Gesundheitsförderung mit System - Petra Kolip - E-Book

Gesundheitsförderung mit System E-Book

Petra Kolip

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Beschreibung

Effektive Interventionen zur Gesundheitsförderung und Prävention sind komplex und vielschichtig. Es gilt, zahlreiche Akteure und Akteurinnen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen, Interessen und Arbeitsroutinen an Interventionen zu beteiligen. Durch eine kohärente Konzeption muss die Intervention wirksam und nachhaltig realisiert werden. Das Buch stellt anschaulich und praxisorientiert dar, wie diese Herausforderungen gelingen können.

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Seitenzahl: 302

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Gesundheitsförderung mit System

Petra Kolip, Günter Ackermann, Brigitte Ruckstuhl, Hubert Studer

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Gesundheit

Ansgar Gerhardus, Bremen; Klaus Hurrelmann, Berlin; Petra Kolip, Bielefeld; Milo Puhan, Zürich; Doris Schaeffer, Bielefeld

Petra KolipGünter AckermannBrigitte RuckstuhlHubert Studer

Gesundheitsförderung mit System

Qualitätsentwicklung in Projekten und Programmen der Gesundheitsförderung und Prävention

2., vollständig überarbeitete Auflage

Professor Dr. Petra Kolip

Universität Bielefeld

Fakultät für Gesundheitswissenschaften

Universitätsstrasse 25

D-33501 Bielefeld

E-Mail: [email protected]

 

Dr. Günter Ackermann

Jubiläumsstr. 54

CH-3005 Bern

E-Mail: [email protected]

 

Dr. Brigitte Ruckstuhl

Gesundheitsförderung Prävention

Qualität – Konzepte – Geschichte

Denzlerstrasse 8

CH-3005 Bern

E-Mail: [email protected]

 

Dr. Hubert Studer

Büro für Qualitätsentwicklung

Scheuchzerstrasse 12

CH-8006 Zürich

E-Mail: [email protected]

 

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Gesundheit

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

 

Lektorat: Susanne Ristea

Bearbeitung: Thomas Koch-Albrecht, Münchwald

Herstellung: Daniel Berger

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Printed in Czech Republic

 

2., vollständig überarbeitete Auflage 2019

© 2019 Hogrefe Verlag, Bern

© 2012 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

 

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96017-3)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76017-9)

ISBN 978-3-456-86017-6

http://doi.org/10.1024/86017-000

Nutzungsbedingungen

Der Erwerber erhält ein einfaches und nicht übertragbares Nutzungsrecht, das ihn zum privaten Gebrauch des E-Books und all der dazugehörigen Dateien berechtigt.

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audio­dateien.

Anmerkung

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhalt
Vorwort
Einleitung
Teil 1: Grundlagen
1 Herausforderungen der Gesundheitsförderung
1.1 Integrierte kommunale Strategien zur Gesundheitsförderung: Aufbau kommunaler Präventionsketten
1.2 Gesundheitsförderung regional verankern: kantonale Aktionsprogramme von Gesundheitsförderung Schweiz und den Kantonen
1.3 Zentrale Herausforderungen in Projekten
1.3.1 Komplexität
1.3.2 Gesundheitsförderung als Intervention in sozialräumlichen Systemen
1.3.3 Gesundheitsförderung fordert Flexibilität
1.3.4 Herausforderungen für Organisationen
1.3.5 Vielfältige Ansprüche und Erwartungen
1.3.6 Zeitliche Herausforderungen
1.3.7 Geringe personelle und finanzielle Ressourcen
1.3.8 Berücksichtigung der Prinzipien der Gesundheitsförderung
1.3.9 Sozial Benachteiligte als Zielgruppen
1.3.10 Wirkebenen der Gesundheitsförderung
1.3.11 Ambivalente Erwartungen an Wirksamkeitsnachweise
1.3.12 Anspruch an Nachhaltigkeit
1.3.13 Einbindung von Schlüsselpersonen und Multiplikation von Projekten
1.3.14 Berücksichtigung von Vorerfahrungen und Kontextspezifität
1.3.15 Spannung zwischen Planung und Realität
1.4 Förderung der Qualität und Professionalisierung
2 Was bedeutet Qualität für die Gesundheitsförderung?
2.1 Wie wird Qualität begrifflich gefasst?
2.2 Qualität in Programmen und Projekten
2.3 Qualitätsentwicklung im gesellschaftlichen Kontext
2.4 Qualitätsdimensionen in der Gesundheitsförderung
2.4.1 Planungsqualität
2.4.2 Strukturqualität
2.4.3 Prozessqualität
2.4.4 Ergebnisqualität
2.5 Bedeutung der Projektform für Qualität
3 Wie wird Qualität erreicht?
3.1 Qualitätsmanagement: Grundlagen
3.1.1 Zielsetzung
3.1.2 Qualitätsverständnis
3.1.3 Etablierung einer Qualitätskultur
3.1.4 Bezugsysteme für die Qualitätsarbeit
3.2 Qualitätsmanagement auf Policy- und Netzwerkebene
3.2.1 Public Health Action Cycle
3.2.2 Best-Practice-Handlungsrahmen
3.3 Qualitätsmanagement auf Organisationsebene
3.4 Qualitätsentwicklung auf Projekt- und Programmebene
3.4.1 Qualitätssystem quint-essenz
3.4.2 Good-Practice-Ansatz
3.4.3 Partizipative Qualitätsentwicklung
Teil 2: Qualitätsmanagement mit quint-essenz in Projekten und Programmen der Gesundheitsförderung
4 Orientierungsrahmen
4.1 Qualitätskriterien
4.2 Wirkungsmodelle
4.2.1 Logische Modelle
4.2.2 Ergebnismodell von Gesundheitsförderung Schweiz
4.3 Phasenmodell
4.3.1 Konzeptionsphase
4.3.2 Implementierungsphase
4.3.3 Valorisierungsphase
4.4 Beschreibungen der Interventionen
4.4.1 Skizze
4.4.2 Konzept
4.4.3 Schlussbericht
4.5 Systematische Reflexion
4.6 Ausblick
5 Grundsätze und Handlungsprinzipien der Gesundheitsförderung
5.1 Chancengleichheit
5.1.1 Begrenzte Umsetzungsmöglichkeiten in Projekten
5.1.2 Ungleichheitsdiagramm
5.1.3 Gender
5.1.4 Migration
5.2 Settingansatz
5.2.1 Verhältnisorientierte Projektziele
5.3 Empowerment und Ressourcenorientierung
5.4 Partizipation
5.4.1 Konsequenzen partizipativer Vorgehensweise
5.4.2 Partizipation von Anfang an planen
5.5 Fazit
6 Begründung
6.1 Funktion der Begründung
6.2 Bedarf und Bedürfnisse
6.3 Berücksichtigung von Bedürfnissen durch Partizipation
6.4 Wissenschaftliches und anderes Wissen
6.4.1 Best Practice ist mehr als evidenzbasiert
6.4.2 Evidenzgegenstände
6.4.3 Experten- und Erfahrungswissen
6.4.4 Hürden bei der Nutzung wissenschaftlichen Wissens
6.4.5 Kontext
6.4.6 Vielschichtigkeit und Langfristigkeit
6.4.7 Quellen wissenschaftlichen Wissens
6.5 Instrumente
6.5.1 Checkliste Assessment
6.5.2 Settinganalyse
6.5.3 Ergebnismodell
6.6 Dokumentation der Begründung
7 Planung
7.1 Vision
7.2 Projektziele
7.2.1 Operationalisierung von Projektzielen
7.2.2 Leistungs- und Wirkungsziele
7.2.3 Ziele vor Maßnahmen
7.2.4 Ziele anpassen
7.3 Vorgehensweise und Maßnahmen festlegen
7.3.1 Ergebnismodell in der Projektplanung
7.3.2 Planungstabelle
7.4 Ressourcenplanung
7.4.1 Checkliste Budgetierung
7.5 Dokumentation der Planung
7.5.1 Standardisierte Dokumentation für Organisationen
8 Organisation
8.1 Programm- und Projektstruktur
8.1.1 Strukturplan
8.1.2 Funktionendiagramm
8.2 Qualifikation
8.2.1 Eignungskriterien für Projektleitende
8.3 Zusammenarbeit
8.3.1 Stimmungsbarometer
8.4 Vernetzung
9 Steuerung
9.1 Controlling mit Meilensteinen
9.1.1 Leitfragen für Meilensteinsitzungen
9.1.2 Steuerungstabelle
9.1.3 Qualitätsziele
9.1.4 Zeitplan
9.2 Dokumentation
9.3 Kommunikation innerhalb der Programms oder Projekts
9.4 Steuerung von Programmen
10 Evaluation und Valorisierung
10.1 Formative und summative Evaluation
10.2 Zielerreichung
10.2.1 Evaluationstabelle
10.3 Nachhaltigkeit
10.4 Valorisierung
10.4.1 Informationskonzept
Teil 3: quint-essenz in Organisationen
11 Qualitätsmanagement in Organisationen
11.1 Einbindung von Programmen und Projekten in Organisationen
11.2 Entwicklung einer Qualitätskultur
11.2.1 Qualitätspolitik
11.2.2 Qualitätsphilosophie
11.2.3 Qualitätskriterien
11.2.4 Etablierung von Entwicklungszyklen
11.2.5 Commitment
11.3 Gestaltung von Naht- und Schnittstellen
11.3.1 Stimmigkeit aller Systemebenen prüfen
11.3.2 Wissensmanagement und Erfahrungsaustausch
11.3.3 Einheitliche Instrumente und Vorlagen
11.3.4 Projekte steuern als Organisation
11.4 Prozessgestaltung auf der Basis von quint-essenz
11.4.1 Konzeption: von der Projektidee zum Konzept
11.4.2 Implementierung: Umsetzung mit Meilensteinen
11.4.3 Valorisierung: Verbreitung und Nutzung der Erkenntnisse
11.5 Systematisierung und Standardisierung
11.5.1 Vorteile einer systematischen Arbeitsweise
11.5.2 Monitoring und Controlling
11.5.3 Systematisierung der Projektdokumentation und des Austausches
11.5.4 Bewertungsraster für Organisationen
11.6 Fazit
Teil 4: Fazit
12 Was ist die Quintessenz?
12.1 Herausforderungen der Gesundheitsförderung erkennen
12.2 Herausforderungen mit Qualitätsentwicklung begegnen
12.2.1 Qualitätsentwicklung verändert den Umgang mit Komplexität
12.2.2 Qualitätsentwicklung präzisiert die Steuerung
12.2.3 Qualitätsentwicklung fördert ein gemeinsames Verständnis
12.2.4 Qualitätsentwicklung hilft bei der Einschätzung des Ressourcenbedarfs
12.2.5 Qualitätsentwicklung erhöht die Transparenz
12.2.6 Qualitätsentwicklung fördert die kritische Reflexion
12.2.7 Qualitätsentwicklung ist eine Lernstrategie
12.2.8 Qualitätsentwicklung erhöht die Chancen für Nachhaltigkeit
12.2.9 Qualitätsentwicklung ist Qualifizierungs- und Professionalisierungsstrategie
12.2.10 Qualitätsentwicklung ist spannend
12.3 Erste Schritte in der Qualitätsentwicklung wagen
Glossar
Abkürzungsverzeichnis
Sachregister
Über die Autorinnen und Autoren
Literatur
Verzeichnisse
Anmerkungen

Vorwort

Mit der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (World Health Organization [WHO], 1986) wurde ein neuer Typus gesundheitsbezogener Interventionen etabliert: Gesundheitserziehung, die sich vorwiegend an Individuen richtet, hat seine zentrale Bedeutung verloren. Maßnahmen, die verhaltens- und verhältnisbezogene Ansätze miteinander verbinden und der Gestaltung von Lebenswelten wie Schule, Arbeitsplatz, Gemeinde oder Stadt Aufmerksamkeit schenken, rücken ins Zentrum. Während in der ersten Phase der Umsetzung der Gesundheitsförderung die gute Absicht zählte, gewann ab Mitte der 1990er-Jahre das Thema Qualitätsentwicklung an Bedeutung. So war es zum einen das Ziel, Interventionen möglichst gut umzusetzen, zum anderen stellten sich im Zusammenhang mit der Evidenzdebatte zunehmend Fragen nach der Wirkung, Wirkungsmessung sowie der Bewertung von Interventionen in diesen Bereichen. In der Folge wurden Instrumentarien und Verfahren entwickelt, die eine systematische Konzeption, Steuerung und Evaluierung von Projekten auf der Basis von definierten Qualitätskriterien ermöglichen und unterstützen sollten. Die Anwendung dieser neuen Verfahren warf zu Beginn viele Fragen auf und löste Unsicherheiten aus. Insbesondere wurde angezweifelt, ob sich die Umsetzung von Projekten in der Gesundheitsförderung, die sich durch einen komplexen und prozesshaften Charakter auszeichnen, in Konzepte und Instrumente zwängen lassen, die aus dem klassischen Projektmanagement stammten.

Seither ist viel passiert. Das Qualitätsinstrumentarium hat sich erweitert, Qualitätskriterien haben sich etabliert und zahlreiche Publikationen und Online-Angebote systematisieren die Ansätze und unterstützen die Qualifizierung von Praktikerinnen und Praktikern. Im deutschsprachigen Raum haben sich zwei Sets von Qualitätskriterien durchgesetzt: die Good-Practice-Kriterien des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit und die Qualitätskriterien quint-essenz von Gesundheitsförderung Schweiz. quint-essenz hat in der deutschsprachigen Diskussion von Beginn an eine wichtige Rolle eingenommen. Als Qualitätsmanagementsystem bietet es nicht nur einen Kriterienkatalog zur Beurteilung von Projekten und Programmen. Es deckt vielmehr auch ein breites Feld von Projektmanagement- und Qualitätsentwicklungsaufgaben ab und bietet eine Auswahl von dazu passenden Instrumenten.

Die 2012 veröffentlichte erste Auflage des Buches hatte das Ziel, in die Qualitätsdiskussion einzuführen und den Einstieg in die Arbeit mit quint-essenz zu erleichtern. Nun liegt die zweite, grundlegend überarbeitete Auflage vor, eine erfreuliche Geschichte. Die in diesem Buch vorgestellten Praxisansätze zeigen, dass sich die Qualitätsentwicklung inzwischen in einem ganz anderen Stadium befindet. Sie hat sich in Ausbildungsgängen verankert, als Methodik in der Umsetzungspraxis etabliert und in der Vergabe von Projektgeldern für die Beurteilung von Projekten bewährt.

Die vorliegende Version hat zahlreiche Änderungen erfahren. Zentraler Teil ist immer noch die Anwendung des Qualitätssystems quint-essenz auf Projekte und Programme der Gesundheitsförderung. Es ist jedoch stärker in einen Rahmen eingebettet, der die Anforderungen an ein Qualitätsentwicklungssystem in der Gesundheitsförderung und Prävention absteckt. Dieser Ansatz ermöglicht die Integration weiterer konkreter Instrumentarien. Zudem wird mit der zweiten Auflage dem Umstand Rechnung getragen, dass Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention immer stärker in übergeordnete Programme eingebettet sind, was zu neuen Herausforderungen bei der Planung, Steuerung und Evaluation führt.

Hat sich die Haltung gegenüber der Qualitätsentwicklung verändert und das Instrumentarium verfeinert, so sind bestimmte Aspekte für die Umsetzung immer noch geltend. Qualitätsentwicklung ist nach wie vor kein technischer Prozess. Sie erfordert zwar Kenntnisse und Fertigkeiten, im Zentrum stehen jedoch die ständige Reflexion und die Etablierung einer Qualitätskultur, die bestrebt ist, laufend notwendige Anpassungen vorzunehmen. Zahlreiche Praktikerinnen und Praktiker haben uns Einblick gegeben, wie sie das Thema Qualität und Qualitätsentwicklung in ihrer Praxis umsetzen. Diese Praxiseinblicke sind im Buch abgedruckt und wir möchten uns herzlich dafür bedanken.

Qualitätsentwicklung ersetzt nicht die Frage, was umgesetzt wird. Dazu sind fundierte, wissensbasierte Konzeptionen gefordert. Qualitätsentwicklung ist eine sinnvolle und in der Zwischenzeit nicht mehr wegzudenkende Methodik, um Konzepte und Strategien wirkungsvoll zu realisieren. Das vorliegende Buch will zur kontinuierlichen Auseinandersetzung und Reflexion von Projekten und Programmen in der Gesundheitsförderung und Prävention anregen und motivieren.

 

Petra Kolip, Brigitte Ruckstuhl, Günter Ackermann & Hubert Studer

 

 

In dem Buch verweisen wir auf zahlreiche Instrumente, die auf der Website www.quint-essenz.ch sowie auf anderen Websites zu finden sind. Da diese Links veralten können, finden Sie die aktuellen Zugänge sowie weitere Materialien auf www.gesundheitsfoerderung-qualitaet.info/mit-system.

Einleitung

Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung

Qualitätsentwicklung ist im Zentrum von Gesundheitsförderung und Prävention angekommen. Die Zeiten, da „gut gemeint“ auch gut genug war, sind lange vorbei. In den vergangenen Jahren wurden Anforderungen an Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung politisch verankert, wie z.B. das im Jahr 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz (PrävG) in Deutschland zeigt. Zahlreiche Akteure wie Gesundheitsförderung Schweiz, der Fonds Gesundes Österreich (FGÖ), die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland, Sozialversicherungsträger und Koordinationsstellen in den Kantonen und Bundesländern haben Qualitätsentwicklung etabliert und qualifizieren Praktikerinnen und Praktiker vor Ort in Qualitätsfragen. Mittlerweile liegt ein breites Angebot an Instrumenten zur Verbesserung der Planungs-, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität vor und Übersichtsarbeiten versuchen, die Orientierung im Qualitätsangebot zu erleichtern (z.B. Kolip, 2019; Tempel & Kolip, 2011; Tempel et al., 2014). Gerahmt werden diese Aktivitäten durch ein konzeptionelles Gerüst, das die Entwicklung von Präventions- und Gesundheitsförderungsprojekten in Phasen und damit verbundene Qualitätsdimensionen einteilt und sie mit Qualitätskriterien hinterlegt (zur Differenzierung von Prävention und Gesundheitsförderung siehe Kasten 1). Zwei dieser Kriterienkataloge haben sich mittlerweile in der Gesundheitsförderungslandschaft etabliert und finden breite Akzeptanz: die Good-Practice-Kriterien des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit (Kilian, Lehmann, Richter-Kornweitz, Kaba-Schönstein & Mielck, 2016; Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit, 2017) sowie der Kriterienkatalog quint-essenz von Gesundheitsförderung Schweiz, der in diesem Buch im Zentrum steht.

Fokus

Kasten 1: Zur Differenzierung von Gesundheitsförderung und Prävention

In der Literatur wird zwischen Gesundheitsförderung und Prävention unterschieden (Altgeld & Kolip, 2018). Worin die Unterschiede liegen und ob es sich hierbei um zwei unterschiedliche Ansätze handelt, wird weiterhin kontrovers diskutiert. Es ist Rosenbrock und Kümpers (2006) zuzustimmen, dass die beiden Konzepte in der Praxis nicht trennscharf sind und umfassende Interventionen gleichzeitig risikomindernd (Fokus Krankheit) und ressourcenfördernd (Fokus Gesundheit) arbeiten. Im Folgenden verwenden wir primär den Begriff Gesundheitsförderung, wenn für die Qualitätsdimension nicht eine explizite Unterscheidung notwendig ist.

Entwicklung der Qualitätsdiskussion in der Gesundheitsförderung

1989 wurde in das deutsche Sozialgesetzbuch V (SGB V), das die Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) regelt, Gesundheitsförderung mit § 20 als Aufgabe der GKV aufgenommen – und 1996 gleich wieder abgeschafft bzw. eingeschränkt, u.a. weil die Qualität der Angebote nicht gesichert war. Dies setzte Ende der 1990er-Jahre eine Diskussion darüber in Gang, was denn überhaupt die Qualität von gesundheitsbezogenen Interventionen ausmacht und wie sich diese bestimmen und verbessern lässt. Der 2001 erschienene Band der BZgA „Qualitätsmanagement in Gesundheitsförderung und Prävention“ (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2001) markiert einen Meilenstein in dieser Diskussion. Im Jahr 2000 wurde die Gesundheitsförderung in Deutschland erneut in das Sozialgesetzbuch aufgenommen, mit dem Zusatz, die GKV möge mit ihren Präventionsaktivitäten einen Beitrag zur Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit leisten. Um diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen, wurde 2003 der Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit ins Leben gerufen. Dieser bot mit einer Webplattform1 Projekten aus dem Feld eine Möglichkeit, sich zu präsentieren2. Hierüber sollte Transparenz hergestellt und ein Lernen aus den Erfahrungen anderer ermöglicht werden. Schnell füllte sich die Datenbank mit Projekten unterschiedlichster Qualität. So kam schnell die Frage auf, wie sich die Spreu vom Weizen trennen lässt und wie Nutzerinnen und Nutzer der Datenbank schneller Leuchtturmprojekte identifizieren können. Dies führte weiter zur Frage, anhand welcher Kriterien sich die Güte von Gesundheitsförderung festmachen lässt – die Geburtsstunde der Good-Practice-Kriterien. In einem längeren Prozess mit durchaus kontroversen Diskussionen einigte sich der Kooperationsverbund auf 12 Kriterien (Kilian et al., 2016; ausführlicher siehe Kap. 4.4, siehe auch Kasten 6).

Die Good-Practice-Kriterien nehmen mittlerweile in Deutschland eine wichtige Rolle als Referenzrahmen ein, sie sind aber nicht das einzige Angebot für Praktikerinnen und Praktiker. In Deutschland konnten nicht zuletzt durch die Förderung von Präventionsforschungsprojekten, die Aktionsbündnisse „Gesunde Lebensstile und Lebenswelten“ und die Arbeiten der BZgA zahlreiche Ansätze erprobt und für die Praxis weiterentwickelt werden. Sie decken eine große Spannbreite ab und reichen von einzelnen Instrumenten bis zu komplexen Verfahren. In den vergangenen Jahren sind in einzelnen Bundesländern Sets von Kriterien entstanden, die die vorhandenen Kataloge (z.B. die quint-essenz-Kriterien) bündeln und bundeslandspezifisch ausdeuten. In der Regel dienen diese Listen der Bewertung von Projekten, die sich im Rahmen von Landeswettbewerben (z.B. Gesundheitspreis Nordrhein-Westfalen; Hessischer Gesundheitspreis) bewerben (siehe z.B. Hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung, 2015). Auch die BZgA hat einen Qualitätsrahmen erarbeitet, der für Praxisprojekte – vor allem in den Themenfeldern Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung – gedacht ist (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2012).

Auch in der Schweiz begann die Diskussion um Qualität in der Gesundheitsförderung in den 1990er-Jahren. Zu dieser Zeit kam der Wunsch nach qualitätsgesicherten Interventionen in der Gesundheitsförderung auf, ohne dass aber geeignete Instrumente oder Systeme zur Verfügung standen (Ackermann, Studer & Ruckstuhl, 2009). In Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich, dem Bundesamt für Gesundheit Schweiz (BAG) und fünf Praxisprojekten wurden Qualitätskriterien aus internationalen Public-Health-Projekten sowie aus anderen Kontexten (meist aus Industrie und Dienstleistung) systematisch aufbereitet und, wo sinnvoll, auf Gesundheitsförderung übertragen.

In enger Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis wurde so ein Set von Qualitätskriterien und Instrumenten für Interventionsprojekte entwickelt und erprobt, das zur Grundlage von quint-essenz wurde. Die Liste der Qualitätskriterien, die zur systematischen Reflexion einladen sollte, wurde nach und nach um weitere erläuternde Texte und Instrumente ergänzt und so zu einem internetbasierten System ausgebaut, das im Jahr 2000 online verfügbar gemacht wurde. 2001 ging quint-essenz in die Verantwortung von Gesundheitsförderung Schweiz über, eine nationale Stiftung, die den gesetzlich verankerten Auftrag hat, Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit und zur Verhinderung von Krankheiten zu initiieren, zu koordinieren und zu evaluieren3. Gesundheitsförderung Schweiz ist seitdem für die inhaltliche und technische Weiterentwicklung sowie für die Verbreitung des Qualitätssystems quint-essenz zuständig und sorgt für jene Kontinuität, die in Qualitätsinitiativen leider häufig fehlt.

quint-essenz versteht sich als ein umfassendes, internetbasiertes Qualitätssystem mit unterschiedlichen Elementen, das alle Qualitätsdimensionen von Interventionen in der Gesundheitsförderung umfasst. Es bietet eine Fülle an Einsatzmöglichkeiten, Zugängen und Angeboten, kann als Nachschlagewerk, vielseitige Toolbox, Projektmanagement-Tool und Austauschplattform genutzt werden. quint-essenz hat sich in der Schweiz mittlerweile als Referenzrahmen für die Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung etabliert und findet auch in Deutschland4 und weiteren Ländern immer mehr Anwenderinnen und Anwender (siehe auch Kasten 2).

Fokus

Kasten 2: Projektmanagement-Tool und Community der Webplattform quint-essenz

Projektmanagement-Tool

Die Webplattform quint-essenz bietet die Möglichkeit, Interventionen online zu planen, zu steuern und systematisch zu reflektieren. Es können Skizzen, Konzepte und Schlussberichte erstellt werden, und Programme und Projekte können systematisch anhand von Qualitätskriterien reflektiert werden (Bewertungen). Alle Teammitglieder mit entsprechenden Berechtigungen können sich daran beteiligen. Neben einer vorlagenbasierten Textansicht gibt es eine Pinnwand und einen Zeitplan, die zentrale Elemente von Projekten visualisieren und die interaktiv genutzt werden können.

Community

Programme und Projekte, die auf quint-essenz erfasst werden, können mit geringem Aufwand publiziert und auf der Projektliste in der Community der Plattform aufgelistet werden. Fachpersonen und Organisationen können ihre Profildaten für die Community freigeben und mit den Programmen und Projekten verknüpfen. Auf diese Weise wird den Akteuren in der Gesundheitsförderung die Möglichkeit geboten, voneinander zu lernen, die Interventionen bekannt zu machen und miteinander in Kontakt zu treten.

Herausforderungen der Qualitätsentwicklung

Auch wenn die Qualitätsdiskussion an Fahrt aufgenommen hat und zahlreiche Konzepte und Instrumente entwickelt wurden, stellt Qualitätsentwicklung noch immer eine große Herausforderung dar. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Gesundheitsförderung als komplex wahrgenommen wird. Immer häufiger werden Projekte in Projektverbünden mit mehreren Partnern umgesetzt, die unterschiedliche Interessen verfolgen, eine Vielzahl von Erfahrungen mitbringen, vielleicht auch unterschiedliche Vorstellungen davon haben, welche Ziele mit Gesundheitsförderung verfolgt werden sollen und welche Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele adäquat sind. Auch die große Herausforderung, Einfluss auf die sozialen, materiellen und personalen Determinanten der Gesundheit zu nehmen und auf komplexe sozialräumliche Systeme einzuwirken, macht Qualitätsüberlegungen notwendig. Manche Geld- und Auftraggeber erwarten inzwischen nachhaltige Effekte (ohne sich allerdings von der Idee einer projektbezogenen Finanzierung zu verabschieden), andere erteilen Leistungsaufträge an Organisationen und Fachstellen, die mit der Erwartung verbunden werden, dass Qualitätsentwicklung etabliert wird. Und schließlich wird der Einbezug der Zielgruppe im Sinne von Partizipation und Empowerment selbstverständlicher, mit Konsequenzen für die Projektsteuerung. Die Herausforderungen sind also groß und erfordern neue Kompetenzen und Instrumentarien für die Planung und Umsetzung von Interventionen.

Qualitätssysteme wie quint-essenz und Angebote wie der Good-Practice-Ansatz antworten auf diese Herausforderungen in vielfältiger Weise und bieten Orientierungsmöglichkeiten und einen Handlungsrahmen. Im Zentrum dieses Bandes steht das Qualitätssystem quint-essenz. Es ist das bislang einzige Qualitätssystem, das Qualitätskriterien mit Indikatoren hinterlegt und diese mit einer breiten Auswahl an Instrumenten verbindet.

Das Qualitätssystem quint-essenz unterstützt Organisationen, Programme und Projekte dabei, die anstehenden Aufgaben und Abläufe zu systematisieren und gemeinsame Reflexionsräume zu nutzen. Hierdurch werden Lernprozesse initiiert, der Erfahrungsaustausch erleichtert und der Transfer von Wissen unterstützt. Die Kernelemente der Qualitätsentwicklung, die periodische systematische Reflexion der Interventionen in Entwicklungszyklen, sind aus unserer Sicht wichtige Schlüssel dazu, die vielfältigen Herausforderungen der Gesundheitsförderung wirksamer und erfolgreicher zu bewältigen. Zudem erleichtert die Anwendung eines Qualitätssystems wie quint-essenz die Rechenschaftslegung und Evaluation und trägt damit zur Professionalisierung eines Handlungsfeldes bei, das in Public Health noch längst keine gefestigte Position hat.

Zielsetzung und Aufbau des Buches

Dieses Buch wendet sich an Organisationen und Akteure, die in ihrem Arbeitsfeld mit Gesundheitsförderungsprojekten und -programmen zu tun haben und Möglichkeiten der Qualitätsentwicklung kennenlernen wollen. Das hier im Vordergrund stehende Qualitätssystem quint-essenz ist auf Interventionsprogramme und -projekte ausgerichtet, nicht auf routinemäßig organisierte Abläufe im Regelangebot. Die Nutzung lohnt sich für alle Institutionen und Fachpersonen, die regelmäßig und systematisch Gesundheitsförderungsprojekte planen, umsetzen oder beurteilen. Das System baut auf einer durchgehenden Systematik auf und hält eine Vielzahl von Unterstützungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Formen und für unterschiedliche Phasen bereit.

Dieses Buch will den Einstieg in das Thema Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung erleichtern. Der Bezug auf quint-essenz ist dabei exemplarisch zu verstehen. Auch andere Angebote wie z.B. der Good-Practice-Ansatz bieten gute Orientierungsmöglichkeiten. Thematisiert wird vor allem die Qualitätsentwicklung in Projekten und Programmen, der Band geht aber auch auf die Frage ein, welche Rolle quint-essenz in Organisationen spielen und in welchem Verhältnis es zum Qualitätsmanagement von Organisationen stehen könnte.

Der Band ist in vier Teile gegliedert:

Im ersten Teil werden die Grundlagen beleuchtet (Kap. 1 bis 3). Hier skizzieren wir zunächst die Herausforderungen, vor denen Gesundheitsförderung steht (Kap. 1), ehe wir in Kap. 2 zentrale Elemente des Qualitätsmanagements beschreiben und die Frage diskutieren, wie der Qualitätsbegriff für die Gesundheitsförderung zu verstehen ist. In Kap. 3 werden wichtige Aspekte des Qualitätsmanagements beschrieben und auf die verschiedenen Referenzsysteme in der Gesundheitsförderung übertragen.Teil 2 widmet sich der systematischen Qualitätsentwicklung. Diese orientiert sich am Qualitätssystem quint-essenz von Gesundheitsförderung Schweiz. In Kap. 4 werden zentrale Aspekte des Qualitätsmanagements beschrieben und übergeordnete Instrumente vorgestellt. Die folgenden sechs Kapitel (Kap. 5 bis Kap. 10) orientieren sich jeweils an einem von sechs zentralen Bereichen des Projekt- und Qualitätsmanagements in der Gesundheitsförderung. Es handelt sich um dieselben Bereiche, die auch das Qualitätssystem quint-essenz strukturieren: Prinzipien der Gesundheitsförderung, Begründung, Planung, Organisation, Steuerung sowie Evaluation und Valorisierung. Diese Kapitel richten sich vor allem an Projektleitende und Projektmitarbeitende.Teil 3 nimmt eine andere Perspektive ein und widmet sich in Kap. 11 der Frage, welche Rolle quint-essenz auf der Ebene der Organisationen einnehmen kann und wie sich quint-essenz mit Qualitätsmanagementsystemen kombinieren lässt, die in Organisationen zur Anwendung kommen.In Teil 4 (Kap. 12) schließlich werfen wir die Frage auf, inwiefern quint-essenz in der Lage ist, Akteure der Gesundheitsförderung bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen zu unterstützen. Wir gehen dabei von den Erfahrungen aus, die wir selber mit der Vermittlung von quint-essenz gemacht haben.

Wir vertreten in diesem Buch die These, dass die Anwendung eines Qualitätssystems viele Vorteile hat, u.a. weil in Projekten dadurch systematische Reflexionsmöglichkeiten geschaffen werden, ein gemeinsames Verständnis über die Ziele der Aktivitäten erreicht wird und die Steuerung von Interventionen in komplexen sozialräumlichen Systemen erleichtert wird. Qualitätsentwicklung ist zudem eine Qualifizierungsstrategie und erhöht die Chancen für Nachhaltigkeit. Nicht zuletzt trägt Qualitätsentwicklung zur beruflichen Profilierung bei und fördert die Professionalisierung des Handlungsfeldes. Wir sind uns bewusst, dass der Einsatz eines Qualitätssystems Ressourcen erfordert – wie jeder andere Lernprozess auch – und von Ambivalenz geprägt sein kann: Alle wollen gute Projekte, die meisten tun auch etwas dafür, aber nicht immer systematisch. Dies hat verschiedene Gründe, die wir in diesem Buch diskutieren wollen. Zugleich wollen wir es der Leserin, dem Leser „schmackhaft machen“, die Angebote von quint-essenz auszuprobieren und sind überzeugt davon, dass Leserinnen und Leser, die Elemente von quint-essenz ausprobieren, vom Nutzen bald überzeugt sein werden.

Teil 1 Grundlagen

1 Herausforderungen der Gesundheitsförderung

Gesundheitsförderung im Sinne der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist komplexer geworden. Waren vor Jahren noch die Aktion „Gesundes Frühstück“ in der Schule oder die Rückenschule im Betrieb typische Beispiele für dieses Handlungsfeld, hat sich mittlerweile ein Ansatz durchgesetzt, der das Verhalten und die materiellen, sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Gesundheit („Verhältnisse“) gleichermaßen in den Blick nimmt. Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte Settingansatz findet zunehmend Anerkennung. Dies spiegelt sich z.B. im Präventionsgesetz wider, das 2015 in Deutschland in Kraft trat. Dieses verstärkt den Ansatz der Gesundheitsförderung in Lebenswelten, nicht nur konzeptionell, sondern auch durch finanzielle Ressourcen. Der Settingansatz zieht anspruchsvolle Interventionen nach sich, die sozialräumliche Systeme gestalten. Neben den traditionellen Settings Schule und Betrieb werden zunehmend die Kommune, das Wohnquartier oder die Wohnregion ins Zentrum der Aktivitäten gerückt. Hierüber soll nicht nur die anvisierte Zielgruppe erreicht werden, sondern auch die Lebenswelten selbst sollen gesundheitsförderlich gestaltet werden. Settingorientierte Interventionen werden beispielsweise in den kantonalen Aktionsprogrammen, die von Gesundheitsförderung Schweiz und den Kantonen umgesetzt werden, gezielt gefördert. Sie stehen auch im Fokus des Aufbaus kommunaler Präventionsketten und der Entwicklung integrierter kommunaler Strategien, bei denen verschiedene Akteure kleinräumig miteinander vernetzt werden.

Mit solch anspruchsvollen Interventionen stellen sich neue Herausforderungen. Umfassende Erwartungen an die Qualitätsentwicklung werden von vielen Seiten formuliert, vor allem von Auftrag- oder Geldgebern. Je anspruchsvoller Interventionen werden, je mehr Akteure involviert sind, je konsequenter Partizipation umgesetzt wird, je mehr die Beeinflussung der Determinanten der Gesundheit im Vordergrund steht, desto größer sind die Herausforderungen, die an die Intervention selbst, aber auch an die Qualitätsentwicklung gestellt werden.

Wir nehmen im Folgenden die oben erwähnten kommunalen Präventionsketten und die Zusammenarbeit von Gesundheitsförderung Schweiz mit den Kantonen im Rahmen der kantonalen Aktionsprogramme als Ausgangspunkt, um die erwähnten Herausforderungen zu skizzieren.

1.1 Integrierte kommunale Strategien zur Gesundheitsförderung: Aufbau kommunaler Präventionsketten

Die Chancen für eine gesunde Entwicklung sind ungleich verteilt, da sich soziale Ungleichheit bereits im Kindes- und Jugendalter auf die Gesundheit auswirkt (Lampert & Richter, 2006; Lampert, Hagen & Heizmann, 2010). Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland wächst unter Armutsbedingungen auf, in den neuen Bundesländern ist ihr Anteil sogar noch höher: Ihre Familien haben weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung. Bei vielen Kindern handelt es sich nicht um eine temporäre Situation, sondern um einen Dauerzustand (Bertelsmann Stiftung, 2017). Um allen Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, bieten sich integrierte kommunale Strategien zur Gesundheitsförderung an, in die unterschiedliche Akteure der kommunalen Ebene eingebunden sind. Einige Bundesländer haben unter dem Namen „Präventionskette“ Modellversuche gestartet, in denen solche integrierten kommunalen Gesundheitsförderungsstrategien aufgebaut werden, die durch strukturelle Veränderungen ein tragfähiges Unterstützungsnetz erarbeiten wollen. Im Rahmen des Kooperationsverbundes gesundheitliche Chancengleichheit wird der Aufbau von integrierten kommunalen Strategien zur Gesundheitsförderung unterstützt und begleitet5.

Für Kinder in belasteten Familien gibt es bereits eine Fülle von Hilfsangeboten. Diese stammen aus der Jugendhilfe, aber auch aus dem Sozial- und Bildungsressort, dem Angebot der Frühen Hilfen6 und natürlich auch aus dem Gesundheitsbereich. Die Hilfsangebote sind aber wenig aufeinander abgestimmt und gehen oft an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien vorbei. Ziel der Präventionsketten ist es, die bestehenden Hilfesysteme sektorenübergreifend aufeinander abzustimmen und die vielfältigen Unterstützungsangebote „vor Ort“ miteinander zu vernetzen – über die Lebensphasen hinweg und unter Einbezug der Akteure unterschiedlicher Handlungsfelder (interprofessionell und intersektoral), um ein gesundes Aufwachsen unter guten Bedingungen zu ermöglichen. Das Vorhandene soll besser genutzt werden, um „auch die zu erreichen, die sonst durchs Netz fallen“ (Richter-Kornweitz & Utermark, 2013; S. 14). Besonderes Augenmerk gilt der Gestaltung von Übergängen, z.B. von der Kindertagesstätte in die Schule, denn gerade bei solchen Übergängen verändern sich häufig die Zuständigkeiten und die Hilfsangebote werden unterbrochen.

Präventionsketten sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet (Richter-Kornweitz & Utermark, 2013; S. 11):

Wechsel von der Risiko- zur Ressourcenperspektive,lebenslaufbezogenes Vorgehen,Übernahme der Subjektperspektive (nicht die Perspektive der Professionellen ist relevant, sondern die des Kindes bzw. seiner Familie)Orientierung an den Lebenswelten.

Der Ansatz ist ressourcenorientiert und fokussiert auf Teilhabe und Entwicklungschancen – die Determinanten der Gesundheit sind zentraler Ankerpunkt. Mit den Präventionsketten sollen die Ressourcen gestärkt und Chancengleichheit hergestellt werden (Richter-Kornweitz, Holz & Kilian, 2016). Was sich so einfach anhört, erfordert ein systematisches Vorgehen und einen langen Atem, haben doch die Akteure aus unterschiedlichen Hilfesystemen jeweils eine andere Handlungslogik. Kooperationen sind häufig unüblich, und die Zielsetzungen der Hilfesysteme variieren deutlich, nicht zuletzt, weil jeweils unterschiedliche gesetzliche Vorgaben zu beachten sind. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Akteure gewohnt sind, innerhalb ihrer Sektorengrenzen zu arbeiten (Böhme & Reimann, 2018). Die Grundidee, von der Zielgruppe aus zu denken und deren Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, erscheint sinnvoll, ist aber für viele Akteure ungewohnt.

„Grundintention von Präventionsketten ist es, die vorhandenen Strukturen zu einer integrierten kommunalen Infrastruktur weiterzuentwickeln, in der alle vor Ort engagierten Akteure zusammenarbeiten, sich ressort- und handlungsfeldübergreifend vernetzen und durch gemeinsames Planen und arbeitsteiliges Handeln präventive Angebote und Hilfen für die Bürger und Bürgerinnen schaffen.“ (Richter-Kornweitz et al., 2016; o.S.).

Bereits in den Modellversuchen (z.B. „Kein Kind zurücklassen“ in Nordrhein-Westfalen) wurde Wert darauf gelegt, dass Prinzipien der Qualitätsentwicklung eingehalten werden. So ist eine systematische Bestandsaufnahme, die Lücken im Unterstützungssystem identifiziert ebenso zentral wie eine Bedarfsanalyse und die Ermittlung der Bedürfnisse der Zielgruppe – Empowerment und Partizipation sind hier die zentralen Schlüsselbegriffe, die den starken Bezug zu den Prinzipien und Werten der Ottawa-Charta erkennen lassen (siehe auch die Beiträge von Richter-Kornweitz sowie Göldner & Hofrichter in Kolip, 2019). Aus den Ergebnissen dieser Analysephase werden dann spezifische Ziele abgeleitet und Vorhaben geplant und umgesetzt. Wie diese konkret ausgestaltet werden, ist vom jeweiligen kommunalen Kontext und seinen Akteuren geprägt.

Praxiseinblick

Präventionsketten Niedersachsen

Gesund aufwachsen für alle Kinder!

„Gesund aufwachsen für alle Kinder!“ lautet das Motto des Programms Präventionsketten Niedersachsen, mit dem wir niedersächsische Kommunen bei der Entwicklung integrierter kommunaler Strategien finanziell fördern und fachlich begleiten. Ziel ist, das gelingende Aufwachsen aller Kinder zwischen 0 und 10 Jahren zu fördern, insbesondere aber derjenigen, die in Armut aufwachsen. Das Programm wird durch die Stiftung Auridis gGmbH finanziert. Schirmfrau ist die niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.

Planungsqualität sichern: kindorientiert vorgehen bei Bestandsaufnahme und -analyse

Unsere Kommunen haben sich bei ihrer Bewerbung bereits auf Handlungsschwerpunkte und erste Ziele festgelegt. Für die Feinabstimmung und zur Sicherung der Planungsqualität brauchen sie nun einen differenzierten Überblick über ihre Angebote und Angebotslücken. Zu den ersten Schritten im Prozess gehören daher Bestandsaufnahme und -analyse. Sie sollen Transparenz bieten und eine aussagekräftige Basis für die strategische Planung liefern.

Generell gleicht das Vorgehen den dazu allgemein empfohlenen Verfahrensweisen. Im Fall von Präventionsketten empfehlen wir außerdem, bei der Analyse der gesundheitsfördernden bzw. präventiven Angebote „kindorientiert“ vorzugehen, d.h. sich an Lebenslage und Lebenslauf zu orientieren. Die zentrale Frage lautet dann: Ist in unserer Kommune das, was „das Kind“ für eine gelingende Entwicklung bzw. ein Aufwachsen im Wohlergehen braucht, wirklich vorhanden?

Dazu werden die Angebote entsprechend den Altersstufen und Praxisfeldern (Schwangerschaft, Krippe, Kita, …) geordnet, ebenso wie die zur Sicherung des Übergangs in eine neue Altersphase. Außerdem werden sie nach ihrer Zielrichtung sortiert, je nachdem, ob die Sicherung der materiellen, kulturellen, sozialen oder gesundheitlichen Situation des Kindes im Vordergrund steht. Die so entstehende strukturierte Übersicht über die Angebotslandschaft lässt Angebotslücken lebenslagen- und lebensphasenorientiert hervortreten und bietet fundierte Grundlagen für weitere Zielsetzungen im Prozess.

Dr. Antje Richter-Kornweitz, Programmleitung Präventionsketten Niedersachsen, Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen und Akademie für Sozialmedizin e.V.

1.2 Gesundheitsförderung regional verankern: kantonale Aktionsprogramme von Gesundheitsförderung Schweiz und den Kantonen

Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz hat im Jahr 2007 ein Schwerpunktprogramm für ein gesundes Körpergewicht bei Kindern und Jugendlichen lanciert, mit der strategischen Ausrichtung, der Zunahme von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. Im Mittelpunkt dieser Strategie stand die Zusammenarbeit mit den Kantonen.

Im Jahr 2017 konnten die kantonalen Aktionsprogramme thematisch und bezüglich Zielgruppen fokussiert werden. Sie umfassen heute vier Module, in denen die Kantone Maßnahmen planen und umsetzen können: Bewegung und Ernährung sowie psychische Gesundheit sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für ältere Menschen (vgl. Abbildung 1-1).

Gesundheitsförderung Schweiz steuert die kantonalen Aktionsprogramme auf übergeordneter Ebene entlang nationaler Leitziele, entwickelt Grundlagen, Instrumente und Materialien und unterstützt die Kantone finanziell und fachlich bei der Umsetzung ihrer Programme. Mittlerweile engagieren sich 23 der 26 Schweizer Kantone in mehrjährigen, von den entsprechenden kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren unterzeichneten Aktionsprogrammen.

Abbildung 1-1: Kantonale Aktionsprogramme von Gesundheitsförderung Schweiz.

Die Aktionsprogramme orientieren sich an acht Grundsätzen7. Einer davon sind die vier Ebenen, aus denen die Programme bestehen:

Interventionen zur Förderung von ausgewogener Ernährung, ausreichender Bewegung und der psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen sowie älteren Menschen in unterschiedlichsten Settings (z.B. in Schulen, Familien, Gemeinwesen) und unter Einbezug verschiedener Multiplikatorengruppen (z.B. Lehrpersonen, Betreuerinnen und Betreuer sowie medizinisches Fachpersonal),Policy-Maßnahmen zur Förderung und Verankerung von strukturellen Lebens- und Umfeldbedingungen sowie zur flächendeckenden Verbreitung der Interventionsprojekte,Öffentlichkeitsarbeit, die über die Zusammenhänge zwischen Bewegung, Ernährung und (psychischer) Gesundheit informiert und für ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung sowie für Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit sensibilisiert und motiviert,Vernetzung zur Nutzung von Synergien zwischen den verschiedenen Kantonen, zwischen den kantonalen Departementen (Gesundheit, Sport, Erziehung, Soziales etc.) sowie zwischen Kanton, Gemeinden und Multiplikatorengruppen.

Die große Herausforderung und gleichzeitig auch das Erfolgsrezept der kantonalen Aktionsprogramme bildet die Balance zwischen nationalen Vorgaben auf der einen Seite (z.B. im Rahmen der vier Säulen) und kantonalen Ausgestaltungen auf der anderen Seite. So kann den unterschiedlichen Ausgangslagen und spezifischen Kontexten in den Kantonen Rechnung getragen werden, ohne eine übergeordnete Systematik zu verlieren (Gesundheitsförderung Schweiz, 2010b).

1.3 Zentrale Herausforderungen in Projekten

Am Beispiel der kantonalen Aktionsprogramme und kommunalen Präventionsketten lassen sich die zentralen Herausforderungen benennen, vor denen Interventionen in der Gesundheitsförderung stehen, die vernetzt arbeiten und unter den gegebenen Rahmenbedingungen etabliert werden sollen.

1.3.1 Komplexität

Bei Programmen und Projekten der Gesundheitsförderung handelt es sich um anspruchsvolle Interventionen in Settings, also komplexe sozialräumliche Systeme (vgl. Kasten 3). Settings sind geprägt von einer Vielzahl von Personen und Gruppen, die miteinander in vielfältiger Weise interagieren. Die Beispiele der Präventionsketten und der kantonalen Aktionsprogramme zeigen, dass dies auch intendiert ist: Wenn wichtige Schlüsselpersonen in ein Vorhaben eingebunden und miteinander vernetzt werden, so die Annahme, wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die geplante Intervention wirksam und nachhaltig ist. Bei den Präventionsketten ist Vernetzung ein zentrales Anliegen. Komplexität entsteht auch dadurch, dass Settings wie Schulen, Betriebe oder Kindertagesstätten in regem Austausch mit ihrer Umwelt stehen, von der sie stark beeinflusst werden und die sie wiederum selber beeinflussen.

Fokus

Kasten 3: Komplexe soziale Systeme8

Sowohl die Begriffe komplex als auch kompliziert werden gewöhnlich mit Attributen wie „vielschichtig“, „verwoben“ und „nicht einfach“ umschrieben, aber selten analytisch unterschieden. Komplexität, wie sie der Komplexitätstheorie zugrunde liegt, lässt sich gut mit einem Vergleich von Glouberman und Zimmerman (2002) begreifen. Der Autor und die Autorin grenzen komplexe Herausforderungen zu einfachen und komplizierten ab. Im Unterschied zum Befolgen einer Rezeptur (einfache Herausforderung) und der Aufgabe, eine Rakete zum Mond zu senden (komplizierte Herausforderung), sind komplexe Herausforderungen wie beispielsweise die Erziehung eines Kindes auch bei wiederholter Durchführung von Unsicherheit geprägt. Kinder reagieren auf Erziehungsmaßnahmen individuell und situationsabhängig unterschiedlich, und das stereotype Befolgen rezeptartiger Handlungsanweisungen führt oft nicht zur gewünschten Wirkung. Frühere Erfahrungen können zwar helfen, komplexe Herausforderungen erfolgreich zu meistern, allerdings nicht durch strikte Repetition gelungener Ansätze, sondern durch einen Rückgriff auf unterschiedliche Erfahrungsaspekte situationsgeleiteten Handelns. Während komplizierte Systeme zwar durchaus vielschichtig und verwoben sein können (z.B. ein Kraftwerk), sind sie in ihrer Funktionsweise doch prinzipiell berechenbar und voraussagbar – die Wirkungsweise eines komplizierten Systems ist verstehbar, wenn wir alle Einzelteile kennen. Die Wirkungsweise eines komplexen Systems hingegen ist nicht aus seinen Einzelteilen heraus verstehbar, sie ist letztlich weder voraussagbar noch berechenbar – einzelne Systemkomponenten interagieren miteinander und mit ihrer Umwelt in vielfältiger Weise, was zu immer neuen Verknüpfungen, Wechselwirkungen und Rückkoppelungen führt. Soziale Systeme, die nicht komplex sind, sind auf dieser Grundlage kaum vorstellbar, lediglich der Grad der Komplexität unterscheidet sich.

Gesundheitsförderung ist auch deshalb komplex, weil sie die Determinanten der Gesundheit und nicht nur das Verhalten einzelner Individuen verändern will. Public Health hat gezeigt, dass Faktoren der sozialen, ökonomischen, politischen, kulturellen sowie natürlichen und materiellen Umwelt miteinander, aber auch mit personalen Ressourcen auf vielfältige Weise interagieren (zum Konzept der Determinanten der Gesundheit siehe Dahlgren & Whitehead, 1991). Die Einflussfaktoren auf Gesundheit und Wohlbefinden sind allerdings nicht einfach zu identifizieren.

1.3.2 Gesundheitsförderung als Intervention in sozialräumlichen Systemen

Die Komplexität ist eine zentrale Herausforderung, aus ihr leiten sich zahlreiche weitere Herausforderungen ab. Jedes Setting ist als sozialräumliches System grundsätzlich einzigartig und in seiner Funktions- und Wirkungsweise vielschichtig, hoch dynamisch und nur schwer vorhersagbar (Wright, 2006) (vgl. Kasten 4). Gesundheitsförderungsprojekte in solchen Systemen sind vor große Herausforderungen gestellt. Sie streben in der Regel Wirkungen auf unterschiedlichen Interventionsebenen und mit unterschiedlichem Zeithorizont an. Da die Wirkungswege sehr vielfältig und von unterschiedlichsten Wechselwirkungen und Rückkoppelungen geprägt sind, können Effekte nur sehr bedingt vorausgesagt und geplant werden und es kann nicht immer schlüssig bestimmt werden, inwiefern eine beobachtete Wirkung tatsächlich Ergebnis einer bestimmten Maßnahme ist (Dörner, 2010). Eine kleine Maßnahme kann plötzlich eine große Dynamik