Gestohlene Gefühle - Raywen White - E-Book

Gestohlene Gefühle E-Book

Raywen White

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Beschreibung

Zwei Feinde müssen zusammenarbeiten, aneinander gebunden durch einen Zauber – kann sie ihm vertrauen? Als die Diebin Shaira auf einer Party in New York ankommt, hat sie nur ein Ziel: Ein Artefakt stehlen und schnellstmöglich wieder verschwinden. Doch sie hat die Rechnung ohne den Vampir Veyd gemacht. Seinetwegen verliert sie nicht nur das Artefakt, sondern muss auch um ihr Leben fürchten. Denn offenbar sind nicht nur Shairas Auftraggeber hinter dem Artefakt her. Um zu entkommen setzt sie ein spezielles Elixier ein, das Veyd zwingt, ihre Schmerzen zu teilen. So hat er keine Wahl, als sie vor ihren Feinden zu beschützen, statt sie ihnen auszuliefern. Während Shaira sich immer mehr zum gutaussehenden Veyd hingezogen fühlt und ihm zugleich misstraut, beginnt eine erbarmungslose Jagd … Von Raywen White sind bei Forever by Ullstein erschienen: Entfachte Glut (Der Fluch der Unsterblichen 1) Vergessene Leidenschaft (Der Fluch der Unsterblichen 2) Flammender Sturm (Der Fluch der Unsterblichen 3) Gestohlene Gefühle (Der Fluch der Unsterblichen 4)

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Seitenzahl: 681

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Gestohlene Gefühle

Die Autorin

Raywen White lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Raum Frankfurt am Main. Schon als Kind wurde ihr nachgesagt, sie habe eine lebhafte Fantasie. Diese hat sie sich glücklicherweise bis heute bewahrt. Denn erst in den letzten Jahren entdeckte die Diplominformatikerin ihre Leidenschaft fürs Schreiben. Ganz besonders haben es ihr dabei die Genres Fantasy und Romance angetan, die sie gekonnt miteinander verbindet.

Das Buch

Zwei Feinde müssen zusammenarbeiten, aneinander gebunden durch einen Zauber – kann sie ihm vertrauen?

Als die Diebin Shaira auf einer Party in New York ankommt, hat sie nur ein Ziel: Ein Artefakt stehlen und schnellstmöglich wieder verschwinden. Doch sie hat die Rechnung ohne den Vampir Veyd gemacht. Seinetwegen verliert sie nicht nur das Artefakt, sondern muss auch um ihr Leben fürchten. Denn offenbar sind nicht nur Shairas Auftraggeber hinter dem Artefakt her. Um zu entkommen setzt sie ein spezielles Elixier ein, das Veyd zwingt, ihre Schmerzen zu teilen. So hat er keine Wahl, als sie vor ihren Feinden zu beschützen, statt sie ihnen auszuliefern. Während Shaira sich immer mehr zum gutaussehenden Veyd hingezogen fühlt und ihm zugleich misstraut, beginnt eine erbarmungslose Jagd …

Von Raywen White sind bei Forever by Ullstein erschienen:Entfachte Glut (Der Fluch der Unsterblichen 1)Vergessene Leidenschaft (Der Fluch der Unsterblichen 2)Flammender Sturm (Der Fluch der Unsterblichen 3)Gestohlene Gefühle (Der Fluch der Unsterblichen 4)

Raywen White

Gestohlene Gefühle

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinOktober 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-364-3

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Gestohlenes Herz

1.

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4.

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8.

9.

10.

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30.

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33.

34.

35.

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Flammender Sturm

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Gestohlenes Herz

Widmung

Für mein geflügeltes Monster. Ich vermisse dich.

Gestohlenes Herz

Hoffnung

Staubpartikel wirbelten durch die schale und trockene Luft. Atemlos verharrte jeder der Novizen auf den Knien, den Kopf gesenkt. Das Schlagen der Herzen hallte durch den Raum wie das stetige Dröhnen von Trommeln. Die Blicke waren fest auf den körnigen Sand gerichtet, in dem sie seit Stunden hockten. Sand, der sich über alles legte, in jede Ritze eindrang und zwischen den Zähnen knirschte.

Das wenige Licht, das durch kleine Öffnungen sickerte, durch die weiterer Sand in das große Gewölbe rieselte, veränderte seine Farbe. Es wurde wärmer und gab den kleinen Steinchen unter ihren Knien einen goldenen Ton, bevor es schwand und die Schatten der Nacht sich über die Frauen und Männer legten.

Keiner sagte ein Wort. Keiner beschwerte sich. Keiner unterbrach die Prüfung. Denn keiner wollte versagen! Jeder von ihnen war aus einer anderen Intention heraus hierhergekommen war, doch nun warteten sie gemeinsam in der Dunkelheit, mit dem gleichen Ziel: ihr altes Leben zurückzulassen.

Die verzweifelte Hoffnung auf Erlösung hing wie eine dunkle Wolke über den Anwesenden. Die Vergangenheit des Einzelnen spielte hier keine Rolle. Man gab sich selbst auf, um Teil von etwas Größerem zu werden. Es war ein Neubeginn. Eine Reinigung der Seele. Eine Wandlung in etwas Mächtigeres.

Ein dumpfer Schlag durchbrach die Stille. Einer der Novizen hatte es nicht geschafft und jeder hoffte, dass er nicht der nächste sein würde, dessen bewusstloser Körper aus der großen Halle unter dem Wüstensand gezerrt wurde. Wenn man diese einfache Prüfung nicht überstand, wie sollte man dann das kommende Training überleben? Ein Training, das einen brechen würde. Seelisch und körperlich. Das einen in die kleinsten Teile seines Selbst zerlegte, um einen dann neu zu formen. Die wenigsten wussten, was sie hier erwarten würde, sonst hätten sie schon längst schreiend dieses Gewölbe verlassen. Sie wären geflohen vor den Schrecken und den Entbehrungen, die vor ihnen lagen. Dies war nur der Anfang eines Weges, den man, einmal betreten, nicht wieder verlassen konnte.

Der beißende Geruch von Urin mischte sich mit dem penetranten Gestank kalten Schweißes. Ein weiterer Novize kippte um und wurde von jemandem in einem weiten Gewand unter den Achseln gepackt. Die Fersen hinterließen Schleifspuren im Sand, die unter den Fußabdrücken eines Mannes verschwanden, der leise durch den Raum schritt und nach vorne trat.

Dort blieb er stehen und stellte die Geduld der Novizen auf eine weitere Probe. Der Herzschlag einiger beschleunigte sich in Erwartung, dass sie jeden Moment erlöst wären und die Prüfung bestanden sei.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Mann die weite Kapuze, die bisher sein Gesicht verborgen hatte, nach hinten streifte und sein Gesicht enthüllte. Viele atmeten bei dem Anblick des finster dreinblickenden Kriegers scharf ein. Narben zierten sein Gesicht und zeugten von seinen geschlagenen Schlachten.

Ein Schaudern durchlief die Körper der Novizen und Angst machte sich in ihren Herzen breit. Erst als er jedem von ihnen direkt in die Augen gesehen hatte, erhob der glatzköpfige Mann seine Stimme. »Geht! Verlasst diesen Ort solange ihr noch könnt. Wenn ihr erst ein Teil von uns seid, wird der einzige Weg uns zu verlassen der Tod sein. Ruhm und Reichtum werdet ihr hier nicht finden. Wir sind Schatten, die in der Dunkelheit leben.« Es war wie ein Paukenschlag. Das Echo seiner Worte hallte von der rauen Gewölbedecke und ließ weiteren Sand von ihr rieseln.

Unruhe kam auf und einige der Novizen wechselten besorgte Blicke. Die meisten blieben knien, aber es gab auch welche, die aufstanden und den Worten Folge leisteten. Der Mann schnaubte. »Erbärmlich!« Erst als Ruhe eingekehrt war, sprach er weiter. »Steht auf!«

Alle erhoben sich. Hier und da wurde Stöhnen laut, als Knochen, Muskeln und Sehnen sich der plötzlichen Bewegung wiedersetzten, nachdem sie lange Zeit in ihrer Position verharrt hatten. Abermals kippten einige der Novizen um, wurden durch Wassermangel und Hitze in die Bewusstlosigkeit gezogen, aus der sie erst wieder erwachen würden, wenn sie sich weit weg von diesem Ort befanden, ohne eine Erinnerung an die letzten Tage dieser Prüfung.

Niemand blickte ihnen nach, während sie aus dem Raum geschleift wurden. Aller Augen waren auf den Mann gerichtet, der in dem schwarzen Mantel vor ihnen stand und wartete, bis wieder Ruhe einkehrt war. »Ihr seid von diesem Moment an nicht mehr ihr selbst. Ihr seid nicht mehr als ein Klumpen Metall, den wir formen werden. Den wir bearbeiten, bis er eine Klinge aus härtestem Stahl ist. Eine Waffe des Todes. Willkommen bei der Gilde der Assassinen.«

1.

Eben noch hatte Shaira mit dem gutaussehenden Unbekannten geflirtet und schon im nächsten Moment wurde sie brutal zur Seite gestoßen. Beherrscht schluckte sie den derben Fluch hinunter, der ihr auf der Zunge lag. Sie war eine Dame und wusste, wie man sich in solch gesellschaftlichen Kreisen zu verhalten hatte.

Die steife Wohltätigkeitsveranstaltung in den noblen und großzügigen Räumlichkeiten ihres Gastgebers verwandelte sich innerhalb von Sekunden in das reinste Chaos. Männer feuerten die beiden Kontrahenten an. Frauen schrien auf und stolperten außer Reichweite des Kampfgeschehens.

Das dumpfe Geräusch einer Faust, die auf Knochen traf, löste in ihr dennoch den Wunsch aus, sich dazwischen zu werfen und ebenfalls einige gezielte Schläge auszuteilen. Allerdings würde sie das nicht tun. Sie brauchte den Zutritt zu den oberen Zehntausend und ein Fehlverhalten sprach sich schnell herum. Normalerweise hatte Shaira nichts gegen einen guten Fight und hätte es sich nicht nehmen lassen dabei zuzusehen, wie die beiden stattlichen Männer aufeinandertrafen. Für so etwas war sie allerdings nicht hier. Der Name einer Frau fiel. Sie verdrehte genervt die Augen und wandte sich ab. Es ging doch bei diesen testosterongesteuerten Dummköpfen immer um Frauen oder darum, dem Ego eine neue Trophäe zu präsentieren.

Was sie an diesem Moment am meisten störte, war, dass ihr schöner Plan gerade am Boden lag und von jedem neugierig taxiert wurde, während ein wildgewordener, um sich schlagender Schotte von ihm heruntergezerrt wurde. Mal davon abgesehen, dass ihr geschmackvolles neues Kleid von Valentino, was sie ein kleines Vermögen gekostet hatte, ruiniert war und feucht an ihrem Körper klebte. Shaira atmete tief durch und stellte das Sektglas, dessen Inhalt sich gerade zwischen ihren Brüsten sammelte, auf ein kleines Sideboard ab.

O ja, sie hätte diesen beiden Idioten gerne eine verpasst. Männer! Innerlich fluchte sie, auch wenn sich ihr in diesem Moment eine günstige Gelegenheit bot. Die meisten Gäste konzentrierten sich auf das Geschehen und würdigten sie keines Blickes, während sie den Raum verließ. Selbst die Aufpasser, die im Flur postiert waren, damit keiner der Besucher sich zufällig in das falsche Zimmer verirren konnte. Sie waren stattdessen damit beschäftigt die panischen Menschen, die wie aufgeschreckte Hühner durch den Raum eilten, zu beruhigen.

Wenn der Sekt nicht so ekelig kleben würde, wäre sie diesen beiden Hornochsen für die gelungene Ablenkung sogar dankbar gewesen. Geschwind schlüpfte sie aus ihren High Heels, nahm sie in die Hand und raffte ihr Kleid, um über die Absperrung zu steigen und die Treppe hinaufzueilen, die zu den privaten Räumlichkeiten ihres Gastgebers führte. Keine weitere Menschenseele begegnete ihr auf dem Weg durch den dunklen Flur zu ihrem Ziel. Dieser Job war fast schon langweilig, so einfach war er. Nicht einmal ihre speziellen Fähigkeiten würde sie benötigen, um einige Dinge mitgehen zu lassen. Wenn der Kerl irgendwelche Volltrottel einstellte, die diesen Bereich bei dem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten ungeschützt ließen, war er selbst daran schuld, wenn man ihn beklaute.

Und es gab einiges zu klauen. Bereits im großen Saal hatte es Shaira in den Fingern gejuckt, einige Dinge mitgehen zu lassen, denen ein Großteil der Besucher nicht einmal einen zweiten Blick schenkte. Die meisten Gäste waren schon mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen, während Shaira die ersten Jahre ihres Lebens damit verbracht hatte, um ihr Überleben zu kämpfen.

Ursprünglich war ihr Plan gewesen, einen gutaussehenden Kerl aufzureißen und sich mit ihm zufällig ins Schlafzimmer des Hausherrn zu verirren. Denn das Objekt, weswegen sie hier war, befand sich in diesem Raum. Um ganz genau zu sein, in dem großen Ankleidezimmer. Die Tür war jedoch dummerweise abgeschlossen. Sie stellte die Schuhe ab und zog zwei lange Nadeln aus ihrer Hochsteckfrisur, die immer noch von den kunstvollen Dolchen zusammengehalten wurde, die sie ständig bei sich trug – für Notfälle. Kurz starrte sie auf ihr Werkzeug, atmete durch und setzte dann den Spanner ein. Ihr Atem ging flach und ihre Konzentration teilte sich zwischen den kleinen Stiften im Schloss und ihrer Umgebung auf. Mit einer sachten Bewegung drückte sie gegen die Metallteile, bis es leise klickte. Sie ging dabei sehr sachte vor, stocherte nicht herum, als würde sie gelangweilt ihr Essen auf seine Bestandteile überprüfen. Es sollten keine Spuren zurückbleiben. Shaira verstand ihr Handwerk und sie würde nicht unvorsichtig werden.

Mit dem Klick des letzten Stiftes ruckte ihr Kopf hoch und Shaira hielt den Atem an. Schritte. Auf der Treppe. Sie kamen näher. Ihr Herz schlug weiter im ruhigen Takt eines Metronoms, während sie den Knauf drehte. Auf Fingerabdrücke achtete sie nicht, denn ihre Hände steckten in weißen Handschuhen, die ihr bis zu den Ellenbogen reichten und ihrem eleganten Outfit den letzten Schliff verliehen.

Shaira bückte sich, ergriff ihre Pumps und schloss die Tür in dem Moment leise hinter sich, als Gemurmel im leeren Flur erklang. Sie verharrte reglos an der Tür und lauschte. Das Klappern der Absätze auf dem teuren Marmor näherte sich unaufhörlich. Die Vibrationen der Schritte waren im Boden zu spüren und Stimmen drangen gedämpft durch das Holz an ihre Ohren.

Sie durchstreifte mit einem Blick den riesigen Raum, in den ihre Wohnung dreimal hineingepasst hätte und der nur durch die Lichter der New Yorker Skyline beleuchtet wurde. Es war in ihrem Beruf von Vorteil im Dunkeln hervorragend sehen zu können. Sie huschte schnell zu einer weiteren Tür, hinter der sich das Ankleidezimmer verbarg.

Atemlos verharrte sie in einer geduckten Position. Wartete einige Sekunden, bevor sie die angehaltene Luft kräftig ausstieß und sich wieder aufrichtete. Offensichtlich war das Schlafzimmer nicht das Ziel der beiden Personen im Flur gewesen. Suchend sah sie sich um. Die kleine Kamera, die sich hinter einem Lüftungsgitter versteckte, entdeckte Shaira auf Anhieb. Es war ein einfaches Aufnahmegerät mit integrierter Festplatte. Mit einem leichten Ruck löste sie das Kabel, sodass man morgen nur weißes Rauschen auf der Platte entdecken würde.

Sie schaltete das Licht ein. Die grelle Beleuchtung schmerzte für einen Moment ihren Sehnerv, bevor ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Shaira mochte diese Neonröhren nicht, die bis in den letzten Winkel alles ausleuchteten und bei ihr für Kopfschmerzen sorgten. Sie bevorzugte die Nacht, die ihr Schutz gewährte. Mit den Fingern strich sie über einige der teuren Anzüge, die ordentlich in Reih und Glied hingen. Wo würde sich wohl ein Safe verstecken? Hier? Oder doch in einer der vielen Schubladen?

Sie wusste nur eins: Das, was ihr Auftraggeber begehrte, befand sich in diesem Raum. Leise schob sie die Kleiderbügel zur Seite und begann systematisch die Wand abzuklopfen. Öffnete jede einzelne Schublade der modernen Einbauelemente. Sie schnappte sich einen Hocker und kletterte hinauf, um auch an die oben gelegenen Regalfächer zu kommen. Nichts!

Gut, es war nicht nichts. Sie fand teure Uhren, Manschettenknöpfe und Anstecknadeln aus Platin. Aber deswegen war sie nicht hier.

Frustriert drehte sie sich im Kreis und ihr Blick fiel auf eine Fernbedienung, die vor einem kleinen Monitor auf einer Kommode lag. Sie legte ihren Kopf schräg. Die Haut zwischen ihren Brüsten juckte von dem mittlerweile getrockneten Sekt. In Gedanken verdammte sie erneut die beiden Hornochsen. Jedoch verdrängte sie ihre Abscheu und ging zielstrebig zu der Hochglanzfront, in der sie die Schubladen bereits durchsucht hatte. Jetzt zog sie den Schubkasten so weit es ging heraus und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie feststellte, dass dieser bestimmt dreißig Zentimeter Platz zur Wand ließ. Sie zog ihr enges Kleid hoch, sodass sich der weiche Stoff um ihre Hüften bauschte, kletterte auf das Möbelstück und presste ihre Wange an den rauen Putz, um den Spalt zwischen Wand und Kommode zu inspizieren. Jeden Zentimeter untersuchte sie penibel, bevor sie sich sicher war, dass keine versteckten Drähte einen Alarm auslösen würden. Eigentlich hatte sie mit besseren Sicherheitsvorkehrungen gerechnet, wenn sie an die wertvollen Kunstgegenstände dachte, die im ganzen Penthouse standen und hingen.

Auch wenn die Wohnung in einem dunklen und maskulinen Stil eingerichtet war, der einen erlesenen Geschmack und Feinsinn für Investitionen erahnen ließ, so war die weibliche Note nicht zu leugnen. Entweder hatte ihr Gastgeber eine hervorragende Innenarchitektin oder ein weibliches Familienmitglied, das sich um so etwas kümmerte. Jedenfalls wusste er das Ganze nicht zu schätzen, war ein sorgloser Idiot oder – und das wäre fatal – sie hatte etwas übersehen.

Nach einer weiteren Prüfung war sie sich sicher, dass der erste Fall zutraf und sie drückte auf der Fernbedienung die rote Taste. Sollte sie tatsächlich den Alarm auslösen – was nicht passieren würde – so hatte sie einen Fluchtplan, und wenn der nicht funktionierte, würde sie einfach nackt im Bett liegen und betrunken säuseln, dass sie auf den Hausherrn wartete.

Doch statt eines schrillen Alarms erklang nur das Summen eines kleinen Motors. Aus dem Holz fuhr der Safe nach oben und präsentierte ihr sein digitales Nummernschloss. Dicht ging sie an die Tasten heran und legte ihren Kopf erneut schräg. Deutlich erkannte man anhand eines leichten Fettfilms der Finger, welche Tasten der Hausherr regelmäßig nutzte. Eins. Zwei. Acht. Neun. Dieser Job war so langweilig und bot keine Herausforderung, dass ihr langsam wirklich der Spaß verging und sie nur noch schnell fertig werden wollte. Sie tippte das Geburtsjahr des Mannes ein, der hier wohnte, und der Metallkasten öffnete sich mit einem leisen Klick.

Vorhersehbar. Ihr Gastgeber war eindeutig ein sorgloser Idiot. Glücklicherweise war er nicht der Einzige in New York, sodass Shaira auf ewig ausgesorgt hatte. Sie öffnete die Tür und musterte das Innenleben. Einige Akten und Papiere lagen ordentlich gestapelt in dem kleinen Safe. Eine 9-Millimeter und ein merkwürdiger kleiner Würfel, in dessen metallener Oberfläche sich das Licht brach. Im ersten Moment sah es aus, als würden sich die vielen Streben, aus denen er bestand, wie Schlangen umeinander winden. Er wirkte antik, goldglänzend und zugleich hochmodern. Seltsame Zeichen waren in das Metall geschnitzt. Er entsprach genau der Beschreibung.

Shaira griff nach dem Objekt und spürte einen schwachen Widerstand, als wenn sie zwei Magnete mit gleichen Polen immer näher aneinander brachte. Es kribbelte, als ihre Hand das Metall umschloss. Trotz des Handschuhs fühlte es sich heiß und kalt zugleich an. Sie sprang von der Kommode herunter und zog die Dolche und restlichen Nadeln aus ihrem Haar, sodass es in weichen Wellen über ihre Schultern bis hinab zur Mitte ihres Rückens fiel. Sie schüttelte es und betrachtete mit einem Lächeln die Spiegelung ihrer selbst im Monitor. Mit den Fingern kämmte sie sich das Haar und wickelte es um das Objekt zu einer lockeren Hochsteckfrisur, die sie mit den beiden kleinen diamantbesetzten Dolchen wieder feststeckte. Sie drückte auf die Fernbedienung und der Safe verschmolz mit der Kommode zu einer Einheit, während sie die letzten Spuren ihres Besuchs verwischte. Bevor sie den Ankleideraum verließ, glitten ihre Augen ein letztes Mal über die Einrichtung und sie nickte zufrieden. Es sah alles aus, als wäre sie niemals hier gewesen.

Leichtfüßig tänzelte sie durch das Zimmer zur Tür und genoss noch einmal den Anblick, den ihr die großen Fenster boten. Der fast volle Mond lugte hinter einem der Hochhäuser hervor und leuchtete mit der Stadt um die Wette. Tief atmete sie ein und verließ den Raum. Sie huschte den Gang entlang und horchte auf jedes Geräusch. Die Musik der Party übertönte ihre Schritte, während sie in den Salon zurückkehrte. Als der Flur einen Knick machte, blieb sie stehen und spähte vorsichtig um die Ecke, um zu sehen, ob die Security bereits wieder an ihrem Platz am Fuße der Treppe stand. Und das tat sie.

Shaira biss sich auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, wie sie an den Männern vorbeikommen könnte, als ein unerträgliches hohes Pfeifen ihr empfindliches Gehör malträtierte, das außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsbereichs lag.

»Was suchst du hier?«, erklang hinter ihr eine Stimme.

Shaira stieß vor Schreck einen spitzen Schrei aus, der von einer Hand, die sich über ihren Mund legte, sofort gedämpft wurde. Im selben Augenblick schämte sie sich ihrer Reaktion, die sie beinahe verraten hätte. Es hatte noch nie jemand geschafft sich an sie heran zu schleichen. Dieser verdammte stille Alarm! Sie verfluchte denjenigen, der ihn ausgelöst hatte, denn sie war sich sicher, dass sie es nicht gewesen war. Der Mann, der sie erwischt hatte, drehte sie zu sich um und ihre Pupillen weiteten sich.

Kristallklare blaue Augen bohrten sich in ihre. Eine kräftige Kieferpartie verlieh seinen feinen Gesichtszügen einen männlichen Charakter und sein schwarzes Haar war vom Kampf mit dem Schotten noch verwuschelt. Er hatte etwas Verwegenes und Anziehendes an sich. Der oberste Knopf des teuren Designerhemds war geöffnet und sein Blick herausfordernd. An ihren Fingern spürte sie die kräftigen Muskeln, die sich unter dem perfekt sitzenden Jackett verbargen. Sein Herzschlag war ruhig und gleichmäßig, im Gegensatz zu ihrem, der durch den Schreck in einen kräftigen Galopp gefallen war. Oder lag es an ihm?

»Was suchst du hier?«, wiederholte er bedrohlich und legte seine Hände schwer auf ihre Schultern, sodass sie sich gefangen fühlte. Wie in einem Käfig. Wenn sie eines nicht mochte, dann, dass ihre kostbare Freiheit eingeschränkt wurde. Fieberhaft suchte sie nach einer Ausrede und ihr ursprünglicher Plan kam ihr in den Sinn: Sie hatte diesen gutaussehenden Leckerbissen verführen wollen, um ihn zu überreden, mit ihr in das Schlafzimmer ihres Gastgebers zu gehen. Während er auf dem Bett auf sie gewartet hätte, wäre sie mit dem Versprechen, sich für ihn zurecht zu machen, in das Badezimmer geschlüpft, das ebenfalls eine Tür zum Ankleidezimmer besaß. Nachdem sie das Objekt an sich genommen hätte, wäre sie nackt zu ihm zurückgekehrt. Es hätte diesem Job wenigstens etwas Nervenkitzel verliehen. Und es war ein verdammt gutes Alibi.

»Dich!«, raunte sie heiser, stellte sich auf Zehenspitzen und legte kurzerhand ihre Lippen auf seine. Sie griff in sein Haar, um ihn näher an sich zu ziehen. Ihre Brüste presste sie an seinen Oberkörper und drängte ihre Hüften an seine. Ihre Wange rieb sie an seiner rauen Haut. »Ich habe dich gesucht«, flüsterte sie ihm verführerisch ins Ohr und löste sich lächelnd von ihm. Ihr Blick wanderte nach unten und sie öffnete einen weiteren Knopf seines Hemdes. Helle Haut kam zum Vorschein, auf die sie ihre Lippen presste und an der sie leicht knabberte. Ihre Finger tasteten sich blind weiter, öffneten ihrem Mund einen Weg, der immer tiefer führte. Sein Geschmack war leicht herb und salzig. Sie zog das Hemd aus seiner Hose und öffnete den Gürtel, während ihre Zunge die Konturen seiner Bauchmuskeln nachfuhr, die sich unter ihren Liebkosungen zusammenzogen.

Der Kerl hätte schon vom anderen Ufer sein müssen, um auf ihr Angebot nicht zu reagieren. Verheiratet war er jedenfalls nicht – zumindest trug er keinen Ring am Finger, wie Shaira auf der Party bereits bemerkt hatte. Allerdings zeigte er immer noch keine Reaktion. Sie spürte nur seinen durchdringenden Blick auf sich und bekam eine Gänsehaut.

Der Alarm verstummte und die Männer im Flur sprachen leise in ihre Headsets. Verdammt, sie musste hier weg. Die Hände des Fremden umfingen plötzlich ihr Gesicht, zogen sie zu sich nach oben und schon im nächsten Moment eroberte seine Zunge ihren Mund. Sein Kuss war überwältigend, wild und fordernd. Überrascht und zugleich erleichtert über diesen sinnlichen Angriff, der in ihren Nervenbahnen ein Feuerwerk entzündete, war Shaira kurz abgelenkt und schon hatte er eine Tür in ihrem Rücken geöffnet und schob sie in den Raum dahinter, ohne seine Lippen von ihren zu lösen. Erst als sie mit ihrem Po gegen eine harte Kante stieß und ihren Rücken nach hinten bog, ließ er von ihrem Mund ab und glitt mit der Zunge ihren Hals hinab. Das Kribbeln bei seinen Berührungen spürte Shaira bis in die Zehenspitzen und ihre Knie wurden weich. Sie musste sich am Tisch – oder was auch immer hinter ihr stand – abstützen. Das gehörte nicht zum Plan.

Ein Stöhnen entwich ihrem Mund. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sie herum und verwirrt blickte sie in ihr eigenes Spiegelbild. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen glitzerten leidenschaftlich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig bei jedem Atemzug. Ihre Brustwarzen waren hart und deutlich durch den hellen Stoff zu erkennen. Hände legten sich auf ihre Brüste und kneteten sie. Der schwarzhaarige Fremde stand direkt hinter ihr und überragte sie um einen halben Kopf. Sein kalter Blick suchte ihren. Er verriet nichts. Keine Leidenschaft, kein Begehren oder Freude. Nur sein harter Schwanz, der sich dicht an ihren Po drängte, zeigte ihr, dass dem Mann in ihrem Rücken dieses Spiel gefiel. Genau wie ihr. Sie lächelte ihm zu und ließ ihre Zunge lasziv über ihre dunkelroten Lippen gleiten.

Er unterbrach den Augenkontakt nicht, als er seinen Kopf senkte und seinen Mund abermals auf ihren Hals presste. Mit der Zunge zeichnete er Linien, die sich in ihre Haut brannten. Wie gebannt beobachtete sie das Schauspiel. Beobachtete sich. Ihn. Sie genoss das elektrisierende Gefühl seiner Lippen auf ihrer Haut; seine Hand, die ihre Brust knetete. Die andere begann eine langsame Wanderschaft an ihrem Körper entlang. Tiefer und tiefer. Ihre innere Anspannung und Erwartung stiegen mit jedem Zentimeter.

Für einige quälende Sekunden verharrten die sehnigen Finger am Saum ihres Kleides. Berührten flüchtig ihren Oberschenkel. Ihr Atem stockte und sie sah ihn im Spiegel an. Seine eisigen Augen taxierten sie, schienen auf irgendetwas zu warten. Erst als ein zustimmendes Stöhnen ihre Kehle verließ und sie ihre Hüften an seinen rieb, begann der Fremde ihr das Kleid hoch zu schieben. Quälend langsam. Die Hand, die eben noch ihren Nippel durch den Stoff gereizt hatte, wanderte nun ebenfalls nach unten und traf bereits auf Höhe des Bauchnabels auf nackte Haut. Ein herrliches Prickeln durchlief ihren Körper und sammelte sich brennend in ihrem Unterleib.

Der Atem des Fremden war heiß, ließ sie erschauern. Mit den Zähnen kratzte er über ihren Hals, während er zugleich seine Hand in ihr Höschen schob. Langsam strich er an den Falten ihres Geschlechts entlang und wie von selbst öffnete sie ihre Beine ein Stück. Seine Finger teilten ihre Schamlippen. »So feucht. Du kannst es wohl kaum erwarten?«, murmelte er.

Shaira war unfähig diese Frage zu beantworten. Ihr Körper summte vor Erregung. Das hatte eindeutig nicht mit zum Plan gehört. Das Ganze ging ihr zu schnell und doch wartete sie ungeduldig darauf, was als nächstes passieren würde. Sie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Es war als würde sein Blick sie an Ort und Stelle festnageln. Sie sah die Bewegung seines Armes und der Fingerknöchel durch den Spitzenstoff ihres Slips. Dieser Kerl war überraschend fingerfertig. Innerhalb von Sekunden hatte er ihren empfindlichsten Punkt gefunden und rieb in einem schnellen Rhythmus über die kleine Perle, sodass sie fast vergaß, wo und in welcher Gefahr sie sich befand.

Einen Moment lang dachte sie an die kleine Nadel, die ein Nervengift enthielt und in dem ledernen Strumpfband steckte, das um ihren Schenkel geschnallt war. Ursprünglich hatte sie den Kerl schnell in das Reich der Träume schicken wollen. Sie wäre nur noch ein Schemen in seinen Erinnerungen gewesen, sobald er im Bett ihres Gastgebers erwacht wäre.

Schwere Stiefel waren auf dem Gang zu hören und erinnerten sie an ihren Auftrag. Gerade hatte sich der Plan geändert. Sie stieß einen Lustschrei aus und wartete darauf, dass jeden Moment einer von der Security die Tür aufreißen und sie unterbrechen würde.

Sie beugte sich vor, erwiderte den Blick des Fremden herausfordernd und rieb ihren Po an seiner Vorderseite. Ein leises Knurren war die Antwort und seine Hand kniff in ihr heißes Fleisch, während er sie dichter an sich zog. Danach spielten seine Finger einen schnelleren Rhythmus. Ihr Körper schmolz. Sie glitt tiefer an seinem Leib hinab, ließ sich von ihm halten und öffnete sich ihm mehr. Er dankte ihr dieses Vertrauen, indem er einen Finger in sie stieß. Seine Augen glitzerten wie Eis und ließen sie innerlich frösteln. Sein Atem auf ihrem Hals war wie Feuer, das sie verbrannte. Mit den Zähnen kratzte der Fremde über ihre Haut. Für den Augenblick vergaß sie, warum sie hier war, warum sie ihn reizte und warum sie bei klarem Verstand bleiben sollte.

Sie stand kurz davor. So kurz. Für einen Moment hoffte sie sogar, noch nicht von der Security erwischt zu werden. Ein Stöhnen drang über ihre Lippen, gefolgt von einem Keuchen und sie ließ den Kopf in den Nacken fallen und unterbrach den Augenkontakt mit dem Fremden. Ihre Kapitulation. Das Einzige, was sie jetzt noch wollte, war Erlösung; war, dass er statt mit seinem Finger mit der harten Erektion, die sich heiß gegen ihren Po drückte, in sie stieß. Plötzlich spürte sie einen kurzen Stich an ihrem Hals und die Wellen der Ekstase schlugen über ihr zusammen.

Vampir, war der letzte klare Gedanke, den sie hatte, bevor sie einen hemmungslosen Schrei ausstieß und die Tür mit Schwung aufgerissen wurde.

2.

Ihr Blut war süß und verheißungsvoll. Dickflüssig rann es Veyds Hals hinab und mischte sich mit dem Adrenalin in seinen Adern. Er konnte den Blick nicht von der Frau in seinen Armen abwenden, deren Augen sich schlossen und ihn aus ihrer Gefühlswelt aussperrten. Er hätte zu gern die Ekstase in ihren geweiteten schwarzen Pupillen gesehen, die von einem honigfarbenen Ring umgeben waren. Aber er konnte sie spüren, fühlte das kräftige Schlagen ihres Herzens, das immer mehr ihres magischen Blutes in seinen Mund pumpte. Ihr ganzer Leib zitterte und ihre Fingernägel hatten sich tief in die Muskulatur seines Unterarms gegraben, während ihr Inneres sich immer wieder in Kontraktionen um seinen Finger schloss. Für einen Moment bedauerte er, dass sie unterbrochen worden waren, obwohl das genau das war, was er beabsichtigt hatte. Aber wer hatte ahnen können, dass dieses Stelldichein, das nur sein Alibi sein sollte, so heiß werden würde und der kesse Hintern, der sich an seinem Unterleib rieb, in ihm den Wunsch weckte, dieses Techtelmechtel an einem anderen Ort fortzuführen.

Noch einmal genoss er den Anblick der rassigen Rothaarigen im Spiegel. Allerdings war er nicht der Einzige, der das tat. Ein dunkelhäutiger Mann mit der Statur eines Schrankes in schwarzer Uniform, auf der das Logo der Sicherheitsfirma prangte, stand erstarrt in der offenen Tür. Er hatte den Mund weit aufgerissen und sah aus, als hätte er noch nie zwei Menschen beim Sex auf der Toilette erwischt. Mit einem Blick hatte Veyd den Mann analysiert und als ungefährlich eingestuft. Auch wenn er offensichtlich regelmäßig trainierte, so war er doch nur ein gewöhnlicher Mensch. Überraschend, wenn man bedachte, wie viele magische Wesen sich auf dieser Party tummelten.

Zwei kräftige Züge nahm Veyd noch aus der Vene der Frau, bevor er seine Zähne zurückzog und mit einem Zungenschlag die Wunden schloss. Erst jetzt verebbten die Wellen der Lust bei ihr. Die Lider hoben sich langsam und offenbarten ein befriedigtes Glitzern, was verblasste, sobald ihr bewusst wurde, wo sie sich befand und mit wem. Der bestürzte Blick, der über die roten Male huschte und den Wachmann nicht einmal ins Visier nahm, sprach Bände. Panisch versuchte sie Veyd von sich zu schieben und ihr Kleid wieder herunterzuziehen, allerdings steckte seine Hand noch zwischen ihren Beinen.

»Siehst du nicht, dass du störst!«, sagte Veyd zum Störenfried und zog langsam den Finger aus ihrem weichen Fleisch. Ihr Körper erschauerte und sie warf ihm einen warnenden Blick durch den Spiegel zu. Atemlos zupfte sie ihr Kleid wieder an Ort und Stelle und löste sich von ihm. Er lächelte süffisant, als ihre Beine nachgaben und sie sich zitternd am Waschbecken festhalten musste.

Der Wachmann erwachte aus seiner Erstarrung und warf Veyd einen Blick zu, in dem Neid und Bewunderung lagen. »Es tut mir leid, dass ich euch bei … ehm … bei …« Der dunkelhäutige Mann griff sich in den Nacken und grinste verlegen. Wurde er etwa rot?

Veyd zog die Augenbrauen in die Höhe und starrte ihn ungeduldig an. Er wollte endlich hier verschwinden und dafür müsste der Kerl seinen Job machen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie blass die Frau war. Auf seiner Zunge schmeckte er noch ihr süßes Blut, dass ihm bereits nach dem ersten kräftigen Zug aus ihrer Ader verraten hatte, dass sie eine Gestaltwandlerin war. Sie durch den Biss ihrer Sinne zu berauben wie einen gewöhnlichen Menschen, der sich dann später nicht an das Geschehene erinnern konnte, war also nicht möglich. Dabei war ihm die hübsche Frau sehr gelegen gekommen, als der stille Alarm ausgelöst worden war und er eine glaubhafte Ausrede brauchte, warum er im privaten Bereich des Gastgebers herumschlich. Bevor seine Zähne ihre helle Haut durchstoßen hatten, hatte er nicht ansatzweise geahnt, was sie war. Nun schmeckte er zu der mächtigen Süße eine feine herbe Note. Ein überraschendes Detail, das ihm ein Druckmittel in die Hand gab, sollte sie nicht mitspielen.

Offensichtlich erinnerte sich die Wache wieder an ihre Aufgabe und versuchte einen strengen Blick aufzusetzen. »Dieser Bereich ist privat und ihr habt hier nichts zu suchen.«

Die Rothaarige schwankte leicht wie eine Betrunkene und er hoffte, dass er nicht zu viel ihres Blutes genommen hatte. Die Nasenflügel der Wache blähten sich. Die Gestaltwandlerin roch tatsächlich, als hätte sie in Sekt gebadet, allerdings hatte Veyd in ihrem Blut kaum Alkohol geschmeckt. Schnell fing er sie auf, bevor sie zu Boden stürzte. »Ich glaube, du hast etwas zu viel getrunken und wir sollten besser gehen, Vögelchen«, sagte er betont liebevoll, drückte sie an seine Brust und ließ drohend seine spitzen Reißzähne über ihre Schlagader kratzen. Für den Wachmann würde es aussehen, als gebe er ihr einen zärtlichen Kuss.

Er hörte, wie sich ihr Herzschlag einen Takt beschleunigte, dennoch schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, schlang ihre Arme um seinen Hals und blinzelte ihm zu. »Zu dir oder zu mir? Ich muss mich für eben noch revanchieren«, hauchte sie verführerisch und griff ihm beherzt in den Schritt. Er schluckte. Die Vorstellung, wie sie ihre vollen Lippen um seinen Schwanz legte, drängte sich kurz in seine Gedanken. Sämtliches Blut schoss ihm direkt wieder in die Lendengegend. Dann entdeckte er das rachsüchtige Funkeln in ihren Augen und war sich sicher, dass sie auf ihren Blutverlust anspielte. Ihre zarten Finger richteten das kunstvoll hochgesteckte Haar und machten ihn so auf das blitzende Metall der Dolche aufmerksam. Ihm gefiel dieses Spiel. Er erwiderte ihren nervösen Blick mit einem kalten Lächeln. Ihre Spielzeugwaffen hatte er schon längst bemerkt.

Der Wachmann hustete verlegen.

»Sie haben die Dame gehört.« Veyd zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

Der Mann wirkte hin und her gerissen. Bedauernd bewegte er die Kiefer und musterte das Pärchen. Seufzend stöhnte er. »Ich kann euch nicht gehen lassen.«

»Wir haben doch nur ein stilles Plätzchen gesucht. Deswegen wollen sie uns doch nicht etwa festhalten?«, fragte Veyd und bemühte sich, seine Stimme frustriert und verärgert klingen zu lassen, obwohl er die Antwort auf diese Frage bereits kannte. Die beiden Leichen ein paar Türen weiter waren der tatsächliche Grund, warum die Wache sie nicht gehen lassen konnte. Er hatte es zwar so aussehen lassen, als hätten sich die beiden Männer gestritten und sich gegenseitig getötet, doch das hieß nicht, dass die Security sie laufen lassen würde. Nicht, wenn sie ihren Job anständig machten. Er senkte seinen Kopf und küsste den schlanken Hals seiner neuen Bekanntschaft. »Nur weil wir unseren Spaß hatten?« Tief inhalierte er ihren Duft, eine sinnliche Mischung, in der er Minze roch. Erfrischend und belebend.

Er könnte das Leben des Wachmanns beenden. Ein Schritt hinter ihn. Ein Griff in seinen Nacken. Dann das Knacken der Halswirbel. Veyd verspürte große Lust, genau das zu tun, obwohl es nur die Wahrscheinlichkeit steigern würde entdeckt zu werden. Sein Gegenüber betrachtete jedoch die Frau in seinen Armen mit gierigem Blick. Zog sie regelrecht aus und die Wölbung in seinem Schritt war eindeutig.

In sich spürte Veyd die Wildheit und Unbeherrschtheit seiner Spezies. Es störte ihn, dass der andere Mann seine Frau gerade so besitzergreifend betrachtete. Meine Frau. Meine Beute. Dieser Gedanke war es, der Veyd zögern ließ und diesem Dummkopf das Leben rettete. Das Letzte was Veyd wollte war, dass er an eine Frau gebunden war. Er war nicht zum Spaß hier. Ein Job hatte ihn hergeführt und den hatte er erledigt. Jetzt war es Zeit zu gehen. Er holte ein paar Hunderter aus der Jackettasche und hielt sie dem Mann entgegen. »Sie haben nichts gesehen.«

Ein weiterer Mann von der Security tauchte im Türrahmen auf und füllte ihn mit seiner breiten Statur vollkommen aus. »Was zum Teufel ist hier los?«, donnerte er und erfasste das Geschehen mit einem Blick. Er war genauso massig gebaut wie der dunkelhäutige Wachmann, jedoch verrieten die grauen Strähnen in seinem braunen Haar und die vielen kleinen Fältchen, dass er wesentlich älter war. Auf den ersten Blick wirkte er harmloser als sein Kollege, doch er hatte etwas Verschlagenes an sich.

»Ich hab die beiden beim Vögeln erwischt«, rechtfertigte sich der andere Wachmann und Veyd konnte eine Spur Angst in der Luft wittern.

»Ist das strafbar?«, fragte Veyd mit einem streitsüchtigen Unterton in der Stimme und musterte den Neuankömmling neugierig. Er wirkte zwar körperlich nicht ganz so fit, aber dafür geistig wacher.

»Wir haben nicht …«, begann die Frau, wurde aber von dem Typen im Türrahmen unterbrochen, der weder sie noch Veyd beachtete. »Und? Selbst wenn du sie beim Koksen erwischt hättest. Wen interessiert’s? Wir haben zwei blutüberströmte Leichen. Wahrscheinlich, weil solche unfähigen Voyeure wie du lieber anderen beim Ficken zusehen, als ihren Job zu machen! Los verschwinde!«

Die Frau in Veyds Armen wurde weiß wie eine Wand und ihre Knie gaben nach. »Leichen? So richtig tote?«, quietschte sie und ihr Blick huschte entsetzt von der verbleibenden Wache zu Veyds Spiegelbild.

Grollend drehte sich die ältere Wache zu ihnen um. »Ja! Leichen sind in der Regel immer tot!« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus und in seinen Augen stand deutlich, dass er sie für extrem dumm hielt. Sein Blick wanderte weiter zu Veyd und er musterte ihn kurz, dann fixierte er das Geld. »Habt ihr was mitbekommen?«

Veyd schüttelte stumm den Kopf.

Der zwielichtige Wachmann nahm das Bündel Dollarnoten und zählte es durch. »Dann könnt ihr verschwinden. Aber zum Zug wirst’ wohl nicht mehr kommen«, meinte er mit einem Blick auf die Frau, die leicht schwankte.

Die frische Luft, die ihm beim Verlassen des Hochhauses entgegenschlug, machte Veyd erst bewusst, wie stickig es in den Räumlichkeiten ihres nun toten Gastgebers gewesen war. Das blaurote Leuchten der zwei Polizeifahrzeuge, die vor dem Gebäude hielten, spiegelte sich in der glatten Fassade der Gebäude, und die ersten Schaulustigen blieben gaffend stehen.

Die grünen Scheinchen, die er dem Wachmann überreicht hatte, hatten zwar nicht verhindern können, dass einer der Polizisten ihre Personalien aufnahm und ihm riet, vorerst in der Stadt zu bleiben, doch sie hatte zumindest dafür gesorgt, dass sie die ersten waren, die nun das Gebäude verließen.

Er musterte die Frau, die sich bei ihm hilfesuchend eingehakt hatte und immer noch bedenklich blass wirkte. Auf ihrem Ausweis hatte Shaira Newman gestanden, jedoch ging er davon aus, dass dies genauso wenig ihr echter Name war wie Wyatt Johnson seiner. Er überlegte, was er nun mit ihr machen sollte. Merkwürdigerweise pochten seine Reißzähne und seine Kehle war trocken, obwohl er eigentlich genug Blut von ihr genommen hatte, dass er die nächsten drei Tage nicht mehr jagen musste. Er konnte immer noch ihre Erregung an seinen Fingern wittern und spürte das erwartungsvolle Zucken seines Schwanzes. Allerdings hatte er gelernt, seine Bedürfnisse hinter seinen Aufgaben zurückzustellen.

Er schluckte das Verlangen, dort weiterzumachen, wo sie zuvor unterbrochen worden waren, herunter genauso wie den Wunsch erneut von ihr zu trinken. Stattdessen dachte er darüber nach, was er bisher von ihr wusste. Sie hatte heftig mit ihm geflirtet, bevor Gawain MacAllister ihn erwischt hatte. Für einen Moment spürte er Bedauern, als er an den verzweifelten Gesichtsausdruck des Schotten dachte, der nur hatte wissen wollen, wo seine Freundin war. Eine Gefühlsregung, die er sich nicht erlauben durfte. Gefühle bedeuteten Schwäche.

Er war auf diese Party gekommen, um seinen Auftrag zu erfüllen. Einen Mann zu töten. Das war sein Job. Gefühle hatten da keinen Platz. Gewissensbisse würden ihn am Ende nur den Kopf kosten. Also war er aufgestanden, hatte keinen Blick zurückgeworfen und hatte so getan, als wäre alles in bester Ordnung. Er konnte sich nicht daran erinnern, Shaira – oder wie auch immer die junge Gestaltwandlerin in Wahrheit hieß – in diesem Moment irgendwo gesehen zu haben. Zumindest nicht bis er seinen Auftrag erfüllt hatte. Erst danach war er ihr im Flur wieder begegnet, doch er hatte keine Ahnung, wo sie in der Zwischenzeit gewesen war. Laut ihrer Aussage hatte sie ihn gesucht und das machte ihn misstrauisch.

Wäre sie ein normaler Mensch, hätte er sich nicht wirklich etwas dabei gedacht. Aber sie war ein magisches Wesen und auf dieser Veranstaltung waren ihm eindeutig zu viele davon herumgesprungen, als dass es sich nur um eine gewöhnliche Party hatte handeln können, wie man ihm zuvor erklärt hatte. Außerdem war der Gastgeber ein Mensch gewesen, was diesem Job eine Ausnahmestellung gab. Wofür einen Assassinen beauftragen, das Leben eines Menschen zu nehmen, der sowieso innerhalb kürzester Zeit starb?

Dann war da noch Montgomery. Eines der mächtigsten magischen Wesen im Nexus, der Welt der Menschen. Alles, was dieser Mann tat, hatte einen Grund und seine Anwesenheit auf der Wohltätigkeitsveranstaltung machte Veyd nervös. Ebenfalls ein Gefühl, das in seinem Beruf nichts zu suchen hatte. Aber je länger er darüber nachdachte, desto mehr sagte ihm sein Instinkt, dass hier irgendetwas faul war.

Stellte sich also die Frage: Was wusste sie? Sein Blick richtete sich auf ihren Kopf, der müde an seine Schulter gelehnt war. Er würde sie mitnehmen zu sich ins Hotel, wo sie ihm erklären konnte, was sie auf dieser Party zu suchen gehabt hatte und für wen sie arbeitete.

Kaum waren sie in die nächste Seitenstraße eingebogen und somit außer Sichtweite der Menschen vor dem Gebäude, streckte die Frau ihren Rücken durch, ließ ihn los und wollte schnellen Schrittes davonstolzieren. Er folgte ihr mit weitausholenden Bewegungen. »Wo willst du hin?«

»Nach Hause?«, erwiderte sie in einem Ton, als wäre er schwer von Begriff.

»Ich hatte eigentlich gehofft, dass du mit zu mir kommst, damit wir das Stelldichein von eben fortsetzen können.«

Sie blieb stolpernd stehen und blickte zu ihm zurück. Ihre Augen wirkten in der Nacht wie schwarze Seen und das goldene Band darin schien regelrecht zu leuchten. Offensichtlich konnte sie in der Dunkelheit hervorragend sehen.

»Ich bin übrigens Veyd. Veyd Grigorjew«, sagte er höflich und fragte sich zugleich, warum er ihr seinen richtigen Namen nannte. Er rang sich ein Lächeln ab und streckte ihr die Hand entgegen. Er konnte das bittere Aroma von Furcht wittern, das ihren femininen Geruch durchzog, auch wenn sie versuchte, sich nichts davon anmerken zu lassen.

»Du bist ein Vampir!«, entgegnete sie, als würde das all seine Fragen beantworten. Tatsächlich beantwortete es zumindest die Frage, wovor sie sich fürchtete. Ihm. Sie wollte erneut vor ihm flüchten, doch er hielt sie auf, indem er ihr Handgelenk umfasste und sie zu sich zog. Sein Arm schlang sich um ihre Taille und hielt sie gefangen. Sie stand direkt vor ihm und er atmete ihren Duft ein, der immer noch von dem süßlichen Geruch des Sektes überlagert wurde.

Veyd gefiel es gar nicht, dass sie Angst vor ihm verspürte. Dummerweise hatte sie jedoch allen Grund dazu. Er war gefährlich. »Nachdem ich dich gebissen habe, kann ich diese Tatsache wohl schlecht leugnen.« Er grinste, zwinkerte ihr zu und beugte sich zu ihrem Ohr. »Ich hatte allerdings den Eindruck, es hat dir gefallen«, flüsterte er heiser und ließ seinen Atem ihre Halsbeuge streifen. Sofort bildete sich auf ihren Armen eine verräterische Gänsehaut und zu ihrem verführerischen Geruch, dessen Bestandteile Veyd versuchte zu enträtseln, mischte sich das Aroma ihrer Erregung. Zimt. Ihr Duft enthielt Zimt.

»So? Hat es das?«, fragte sie ihn schnippisch und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

Veyd hatte allerdings nicht vor sie gehen zu lassen. Nicht ehe sie ihm einige Fragen beantwortet hatte. Alles andere wäre ein Bonus.

»Du warst ehrlich gesagt nur Mittel zum Zweck«, sagte sie.

Ihre Worte kratzten an seinem Ego. »Wie du schon sagtest: Ich bin ein Vampir. Und deswegen kann ich riechen, ob jemand tatsächlich erregt ist oder nicht.« Ihre Muskeln versteiften sich und sie sah ihn erschrocken an. Ihr Herz schlug wie wild und ihre Wangen röteten sich. Ihr Mund war leicht geöffnet und für einen Moment musste er daran denken, wie er ihn geküsst hatte. Und verdammt sollte er sein; er wollte es wieder tun.

»Ich war nicht erregt!«, erwiderte sie plötzlich trotzig. Ihre Angst schien verflogen und stattdessen sah sie ihn feindselig an.

»Versuchst du dir das gerade selbst einzureden?«, fragte er herausfordernd.

Sie verdrehte genervt die Augen. »Du warst nur mein Alibi – zugegeben ein sehr heißes Alibi – aber mehr war da nicht. Und es war jetzt auch nicht so toll, dass ich deswegen unbedingt mit dir auf einen Kaffee in deine Wohnung mitkommen möchte. Ich habe eine Ausrede gebraucht, warum ich im privaten Bereich des Gastgebers war und …«

Er unterbrach sie fassungslos, weil er bereits ahnte, in welche Richtung ihre Erklärung führte. »Und dann hast du gedacht: Prima, der Typ kommt mir gerade recht. Ich tue mal so, als wollt ich was von ihm. Und bevor es ernst wird unterbricht uns die Wache und wird denken, wir haben nur ein stilles Plätzchen gesucht, um zu vögeln.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Das kommt in etwa hin.«

Es war genau das, was Veyd gedacht hatte, als er die hübsche Rothaarige im Flur bemerkt hatte. Dennoch störte es ihn, dass sie das gleiche dachte. Allerdings war sie wohl kaum da gewesen, um den Gastgeber zu töten. Oder doch? Es gab einige Assassinen, die aussahen, als würden sie keiner Fliege etwas zuleide tun und ehe man sich’s versah, war man eine sehr tote Fliege. »Und warum brauchtest du unbedingt ein Alibi?«, knurrte er.

»Nur so«, murmelte sie und spielte an einem schmalen Armband, das mit Diamanten besetzt war. Ihm fiel ein, dass er dieses wahrscheinlich sündhaft teure Stück am heutigen Abend bei einer anderen Frau gesehen hatte.

»Du bist eine Diebin?«

Der Vampir sah sie völlig entgeistert an. Regelrecht geschockt, als wäre es das Verwerflichste auf der Welt. »Willst du mir jetzt eine Moralpredigt halten? Du, der gerade zwei Menschen getötet hat?«, fragte sie ihn schnippisch und presste ihre Hände gegen seine Brust, damit sie wenigsten etwas Abstand von ihm gewann. Das Gefühl, in seinen Armen eingesperrt zu sein, ließ sie langsam panisch werden. Er raubte ihr regelrecht die Luft zum Atmen. Sein Mund öffnete sich, um ihre Frage zu beantworten, doch sie unterbrach ihn, bevor er ihr irgendwelche Ausreden auftischen konnte. »Und erzähl mir jetzt nicht, dass du nichts mit den Leichen zu tun hast, die die Security erwähnt hat!«, fauchte sie. Für wie blöd hielt er sie! Sie drückte mit ihrer ganzen Kraft, doch der Kerl bewegte sich nicht einmal einen Millimeter.

Sein Gesicht wurde eine starre Maske. »Ich bin ein Assassine!«

Seine Worte ließen sie innehalten und für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus. Wenn er wirklich ein Mitglied der Gilde der Assassinen war, dann würde er sich nicht so leicht geschlagen geben. Ihm zu entkommen würde nicht einfach werden. Er war ein Jäger. Sie musste erst mal Zeit gewinnen, um sich einen Plan zu überlegen, wie sie ihre Flucht bewerkstelligen könnte. »Ach? Und das macht jetzt einen Mord besser?«

Sich in ihre Tiergestalt verwandeln war gerade keine Option, denn die wenigen Sekunden, die sie benötigte, würden ausreichen, damit er sie ausschalten konnte. Mal davon abgesehen, dass das Objekt, das sich immer noch in ihrem Haarknoten verbarg, dann zu Boden fiel und für sie verloren war.

»Er war nur ein Mensch«, versuchte er sich zu rechtfertigen.

An das Narkotikum an ihrem Oberschenkel kam sie gerade nicht heran, dafür müsste er sie anders greifen oder noch besser, ganz loslassen. »Nur? Das ist der Grund, warum ich Vampire nicht leiden kann. Sie halten die Menschheit für Schafe, die sie jederzeit zur Schlachtbank führen können!« Gut das war nicht der Grund, warum sie Vampire nicht leiden konnte, den wahren Grund musste sie ihm jetzt aber nicht auf die Nase binden. Eigentlich vermied sie die Nähe zu jeglichem magischen Wesen. Bis auf Marcus. Ihrem Mentor hatte sie nicht nur ihr Leben zu verdanken, sondern auch die Fähigkeit sich zu verteidigen.

Sie streckte ihre linke Hand zu den Dolchen in ihrem Haar. Wie geplant ergriff er sofort ihr Handgelenk und grinste sie siegesgewiss an. »Was willst du mit diesem Kinderspielzeug, Vögelchen?«

»Nichts!« Sie lächelte und zog mit ihrer rechten Hand die Nadel aus dem ledernen Strumpfband. Sie rammte die Spritze in seinen Oberschenkel und drückte den Kolben nach unten, sodass die bläuliche Flüssigkeit in seinen Körper gelangte.

»Was zum …?« Seine Muskeln erschlafften und er fiel um wie ein Stein. Sein eiskalter Blick war starr auf sie gerichtet und versprach ihr Höllenqualen, sobald er sie zwischen die Finger bekommen würde. Offenbar bekam er noch alles mit, konnte sich aber nicht mehr bewegen.

Erleichtert atmete sie durch und stupste ihn kurz mit der Spitze ihres Schuhs an. Lange würde er nicht mehr so liegen bleiben, sie würde sich beeilen müssen. Dennoch konnte sie seine Worte einfach nicht auf sich sitzen lassen. »Nur fürs Protokoll: Ich nehme von den Reichen und gebe es den Armen.« Sie zeigte demonstrativ auf sich und zwinkerte ihm zu. »Ich bin also eine Art moderner Robin Hood. Du hingegen bist einfach nur ein Arschloch, das Leute gegen Geld abmurkst.«

Ihre Schritte verhallten langsam in der Ferne, während das Gefühl in Veyds Finger zurückkehrte. Sie hatte ihn ausgetrickst. Ihn. Dieses hinterlistige Miststück. Wenn er sie zwischen die Finger bekam, würde er ihr nicht einfach nur den Hals umdrehen. O nein, so einfach würde sie ihm nicht davonkommen. Ungeduldig wartete er darauf, dass das Zeug seine Wirkung verlor, während er wutentbrannt auf die Stelle starrte, wo sie bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Sie hatte es sogar gewagt, ihn in seiner Lage zu verspotten und ihm einen Luftkuss zuzuwerfen, bevor sie ihre Beine in die Hand genommen hatte und aus seinem Blickfeld gerannt war.

Lauf nur, kleines Vögelchen. Ich werde dich fangen und in einen Käfig stecken.

Er konnte bereits seine Beine wieder bewegen. Mühsam robbte er zur nächsten Wand, stemmte sich mit seinen Armen vom Boden hoch und stützte sich an der Mauer ab, bis er aufrecht stand. Seine Muskeln zitterten und brannten wie Feuer vor Anstrengung. Sie würde dafür büßen. Einen kleinen Moment gönnte er sich, bevor er ihr nachjagte, schöpfte nach Atem und sog witternd die Nachtluft in seine Lungen. Der Geruch ihrer Angst hing schwer in der trockenen Luft. Oleander. Er war sich sicher, dass auch Oleander ihren komplexen Duft ausmachte.

Da wo sie die Nadel in seinen Oberschenkel gestoßen hatte, herrschte immer noch ein taubes Gefühl vor, dennoch stieß er sich mit einem Knurren von dem Gebäude ab und humpelte ihr nach. Mit jeder Sekunde, die verging, fühlte er sich besser und wütender.

Sie war einige hundert Meter weiter in eine kleine Seitengasse gebogen. Der aromatische Duft von frisch zubereiteten Speisen mischte sich mit dem des Unrats, der in großen Containern darauf wartete abtransportiert zu werden. Dachte sie ernsthaft, der Gestank der menschlichen Abfälle würde ihren Geruch verdecken? Über diesen dummen Versuch konnte er nur lachen, während sich seine Schritte beschleunigten. Allerdings kam er nicht weit, denn die Gasse endete an einer verwitterten Backsteinmauer, die von bunter Farbe verunstaltet war. Die Geruchsmischung aus Minze, Zimt, Oleander und Sekt war noch frisch, hing wie eine dichte Wolke an diesem Ort. Sie hatte einen Moment hier verweilt, bevor sie weitergeflohen war. Er wollte gerade zum Sprung auf die andere Seite ansetzen, da entdeckte er auf dem dunklen Asphalt eine hellbraune Feder und hob sie auf. Sie roch nach ihr. Nach dieser süßen, frischen Note und etwas, das er immer noch nicht benennen konnte. Verdrossen knurrte er, als ihm klar wurde, dass sie entkommen war, indem sie sich verwandelt hatte.

Es bedeutete andererseits auch, dass sie sämtliche Gegenstände hatte zurücklassen müssen, die sie bei sich getragen hatte. Zufrieden lächelte er, während er den menschlichen Abfall durchsuchte. Er musste nicht mal lange suchen, da entdeckte er halb verborgen hinter schwarzen Plastiksäcken, aus denen schon Maden krochen, ihre Sachen. Ein längerer Blick auf den Ausweis offenbarte, dass er tatsächlich echt war. Er steckte alles ein. Die juwelenbesetzten Dolche, das Armband, das diese kleine diebische Elster hatte mitgehen lassen, und auch ihr Höschen. Helle Spitze, in der noch der kräftige Geruch ihrer Erregung hing und ihn an ihre Reaktion denken ließ, als er mit seinem Finger in ihr feuchtes Inneres eingedrungen war. Von wegen sie wäre nicht erregt gewesen.

Er starrte es an und merkte, dass die Wut schon eine ganze Weile verflogen war. Stattdessen fühlte er sich leicht. Regelrecht lebendig. Irgendwie hatte er schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt.

3.

Shaira schlug kräftig mit ihren Flügeln, um abzubremsen, bevor sie mit ihren Krallen das Balkongeländer ergriff und sich darauf niederließ. Sie schüttelte ihre durch den Wind zerzausten braunroten Federn und ordnete sie mit ihrem Schnabel, während sie sich misstrauisch umsah, ob irgendjemand sie beobachtete. Ein Steinkauz in dieser Gegend war etwas ungewöhnlich. Sobald sie sicher war, dass keiner ihrer neugierigen Nachbarn durch die Gardinen spähte oder irgendein Vogelverrückter eine Kamera auf sie gerichtet hatte, hüpfte sie auf den Teakholzboden ihrer geräumigen Terrasse und stand keine zwei Sekunden später nackt vor der verschlossenen Balkontür. Sie schnappte sich den Morgenmantel, den sie für solche Fälle in den Fächern unter der Eckbank verstaut hatte. Genauso wie einen Schlüssel, mit dem sie die Balkontür öffnen konnte, um hineinzugelangen.

Sie ging jedoch nicht direkt in ihre Wohnung. Sie ließ sich auf die bequeme Polsterbank fallen, legte ihre Füße hoch und genoss die freie Aussicht über den Central Park, der direkt gegenüber von ihrem Wohnhaus an der 5th Avenue lag und in dem gerade der Frühling erwachte. Der Anblick der blühenden Bäume, die sich leise im Wind wiegten, hatte immer eine beruhigende Wirkung auf sie. Nur heute nicht. Ihre Gedanken weilten noch bei den Ereignissen der vergangenen Stunden.

Die ganze Aktion war für ihren Geschmack viel zu knapp gewesen. Nur Sekunden bevor der Vampir in die kleine Gasse hinter einem italienischen Restaurant gestürmt kam, hatte sie sich verwandelt und sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft erhoben. Allerdings war sie nicht davongeflogen, sondern hatte sich auf die nächstgelegene Feuerleiter gehockt, von der aus sie Veyd Grigorjew dabei beobachten konnte, wie er den Müll durchwühlte.

Wie sie es beabsichtigt hatte, fand er schnell ihre Sachen und übersah in seiner Überheblichkeit dabei den kleinen metallenen Würfel, den sie mit dem ledernen Strumpfband, in dem normalweise ihre Waffen steckten, unter einem der Müllcontainer befestigt hatte. Was eindeutig nicht zu ihrem Plan gehört hatte, war, dass der Vampir seine Nase in ihr Höschen stecken würde. Ihre Wangen und ihr ganzer Körper brannten noch immer, wenn sie daran dachte, wie er die Spitze langsam durch seine Finger hatte gleiten und dann in seine Hosentasche verschwinden lassen. Shaira presste ihre Oberschenkel gegeneinander, ließ den Kopf in den Nacken fallen und schloss die Augen.

Es war, als würde sie seine kühlen Hände immer noch auf ihrer erhitzten Haut spüren. Sie sah sein markantes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem kräftigen Kinn direkt vor sich. Sein durchdringender eiskalter Blick, der sie durch den Spiegel gefangen genommen hatte. Die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf und ihre Haut kribbelte erwartungsvoll. Ihre Hände gingen wie von selbst auf Wanderschaft, bevor sie sie zu Fäusten ballte und die Augen aufriss. Ihre Finger tasteten nach den zwei unscheinbaren Wunden, die seine Zähne hinterlassen hatten. Was war, wenn er es nun wusste?

Dieser Vampir bedeutete nur Ärger. Sie versuchte die aufkommende Hitze in ihrem Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen und dachte daran, was er getan hatte, nachdem er ihre Unterwäsche eingesackt hatte. Er hatte plötzlich angefangen zu lachen. Wie ein Irrer. Schallend. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass er stinkwütend auf sie war, weil sie ihn ausgetrickst hatte, hätte sie gedacht, er sei glücklich. Wahrscheinlich war er das sogar, während er sich vorstellte, wie er sie quälen konnte, um ihr seine Demütigung heimzuzahlen.

Ihre Beziehung mit Mister Vibration 3000 dauerte eindeutig schon zu lange, sonst hätte sie niemals so intensiv auf diesen Kerl reagiert – egal wie heiß sie in fand. Dummerweise hatte sie schon seit einer ganzen Weile kein Date gehabt. Wobei sie auch keine Lust mehr auf die bedeutungslosen One-Night-Stands oder die kurzen Sobald-es-ernst-wird-bin-ich-weg-Beziehungen hatte. Aber wer wollte schon etwas Dauerhaftes haben, das eigentlich nicht wirklich von Dauer war. Menschenleben waren einfach viel zu kurz – mal davon abgesehen, dass es verboten war. Aber um die Regeln der magischen Bevölkerung scherte sich Shaira sowieso einen Dreck. Nur ihre Angst, wieder in einen Käfig gesperrt zu werden, verhinderte, dass sie sich auf etwas Ernsteres einließ.

Wehmütig starrte sie auf den Park. Die ersten Sonnenstrahlen brachen sich in den Fenstern der Gebäude auf der anderen Parkseite und Jogger begannen mit ihren morgendlichen Runden. In diesem Moment fühlte Shaira die Einsamkeit an sich nagen, allerdings vertrieb sie sie schnell. Sie war noch jung; gerademal fünfunddreißig. Um einen Klotz am Bein zu finden, der ihr Vorschriften machen würde, hatte sie noch ewig Zeit.

Es reichte schon, dass Marcus ihr ständig Vorschriften und Vorwürfe machte. Wahrscheinlich hatte er ihr bereits zwanzig Nachrichten hinterlassen, weil sie bisher noch kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Bei dem Gedanken an ihn meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Er wusste nicht, wie wichtig dieser Auftrag für sie war. Was sie im Austausch gegen das Objekt bekam. Bei dem Gedanken an die Belohnung, die auf sie wartete, raste ihr Herz. Wenn Marcus wüsste, was man ihr versprochen hatte, hätte er sie niemals bei diesem Job unterstützt. Zittrig wischte sich Shaira über das Gesicht, stand auf und ging hinein.

Zweimal erklang das Freizeichen bevor seine dunkle Stimme ertönte. »Was ist schief gegangen?«

So war Marcus. Genau auf den Punkt. Sie zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne und überkreuzte ihre Beine. Zeit für die Beichte. Shaira atmete tief aus und begann wie ein Wasserfall zu erzählen. Ihr Mentor unterbrach sie kein einziges Mal. Sie hörte ihn ins Telefon atmen und das Rascheln von Papier. Zwischendrin vernahm sie Gemurmel, als würde jemand mit ihm sprechen.

»Ich werde jemanden schicken, der das Objekt abholt. Du wirst dich von der Gasse fernhalten«, erklärte er ihr, als sie geendet hatte.

»Nein!«, wiedersprach sie sofort. Der Gedanke, der Gegenstand könnte verloren gehen, war unerträglich. »Er ist ein Vampir. Er wird wohl kaum in der prallen Mittagssonne dort sitzen und auf mich warten. Höchstens als Brathähnchen«, murrte sie.

»Er könnte mit jemandem zusammenarbeiten, der dort auf dich lauert«, erklärte ihr Marcus geduldig. Das war ein Argument, dem sie leider nicht widersprechen konnte. »Vertraust du mir etwa nicht?«

»Doch natürlich«, erwiderte sie prompt. Es gab nur Dinge, von denen er nichts wissen musste.

»Nimm dir die nächsten zwei Tage frei und erhol dich. Ich melde mich bei dir, sobald der Rahmen der Übergabe steht«, meinte er in einem liebevollen Tonfall und legte auf.

Veyd drückte die Arme durch, hievte seinen Oberkörper in die Höhe, bevor er ihn wieder gezielt sinken ließ, bis ihn wenige Millimeter vom grauen Teppichboden seines Hotelzimmers trennten. Nur seine Fingerknöchel und Zehen berührten den Boden, während er die Liegestütze in einem hohen Tempo wiederholte. Seine Muskeln erinnerten sich von ganz allein an das Training, das er jeden Tag absolvierte, während ihn die Sonne in seinem Versteck festhielt. Seine Gedanken hingegen waren frei und streiften durch seine Erinnerungen.

An diesem Tag zeigten sie ihm die Grübchen eines Säuglings, dessen freudiges Lachen und Quietschen früher sein eisiges Herz erwärmt hatte. Als seine Mutter seinen Halbbruder Kane zur Welt gebracht hatte, war er über hundert Jahre alt gewesen und hatte sein eigenes Leben geführt. Die wenigen Monate, die er im Haus seiner Familie verbracht hatte, um das neue Familienmitglied kennenzulernen, waren wahrscheinlich die glücklichsten in seinem ganzen Leben gewesen. Glück, das er niemals verdient hatte.

Tief stieß er die Luft aus seinen Lungen, stemmte sich hoch und stand auf. Schweißtropfen rannen über seine Stirn und er wischte sie mit dem Handrücken fort. Mit wenigen Schritten war er im Badezimmer und konnte das kühle Wasser über seine erhitzte Haut laufen lassen. Seine Gedanken wurden weggewaschen, kehrten jedoch direkt zurück, als er einen Blick in den Spiegel warf und ihm die Ähnlichkeit mit seinem Bruder deutlich vor Augen geführt wurde. Die kräftige Kinnpartie, die Form von Nase und Wangen. Beide hatten sie das pechschwarze Haar und die eisblauen Augen ihrer Mutter geerbt. Bei Veyd wirkten diese jedoch fast silbrig, wohingegen Kanes einen warmen goldenen Schimmer aufwiesen, wie auch seine durch die Sonne gebräunte Haut. Die kräftige Statur hatte der junge Drache eindeutig von seinem Vater geerbt, während Veyd nach seinem Erzeuger kam.