Geschichte in Gedenkstätten - Habbo Knoch - E-Book

Geschichte in Gedenkstätten E-Book

Habbo Knoch

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Beschreibung

Seit 1945 sind von Auschwitz bis Kigali weltweit eine Vielzahl von Gedenkstätten entstanden. Sie haben sich im Laufe der Geschichte als zentrale Orte der Erinnerung an das massenhafte Leiden von Menschen durch staatliche Verfolgung, Kriegsverbrechen und Völkermorde etabliert. An den historischen Tatorten erfüllen sie viele Aufgaben: Gedenken, Bewahren, Forschen, Vermitteln. Im Zentrum stehen die Erfahrungen der Opfer. Der Band zeichnet die Entwicklung und Geschichte von Gedenkstätten nach, führt in die wichtigsten Kontroversen ein und vermittelt einen Überblick zu den Aufgabenfeldern dieser Institutionen des kollektiven Gedächtnisses.

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Habbo Knoch

Geschichte in Gedenkstätten

Theorie - Praxis - Berufsfelder

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Coverabbildung: Gedenkstätte Sachsenhausen Besucherinformationszentrum.

Foto: Sebastian Pahl (2005), CC BY-SA 3.0. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sachsenhausen_BIZ.jpg

 

Prof. Dr. Habbo Knoch lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität zu Köln. Zuvor war er Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (Celle) und Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen.

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

Print-ISBN 978-3-8252-5143-7

ePub-ISBN 978-3-8463-5143-7

Inhalt

„Ich betrat ein Terrain, ...EinführungDefinitionenEine AnnäherungGedenkort – Gedenkmuseum – Denkmal – ErinnerungsortGedenkstätte: Eine kurze BegriffsgeschichteWas macht eine Gedenkstätte aus?GrundbegriffeErinnerung und GedächtnisGeschichtspolitik und ErinnerungskulturKollektivgewalt und GenozidOpfer und TäterTrauer und TraumaVergessen und ErinnernGedenken und GeschichtsbewusstseinEntwicklungenTotenkult und öffentliches Gedenken vor 1945NS-Gedenkstätten als sakrale Gedächtnisorte der NationDie Gedenkstättenbewegung in der BundesrepublikGeschichtspolitik in der „Berliner Republik“Gedenkstätten für die Opfer in der SBZ und der DDRGedenkstätten in Europa seit 1990Gedenkstätten als globale InstitutionThemenSind Gedenkstätten heilige Orte?Außeralltägliche OrteSind Gedenkstätten authentische Orte?Sind Gedenkstätten museale Orte?Sind Gedenkstätten Lernorte?Sind Gedenkstätten politische Orte?Sind Gedenkstätten universale Orte?PraxisOrganisationAkteureVernetzungAufgabenTrauern und GedenkenBewahren und SammelnForschen und PräsentierenInformation und ReflexionGedenkstätte als Beruf: VoraussetzungenWeblinks zu Portalen, Plattformen und LinksammlungenDankAbkürzungsverzeichnisAbbildungsverzeichnisLiteraturverzeichnisRegister der Namen und OrteRegister

„Ich betrat ein Terrain, auf dem ich genau wusste, wohin ich gehen würde: in eines der Lager, das dort sein musste. (…) Da war Stille. Da war Leere. Da war die Fassungslosigkeit, dass jene Landschaften (…) nun schwiegen. Sie waren verlassen. Aber alles war da: Diese unzähligen Betonpfosten – man konnte sie fast noch stolz und aufrecht stehen sehen, wie bei unserer Ankunft (…). Aber dies war nicht mehr die Metropole des Todes von früher. Es war eine verödete Landschaft. Aber alles war noch da, nur in einer Art Distanz der Verödung. Und dennoch brennend. Brennend wie an jenem Tag.“

(Otto Dov Kulka, Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft, München 2013, S. 20f.)

 

 

„Ich spürte das bange Treiben um mich her. Die Erklärungen konnten warten. Ich hatte genug vom Mythos, von den Ideen, von der krankhaften Wissbegier. Ich versuchte zu hören, was sie sagten. Pass auf das Kind auf. Nein, nimm du’s mit. Der Kleine hat furchtbaren Durst. Wann geben sie uns denn was zu trinken. (…) Der Arzt saß zu meinen Füßen und musterte mich besorgt. Man reichte mir eine Wasserflasche. Sie kümmerten sich wirklich um mich. Ich brachte meinen Vortrag zu Ende.“

(Yishai Sarid, Monster, Zürich/Berlin 2019, S. 128f.)

Einführung

Als „Zeugnisse eines Zeitbruchs“ hat der Germanist und Gewaltforscher Jan-Philipp ReemtsmaReemtsma, Jan-Philipp vor einigen Jahren Gedenkstätten bezeichnet. Unter dem Titel „Wozu Gedenkstätten?“ konzentrierte er sich dabei auf Orte der nationalsozialistischen Verbrechen. Trotz seiner provokanten Frage stand ihre Existenz für ihn nicht zur Debatte: „Man streitet nicht mehr um das Ob, sondern lebt im Konsens.“ Ohnehin skeptisch gegenüber Konzepten wie dem „kulturellen Gedächtnis“ oder der „kollektiven Erinnerung“, wandte sich Reemtsma entschieden dagegen, Gedenkstätten für nationale Sinnstiftungen zu nutzen, als „Orte der Umkehr“ zu betrachten oder auf Lernzwecke zu reduzieren, für die man sie eigentlich gar nicht bräuchte: Menschen zu diskriminieren und zu quälen, sei auch dann verwerflich, wenn daraus kein Massenmord erwachse, und dass man Menschen nicht anzünde, „lernt man genaugenommen gar nicht, das weiß man“ (Reemtsma 2010: 9).

Gerade die letzten Jahre lassen an diesem Optimismus zweifeln. Den Gründungsaktivisten des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) EmslandlagerDokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager, Papenburg in Papenburg, das ich kurz nach seiner Gründung 1985 zum ersten Mal betrat, lag nichts ferner als die Frage nach dem Wozu. Die Fronten waren klar: Sie wollten die verdrängte, verleugnete und vergessene Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen am Beispiel der 15 Konzentrations-, Strafgefangenen- und Kriegsgefangenenlager sichtbar machen, die im Emsland und in der Grafschaft Bentheim zwischen 1933 und 1945 bestanden hatten, und darüber im Rahmen einer kritischen, emanzipatorischen Bildungsarbeit aufklären. So brachten sie auch eine fundamentale Kritik an der unzureichenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach 1945 zum Ausdruck. Sie verstanden ihren Einsatz als unverzichtbaren Beitrag zu einer weiteren – und aus der Sicht vieler: überhaupt noch ausstehenden – Demokratisierung und Liberalisierung der Bundesrepublik.

Unter dem in der Nachkriegszeit aufgespannten Integrationsschirm einer konsequenten Tabuisierung und einer selektiven Erinnerung, der die 1960er und 1970er Jahre weitgehend überdauert hatte, war die Bundesrepublik vierzig Jahre nach dem Kriegsende sehr weit von einem erinnerungskulturellen Konsens entfernt und stritt heftig sowie mit offenem Ausgang mehr um das Ob als um das Wie. Bei der Handvoll Gedenkstätten, die es bis dahin in der Bundesrepublik gab, handelte es sich um Mahnmale an historischen Orten mit überschaubaren Ausstellungen, die aber weder über wissenschaftliches Personal verfügten, noch Bildungsarbeit leisten konnten. Nur die KZ-Gedenkstätte DachauDachau hatte eine wissenschaftliche Leitung – ein bescheidener Tribut an die internationale Bedeutung des Ortes. Die DDR verfügte über deutlich besser ausgestattete Nationale Mahn- und Gedenkstätten in BuchenwaldBuchenwald, Mittelbau-Dora, RavensbrückRavensbrück und SachsenhausenSachsenhausen. Gedenkstätteninitiativen wie das DIZ betrieben seit den 1980er Jahren „Spurensuche“ als zivilgesellschaftliches Projekt.

Nicht etwa eine vergangenheitsmoralische Läuterung der Bundesrepublik, sondern der Zusammenbruch des Sozialismus und die Globalisierung einer opferzentrierten Erinnerung haben seit 1990 weltweit eine Vervielfältigung von Gedenkstätten, ihren Ausbau und ihre museale und pädagogische Professionalisierung ermöglicht. Inzwischen sind sie mit mehreren Hundert Einrichtungen, die allein in Deutschland an die Verbrechen im Nationalsozialismus und die SED-Herrschaft in der DDR erinnern, zu einer zentralen Institution des kulturellen Gedächtnisses geworden. Aus der Staatsräson und dem Selbstverständnis der Bundesrepublik – manche sprechen hier wieder von nationaler Identität – ist die Verpflichtung nicht mehr wegzudenken, sich dauerhaft an die Opfer des Holocaust zu erinnern. Sie bildet den Fixstern eines neuen postheroischen Verständnisses der Vergangenheit.

Diesen konfliktreichen Prozess habe ich seit den späten 1980er Jahren partiell mitgestaltet und wissenschaftlich begleitet – unter anderem als einer der Verantwortlichen des Trägervereins des DIZ EmslandlagerDokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager, Papenburg, zeitweise als Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Bergen-BelsenBergen-Belsen sowie als Zeithistoriker, der sich mit der Geschichte der NS-Verbrechen, medialen Repräsentationen von Gewalt und der Erinnerungskultur nach 1945 beschäftigt hat. Für mich stellen die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere der Holocaust eine historisch exzeptionelle Form kollektiver Massengewalt dar, weil sie mit den Worten von Reinhart KoselleckKoselleck, Reinhart dazu zwingen, „das Unausdenkliche denken zu müssen, das Unaussprechbare aussprechen zu lernen und das Unvorstellbare vorzustellen versuchen“ (Koselleck 2002: 29). Die Ausführungen in diesem Buch basieren in diesem Sinne auf einer Aporie, die den Kern des „negativen Gedächtnisses“ nach dem Holocaust ausmacht: Wie sich die Systematik, der Hass und die Sinnlosigkeit von Zerstörung und Vernichtung in die Körper der einzelnen Opfer eingeschrieben haben, ist nicht für die Nachlebenden erfahrbar. Dennoch lassen sich aus der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen kritisch zu reflektierende Perspektiven dafür gewinnen, in welcher gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung wir leben wollen.

Gedenkstätten sind Orte, an denen diese Aporie konkret wird. Letztlich kreist deren Geschichte seit 1945 bis in die Gegenwart darum, ob sie durch sinnstiftende, metahistorische Botschaften aufgelöst oder durch multiperspektivische Praktiken bewusst gemacht und reflektiert wird. Schon der Begriff ist schillernd: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden mit Gedenkstätten verdiente Personen geehrt oder Soldaten, die ihr Leben „geopfert“ hatten. Weil sich die Bedeutungen des Wortes „Gedenkstätte“ mehrfach verändert haben, werden im ersten Kapitel zunächst grundlegende Begriffe geklärt und wesentliche Merkmale dessen skizziert, was hier als Gedenkstätte verstanden wird. Im zweiten Kapitel wird das begriffliche und damit konzeptionelle Spektrum entfaltet, in dem sich die Diskussion über Gedenkstätten bewegt. Um die gegenwärtige Rolle von Gedenkstätten einordnen zu können, ist es zudem notwendig, ihre Entwicklung seit 1945 zu kennen. Deshalb geht es im dritten Kapitel um die markanten Schübe in den 1960er und den 1980er Jahren sowie um die vielfältigen Veränderungen nach 1989/90 für Gedenkstätten in Deutschland, Europa und weltweit. Sechs Themen, die mit einer genaueren Bestimmung von Gedenkstättenmerkmalen verbunden sind, werden im vierten Kapitel behandelt, während das fünfte Kapitel spezifische Aspekte der Arbeit in Gedenkstätten und damit verbundene Kompetenzanforderungen vertieft.

Wer wie ReemtsmaReemtsma, Jan-Philipp nach dem Wozu von Gedenkstätten fragt, fragt nicht automatisch nach ihrem Ob und stellt selbst bei einer kritischen Analyse nicht ihr Bestehen und ihre Sinnhaftigkeit in Frage. Genau dies ist aber während des Entstehungsprozesses dieses Buches in erschreckendem Ausmaß zum Bestandteil öffentlicher und politischer Debatten in der Bundesrepublik geworden. In deutschen Parlamenten sitzen Vertreter einer Partei, die einen Bruch mit jenem geschichtspolitischen und erinnerungskulturellen Konsens fordert, von dessen Stabilität Jan-Philipp Reemtsma 2010 noch ausging. Sie hat sich nicht nur wiederholt gegen die staatliche Förderung von NS-Gedenkstätten ausgesprochen, für eine nationalistische Neuausrichtung der Erinnerungskultur plädiert und revisionistische Umdeutungen des Nationalsozialismus proklamiert, sondern bekämpft zugleich ausdrücklich die liberale, weltoffene und humanitäre Prägung der Bundesrepublik – eine Prägung, die erst seit den 1970er Jahren gegen beträchtliche Widerstände an Gestalt gewonnen hat und an der Gedenkstätten und die Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen einen maßgeblichen Anteil hatten.

Aber Befunde neuerer Meinungsumfragen, die das Verhältnis der Deutschen zur Erinnerung an den Nationalsozialismus thematisiert haben, lassen sich zu einem beunruhigenden Eindruck bündeln: An die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern, wird von einer großen Mehrheit zwar grundsätzlich begrüßt, aber vor allem als eine staatliche Aufgabe gesehen, die auf Druck von außen erfolgt. Die Institutionalisierung von Gedenkstätten („Geschichtskultur“) ist deshalb keineswegs mit einer kritischen Internalisierung ihrer Inhalte und Ziele („Geschichtsbewusstsein“) gleichzusetzen. So dürfte die größte Herausforderung von Gedenkstätten in einer wachsenden Drift zwischen staatlich unterhaltenen oder geförderten Institutionen des Gedenkens und einer immer komplexer werdenden Gesellschaft liegen, die sich zeitlich immer weiter vom Nationalsozialismus, aber auch von der DDR entfernt. Menschen argumentieren, kommunizieren und erleben ihre Welt anders als zu Beginn der „Erfolgsgeschichte“ von Gedenkstätten in den 1980er Jahren; andere Themen bewegen sie, und sie setzen andere Schwerpunkte. Die Welt ist globaler und diverser, schneller und unübersichtlicher, digitaler und mobiler geworden. In der Bundesrepublik scheinen die strukturellen Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus überwunden zu sein, während in der westlichen Welt mit großer Wucht über Rassismus, Migration, Ungleichheit und Nachhaltigkeit gestritten wird. Zum Teil reagieren Gedenkstätten bereits auf diese Verschiebungen, vor allem im Rahmen ihrer Bildungsangebote. Zu den drängendsten Fragen gehört dabei, welche Rolle Narration, Anschaulichkeit und immersive Erlebnisse gegenüber der lange vorherrschenden Trias aus Dokumentation, sachlichem Wissen und Reflexivität spielen werden.

Angesichts dieser Herausforderungen – des gesellschafts- und geschichtspolitischen Revisionismus im Zeichen eines völkisch-nationalen Populismus, der distanzierten Wahrnehmung von Gedenkstätten als Orten einer staatlichen Wertevermittlung, der gesellschaftspolitischen Konflikte der Gegenwart sowie der Popularisierung und Eventisierung von Geschichte zusammen mit den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters – mag Jan-Philipp ReemtsmasReemtsma, Jan-Philipp Antwort auf die Frage „Wozu Gedenkstätten?“ als Orientierung dienen: An einem Ort wie Auschwitz werde ein „Bewusstsein von der Fragilität unserer Zivilisation“ und eine „bis in die anthropologische Substanz gehende Scham“ erfahrbar (Reemtsma 2010: 9). Um diese Scham erfahren zu können, sind eine wissenschaftliche Aufarbeitung, ein reflektiertes Wissen und eine kritische Einordnung unverzichtbar, aber nicht hinreichend. Dies muss um einen emotionalen Resonanzraum und um einen ethischen Reflexionshorizont ergänzt werden: Was bedeuten diese Orte und das mit ihnen verbundene Gewaltgeschehen für unser heutiges und zukünftiges Verständnis von Menschheit, Humanität und Menschenwürde? Erst wenn Wissen, Emotion und Moral miteinander verbunden werden, treten die historischen Brüche im Gefüge der Zivilität in ihrer jeweiligen Tiefe hervor. Sie muss dabei selbst zum Gegenstand werden. Genau das können Gedenkstätten ermöglichen.

Definitionen

Mit dem Wort „Gedenkstätte“ assoziieren viele als Erstes Namen wie AuschwitzAuschwitz, BuchenwaldBuchenwald oder DachauDachau – Ortsbezeichnungen, die von den Nationalsozialisten genutzt wurden, um Konzentrationslager zu benennen. Andere denken womöglich an die Berliner MauerBerliner Mauer, an HohenschönhausenBerlin-Hohenschönhausen oder an BautzenBautzen – an Orte also, die mit dem Herrschaftssystem der SED verbunden sind. Als „Gedenkstätte“ können aber auch Orte bezeichnet sein, die an berühmte Personen erinnern, ebenso besondere Kirchen, Friedhöfe oder Mahnmale, Stätten, an denen Opfern von Katastrophen gedacht wird, sowie Orte von Krieg, Gewalt und Genozid in Europa und weltweit. Der Begriff wird in einer kaum mehr überschaubaren Vielfalt verwendet: Virtuell gibt es Gedenkstätten auch im Internet.

Im Folgenden werden Gedenkstätten als Institutionen verstanden, die dauerhaft dazu eingerichtet worden sind, um an Tatorten verbrecherischer und menschenverachtender, insbesondere staatlicher Gewalt in würdiger und würdigender Weise deren Opfern zu gedenken und an sie zu erinnern, Friedhöfe, Gräber und materielle Überreste zu sichern, Quellen zu sammeln und zu erschließen, zur historischen Aufklärung beizutragen und ein gegenwartsorientiertes, reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu fördern.

Gedenkstätten sind mehr als Orte des Gedenkens, nämlich Überrest, Denkmal, Archiv, Sammlung, Forschungszentrum, Museum und Lernort. Um ihr heterogenes Aufgabenspektrum als eigenständige Institution des kulturellen Gedächtnisses dauerhaft und in der gebotenen Qualität erfüllen zu können, sind Gedenkstätten auf eigenes, insbesondere wissenschaftlich und pädagogisch hinreichend qualifiziertes Personal, auf für ihre Aufgaben ausgelegte Räume, eine Dauerausstellung mit festen Öffnungszeiten, die sich zumindest an den geltenden Standards und Möglichkeiten von Museen orientieren können muss, sowie auf ausreichende Finanzmittel angewiesen, die neben Forschung und Bildung insbesondere die Sicherung und Erschließung der baulichen und dinglichen Überreste zu gewährleisten haben (Knoch 2018).

In diesem Sinne haben sich Gedenkstätten erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt (Knigge 2004; Endlich 2009; Schmid 2011). In Polen wurde bereits im November 1944 am Ort des Konzentrations- und Vernichtungslagers MajdanekMajdanek ein „Staatliches Museum“ gegründet. Damit ging – wie auch kurz darauf für das Stammlager in AuschwitzAuschwitz – eine Selbstverpflichtung des polnischen Staates zum Erhalt des historischen Ortes und seiner baulichen Hinterlassenschaften sowie zum Sammeln und Ausstellen von Objekten und Dokumenten einher. Auch in Belgien mit der Nationalen Gedenkstätte Fort BreendonkNationale Gedenkstätte Fort Breendonk (1947), im Krieg ein Gestapo-Auffanglager, in der Tschechoslowakei mit der Gedenkstätte des nationalen LeidensGedenkstätte des nationalen Leidens, Theresienstadt (1947) im ehemaligen Ghetto Theresienstadt und in Österreich mit dem Öffentlichen Denkmal MauthausenÖffentliches Denkmal Mauthausen (1949) am Ort des nur noch in Teilen erhaltenen vormaligen KZ gingen frühere Orte der NS-Verfolgung als Gedenkstätten in staatliche Verantwortung über. Während die DDR mit BuchenwaldBuchenwald1958 ihre erste „Nationale Mahn- und Gedenkstätte“ einweihte, entstand eine damit vergleichbare Institution der Bundesrepublik erst im Verlauf der 1960er Jahre mit der KZ-Gedenkstätte DachauDachau.

In den folgenden Jahrzehnten richtete sich in der Bundesrepublik mit dem wachsenden öffentlichen Interesse für die NS-Verbrechen sowie vor allem aufgrund des Engagements von Überlebenden und zivilgesellschaftlichen Gruppen der Blick zunehmend auf die „vergessenen Orte“ der Tat (Garbe 1983). Seit den 1990er Jahren wurden in der Bundesrepublik viele der bis dahin entstandenen Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen ausgebaut und umgestaltet. Ihre Zahl hat sich inzwischen auf über 300 Einrichtungen vervielfacht (Lutz/Schulze 2017). Darunter sind aber auch Orte, die einzelne Kriterien der hier verwendeten Definition nicht erfüllen, weil sie sich zum Beispiel nicht an einem historischen Tatort befinden oder kein dauerhaftes Ausstellungs- und Bildungsangebot aufweisen.

Auch über Deutschland und die Orte der NS-Verbrechen hinaus werden das Wort „Gedenkstätte“ oder das englische Pendant „memorial museum“ uneinheitlich verwendet. Im Zuge der politischen Umbrüche, Genozide und Kriege der 1990er Jahre haben sich Orte des Gedenkens als globale Institution des kulturellen Gedächtnisses etabliert (Williams 2007; Sodaro 2018). Sie repräsentieren ein breites Spektrum an Ereignissen und Themen: nicht nur staatliche Gewaltverbrechen und Kriegsverbrechen, sondern auch koloniale Verbrechen, terroristische Anschläge, Umweltkatastrophen oder Verkehrsunfälle. Da auch Denkmäler, Gedenkzeichen, Informationstafeln oder Museen häufig als Gedenkstätte bezeichnet werden, wird deshalb in einem ersten Zugriff herausgearbeitet, was Gedenkstätten ausmacht und wodurch sie sich von anderen Orten des Gedenkens und Erinnerns unterscheiden.

Eine AnnäherungGedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof, Hamburg

Wer Hamburg vom Süden aus mit der Bahn erreicht, passiert kurz vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof einen Teil der HafenCity. Die Neubauten dieses immensen Stadtentwicklungsprojekts erstrecken sich auf einem weitflächigen Areal früherer Hafen- und Industrieanlagen. Wer genau hinsieht, erkennt einen Park mit einer ungewöhnlichen Gestaltung. Er wird durch eine Bodenfuge geteilt, die ihn mit einem etwas tieferliegenden Bereich verbindet. Dort sind Reste alter Gleisanlagen zu erkennen. Beides gehört zu dem 2017 eingeweihten Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“Gedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof, Hamburg. Wie vergleichbare Projekte – der Erinnerungsort Alter Schlachthof in DüsseldorfErinnerungsort Alter Schlachthof, Düsseldorf und die Erinnerungsstätte an der Frankfurter GroßmarkthalleErinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle – erinnert der Hamburger Gedenkort an die von hier aus durchgeführten Deportationen von mehr als 8000 Juden sowie Sinti und Roma zwischen 1940 und 1945 in mehrere Ghettos und Vernichtungslager. Dafür waren auch weitere Gebäude in der Umgebung des Bahnhofs genutzt worden.

Als einer von vielen lokalen Tatorten des Holocaust blieb der Hannoversche Bahnhof jahrzehntelang unbeachtet. Von 1906 an wurde er nur noch für den Güterverkehr genutzt, seit 1999 ist er gar nicht mehr in Betrieb. Das historische Empfangsportal wurde 1955 abgerissen, die Seitengebäude verschwanden wenige Jahre später. Mit der Umwandlung des innerstädtischen Hafengebiets zur HafenCity begann 2001 auch der Rückbau der Gleisanlagen. Bevor der Hannoversche Bahnhof aber in Gänze verschwand, geriet seine Nutzung während des Holocaust in den Blick. Noch 1993 hatten engagierte Bürger lediglich die Anbringung einer Tafel im Hauptbahnhof erreicht, um an die Deportierten zu erinnern. Auf viel mehr wagte kaum jemand zu hoffen. Doch in den 2000er Jahren änderten sich die Bedingungen: Durch das Engagement von Bürgern sowie von Institutionen wie der KZ-Gedenkstätte NeuengammeNeuengamme oder der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in HamburgForschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg wurden in einem mehr als zehnjährigen Prozess die Grundlagen für die Schaffung eines Gedenkorts gelegt. Bauhistorische Sondierungen, eine temporäre Ausstellung, pädagogische Projekte, ein Wettbewerb für die Freiraumgestaltung des gesamten Parks im Auftrag der HafenCity GmbH und ein 2013 eröffneter „Info-Pavillon“ bereiteten die schrittweise Realisierung vor.

Die späte Entdeckung des Hannoverschen Bahnhofs ist ein gutes Beispiel für die Konjunkturen des Vergessens und Erinnerns nach 1945, aber auch für jene Konstellationen, die seit gut drei Jahrzehnten die Einrichtung zahlreicher Gedenkstätten begünstigt haben. Er repräsentiert eine mittlerweile bestehende Vielfalt an unterschiedlichen Themen, dezentralen Orten und solchen mit zentralem Charakter, Gestaltungen und Organisationsformen der Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen. Dabei hat ein Merkmal in den vergangenen Jahren immer größere Aufmerksamkeit erfahren: der konkrete historische Ort – die Tatsache also, dass sich die erinnerte Gewalt genau hier ereignet hat und noch Überreste erhalten sind. So vermittelt der Gleisrest am Hannoverschen Bahnhof nicht nur den Eindruck eines authentischen Bezugspunkts des Erinnerten, sondern weist auch über sich hinaus auf die Topographie der Todesorte, an die Menschen von hier aus transportiert wurden.

Das „denk.mal“ wird auch als „Gedenkort“ bezeichnet und besteht aus drei Elementen: An dem erhalten gebliebenen Gleisstück befindet sich ein Mahnmal mit Namenstafeln der Opfer, das auf Drängen von Überlebenden in die Planung aufgenommen worden ist. Beton, Glas und Metall setzen hier einen nüchternen Akzent, prägen aber auch die Ästhetik der umgebenden Neubauten. Die Fuge als Außeninstallation macht den ehemaligen Bahnhofsvorplatz und den Gleisverlauf im Parkgelände symbolisch nachvollziehbar. Vom Park aus senkt sich der Weg bei gleichbleibend hohen Seitenwänden um etwa vier Meter nach unten ab. Dies „erzeugt Konzentration, wirkt auf die Sinne und verändert die räumliche Wahrnehmung“ (Endlich 2018: 44). In einem der angrenzenden Neubauten hat die Stadt langfristig das Erdgeschoss für ein Dokumentationszentrum mit einer ständigen Ausstellung und Bildungsangeboten wie einer „Lernwerkstatt“ oder einem „Zukunftslabor“ gepachtet. Der Investor hat sich verpflichtet, an der Außenfront des Gebäudes eine Gravur gut sichtbar anzubringen, die auf das Dokumentationszentrum verweist. Auch dauerhaftes Personal ist in der Planung vorgesehen (von Wrochem 2018).

Der Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“Gedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof, Hamburg weist somit wesentliche Merkmale auf, die heute mit einer Gedenkstätte verbunden werden: einen historischen Ort und zumindest fragmentarische Relikte als Sachzeugnisse; ein namentliches Gedenken an Opfer eines staatlichen Massenverbrechens; eine Verbindung von Überresten, Mahnmalen und Landschaftsgestaltung; eine Dauerausstellung und ein Bildungsangebot mit regelmäßigen Nutzungszeiten und festem Personal; eine Sammlung, eine Bibliothek und andere Informationsangebote; ein Netzwerk aus bürgerschaftlich Engagierten, wissenschaftlichen Experten und staatlich Verantwortlichen. Allerdings: Auch wenn bis zum „Gedenkort“ ein langer Weg und viele Verhandlungen führten, waren mit seiner Entstehung gegenüber früher entstandenen NS-Gedenkstätten wie der KZ-Gedenkstätte Neuengamme deutlich weniger erinnerungspolitische Konflikte verbunden.

Beispiel: Die KZ-Gedenkstätte NeuengammeNeuengamme

Zum 60. Jahrestag der Befreiung wurde 2005 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme im Südosten von Hamburg die neugestaltete Gedenkstätte der Öffentlichkeit übergeben. Sie umfasst eine Fläche von 57 Hektar – das ist mehr als das Elffache der Grünfläche vor dem Berliner Reichstag – mit 17 historischen Gebäuden sowie zahlreichen baulichen Überresten und Bodendenkmälern. Während vom Häftlingslager nur noch wenige Bauten erhalten sind, befinden sich in unmittelbarer Nähe mit dem ehemaligen Klinkerwerk und den früheren Walther-Werken zwei große Baukomplexe, in denen die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Im Zuge der Neugestaltung der Gedenkstätte wurden frühere Standorte der Häftlingsunterkünfte und Teile ihrer Überreste symbolisch sichtbar gemacht und der Appellplatz teilrekonstruiert. An insgesamt fünf Standorten werden dauerhaft Ausstellungen gezeigt, darunter in einem der beiden erhaltenen Massivbauten des Lagergeländes die zentrale Dauerausstellung. Jährlich besuchen mit steigender Tendenz etwa 100.000 Menschen die Gedenkstätte.

Der Weg zu dieser Gedenkstätte war lang und konfliktreich. Das KZ Neuengamme wurde zunächst 1938 als Außenlager des KZ SachsenhausenSachsenhausen eingerichtet. Die SS machte daraus 1940 ein eigenständiges KZ mit schließlich 85 Außenlagern im gesamten Nordwesten Deutschlands, in das bis Kriegsende insgesamt etwa 100.000 Häftlinge verbracht wurden. Bis 1948 diente es als britisches Internierungslager für SS-Angehörige, zivile Funktionsträger des NS-Staats und mutmaßliche Kriegsverbrecher. Kurz zuvor hatte die hamburgische Gefängnisbehörde beantragt, das Gelände für eigene Zwecke nutzen zu dürfen. Während ein Neubau die Holzbaracken des Häftlingslagers ersetzte, wurden große Teile der befestigten Bauten des Konzentrationslagers für Insassen und Personal weitergenutzt. Als 1970 ein weiteres Gefängnis errichtet und zunächst für Jugendliche, dann ab den 1980er Jahren als geschlossene Erwachsenenanstalt verwendet wurde, war endgültig kein Zugang zum ehemaligen Häftlingslager mehr möglich.

Es waren zunächst Überlebende, die sich gegen die achtlose Weiternutzung und das lokale Vergessen für ein Gedenken am Ort selbst einsetzten. 1953 erreichten französische Überlebende die Aufstellung einer Gedenksäule auf dem Gelände der ehemaligen Lagergärtnerei, am westlichen Rand des ehemaligen KZ. Für die Überlebenden hat dieser Ort eine besondere Bedeutung: Hier hatte die SS die Asche der im Krematorium verbrannten Leichen verstreuen lassen. Die 1958 als Zusammenschluss der nationalen Verbände ehemaliger Neuengamme-Häftlinge gegründete Amicale Internationale KZ NeuengammeAmicale Internationale KZ Neuengamme setzte sich für eine würdige Gestaltung dieses Bereichs ein, den sie als Friedhof deklarierte und reklamierte. In den folgenden Jahrzehnten entstand außerhalb des ehemaligen Lagergeländes ein Gedenkhain mit internationalen Einzelgedenksteinen neben der Gedenksäule. 1965 wurde in diesem Areal ein weitläufigeres Mahnmal des Hamburger Senats eingeweiht. Die parkartige Anlage aus einer Stele, einer Steinmauer und einer Skulptur firmierte bereits als „Gedenkstätte“, verfügte aber weder über Personal noch über eine Ausstellung.

Hatte das Gedenken so einen ersten Ort gefunden, war der Weg zur Erinnerung vor allem im Sinne von Information und Aufklärung auf dem historischen Lagergelände selbst noch weit. Während sich auch in Hamburg zivilgesellschaftliche Erinnerungsinitiativen formierten, beschloss der Senat der Stadt den 1981 fertiggestellten Bau eines „Dokumentenhauses“, um das bestehende Mahnmal mit Informationen vor allem zu den Toten des Lagers zu ergänzen. 1985 wurde im Gedenkhain die bundesweit erste Gedenktafel zur Erinnerung an jene Häftlinge eingeweiht, die als Homosexuelle verfolgt wurden. In diesen Jahren kam es wiederholt zu Protesten gegen Bauentscheidungen der Justizbehörde und den Fortbetrieb ihrer Einrichtungen auf dem ehemaligen Lagergelände. 1989 entschied der Senat, die Justizanstalten zu verlagern. In dieser Zeit nahm die Gedenkstätte als Teil des Museums für Hamburgische GeschichteMuseums für Hamburgische Geschichte ihre Arbeit auf und eröffnete 1995 eine erste Dauerausstellung.

Vier Jahre später wurde die Gedenkstätte zwar zu einer selbstständigen Einrichtung der Hamburger Kulturbehörde erklärt, aber die geplante Verlagerung der Gefängnisse verzögerte sich. Gleichwohl wurden um den ehemaligen Lagerkern erste der umliegenden Bauten und Geländezeichen für die Gedenkstätte restauriert und nutzbar gemacht. 1999 eröffneten Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der ersten Gedenkstättenkonzeption des Bundes die substantielle Förderung einer Neugestaltung der Gedenkstätte im Verbund mit Mitteln des Senats. Dem sollte später ihre Übernahme in eine anteilige dauerhafte, institutionelle Förderung des Bundes folgen.

Mehrere Beschlüsse der Hamburger Bürgerschaft sahen in dieser Zeit eine kurzfristige Schließung der 1948 eingerichteten Justizvollzugsanstalt vor. Doch der im Herbst 2001 neu gewählte Senat stoppte deren Verlagerung und damit den Ausbau der Gedenkstätte. Heftige Proteste sorgten für eine Rücknahme des Beschlusses. Die ältere Haftanstalt sollte nun doch abgebaut werden. Die Schließung des jüngeren der beiden Gefängnisse wurde hingegen erst 2006 verfügt – ein Jahr, nachdem die neugestaltete Gedenkstätte eröffnet worden war. Erst nach dem Abriss der zweiten Anstalt wurde das gesamte ehemalige Häftlingslager zur Gedenkstätte. An die Gefängnisse erinnern heute bewusst noch einzelne Überreste und ein Wachturm. Das seit den 1950er Jahren entstandene Areal des Totengedenkens wurde in die Gedenkstätte integriert. Es symbolisiert auch die unverzichtbare Bedeutung des langjährigen Engagements zahlreicher Bürger und vor allem vieler Überlebender auf dem hürdenreichen Weg bis zur heutigen Gedenkstätte.

 

Literatur: Wrocklage 1998; Garbe 2006; Klei 2011: 359–574.

Abb. 1: Internationales Mahnmal (1965) in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit Stele und Ländergedenksteinen

Der Begriff „Gedenkort“ scheint das denk.mal Hannoverscher BahnhofGedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof, Hamburg insbesondere von KZ-Gedenkstätten abzugrenzen. Er stammt noch aus einer frühen Phase des Projekts. Angesichts der Dimensionen dieses Ortes könnte man versucht sein, einen Unterschied zu den ungleich größeren und anders genutzten KZ-Gedenkstätten machen zu wollen. Doch räumliche Erstreckung, Art und Dauer der historischen Nutzung, Form und Ausmaß der Gewalt oder die Zahl der Opfer sollten keine Kriterien sein, um zwischen einer „Gedenkstätte“ und einem „Gedenkort“ zu unterscheiden. Nicht maßgeblich ist zudem, ob Bauten eigens für die Durchführung von Verbrechen errichtet wurden. Wie beim Hannoverschen Bahnhof war das bei vielen Folterstätten, Gefängnissen oder Heilanstalten auch nicht der Fall. Vielmehr bildete die Nutzung vorhandener Infrastrukturen, Gebäude und Verwaltungen ein Wesensmerkmal des NS-Systems wie vieler anderer Gewaltregime.

Die Stadt Hamburg bezeichnet den Hannoverschen Bahnhof bereits als Gedenkstätte. Eine offizielle Website (www.gedenkstaetten-in-hamburg.de) informiert über ihn zusammen mit etwa einhundert weiteren unter dem Rubrum „Gedenkstätten“, worunter sich aber auch Gedenktafeln, Gedenksteine, Gedenkplatten, Gedenkstelen, Plastiken und Bildtafeln, Mahnmale und Denkmale finden. Zehn dieser Orte verfügen über Ausstellungen und werden deshalb als „Lernorte“ bezeichnet. Eigenbezeichnungen durch Verantwortliche helfen also nicht immer weiter, wenn es um die Klärung der Frage geht, was eine Gedenkstätte ist. Die Zahl an Gedenkorten im Hamburger Stadtgebiet ist zudem noch weitaus größer: Neben mehr als 5000 „Stolpersteinen“, die an im Nationalsozialismus verfolgte Hamburger Bürgerinnen und Bürger vor ihren letzten Wohnorten erinnern, gibt es 200 weitere Gedenktafeln, die auf private oder kommunale Initiative hin entstanden sind.

Gedenkort – Gedenkmuseum – Denkmal – Erinnerungsort

Gedenkort soll hier als Oberbegriff für die vielfältige Landschaft materieller Orte zur Erinnerung an Gewaltopfer fungieren: für Gedenkstätten im engeren Sinne, Gedenkmuseen, Gedenktafeln, die historische Orte kennzeichnen, Denk- und Mahnmale, Friedhöfe, Sakralbauten oder Gedenk- und Museumsparks. Die seit den 1990er Jahren entstandenen „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter DemnigDemnig, Gunter sind in diesem Sinne ebenso Gedenkorte wie die zahlreichen „living memorials“ in den USA, also Baumpflanzungen, Parks oder Wälder, die im öffentlichen Raum zur Erinnerung an Opfer von Katastrophen wie 9/11 – oft auf Initiative von Angehörigen, Helfern oder Künstlern – angelegt wurden.

Eng verbunden mit dem öffentlichen Gedenken an Menschen als unschuldigen Gewaltopfern sind die zahlreichen improvisierten, temporären Gedenkorte („grassroots memorials“) nach Unfällen, Anschlägen, „mass shootings“ oder an anderen Orten, wo Menschen etwa durch Misshandlung oder Kindesmord ums Leben gekommen sind (Doss 2008; Margry/Sánchez-Carretero 2011). Es ist üblich geworden, auch solche Orte als Gedenkstätte zu bezeichnen. Diese spontane, zugleich aber ausgesprochen ritualisierte, emotionalisierte und medialisierte Gedenkkultur im öffentlichen Raum hat – trotz vieler Vorläufer und kultureller Transfers – durch den Unfalltod von Lady Diana 1997 einen deutlichen Schub erfahren. Vor allem in London und Paris entstanden in kürzester Zeit Orte mit einem Meer aus Blumen, Karten und Erinnerungsobjekten, die zum Vorbild für den Umgang mit späteren Ereignissen dieser Art geworden sind. Die bereits 1987 errichtete „Goldene Flamme der Freiheit“ über dem Unfallort in Paris hat sich so zu einem inoffiziellen Lady Di MemorialLady Di Memorial, Paris entwickelt. Nun wird der gesamte Platz nach ihr benannt.

Solche Gedenkorte im öffentlichen Raum zeugen von einer neuen Aufmerksamkeitskultur für öffentliche Gefühlsgesten und von einem Bedürfnis, persönliche Emotionen – Erschütterung, Trauer, Angst – an einen sichtbaren, symbolischen, quasireligiösen Ort zu binden, der zunächst keiner institutionalisierten Verantwortung unterliegt. Ebenso nutzen viele sie als Orte der Schaulust und der Teilhabe an einem medialisierten Hype. Geht die Initiative an vielen Orten auch von Personen aus, die zu den Opfern einen persönlichen Bezug hatten, ist ein wesentliches Merkmal dieser öffentlichen, spontanen Praxis eine emotionale Mobilisierung vieler Menschen, die sowohl durch mediale Kommunikation als auch durch reale Begegnungen am Ort des Geschehens entsteht. So wird eine Beziehung zu den Toten und zur temporär sozialen, aber auch imaginären Gemeinschaft der unmittelbar und mittelbar Betroffenen ermöglicht.

Gedenkorte dieser Art haben auch eine politische Dimension: Sie sind oft als situativer Protest der Zivilgesellschaft mit Appellen verbunden, die mehr Schutz durch Staat und Politik einfordern; der Besuch eines solchen Gedenkorts durch hochrangige Politiker wird in der Regel erwartet und ist Teil des (Medien-)Rituals, wird aber nicht immer mit Beifall bedacht. Dies zeigt: Gedenkorte, Opfergedenken, Gemeinschaftsbildung und Sinnstiftung angesichts von Ereignissen, die als Einbruch in die funktionale Normalität des Alltags wahrgenommen oder als solche kommuniziert werden, sind nicht auf historische Phänomene beschränkt, sondern einer jener Kontexte, der zur Etablierung von Gedenkstätten als Institutionen des kulturellen Gedächtnisses vor allem seit den 1990er Jahren beigetragen hat.

Im Unterschied zu Gedenkstätten im engeren Sinne werden hier Einrichtungen, die zwar an Opfer staatlicher Massengewalt erinnern, sich aber nicht am historischen Ort des verbrecherischen Handelns befinden, als Gedenkmuseen bezeichnet – zum Beispiel die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-KonferenzGedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin in Berlin, das United States Holocaust Memorial MuseumUnited States Holocaust Memorial Museum, Washington (USHMM) in Washington oder Yad Vashem in JerusalemYad Vashem, Jerusalem. Yad Vashem wurde 1953 als zentrale „Memorial Authority“ des neuen Staates gegründet und viele Jahrzehnte lang als „The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority“ bezeichnet. Inzwischen firmiert Yad Vashem unter dem Namen „The World Holocaust Remembrance Center“. Der Begriffswandel zeigt, wie sich Aufgabe und Anspruch von einem stark national bezogenen heroisierenden Gedenken hin zu einer Erinnerungs-, Forschungs- und Bildungsarbeit in internationaler Perspektive erweitert haben. Dennoch dient Yad Vashem immer noch vor allem der israelisch-jüdischen Identitätsbildung (Kurths 2008; Kashi 2012).

Auf Gedenkmuseen kann hier wie auf viele andere Orte, die zum Gedächtnis an politische Gewaltgeschehen und insbesondere an den Holocaust beitragen, nur am Rande eingegangen werden: Mahnmale, die nicht an historischen Tatorten entstanden sind (wie das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in BerlinDenkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin); Bibliotheken, Sammlungen und Archive, die oft schon früh von Exilierten und Überlebenden eingerichtet wurden (wie die Wiener Library in LondonWiener Library, London, das Centre de Documentation Juive Contemporaine in ParisCentre de Documentation Juive Contemporaine, Paris, das YIVO Institute for Jewish Research in New YorkYIVO Institute for Jewish Research, New York oder das Jüdische Historische Institut in WarschauJüdisches Historisches Institut, Warschau); Forschungseinrichtungen, die häufig auf die frühe Nachkriegszeit zurückgehen wie das Nederlands Instituut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies in AmsterdamNederlands Instituut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies, Amsterdam oder das Instytut Pamięci NarodowejInstytut Pamięci Narodowej (Institut für nationales Gedenken) in Warschau; Stiftungen und vergleichbare Einrichtungen, die sich vornehmlich der Erinnerungsarbeit widmen (wie die Menschenrechtsorganisation Memorial in MoskauMemorial, Moskau oder die im Zuge der späten Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern gegründete Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ).

Die Entwicklung von Gedenkstätten ist durch ein zumindest ambivalentes, wenn nicht gebrochenes Verhältnis zur Tradition des Denkmals gekennzeichnet. Im klassischen Sinne ist Denkmal ein Oberbegriff für historisch bedeutsame Bauten, Landschaftsgestaltungen und ihre geschützten Überreste sowie für künstlerisch gestaltete, ortsgebundene Objekte, die an bestimmte Personen oder Ereignisse erinnern. Die Kategorie der staatlich geschützten Bau- und Bodendenkmäler umfasst also weit mehr Objekte als die zu Gedenkzwecken errichteten Denkmäler im engeren Sinne, wie sie vor allem seit dem 19. Jahrhundert entstanden sind. Ein wiederkehrendes Bedürfnis nach verbindlichen Deutungsangeboten im Zuge von Kriegen oder der Gründung von Nationalstaaten hat zur Errichtung zahlreicher öffentlicher Denkmäler geführt. So entstanden vor allem nach den beiden Weltkriegen europa- und weltweit eine Vielzahl von Kriegerdenkmälern. Allein in Deutschland wird ihre Zahl auf über 100.000 geschätzt, die zeitgenössisch vielfach auch als Ehrenmal bezeichnet wurden – ein Begriff, der bis heute Verwendung findet.

Weil die Heroisierung des soldatischen Todes nach 1945 in den Hintergrund trat und sich Begriffe wie „Ehre“ nicht mit der Erinnerung an die Kriegsverbrechen und den Holocaust vertrugen, etablierte sich eine besondere Form des Denkmals: das Mahnmal. Dabei handelt es sich um öffentlich zugängliche, meist künstlerisch gestaltete und auf Dauer angelegte Gedenkorte, die eine kritische Besinnung auf die Gewaltdimension eines historischen Ereignisses und dessen Folgen einfordern. Viele Holocaust-Mahnmale entstanden bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – wie das bereits 1948 eingeweihte „Denkmal der Helden des Ghettos“ in WarschauDenkmal der Helden des Ghettos, Warschau (Young 1993; Marcuse 2010b). Als ihre Vorläufer können die Grabmale für den unbekannten Soldaten gelten, die kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zuerst in London („The Tomb of the Unknown Soldier“, Westminster AbbeyThe Tomb of the Unknown Soldier, Westminster Abbey, London) und Paris („La tombe du soldat inconnu“, Arc de TriompheLa tombe du soldat inconnu, Arc de Triomphe, Paris) errichtet wurden. Sie haben das massenhafte, anonyme Sterben im Ersten Weltkrieg zugleich als patriotischen und als tragischen Bestandteil der Nationalerzählung romantisiert.

Auch in den meisten Gedenkstätten gibt es mindestens ein Mahnmal, oft aber gleich mehrere, die an verschiedene Häftlingsgruppen erinnern. Bis in die 1980er Jahre haben sie sich an der Formensprache des nationalen Totengedenkens orientiert. Einer der frühesten Gegenentwürfe war der ursprüngliche Siegerentwurf des großen internationalen Wettbewerbs für ein Mahnmal in Auschwitz-BirkenauAuschwitz1957/58. Es sah einen siebzig Meter breiten und einen Kilometer langen, abgesenkten Weg diagonal durch das ehemalige Vernichtungslager bis zu den Krematorien vor. Der abstrakte, moderne Entwurf wurde vor allem deshalb nicht verwirklicht, weil er dem Zweck traditioneller Denkmäler, Identifikation durch eine positive symbolische Repräsentation von Geschichte zu stiften, zu radikal widersprach.

Seit den 1980er Jahren lassen sich drei grundlegende Veränderungen der westlichen Denkmalkultur feststellen, in deren Kontext auch die Entwicklung von Gedenkstätten einzuordnen ist: Erstens werden statt ehrender Denkmäler immer mehr Mahnmale errichtet; im Amerikanischen hat sich der Sprachgebrauch dementsprechend von „monuments“ zu „memorials“ verschoben. Statt die Vergangenheit zu heroisieren, adressieren sie vor allem Gefühle wie Scham, Trauer oder Angst. Zweitens repräsentieren sie von der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung bis zu AIDS-Opfern eine große Bandbreite an Themen, die bis dahin nicht im kulturellen Gedächtnis präsent waren. Drittens dominiert ein ästhetischer Minimalismus: Viele Mahnmale sollen durch Elemente wie Reflexion (Wasser, Spiegelflächen), klare geometrische Formen ohne Verzierungen, Spalten („voids“), gelenkte Wegeführungen und gebrochene Blickachsen das Verhältnis des Besuchers zu seiner Welt irritieren. Ihr abstrakter Charakter zielt darauf ab, selbstreflexive, deutungsoffene und subversive Zugänge zu eröffnen (Doss 2012).

Vor allem verweigern sich diese Mahnmale dem Anspruch einer identifikatorischen und symbolischen Repräsentation der Vergangenheit. Den Paradigmenwechsel vom heroisierenden „monument“ zum postheroischen „memorial“ markierten in der Bundesrepublik um 1990 zahlreiche „Gegen-Denkmäler“. Die damit zum Ausdruck gebrachte Überzeugung einer ästhetischen Nicht-Repräsentierbarkeit des Holocaust prägte auch die Entwicklung der Gedenkstätten. Sie ist mit einer grundlegenden Skepsis gegenüber ästhetisch-figurativen Darstellungen verbunden, die mehrere Jahrzehnte lang auch die Mahnmale in Gedenkstätten bestimmt hatte. Gleichzeitig führten Mahnmale, die zum Beispiel an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs oder an Menschen erinnerten, die als Homosexuelle verfolgt worden waren, zu grundlegenden Konflikten und Verschiebungen öffentlicher Zeigbarkeitsregeln. Allerdings sind Mahnmale im Unterschied zu Gedenkstätten keine „destinations that explain the significance of an event“ (Williams 2007: 6).

Gedenkstätten werden vielfach auch als Erinnerungsort („lieux de memoire“) bezeichnet oder verstanden. Der Begriff hat seit den 1980er Jahren eine erstaunliche Karriere erlebt (Robbe 2009; Siebeck 2017), die mit dem wissenschaftlichen Interesse an kulturellen Gedächtnisformen, aber auch identitätspolitischen Interessen korrespondiert. Ein Erinnerungsort kann dem französischen Historiker Pierre NoraNora, Pierre zufolge alles sein, was durch menschlichen Willen zum immateriellen, materiellen oder ideellen Symbol gemeinschaftlicher Erinnerungen geworden ist: geographische Orte, Institutionen wie Museen und gestaltete Artefakte wie Denkmäler, aber auch Topoi, Lieder, Begriffe, Kunstwerke oder Bilder (Nora 1996).

NoraNora, Pierre betrachtet Erinnerungsorte als „flüchtige Heiligtümer in einer Gesellschaft der Entheiligung“ (Nora 1990: 17). Sie sollen gemeinschaftsstiftend wirken und verbindliche Geschichtsbilder repräsentieren. Einerseits trifft dies durchaus auch auf Gedenkstätten zu, gerade wenn es um nationale oder partikulare Opfergedächtnisse geht. Andererseits ist aus den Ereignissen, die sie repräsentieren, gerade in der Bundesrepublik eine beträchtliche Skepsis gegenüber nationalen Identitätsstiftungen und der Anspruch erwachsen, Identitätsrelevanz und Identitätskritik unlösbar miteinander zu verbinden. Dies soll dazu beizutragen, die „Fluidität und Wandelbarkeit von Erinnerung“ in einer „permanenten Spannung“ zu halten, statt „Meistererzählungen“ der Vergangenheit geschichtspolitisch zu fixieren (Berger/Seiffert 2014: 33).

Gedenkstätte: Eine kurze Begriffsgeschichte

Bereits im 19. Jahrhundert entstanden unter der Bezeichnung „Gedenkstätte“ an Orten des Lebens und Wirkens berühmter Literaten, Musiker und Künstler wie SchillerSchiller, Friedrich oder GoetheGoethe, Johann Wolfgang von personenbezogene Gedenkorte (Bohnenkamp-Renken u.a. 2015). Sie dienten einer hagiographischen Form des verehrenden Angedenkens. Aus diesem Grund wurden auch besondere Kirchen oder Wallfahrtsorte ebenso wie Denkmäler oder Ehrenmäler für bedeutende Feldherrn und lokale Größen als Gedenkstätte bezeichnet. Nachdem die Nationalsozialisten 1934 den neun Jahre zuvor offiziell zum Gedenken an die Weltkriegstoten eingeführten „Volkstrauertag“ in „Heldengedenktag“ umbenannt hatten, wurde der Begriff zunehmend für Orte der Heldenverehrung verwendet. In Hannover diente seit 1935 das Leineschloss mit den Beständen der „Weltkriegssammlung“ als „HeeresgedenkstätteHeeresgedenkstätte, Leineschloss, Hannover“ einer musealen Kriegsverherrlichung (Schneider 1987). An diese Traditionslinie knüpfte die Bundesrepublik nach 1945 an, wenn auch auf das Wort „Helden“ offiziell weitgehend verzichtet wurde. Der Begriff „Gedenkstätte“ fand sich nun vor allem in Verbindung mit Kirchenruinen, die in den 1950er Jahren in einigen Städten – wie in Berlin die Kaiser-Wilhelm-GedächtniskircheKaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Berlin, in Hamburg die ehemalige Hauptkirche St. NikolaiHauptkirche St. Nikolai, Hamburg oder in Köln die Kirche Alt St. AlbanAlt St. Alban, Köln zusammen mit einem Kriegsgefangenenmahnmal – zu Gedenkorten vornehmlich für die deutschen Opfer des (Luft-)Kriegs umgewandelt wurden. Gedenkorte der beiden Kriege führten jedoch meist die Bezeichnung „Ehrenmal“ oder „Mahnmal“ (Kaiser 2010).

Als der polnische Staat 1947 das Staatliche Museum AuschwitzAuschwitz gründete, wollte er mit dieser Bezeichnung bewusst ein weites Aufgabenfeld abdecken, das über ein Gedenken im engeren Sinne hinaus die Bewahrung des ehemaligen Lagergeländes, eine Sammlung der Dokumente und deren wissenschaftliche Erschließung sowie die Vermittlung der Geschichte von Auschwitz einschließen sollte. Das Museum hieß aber von Beginn an auch „Stätte des Gedenkens an das Martyrium des polnischen Volkes“. In den 1970er Jahren rückte die Bezeichnung „Auschwitz-Birkenau“ stärker in den Mittelpunkt. Sechs Jahrzehnte nach der Gründung wurde das polnische Synonym für Gedenkstätte („miejsce pami¸eci“) hinzugefügt. Mit den heute in der englischen Fassung verwendeten Begriffen „Memorial and Museum“ werden verschiedene Funktionen von Einrichtung und Ort deutlich, die weder unter dem Begriff „Gedenkstätte“ noch unter dem des „Museums“ zusammengefasst werden sollen.

In der DDR setzte sich der Begriff spätestens mit den Einweihungen der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in BuchenwaldBuchenwald, SachsenhausenSachsenhausen und RavensbrückRavensbrück zwischen 1958 und 1961 durch. Er war ebenso positiv wie ideologisch besetzt und wurde weitläufig genutzt: An zahlreichen Orten waren Gedenkplaketten, Denkmäler und museale Einrichtungen verdienten Vertretern des Sozialismus und des politischen Widerstands gegen den Faschismus als „Gedenkstätten“ gewidmet, allen voran Ernst ThälmannThälmann, Ernst, nach dem auch eine Fülle von Straßen, Plätzen, Siedlungen, Schulen, Sportstätten, Brigaden und Arbeitskollektiven benannt wurde (Miethe 1974). Selbst das 1987 eröffnete Bauernkriegspanorama im thüringischen Bad FrankenhausenBad Frankenhausen firmierte als „Gedenkstätte“.

In der Bundesrepublik hingegen waren die wenigen frühen begrifflichen Pendants wie die Gedenkstätte für die Opfer der Hitlerdiktatur in Berlin-PlötzenseeBerlin-Plötzensee und die Gedenkstätte Bergen-BelsenBergen-Belsen, die beide 1952 ohne Ausstellungen oder Personal eingeweiht wurden, kaum präsent. Wie auch die in den 1960er Jahren entstandenen oder umgestalteten Gedenkorte in DachauDachau, FlossenbürgFlossenbürg und NeuengammeNeuengamme waren sie zunächst – anders als in der DDR – keine Orte einer öffentlichen geschichtspolitischen Sinnstiftung, sondern dienten vor allem einer minimierten, religiös-rituellen Memorialisierung. Hingegen erfuhr der infolge des „Schießbefehls“ an der Berliner Mauer am 17. August 1962 erschossene Peter FechterFechter, Peter bereits am Tag danach mit einem provisorischen Holzkreuz und nachfolgenden Kranzniederlegungen eine frühe zivilgesellschaftliche Würdigung im Westen der Stadt. Vor dem Mauerstück entstand ein kleines Mahnmal als Gedenkort, der heute, nach der Abtragung der Mauer, durch eine Bronzestele symbolisiert wird.

Die bundesdeutschen KZ-Gedenkstätten wurden lange Zeit bestenfalls für jährlich wiederkehrende Gedenkakte genutzt und verfügten – mit Ausnahme von DachauDachau in bescheidenem Umfang – bis mindestens in die 1980er Jahre hinein nicht über wissenschaftliches Personal. Nur vereinzelt gelangten Bergen-BelsenBergen-Belsen oder DachauDachau in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens durch Pilgerfahrten oder Protestveranstaltungen ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Staatliche Bestrebungen, neben diesen Gedenkstätten andere Erinnerungsorte zu schaffen, um die Identifikation mit der Demokratie zu fördern, waren wenig erfolgreich – wie die 1974 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Gustav HeinemannHeinemann, Gustav gegründete Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen der deutschen GeschichteErinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen der deutschen Geschichte, Rastatt in der Rastatter Bundesfestung, einem wichtigen Ereignisort der Revolution von 1848 (Hertfelder/Lappenküper/Lillteicher 2016).

Seit den 1970er Jahren engagierten sich immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen, um die vielen lokalen Orte der NS-Verbrechen ausfindig zu machen. Sie wollten dort Gedenkstätten eines anderen Typs gründen – als Orte der aktiven Aufklärung und Bildungsarbeit mit Gegenwartsbezug, eigenen Räumlichkeiten, Ausstellungen, Vermittlungsangeboten und Mitarbeitern. Um sich von den staatlichen Gedenkstätten abzugrenzen, nannten viele Aktivisten ihre Einrichtungen anders, zum Beispiel „Dokumentations- und Informationszentrum“ oder „Gedenk- und Dokumentationsstätte“. Das stand für den Anspruch, an den Orten der Tat quellenbasiert und insbesondere mit Zeugnissen von Überlebenden so konkret wie möglich über die Verbrechen aufzuklären – statt lediglich Mahnmale zu errichten oder Gedenkfeiern abzuhalten.

Diese Suche nach eigenen Bezeichnungen verwundert nicht, denn noch 1989 definierte die Brockhaus-Enzyklopädie ganz im Sinne des 19. Jahrhunderts eine „Gedenkstätte“ als einen „Ort der Erinnerung an ein historisches Ereignis oder an einen bedeutenden Menschen“, wobei es sich um „eine Schlacht, eine besondere Begegnung“ oder um Gebäude, Mahnmale, Grabstätten oder Inschriften handeln könne. Im Vordergrund und im Einklang mit einer langen Denkmaltradition stand immer noch die Ehrung oder Heroisierung einer besonderen, personengebundenen Leistung. So war bereits 1947 in Trier das Karl-Marx-HausKarl-Marx-Haus, Trier mit einer Ausstellung eröffnet worden, das seit 1968 von der Friedrich-Ebert-StiftungFriedrich-Ebert-Stiftung verwaltet wird. In dieser Tradition stehen auch mehrere Einrichtungen, die an namhafte Politiker erinnern und teilweise auch als „Gedenkstätte“ bezeichnet werden (Hertfelder/Lappenküper/Lillteicher 2016).

Nach und nach wurde aber der Begriff „Gedenkstätte“ in der Bundesrepublik auch von den zivilgesellschaftlichen Akteuren der Erinnerung an die NS-Verbrechen reklamiert und neu definiert. 1983 entstand das Gedenkstättenreferat der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., bald erschien der erste Gedenkstättenrundbrief, und bundesweite Gedenkstättenseminare fanden statt. Einen wesentlichen Beitrag für die nun einsetzende öffentliche Etablierung des Begriffs leistete die von Ulrike PuvogelPuvogel, Ulrike1987 erstellte Dokumentation der „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“, die auf einer ersten Fassung von 1981 beruhte und von der Bundeszentrale für politische BildungBundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde. Sie fasste allerdings unter diesem Begriff neben den wenigen Gedenkstätten im engeren Sinne eine Vielzahl von Denkmälern und Hinweistafeln zusammen (Puvogel 1987).

Seitdem haben sich Gedenkstätten in mehreren Schüben und vor allem infolge der politischen Umbrüche seit 1989/90, des Endes der Apartheid in Südafrika und des Genozids in Ruanda sowie weltweiter Transitionsprozesse nach dem Ende von Gewaltregimen zu maßgeblichen und global verbreiteten Einrichtungen des öffentlichen, sozialen und politischen Umgangs mit staatlichen Massenverbrechen entwickelt. Insbesondere NS-Gedenkstätten und Holocaust-Museen in den USA dienten hierbei als eine wichtige Referenz für die Legitimation und Gestaltung dieser Gedenkstätten. Im Englischen hat sich seitdem der Begriff „memorial museum“ eingebürgert (Williams 2007). Er wird aber – wie beim USHMM in WashingtonUnited States Holocaust Memorial Museum, Washington – auch von Einrichtungen verwendet, die sich nicht an einem historischen Ort des Geschehens befinden, an das sie erinnern. Das National September 11 Memorial & Museum in ManhattanNational September 11 Memorial & Museum, New York wiederum nutzt zwar beide Begriffe, unterscheidet aber – auch räumlich – zwischen Mahnmal und Museum.

In der Bundesrepublik wurden wesentliche Merkmale von Gedenkstätten in der ersten Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 definiert, die sowohl die NS-Zeit als auch das SED-Regime berücksichtigte (Garbe 2001, 2016; Meyer 2009). Sie wurde zur normativen Klammer, um geförderte Gedenkstätten mit geschichtswissenschaftlichen Prinzipien, musealen Standards und behördlichen Verfahrensweisen in Einklang zu bringen. Eine Einrichtung gilt demnach als förderungswürdige Gedenkstätte, wenn sie sich an einem „Ort von herausragender historischer Bedeutung“ befindet, der im „öffentlichen Bewusstsein exemplarisch für einen bestimmten Verfolgungskomplex“ steht, wenn sie über ein „spezifisches, unverwechselbares Profil“ verfügt, das sich auf die „Authentizität des Ortes“ gründet, und wenn ein „wissenschaftlich, museologisch und gedenkstättenpädagogisch fundiertes Konzept“ vorliegt (Gedenkstättenkonzeption 1999: 3).

Gerade bei kleineren, bürgerschaftlich getragenen Einrichtungen stieß diese Definition auf Widerstand, weil sie eine zu starke Normierung ihrer Arbeit befürchteten, auch wenn die Konzeption die „politische Unabhängigkeit“ von Gedenkstätten trotz einer staatlichen Förderung betonte. Im Zuge der Professionalisierung und Institutionalisierung der bundesdeutschen Gedenkstätten seit den 1990er Jahren wurden Standards von Seiten größerer KZ-Gedenkstätten formuliert, die auf eine Verwissenschaftlichung und Entsakralisierung dieser Orte abzielten: Ein „zukunftstauglicher Gedenkstättenbegriff“, hieß es 2007 in einer Erklärung der „Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten“, müsse sich der „notwendigen Verbindung von Opfergedenken, kritischer Erinnerung und geschichtswissenschaftlich fundierter historischer Bildung bewusst“ sein (Arbeitsgemeinschaft 2007: 33). Die im letzten Punkt enthaltenen Kriterien der Wissenschaftlichkeit und des ortsbezogenen Detailwissens wurden in diesem Papier gegenüber den anderen genannten und nicht genannten Dimensionen als Voraussetzung einer „modernen“ Gedenkstättenarbeit privilegiert.

Solchen Standardisierungsversuchen steht in der Bundesrepublik eine wachsende Vielfalt an Gedenkstätten gegenüber. An das SED-Regime erinnerten nun vor allem Gedenkstätten in ehemaligen Untersuchungshaftanstalten, Gefängnissen oder an Orten der früheren deutsch-deutschen Grenze. Für die NS-Zeit finden sich Gedenkstätten neben den öffentlich bekannteren KZ-Gedenkstätten an Orten ehemaliger Kriegs-, Zwangsarbeiter- und Arbeitserziehungslager, Polizeihaftstätten, Gestapositze und Justizvollzugsanstalten sowie an Stätten des Krankenmords. Als Gedenkstätte werden daneben zum einen auch Orte des Widerstands oder des jüdischen Lebens bezeichnet, zum anderen Einrichtungen, die sich an Orten der Organisation und Verwaltung der Verbrechen befinden. Streng genommen ist zum Beispiel die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-KonferenzGedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin in Berlin trotz ihrer Bedeutung für die Holocaust-Erinnerung keine Gedenkstätte nach der hier vertretenen Definition, da dort keine physische Verfolgung von NS-Opfern stattgefunden hat (Digan 2014). Andere Orte von nationaler Bedeutung, die nicht an historischen Orten physischer Verfolgung bestehen, aber häufig dem Feld der Gedenkstätten zugerechnet werden, verzichten darauf, sich selbst so zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere für Dokumentationszentren in Verbindung mit ehemaligen „Täterorten“.

Beispiel: Das NS-Dokumentationszentrum MünchenNS-Dokumentationszentrum München

Für bauliche und übertragene Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus werden häufig summarische Umschreibungen wie „dunkle Orte“, „schwieriges Erbe“, „Nazi legacy“ oder „undesirable heritage“ verwendet (Asmuss/Hinz 1999; Macdonald 2009). Sie schließen die Orte der Verfolgung ein, lenken den Blick aber vor allem auf eine Fülle von Bauten, die – wie das NS-Reichsparteitagsgelände in NürnbergNS-Reichsparteitagsgelände, Nürnberg, der Berghof am ObersalzbergBerghof, Obersalzberg oder das Seebad Prora auf RügenSeebad Prora, Rügen – in der NS-Zeit entstanden sind oder von den Nationalsozialisten genutzt wurden.

Obwohl öffentlich sichtbare NS-Symbole unmittelbar nach dem Kriegsende beseitigt werden mussten, erweist sich der Umgang mit solchen materiellen, teils monumentalen Zeugnissen bis heute als große Herausforderung, bei der zwischen politisch-moralischer Abgrenzung zum Nationalsozialismus, den Zielen und Erfordernissen des Denkmalschutzes und der Implikation eines Verdrängens durch das Beseitigen unliebsamer Objekte abzuwägen ist. Für solche Orte abgrenzend von „Täterorten“ zu sprechen, greift zu kurz, denn auch Konzentrationslager waren „Täterorte“.

Zu dem „schwierigen Erbe“ des Nationalsozialismus gehört auch der Standort des im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten und 1947 abgerissenen „Braunen Hauses“ in München, seit 1930 Sitz der NSDAP-Parteileitung. Bis zur Errichtung des 2012 eröffneten NS-Dokumentationszentrums blieb die Fläche ungenutzt. Im Zuge des Neubaus aufgefundene Fundamentreste des ursprünglichen Gebäudes wurden abgetragen. Das NS-Dokumentationszentrum tritt somit symbolisch als Repräsentation einer gelungenen demokratischen Transformation wie auch mit seiner sachlichen Architektur als ästhetischer Kontrapunkt an die Stelle des „Braunen Hauses“, wird aber durch lamellenartige Lichtschlitze in die historische Umgebung mit ihren erhaltenen NS-Bauten eingebettet.

Einschließlich der jahrzehntelangen und kontroversen Debatten über die Notwendigkeit und inhaltliche Ausrichtung des NS-Dokumentationszentrums in München repräsentiert es die in den letzten Jahren eingetretene Historisierung früherer NS-Bauten und ihrer Areale. Ihr Aufklärungswert wird einerseits gegenüber möglichen Faszinationseffekten betont und hat andererseits die Oberhand gegenüber Verdrängungswünschen gewonnen. Doch wenn auch an vielen dieser Orte wesentliche Vorarbeiten oder Entscheidungen im Zusammenhang mit den Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes stattfanden, definieren sie sich nicht über das Gedenken an die Opfer und sind deshalb nicht als Gedenkstätten zu bezeichnen.

Von Gedenkstätten wird auch oft gesprochen, wenn es nicht um staatliche Massenverbrechen geht. Gerade bei Mahnmalen und Erinnerungsorten, die an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg erinnern, changieren die Bezeichnungen oder haben sich mit der Zeit geändert. Unter der sowjetischen Besatzungsmacht wurde auf den Seelower HöhenSeelower Höhen, Seelow bereits 1945 eine monumentale Statue in Erinnerung an die hier gefallenen sowjetischen Soldaten errichtet. Die DDR baute den Ort 1972 zur Gedenkstätte aus und ergänzte sie um ein Museum mit wehrpropagandistischen Inhalten. Das 1936 eingeweihte Marine-Ehrenmal in LaboeMarine-Ehrenmal, Laboe wird seit 1996 als Gedenkstätte bezeichnet. Beim Deutsch-Französischen Historial zum Ersten Weltkrieg am HartmannswillerkopfHistorial, Hartmannswillerkopf, einer im Ersten Weltkrieg strategisch wichtigen Bergkuppe, unterscheiden sich die Bezeichnungen je nach der verwendeten Sprache: Im Französischen wird für diesen Ort nicht von „lieu commémoratif“ gesprochen, sondern die Kategorie „monument national“ verwendet; nur in der deutschen Übersetzung taucht in den Kommunikationsmedien der Einrichtung das Wort „Gedenkstätte“ auf.

Massenfriedhöfe für Soldaten oder Ziviltote und Kirchenruinen gelten inzwischen weithin als Orte einer transnational ausgerichteten Mahnung, weitere Kriege zu vermeiden (Thiemeyer 2010). Dennoch werden sie hier nicht den Gedenkstätten zugerechnet. Kriege sind nicht einheitlich geächtet, und es handelt sich um eine andere Form der Gewalt als bei staatlich verantworteter Massengewalt. Damit sind andere Formen ihrer Deutung verbunden. An solchen Kriegsstätten überwiegen Erinnerungsformen, die ein nationales Gedächtnis mitbegründen wollen, nicht zuletzt durch ein ehrendes Heldengedenken. Sie sind eng mit einer bleibenden Faszination für den Krieg selbst, vor allem für seine Technik, Infrastruktur und Strategien, verbunden und stehen dafür, ihn vor Ort „nacherleben“ zu können. Der gesellschaftliche und politische Umgang mit ihnen ist noch immer nicht frei von Formen des geschichtspolitischen Revisionismus. Zudem mangelt es den Soldatenfriedhöfen in aller Regel an einer hinreichenden Infrastruktur, um kritisch aufklären und historisch differenziert bilden zu können – so wünschenswert dies auch wäre, um pauschalen Gleichsetzungen von Verbrechensopfern und Kriegstoten entgegenzuwirken.

Häufig werden Denkmäler oder Stätten besonderer Gewaltereignisse als Gedenkstätte bezeichnet, ohne dass sich dort eine museale oder pädagogische Infrastruktur befindet. So tituliert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. die von ihm betreuten Friedhöfe inzwischen oft als Gedenkstätte. Auch das vor wenigen Jahren in Berlin eingeweihte und von außen nur begrenzt zugängliche „Ehrenmal“ für die im militärischen Einsatz verstorbenen Soldaten der Bundesrepublik firmiert als Gedenkstätte (Naumann 2010). Ebenso werden in jüngerer Zeit entstandene Erinnerungsorte für Katastrophenopfer – so die Mahnmale zur Erinnerung an den Untergang der Fähre Estonia (1994), die Gedenkstätte ICE-Unglücksstelle in EschedeGedenkstätte ICE-Unglücksstelle, Eschede (1998) oder die Gedenkstätte KaprunGedenkstätte Kaprun zur Erinnerung an die Brandkatastrophe der Gletscherbahn (2000) – Gedenkstätte genannt, obwohl dort keine Ausstellung existiert oder eine aktive Bildungsarbeit stattfindet. Selbst Tourismusverbände sprechen bei allgemeinen Sehenswürdigkeiten und historischen Orten von Gedenkstätten.

Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Verwendungen des Begriffs „Gedenkstätte“ hat die International Holocaust Remembrance AllianceInternational Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) die Internationale Gedenkstätten-Charta verabschiedet (IHRA2013). Gedenkstätten werden darin als „Geschichtsmuseen der Gegenwart“ charakterisiert, die sich an historischen Orten von staatlichen Gewaltverbrechen befinden. Sie befassen sich „vorwiegend mit dem Gedenken an Verbrechen gegen Minderheiten“, bedürfen einer zivilgesellschaftlichen Verankerung und haben eine „besondere Verpflichtung zur humanitären und staatsbürgerlichen Bildung“. Ihre Arbeit ist „vorwiegend wissenschaftlichen Charakters“. Sie vermitteln Informationen, um „Mitgefühl mit den Opfern“ zu wecken, beziehen dabei „multiple Perspektiven“ der historischen Kontextualisierung ein und richten ihre Erziehungsarbeit an „universellen Prinzipien“ aus.

Was macht eine Gedenkstätte aus?

In Gedenkstätten wird an jene Menschen erinnert, die dort als Opfer systematischer, in der Regel staatlicher Gewaltverbrechen gequält oder ermordet worden sind. Sie sind meist auch Friedhöfe und immer Orte der Trauer für Überlebende und Angehörige sowie des Gedenkens an die Ermordeten und Verfolgten. Durch die Sammlung ihrer Zeugnisse und den Erhalt der historischen Überreste dienen Gedenkstätten als unverzichtbare Archive der Erinnerung und der Sicherung von Beweisen. Sie mahnen zur Reflexion über Schuld, Verantwortung und Vergebung. Als Lernorte tragen Gedenkstätten zur historischen Bewusstseinsbildung bei und dies insbesondere für Nationen, Gesellschaften und Gruppen, die für die begangenen Taten verantwortlich waren. Dazu werden die Schicksale der Opfer zusammen mit einem forschungsgestützten Wissen über die Verantwortlichen, die Geschichte der Gewaltorte und den unmittelbaren historischen Zusammenhang vermittelt und erarbeitet. Dies geschieht vornehmlich durch Führungen, Ausstellungen, Bildungsprojekte, Publikationen und Veranstaltungen.

Indem Gedenkstätten die Verletzbarkeit des Menschen durch politische Machtträger und ihre sozialen wie ökonomischen Komplizen offenlegen, regen sie zur Auseinandersetzung mit den strukturellen Bedingungen und moralischen Grenzen menschlichen Handelns in staatlich verantworteten Gewaltkontexten an. Es geht an diesen Orten um existenzielle Konstellationen wie das Verhältnis von Tätern und Opfern, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Widerstand, Bürokratie und Willkür, Tod und Überleben, Zerstörung und Bewahrung, Unrecht und Recht – mitsamt aller Zwischenformen und Grautöne. Sie lassen danach fragen, was genau hier geschehen ist, warum und wer verantwortlich war. Wer die Opfer und wer die Täter waren, muss als historisches Geschehen in seinem jeweiligen zeitlichen Zusammenhang so präzise und quellengestützt wie möglich erforscht und angeeignet werden können. Orientierungswissen und reflektiertes Geschichtsbewusstsein lassen sich vertiefen, wenn es gelingt, sinnliche Eindrücke, persönliche Emotionen und sachliche Informationen mit kritischen Reflexionen über das hier Geschehene im Horizont von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft menschenfeindlicher Gewalt in all ihren Facetten zu verbinden.

Gedenkstätten sind dabei Ort, Raum und Repräsentation zugleich. Als Ort verkörpern sie materiell ein zeitlich konkretes Geschehen, das dort ebenso wie seine Nachgeschichte lokalisiert werden kann. Ihre Dimension als physischer Raum gewinnen sie durch das Zusammenwirken von topographischen Begrenzungen und baulichen Strukturen mit sozialen wie kommunikativen Praktiken und deren Wahrnehmung. Als materiell konkrete Orte und performativ hergestellte Räume sind Gedenkstätten wiederum eingebettet in Repräsentationen, die vor Ort etwa durch Ausstellungen oder Faltblätter sowie außerhalb der Gedenkstätte durch dokumentarische und durch fiktionale Medien erzeugt werden. Versuchen Gedenkstätten einerseits durch Gestaltungen, Informationen und Deutungen das Zusammenspiel der drei Ebenen in bestimmte Bahnen zu lenken, so können andererseits individuelle Voreinstellungen, Bilder oder Aneignungen der Besucher eigensinnige und gegenläufige Wahrnehmungen hervorbringen.

Einen wesentlichen Zugang zu den jeweils spezifischen Verhältnissen von Ort, Raum und Repräsentation eröffnet die Auseinandersetzung mit Gedenkstätten als materiellen Gewordenheiten, die mehrere Zeitschichten aufweisen. Konservierung, Verfall und wiederholte Gestaltungsmaßnahmen haben den historischen Ort verändert. Oft sind ganze Bereiche inzwischen unsichtbar geworden oder nur schwer aufzufinden. Zeitspezifische Deutungen haben sich im Umgang mit den baulichen und landschaftlichen Hinterlassenschaften solcher Tatorte niedergeschlagen. Sie waren und sind immer Bestandteil und Ausdruck der Geschichte eines bestimmten Staates, seiner Gesellschaft und ihrer Zeit. Werden historische Orte als Gedenkstätten gestaltet und genutzt, unterliegen ihre Gestaltungen und die ihnen zugeschriebenen Bedeutungen und Aufgaben dem Wandel von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, die sie zugleich mitgeprägt haben.

Abb. 2: Blick durch das Eingangstor zum Häftlingslager des früheren KZ Sachsenhausen auf das zentrale Mahnmal von 1961 (Postkarte, ca. 1967)

Inzwischen sind an vielen Orten der Welt Gedenkstätten entstanden. Sie haben sich zu einer neuen, distinkten Institution des kulturellen Gedächtnisses entwickelt. Im soziologischen Doppelsinn dieses Begriffs sind sie zum einen Organisationen, in denen bestimmte Praktiken von gesellschaftlicher Relevanz objektiviert werden. In idealtypischer Weise operieren sie gemäß organisationsspezifischer, generalisierter und transparent gemachter Regeln. Sie weisen klar erkennbare Arbeitsbereiche, Strukturen und Prozesse auf, denen diversifizierte Kompetenzen, Ziele und Strategien entsprechen. Außenstehenden treten sie als Organisation klar und deutlich erkennbar gegenüber, unter anderem durch rechtliche Regelungen, ihren Namen und ihren Sitz sowie – gerade im Fall von Gedenkstätten – materielle Besonderheiten.

Zum anderen sind Gedenkstätten durch das, wofür sie stehen, Institutionen im Sinne von Normen, Narrativen und Praktiken geworden, die dazu beitragen, geschichtsbezogene Deutungen und Praktiken von Gesellschaften zu regulieren. Gedenkstätten erfüllen die drei dafür wesentlichen Kriterien: Sie strukturieren und gewährleisten gesellschaftlich anerkannte Formen sozialer Praktiken und Kooperationen, sie sind wesentlich an der sinnhaften Ausgestaltung gesellschaftlich relevanter Handlungsfelder, den Selbstdeutungen von Politik und Gesellschaft sowie der sozialen Integration beteiligt, und sie gründen inzwischen auf einer breiten politischen und gesellschaftlichen Anerkennung. So strukturieren sie – wenngleich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und vielen orts- wie themenspezifischen Ausprägungen – in erheblicher Weise das politische, gesellschaftliche und öffentliche Feld des Umgangs mit der mit ihnen verbundenen gewalthaften Vergangenheit.

Gedenkstätten stehen für eine kategorische, normative Distanz zu Menschenverachtung, Entwürdigung und verbrecherischer Gewalt. Indem sie verkörpern, was die Zerstörung von Zivilität und Anstand, von Freiheit und Recht bedeuten kann, sind sie Orte einer kognitiven wie emotionalen Annäherung an Grenzen des Sagbaren, an Widersprüche, an Aporien und deren Reflexion. Angesichts dessen, was sich dort ereignet hat, ist das, was herkömmlich unter Erinnerung verstanden wird, nicht einfach auf Gedenkstätten übertragbar: Gemeinschaften und Gesellschaften durch eine Rückbesinnung auf Vergangenes zu einen, ihnen eine Identität zu geben und ihre Werte zu festigen. Vielmehr bestehen Gedenkstätten gerade an solchen Orten, die durch eine gesellschaftlich mitgetragene Politik der verbrecherischen Durchsetzung absoluter Herrschaftsziele, Identitätsansprüche und Zugehörigkeiten entstanden sind. Eine ihrer wesentlichen Aufgaben liegt mithin darin, Identitätskonstruktionen zu reflektieren, Konzepte von Zugehörigkeit und Ausgrenzung zu analysieren sowie Machtordnungen zu hinterfragen.

Trotz der Vielzahl an Einrichtungen, die inzwischen an oder in der Nähe von historischen Orten an die Opfer von staatlichen Massenverbrechen erinnern, darf nicht übersehen werden, wie viele historische Orte von Gewalt und Verfolgung nicht bekannt, erhalten oder markiert sind (Pollack 2014). Gedenkstätten repräsentieren historisch variable Bedingungen und Entwicklungen des Erinnerns, seiner Grenzen und damit auch des Vergessens. Sie sind stets Ausdruck selektiver, kontroverser und zeitspezifischer Vergegenwärtigungen sowie Unsichtbarmachungen von Vergangenheit. Ihre Entstehung hängt von einer wesentlichen Voraussetzung ab: Ein vergangenes Geschehen muss politisch, öffentlich und in gewissem Maße auch gesellschaftlich bekannt, lokalisiert und als erinnerungswürdig betrachtet sowie zumindest offiziell als Teil der eigenen Geschichte angenommen werden. Das ist eng mit politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen wie Fragen der Täterverfolgung oder Opferentschädigung, gesellschaftlichen Haltungen zu bestimmten Opfergruppen (und deren Anerkennung oder Nichtanerkennung) und geschichtspolitischen Prioritätensetzungen verbunden.

Der Gründung einer Gedenkstätte gehen meist jahrelange Auseinandersetzungen um die Anerkennung solcher Orte und ihrer Opfer voraus: Überlebende gehören hierbei zu den wichtigsten Protagonisten ihrer eigenen Erinnerung. Ob sich zivile oder staatliche Träger der Orte annehmen und sie zu Gedenkstätten entwickeln, ist ein eminent politischer Prozess. Wenn Gedenkstätten in Staaten oder Gesellschaften entstehen, von denen die Verbrechen organisiert oder mitverantwortet wurden, ist die fortdauernde Präsenz von Tatbeteiligten oder den Verantwortlichen und ihrer Nachfahren die größte Hürde für einen kritischen Umgang, gerade auf lokaler Ebene. So steht die Aufarbeitung des politischen Terrors in den jüngeren lateinamerikanischen Diktaturen vielfach noch in den Anfängen, während sie in vormaligen Militärregimen wie Südkorea oder Indonesien – und hier insbesondere für die Massenmorde von 1965/66 – noch gar nicht begonnen hat.

Besonders im Fall von Massengräbern ist der Aufklärungsbedarf nach wie vor beträchtlich. Die Notwendigkeit des „digging for the disappeared“ (Rosenblatt 2015) reicht weit über den Holocaust hinaus. Weltweit sind zahllose Massengräber bislang unentdeckt oder bedürfen noch aufwändiger forensischer Untersuchungen, um zumindest die Identität der Toten festzustellen (Ferrándiz/Robben 2015). Seit den 1980er Jahren ist – ausgehend von Lateinamerika – ein Netzwerk forensisch tätiger Nichtregierungsorganisationen entstanden. Inzwischen sind sie auch im Auftrag der Internationalen Strafgerichte zu Jugoslawien, Ruanda und Kambodscha tätig. Selbst für das vermeintlich gut erforschte Geschehen des Holocaust sind insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zahlreiche Mordstätten nicht bekannt oder markiert. Die 2004 in Frankreich gegründete Organisation Yahad-in UnumYahad-in Unum hat sich deren Lokalisierung zur Aufgabe gemacht und in einer Vielzahl von Feldforschungen vor allem Zeitzeugen vor Ort befragt, um Gräber ausfindig zu machen.