15,99 €
Wie kann man mehr Macht erlangen, ohne andere zu unterdrücken oder sich zu unterwerfen? Die Gewaltfreie Kommunikation kennt zwei Konzepte von Macht: „Macht über“ und „Macht mit“. Worin sie sich unterscheiden, darum geht es in diesem Buch. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Wie ist es möglich, seine Macht zu vergrößern und dabei sowohl im Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen als auch mit denen der anderen zu handeln? Das Buch entstand auf der Grundlage eines Seminars, das Marshall Rosenberg vor einigen Jahren in Italien abhielt, in Zusammenarbeit mit Vilma Costetti. Im Austausch mit Seminarteilnehmern beleuchtet er verschiedene Machtbereiche, z.B. politische Macht und Macht in Unternehmen. Er untersucht auch, welche Rolle Macht in Schulen und Familien spielt und die Macht der Empathie und welche Bedeutung sie für unsere Gesundheit hat. In einfacher Sprache vermittelt dieses Buch einen sehr komplexen Sachverhalt. Es zeigt uns, wie wir uns theoretisch und auch praktisch eine Form der Macht zu Eigen machen können, deren größte Kraftquelle darin besteht, dass wir sie gemeinsam mit anderen ausüben.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Marshall B. RosenbergGewaltfreie Kommunikation und MachtIn Institutionen, Gesellschaft und Familie
Wie kann man mehr Macht erlangen, ohne andere zu unterdrücken oder sich zu unterwerfen?
Die Gewaltfreie Kommunikation kennt zwei Konzepte von Macht: „Macht über“ und „Macht mit“. Worin sie sich unterscheiden, darum geht es in diesem Buch. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Wie ist es möglich, seine Macht zu vergrößern und dabei sowohl im Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen als auch mit denen anderer Menschen zu handeln?
Das Buch entstand auf der Grundlage eines Seminars, das Marshall Rosenberg vor einigen Jahren in Italien abhielt, in Zusammenarbeit mit Vilma Costetti. Im Austausch mit Seminarteilnehmern beleuchtet er verschiedene Machtbereiche, z. B. politische Macht und Macht in Unternehmen. Er untersucht auch, welche Rolle Macht in Schulen und Familien spielt und die Macht der Empathie und welche Bedeutung sie für unsere Gesundheit hat. In einfacher Sprache vermittelt dieses Buch einen sehr komplexen Sachverhalt. Es zeigt uns, wie wir uns theoretisch und auch praktisch eine Form der Macht zu Eigen machen können, deren größte Kraftquelle darin besteht, dass wir sie gemeinsam mit anderen ausüben.
Marshall B. Rosenberg (1935–2015) war international bekannt als Konfliktmediator und Gründer des internationalen Center for Nonviolent Communication (CNVC) in den USA. Die von ihm entwickelte Methode der Gewaltfreien Kommunikation hat sich als machtvolles Werkzeug herausgestellt, um Differenzen auf persönlichem, beruflichem und politischem Gebiet friedlich zu lösen.
Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2017
Copyright © der Originalausgabe: „Comunicazione & Potere“: Edizioni Esserci 2010 Via Silvano Caleri, 14,42100 Reggio Emilia, Italia [email protected] www.centroesserci.it
Übersetzung: Petra Quast
Coverfoto: © adl21 – iStock
Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten.
Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017
ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-625-7
ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-684-4 (EPUB), 978-3-95571-686-8 (PDF), 978-3-95571-685-1 (MOBI).
Vorwort
Zu diesem Buch wurde ich von vielen Menschen angeregt, die liebend gern etwas über den Umgang mit Macht erfahren und dieses Wissen mit anderen teilen möchten. Wie ist es möglich, mehr Macht zu haben, wie kann man auf andere einwirken und auf sich selbst – und dabei gleichzeitig im Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen handeln? – Es freut mich sehr, dass ich mit dem vorliegenden Buch einen Beitrag dazu leisten kann.
Diese Arbeit widme ich all den Journalisten, Politikerinnen, Menschen in Leitungsfunktionen, Lehrern, Eltern, Mitarbeitern im Gesundheitswesen sowie generell all denjenigen, die selbst unter schwierigen Bedingungen darum bemüht sind, zu regieren, zu erziehen, zu lehren und Einfluss auszuüben, indem sie „Macht mit“ anderen teilen, anstatt „Macht über“ andere auszuüben.
„Macht mit“ gilt als sehr wünschenswerte Vision, die Umsetzung hingegen gestaltet sich oft als schwierig. Nicht immer verfügen wir über das notwendige Know-how oder die erforderliche sprachliche Kompetenz, um sie zu verwirklichen. Oft steht uns auch unsere eigene Erziehung im Weg.
Das Konzept der „Macht mit“ anderen setzt verschiedenste Kompetenzen voraus: So gilt es, das wertschätzen zu können, was uns voneinander unterscheidet, und uns zu freuen, dass es diese Unterschiede gibt. Wir brauchen eine Form der Kommunikation, die es ermöglicht, Beziehungen aufzubauen, die auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt gründen. Außerdem muss uns bewusst sein, dass es eine wechselseitige Abhängigkeit aller Menschen gibt und dass diese ihren Wert hat.
Um „Macht mit“ anderen auszuüben, brauchen wir eine Sprache, die auf der uns allen gemeinsamen Lebenskraft basiert und die mit unseren Bedürfnissen und Gefühlen verbunden ist. Eine aus der Verbindung mit unseren Bedürfnissen und Werten herrührende Klarheit und Stärke zu erlangen kostet vielleicht Mühe, aber sie ist es, die unsere Macht vergrößert. Hingegen verlieren wir an Macht, wenn wir uns auf die „Schwäche“ der Kritik stützen, wenn wir also versuchen, diejenigen, die sich nicht so verhalten, wie wir es gerne hätten, zu beschuldigen, zu beleidigen oder sogar sie zu vernichten.
Der vorliegende Text beschreibt in einfacher Sprache einen sehr komplexen Sachverhalt. In Theorie und Praxis zeigt er uns, wie wir eine Form der Macht erreichen können, die ihren höchsten Ausdruck in der gemeinsamen Ausübung mit anderen findet.
Vilma Costetti
Dieses Buch ist in Dialogform gehalten und für die jeweils Beteiligten werden im Folgenden Kürzel verwendet:
Mein Name ist Vilma Costetti. Ich leite das Centro Esserci in Reggio Emilia, das ein Anlaufpunkt für Initiativen in Gewaltfreier Kommunikation (GFK) in Italien ist.
Mit dem Seminar „Kommunikation und Macht“ möchte ich zum einen die Gelegenheit bieten, Informationen auszutauschen, und zum anderen Kompetenzen verfügbar machen, um Macht mit anderen zu teilen, anstatt sie über andere auszuüben.
Das Seminar wird von Dr. Marshall Rosenberg geleitet und wurde in Zusammenarbeit mit dem Center for Nonviolent Communication (CNVC) auf den Weg gebracht, einer gemeinnützigen Organisation, die auf der ganzen Welt dem Leben dienliche Strukturen fördert. Das CNVC wurde von Dr. Rosenberg gegründet und momentan leitet er persönlich den Bereich Erziehung. Dr. Rosenberg reist durch die Welt, um den von ihm entwickelten Prozess der GFK bekannt zu machen, der Menschen dabei unterstützt, mit sich selbst und anderen auf liebevolle Weise zu kommunizieren, sich an Unterschieden zu erfreuen und Missverständnisse und Konflikte auf gewaltfreie Weise zu lösen.
Das Seminar findet hier in Reggio Emilia statt, wo wir auf die Unterstützung der Provinzverwaltung zählen können und außerdem gefördert werden von der Gemeinde und der AUSL Reggio Emilia, der Einrichtung des italienischen Gesundheitswesens. Der Verein Re.te von Quattro Castella (RE) hat uns bei der Organisation geholfen.
Für unser Seminarthema haben wir Glückwünsche und Anerkennungsschreiben erhalten, u.a. vom Staatspräsidenten, dem Ratspräsidenten, einigen Senatoren, Abgeordneten, Präfekten und Quästoren.
Dr. Rosenberg verfügt über internationale Erfahrung. Er arbeitet in unterschiedlichen Bereichen und in Ländern, in denen Kriege und tief greifende Konflikte herrschen. Hier können wir uns seine enorme Erfahrung und Kompetenz direkt zunutze machen.
Möchte ihm jemand eine Frage stellen?
J: Was ist Gewaltfreie Kommunikation (GFK)?
Zentrale GFK-Begriffe: Bedürfnisse, Werte, Gefühle
MBR: Die GFK ist ein Instrument, das es uns ermöglicht, sowohl mit unseren eigenen Werten und Bedürfnissen in Kontakt zu sein als auch mit denen anderer Menschen. Sie ist einfach in der Anwendung, aber gleichzeitig komplex, denn wir sind es nicht gewohnt, in Kontakt mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen zu sein. Für die Gewaltfreie Kommunikation gibt es viele Anwendungsgebiete: im Sozialen, in der Politik, im Schulwesen, in der Familie, aber auch auf persönlicher Ebene.
J: Können Sie uns einige praktische Beispiele geben? Wie können wir Probleme lösen, ohne anderen unseren Willen aufzuzwingen?
Das Verhalten anderer ändern wollen vs. sich mit ihren Bedürfnissen verbinden
MBR: Ich habe vor Kurzem ein Seminar in der Schweiz gegeben. Dort dachte eine besorgte Mutter, sie müsse ihren Sohn dazu bringen, mit dem Rauchen aufzuhören. Der Sohn merkte diesen Druck und je mehr er die Absicht seiner Mutter spürte, ihn zum Aufhören zu zwingen, umso mehr Lust hatte er, Widerstand zu leisten. Ich habe der Mutter einen Unterschied aufgezeigt: Ihr Ziel kann einzig darin bestehen, das Verhalten ihres Sohnes zu ändern, oder sie kann stattdessen versuchen, eine Verbindung zu ihrem und seinen Bedürfnissen herzustellen, die ihn zu diesem Verhalten veranlassen. Für die Mutter hieß das, ihr Ziel zu ändern: weg von dem Versuch, ihrem Sohn etwas nehmen zu wollen, und hin zu einer gemeinsamen Suche nach einer anderen Strategie als Rauchen; einer Strategie, die seine Bedürfnisse erfüllte und sicherer und besser für seine Gesundheit war. Diese Veränderung wiederum bedeutete für die Mutter: Sie musste herausfinden, welche Bedürfnisse ihr Sohn mit dem Rauchen zu befriedigen versuchte. Genau darum geht es, wenn wir den Prozess der GFK anwenden. Als die Frau am nächsten Tag ins Seminar kam, war sie sehr glücklich, denn sie hatte eine komplett neue Qualität der Verbindung mit ihrem Sohn erlebt. Als dieser spürte, dass seine Mutter ihn nicht mehr dazu bringen wollte, mit dem Rauchen aufzuhören, sondern dass sie verstehen wollte, welches seine Bedürfnisse waren, begann er von sich aus nach anderen Möglichkeiten zu suchen.
Echte Verbindungen schaffen, in der Familie, am Arbeitsplatz, zwischen Staaten
Dasselbe geschieht, wenn zum Beispiel am Arbeitsplatz Menschen anderen ihre Entscheidungen aufdrängen und diese sich dann zu einem bestimmten Verhalten gezwungen fühlen. Das gilt auch im sozialen Bereich oder im Krieg, wenn eine Partei nur an der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse interessiert ist und nicht an der der anderen. Egal ob in der Familie, auf der Arbeit, in der Schule, in der Politik oder in Beziehungen zwischen Ländern: Immer und in jeder Situation haben wir Mittel und Möglichkeiten, echte Verbindungen zu knüpfen.
J: O.k., vielen Dank.
J: Wie ist es möglich, sich empathisch mit anderen zu verbinden?
Liebevoll mit sich selbst und anderen sprechen
MBR: Wir bringen den Leuten bei, wie man in Konfliktsituationen auf liebevolle Weise mit sich selbst und den anderen spricht. Wie Menschen mit sich selbst reden, ist manchmal wirklich brutal. Machen sie einen Fehler, sagen sie sich z. B.: „Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich sollte es besser wissen!“ Auf die gleiche Weise sprechen sie mit ihren Kindern: „Wie kannst du nur so dumm sein? Du solltest dich besser benehmen!“ So werden wir seit ca. 8000 Jahren erzogen, denn so lange leben wir schon in Dominanzsystemen, das heißt in Strukturen, in denen wenige Menschen über viele herrschen. Um in solchen Strukturen leben zu können, sind eine Sichtweise und eine Sprache nötig, die Menschen auf angenehme Weise in tote Wesen verwandelt. Ich bin der Meinung, diese Sprache trägt zur Gewalt auf unserem Planeten bei, weil sie davon ausgeht, andere Menschen verhielten sich falsch, wenn sie Dinge tun, die uns nicht gefallen. Deshalb kennen wir viele Wörter, um diejenigen zu etikettieren, die sich nicht so verhalten, wie wir es gerne möchten. Das sind Wörter wie Egoist, bösartig, faul, unreif, unsensibel, dumm etc. Wir kennen Tausende von Möglichkeiten, so zu denken, über uns selbst, aber auch über andere. Und wenn wir so denken, spüren wir wahrscheinlich vor allem vier Gefühle: Wut, Depression, Schuld und Scham. Diese Emotionen werden durch strafendes Denken verursacht.
Sprache und Dominanzsysteme
Die Ausbildung fokussiert auf unsere gewohnte, uns anerzogene Art zu denken: Wir urteilen über uns selbst und andere und glauben, etwas an uns oder den anderen sei böse oder falsch.
Wut, Depression, Schuld und Scham werden durch strafendes Denken verursacht.
In der GFK fördern wir ein Bewusstsein dafür, dass moralische Urteile der tragische Ausdruck unbefriedigter Bedürfnisse sind. Daher helfen wir Menschen, Verhalten auf der Grundlage von Bedürfnissen zu bewerten.
Erfüllt dieses bestimmte Verhalten ein Bedürfnis? Welches Bedürfnis ist nicht erfüllt? Meistens reden Menschen mit sich selbst nicht in einer Bedürfnissprache. Und wenn sie eine solche nicht mit dem Leben verbundene Sprache sprechen, schlagen wir ihnen zunächst vor, zu beobachten, ohne sich zu verurteilen. Und dann bringen wir ihnen bei, diese Art der Sprache in eine Bedürfnissprache zu übersetzen. Der Prozess der Gewaltfreien Kommunikation ermöglicht uns, von unseren Grenzen ausgehend zu lernen, ohne den Respekt vor uns selbst zu verlieren. Wir vermitteln, wie sich diese Kompetenzen im Umgang mit sich selbst anwenden lassen und im Umgang mit anderen, und zwar dann, wenn sie sich auf eine Weise verhalten, die uns nicht gefällt. Diese anderen können unsere Kinder sein, unser Partner, ein Arbeitskollege oder auch ein Politiker. Wir zeigen, wie man ohne Kritik und Forderungen kommuniziert.
Seine Grenzen erfahren, ohne den Respekt vor sich selbst zu verlieren
Kritik und Forderungen schaffen Gewalt zwischen den Menschen. Wir schlagen eine andere Art der Kommunikation vor, die auf der Ebene des Herzens stattfindet. Wenn Menschen verstehen, welche Bedürfnisse nicht befriedigt sind, können sie es genießen, zum gegenseitigen Wohlbefinden beizutragen. In unseren Seminaren vermitteln wir außerdem, wie man sich mit dem Bedürfnis eines anderen Menschen verbinden kann, selbst wenn dieser noch eine Sprache spricht, die für uns schwer zu hören ist.
In meinem Buch „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens“ gebe ich ein Beispiel dafür: Ich war in einem Flüchtlingslager im Nahen Osten. Als ein Mann von meinem Übersetzer erfuhr, dass ich aus den Vereinigten Staaten kam, schrie er „Mörder!“ Am darauffolgenden Abend hat mich dieselbe Person zu einem Ramadan-Abendessen zu sich nach Hause eingeladen. Dieser Wandel konnte stattfinden, weil ich in der Lage war, seine Bedürfnisse zu hören, obwohl er sie auf solch gewaltvolle Weise zum Ausdruck gebracht hatte. In dem Moment, als der andere mein ehrliches Interesse an seinen Bedürfnissen spüren konnte, veränderte sich die Beziehung zwischen uns und es entstand eine zwischenmenschliche Verbindung.
J: Ist das die berühmte Giraffensprache?
MBR: Ja, manchmal benutzen wir die Symbole „Giraffe“ und „Wolf“, um unsere Seminare humorvoller und unterhaltsamer zu gestalten. Oft befassen wir uns mit sehr ernsten Situationen und Tatsachen und wir lehren, wie man anderen Menschen Empathie für ihre Bedürfnisse entgegenbringen kann.
Wir können uns auch dann mit den Bedürfnissen anderer verbinden, wenn sie auf gewaltvolle Weise ausgedrückt werden.
Die meisten Leute, mit denen ich weltweit arbeite, haben keine sehr gründliche Bildung genossen, und wenn ich ihnen sage: „Versuche, dich empathisch mit den Bedürfnissen des anderen zu verbinden“, verstehen sie nicht, wovon ich rede. Also arbeiten wir mit einer wunderbaren Technik, nämlich mit diesen schönen Giraffenohren (zeigt einen Haarreifen mit Giraffenohren). Das Wunderbare an dieser Technik ist: Egal, wie der andere sich ausdrückt, selbst wenn er Schimpfwörter benutzt, hört man all das nicht; man hört nur, was in seinem Herzen lebendig ist. Diese Ohren und andere Hilfsmittel machen unsere Inhalte mehr Menschen zugänglich.
In der Arbeit mit bestimmten Gruppen arbeiten wir jedoch überhaupt nicht mit den Bildern „Giraffe“ und „Wolf“. Das sind zum Beispiel Soldaten oder Polizisten. Sie stehen ohnehin der Vorstellung von Gewaltfreiheit ziemlich skeptisch gegenüber. Humorvolle Bilder oder unterhaltsame Instrumente könnten ihre Skepsis, überhaupt Gewalt auflösen zu können, noch vergrößern.
J: Haben sich schon viele Teilnehmer für Ihre Kurse angemeldet?
V: Ja, wir sind mit dem Zuspruch sehr zufrieden. Insgesamt haben wir ungefähr 80 Anmeldungen aus ganz Italien.
J: Ich möchte Dr. Rosenberg noch eine Frage stellen. Fühlen Sie sich in einer Welt voller Gewalt nicht entmutigt, verloren wie ein Tropfen im Ozean?
Fühlen Sie sich in einer Welt voller Gewalt nicht verloren wie ein Tropfen im Ozean?
MBR: Mir ist durchaus bewusst, in welch enormem Ausmaß Gewalt auf der Welt herrscht. Aber gleichzeitig bin ich unglaublich optimistisch, weil ich sehe, wie schnell sich die GFK verbreitet. Ein Student, der mit mir an der Universität arbeitete und mich in verschiedene Länder begleitet hat, unter anderem nach Palästina, Serbien und Kroatien, hat mir mal gesagt: „Du bist ein sehr reicher Mann!“ Als er das sagte, herrschte gerade sehr viel Gewalt zwischen Serben und Kroaten. Was also sollten diese Worte bedeuten? Ich arbeite mit Menschen, die von heftiger Gewalt umgeben sind, die aber gleichzeitig wissen, die Dinge könnten anders sein, und deshalb nie aufgeben. Mit ein, zwei Personen fangen wir in einem Land an. Diese zunächst wenigen Menschen haben dann damit begonnen, Serben und Kroaten zusammenzubringen. Nach zehn Jahren bin ich dorthin zurückgekehrt und habe mit großen Gruppen von Lehrern gearbeitet. Sie kamen aus verschiedenen Regionen und nutzten den GFK-Prozess an ihren Schulen als alternative Unterrichtsmethode, die es erlaubt, anders mit Unterschieden umzugehen.
Ich habe zusehen können, wie sich die GFK verbreitet und wie Menschen aus unterschiedlichen Ländern miteinander in Kontakt kommen. Ihre Erfahrung hat gezeigt: Was in einem Land funktioniert, kann auch in einem anderen funktionieren. Zum Beispiel hat Vilma den GFK-Prozess hier in Italien in die Schulen gebracht und zwei Videos über ihre Erfahrungen gedreht. Menschen aus anderen Ländern sehen diese Videos und sie helfen ihnen, in den Schulen ihres Landes ein komplett anderes Erziehungsmodell vorzustellen.
Ich war vor Kurzem in Sri Lanka. Dort bringt ein katholischer Geistlicher verfeindete Gruppen von Menschen zusammen und fördert die Versöhnung zwischen ihnen. Ich war auch in Bosnien, um zum Frieden zwischen verschiedenen Gruppen beizutragen. Als Antwort auf Ihre Frage, ob mich all die Gewalt auf der Welt nicht entmutigt, möchte ich einen Gedanken des Jesuiten Teilhard de Chardin mit Ihnen teilen. Er war nicht nur Geistlicher, sondern auch Paläontologe und dachte in Zeiträumen von Tausenden von Jahren. Er sah, dass die Gewalt vor ca. 8000 Jahren begonnen hatte, was seiner Meinung nach nur eine Etappe, eine Phase im Verlauf der Evolution darstellt. Aus einer Perspektive von Tausenden von Jahren betrachtet, so Teilhard de Chardin, nehmen die Dinge einen raschen Verlauf. Er sieht eine schnelle Entwicklung in Richtung Bewusstsein. Auch ich sehe diese Entwicklung, aber ich bin längst nicht so geduldig wie er. Ich wünsche mir für meine Enkelin ein Leben auf einem friedlicheren Planeten als dem, auf dem wir uns gerade befinden. Deshalb suche ich nach Wegen, schnellstmöglich Methoden zu verbreiten, die uns alternativ zur Gewalt eine andere Art des Zusammenlebens erlauben.
Die Medien können viel tun, um lebensbereichernde Botschaften zu verbreiten.
Wir sind hier an einem entscheidenden Punkt: Meiner Meinung nach ist Ihr Beruf sehr wichtig, denn Journalisten können über die Medien zu einer schnellen Verbreitung von lebensdienlichen Nachrichten beitragen. Die Leute, mit denen ich in Ruanda, Sierra Leone, Palästina und Israel arbeite, leisten Heldenhaftes und trotzdem findet man nichts über sie in den Medien. Aber jemand, der eine Bombe explodieren lässt, wird zum Star und füllt Fernsehnachrichten und Zeitungsseiten.
J: In welchen Staaten haben Sie am meisten Erfolg oder womit sind Sie besonders zufrieden?
MBR: Zuerst möchte ich die Länder erwähnen, in denen es am meisten Menschen gibt, die den GFK-Prozess kennen. Rein zahlenmäßig sind das Schweden und Deutschland, aber es gibt auch sehr, sehr interessante einzelne Projekte, die keine flächendeckende Verbreitung gefunden haben. So bieten wir z. B. in einem Gefängnis in den USA Insassen eine GFK-Ausbildung an. Wenn sie aus dem Gefängnis entlassen werden, leben die Ex-Insassen in einer Art betreutes Wohnen und erhalten Unterstützung bei der Wiedereingliederung. Einige von ihnen tragen zum Projekt bei, indem sie ihre Erfahrungen teilen und erzählen, wie sie den GFK-Prozess konkret im Alltag anwenden, wie ihnen die Wiedereingliederung gelungen ist und wie sie Probleme und Fallstricke vermeiden konnten.
Wie die GFK Verbreitung findet