Getrieben von süßer Rache (3-teilige Serie) - Michelle Smart - E-Book

Getrieben von süßer Rache (3-teilige Serie) E-Book

Michelle Smart

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

ZWISCHEN LEIDENSCHAFT UND SÜßER RACHE Wie Messerstiche im Herzen fühlen sich seine verachtenden Blicke an. Aber tapfer steht Freya zu ihrem Plan: Sie wird den arroganten Milliardär Benjamin Guillem heiraten, denn sie braucht sein Geld für die teuren Arztkosten ihrer schwerkranken Mutter. Dabei weiß sie genau, dass Benjamins Antrag nur Teil eines Racheplans ist: Er hat sie auf sein Château entführt, um sich an ihrem betrügerischen Verlobten zu rächen. Doch woher kommt diese erotische Anziehungskraft, die die gestohlene Braut in einer magischen Nacht in die Arme ihres Feindes treibt? SÜßE ERPRESSUNG IM INSELPARADIES Hochzeit aus Rache? Luis Casillas hat einen ebenso perfiden wie verführerischen Plan, es seinem betrügerischen Freund heimzuzahlen: Er entführt dessen Schwester Chloe auf seine weiße Jacht, mit Kurs auf eine Privatinsel. Hier soll Chloe ihm ihr Ja-Wort geben! Die plötzliche Erkenntnis in ihren Augen, als sie seinen Plan durchschaut, bereitet ihm tiefe Befriedigung. Aber niemals darf sie erfahren, dass ihn viel mehr als Rache bewegt: Aus der kleinen Schwester seines Feindes ist eine betörende Schönheit geworden, die er glühend begehrt … "Oh, ich verfüge über außerordentlich menschliche Bedürfnisse, Bonita …", murmelte Luis. "Und du wirst bald Gelegenheit bekommen, das selbst herauszufinden." DER SPANISCHE MILLIARDÄR UND DIE TÄNZERIN "Da du mein Kind unter dem Herzen trägst, muss nur noch eins beschlossen werden: das Datum unserer Hochzeit." "Natürlich heiraten wir!" Der spanische Milliardär Javier Casillas ist ein Mann von Ehre. Zwar hat er nur ein paar heiße Stunden mit der schönen Tänzerin Sophie verbracht: süß, leidenschaftlich und ohne an das Morgen zu denken. Aber das Kind, das Sophie nun erwartet, wird seinen Namen tragen. Auch wenn er selbst keine Sekunde an Liebe glaubt! Doch Javier hat seine kühle Rechnung ohne Sophies Warmherzigkeit gemacht. Sie hat sich und ihrem Baby ein zärtliches Versprechen gegeben, das Javier zutiefst erschüttert …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 594

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Michelle Smart

Getrieben von süßer Rache (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2018 by Michelle Smart Originaltitel: „Billionaire’s Bride for Revenge“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2360 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Gudrun Bothe

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733710514

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

1. KAPITEL

Benjamin Guillem ließ seinen Blick über die illustre Gästeschar schweifen, die den Garten der prachtvollen Villa bevölkerte, mitten im Herzen von Madrid. Dass er einen Kopf größer war als die meisten hier, machte es ihm leicht. Außerdem schien er als Einziger ohne Begleitung gekommen zu sein und war vermutlich auch der Einzige, der nicht vorhatte, auf Javier Casillas Verlobung anzustoßen.

Als eine Kellnerin vorbeikam, nahm er sich trotzdem ein Glas vom Tablett und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Die Champagnerperlen verätzten seine aufgeraute Kehle und verstärkten noch den qualvollen Druck, der seine Brust zu sprengen drohte.

Die Erkenntnis, aufs Schmählichste betrogen worden zu sein, brachte ihn fast um den Verstand. Javier und Luis, die perfiden Casillas-Brüder, hatten ihre lebenslange Freundschaft ausgenutzt, um ihn an den Rand des Ruins zu treiben. Wie es aussah, gab es dafür unumstößliche Indizien.

Trotzdem hoffte er immer noch, die vorliegenden Beweise würden sich als falsch erweisen. Dass ihn seine Instinkte, auf die er sich stets verlassen konnte, diesmal trogen. Die Alternative war zu widerwärtig, um auch nur darüber nachzudenken. Auf jeden Fall würde er diese Party nicht verlassen, bevor er die ganze Wahrheit kannte.

Benjamin organisierte sich ein zweites Glas Champagner und steuerte den kunstvollen Springbrunnen an, von dem aus er das gesamte Terrain überblicken konnte. Er entdeckte Luis am anderen Ende des Gartens, umringt von seiner üblichen Entourage, bestehend aus Jasagern und Speichelleckern.

Seinen Zwillingsbruder Javier zu erwischen, den heutigen Gastgeber, würde sich weit schwieriger gestalten. Anders als Luis war er kein Partyhengst, sondern ein absoluter Verweigerer, was soziale Kontakte betraf. Und das schon immer, noch bevor der Vater der zweieiigen Zwillinge deren Mutter vor mehr als zwanzig Jahren umgebracht hatte.

Seine düsteren Gedanken um die Casillas-Brüder verflüchtigten sich in dem Moment, als Benjamin eine dunkelhaarige Schönheit aus dem eleganten Salon auf den grünen Rasen treten sah. Lächelnd hob sie ihr Gesicht gen Himmel und schloss die Augen, als wolle sie jeden einzelnen Sonnenstrahl auf ihrer Haut einfangen. Ihre Anmut und Grazie ließ auf den ersten Blick die professionelle Tänzerin erkennen.

Auf dieser Party tummelten sich jede Menge Künstler.

Javiers neue Verlobte war Solotänzerin in der Ballettkompanie, die das Brüderpaar zum Gedenken an ihre Mutter gegründet hatte. Benjamin fragte sich, ob die graziöse Ballerina wusste, dass sie nur eine Trophäe für ihren Verlobten war. Und selbst wenn, störte es sie ja möglicherweise gar nicht.

Er selbst hatte sich nie fürs Ballett oder die dazugehörige Klientel begeistern können, bis heute …

Die Abendsonne zauberte rötliche Reflexe aufs dunkle Haar der grazilen Schönheit. In weichen Wellen fiel es über die Schultern auf den schmalen Rücken herab. Die zarten Gesichtszüge wirkten eher interessant als ebenmäßig, was möglicherweise an dem festen Kinn lag, dessen Entschlossenheit durch den großzügigen Mund mit der schwellenden Unterlippe etwas gemildert wurde.

Als spürte sie sein intensives Starren, wandte sie plötzlich den Kopf, und ihre Blicke tauchten ineinander. Ohne den Augenkontakt abzubrechen schob sie die feingeschwungenen Brauen in einer stummen Frage zusammen, dann zuckte ein Lächeln um ihre Mundwinkel.

Benjamin merkte, wie sich der Druck in seiner Brust verstärkte. Nein, eine klassische Schönheit war sie nicht, aber auffallend und absolut faszinierend. Er konnte einfach nicht den Blick abwenden, und ihr schien es ebenso zu gehen. Ein magischer Moment, der nur ihnen beiden gehörte – das wortlose Einverständnis zweier Fremder.

Dann tauchte ein Schatten in ihrem Rücken auf, sie blinzelte, und der Bann war gebrochen.

Es war der Gastgeber, Javier, der aus dem Wintergarten trat, um sich zu seinen Partygästen zu gesellen. Als er Benjamin sah, neigte er grüßend den Kopf und legte seinen Arm demonstrativ besitzergreifend um die schmale Taille der Tänzerin.

Erst diese Geste machte Benjamin endgültig klar, dass die Frau, deren Lächeln jetzt seltsam eingefroren wirkte, Javiers Verlobte war. Verärgert über sich selbst presste er die Lippen zusammen, schüttelte die Verzauberung ab, die ihn sekundenlang umfangen gehalten hatte, und besann sich wieder aufs Wesentliche. Er war schließlich nicht hier, um zu feiern oder zu flirten, sondern aus geschäftlichen Gründen.

„Benjamin, wie schön, dich zu sehen“, begrüßte Javier ihn im Näherkommen. „Ich glaube, du kennst meine Verlobte Freya noch nicht, oder?“

„Nein.“ Als er ihr direkt ins Gesicht schaute, sah er, wie sich die schmalen Wangen röteten. „Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Unter anderen Umständen hätte er sich tatsächlich gefreut und ganz sicher versucht, den sprechenden Blickkontakt auszuweiten. Jetzt empfand er eher Unbehagen. Keine Frau, die verlobt war, sollte einem anderen Mann Blicke zuwerfen, wie er und Freya sie ausgetauscht hatten.

Eine offizielle Vorstellung zwischen seinem ältesten Freund und seiner brandneuen Verlobten empfand Javier offenbar als überflüssig. „Hast du Luis schon gesehen?“

„Bisher nicht, aber ich hoffe, das baldmöglichst nachholen zu können. Wir müssen reden. Luis, du und ich … vertraulich“, sagte er brüsk.

Während Javier ihn aus schmalen Augen musterte, herrschte angespanntes Schweigen zwischen ihnen. Dann nickte Javier langsam und winkte einen Kellner heran. „Finden Sie meinen Bruder und sagen Sie ihm, dass Señor Guillem und ich ihn in meinem Arbeitszimmer erwarten.“ Ohne seiner Verlobten eine Erklärung zu gönnen, nahm er seinen Arm von ihrer Taille, wandte sich abrupt um und verschwand im Haus.

Zwei Monate später …

Lächle, Freya, dies ist eine Party, und das Ganze ist für einen guten Zweck. Lächle für die Kameras, für deinen Verlobten, der immer noch nicht aufgetaucht ist, aber von dir erwartet, dass du deinen Charme spielen lässt, auch in seiner Abwesenheit.

Lächle für die anderen Gäste, die dir fremd sind, und tu so, als wärt ihr intime Freunde, während du deine Wange an ihre presst oder sie mit falschen Luftküssen begrüßt, während sich dir der Magen umdreht …

Lächle, während du vorgibst, am Champagner zu nippen, und lächle dem Personal zu, das silberne Platten mit köstlichen Hors d’Œuvres herumreicht, aber komm nicht auf die Idee, davon auch nur zu probieren …

Einfach nur lächeln …

Und das tat sie, so unverdrossen und ausdauernd, dass ihre Wangenmuskeln schmerzten.

Zur Solotänzerin der Compania de Ballet de Casillas befördert zu werden, bedeutete eine große Verantwortung. Nun war sie das offizielle Gesicht des neuen State-of-the-Art-Theaters, das die Casillas-Brüder bauen ließen und das in Kürze eröffnet werden sollte. Ihr Gesicht war es, das sämtliche Anzeigen und Plakate zierte, die das große Ereignis ankündigten. Und sie tanzte auch die Solopartie in der Eröffnungsproduktion.

Sie, Freya Clements, Sprössling einer Familie aus East London, die so arm war, dass sich ihre Eltern im Winter oft zwischen Essen oder Heizung entscheiden mussten.

Es war ein Traum. Ein gelebter Traum.

Und die Ehe mit Javier Casillas würde … ja, was würde sie sein?

Fast hätte sie es als die Krönung bezeichnet, doch das war die falsche Metapher. Oder das falsche Gleichnis? Sie hatte die beiden Begriffe noch nie richtig definieren oder auseinanderhalten können. Wie auch immer, es gab kein Gleichnis und keine Metapher, die ihre Gefühle, die geplante Heirat betreffend, auch nur annähernd beschreiben würden.

Javier war reich, immens reich sogar! Niemand wusste, wie viel er und sein Zwillingsbruder Luis wert waren, aber der Zusatz Milliardär fehlte eigentlich nie, sobald einer von ihnen in der Presse auftauchte. Außerdem war Javier unfassbar attraktiv. Und er hatte sie zu seiner Lebenspartnerin erwählt, wie er es ausdrückte.

Als sie ihm das erste Mal begegnete, glaubte Freya, ihrem Prince Charming gegenüberzustehen, nur ohne den Titel oder den dazugehörigen Charme.

Dabei machte es gar nichts aus, dass ihr Verlobter sich eher als mürrisch erwies. Von Liebenswürdigkeit kein Spur! Außerdem war er kaum für sie da, sondern ständig abwesend. Tatsächlich kam ihr das sogar entgegen. Wichtig war nur, ihrer Mutter, deren Zustand sich beängstigend schnell verschlechterte, eine reelle Chance zu verschaffen.

Und deshalb würde Javier Casillas in genau einer Woche ihr Ehemann sein.

Der Ballettbetrieb sollte von dem Tag an für zwei Wochen ruhen, sodass die neuen Schulungs- und Proberäume fertiggestellt werden konnten. Javier hatte angeordnet, ihre Hochzeit so in den Zeitraum einzubetten, dass er ihre Trainingsroutine nicht störte.

Wo blieb er nur? Er hätte bereits vor einer Stunde hier sein sollen. Sie hatte sich in die Damentoilette geschlichen, um ihn anzurufen, aber ihr Handy funktionierte nicht. Es gab hier weder ein Signal noch eine Internetverbindung. Sie würde es später erneut versuchen, sobald sie sich noch einmal verdrücken konnte.

Die Presse war heute Abend besonders stark vertreten, begierig darauf, den ersten öffentlichen Auftritt des verlobten Paares mitzuerleben: „Von Javier Casillas, Sohn der berühmten Primadonna Clara Casillas und Yuri Abramova – eine brisante Vereinigung, die in Drama und Schande endete – und einer Ballerina, deren tänzerisches Potenzial auf eine ähnlich kometenhafte Karriere hoffen ließ wie die seiner Mutter.“

So lautete zumindest die Headline einer hochkarätigen spanischen Zeitschrift, die sich Freya von ihrer besten Freundin und Mitbewohnerin hatte übersetzen lassen. Sophie tanzte ebenfalls im Ballett, teilte ein Apartment mit ihr und beherrschte die spanische Sprache mit einer Leichtigkeit, die Freya die eigene Unzulänglichkeit nur noch mehr vor Augen führte.

Und das nach zwei Jahren in Madrid!

Heute Abend war nahezu das gesamte Ballett-Ensemble anwesend, quasi als dekorative Staffage für die Party, zu Ehren der Sponsoren und Förderer der schönen Künste, um deren Spendenwilligkeit zu erhöhen.

Sophie hatte sich mit einer schweren Migräne entschuldigt, unter der sie in den letzten Wochen bereits häufiger gelitten hatte, wodurch sich Freya noch unsicherer und elender fühlte als ohnehin schon.

Lächeln … einfach nur lächeln! betete sie ihr stummes Mantra heroisch vor sich hin.

Also weitete sie ihre Mundwinkel, akzeptierte mit einer leichten Neigung des Kopfes den angedeuteten Wangenkuss einer der reichsten Frauen Europas und versuchte, nicht in der Parfümwolke zu ersticken, die sie dabei inhalierte.

Aus den Augenwinkeln sah sie eine hohe Gestalt den Ballsaal des Nobelhotels betreten – und erstarrte.

Er war es! Der Mann von ihrer Verlobungsfeier.

Benjamin Guillem.

Der Name, an den sie in den letzten zwei Monaten viel zu häufig gedacht hatte. Und nicht nur das! In ihren Tagträumen hatte sie sich immer wieder sein dunkles attraktives Gesicht in Erinnerung gerufen, um sich abzulenken und zu trösten. Und nachts …

Ein Gefühl drohender Gefahr ließ Freyas Herz schneller schlagen und ihr Blut heiß durch die Adern rauschen. Rasch senkte sie den Blick, wandte sich zur Seite und lächelte einem älteren Herrn zu, der ganz offensichtlich ihre Aufmerksamkeit suchte.

Sie durfte Benjamin auf keinen Fall so intensiv anstarren wie damals auf der Terrasse. Wenn er tatsächlich zu ihr rüberkam, würde sie ihm dasselbe hohle Lächeln schenken wie allen anderen Gästen, und sich darauf konzentrieren, irgendwelche Nichtigkeiten von sich zu geben. Und zwar in einer sorgfältig kultivierten Sprache, die den Ost-London-Akzent vermissen ließ, den sie sich in den letzten Jahren mühsam abtrainiert hatte.

Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie sich wie paralysiert gefühlt, unfähig, einen Ton von sich zu geben. Und ihn nur angegafft wie ein alberner Teenager!

Freyas Sinne waren geschärft und in äußerster Alarmbereitschaft. So sehr sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, was ihr der nette alte Herr von seiner tanzbegeisterten Enkelin erzählte, es wollte ihr nicht gelingen.

Und dann war er plötzlich da, stand wartend, hoch aufgerichtet direkt hinter ihrem eher schmächtigen Gesprächspartner und wirkte so bedrohlich, dass ihre Haut am ganzen Körper prickelte. Er verzog keine Miene, als sie höflich über einen schwachen Witz des sichtlich stolzen Großvaters lachte, war aber offenbar wohlerzogen genug, um auf eine natürliche Pause in ihrer Unterhaltung zu warten, bevor er sie ansprach.

„Mademoiselle Clements?“

Zu ihrem Entsetzen stellte Freya fest, dass ihre Stimmbänder wie eingefroren waren, und nickte deshalb nur schwach.

„Wir haben uns auf Ihrer Verlobungsfeier getroffen. Ich bin Benjamin Guillem, ein alter Freund Ihres Verlobten.“

Er hatte einen aufregenden französischen Akzent, wie flüssiger, dunkler Honig. Im Gegensatz zu den anderen Partygästen machte er keine Anstalten, sie in eine Umarmung zu ziehen, sondern starrte sie einfach nur eindringlich an, wie er es schon damals auf der Terrasse getan hatte. Seine markanten Gesichtszüge und der südländische Teint passten perfekt zum rabenschwarzen Haar und den starken Brauen. Eine herrische Nase und die fast verblasste Narbe über dem klassisch geschnittenen Mund vervollständigten ein Portrait, das an die finsteren Helden des Film Noir erinnerte.

Während fast alle Gäste im Smoking erschienen waren, trug Benjamin Guillem zum schwarzen Maßanzug ein schwarzes Hemd mit einer schmalen silbernen Krawatte. Dadurch wirkte das leuchtende Grün seiner unglaublichen Augen, denen nichts zu entgehen schien, noch lebendiger und herausfordernder.

„Ich erinnere mich“, sagte Freya leichthin und zwang sich zu einem nichtssagenden Lächeln, während ihr Herz schmerzhaft im Hals schlug. „Sie haben mir damals meinen Verlobten entführt.“ Wie dankbar sie ihm dafür gewesen war, sagte sie nicht.

Und wie besitzergreifend Javier seine Hand um ihre Taille gelegt hatte. Eine Geste, die andere Frauen zweifellos genossen hätten, sie aber kalt ließ. Freya hoffte nur, ihre Gefühle für Javier würden irgendwann, bevorzugt in nächster Zukunft, so weit auftauen, dass sie sich empfänglicher für seine Berührungen zeigte. Spätestens aber in sieben Tagen, wenn sie vor dem Altar standen.

Bisher hatte Javier sich glücklicherweise noch zurückgehalten, vielleicht, weil er momentan geschäftlich extrem eingespannt war, aber das würde sich nach der Hochzeit unweigerlich ändern.

Dass es keine Liebesheirat sein würde, wussten sie beide, und doch die einzige Ehe, die sie, ebenso wie Javier, bereit war einzugehen und zu leben. Er konnte sich weiterhin in erster Linie seinen Businessverpflichtungen widmen und sie sich ihrem Tanz und ihrer Karriere, bis es Zeit war, Javier den gewünschten Erben zu schenken.

Sie würde weniger seine Gefährtin als seine Vorzeige-Trophäe sein, darüber machte sie sich keine Illusionen. Aber vielleicht könnten sie ja Freunde werden, sobald sie sich etwas besser kannten. Und selbst wenn nicht, war die Ehe mit Javier für sie so etwas wie ein Glückslos …

Alles besser, als hilflos mitansehen zu müssen, wie ihre Mutter dahinsiechte. Als Javiers Frau würde sie in der Lage sein, die Zeit, die der Todkranken blieb, vielleicht zu verlängern, in jedem Fall aber sicherzustellen, dass es ein lebenswertes Leben blieb.

Benjamin neigte leicht den Kopf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Bedauerlich, aber nicht zu vermeiden. Es ging um Geschäfte, die nicht warten konnten.“

„Dasselbe hat Javier behauptet.“ Mehr hatte sie auch nicht aus ihrem Verlobten herausbekommen, als er sich an ihrem Verlobungstag über eine Stunde später wieder zu ihr gesellte. Sein harscher Ton hatte ihr allerdings signalisiert, dass weitere Fragen nicht erwünscht wären.

Bisher war Javier für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Unmöglich zu öffnen und darin zu lesen. Wobei ihr Interesse damals zugegebenermaßen auch weder ihrem Verlobten noch seinem Bruder galt, sondern allein dem Fremden, der sie so eindringlich angestarrt hatte. Sie musste sich sehr beherrschen, Javier nicht mit Fragen über diesen Benjamin zu bestürmen, was sie selbst einigermaßen irritierte.

Welch ein Glück, dass Javier es nicht vermochte, ihr Herz derart zum Rasen zu bringen, wie dieser Franzose. Sonst hätte sie zweimal darüber nachdenken müssen, seinen Antrag anzunehmen. So empfand sie ihre bevorstehende Hochzeit und Ehe zwar irgendwie befremdlich, aber es blieb ein Geschäft. Nicht mehr und nicht weniger.

Wichtig war allein ihre Mutter. Und ihrer Karriere würde es auch nicht schaden.

„Falls Sie Javier suchen, muss ich Sie enttäuschen“, sagte Freya, als sich das Schweigen zwischen ihnen unangenehm ausdehnte, nachdem der nette ältere Herr sich zurückgezogen hatte. „Er ist leider noch nicht da. Luis auch nicht, soweit ich weiß.“

Benjamin suchte nach Anzeichen dafür, dass Freya von der Feindschaft zwischen ihm und den Casillas-Brüdern wusste, doch das schien nicht der Fall zu sein. Es hätte ihn auch verwundert, wenn Javier seine Verlobte ins Vertrauen gezogen hätte. Dafür war er einfach nicht der Typ.

Was er allerdings ziemlich heftig spürte, waren unsichtbare Schwingungen, die von ihr ausgingen, als ob ihre gesamte Haut vor Elektrizität knisterte. Eine Energie, die auf ihn übersprang und ihn in den Sog dieser dunklen Augen zog, die ihn schon anlässlich ihrer ersten Begegnung in den Bann geschlagen hatten.

Mon Dieu! Er durfte sich durch nichts und niemand von seiner wichtigen Mission ablenken zu lassen, die er bis auf die letzte Minute geplant hatte.

Anders als auf ihrer Verlobungsparty, hatte sie ihr dunkles Haar heute in einem strengen Ballettknoten gebändigt, ihre zierliche Gestalt wurde durch das ärmellose Samtkleid in dramatischem Scharlachrot noch besonders betont. Die blassen Schultern schimmerten im Schein der prachtvollen Lüster wie kostbarer Alabaster.

Es juckte Benjamin in den Fingern, ihre seidig wirkende Haut zu berühren, und als er sich etwas vorbeugte, wurde er von einem sanften Duft eingehüllt, der seine Sinne benebelte. „Verzeihen Sie, Mademoiselle Clements, ich weiß, dass Javier nicht hier ist“, raunte er so leise, dass nur sie es hören konnte. „Und ich habe Nachrichten, die allein für Ihre Ohren bestimmt sind.“

Als einzige Reaktion zeigte sich auf ihrer glatten Stirn eine winzige steile Falte, die schwarzen Augen weiteten sich eine Spur.

„Darf ich …“ Er wies mit dem Kinn dezent in Richtung der riesigen Schwingtüren.

Freya nickte nach kaum merklichem Zögern, schob ihre Hand durch seine Armbeuge und ließ sich von Benjamin aus dem Ballsaal führen. Mitten durch die prominenten und gut betuchten Sponsoren, die sich prächtig unterhielten, während sie darauf warteten, dass ihre Gastgeber endlich auftauchten, um die Fundraising-Gala zu eröffnen.

Benjamin lächelte grimmig. Wenn alles wie geplant verlief, würden sie darauf noch lange warten müssen …

Unter einer Flut neugieriger Blicke zwang er sich zu einem nonchalanten Lächeln, was ihm nicht mal schwerfiel. Denn sobald Javier irgendwann diesen Ballsaal betrat, würde man ihm mitteilen, dass seine Verlobte ihn am Arm seines ehemaligen Freundes und jetzigen Feindes verlassen hatte.

Dass es so weit kommen musste, hatte er nie gewollt. Es war allein die Schuld von Javier und Luis. Er hatte den Brüdern anlässlich ihres letzten unversöhnlichen Treffens eine Frist gesetzt und sie davor gewarnt, dass die Nichtbegleichung des geschuldeten Betrags Konsequenzen zur Folge haben würde.

Die Frau an seinem Arm war ein unvermeidbarer Kollateralschaden in diesem hässlichen Dilemma, das die betrügerischen Bastarde geschaffen hatten.

Sobald sie die Hotel-Lobby erreicht hatten, blieb Benjamin neben einer Marmorsäule stehen. „Verzeihen Sie mir den kleinen Trick, mit dem ich Sie aus dem Ballsaal gelockt habe, aber Javier steckt in einer Klemme. Er möchte die anderen Gäste nicht beunruhigen und hat mich gebeten, Sie zu benachrichtigen und abzuholen.“

„Ist er verletzt?“ Die leicht raue Stimme passte zu ihrer faszinierenden Erscheinung.

„Nein, zum Glück nicht. Ich soll Sie nur so schnell wie möglich zu ihm bringen.“

Angesichts ihres zweifelnden Blickes, legte er eine Hand über ihre, die immer noch in seiner Armbeuge ruhte. „Kommen Sie, wir wollen uns beeilen.“ Damit marschierte er einfach los, und Freya musste sich konzentrieren, um auf ihren hohen Absätzen mit ihm Schritt halten zu können.

Benjamin fluchte innerlich, als er einen schmerzhaften Druck in der Brust spürte. Scham- und Schuldgefühle ließen sich eben nicht so leicht unterdrücken, zumal eine derart perfide Aktion, wie er sie geplant hatte, eigentlich gar nicht zu ihm passte.

Nom de Dieu! Dies war Javiers Verlobte …

Chloe, Benjamins Schwester, arbeitete als Schneiderin in der Ballettkompanie und kannte Freya. Sie hatte sie als nett beschrieben, wenn auch ein wenig distanziert. Intelligent. Zu intelligent, um nicht genau zu wissen, welchen Mann sie da heiraten würde.

Macht und Geld regieren die Welt und sind mächtige Aphrodisiaka, dachte er zynisch. Aber was für ihn noch viel schwerer wog, war das gefährliche Prickeln, das von der schmalen Frauenhand auf seinem Arm ausging und seinen gesamten Körper in Flammen zu setzen drohte. Schon jetzt rauschte ihm das Blut wie flüssige Lava durch die Venen.

Sein Chauffeur erwartete sie vor dem Hotel. Benjamin half Freya beim Einsteigen und starrte sekundenlang in die Überwachungskamera über dem Eingang, bevor er sich zu ihr setzte.

„Und Sie wissen wirklich nicht, in welchen Schwierigkeiten Javier steckt?“, fragte sie verunsichert nach.

„Mademoiselle Clements, ich bin nur Kurier und Ihr Begleiter auf dieser Reise. Alles andere erfahren Sie, sobald wir unser Ziel erreicht haben.“

„Wo ist Javier?“

„In Florenz.“

„Was? Immer noch?“

„Soweit ich verstanden habe, gab es irgendeine Verzögerung.“

Und zwar eine, die durch meine Sabotage zustande gekommen ist. Benjamin hatte einen Flughafenangestellten bezahlt und ihm einen weiteren Scheck über zehntausend Euro in Aussicht gestellt, wenn er es fertigbrachte, den Abflug von Javiers Privatjet um zwei Stunden zu verzögern. Eine ähnliche Summe ging an ein Handy-Netzwerk, um Freyas Smartphone zu blockieren.

Als sie kaum zehn Minuten später auf einen abgelegenen Flugplatz fuhren, richtete sie sich abrupt im weichen Ledersitz auf. „Ich habe keinen Pass bei mir.“

„Den brauchen Sie nicht.“ Sein eigener Jet wartete auf sie, ebenso wie die Crew, bereit, den Flieger zu starten, sobald Freya und er an Bord und angeschnallt waren.

Benjamin ignorierte den zweiten Ansturm des vehementen Schuldgefühls und biss die Zähne zusammen, während Freya ihm in den Jet folgte. Vertrauensvoll wie ein unwissendes Schäfchen auf dem Weg zur Schlachtbank.

Seit sie das Hotel verlassen hatten, waren kaum dreißig Minuten vergangen. Als sie endlich angeschnallt auf ihren Plätzen saßen, atmete Benjamin tief durch. Sein Plan hatte funktioniert.

Er wandte den Kopf und musterte Freyas zartes Profil. Sie wirkte ruhig, beinahe entspannt. Das einzige Anzeichen von Nervosität zeigte sich im leisen Klopfen ihrer Fingerspitzen auf der Armlehne.

Benjamin schluckte trocken. Er würde sie so schnell wie möglich erlösen.

„Etwas zu trinken?“

Sie wandte sich ihm zu und suchte seinen Blick. „Gibt es hier auch Tee?“

„Ich dachte eher an etwas Stärkeres.“

„Brauche ich das denn?“, fragte sie mit erhobenen Brauen.

Noch nicht, dachte er zynisch, behielt das allerdings für sich. „Nein, aber vielleicht hilft es Ihnen, sich zu entspannen, ma chérie“, murmelte er stattdessen und legte seine Hand über ihre trommelnden Finger.

Freya zuckte zurück und verschränkte ihre Hände im Schoß, was ihm ein leises Lachen entlockte.

Er winkte einen Flugbegleiter heran. „Bringen Sie Mademoiselle Clements ein Getränk ihrer Wahl. Für mich ein Glas Portwein.“

Keine Minute später hielten sie ihre Drinks in Händen, und Freya nippte an ihrem Gin Tonic, den Blick fest auf den dunklen Nachthimmel gerichtet. Kurz darauf versuchte sie, ein Gähnen zu kaschieren.

„Sie sind müde?“, fragte Benjamin höflich.

Die Antwort bestand aus einem heftigen Kopfschütteln, das sich gleich darauf in ein Nicken verwandelte, untermalt von einem weiteren Gähnen. Als sie seinem belustigten Blick begegnete, lachte Freya leise auf. „Verzeihung, aber Fliegen macht mich immer schläfrig. Dasselbe gilt fürs Autofahren. Sind Sie sicher, dass mit Javier alles in Ordnung ist?“, fügte sie übergangslos hinzu.

„Sehr sicher“, lautete die knappe Antwort. „Sie können Ihren Sitz per Knopfdruck in ein recht komfortables Bett umfunktionieren. Soll ich Ihnen dabei helfen?“

Erneutes Kopfschütteln. „Nein danke, nicht nötig …“ Ein weiterer Schluck Gin Tonic.

Schwankend zwischen Belustigung, Rührung und dem unvermeidlichen Schuldgefühl, beobachtete Benjamin ihren stummen Kampf, die Augen offen zu halten. Doch die Lider wurden immer schwerer, und sie blinzelte angestrengt. Minuten später blieben ihre Augen geschlossen, die Brust hob und senkte sich in einem sanften Rhythmus.

Als er sich behutsam vorbeugte und ihr das Glas aus den schlaffen Fingern nahm, hoben sich die Lider, und ihr Blick traf ihn wie ein dunkler, heißer Blitz mitten ins Herz. Während Benjamin noch den Atem anhielt, zuckte um Freyas Mundwinkel ein schwaches Lächeln, dann flatterten die Lider erneut und schlossen sich.

Mit rasendem Puls lehnte er sich in seinem Sitz zurück, schloss die Augen und atmete tief durch. Was hatte diese Frau nur an sich, dass er derart heftig auf sie reagierte? Er verstand es nicht, und das nervte ihn zutiefst.

Nach all den Demütigungen und juristischen Kämpfen, die er in den letzten zwei Monaten wegen der verräterischen Casillas-Brüder hatte ertragen und ausfechten müssen, tauchte nur eins immer wieder vor seinem inneren Auge auf: Freyas Gesicht.

Fast widerwillig öffnete Benjamin die Augen, wandte den Kopf und starrte die Schlafende an. Gut so, dachte er. Die ebenso schwierige wie unvermeidliche Diskussion nicht in luftiger Höhe eröffnen zu müssen, könnte den Schock möglicherweise etwas mildern.

Javiers Verlobte würde noch früh genug erfahren, dass sie entführt worden war.

2. KAPITEL

Irgendetwas riss Freya aus ihrem leichten Schlummer. Als sie feststellte, dass Benjamin sie immer noch anstarrte, spürte sie heiße Röte in ihre Wangen steigen.

„Ich wollte Sie gerade wecken, wir werden nämlich in Kürze landen“, sagte er freundlich, doch sein Lächeln wirkte seltsam angespannt.

„Sorry, ich habe wirklich versucht, mich wachzuhalten“, entschuldigte sie sich, unterdrückte ein Gähnen und schlüpfte wieder in ihre High Heels, die sie im Schlaf offenbar abgestreift hatte. „Reisen entspannt mich total, ich weiß auch nicht, warum.“

So war es schon immer gewesen, seit ihre Eltern sie abwechselnd im Kinderwagen schoben, um sie zum Einschlafen zu bringen, wie sie oft genug erzählt bekommen hatte. Sobald sie dem Kinderwagen entwachsen war, wurden die täglichen Spaziergänge in den Buggy verlegt, immer denselben Weg entlang, der sie an der örtlichen Ballettschule vorbeiführte. Spätestens dort war sie stets aufgewacht.

„Freya auch tanzen!“, hatte sie offenbar jedes Mal energisch beim Anblick der Ballettschülerinnen in ihren rosa Tutus verlangt.

So waren es zwei Konstanten in ihrem Leben, die Freya auf die regelmäßigen Spazierfahrten von damals zurückführte. Ihre glühende Liebe zum Ballett und die praktische Fähigkeit, in jedem Transportmittel einzuschlafen. Innerhalb von maximal zehn Minuten lag sie im tiefsten Schlummer, ungeachtet des Ziels oder etwaiger Aufregungen.

Dass es heute fast dreißig Minuten gedauert hatte, bevor sie der Schlaf in Benjamins Jet übermannte, hatte eher mit der verstörenden Weise zu tun, wie ihr unberechenbares Herz auf ihren Begleiter reagierte, als auf etwaige Ängste, die sie um ihren Verlobten ausstand.

Schlimm genug, dass ihre Finger so seltsam kribbelten, seit sie die unter seiner kräftigen warmen Hand weggezogen hatte. Oder ihr Blut immer noch heiß und fordernd durch die Adern strömte, wie es nur in der Nähe ihres Verlobten zulässig war …

Javier! Hatte Benjamin ihr nicht versichert, dass er unverletzt war und sie sich keine Sorgen machen müsse? Freya spürte einen seltsamen Schauer über ihren Rücken huschen, biss sich auf die Unterlippe und starrte wieder aus dem Fenster.

Beim letzten Mal waren sie hoch über den Wolken gewesen, jetzt konnte sie dunkle Schatten ausmachen, die an Berge und dichte Wälder erinnerten. Dazwischen immer wieder funkelnde Lichter von Städten und kleineren Ortschaften.

Nichts davon kam ihr bekannt vor.

Freyas Unbehagen nahm zu, je tiefer sie flogen. Krampfhaft hielt sie nach einer vertrauten Landmarke Ausschau … nach irgendetwas, was dem Flattern ihrer Magennerven entgegenwirken könnte, weshalb sie die glatte Landung auch kaum mitbekam.

Nervös bedankte sie sich bei den freundlichen Crew-Mitgliedern, bevor sie die Metallstufen hinunterstieg, unbekannten Boden betrat und instinktiv schnupperte. Nur eine Woche zuvor war sie während einer Europatournee mit ihrer Ballettkompanie in Florenz gelandet. Dort hatte es nicht so gerochen … nicht nach Lavendel.

Benjamin war vor ihr ausgestiegen und wartete auf sie neben einer schwarzen Luxuslimousine. Die hintere Wagentür stand offen.

„Wo sind wir hier?“, fragte sie mit belegter Stimme und fühlte ein seltsames Unbehagen in sich aufsteigen.

„In der Provence.“

Es dauerte einen Moment, bis das gesackt war. „Die Provence in Frankreich?“

„Oui.“

Ihre Augen wurden ganz groß. „Habe ich das falsch verstanden? Ich dachte, Javier sei immer noch in Florenz.“ Das hatte er doch gesagt, oder nicht? Vielleicht lag es ja an seinem Akzent …

Benjamin schüttelte den Kopf. „Sie haben richtig gehört.“

Eine positive Aussage, die ihr dennoch das Blut in den Adern gefrieren ließ. Verzweifelt versuchte Freya, ihre aufsteigende Panik zu verbergen.

Sie hatte Benjamin erst einmal getroffen, wusste aber, dass er Javier und Luis bereits aus Kindertagen kannte. Ihre Mütter waren beste Freundinnen gewesen. Sie wuchsen zusammen auf, wie in einer Familie.

Erfahren hatte sie das während einer Kostümprobe, anlässlich ihrer letzten Tournee, die sie ins wundervolle Florenz geführt hatte. Dort traf sie auf eine neu eingestellte Schneiderin, eine attraktive junge Frau namens Chloe Guillem. Als Freya sie beiläufig fragte, ob sie in irgendeiner Beziehung zu Benjamin Guillem stehen würde, erfuhr sie, dass Chloe seine Schwester war. Sie waren ins Plaudern gekommen und …

„Wo ist Javier wirklich?“, wollte sie wissen.

Benjamin sah auf die Uhr, bevor er antwortete. „Ich denke, inzwischen wieder in Madrid, wo er sehr bald erfahren wird, dass Sie verschwunden sind. Und zwar in meiner Begleitung. Vielleicht weiß er es ja auch schon.“

Freya schluckte mühsam. „Wovon reden Sie da?“

„Ma douce, ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen, dass Sie unter falschen Vorspiegelungen hierhergelockt wurden. Javier hat mich nie gebeten, Sie zu ihm zu bringen.“

Sie lachte. Es war ein Reflex, der absurden Behauptung geschuldet, die Benjamin ihr mit todernster Miene präsentierte. „Ist das ein albernen Scherz, den Javier und Sie zusammen ausgeheckt haben?“ Seltsam nur, dass sie bisher jeden Funken von Humor bei ihrem Verlobten vermisst hatte.

Auch Benjamins unerschütterliche Miene zeigte keine Spur von Amüsement, stattdessen huschte ein dunkler Schatten über die harten Züge, der sie frösteln ließ. Ihr Unbehagen vertiefte sich, als sie ihr Handy aus der Tasche zog und feststellen musste, dass es immer noch nicht funktionierte.

„Verdanke ich das etwa auch Ihnen?“, fragte sie rau und hielt ihm anklagend ihr Smartphone entgegen.

„Morgen wird es wieder freigeschaltet“, versprach er gelassen und trat zur Seite. „Steigen Sie ein, ich werde Ihnen unterwegs alles erklären.“

Freyas Herz klopfte bis zum Hals, als sie instinktiv zurückwich und panisch um sich schaute. Der weitläufige Landeplatz wurde umringt von hohen Bäumen, die in der Dunkelheit seltsam bedrohlich wirkten. Der einzige Laut war das Motorengeräusch des Privat-Jets. Links von der Landebahn entdeckte sie ein containerartiges Betongebäude, in dem Licht brannte. Dorthin mussten nach ihrer Landung die Männer in Warnwesten verschwunden sein, die ihr vage aufgefallen waren. Dort gab es bestimmt ein funktionierendes Telefon.

Freya schluckte noch einmal, dann schob sie ihr Kinn energisch vor. „Ich gehe nirgendwo hin, ehe Sie mich nicht darüber aufgeklärt haben, was hier läuft“, sagte sie mit erzwungener Ruhe, verstaute ihr blockiertes Handy wieder in ihrer Tasche und tastete möglichst unauffällig nach der Dose mit dem Pfefferspray, die sie immer bei sich führte.

Benjamin hatte sie keine Sekunde aus den Augen gelassen und hob mit schwachem Lächeln die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Ich bringe Sie zu mir nach Hause. Sie haben mein Ehrenwort, dass Ihnen nichts geschehen wird.“

„Ganz sicher nicht!“, stieß Freya hervor. „Ich will hier und jetzt wissen, was für ein perfides Spiel Sie mit mir treiben.“

Benjamin hatte sichtbar Mühe, seine Ungeduld zu zügeln. „Es gibt eine Menge zu besprechen und aufzuklären. Das lässt sich angenehmer in privater Atmosphäre und in einem gewissen Komfort bewerkstelligen.“

„Hier und jetzt, ehe ich wieder in den Flieger steige und den Piloten anweise, mich umgehend zurück nach Madrid zu fliegen“, beharrte sie kalt.

Um zum Jet zu gelangen, musste sie allerdings an ihm vorbei. Ihre Tanzausbildung hatte ihr ganz sicher mehr Kraft und Beweglichkeit verliehen, als andere Frauen besaßen, trotzdem wäre ein ernsthaftes Kräftemessen mit dieser soliden Wand aus Muskeln und purer Männlichkeit dicht vor ihr ebenso absurd wie lächerlich.

Täuschte sie sich, oder blitzte sogar kurz ein mitleidiger Schimmer in den smaragdgrünen Augen auf, die in der Dunkelheit wie die eines Raubtieres wirkten?

Egal! Ihre Finger schlossen sich um die Pfefferspraydose. Mit einem Ruck zog sie ihre Waffe hervor und zielte auf ihn. „Ich kehre auf der Stelle nach Madrid zurück, und Sie werden mich nicht daran hindern.“ Ohne auf seine Reaktion zu warten, schüttelte sie ihre High Heels von den Füßen und startete durch, in Richtung des erleuchteten Betongebäudes. Sie schaute nicht zurück, sondern fokussierte sich einzig und allein auf die Stahltür, drückte die Klinke herunter und …

Nichts. Die Tür war verschlossen.

„Dies ist ein Privatflughafen“, kam es gelassen von hinten. „Und er gehört mir. Hier wird Ihnen niemand helfen, ma douce.“

Freya fuhr herum, mehr wütend als ängstlich, was sie selbst überraschte. Eigentlich müsste sie doch eher Panik als Wut empfinden, oder nicht? Er hatte sie angelogen und sie absichtlich ins falsche Land gebracht. Niemand tat das, wenn er keine schlechten Absichten hatte.

Benjamin hatte sich nicht bewegt. Er stand immer noch am Auto und beobachtete sie teilnahmslos. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass jemand am Steuer saß. Und dann stellte sie mit Entsetzen fest, dass die Flugzeugmotoren im Hintergrund immer lauter wurden und der Jet sich mit zunehmender Fahrt über die Landebahn bewegte, ehe er sich elegant in die Lüfte hob und am Nachthimmel ihren sehnsüchtigen Blicken entschwand.

„Nun kommen Sie schon …“ Diesmal schwang leichte Ungeduld in der dunklen Stimme mit. „Ihnen wird nichts passieren, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

„Warum sollte ich Ihnen glauben?“, rief Freya.

Zur Antwort bekam sie ein lässiges Schulterzucken. „Würden Sie mich kennen, müssten Sie das nicht fragen“, kam es dann arrogant zurück. „Ich halte immer mein Wort.“

Warum sie ausgerechnet bei dieser heroischen Versicherung schauderte, konnte Freya sich selbst nicht erklären. Vielleicht, weil es sich in ihren Ohren eher bedrohlich als beruhigend anhörte?

Sie könnte natürlich versuchen wegzurennen und sich in der Dunkelheit verstecken. Aber was dann? Sie hatte keine Ahnung, wo sie hier war, ihr Handy funktionierte immer noch nicht, und nennenswertes Barvermögen hatte sie auch nicht dabei. Wahrscheinlich nicht mal ein paar Münzen …

Benjamin beobachtete fasziniert ihren stummen Kampf, wie sie sichernd um sich schaute und ihre bloßen Arme rieb, ehe sie ihn mit einem finsteren Blick bedachte. Dann machte sie sich plötzlich kerzengerade und kam langsam auf ihn zu, wobei sie mit der Pfefferspraykartusche auf sein Gesicht zielte. „Sollten Sie sich mir auch nur auf Armeslänge nähern, werde ich mich wehren“, warnte sie ihn, und er glaubte ihr aufs Wort.

Von Unsicherheit oder gar Panik war nichts mehr zu sehen. Ihr schmales Gesicht glühte förmlich vor Entschlossenheit und Angriffslust, wie Benjamin zufrieden registrierte.

Denn hätte er tatsächlich geglaubt, sie würde zu der ängstlichen oder hysterischen Sorte gehören, hätte er diesen Coup nie geplant. Doch alles, was er über Freya erfahren hatte, bestätigte seine Annahme, dass sie eine Frau von Format war. Festzustellen, dass er sich nicht getäuscht hatte, vermittelte ihm fast so etwas wie ein Hochgefühl.

Und es machte alles einfacher.

„Ich habe Ihnen bereits mein Wort gegeben“, erinnerte er sie kühl.

„Und sich als Lügner erwiesen“, schoss sie augenblicklich zurück. „Auf ihr Wort gebe ich daher nicht allzu viel!“ Sie schnippte mit den Fingern ihrer freien Hand und warf aufsässig den Kopf in den Nacken.

Benjamin wandte sich der wartenden Limousine zu. „Steigen Sie nun ein oder soll ich Sie hierlassen?“ Angewidert von sich selbst versuchte er den bitteren Geschmack von Lüge und Verrat runterzuschlucken, der ihm die Kehle zu verätzen drohte. Dabei war das noch nichts gegen den emotionalen Flächenbrand, der in seinem Innern wütete, seit ihm das Ausmaß des Verrats der Casillas-Brüder in vollem Umfang bekannt war.

Mit aufsässigem Funkeln in den dunklen Augen stieg sie in den Wagen.

Als er sich neben Freya setzte, rückte sie so weit wie möglich von ihm ab, wobei sie immer noch mit der Spraydose auf ihn zielte.

Benjamin schnaubte verächtlich. „Wenn ich Ihnen tatsächlich etwas antun wollte, wäre das längst passiert.“

Ihre Haltung veränderte sich kein bisschen.

„Tragen Sie dieses Ding eigentlich ständig bei sich?“, wollte er wissen.

„Ja.“

„Warum?“

Um die vollen Lippen spielte ein Lächeln. „Für den Fall, dass ein Verrückter auf die absurde Idee kommt, mich zu entführen.“

„Touché!“ Benjamin musste sich ein anerkennendes Grinsen verkneifen. „Haben Sie es schon einmal benutzt?“

„Es gibt für alles ein erstes Mal … sagt man das auch in Frankreich?“

Sein Grinsen wurde breiter. „Dann werde ich versuchen, Sie nicht zu provozieren.“

„Weisen Sie lieber Ihren Fahrer an, mich zum nächsten Flughafen zu bringen.“

„Und wie wollen Sie ohne Pass von dort wegkommen?“

Freya schluckte. Verflixt, daran hatte sie nicht gedacht! Ebenso wenig wie an ihre Schuhe, die immer noch auf dem Rollfeld standen! Benjamins geplante Perfidität trieb heiße Zornesröte in ihre Wangen.

Als der Wagen über ein in die Straße eingelassenes Viehgitter rollte, ließ sie das laute Scheppern zusammenfahren. Benjamin hingegen konnte von diesem Geräusch nie genug bekommen. Für ihn bedeutete es, endlich zu Hause zu sein.

Nachdem sie mindestens eine weitere Meile durch dunklen Wald gefahren waren, überquerten sie ein zweites Viehgitter und hielten kurz darauf vor einem riesigen schmiedeeisernen Tor, das sich elektrisch öffnete.

Zum ersten Mal, seit sie in die Limousine gestiegen war, nahm Freya ihren sengenden Blick von Benjamins Gesicht und schaute über seine Schulter aus dem Wagenfenster. Ihre Augen weiteten sich, bevor sie blinzelte und ihren Beifahrer erneut anstarrte.

„Sie können Ihre Waffe zurück in den Halfter stecken“, sagte er kühl. „Wir sind da.“

Erwartet wurden sie von einem älteren Butler, der Freyas Tür öffnete und ihr höflich eine Hand entgegenstreckte.

Benjamin kam gerade noch rechtzeitig um den Wagen herum, um sie sagen zu hören: „Können Sie mir helfen? Ich bin entführt worden. Rufen Sie bitte die Polizei.“

Pierre lächelte bedauernd. „Je ne parle pas anglais, Mademoiselle.“

Freya seufzte, legte die Handgelenke aneinander, um eine Fesselung anzudeuten, und als Pierre sie nur ausdruckslos anstarrte, seufzte sie erneut und legte eine Hand ans Ohr, um ein Telefonat zu imitieren. „Telefon? Polizei? Hilfe …!“

Während ihrer amüsanten Pantomime lenkte Benjamins Fahrer den Wagen gemächlich aus dem Hof.

„Pierre spricht kein Englisch, ma belle“, informierte Benjamin sie. Er hatte den alten Butler quasi geerbt, als er das Schloss kaufte, und brachte es nicht übers Herz, ihn in Pension zu schicken, nur weil er nicht mehrsprachig war wie seine jüngeren Kollegen.

„Ich werde schon jemand finden, der mich versteht!“, funkelte Freya ihn wütend an.

„Viel Glück dabei.“ Es gab nur eine Hausangestellte, die ein passables Englisch sprach, und Freya hatte gerade bewiesen, dass sie kein Wort Französisch verstand. „Lass uns reingehen und einen Happen essen, ehe wir reden. Du musst schrecklich hungrig sein!“

„Ich will dein Essen nicht!“, trotzte sie wie ein aufmüpfiges Kind, ohne seine vertrauliche Anrede zu registrieren. Und noch weniger ihre Reaktion darauf.

Dann wurde ihr die Absurdität der Situation plötzlich bewusst, und sie hielt sich eine Hand vor den Mund. „Tut mir leid“, murmelte sie erstickt. „Ich wollte nicht …“

„Bleiben wir doch dabei“, schlug Benjamin lässig vor. „Macht das Reden vielleicht einfacher.“ Damit wandte er sich um und stieg die massiven Granitstufen zum Haupteingang seines Schlosses empor. „Christabel“, rief er, da er wusste, dass seine Haushälterin nicht weit sein würde. Prompt tauchte sie wie aufs Stichwort auf.

„Bon soir, Monsieur“, begrüßte sie ihn lächelnd in seiner Muttersprache. „Hatten Sie eine gute Reise?“

„Danke, ja. Hier ist alles in Ordnung?“

„Oui, Monsieur, wir haben die Zimmer für Sie und Ihren Gast vorbereitet, wie Sie es wünschten.“ In ihren Augen flackerte es kurz auf, als sie an ihm vorbei Freya anstarrte, deren nackte Füße das übliche klackende Geräusch von hohen Absätzen auf dem polierten Marmorboden vermissen ließen.

Erst jetzt wurde Benjamin bewusst, dass ihre schwarzen High Heels wohl immer noch auf dem Rollfeld standen. Er würde sie Freya ersetzen müssen. „Danke, Christabel.“

Dann wandte er sich an Pierre, der ihnen ebenfalls gefolgt war. „Der Küchenchef soll uns eine Kleinigkeit zubereiten. Und bringen Sie uns bitte einen White Russian und einen Gin Tonic.“

Nachdem sich beide Hausangestellte zurückgezogen hatten, wandte er sich wieder Freya zu und wechselte ins Englische. „Möchtest du gleich reden oder dich zuerst frisch machen?“

Ihre Augen blitzten. „Ich will eigentlich überhaupt nicht reden, aber wenn du darauf bestehst, bringen wir es hinter uns, damit ich nach Hause kann.“

Benjamin lachte leise. „Ich denke, du solltest endlich akzeptieren, dass du heute Nacht nicht nach Hause gehst, ma douce …“

Fassungslos starrte Freya in seine faszinierenden grünen Augen, die sie in den letzten Wochen bis in den Schlaf verfolgt hatten. Und in deren heißer Tiefe sie noch kurz zuvor zu versinken drohte.

Jetzt hätte sie am liebsten wieder ihr Pfefferspray aus der Tasche gezogen und es ihrem Gegenüber ins arrogante dunkle Gesicht gesprüht. „Wann kann ich nach Hause?“, verlangte sie zu wissen.

„Um das in Ruhe entscheiden zu können, sollten wir uns endlich hinsetzen und reden“, kam es gelassen zurück.

„Wo?“

„In angenehmerer Atmosphäre als hier.“ Damit setzte er sich in Bewegung, ohne sich darum zu kümmern, ob sie ihm folgte oder nicht.

Freya schäumte innerlich vor Wut und Frust, als sie der hohen Gestalt hinterherstarrte, ehe sie sich selbst in Bewegung setzte.

Dieses Schloss … Es war riesig, überwältigend. Nie zuvor hatte sie etwas Eindrucksvolleres gesehen.

Sie holte ihn erst in einem Zimmer ein, dessen gewölbte Decke mindestens dreimal so hoch war wie in normalen Räumen, zudem mit farbigen Fresken verziert. Neben opulenten Möbeln und eindrucksvollen Skulpturen gab es an den Wänden riesige Gemälde, die wahrscheinlich unschätzbar wertvoll waren.

Mit offenem Mund folgte sie dem Hausherren in einen weiteren eindrucksvollen Raum, der leicht als Bibliothek zu klassifizieren war, angesichts der wohl mehr als zehntausend Bücher in den raumhohen Regalen, die sich zu beiden Seiten einem massiven Steinkamin anschlossen, vor dem eine antike Sitzgruppe stand.

Der anschließende Wohnbereich wirkte wesentlich leichter und lichtdurchflutet, sodass es auf den ersten Blick schwer war zu entscheiden, ob man sich innerhalb oder außerhalb des Châteaus befand. Wo eine Außenmauer hätte sein sollen, war nichts außer der lauen Nachtluft, die ihnen entgegenwehte. Die hohe Decke ruhte auf massiven Marmorsäulen, und im hellen Tageslicht musste die Aussicht von hier spektakulär sein.

Das Schloss schien ziemlich hoch in den Bergen zu liegen, denn weit unterhalb in der Ferne funkelten die Lichter unbekannter Ortschaften, die sie schon aus dem Jet hatte ausmachen können. Das einzige Anzeichen von Zivilisation, meilenweit entfernt …

„Willst du dich nicht setzen?“

Freya holte tief und zitternd Luft, ehe sie sich ihm zuwandte. Benjamin hatte es sich in einer L-förmigen weißen Sitzecke bequem gemacht. Vor ihm ein quadratischer Couchtisch aus Glas. Ohne sie aus den Augen zu lassen, befreite er sich von seiner silbernen Krawatte und öffnete die obersten beiden Knöpfe an seinem Hemd.

Der zerknitterte alte Mann, der sie bei der Ankunft begrüßt hatte, erschien quasi aus dem Nichts mit ihren Drinks. Er stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab, deutete eine Verbeugung an und zog sich dezent zurück.

Seufzend fuhr Benjamin sich mit allen zehn Fingern durchs dunkle Haart, ehe er nach seinem Glas griff und sich einen großen Schluck genehmigte. „Was weißt du eigentlich über meine Verbindung zu den Casillas-Brüdern?“, fragte er dann überraschend.

Freya blinzelte irritiert und ließ sich Zeit mit der Antwort. „Eigentlich nur, dass ihr alte Familienfreunde seid.“

Seine Miene verhärtete sich, während er langsam nickte. „Unsere Mütter standen einander sehr nah. Wir sind nur drei Monate auseinander, quasi seit der Wiege Spielkameraden, und fühlten uns nahezu fünfunddreißig Jahre wie Cousins. Wir waren immer füreinander da, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Ich denke schon“, sagte Freya gedehnt und hob die Schultern. „Ich weiß nur nicht recht, was du damit sagen willst.“

„Es ist der Schlüssel zu allem“, murmelte Benjamin düster und verwirrte sie damit noch mehr.

„Für mich sprichst du immer noch in Rätseln.“

„Das ändert sich möglicherweise, sobald du dich setzt und mir zuhörst.“

Freya kam näher und nahm einen schwachen Duft von Wacholder wahr. Obwohl sie nur selten Alkohol trank, liebte sie die erfrischende Kühle eines Gin Tonic. Normalerweise beschränkte sie sich auf einen Drink, aber schließlich wurde man ja nicht jeden Tag entführt! Und momentan konnte sie tatsächlich etwas brauchen, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen.

So nahm sie das Glas vom Tablett, verzog sich damit in die entlegenste Ecke des bequem wirkenden Sofas und rief sich die eiserne Selbstbeherrschung in Erinnerung, auf die sie ab ihrem dritten Lebensjahr gedrillt worden war. Auf keinen Fall wollte sie sich anmerken lassen, wie sehr ihr Gegenüber sie irritierte. Wie heiß und unkontrolliert ihr Blut durch die Adern strömte, sobald sich ihre Blicke trafen.

Sie trank einen Schluck Gin Tonic und zwang sich, ihrem Entführer fest in die Augen zu schauen. „Okay, ihr seid also wie Cousins miteinander aufgewachsen …“

Bevor er antworten konnte, erschien der Butler mit einem größeren Tablett als zuvor, das er ebenfalls auf dem Tisch abstellte. Auf einem langen Holzbrett sah Freya mehr Käsesorten, als sie überhaupt kannte, daneben knuspriges Baguette und eine Schale mit frischen Früchten.

„Merci, Pierre“, sagte Benjamin mit einem flüchtigen Lächeln. Der betagte Butler nickte und verschwand so lautlos wie zuvor.

„Nein, danke“, wehrte Freya den angebotenen Teller steif ab. Sie wollte lieber verhungern, als das Essen von ihrem Gefängniswärter anzunehmen!

Er akzeptierte das mit einem lässigen Schulterzucken und schnitt für sich selbst einen stattlichen Keil aus dem runden, weichen Camembert. Dann butterte er großzügig sein Baguette, bevor er es mit Käse belegte. „Da ich dich vor dem großen Festbuffet entführt habe, müsstest du eigentlich hungrig sein“, meinte nüchtern. „Du musst ja nicht unbedingt Käse essen, wenn …“

„Ich muss gar nichts essen“, unterbrach sie ihn störrisch und bezweifelte tatsächlich, dass sie momentan auch nur einen Bissen herunterbringen würde – egal, wovon. Nicht, bevor sie diesem zugegebenermaßen wunderschönen Gefängnis entflohen war.

Sehnsüchtig starrte sie hinaus in die Dunkelheit und war gezwungen zu akzeptieren, dass sie vor morgen früh nicht die leiseste Chance hatte, von hier zu entkommen. Aber gleich nach Sonnenaufgang würde sie das unbekannte Terrain sondieren, einen Schleichweg finden und sich verdrücken. Irgendwo und irgendwann würde sie schon auf jemand stoßen, den sie um Hilfe bitten konnte.

Benjamin nahm einen großen Bissen von seinem Baguette und kaute langsam und bedächtig. Sein durchdringender Blick ließ sie nicht für eine Sekunde los.

„Wenn du tatsächlich nichts essen willst, lass uns weitermachen“, sagte er kurz darauf. „Ich kläre dich jetzt über meine tatsächliche Beziehung zu Javier und Luis auf.“

Schlagartig schob Freya sämtliche Fluchtpläne zur Seite und wartete mit angehaltenem Atem.

Vielleicht hatte Benjamin ja den ganzen Aufwand tatsächlich nur betrieben, um in Ruhe mit ihr reden zu können, und würde sie morgen früh selbst zum Flughafen bringen!

So richtig daran glauben konnte sie allerdings nicht, denn dieses Gespräch hätten sie schließlich auch in Madrid führen können.

„Wie Cousins“, brachte sie ihn zurück auf den Punkt. „Eine moderne Variante der drei Musketiere. Einer für alle, alle für einen …“

„Exactement. Kennst du das Mont Blanc Centrum in Paris?“ Nach kurzer Überlegung entschied Benjamin sich diesmal für einen cremigen Ziegenkäse.

„Diesen Wolkenkratzer?“, fragte sie unsicher. Tatsächlich interessierte sie sich nur wenig für Dinge, die nicht in irgendeiner Form mit den schönen Künsten zusammenhingen. Aber Sophie war absolut fasziniert vom Mont Blanc Centrum. Sie würde nur zu gern eines der exklusiven Apartments bewohnen oder wenigstens die unterschiedlichen Restaurants testen, die mitten in der exklusiven Einkaufspassage lagen und von Michelin-Sterneköchen geführt wurden.

Benjamin nickte. „Wusstest du, dass Javier und Luis es gebaut haben?“

Freya zuckte mit den Achseln. „Zumindest, dass es ihnen gehören soll.“

„Und wusstest du auch, dass ich ihr Investor bin?“

„Nein.“

„Vor sieben Jahren sind sie deswegen an mich herangetreten, nachdem sie sich die Option auf das Baugrundstück sichern konnten. Wegen eines Cash-Flow-Problems baten sie mich, das Projekt als stiller Teilhaber zu unterstützen, worauf ich mich mit zwanzig Prozent der Gesamtsumme beteiligt habe. Es hieß, der Profit würde etwa eine halbe Milliarde Euro betragen.“

Freya stockte der Atem. Eine halbe Milliarde Euro?

„Es dauerte vier Jahre, ehe die regulären Bauarbeiten begannen, da es zunächst etliche bürokratische Hürden zu nehmen galt, und drei weitere Jahre, um den Bau zu realisieren. Warst du schon einmal dort?“

„Nein.“

„Es ist ein großartiges Projekt und eine Hommage an die beeindruckende Vision der Casillas-Brüder. Achtundachtzig Prozent der Wohnungen sind bereits verkauft. Elf multinationale Unternehmen hatten für Läden in der Shopping Mall unterzeichnet, noch ehe das Dach fertiggestellt war.“

„Hört sich nach einer echten Gelddruckmaschine an“, gab Freya zu. „Aber das ist wohl nicht der Grund, warum du mich mit diesem Geschäftskram nervst, oder?“

Sein durchdringender Blick ließ sie innerlich frösteln. „Wir alle wussten, dass die anfänglichen Gewinnprognosen konservativ kalkuliert wurden, aber keiner von uns wusste, wie vorsichtig. Wie es aussieht, beläuft sich der zu erwartende Gesamtgewinn auf etwas mehr als anderthalb Milliarden Euro.“

„Gratuliere.“

Wie viele Nullen das wohl sein mochten? Ihr Bankkonto war kaum dreistellig! Es war sicher eine Menge Geld, aber das hatte nichts mit ihr zu tun. Wollte er ihr damit vielleicht demonstrieren, dass er ebenso vermögend war wie Javier? Als ob dieses fantastische Château nicht ausreichte, um Eindruck zu schinden!

Aber warum sollte Benjamin sie überhaupt beeindrucken wollen? Mit Geld prahlte man nicht, zumindest war das ihre Einstellung. Jedenfalls war sie von ihren Eltern, die ständig am Existenzminimum herumkrebsten, zur Großzügigkeit erzogen worden und hätte nie mit jemandem tauschen wollen, der mehr besaß als sie.

Geld war kein Ersatz für Liebe.

Erst jetzt, da diese schreckliche Krankheit den Körper ihrer Mutter zerstörte und sie an ihr Schmerzenslager fesselte, wünschte Freya sich, ihre Eltern hätten eine Notreserve angelegt, auf die man jetzt zurückgreifen könnte. Dann würde sie sich auch nicht verpflichtet fühlen, Javier zu heiraten.

Aber dazu hatten die finanziellen Mittel nie ausgereicht, weil ihre Eltern rund um die Uhr schufteten, damit die Träume ihres einzigen Kindes wahr wurden …

„Ich habe zwanzig Prozent der Gesamtbaukosten getragen, was denkst du, wie viel Gewinn mir deshalb zusteht?“

„Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Buchhalter.“

„Dann rate einfach.“

„Zwanzig Prozent?“

„Oui, exactement. Zwanzig Prozent Rendite für zwanzig Prozent Investition. Das macht von anderthalb Milliarden summa summarum dreihundert Millionen, stimmt’s?“

„Wie gesagt, ich bin kein Buchhalter“, wiederholte Freya steif und wandte sich ab.

„Man muss kein Buchhalter sein, um mir darin beizupflichten, dass das eine Menge Geld ist.“

Freya zuckte nur nichtssagend mit den Achseln.

„Meine Investition habe ich zurückbekommen, aber nur fünf Millionen Euro vom Gewinn. Also das Äquivalent von fünf Prozent.“

Mit erhobenen Brauen wandte sie sich ihm wieder zu. „Und jetzt möchtest du von mir bedauert werden?“

„Das habe ich nicht gesagt“, knurrte er, gereizt von ihrer demonstrativen Gleichgültigkeit. Aber was hatte er von der Verlobten des größten Schufts Europas erwartet? „Ich wollte dir nur die Fakten erläutern, die dich hierhergebracht haben. Ich bin von Javier und Luis aufs Übelste hintergangen und betrogen worden. Die beiden schulden mir zweihundertfünfundzwanzig Millionen Euro.“

Dieses Geld war für eine Wohltätigkeitsorganisation bestimmt gewesen, die sich um traumatisierte Kinder kümmerte. Die Ironie an der ganzen Sache war, dass er sich ausgerechnet wegen Javier und Luis für diese Organisation entschieden hatte, da die beiden, nach dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter, jahrelang traumatisiert gewesen waren.

Durch seine Investition in ihr Mont-Blanc-Projekt war Benjamin selbst fast bankrottgegangen und hatte jahrelang kämpfen müssen, um wieder dahin zu gelangen, wo er zuvor stand. Inzwischen war er erfolgreicher und mächtiger als je zuvor.

Und jetzt, da er die Früchte seiner harten Arbeit Bedürftigen zukommen lassen wollte, anstatt sein Imperium zu erweitern und sich ein eigenes Denkmal zu errichten wie Javier und Luis, betrogen die beiden ihn auch noch um ein Charity-Projekt, das ihm besonders am Herzen lag.

Damit hatten sie ihm nicht nur sein Geld genommen. Sie zerstörten sein Vertrauen in ihre Freundschaft, ihre familiären Bindungen und alle kostbaren Erinnerungen.

„Mach das mit irgendwelchen findigen Juristen aus“, riet Freya ihm spröde.

„Ist bereits geschehen.“

Benjamin erinnerte sich noch gut an Andrés grünlichen Teint, als der ihm eröffnen musste, dass die Casillas-Brüder sogar im Recht waren, wenn sie behaupteten, ihm stünden nur fünf Prozent Gewinn zu. Es stand im Kleingedruckten des Vertrages, den er vor sieben Jahren unterschrieben hatte, ohne ihn seinem Anwalt vorzulegen. Das war allein seine eigene Schuld, was er akzeptierte. Es war aber auch der einzige Vertrag, den er jemals unterzeichnet hatte, ohne jedes Wort zunächst auf die Goldwaage zu legen.

Javier und Luis war damals eine zweistündige Frist bis Mitternacht gewährt worden, um den vollen Preis für das ersehnte Grundstück zu bezahlen, ehe es an einen anderen Interessenten ging, wobei sie ihre horrende Anzahlung verlieren würden. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem die Ärzte Benjamins Mutter eröffneten, dass es keine Behandlung mehr gab, mit der sie den aggressiven Krebs aufhalten könnten, der ihren Körper zerstörte. Der Rest war Geschichte …

Es ging ihm ja auch nicht in erster Linie ums Geld, sondern den Vertrauensbuch zweier Freunde, die er als seine Familie angesehen hatte. Das hatte ihm quasi das Genick gebrochen und ihn fast in den Ruin gestürzt. Er war so geschockt gewesen, dass es ihn nicht mal störte, sich Hals über Kopf verschulden zu müssen, um dieses Château zu kaufen, in dem seine Mutter ihre letzten Tage in Ruhe und Frieden verbringen sollte.

Der drohende Bankrott war nichts gegen den wütenden Schmerz in seinem Innern gewesen, der ihn zu zerfleischen drohte.

„Aus juristischer Sicht gibt es nichts, was ich gegen den schmählichen Betrug unternehmen kann“, sagte er flach.

Was er anfangs nicht einsehen wollte, weshalb er gegen Andrés Rat vor Gericht zog und schließlich akzeptieren musste, dass selbst der oberste Richter seinem Anwalt widerwillig recht gab. Was ihn endgültig auf die Palme gebracht hatte, war eine anschließende Unterlassungsklage von Javier und Luis, die nicht hinnehmen wollten, dass man ihren guten Namen öffentlich infrage stellte oder die Höhe ihres erwirtschafteten Profits der Weltöffentlichkeit präsentiert würde.

„Hast du mich etwa hierhergebracht, um mich zu bewegen, an deiner Stelle mit Javier zu reden?“, platzte Freya unvermutet in seine schweren Gedanken hinein.

Benjamin lachte freudlos. Als wenn Javier sich um die Meinung seiner hinreißenden Ballerina-Verlobten kümmern würde! Stattdessen hoffte er darauf, dass ihm seine Trophäe mehr wert war als zweihundertfünfundzwanzig Millionen Euro.

„Ich fürchte, über den Punkt, dass dieser Konflikt noch mit Worten gelöst werden könnte, sind wir lange hinaus.“

„Dann verstehe ich diese verrückte Aktion noch viel weniger“, bekannte sie offen. „Also raus damit, was willst du von mir? Warum bin ich hier?“

Benjamin warf ihr einen scharfen Blick zu. „Jede Handlung hat Konsequenzen“, formulierte er bedächtig. „Javier und Luis haben mich bestohlen, und mir stehen keine legalen Möglichkeiten zur Verfügung, mich dagegen zu wehren. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um das Geld …“

Freya hob die Brauen und hüstelte ungläubig.

Benjamin griff nach einer Orange und schälte sie. „Ich bin ein sehr wohlhabender Mann, ma belle …“

„Ist angekommen“, konterte sie trocken.

Er schüttelte den Kopf. „Ginge es nur um das Geld, würde ich es einfach abschreiben. Aber sie haben mir auch etwas genommen, das viel schwerer wiegt. Und damit kommst du ins Spiel. Du bist quasi mein Ass im Ärmel.“

„Ich?“ Zum ersten Mal zeigte Freya so etwas wie Unsicherheit. „Aber ich habe mit dem Ganzen doch gar nichts zu schaffen. Ich war noch in der Ballettschule, als du diesen Vertrag unterschrieben hast.“

„Oui,c’estça …“ Benjamin schaute auf seine Uhr und lächelte. „In drei Minuten ist es Mitternacht. Und exakt um diese Zeit erhält Javier eine Nachricht, die ihm genau vierundzwanzig Stunden Zeit gibt, zu bezahlen, was er mir schuldet.“

Freya schluckte trocken. „Oder …?“

Sein Lächeln wurde breiter und hässlicher. „Wenn die Casillas-Brüder sich weiterhin stur zeigen, dann treten die Gesetze einer höheren Gerechtigkeit in Kraft, beginnend mit dir. Sollten sie immer noch zahlungsunwillig sein, wird die Botschaft für Javier lauten, dass eure Verlobung damit aufgehoben ist und du mich an seiner Stelle zum Mann nehmen wirst, ma douce …“

3. KAPITEL

Das panische Gefühl, das sie bisher nur dank eiserner Selbstkontrolle hatte in Schach halten können, kehrte mit einer Vehemenz zurück, die sie fast umwarf. Fassungslos suchte Freya Aufklärung in den zwingenden grünen Augen, die nichts preisgaben.

Das musste ein schlechter Scherz sein, oder?

Vielleicht hatte sie ihn ja auch falsch verstanden. Über ihren Mangel an Intellekt machte sie sich keine Illusionen. Seit sie denken konnte, war das Ballett ihre alles verzehrende Leidenschaft gewesen, und Freya konnte sich an keine Zeit in ihrem Leben erinnern, in der das Tanzen ihr nicht wichtiger gewesen wäre als Schule und Ausbildung. Dabei konnte sie sogar ein Diplom vorweisen, allerding nur einen Master of Fine Arts …

Aber so dumm oder naiv zu glauben, dass Benjamin es nicht tödlich ernst meinte, war sie nicht. Was er da plante, bedeutete Rache in ihrer reinsten Form. Und sie wollte er als Waffe gegen Javier ins Feld führen.

Nicht einen Funken Mitleid konnte sie in den Augen ihres Entführers entdecken, während er offenbar auf ihre Reaktion wartete.

Da Freya wusste, dass jede Diskussion und jeder Einwand von ihrer Seite fruchtlos sein würden, machte sie sich auf die ihr vertrauteste Art Luft: Sie nutzte ihren Körper und ihre Schnellkraft. Wie der Blitz schoss sie vom Sofa hoch, fegte im Vorbeistürmen mit dem Arm Gläser und Geschirr vom Tablett, und hastete durch die nicht existierende Wand nach draußen ins Dunkel, ohne sich um das Chaos in ihrem Rücken zu kümmern.

Oder Benjamins lästerlichen Fluch, der ihr hinterherhallte.

Womit sie natürlich nicht gerechnet hatte, waren die Sicherheitsscheinwerfer, die sie für einen Moment ins Rampenlicht stellten. Doch auch denen würde sie, trainiert wie sie war, entkommen. Sie musste sich einfach so lange durchs Unterholz kämpfen, bis sie die Zufahrt erreichte, über die sie zum Château gekommen waren, und ihr bis zur nächstgrößeren Straße folgen.

Ihrem ersten Impuls, vor Benjamin zu fliehen, war sie nicht gefolgt, in der Annahme, dass von ihm weniger Gefahr ausging als von der Dunkelheit und dem unbekannten Terrain.

Jetzt wusste sie es besser.

Vor allem fürchtete sie sich vor der Reaktion ihres verräterischen Körpers auf seine herausfordernde Männlichkeit. Sie brauchte nur in diese grünen Augen zu schauen und …

Freya hielt einen Moment inne und schnappte nach Luft. Wie groß waren die zum Château gehörenden Ländereien überhaupt? Nach einer kurzen Verschnaufpause lief sie weiter und blieb erst wieder stehen, als sie unversehens auf dem Kiesrondell landete, wo Benjamins Fahrer sie abgesetzt hatte.

Ihre nackten Füße schmerzten höllisch, doch das ignorierte sie.

Aus schmalen Augen hielt sie nach dem Tor Ausschau, durch das sie gekommen waren. Ihr Herz sank, je näher sie den elektrisch betriebenen, schmiedeeisernen und mit Stahlspitzen bewährten Flügeln kam, die sie geschlossen unmöglich würde überwinden können, egal, wie trainiert und gelenkig sie war.

Freya zögerte, aus dem Schatten des großen Baumes zu treten, hinter dem sie sich verborgen hatte, um die angrenzende Mauer zu inspizieren. Sie wirkte sehr alt und relativ baufällig. Und sie war ihre einzige Chance zu entkommen.

Doch schon nach den ersten Schritten stand sie gefühlt im Licht von hundert Scheinwerfern. Entschlossen, keine Sekunde zu verschwenden, rannte sie los, krallte ihre Finger in freiliegende Mauerfugen, begann zu klettern und ignorierte standhaft aufgeregte Zurufe in ihrem Rücken. Fast hatte sie die Mauerkrone erreicht, da ertönten schwere Schritte dicht hinter ihr. Der Stein, nach dem Freya gegriffen hatte löste sich. Mit einem spitzen Schrei verlor sie den Halt und wäre unweigerlich gestürzt, hätten nicht starke Arme sie aufgefangen. Instinktiv umklammerte sie den Nacken ihres Retters, während Benjamin sie fest an sich zog, um einen sicheren Stand zu gewinnen.

Immer noch starr vor Schock hielt Freya die Augen fest geschlossen. Der unerwartete Aufprall hatte die Luft aus ihren Lungen gepresst, ihr Herz schlug schmerzhaft oben im Hals, und sie zitterte am ganzen Körper.

„Kann es sein, dass du unter Todessehnsucht leidest?“, ertönte eine dunkle, gereizte Stimme dicht an ihrem Ohr.

Als Freya vorsichtig die Lider hob, begegnete sie einem flammenden Blick aus wütenden grünen Augen. Ihr Retter hielt sie beschützend an seine breite Brust geschmiegt, doch sein Blick war der einer Raubkatze, die ihre Fangzähne in den Nacken der anvisierten Beute zu schlagen bereit war. Dann murmelte er etwas Unverständliches in sich hinein und strebte mit energischen Schritten aufs Château zu.

„Du kannst mich ruhig runterlassen“, forderte sie mit belegter Stimme. „Ich kann sehr gut allein laufen.“

„Damit du gleich wieder versuchst zu fliehen und dich damit in Gefahr bringst?“

„Ich …“

„Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, fuhr er sie erneut an und bebte förmlich von unterdrückter Wut. „Wenn ich nicht zur Stelle gewesen wäre, um dich aufzufangen …“