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In diesen 1911 entstandenen Erzählungen verdichtet Iwan Bunin Momentaufnahmen des russischen Dorfes am Vorabend des Ersten Weltkrieges und der Revolution. Oft erzählen seine Figuren selbst ihre Geschichte, so wie die Tochter eines ehemaligen Leibeigenen. Diese Menschen verbindet vielfach ein grausames Schicksal, das ihnen Widerstandsfähigkeit und Überlebenswillen abverlangt. Der aus dem verarmten Landadel stammende Bunin kannte das russische Dorf wie kaum ein Intellektueller seiner Zeit. Er schildert das Leben der Menschen auf dem Lande, und er bettet die Schicksale in wunderbare Landschafts- und Naturbeschreibungen ein, mit denen sie sich zu einem dunkel leuchtenden Tableau fügen.
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Seitenzahl: 289
IWAN BUNIN
GESPRÄCH IN DER NACHT
Erzählungen 1911
Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Thomas Grob
DÖRLEMANN
Die Übersetzung folgt der Ausgabe Polnoe sobranie sotschinenij I. A. Bunina. Petrograd: A. F. Marks 1915 (Erz. 1–6 aus Bd. V, S. 206–315; Erz. 7 und 8 aus Bd. VI, S. 126–128 und 142–148) eBook-Ausgabe 2014 Die Übersetzerin dankt der Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung, für die Unterstützung der Arbeit an diesem Buch. Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © 2013 Archive of Ivan Bunin © 2013 Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung des Gemäldes »Dämmerung. Heuschober« von Isaak Levitan Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-908778-53-0www.doerlemann.com
Iwan Bunin
HUNDERTACHT
Früh spürt man den Herbst, seine Ruhe. Es ist Anfang August, scheint aber eher wie in einem heiteren September, wenn es nur an einem windstillen, sonnigen Plätzchen noch heiß ist.
Der Lehrer Iwanizki, ein junger, aber ungewöhnlich ernsthafter Mann, der beim kleinsten Anlaß in tiefe Gedanken versinkt, geht gemächlich den sanft ansteigenden Hügel hinauf, über den Viehweg durch das Anwesen der bettelarmen Fürsten Koselski. Der Lehrer hat die eine Hand hinter den breiten Gürtel gesteckt, mit dem sein langes Hemd aus Bastseide zusammengehalten wird, zupft mit der anderen die Enden seines spärlichen weißblonden Schnurrbarts, hält die langgestreckte, magere Gestalt gebeugt und kneift die wachsamen grünlichen Augen zusammen. Mit seinem Spaziergang nimmt er Abschied vom Dorf– dieser Tage wird er nach Moskau fahren, zur Universität.
Auf dem Viehweg liegt Schatten. Rechter Hand ist ein großer Garten hinter einem Wall aus Stroh, linker Hand eine alte Schmiede, ein zerfallener Hundezwinger, leere, aus rosa Ziegeln gebaute Getreidedarren und dazwischen die Einfahrt zu einem unübersehbar großen, gleichfalls leeren Dreschplatz. Über dem schon lichter gewordenen Garten liegen Stille und schräger Sonnenglanz; hier und da schillert goldenes Spinngewebe in allen Regenbogenfarben; still liegen Schattenflecke unter den Apfelbäumen; bisweilen fällt mit einem kurzen, dumpfen Schlag ein reifer Apfel in das seidige, trockene Gras. Auf dem eingesunkenen Grasdach der Schmiede wuchert allenthalben samtig-smaragdgrünes, bräunlich schattiertes Moos. Die abgedeckten Darren sind schwer und wuchtig und künden mit ihren Umrissen von uralten Zeiten. Und all das– das Moos auf der Schmiede, der mit Kletten überwucherte Hundezwinger, die kahlen Dachgerippe über den rosa Ziegelmauern–, all das ist so wunderschön vor dem klaren hellblauen Himmel zwischen den weißen runden Wolken. Auf dem gewaltigen leeren Dreschplatz prasseln die Spatzen einem Platzregen gleich von einem Brennesselstrauch zum nächsten. Hinter diesem Gesträuch erhebt sich das rosa schimmernde Espenwäldchen… Der Lehrer geht zu den Solowjows, er will vor seiner Abreise noch einmal ihren Großvater Taganok besuchen. Uralt ist er, wie man in Koselschtschina sagt: Er ist hundertacht, er ist eine Berühmtheit im Kreis.
Hinter dem Gut führen Straßen zwischen Höfen und Gemüsegärten hindurch. Der Lehrer biegt nach links in die Straße ein, die zwischen dem mit Gebüsch bewachsenen Erdwall am Dreschplatz und den alten Katen der früheren Leibeigenen des Fürsten verläuft. Sie ist leicht abschüssig und scheint in den zartgrünen, septemberlichen Horizont zu münden. September liegt auch in den Spitzen der Weiden, die da und dort vor den Katen wachsen und deren feines, sich gelblich verfärbendes Laub vor den weißen Wolken und dem Azurblau durchscheinend leuchtet; September liegt im goldenen Sonnenlicht und in dem durchsichtigen Schatten, der von den Katen auf die Straße fällt, auf die Wagen mit den Wassertonnen, die mit scheckigen Pferdedecken und Bauernmänteln abgedeckt sind… Der Lehrer wirft im Vorübergehen von der Seite her einen Blick auf die Katen, auf die kleinen Fenster und die Vortreppen.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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