Gesundes Gift - Franz Kabelka - E-Book

Gesundes Gift E-Book

Franz Kabelka

3,8

Beschreibung

Frieda ist alles andere als im Lot: Ihre Karriere als Journalistin dümpelt ebenso vor sich hin wie ihre Beziehung, und ihr Alkoholkonsum hat längst bedenkliche Ausmaße angenommen. Da stirbt ihr Kollege Bernd unter rätselhaften Umständen im südindischen Pondicherry – und ihre Recherche zu giftigen Schwermetallen in Ayurvedaprodukten bekommt plötzlich eine neue Dynamik. Doch auch andere sind in dieser Sache unterwegs: Ajith, der Mann fürs Grobe, ist beauftragt, einen Wissenschaftler aus Boston gehörig unter Druck zu setzen. Frieda reist nach Indien, unterzieht sich selbst einer Ayurvedakur und trifft gurugläubige Heilsuchende und skrupellose Geschäftemacher. In der staubigen Hitze überschlagen sich die Ereignisse. Wellnessboom, schmutzige Geschäfte und Sinnkrisen – Franz Kabelkas Ayurveda-Roman garantiert pures Lesevergnügen.

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Franz Kabelka

Roman

INHALT

Cover

Titel

Widmung

Prolog

TEIL I

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

TEIL II

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

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TEIL III

25

26

27

28

29

30

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33

34

35

36

37

38

39

40

Epilog

Glossar

Dank

Impressum

Für Sibylle,

die mir den Weg nach Indien wies

PROLOG

Sie liegt zusammengekauert auf dem nackten Lehmboden.

Kein Teppich, nicht einmal ein billiger Baumwollfetzen, der der fiebrigen Haut unter dem klatschnassen Kunststoffsari als Unterlage dienen würde. Durch die unverglasten Öffnungen unterhalb des Schilfdachs dringt das fahle Licht der Abenddämmerung in den kargen Raum, jener kurzen Dämmerung, die die Bewohner nördlicherer Breitengrade immer wieder zu überraschen pflegt.

Ein niedriger Schemel, zwei löchrige Matratzen. Kein Kasten, nur ein von der Feuchtigkeit verzogenes Regal; auf dessen Bambusrohren, säuberlich geschlichtet, die wenigen Kleidungsstücke, neben den verblichenen Fotos am Bindfaden Meeras ganzer Besitz. In Schwarz-Weiß starren Vater und Mutter auf sie herab, steif und ernst. Davor, aufgefädelt nach Größe, ihre vier Geschwister und sie selbst als Fünfjährige. Niemand auf dem Bild, der lächeln, niemand, der sich für diesen gewichtigen Augenblick entspannen würde. Auch der Fotograf hat sie nicht dazu aufgefordert, hat keinen Witz gemacht, damit sich die herben Mundwinkel womöglich ein bisschen nach oben bewegten. Er kannte die Befindlichkeit dieser Menschen, was sollte er ihnen vormachen. Vermutlich würde es ohnehin das einzige Familienfoto ihres Lebens bleiben. Na schön, vielleicht noch eines anlässlich der Hochzeit des ältesten Sohns. Aber da wären kaum noch dieselben fünf am Leben. Nein, dagegen sprach alle Erfahrung, alle Statistik.

In der Ecke, wo sich der Tonkrug mit dem brackigen Wasser befindet, hat sich etwas bewegt. Sie nimmt es wahr, aber sie reagiert nicht darauf. Dabei war sie, solange sie sich gesund und stark fühlte, immer darauf bedacht, die Kontrolle darüber zu behalten, was sich auf dem Fußboden und entlang der Wände abspielte. Die Kontrolle aller drei Dimensionen. Das ist allen an ihr aufgefallen: ihre unglaubliche Ordnungsliebe. Aditi, ihre Arbeitskollegin in der Fabrik und Zimmergenossin in Kannagi Nagar, hat öfters darüber geschmunzelt; gleichzeitig war sie über Meeras Haltung froh gewesen, kam diese ja letztlich auch ihr zugute. Armut und Sauberkeit mussten einander nicht widersprechen, davon waren sie beide als Angehörige einer der niedrigsten Kasten überzeugt. Ehe Meera ihren Sari abnahm und auf das Regal legte, pflegte sie immer zu überprüfen, ob sich keine Spinne darauf eingenistet hatte. Und ehe sie sich auf ihrem Lager niederließ, inspizierte sie den Boden darunter. Sie hasste es, nächtens auf eine Kakerlake zu treten, wie damals, als sie draußen in der freien Natur ihr Geschäft verrichten wollte. Das Krachen des gepanzerten Insekts hatte sich ihr ins Gedächtnis eingebrannt. Das wollte sie nie, nie wieder erleben.

Und jetzt hat sie es nicht einmal mehr auf ihre Matratze geschafft.

Die Schlange nähert sich ihr: langsam, lautlos, mit gelegentlichen seitlichen Ausweichmanövern, aber zielsicher und beständig. Das schwarze, fleckige Kettenmuster auf dem Rücken hebt sich trotz der zunehmenden Dunkelheit im Raum deutlich vom erdbraunen Grundton ab, und als sich Kopf und Oberkörper aufrichten, scheint der weiße, gesprenkelte Bauch beinahe von innen her zu leuchten. Luzifer: der Leibhaftige, der Lichtbringer. Wie Vater und Mutter gehört Meera der christlichen Minderheit an, das Bild des Satans als Schlange ist ihr nicht unbekannt. Aber sie ist weit davon entfernt, sich zu fürchten. Weder vor dem Kuss des verkleideten Teufels noch vor dem Biss einer echten Schlange.

Sie hat diese Art schon öfter gesehen, jeder in der Gegend würde sie erkennen. Bei der Feldarbeit stellt die Kettenviper die mit Abstand größte Gefahr dar. Einerseits wegen ihrer enormen Giftigkeit, welche die Blutzellen binnen Sekunden zu zerstören vermag und Gehirnblutungen oder akutes Nierenversagen auslöst, andererseits wegen ihrer Vorliebe, in den Wiesen und Äckern nahe den menschlichen Siedlungen nach Mäusen zu jagen. Die bekanntere Brillenschlange ist dagegen vergleichsweise harmlos, sie scheut die Nähe des Menschen. Manchmal, vor allem zwischen Juli und Dezember, wenn die aggressiven Jungvipern gehäuft auftreten, versuchen die Vorarbeiter mit Stöcken und lauten Rufen die Felder zu säubern, bevor die Arbeiter, in der Hauptsache Frauen, beginnen. Dennoch gibt es jedes Jahr etliche Tote bei der Ernte, das ist Teil des ländlichen Lebens hier, und niemand regt sich darüber auf – bei wem auch?

Nein, sie hat keine Angst, nur Schmerzen. Von der rechten Niere strahlt es in alle Richtungen aus; es, das sie zu Boden geworfen hat und ihr nicht erlaubt, die wenigen Zentimeter Höhenunterschied hinauf zum weißen Laken zu überwinden. Ihr Atem geht laut und hechelnd und dröhnt in ihr wie ein Orkan. Trotz der späten Stunde ist es noch immer stickig und heiß, aber der Schüttelfrost lässt sie zittern und sich noch fester zusammenrollen.

Wie du, denkt sie. Ich werde dir immer ähnlicher, Schlange. Schlangengott.

Sie weiß, dass sie das Gift längst in sich trägt, das ihre Organe zersetzt. Seit Wochen hatte sie gespürt, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung war. Später kamen Sehstörungen und eine nicht enden wollende Übelkeit dazu. Nachdem sie beim Mörsern plötzlich umgefallen und minutenlang nicht mehr zu Bewusstsein gekommen war, stellte Riya, die Vorarbeiterin mit den schmalen, verbissenen Lippen, sie von der Arbeit frei. „Bis auf Weiteres“, sagte sie. Aber das war nun schon viele Wochen her, und angesichts Meeras Zustands, der sich ständig verschlechterte, wäre niemand auf die Idee gekommen, sie wieder zurück in die Fabrik zu holen. Auf die Idee, nach einem Arzt zu rufen, kam allerdings auch keiner.

Stattdessen war eines Tages dieser alte Mann in der Tür gestanden und hatte sie mitgenommen. Gerade einmal hundertfünfzig Kilometer betrug die Strecke von der großen bis zur kleinen Stadt, aber die Busfahrt dauerte fast vier Stunden. Stunden, in denen sie im Mittelgang auf dem Boden kauerte und sich krümmte vor Schmerzen. Bis sie endlich mit den anderen Frauen in jener Hütte untergebracht wurde, wo sie seither lebt, ohne arbeiten zu müssen. Von den Leuten hier wird sie mit dem Wichtigsten versorgt, sogar Tabletten und Spritzen gibt man ihr, wenn die Schmerzen gar zu schlimm werden. Wann in ihrem Leben war ihr dieser Luxus gegönnt gewesen: zu leben, ohne sich dafür abschinden zu müssen?

Jetzt ist es zu hören, worauf Meera längst schon gewartet hat: das alles durchdringende Zischen, mit dem die Viper den Angriff einleitet. Den Flug der Schlange, wie man es nennt, wenn eine Kettenviper beim Zustoßen nahezu mit ihrem gesamten Körper vom Boden abhebt.

Die großen goldgelben Augen mit den senkrechten Pupillen wippen jetzt keine Armlänge von Meeras Kopf entfernt hin und her. Auch die Iris des Tiers scheint zu leuchten, zwei Lämpchen bei hereinfallender Nacht. Eigentlich bist du wunderschön, denkt sie. Trotz der fürchterlichen Krämpfe im Unterleib muss sie lächeln.

„Aber du kommst zu spät, Schlange!“

Ihr Atem trifft auf den flachen, geschuppten Schädel, dessen rundliche Nasenspitze sich nach oben wölbt und der Schlange ein Aussehen verleiht, als würde sie grinsen. Nicht böse, eher mitleidig.

„Wieso“, flüstert sie, „wieso kommst du erst jetzt?“

Sie hört noch, wie die Bastbänder mit den vielen bunten Glasperlen am Türrahmen leise klingelnd geteilt werden.

Dann taucht die Welt in ein alles erlösendes Schwarz.

„Eine Vergiftung ist immer moralisch.“ Francis Picabia, Jesus Christus Rasta

1

„So!“, zischte Frieda, was eigentlich so nicht bedeutete, nicht mit mir. Sie hatte die Schnauze gestrichen voll. Zog eine Zigarette aus der gelben Schachtel und stand auf, um sich zu verdrücken.

„Ich geh nur mal schnell an die frische Luft.“

An jene frische Luft, die gleich nicht mehr so frisch sein würde, weil sie sie jetzt verpesten würde. Krebs hin, vorzeitiger Tod her. Um sich und den Menschen ihrer Umgebung erheblichen Schaden zuzufügen. Wenigstens konnte ihr Gequalme ihrem Kind nichts anhaben. Weil sie keines hatte, haha, und auch keines erwartete. Baby, nein danke!

Wenn es noch einen anderen Grund als ihre Sucht gebraucht hätte, warum sie Leo allein in der andächtig lauschenden Menge zurückließ, hätte sie auf diesen schrägen Vogel aus dem Ländle verweisen können. Ein Vorarlberger Autor, der aus einem höchst nervigen Kriminalroman las. Nicht einmal ein verdammter Kommissar kam darin vor. Wie konnte man etwas Kriminalroman nennen, wenn darin kein Ermittler dem Verbrecher hinterherhechelte! Nur ein Bergfex, der auf über zweitausend Meter Seehöhe aufgewachsen war, konnte so etwas Geschraubtes von sich geben. It needs a mountain to fall that low. Ein Spruch von Lou Reed, oder doch von jemand anders? Kopfschüttelnd zog sie an der Zigarette.

Zwei weitere Literaturflüchtlinge gesellten sich zu ihr in die Kälte, packten ihre Päckchen aus, gaben einander Feuer. Die Raucherzone draußen vor der Tür: der letzte Ort für spontane Bündnisse in dieser entsolidarisierten Gesellschaft. Okay, sie stank ein bisschen, diese Zone, und man fror sich einen ab. Aber war das nicht immer so, wenn ein paar arme Schweine sich zusammenfanden? Vielleicht war ja nur dann etwas von Solidarität zu spüren, wenn es um einen herum so richtig bedrohlich war? So frostig und stinkig wie vor dem Wien Drei in einer Novembernacht, in der der Winter erstmals in diesem Jahr heftig an die Tür klopfte. Der mit den matschigen Stadtstraßen.

Denn der andere, der in ihr, war schon längst ausgebrochen. In aller Härte.

Sie war heute das erste Mal hierhergekommen – Leo zuliebe. Er hatte dieses Faible für Autoren aus dem alemannischen Westen entwickelt, seit er letzten Sommer bei einer von einem Supermarkt organisierten Bodenseefahrt entdeckt zu haben glaubte, dass das Ländle K & K vom Feinsten zu bieten hatte: Käse und Kultur. Seither suchte er auf Brunnen- und Naschmarkt gezielt nach Bergkäse aus dem hinteren Wauld (so nennen die Bregenzerwälder ihre Gegend) und las neuerdings Köhlmeier und Konsorten. Und eben deshalb hatte er sie ins Wien Drei geschleppt. Bloß, weil irgendein Vorarlberger Schriftsteller dort las. Und sie hatte genickt und war ihm nachgetrottet wie… wie ein folgsames Schulmädchen. War das jetzt die sexuelle Hörigkeit, oder was?

Bullshit! Mit Sex und Hörigkeit hatte das zuletzt zu tun. Das war nun echt nicht ihr Thema.

Sie wünschte, es wäre es gewesen!

Wann und wodurch wird eigentlich aus dem LAP, dem Lebensabschnittspartner, ein biederer Lapp im wahrsten Sinn des Wortes? Mit dieser Frage sollte frau sich schon einmal auseinandersetzen. Und sie sollte sich vor allem fragen, wann es an der Zeit wäre, diesen Lebensabschnitt für beendet zu erklären und den Lappen aus dem Bett zu werfen. Und sei es ein sündteures Wasserbett, das er ihr anlässlich seines Einzugs in ihre Wohnung vor fast genau drei Jahren vermacht hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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