen, die Wissenschaft des Gesetzes und der
Tradition zu pflegen. In Damaskus aber führten die Omajjaden
(661–750) ihr weltliches Regiment. Unter ihrer Herrschaft dehnte
sich das Reich vom atlantischen Meere bis über die Grenzen Indiens
und Turkestans aus, vom südlichen Meere bis an den Kaukasus und vor
die Mauern von Konstantinopel. Damit war aber auch die weiteste
Ausdehnung erreicht.Araber nahmen jetzt überall die führende Stellung ein.
Sie bildeten eine militärische Aristokratie und der schlagendste
Beweis für ihren Einfluss ist dies, dass unterworfene Völker mit
alter, überlegener Kultur die Sprache der Sieger annahmen. Die
arabische Sprache wurde die Sprache des Staates und der Religion,
der Poesie und der Wissenschaft. Während aber die hohen Staats- und
Militärämter vorzugsweise von Arabern verwaltet wurden, blieb es
zunächst Nichtarabern und Mischlingen überlassen, Künste und
Wissenschaften zu pflegen. In Syrien ging man bei Christen in die
Schule. Die Hauptstätten geistiger Bildung aber wurden Basra und
Kufa, in denen Araber und Perser, Muslime, Christen, Juden und
Magier zusammenstießen. Dort, wo Handel und Gewerbe aufblühten,
sind, unter hellenistisch-christlichen und persischen Einflüssen
entstanden, die Anfänge weltlicher Wissenschaft im Islam zu
suchen.4.Den
Omajjaden folgten die Abbasiden (750–1258) nach. Diese machten, um
zur Herrschaft zu gelangen, dem Persertum Konzessionen und
benutzten religiös-politische Bewegungen. Nur in dem ersten
Jahrhundert ihrer Regierung (bis etwa 860) mehrte oder hielt sich
noch die Größe des Reiches, als dessen Mittelpunkt Mansur, der
zweite Herrscher dieses Hauses, im Jahre 762 Bagdad gründete, eine
Stadt, die bald an weltlichem Glanze Damaskus und als Leuchte des
Geistes Basra und Kufa überstrahlte. Nur mit Konstantinopel war sie
zu vergleichen. In Bagdad, an dem Hofe Mansurs (754–775), Haruns
(786–809), Mamuns (813–833)u. s. w.fanden sich, besonders aus den nordöstlichen Provinzen,
Dichter und Gelehrte zusammen. Mehrere Abbasiden liebten weltliche
Bildung, sei es an sich oder zur Ausschmückung ihres Hofes, und
wenn sie oft auch den Wert der Künstler und Gelehrten nicht erkannt
haben mögen, so wussten doch diese die materiellen Güter ihrer
Herren wohl zu schätzen.Wenigstens seit der Zeit Haruns bestand in Bagdad eine
Bibliothek und eine Gelehrtenanstalt. Schon unter Mansur, besonders
aber unter Mamun und seinen Nachfolgern, wurde dann die
wissenschaftliche Litteratur der Griechen, meistens durch syrische
Vermittelung, in die arabische Sprache übertragen. Auch Kompendien
und Erläuterungen dazu wurden verfasst.Als diese gelehrte Arbeit ihren höchsten Aufschwung
nahm, war die Herrlichkeit des Reiches im Niedergang begriffen. Die
alten Stammesfehden, die unter den Omajjaden nie geruht hatten,
waren scheinbar einer festgefügten Einheit des Staates gewichen.
Aber es dauerten in verschärftem Maße andere Streitigkeiten fort,
theologische und metaphysische Zänkereien, wie sie ähnlich den
Verfall des oströmischen Reiches begleiteten. Der Staatsdienst
brauchte in der orientalischen Despotie nur wenig befähigte Köpfe.
Viele junge Kräfte gingen im üppigen Genusse unter, andere
verfielen auf Wortkünstelei und Scheingelehrsamkeit. Zur
Verteidigung des Reiches dagegen zog man die frische Kraft weniger
überbildeter Völker heran: zuerst iranische oder iranisierte
Chorasaner, darauf Türken.5.Immer
deutlicher zeigte sich des Reiches Verfall. Die Machtstellung des
Türkenheeres, Aufstände städtischen Pöbels und ländlicher Arbeiter,
schiitische und ismaelitische Umtriebe überall, dazu die
Selbständigkeitsgelüste der entfernten Provinzen waren entweder die
Ursachen oder die Symptome des Untergangs. Neben dem Chalifen, der
zum geistlichen Würdenträger herabsank, herrschten die Türken als
Hausmeier. Und an der Peripherie entstanden nach und nach
selbständige Staaten, bis zu einer ganz entsetzlichen
Kleinstaaterei. Die wichtigsten, mehr oder weniger unabhängigen
Herrscher waren im Westen, abgesehen von den spanischen Omajjaden
(vgl.VI,
1), die Aglabiden
Nordafrikas, die Tuluniden und Fatimiden Ägyptens und die
Hamdaniden Syriens und Mesopotamiens; im Osten die Tahiriden und
Samaniden, allmählich von den Türken verdrängt. An den Höfen dieser
kleinen Dynastien sind in der nächsten Zeit (10. und 11. Jahrh.)
die Dichter und Gelehrten zu finden. Mehr als Bagdad machen sich
auf kurze Zeit Haleb (Aleppo), der Sitz der Hamdaniden, und auf
längere Zeit Kairo, im Jahre 969 von den Fatimiden erbaut, als
Heimstätten geistiger Bestrebungen geltend. Im Osten glänzt noch
einen Augenblick der Hof des Türken Machmud von Ghazna, der seit
dem Jahre 999 Herr von Chorasan war.In diese Zeit der Kleinstaaterei und der
Türkenwirtschaft fällt auch die Gründung der muslimischen
Universitäten. Im Jahre 1065 wurde die erste in Bagdad errichtet.
Seit der Zeit besitzt der Orient die Wissenschaft nur in
stereotypen Auflagen. Der Lehrer hat gelehrt, was ihm von seinen
Lehrern überliefert worden, und jedes neue Buch enthält kaum einen
Satz, der nicht schon in älteren Büchern stände. Die Wissenschaft
ist gerettet. Aber die Gelehrten Transoxaniens, die, der
Überlieferung nach, als sie die Gründung der ersten Madrasah
erfuhren, eine Trauerfeier zu Ehren der Wissenschaft
veranstalteten, haben Recht behalten.1Über die östlichen Länder des Islam brauste dann (13.
Jahrh.) der Mongolensturm dahin. Was der Türke übrig gelassen,
raffte dieser hinweg. Es blühte da keine Kultur wieder auf, die aus
sich heraus eine neue Kunst hervortrieb oder zu einer Erneuerung
der Wissenschaft die Anregung darbot.2. Orientalische Weisheit.1.Vor
seiner Berührung mit dem Hellenismus hat der semitische Geist, in
philosophischer Hinsicht, es nie weiter als zu Rätselfragen und
Spruchweisheit gebracht. Einzelbeobachtungen aus der Natur,
hauptsächlich aber aus Leben und Schicksal des Menschen, liegen zu
Grunde, und wo das Verständnis aufhört, stellt sich leicht die
Ergebung in den allmächtigen und unergründlichen Willen Gottes ein.
Wir kennen diese Weisheit aus dem Alten Testament. Dass sie sich
ähnlich bei den Arabern ausbildete, zeigen uns die biblische
Geschichte der Königin von Saba und die Gestalt des weisen Loqman
in der arabischen Überlieferung.Neben solcher Weisheit gab es überall die Magie des
Zauberers, ein Wissen, das sich in der Herrschaft über die Dinge
bewährte. Aber nur in den priesterlichen Kreisen Alt-Babyloniens,
unter welchen Einflüssen und in welchem Umfange wissen wir nicht
genau, erhob man sich zu einer wissenschaftlicheren Betrachtung der
Welt. Vom Wirrsal des Erdendaseins wandte dort das Auge sich der
himmlischen Ordnung zu. Nicht wie der Hebräer, der über ein
gewisses Staunen nicht hinwegkam2oder in den unzähligen
Gestirnen nur ein Sinnbild eigener Nachkommenschaft
sah3, sondern
ähnlich dem Griechen, der das Viele und Mannigfaltige unter dem
Monde erst verstehen lernte, nachdem er in der Einheit und
Stetigkeit der Himmelsbewegung die Harmonie des Alls gefunden
hatte. Nur dass sich mit dem Guten, wie es denn im Hellenismus
nicht anders war, viel mythologisches Spiel und astrologisches
Afterwissen verschlangen.Diese chaldäische Weisheit wurde in Babylonien und
Syrien seit den Tagen Alexanders des Großen mit hellenistischen,
später mit hellenistisch-christlichen Ideen durchsetzt oder davon
verdrängt. Nur in der syrischen Stadt Harran hielt sich bis in die
Zeit des Islam das alte Heidentum, von christlichen Einflüssen
wenig berührt. (Vgl.I, 3 §
4.)2.Bedeutender als etwaige semitische Überlieferung war
es, was dem Islam von persischer und indischer Weisheit zugeführt
wurde. Auf die Frage, ob die orientalische Weisheit von
griechischer Philosophie, oder diese von jener ursprünglich
beeinflusst sei, brauchen wir hier nicht einzugehen. Was der Islam
graden Weges Persern und Indern entnommen hat, lässt sich aus den
arabischen Quellen mit ziemlicher Sicherheit ersehen, und auf
dieses dürfen wir uns beschränken.Persien ist das Land des Dualismus, und es ist nicht
unwahrscheinlich, dass seine dualistische Religionslehre, sei es
direkt, sei es durch Vermittelung des Manichäismus oder anderer
gnostischer Sekten, auf die theologischen Streitigkeiten im Islam
eingewirkt habe. Viel größer aber ist in weltlichen Kreisen der
Einfluss desjenigen Systems gewesen, das der Überlieferung nach
unter dem Sasaniden Jezdegerd II. (438/9–457) sogar zur
öffentlichen Anerkennung kam, des Zrwanismus (vgl.III, 1 § 6). In diesem System war die dualistische Weltansicht
dadurch aufgehoben, dass als oberstes Prinzip die endlose Zeit
(zrwan,
arab.dahr)
aufgestellt und mit dem Geschick, der äußersten Himmelssphäre oder
der Bewegung des Himmels identifiziert wurde. Diese Lehre, die
philosophischen Köpfen zusagte, hat sich, mit oder ohne die Maske
des Islam, in der persischen Litteratur und bis auf unsere Zeit in
den volkstümlichen Anschauungen einen großen Platz zu erhalten
gewusst. Von den Theologen aber und nicht weniger von der
idealistischen Schulphilosophie wurde sie als Materialismus,
Atheismusu. s. w.abgewiesen.3.Als das
wahre Land der Weisheit galt Indien. Vielfach findet sich bei den
arabischen Schriftstellern die Anschauung, dort sei die
Geburtsstätte der Philosophie zu finden. Durch friedlichen
Handelsverkehr, dessen Vermittler zwischen Indien und dem
Abendlande hauptsächlich Perser waren, dann infolge der
muslimischen Eroberung verbreitete sich die Kenntnis indischer
Weisheit. Unter Mansur (754–775) und Harun (786–809) wurde vieles
davon, teils durch die Mittelstufe des Persischen (Pahlawi)
hindurch, teils direkt aus dem Sanskrit übersetzt. Von der
ethischen und politischen Spruchweisheit, aus Fabel und Erzählung
der Inder, ward manches herübergenommen, so die von Ibn al-Moqaffa
zu Mansurs Zeit aus dem Pahlawi übersetzten Erzählungen des
Pantschatantrau. A.An
erster Stelle aber wirkten indische Mathematik und Astrologie,
letztere in Verbindung mit praktischer Medizin und Zauberkunst, auf
die Anfänge der Weltweisheit im Islam. Die Astrologie des Siddhanta
von Brahmagupta, unter Mansur mit Hilfe indischer Gelehrten von
Fazari aus dem Sanskrit übersetzt, war noch vor des Ptolemäus
Almagest bekannt. Eine weite Welt, in Vergangenheit und Zukunft,
that sich da auf. Die hohen Zahlen, mit denen der Inder operierte,
erzeugten auf die nüchternen muslimischen Annalisten einen
gewaltigen, verwirrenden Eindruck, wie andererseits der arabische
Kaufmann, der in Indien und China das Alter unserer erschaffenen
Welt auf einige Tausend Jahre ansetzte, sich im höchsten Grade
lächerlich machte.Auch die logischen und metaphysischen Spekulationen der
Inder sind den Muslimen nicht unbekannt geblieben, aber viel
weniger als Mathematik und Astrologie haben diese die
wissenschaftliche Entwicklung beeinflusst. Die Grübeleien der
Inder, an ihre heiligen Bücher anknüpfend und durchaus religiös
bestimmt, haben gewiss auf persisches Sufitum und islamische Mystik
nachhaltig eingewirkt. Aber Philosophie ist nun einmal ein
griechischer Begriff und es geht nicht an, einem Tagesgeschmack zu
liebe, in unserer Darstellung den Kuhmilchgedanken frommer Inder
allzuviel Platz einzuräumen. Was jene sinnigen Büßer über den
täuschenden Schein alles Sinnlichen vorgebracht haben, mag oft
einen poetischen Reiz besitzen, stimmt auch wohl zu dem, was dem
Osten aus neupythagoreischen und neuplatonischen Quellen an
Betrachtungen über die Vergänglichkeit alles Irdischen zugänglich
war, hat aber, ebensowenig wie dieses, etwas Erhebliches zur
Erklärung der Erscheinungen, zur Erweckung wissenschaftlichen
Sinnes beigetragen. Nicht indischer Phantasie, sondern griechischen
Geistes bedurfte es dazu, das Nachdenken auf die Erkenntnis des
Wirklichen zu richten. Das beste Beispiel dafür ist die arabische
Mathematik. Nach dem Urteile ihrer besten Kenner ist indisch darin
fast nur die Rechenkunst, griechisch, wenn auch nicht
ausschließlich, doch vorwiegend, die Algebra und die Geometrie. Zum
Begriffe reiner Mathematik ist wohl kaum ein Inder durchgedrungen.
Die Zahl, auch die höchste, blieb doch immer eine konkrete. Und in
der indischen Philosophie blieb das Wissen überhaupt ein Mittel.
Zweck war die Erlösung vom Übel des Daseins, die Philosophie
Anleitung zum seligen Leben. Daher die Monotonie dieser auf das
einheitliche Wesen aller Dinge gerichteten Weisheit, der gegenüber
die reichgegliederte Wissenschaft der Hellenen die Wirkungen der
Natur und des Geistes allseitig zu erfassen bestrebt
war.Orientalische Weisheit, Astrologie und Kosmologie, hat
den muslimischen Denkern mancherlei Stoff geliefert, aber die Form,
das bildende Prinzip, kam ihnen von den Griechen her. Überall, wo
es sich nicht um bloßes Aufzählen oder zufälliges Zusammenreihen
handelt, sondern nach sachlichen oder logischen Gesichtspunkten
eine Anordnung des Mannigfaltigen versucht wird, darf mit
Wahrscheinlichkeit auf griechischen Einfluss geschlossen
werden.3. Griechische Wissenschaft.1.Wie die
Perser hauptsächlich den Handelsverkehr zwischen Indien-China und
Byzanz leiteten, so traten im fernen Westen, bis ins Frankenreich,
die Syrer als Kulturvermittler auf. Es waren Syrer, die Wein,
Seideu. s. w.ins Abendland
einführten. Aber es waren auch Syrer, die griechische Bildung aus
Alexandrien und Antiochien nach Osten hin verbreiteten und in den
Schulen von Edessa und Nisibis, Harran und Gondeschapur
fortpflanzten. Syrien war das richtige Land der Mitte, wo
Jahrhunderte lang die beiden Weltmächte, die römische und die
persische, feindlich oder friedlich zusammenstießen. Unter solchen
Umständen spielten die christlichen Syrer eine Rolle, wie sie
ähnlich später den Juden zu teil ward.2.Die
muslimischen Eroberer fanden die christliche Kirche, abgesehen von
vielen Sekten, in drei Abteilungen gespalten. Im eigentlichen
Syrien herrschte neben der orthodoxen Reichskirche die
monophysitische, in Persien die nestorianische Kirche vor. Der
Unterschied zwischen den Lehrsystemen dieser Kirchen ist wohl nicht
ohne Bedeutung für die Entwicklung der muslimischen Dogmatik
gewesen. Nach der Lehre der Monophysiten waren in Christus Gott und
Mensch zueinerNatur vereinigt, während die Orthodoxen und viel
schärfer noch die Nestorianer eine göttliche und eine menschliche
Natur unterschieden. Nun heißt Natur vor allem Energie oder
Wirkungsprinzip. Es handelt sich um die Frage, ob göttliches und
menschliches Wollen und Wirken in Christus ein und dasselbe seien
oder verschieden. Die Monophysiten hoben, aus spekulativen und
religiösen Motiven, auf Kosten des Menschlichen die Einheit in
Christus, ihrem Gotte, hervor, die Nestorianer dagegen betonten die
Eigenart menschlichen Seins, Wollens und Wirkens dem göttlichen
gegenüber. Letzteres aber bietet, unter Begünstigung politischer
und kultureller Verhältnisse, einer philosophischen Welt- und
Lebensbetrachtung freieren Spielraum, und thatsächlich haben die
Nestorianer am meisten für die Pflege griechischer Wissenschaft
gethan.3.Die
Sprache sowohl der westlichen als auch der östlichen (persischen)
Kirche war das Syrische. Daneben aber wurde in den Klosterschulen
das Griechische gelehrt. In der westlichen (monophysitischen)
Kirche sind Rasain und Kinnesrin als Stätten der Bildung zu nennen.
Bedeutender war, wenigstens anfangs, die Schule von Edessa, wie
denn auch der edessenische Dialekt sich zur Schriftsprache erhoben
hatte. Aber im Jahre 489 ward die dortige Schule wegen der
nestorianischen Gesinnung ihrer Lehrer geschlossen. Sie that sich
dann in Nisibis wieder auf und verbreitete in Persien, aus
politischen Gründen von den Sasaniden begünstigt, nestorianischen
Glauben und griechisches Wissen.Der Unterricht in jenen Schulen hatte vorzugsweise
biblisch-kirchlichen Charakter und war auf kirchliche Bedürfnisse
berechnet. Aber es nahmen auch Ärzte oder künftige Studenten der
Medizin daran teil. Dass diese oft dem geistlichen Stande
angehörten, hebt den Unterschied zwischen theologischem Studium und
der Beschäftigung mit weltlichem Wissen nicht auf. Zwar haben, nach
dem syrisch-römischen Rechtsbuch, die Lehrer (gelehrten Priester)
und Ärzte Steuerfreiheit und andere Privilegien gemeinsam. Aber
dass die ersteren als Heilkünstler der Seele betrachtet wurden,
während die Ärzte bloß den Leib zu flicken hatten, begründete den
Vorzug jener vor diesen. Die Medizin blieb doch immer etwas
Weltliches, und nach den Statuten der Schule zu Nisibis (vom Jahre
590) durften die heiligen Schriften nicht mit Büchern des
weltlichen Gewerbes in einem Raume zusammen gelesen
werden.In ärztlichen Kreisen wurden die Werke des Hippokrat,
Galen und Aristoteles sehr geschätzt. In den Klöstern aber verstand
man unter Philosophie zunächst das beschauliche Leben des Asketen
und achtete nur auf das Eine, das not thut.4.Eine
eigentümliche Stellung nimmt die mesopotamische Stadt Harran, in
der Nähe Edessas, ein. Altsemitisches Heidentum verknüpft sich
hier, besonders nach der arabischen Eroberung, als die Stadt neu
emporblühte, mit mathematischen und astronomischen Studien und
neupythagoreischer und neuplatonischer Spekulation. Die Harranier
oder Sabier, wie sie im 9. und 10. Jahrhundert heißen, führen ihre
mystische Weisheit auf Hermes Trismegistos, Agathodaemon,
Uraniusu. A.zurück.
Zahlreiche Pseudepigraphen des späteren Hellenismus werden von
ihnen gläubig aufgenommen, einzelnes wird vielleicht in ihrem
Kreise fabriziert. Als Übersetzer und gelehrte Schriftsteller sind
einige aus ihrer Mitte thätig gewesen. Viele haben mit persischen
und arabischen Gelehrten des achten bis zehnten Jahrhunderts einen
regen wissenschaftlichen Verkehr unterhalten.5.In
Persien, zu Gondeschapur, finden wir eine von Chosrau Anoscharwan
(531–579) gegründete Anstalt für philosophische und medizinische
Studien. Ihre Lehrer waren hauptsächlich nestorianische Christen.
Aber außer den Nestorianern duldete der weltlicher Bildung geneigte
Fürst auch Monophysiten. Besonders als Mediziner waren damals, wie
später am Hofe der Chalifen, christliche Syrer in
Ehren.Auch die im Jahre 529 aus Athen vertriebenen sieben
Philosophen der neuplatonischen Schule fanden am Hofe Chosraus eine
Zufluchtsstätte. Sie mögen aber dort ähnliche Erfahrungen gemacht
haben, wie die französischen Freigeister des vorigen Jahrhunderts
am russischen Hofe. Jedenfalls sehnten sie sich nach der Heimat
zurück. Und der König war freisinnig und großmütig genug, sie gehen
zu lassen und für sie im Friedensvertrage mit Byzanz vom Jahre 549
Glaubensfreiheit zu bedingen. Ganz ohne Einfluss wird ihr
Aufenthalt im persischen Reich doch wohl nicht geblieben
sein.6.Die Zeit
der syrischen Übersetzungen profaner Schriften aus dem Griechischen
läuft etwa vom vierten bis zum achten Jahrhundert. Im vierten
Jahrhundert wurden Spruchsammlungen übertragen. Als erster mit
Namen genannter Übersetzer erscheint Probus, “Priester und Arzt in
Antiochien” (erste Hälfte des fünften Jahrhunderts?). Vielleicht
war er auch nur Erklärer logischer Schriften des Aristoteles und
der Isagoge des Porphyrius. Bekannter ist Sergius von Rasain
(gestorben, wahrscheinlich in Konstantinopel, um 536, etwa 70 Jahre
alt), ein mesopotamischer Mönch und Arzt, der den ganzen Umfang der
alexandrinischen Wissenschaft, vielleicht in Alexandrien selbst,
studierte und dessen Übersetzungen nicht nur auf Theologie, Moral
und Mystik, sondern mehr noch auf Physik, Medizin und Philosophie
sich erstreckten. Auch nach der muslimischen Eroberung wurde die
gelehrte Thätigkeit der Syrer fortgesetzt. Jakob von Edessa (etwa
640–708) übersetzte griechisch-theologische Schriften, befasste
sich aber außerdem mit Philosophie und erklärte auf eine
diesbezügliche Anfrage, es sei christlichen Geistlichen erlaubt,
Kindern von muslimischen Eltern gelehrten Unterricht zu erteilen.
Bei den letzteren war also ein Bildungsbedürfnis
vorhanden.Die Übersetzungen der Syrer, namentlich des Sergius von
Rasain, sind im allgemeinen treu; die logischen und
naturwissenschaftlichen aber entsprechen dem Original genauer, als
die ethischen und metaphysischen. In diesen gab es eben viel
Dunkles, das missverstanden oder einfach weggelassen, und viel
Heidnisches, das durch Christliches ersetzt ward. Für Sokrates,
Platon und Aristoteles (als Beispiele) traten wohl einmal Petrus,
Paulus und Johannes ein. Das Schicksal und die Götter mussten dem
Einen Gotte weichen. Und Begriffe wie Welt, Ewigkeit, Sünde und
dergleichen erhielten ein christliches Gepräge. Übrigens sind die
Araber mit der Anpassung an ihre Sprache, Kultur und Religion
später viel weiter gegangen als die Syrer. Teils lässt sich das
wohl aus der muslimischen Scheu vor allem Heidnischen, teils aber
auch aus einer größeren Anpassungsfähigkeit
erklären.7.Abgesehen
von einigen mathematischen, physischen und medizinischen Schriften
haben die Syrer sich für ein Zweifaches interessiert. Erstens für
moralisierende Spruchsammlungen, mit etwas Philosophiegeschichte
verbunden, und im allgemeinen für mystische
pythagoreisch-platonische Weisheit. Diese findet sich hauptsächlich
in Pseudepigraphen, die den Namen des Pythagoras, Sokrates,
Plutarch, Dionysiusu. A.tragen. Im Mittelpunkte des Interesses steht eine
platonische Seelenlehre, in späterer pythagoreischer,
neuplatonischer oder christlicher Bearbeitung. Platon wird in den
syrischen Klöstern sogar zu einem orientalischen Mönch, der sich
eine Zelle im Herzen der Wildnis erbaute, weitab von den Wohnsitzen
der Menschen, und dort, nach dreijährigem Schweigen und Grübeln
über einen Bibelvers, die göttliche Dreieinigkeit erkannt haben
soll.Dazu kam denn als Zweites die Logik des Aristoteles.
Aristoteles war den Syrern, wie längere Zeit auch den Arabern, fast
nur als Logiker allgemein bekannt. Die Bekanntschaft erstreckte
sich, ähnlich wie in der Frühscholastik des Abendlandes, auf
Kategorien, Hermeneutik und erste Analytik bis zu den kategorischen
Figuren. Der Logik bedurfte man schon, um die Schriften
griechischer Kirchenlehrer zu verstehen, da dieselben, wenigstens
formal, davon beeinflusst waren. Wie man aber die Logik nicht
vollständig hatte, so besaß man sie auch nicht rein, sondern in
neuplatonischer Überarbeitung, wiez. B.ersichtlich ist aus dem Werke des Paulus Persa, welches
in syrischer Sprache für Chosrau Anoscharwan geschrieben wurde. Es
wird darin das Wissen über den Glauben gestellt und die Philosophie
definiert als die Selbstbesinnung der Seele auf ihr inneres Wesen,
in dem sie, gleichsam wie ein Gott, alle Dinge
erblickt.8.Was die
Araber den Syrern verdanken, spricht sichu.
a.darin aus, dass arabische Gelehrte das
Syrische für die älteste oder richtige (natürliche) Sprache
hielten. Zwar haben die Syrer Selbständiges nicht geschaffen, aber
ihre Übersetzerthätigkeit kam der arabisch-persischen Wissenschaft
zu gute. Es sind fast ohne Ausnahme Syrer gewesen, die vom 8. bis
10. Jahrhundert aus den älteren oder den von ihnen teils
verbesserten, teils neu veranstalteten syrischen Übersetzungen die
griechischen Werke ins Arabische übertrugen. Schon der omajjadische
Prinz Chalid ibn Jezid (gest.704), der sich unter Leitung eines christlichen Mönches
mit der Alchemie befasste, soll Übersetzungen alchemistischer Werke
aus dem Griechischen ins Arabische veranstaltet haben.
Sprichwörter, Gnomen, Briefe, Testamente, überhaupt
Philosophiegeschichtliches, wurden schon früh gesammelt und
übersetzt. Aber erst unter Mansur wurde damit angefangen,
naturwissenschaftlich-medizinische und logische Schriften der
Griechen, zum Teil aus dem Pahlawi, ins Arabische zu übertragen.
Besonders beteiligte sich daran Ibn al-Moqaffa, ein Anhänger des
persischen Dualismus, von dem die Späteren sich durch ihre
Terminologie unterschieden haben sollen. Es ist uns aber von seinen
philosophischen Übersetzungen nichts erhalten. Auch anderes aus dem
achten Jahrhundert ist verloren gegangen; erst aus dem neunten
Jahrhundert, aus der Zeit Mamuns und seiner Nachfolger, ist einiges
Übersetzte auf uns gekommen.Die Übersetzer des neunten Jahrhunderts waren meistens
Mediziner und nach Ptolomäus und Euklid wurden Hippokrat und Galen
mit am ersten übertragen. Beschränken wir uns auf die Philosophie
im engeren Sinne. Von Juhanna oder Jachja ibn Bitriq (Anfang des
neunten Jahrhunderts) soll eine Übersetzung des platonischen Timäus
herrühren, ferner Aristoteles’ Meteorologie, das Buch der Tiere,
ein Auszug aus der Psychologie und die Schrift Über die Welt. Dem
Abdalmasich ibn Abdallah Naima al-Himsi (um 835) wird zugeschrieben
eine Übertragung der aristotelischen Sophistik, dazu des Johannes
Philoponus Kommentar zur Physik und die sogenannte Theologie des
Aristoteles, ein paraphrastischer Auszug aus Plotin’s Enneaden.
Qosta ibn Luqa al-Balabakki (um 835) soll übersetzt haben
Alexanders von Aphrodisias und Johannes Philoponus’ Kommentare zur
aristotelischen Physik, zum Teil Alexanders Kommentar zu de
generatione et corruptione, dazu Pseudo-Plutarchs placita
philosophorumu. A.Die fruchtbarsten Übersetzer waren Abu Zaid Honain ibn
Ishaq (809?–873), dessen Sohn Ishaq ibn Honain (gest.910 oder 911) und Neffe Hobaisch ibn
al-Hasan. Da sie zusammen arbeiteten, gibt es vieles, das bald dem
Einen, bald dem Anderen zugeschrieben wird. Manches wird unter
ihrer Aufsicht von Schülern und Untergebenen angefertigt sein. Ihre
Thätigkeit dehnte sich auf den ganzen Umfang der damaligen
Wissenschaft aus. Älteres wurde verbessert, Neues hinzugefügt. Der
Vater übersetzte vorzugsweise Medizinisches, der Sohn aber mehr
Philosophisches.Im zehnten Jahrhundert dauerte noch die Arbeit der
Übersetzer fort. Es zeichneten sich besonders aus Abu Bischr Matta
ibn Junus al-Qannai (gest.940), Abu Zakarija Jachja ibn Adi al-Mantiqi
(gest.974) und Abu Ali Isa
ibn Ishaq ibn Zura (gest.1008). Endlich Abu-l-Chair al-Hasan ibn al-Chammar
(geb. 942), ein Schüler des Jachja ibn Adi, von dem, ausser
Übersetzungen, Kommentarenu. s. w., auch eine Schrift über die Übereinstimmung zwischen
Philosophie und Christentum genannt wird.Die Thätigkeit der Übersetzer seit Honain ibn Ishaq
beschränkte sich fast ganz auf die aristotelischen und
pseudo-aristotelischen Schriften, deren Auszüge, Paraphrasen und
Kommentare.9.Als
besonders große Philosophen sind diese Übersetzer nicht anzusehen.
Selten arbeiteten sie spontan, fast immer im Dienste eines
Chalifen, eines Wezirs, oder eines anderen vornehmen Mannes. Außer
ihrem Fachstudium, gewöhnlich der Medizin, interessierte sie
höchstens die Weisheit: schöne Geschichten mit moralischer
Anwendung, Anekdötchen und Sprüche. Was wir uns im Verkehr, in der
Erzählung oder auf der Bühne nur als Eigentümlichkeit gewisser
Personen gefallen lassen, wurde von jenen Biedermännern ihres
weisen Inhalts oder vielleicht auch nur schönrednerischen Prunkes
wegen bewundert und gesammelt. In der Regel blieben sie dem
väterlichen Christenglauben treu. Charakteristisch für ihre
Auffassung und den Freisinn der Chalifen ist es, was die
Überlieferung in Bezug auf Ibn Dschibril berichtet. Als Mansur ihn
zum Islam bekehren wollte, soll er gesagt haben: “Im Glauben meiner
Väter werde ich sterben, wo sie sind, wünsche ich auch zu sein,
sei’s nun im Himmel oder in der Hölle.” Da lächelte der Chalif und
entließ ihn reich beschenkt.Von selbständigen Schriften dieser Männer hat sich nur
weniges gerettet. Eine kleine Abhandlung des Qosta ibn Luqa über
den Unterschied zwischen Seele und Geist (πνεῦμα, ruh), in
lateinischer Übersetzung erhalten, ist viel genannt und benutzt
worden. Der Geist ist danach ein feiner Körper, der von der linken
Herzkammer aus den menschlichen Leib belebt und darin Bewegung und
Wahrnehmung bewirkt. Je feiner und klarer dieser Geist, um so
vernünftiger denkt und handelt auch der Mensch. Darüber sind sich
Alle einig. Schwieriger aber ist es, etwas Sicheres und
Allgemeingültiges über die Seele auszusagen. Die Aussprüche der
größten Philosophen sind zum Teil verschieden, zum Teil einander
widersprechend. Jedenfalls ist die Seele unkörperlich, weil sie
Qualitäten, und zwar die entgegengesetzten zugle
[...]