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Diplomarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1, Evangelische Hochschule Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: Weil das Wesen der Krankheit nur ein biografisches ist, darum kann auch die Erkenntnis der Krankheit immer nur eine biografische sein. (Weizsäcker 1956, 259, in: Hanses: 365;).Diese Aussage hat der Atzt Victor von Weizsäcker vor ca. fünfzig Jahren an die Medizin adressiert, die auch heute noch weit davon entfernt ist, realisiert zu werden. Hier soll es zum Anlass genommen werden darüber nachzudenken, warum der Biografie auch im Kontext der gesundheits- und familienbezogenen Sozialen Arbeit ein hoher Stellungswert zuzurechnen ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2012
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Evangelische Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik
DIPLOMARBEIT
Von Elena Verner
„Gesund-SeinFörderung in der Familie“.
Zur Notwendigkeit eines biografischen Zugangs in der gesundheits- und familienbezogenen Sozialen Arbeit.
Berlin, 06.07.2009
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Gesundheit und Krankheit sind Phänomene, die zu den grundlegenden menschlichen Naturvorgängen des Lebens gehören. Die wissenschaftliche Erforschung dieser Phänomene ist so vielseitig, dass das Nachgehen ihrer Ergebnisse zu einer wahren Herausforderung wird.1zielen auf die Die gesundheitspolitischen Aufträge von Gesundheitsförderung Steigerung der Lebensqualität auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen und vor allem „dort, wo es gelebt wird“. Soziale Arbeit ist eine Disziplin von vielen anderen, die am Realisieren dieser Aufträge beteiligt ist. Ein gesamt- und lokalpolitischer Auftrag zur Gesundheitsförderung beansprucht die grundlegenden Naturvorgänge des Menschen zu berücksichtigen, wobei sich die Frage stellt, wie die Übergänge zwischen den politischen Sätzen und dem „wie das Leben lebt“ geschaffen werden. Eine Annäherung an diese Frage, wie das Leben lebt und wie die Naturvorgänge des Lebens in der gesellschaftlichgeschichtlichen Wirklichkeit greifbar und begreifbar gemacht werden können, lässt sich mit Hilfe von naturwissenschaftlichen Beiträgen, wie z.B. in der Stressforschung Selye oder F. Vester, in human-ethologischen Studien von Bateson, in der Psychosomatik von V. v. Weizsäcker, in der Embryologie von E. Blechschmied, in der biodynamischen Morphologie von N. Hartmann, der Psychologie Reichs, sowie in anderen Disziplinen und bei anderen Forschern, gestalten. Hier wird die geschichtliche und lebensgeschichtliche Existenz der Menschen auch vom Leiblichen her begreifbar gemacht. Das Ziel meiner Arbeit besteht vor allem darin zu schauen, wie sich die Akzentverschiebungen im heutigen Verständnis der Phänomene Gesundheit und Krankheit auf die Rahmenbedingungen der gesundheitsbezogenen Sozialen
1Der Begriff „Gesundheitsförderung“ wird in der vorliegenden Arbeit im Titel des Themas bewusst als „Gesundseinsförderung“ genannt zwecks der Verdeutlichung der Rolle des Subjektwissens über seine
Gesundheit/Krankheit in dem Prozess der Gestaltung der gesundheitsbezogenen Lebensführung.
Jedoch erscheint es mir in dieser Arbeit nicht von Relevanz, auf eine exakte Anwendung des Begriffes
Gesundseinsförderung statt Gesundheitsförderung zu achten, anderen Perspektiven zu diesem Thema sollte Raum gelassen werden.
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Gesundheitsvorstellungen der Familienmitglieder hat. Die hier anvisierte Bezugsnahme von Sozialer Arbeit und Gesundheit, Gesundheit und Familie, Sozialer Arbeit, Gesundheit und Familie versucht, sie verbindende Gegenstandbestimmungen und theoretischen Schnittstellen mit Hilfe von hier gewählten Definitionen und theoretische Ausarbeitungen aufzuweisen. Dabei wird der Versuch unternommen, Soziale Arbeit als Disziplin und Profession und Gesundheit in ihrer disziplinären Verortung zu reflektieren, um im Folgenden die Bezugnahme zu den biografiebezogenen Zugängen in der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit als Profession tätigen zu können. Dabei werden folgende Fragen in Bezug auf Reflektieren des Themas Gesundseinsförderung in der Familie gestellt:
Was ist Gesundheit im erweiterten Sinne? In welchem Verhältnis stehen die Gegenstandbestimmungen Sozialer Arbeit als Disziplin und Profession und Gesundheit? Welchen Perspektiven eröffnen sich aufgrund der Akzentverschiebungen im gegenwärtigen Verständnis von Gesundheit und Krankheit für die gesundheitsfördernden Maßnahmen im familienbezogenen Handlungsfeld Soziale Arbeit?
Die Einführung in das Thema beginnt mit einer skizzenhaften historischen Einführung zum Verständnis der beiden Begriffe Gesundheit und Krankheit Ein geschichtlicher Exkurs sollte die Rolle der Gebundenheit des Verfassers in Hinblick auf Gesundheit/ Krankheit auf sein kulturelles Umfeld und seine Rahmenbedingungen verdeutlichen. Der heutige, im Verlauf der Geschichte entstandene, nur auf den Körper bezogene Blickwinkel des Gesundheitswesens wird dabei zum Kritikpunkt. Das Konzept einer biografischen Medizin, die nicht nur über die Befunde mit den Patienten kommuniziert, eröffnet neue Wege für andere professionelle Berufsfelder, wie z. B. für die Soziale Arbeit. Trotz des enormen Stellenswerts von Gesundheit in der Gesellschaft und trotz der umfassenden Maßnahmen zur Wiederherstellung von Gesundheit besteht keine Einigkeit darüber, was Gesundheit ist. Ist Gesundheit eine individuelle oder sozial-gesellschaftliche Angelegenheit, oder beides zusammen? In diesem Thema wird sich nur auf die Beschreibung von einigen Modellen zur Gesundheit und Krankheit beschränkt, die eine ressourcen- und subjektorientierte und eine Perspektive auf beide Phänomene beinhalten.
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In weiteren Kapiteln wird auf die Positionierung Sozialer Arbeit in den Gesundheitswissenschaften eingegangen und die Bezüge Sozialer Arbeit zur Gesundheit betont. Außerdem wird in diesem Kapitel die Stellung der Familie mit Kindern in dem Gefüge „Soziale Arbeit und Gesundheit“ in Betracht gezogen. Insbesondere wird hier mein Interesse auf die Rolle von Rahmenbedingungen und Faktoren gerichtet, die den Hintergrund des Handlungsfeldes der familienbezogenen und gesundheitsfördernden Sozialen Arbeit darstellen. Die Aussage des deutschen Arztes Victor von Weizsäcker, die er an die Ärzte vor mehr als fünfzig Jahren adressiert hat: „weil das Wesen der Krankheit nur ein biografisches ist, darum kann auch die Erkenntnis der Krankheit immer nur eine biografische sein“ (Weizsäcker 1956, 259, in: Hanses: 365;)gibt mir Anlass im abschließenden Kapitel darüber nachzudenken, warum der Biografiearbeit auch im Kontext der familienbezogenen und gesundheitsfördernden Sozialen Arbeit ein hoher Stellungswert zuzurechnen ist.
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2. Ein historischer Exkurs: Gesundheit und Krankheit
Die Begriffe Gesundheit und Krankheit sind seit jeher in ihrer Bedeutung abhängig vom jeweiligen kulturellen Umfeld. Im Lauf der Menschheitsgeschichte kommt es aufgrund neuer Erkenntnisse, Philosophien, Religionen und Weltanschauungen zu immer wieder veränderten Definitionen. Der Begriff Gesundheit hat in vielen Kulturen einen „ ungestörten, naturgemäßen Zustand“ bedeutet. Krankheit hingegen wurde immer als Störfall betrachtet(Vgl. Bertelsmann, 2000).
In den primitiven und archaischen Kulturen wurde eine biologische Störung, sobald sie das Maß einer Verhaltensabweichung überschritt, als Krankheit angesehen. Wann diese Grenze erreicht war, hing von der Entscheidung der jeweiligen Kulturen und ihren Lebenserfahrungen ab.
Die Krankheit wurde als etwas „ Anormales“ empfunden. In dem Augenblick, in dem die Abnormalität von der Gesellschaft festgestellt wurde, bekam die Krankheit magisch-religiöse Züge. Als häufigste Ursachen der Krankheit wurden Zauberei, Verletzen der Tabus, Verlust der Seele, Eindringen eines fremden Geistes gesehen. Da die Krankheit als nichtnatürlich galt, wurde sie mit religiösen Mitteln behandelt. Sich vor Krankheit zu schützen, war in den primitiven Gesellschaften nur möglich durch sozial integres Leben durch Erfüllen der Normen und Sitten.
Als vorbeugende Maßnamen galten Rituale, Amulette, Hautritzung und Tätowierungen. Im assyrisch-babylonischen Raum wurde Krankheit mit Sünde und Ureinheit verbunden. Gesundheit dagegen galt als garantiert, wenn die moralischen Pflichten eingehalten wurden. Da das assyrisch-babylonische Reich eine gottgeprägte Gesellschaft war, wurde Krankheit als von Gott gesandte Vergeltung für begangene Sünden betrachtet. Exorzismus, Opferrituale und Gebete stellten die Heilmittel dar. In der frühen griechischen Kultur war man der Auffassung, dass die Krankheit ein Fluch der Götter sein könne. Der kranke Mensch wurde damit nicht bestraft, sondern er war ein Opfer der Götter.
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Als Heilmittel galten spirituelle Heilung (Katharsis) oder die Praxis des Tempelschlafs.
Gleichzeitig mit den religiösen Vorstellungen von Krankheit entwickelte sich in den früheren Hochkulturen der Ägypter, aber auch in Mexico und Peru eine hoch organisierte und auf Erfahrung basierende Medizin, die auch religiös-magische Züge beinhaltete.
„ Gesundheit ist hier keineswegs ein Zustand körperlichen, seelischen oder sozialen Wohlbefindens, sondern ein natürliches, höchst labiles Eingespanntsein zwischen Leben und Tod, zwischen Göttern und Tieren, zwischen Himmel und Erde“ (Schipperges 2003, 9).