14,99 €
Eine neue Sichtweise auf unsere Gewohnheiten
Wieso sind große, bunte Eier für Vögel attraktiver als die kleinen, unscheinbaren? Warum werden Früchte im Laufe der Evolution immer süßer? Und warum wird die Weltbevölkerung immer übergewichtiger, obwohl das Interesse an einer gesunden Lebensweise größer ist, denn je?
In Gewohnheitstiere nimmt Nicklas Brendborg die Entwicklung unserer Verhaltensmuster unter die Lupe und gibt unterhaltsame, kritische und wissenschaftliche Antworten auf die Fragen, wieso wir uns so schwer von schlechten Gewohnheiten befreien können und wie sich Unternehmen das Wissen über den menschlichen Instinkt und die Biologie zunutze machen, um süchtig machende Superreize zu schaffen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 378
Cover
Über das Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Ein kleiner Vogel und ein großes Ei
Teil I
Sonne, Palmen und ein kurzes Leben
Das weiße Gold
Kaninchenhunger
Was Fallschirmspringen und Salz gemeinsam haben
Teil II
Gesundheitstipps aus dem Amazonas
Die Kartoffeldiät
Von Sprengstoff zu Schlankheitspillen
Sex und die Verzauberung der Flasche
Teil III
Chemische Freude
Die Lüge, die eine halbe Million Menschenleben kostete
Die Geheimnisse des Dopamins
Teil IV
Die Matrix, nur in der Realität
Unser digitales Leben
Ein kleiner Fisch im großen Teich
Von Kosmetik zu Atomwaffen
Körperideale auf Steroiden
Ein kleiner Mensch in einer großen Welt
Quellen
Über das Buch
Eine neue Sichtweise auf unsere Gewohnheiten Wieso sind große, bunte Eier für Vögel attraktiver als die kleinen, unscheinbaren? Warum werden Früchte im Laufe der Evolution immer süßer? Und warum wird die Weltbevölkerung immer übergewichtiger, obwohl das Interesse an einer gesunden Lebensweise größer ist, denn je? In Gewohnheitstiere nimmt Nicklas Brendborg die Entwicklung unserer Verhaltensmuster unter die Lupe und gibt unterhaltsame, kritische und wissenschaftliche Antworten auf die Fragen, wieso wir uns so schwer von schlechten Gewohnheiten befreien können und wie sich Unternehmen das Wissen über den menschlichen Instinkt und die Biologie zunutze machen, um süchtig machende Superreize zu schaffen.
Über den Autor
Nicklas Brendborg ist 25 Jahre alt und Postdoktorand für Molekularbiologie an der Universität Kopenhagen. Brendborg, ein Nachwuchstalent des Novo Nordisk International Talent Program und des Novo Scholarship Program, veröffentlichte 2015 sein erstes Buch, TOP STUDENT. Mit Lars Tvede war er Co-Autor von SUPERTRENDS.
Weitere Titel des Autors:
Quallen altern rückwärts (Eichborn Verlag)
NICKLAS BRENDBORG
GEWOHNHEITS- TIERE
Wie Industrie und Wissenschaft unsere Instinkte manipulieren
Aus dem Dänischen von Justus Carl
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der dänischen Originalausgabe: »Vanedyr«
Für die Originalausgabe: Copyright © 2023 by Nicklas Brendborg Published by arrangement with Sebes & Bisseling Literary Agency Scandinavia
Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Mattias Auer, Bodman-Ludwigshafen Covergestaltung: Massimo Peter-Bille nach einem Originalentwurf von © Rasmus Funder and Grønningen 1 Covermotiv: Rasmus Funder and Grønningen 1 Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-7517-6451-3
Sie finden uns im Internet unter luebbe.de Bitte beachten Sie auch: lesejury.de
Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Ein kleiner Vogel steht vor einem großen Ei und betrachtet es. Für einen kurzen Augenblick legt er den Kopf schief, als dächte er scharf nach. Und dann versucht er, auf das Ei zu springen. Es wird ein eher unbeholfener Auftritt. Das Ei ist beinahe so groß wie der Vogel selbst, und bei jedem Versuch, das Ei zu besteigen, rutscht er sofort wieder herunter.
Ein Stück entfernt sitzen einige niederländische Forscher und beobachten den Vorgang. Sie schauen sich an und grinsen wissend. Dieser Vogel lässt sich auch täuschen.
Einer dieser Forscher ist Nikolaas Tinbergen, der später den Nobelpreis gewinnen wird, unter anderem für diesen Versuch. Bei dem Vogel, den die Forscher studieren, handelt es sich um einen Austernfischer. Er hat einen schwarzen Rücken und einen schwarzen Kopf, einen weißen Bauch sowie charakteristisch rote Beine und einen roten Schnabel. Normalerweise legt er kleine braune Eier, die weniger als 50 Gramm wiegen. Doch die Forscher aus den Niederlanden haben herausgefunden, dass der Vogel Eier bevorzugt, die viel größer sind. Sie stellen künstliche Eier aus Gips her, die um ein Vielfaches größer sind als normale Austernfischereier, und als die Vögel sie entdecken, sind sie völlig in ihren Bann gezogen.
In der freien Wildbahn bevorzugen Austernfischer auch die größten ihrer eigenen Eier, denn die Größe des Eis verrät ihnen etwas über den Gesundheitszustand und die Chance, dass ein überlebensfähiges Vogeljunges aus diesem Ei schlüpfen wird. Aber in der Natur gibt es selbstverständlich Grenzen dafür, wie groß die Eier sein können, die ein so kleiner Vogel wie der Austernfischer legt. Folglich war es für den Austernfischer nie notwendig, eine obere Grenze für seinen Instinkt zu haben. Stattdessen lebt der Austernfischer einfach nach der Prämisse »Je größer das Ei, desto besser«.
Das bedeutet, dass die unnatürlich großen Gipseier das sind, was in der Forschung übernormale Schlüsselreize, kurz Superstimuli genannt wird. Sie sind übertriebene Ausgaben von Dingen, von denen das Tier ganz natürlich angezogen wird. Etwas, das größer, farbenprächtiger oder kräftiger ist, als man es in den natürlichen Umgebungen des Tieres jemals finden würde.
Solche Superstimuli kennen wir nicht nur beim Austernfischer, sondern auch von vielen anderen Vögeln. Nehmen wir zum Beispiel den Trauerschnäpper, einen kleinen Singvogel, der ein wenig mehr als zehn Zentimeter misst. Der Trauerschnäpper legt kleine Eier mit einer matten grün-bläulichen Farbe. Dabei gibt die Stärke der Farbe Aufschluss darüber, wie gesund die Eier sind. Also bevorzugt der Trauerschnäpper die Eier mit der kräftigsten Farbgebung.
Daraus folgt, dass sich auch der Trauerschnäpper leicht hereinlegen lässt. Denn mit ein wenig knallblauer Farbe können die Forscher Gipseier-Attrappen herstellen, die eine kräftigere Farbgebung haben, als sie irgendein natürliches Trauerschnäpper-Ei je erreichen könnte. Wenn der Vogel dann vor der Wahl zwischen den knalligen Gipseiern und seinen eigenen steht, entscheidet er sich für die künstlichen Superstimuli, genau wie der Austernfischer.
Ja, tatsächlich fanden Nikolaas Tinbergen und seine Kollegen heraus, dass man nicht einmal sonderlich kreativ zu sein braucht, um Vögel auf diese Weise zu täuschen. In einem ihrer Versuche legten die niederländischen Forscher einfach ein paar weiße Volleybälle zu einer Schar Gänse. Kurz darauf begannen die Tiere, auf den Bällen zu brüten statt auf ihren eigenen Eiern, die sowohl kleiner sind als auch eine deutlich blassere Farbe haben.
Dumme Tiere, nicht wahr?
Wir befinden uns mitten in einer historischen Gesundheitskrise.
Wahrscheinlich denken Sie im Alltag nicht darüber nach, denn man gewöhnt sich schnell an seine Umgebung. Stellen Sie sich aber einmal vor, wir könnten zurück in die Zeit H. C. Andersens reisen und ein paar gewöhnliche Menschen von damals mit in unsere heutige Zeit nehmen. Natürlich stünden den Zeitreisenden bei der Begegnung mit dem 21. Jahrhundert die Münder offen: all die leuchtenden Bildschirme, die Autos auf den Straßen, die Flugzeuge in der Luft und der Überfluss an Lebensmitteln in unseren Supermärkten. Ganz sicher würde ihnen aber auch auffallen, dass die Menschen heutzutage anders aussehen als im 19. Jahrhundert. Wir sind heute größer als zur Zeit H. C. Andersens, aber wir sind auch breiter geworden.
Ja, im Grunde müssten wir nicht einmal bis zurück ins 19. Jahrhundert reisen, um ein Straßenbild mit weitaus schlankeren Figuren vorzufinden. Wir könnten uns mit einem Abstecher in die 1960er-Jahre begnügen, in denen Übergewicht eine Seltenheit war. Bei der Musterung zum dänischen Heer registrieren wir heute beispielsweise 50-mal mehr übergewichtige junge Männer als noch in den 1960er-Jahren. Und an unseren Volksschulen sind es im Vergleich inzwischen 80-mal so viele übergewichtige Kinder (auch an deutschen Schulen zeigt sich ein ähnliches Bild, etwa fünfzehn Prozent aller Kinder zwischen 3 und 17 Jahren sind übergewichtig).
Betrachten wir die Gesellschaft als Ganzes, sieht es ebenfalls nicht allzu rosig aus. Gerade erst haben wir den bedenklichen Meilenstein hinter uns gelassen, ab dem es mehr übergewichtige als normalgewichtige Dänen und Däninnen gibt (in Deutschland wurde diese Schwelle bereits 1999 überschritten, seitdem geht die Kurve stetig weiter nach oben). Aber obwohl diese Zahlen vor nur wenigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wären, hat die Fettleibigkeits-Epidemie ihren Gipfel noch nicht erreicht. Jahr für Jahr brechen unsere Gewichtsprobleme weiter Rekorde.
Diese Entwicklung ist besonders erschreckend, weil Dänemark zu einem der wohlhabenden Länder gehört, die sich am besten schlagen. Wir sind beispielsweise das schlankste Volk innerhalb der EU, und auch unser Anteil an schwer übergewichtigen Personen ist mit zwanzig Prozent der niedrigste Wert der Union (Deutschland liegt hier mit etwa fünfundzwanzig Prozent im Mittelfeld).
Wenn wir unseren Blick auf die Welt richten, ist es nicht weiter schwer, Horrorbeispiele zu finden. Auf der Hand liegen natürlich die USA. Siebzig Prozent der Bevölkerung leiden dort unter Adipositas, und annährend die Hälfte der Bevölkerung ist schwer übergewichtig. Aber genauso wie bei uns in Dänemark bedeutet das nicht, dass die Amerikaner die Entwicklung abgeschlossen hätten, an Gewicht zuzulegen. Auch sie brechen jedes Jahr neue Rekorde in Bezug auf Übergewicht.
Trotz ihres Rufs sind die Amerikaner jedoch nicht das übergewichtigste Volk der Welt. Dieser nicht ganz so schmeichelhafte Titel fällt stattdessen einigen kleinen Inselrepubliken im Pazifik zu. Diese abseits gelegenen Inseln waren vor allem bekannt als das Paradies auf Erden mit ihren kreideweißen Sandstränden, großen Palmen und prächtigen Korallenriffen. Der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson schreibt: »Wenige Männer, die die Inseln (des Pazifiks) besuchen, verlassen sie wieder … Kein Ort der Welt übt eine solch attraktive Macht auf die Besucher aus.«
Heute werfen die Gesundheitsprobleme der Einwohner allerdings einen ordentlichen Schatten auf das Paradies. Im Großen und Ganzen existieren auf den Pazifikinseln nämlich keine normalgewichtigen Menschen mehr. Auf den meisten Inseln leben über achtzig Prozent Übergewichtige, und auf der rekordhaltenden Insel Nauru liegt der Anteil bei neunzig Prozent.
Die ehemaligen Paradiesinseln sind wie Warnleuchten, die dem Rest der Welt zuzublinken scheinen: Egal, wie ernst eure Übergewichtsprobleme auch sind, es geht immer schlimmer.
So ist es auch so gut wie überall. Global wird es nicht mehr viele Jahre dauern, bis die Mittellinie überschritten ist und wie in Dänemark mehr Über- als Normalgewichtige existieren. Ergänzen wir die Liste der Länder, die Probleme mit Übergewicht haben, reisen wir einmal um die ganze Welt: in die Türkei, nach Mexiko, Saudi-Arabien, Chile, auf die Bahamas, nach Neuseeland, in den Irak, nach Malta, Israel und so weiter.
Diese Liste umfasst sämtliche Ethnien, Religionen, Landesgrößen, Klimabedingungen und Wohlstandsniveaus. Ja, selbst in Afrika ist Adipositas auf dem Vormarsch. Zwar gibt es immer noch afrikanische Länder, in denen ein Teil der Bevölkerung untergewichtig ist. Aber selbst auf dem ärmsten Kontinent der Welt leben in vielen Gebieten inzwischen mehr übergewichtige als untergewichtige Menschen. Die am stärksten betroffenen afrikanischen Länder wie zum Beispiel Südafrika haben das dänische Fettleibigkeitsniveau längst hinter sich gelassen und steuern auf amerikanische Zustände zu.
Also ist die Frage nicht ganz unberechtigt: Was passiert da gerade eigentlich? Haben wir das Interesse daran, uns gesund und schlank zu halten, komplett verloren?
Nein, eher im Gegenteil. Würden wir unsere Freunde aus H. C. Andersens Zeiten fragen, würden sie wohl antworten, dass wir völlig besessen von unserem Gewicht sind. Wir diskutieren fieberhaft über Kalorien und Nahrungsergänzungsmittel, während wir eine Diät nach der anderen durchmachen. Studien zeigen, dass etwa die Hälfte aller Erwachsenen innerhalb eines Jahres versucht, an Gewicht zu verlieren. Aber es hilft nichts. Sogar diejenigen, die es schaffen abzunehmen, enden allzu oft wieder genau dort, wo sie angefangen haben. Nach einer erfolgreichen Schlankheitskur nimmt eine durchschnittliche Person die Hälfte des verlorenen Gewichts binnen zweier Jahre wieder zu. Und innerhalb von fünf Jahren sind es achtzig Prozent des Gewichts.
Man bekommt also nur allzu leicht das Gefühl, dass irgendetwas gehörig schiefläuft.
***
Die Erklärung für diese Fettleibigkeits-Epidemie kann aus guten Gründen keine genetische sein. Wir haben die gleichen Gene wie unsere schlanken Vorfahren vor nur wenigen Generationen. Ja, in manchen Ländern sind die Übergewichtsprobleme sogar im Lauf weniger Jahrzehnte entstanden.
Wenn der Übeltäter also nicht in der Anlage zu finden ist, muss es die Umwelt sein. Wenn es nicht unsere Gene sind, die uns übergewichtig machen, muss es irgendetwas in unserer Umwelt oder an unserem Lebensstil sein, mit dem etwas nicht stimmt. Irgendetwas, das sich innerhalb der letzten Jahrzehnte drastisch verändert hat.
»Einleuchtend«, denken Sie vielleicht. Früher verrichteten wir den ganzen Tag lang schwere körperliche Arbeit. Jetzt sitzen viele von uns tagein, tagaus vor dem Bildschirm. Da ist es doch logisch, dass man nicht sonderlich viele Kalorien verbrennt und am Ende zunimmt!
Um diese Theorie auf die Probe zu stellen, können wir in den Norden Tansanias reisen und die Hadza treffen, eine der aktivsten Volksgruppen der Welt. Die Hadza sind Jäger und Sammler, ihr Lebensstil erinnert also an denjenigen, den wir in Dänemark – und dem Rest der Welt – in der Steinzeit führten. Sie halten keine Nutztiere oder bewirtschaften Land, sondern ziehen stattdessen jeden Morgen hinaus in die Savanne, um für Nahrung zu sorgen: Die Männer gehen auf die Jagd und klettern nach Honig, während die Frauen Wurzeln, Beeren, Früchte und Nüsse sammeln.
Daraus ergibt sich die Tatsache, dass die Hadza körperlich sehr viel aktiver sind als wir Dänen. Ein Hadzamann läuft durchschnittlich 19 000 Schritte am Tag, eine Hadzafrau erreicht an die 13 000 Schritte. Und ein Teil dieser Schritte besteht dabei darin, die Ausbeute des Tages zurück zum Stamm zu schleppen, ob es sich dabei nun um Wurzelgemüse, Perlhühner oder gar ein ganzes Zebra handelt. Deshalb wird es vermutlich nicht überraschen, dass die Hadza schlanke Menschen sind. Der durchschnittliche Däne ist, wie bereits erwähnt, übergewichtig und hat einen BMI von über 25, während ein durchschnittlicher Hadza einen BMI von etwa 21 und zudem mehr Muskelmasse als ein typischer Däne hat (der bundesdeutsche BMI liegt im Schnitt übrigens auch über dem Wert von 25, weshalb wir im Folgenden davon ausgehen dürfen, dass für Deutsche weitestgehend das Gleiche gilt wie für Dänen).
Es zeichnet sich also ein simples Bild für uns: Das eine Volk – die Dänen – sitzt still herum, verbrennt wenig Kalorien und leidet deshalb unter Übergewicht. Das andere – die Hadza – ist wahnsinnig aktiv, verbrennt massenweise Kalorien und ist daher schlank.
Das Problem ist nur, dass dieses Bild falsch ist. Denn obwohl sich die Hadza ungewöhnlich viel bewegen, verbrennen sie nicht mehr Kalorien als Dänen.
Ja, ich war selbst überrascht, als ich zum ersten Mal von dieser Statistik hörte. Aber es ist wahr: Die Hadza verbrennen nicht mehr Kalorien als die Dänen.
Tatsächlich verbrennt ein Däne im Schnitt sogar mehr Kalorien als ein durchschnittlicher Hadza, was daran liegt, dass wir größer als die Hadza sind, und größere Körper haben eine höhere Kalorienverbrennung. Wenn man den Größenunterschied aber mit in die Gleichung hineinnimmt, gleichen sich die Ergebnisse an. Das heißt, dass ein Däne und ein Hadza mit der gleichen Körpergröße an einem Tag gleich viele Kalorien verbrennen – selbst wenn der Däne sitzend im Büro arbeitet und der Hadza ein sportlicher Jäger und Sammler ist.
Die Zahlen über die Kalorienverbrennung stammen aus Studien des amerikanischen Evolutionsbiologen Herman Pontzer und seiner Kollegen. Sie verwenden eine fortschrittliche Methode, sogenanntes doppelt markiertes Wasser, um den Energieverbrauch von Menschen und Tieren zu messen. Wir müssen dabei nicht ins Detail gehen, wie exakt diese Methode funktioniert, es reicht zu wissen, dass doppelt markiertes Wasser die genaueste Messungsmethode ist, um herauszufinden, wie viele Kalorien eine Person an einem Tag verbraucht. Sehr viel genauer als diverse Fitness-Tracker und andere Ausrüstung, die behauptet, das Gleiche zu können.
Herman Pontzer und Co. haben ihre Methode eingesetzt, um den Energieverbrauch aller möglichen Volksgruppen rund um den Globus zu messen, von Rentierjägern in Sibirien bis zu lateinamerikanischen Bauern. Und bei jedem einzelnen Vergleich zeigt sich, dass der Kalorienverbrauch im Großen und Ganzen der gleiche ist – zumindest auf Bevölkerungsniveau. Bei Einzelpersonen tauchen durchaus Unterschiede auf; manche Menschen haben eben einen höheren Kalorienverbrauch als andere. Das kennen Sie sicher von diesem einen Freund, der anscheinend essen kann, was er will, ohne ein Gramm zuzunehmen. Aber auf Bevölkerungsniveau gibt es keine Unterschiede. Selbst dann nicht, wenn man besonders aktive Volksgruppen mit solchen vergleicht, die den größten Teil des Tages stillsitzend verbringen.
Eines der besten Beispiele aus Pontzers Forschung ist eine Studie, in der man die Energieverbrennung von zwei Gruppen mit Kindern aus Ecuador miteinander verglich: Stadtkinder und Kinder aus Naturvölkern im Amazonas. In den Städten haben rund ein Drittel der Kinder Übergewicht, und man könnte sich dazu verleiten lassen zu glauben, der Grund dafür sei, dass sie sich kaum bewegen und deshalb so wenige Kalorien verbrennen. Es besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass die Stadtkinder körperlich weniger aktiv sind als die Kinder im Amazonasgebiet.
Aber die niedrige Verbrennung kann nicht die Erklärung für die Gewichtsprobleme der Stadtkinder sein. Denn als die Forscher ihre Untersuchungen anstellten, kristallisierte sich heraus, dass die ecuadorianischen Stadtkinder ebenso viele Kalorien verbrennen wie die Kinder im Amazonas (und Kinder im Westen, was das betrifft).
Es zeigt sich sogar, dass man dasselbe Phänomen auch bei Tieren beobachten kann. Schimpansen, Kängurus und Pandas in zoologischen Gärten verbrennen an einem Tag ebenso viele Kalorien wie ihre Artgenossen in freier Wildbahn. Und das, obwohl die Zootiere sehr viel weniger aktiv sind.
***
Wenn Sie jetzt ein klein wenig verwirrt sind, verstehe ich Sie gut. Denn wie kann es überhaupt sein, dass Dänen und Hadza die gleiche Menge an Energie verbrauchen? Schließlich ist es nicht zu vermeiden, dass man Kalorien verbrennt, wenn man sich körperlich betätigt. Wenn man eine Runde laufen geht, verbraucht man mehr Energie, als wenn man auf dem Sofa lümmelt. Wie ist es also möglich, dass stillsitzende Menschen und Zootiere genauso viele Kalorien verbrennen wie aktive Volksgruppen und Tiere in der freien Natur?
Die Erklärung dafür ist eine, auf die wir im Lauf dieses Buchs immer wieder stoßen werden. Unsere Körper sind dynamisch. Sie sind Anpassungsmaschinen, die permanent auf ihre Umgebungen reagieren. In unserem Fall auf eine ziemlich irritierende Weise. Unser Körper ist nämlich darauf ausgerichtet, Energie zu sparen. Wenn Sie Ihre Verbrennung also ankurbeln, indem Sie zum Beispiel Sport treiben, wird der Körper versuchen, dies zu kompensieren, indem er die Kalorienverbrennung an anderer Stelle herunterfährt. Beispielsweise könnte das der sogenannte Grundumsatz oder Ruheenergiebedarf sein, also die Energie, die Sie im Ruhezustand verbrauchen – für die Atmung, die Blutzirkulation, Hirnaktivität, Aufrechterhaltung von Körperfunktionen und so weiter.
Ein Beispiel dafür können wir bei Elite-Athleten in Ausdauersportarten beobachten. Typischerweise weisen solche im Vergleich mit nicht trainierten Menschen nämlich niedrigere Werte bei Geschlechtshormonen wie Testosteron und Östrogen auf. Das liegt daran, dass Elitesportler so viel Energie auf ihre körperlichen Aktivitäten verwenden, dass ihre Körper anderen Bereichen, wie der Reproduktion, weniger Priorität einräumen. Bei besonders aktiven Athletinnen bedeutet das mitunter sogar, dass ihre Menstruation ganz ausbleibt.
Das gleiche Phänomen trifft auf die Hadza sowie andere Jäger und Sammler zu. Nicht unbedingt das Ausbleiben der Menstruation – die Hadza haben keinerlei Probleme damit, sich zu reproduzieren –, doch genau wie bei Elite-Athleten schwimmen in ihrem Blut wesentlich weniger Geschlechtshormone als bei stillsitzenden Bewohnern der westlichen Welt (was nicht notwendigerweise eine schlechte Sache sein muss. Denn hormonabhängige Krebsarten wie Brust- oder Prostatakrebs zählen in Industrieländern, wo die Hormonwerte höher sind, zu den häufigsten Krebsarten. Bei Jägern und Sammlern sowie Elitesportlern treten diese Krebserkrankungen erheblich seltener auf).
Die Reproduktion ist jedoch nicht der erste Bereich, in dem der Körper nach schwerer körperlicher Aktivität mit den Sparmaßnahmen ansetzt. Typischerweise senkt er den Energieverbrauch zuerst in weniger wichtigen Bereichen, wie dem der unnötigen Bewegungen. Wir kennen das, wenn wir nach großen Anstrengungen etwas träger als normal sind. Wenn Sie am Morgen eine Runde joggen gehen, werden Sie sich später am Tag wahrscheinlich weniger bewegen. Womöglich werden Sie lieber sitzen oder liegen als stehen. Vielleicht stehen Sie nicht so oft auf wie sonst, gehen weniger umher oder wippen nicht so viel mit dem Bein, wie man es manchmal auf diese manische Art und Weise tut.
Zusammengenommen heißt das, dass diese Kalorien, die Sie durch körperliche Aktivität verbrennen, Ihnen nicht unbedingt einen höheren Gesamtverbrauch bescheren. Vielleicht haben Sie durch eine Joggingrunde 400 Kalorien verbrannt, aber wenn der Körper anschließend die Verbrennung in anderen Bereichen herunterfährt, ist Ihr gesamter Energieverbrauch am Ende eventuell nur um 200 Kalorien höher als an einem Tag, an dem Sie hauptsächlich still herumsitzen.
Das ist natürlich ärgerlich, wenn man die paar zusätzlichen Pfunde gern weglaufen möchte. Aber genau das ist die Erkenntnis, die wir aus Studien gewinnen, in denen Bewegung genutzt wird, um Gewicht zu verlieren. In einer amerikanischen Studie halfen die Forscher zum Beispiel einigen übergewichtigen Jugendlichen, mit dem Joggen zu beginnen, in der Hoffnung, das Training würde sie dabei unterstützen, ein paar überschüssige Kilos loszuwerden. Das Laufprogramm der Jugendlichen war so ausgerichtet, dass sie durch ihr Training zwischen 285 und 430 Kalorien verbrennen würden. Doch obwohl sie sich an den Trainingsplan hielten, stieg ihr täglicher Energieverbrauch lediglich um etwa 220 Kalorien. Und das hatte zur Folge, dass sie nicht so viel abnahmen, wie man sich erhofft hatte.
Auf diese Weise laufen die meisten Studien über Bewegung und Abnehmen ab. Anfangs gelingt es den Teilnehmenden, ungefähr so viel Gewicht zu verlieren wie erwartet. Aber je mehr Zeit vergeht, desto besser kompensiert der Körper das gestiegene Aktivitätslevel. Und genau deshalb verbrennen die Hadza nicht mehr Kalorien als wir Europäer. Die Körper der Hadza haben ihr Leben lang gelernt, diesen aktiven Lebensstil zu kompensieren.
Verstehen Sie mich dabei bitte richtig. All das bedeutet nicht, dass Bewegung keine Rolle spielt, wenn Sie abnehmen wollen. Wie wir bei den jungen amerikanischen Läuferinnen und Läufern gesehen haben, ist es ihnen trotzdem geglückt, den Energieverbrauch ein Stück weit zu steigern. Und wenn Sie hartnäckig genug bleiben, können Sie die Kompensationsversuche Ihres Körpers natürlich auch bekämpfen. Trainieren Sie zum Beispiel wie ein Tour-de-France-Fahrer, verbrennen Sie derart viele Kalorien, dass der Körper schlichtweg keine Möglichkeit hat, dem etwas entgegenzusetzen. Ja, manche Radsportler verbrauchen tatsächlich so viel Energie, dass es nahezu unmöglich ist, genügend zu essen, um ihr Gewicht zu halten, sosehr sie es auch versuchen. Vielleicht haben Sie das im Juli auch selbst schon vom Sofa aus festgestellt.
Außerdem deutet die Forschung zur Gewichtsabnahme darauf hin, dass Bewegung entscheidend dafür sein kann, wer sein Gewicht nach einer Abnahme letztendlich hält und wer dann doch wieder zunimmt. Darüber hinaus ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Bewegung nach wie vor mit das Gesündeste ist, dem man sich überhaupt widmen kann. Wenn Sie mein Buch Quallen altern rückwärts gelesen haben, wissen Sie zum Beispiel, dass körperliche Betätigung eine der besten Möglichkeiten ist, sein eigenes Leben zu verlängern: Sie bremst den körperlichen Verfall, der mit dem Alter einhergeht, und verringert das Risiko für sämtliche altersbezogenen Krankheiten.
Aber nachdem wir alle diese Vorbehalte aufgelistet haben, gilt es, unsere ursprüngliche Frage zu beantworten. Wir haben die Hadza besucht, um herauszufinden, ob wir Europäer übergewichtig geworden sind, weil wir so viel herumsitzen. Hier ist die Antwort schlicht und ergreifend: Nein. Wir verbrennen genauso viele Kalorien wie Volksgruppen, die ein wesentlich aktiveres Leben führen. Eine geringere körperliche Aktivität kann also nicht schuld an der Fettleibigkeits-Epidemie sein, in der wir uns befinden.
Als letzter Sargnagel für diese Theorie zeigen Studien sogar, dass wir heutzutage körperlich aktiver sind als in den schlanken 1960ern.
Wir müssen also noch einmal von vorn anfangen und neu überlegen.
***
Während sich die Fettleibigkeits-Epidemie auf alarmierende Weise verbreitete, machten sich Forscherinnen und Forscher weltweit daran, Übergewicht bei Mäusen und Ratten unter die Lupe zu nehmen. Sie erhofften sich, mit Hilfe der Versuchstiere zu verstehen, weshalb wir an Gewicht zunehmen und wie man das verhindern kann.
Ziemlich bald offenbarte sich aber ein Problem. Denn wie macht man einen Nager eigentlich übergewichtig? Zuerst versuchten es die Forscher mit verschiedenen Formen von Zwangsfütterung. Das funktionierte, dauerte aber lang und ließ sich moralisch natürlich nicht verteidigen. Anschließend experimentierten sie damit, den Nagetieren Futterpillen mit einem extrahohen Fettgehalt zu verabreichen. Dies funktionierte zwar besser als das Zwangsfüttern, war aber immer noch nicht sonderlich effektiv.
Zum Schluss kamen die Forscher allerdings auf eine simple Lösung: Sie fütterten die Ratten einfach mit unseren Lieblingssnacks aus dem Supermarkt. An der Universität Kopenhagen mischte man die Futterpillen der Nager beispielsweise mit Nutella, während man sie bei Novo Nordisk zum Teil durch diverse Schokoriegel ersetzte. An anderen Orten fütterte man die Versuchstiere mit allem Möglichen, von Hotdogs über Kekse bis hin zu Chips und Bonbons. In Wissenschaftskreisen nennt man diese Art von Essen Cafeteria-Nahrung, und sie ist so effektiv, dass die Labortiere innerhalb weniger Wochen Fettleibigkeit entwickeln.
Im Grunde unterscheiden sich die Nager also nicht großartig von uns Menschen. Denn genau hier werden wir auch die Ursache für unsere eigenen Übergewichtsprobleme finden. Wir verbrennen so viel wie früher, essen dafür aber deutlich mehr. Geht man nach den besten Schätzungen über unsere Kalorienzufuhr, nehmen wir so viel zusätzliches Essen zu uns, dass es mehr als ausreicht, um unsere Fettleibigkeitsprobleme zu erklären.
Dagegen können Sie natürlich ins Feld führen, dass »Wir essen zu viel« keine besonders zufriedenstellende Erklärung darstellt. Denn warum essen wir plötzlich mehr als früher? Es ist ja nicht so, als hätten die Leute in den 1960er-Jahren am Hungertuch genagt.
Die kurze Erklärung ist die, dass wir Menschen uns weniger vom Austernfischer und dem Trauerschnäpper unterscheiden, als einem vielleicht lieb wäre. Ja, wir haben größere Gehirne und sind intelligenter. Aber trotzdem fallen wir auf denselben Trick herein wie die kleinen Vögel: Superstimuli.
Die Vögel lassen sich von supernormalen Ausgaben ihrer eigenen Eier täuschen – von künstlichen Eiern, die unnatürlich groß oder unnatürlich stark gefärbt sind. Wir Menschen lassen uns von supernormalem Essen täuschen. Das bedeutet, von Essen, das dahingehend optimiert worden ist, im Belohnungssystem unseres Gehirns all die richtigen Knöpfe zu drücken, und zwar unnatürlich fest.
Die Genetik hinter Fettleibigkeit
Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass unsere Gewichtsprobleme nicht an unseren Genen liegen können. Denn wir haben die gleichen Gene wie unsere schlanken Vorfahren vor ein paar Generationen.
Trotzdem helfen uns die Gene dabei, die Fettleibigkeits-Epidemie besser zu verstehen. Sie können nämlich beschreiben, warum die fettleibigkeitsfördernde Umwelt uns nicht alle im selben Maß beeinflusst. Manche leiden unter schwerem Übergewicht, während andere noch das sind, was man früher einmal war: problemlos schlank. Und dieser Unterschied hat eine genetische Komponente.
Unter anderem können wir das bei Adoptivkindern beobachten. Ihr Gewicht als Erwachsene hat mehr mit ihrer biologischen Familie zu tun als mit der Adoptivfamilie, in der sie aufgewachsen sind. Die Anlage der Kinder hat also einen größeren Einfluss auf ihr Körpergewicht als ihre Umwelt.
Gleichzeitig kennen wir aus großen Studien, in denen die Forschenden die Gene von Tausenden übergewichtigen und schlanken Menschen miteinander vergleichen, auch die Bedeutung der Gene für Adipositas. Dabei hat man eine Menge Genvarianten entdeckt, die das Risiko für eine Gewichtszunahme erhöhen. Und bei Übergewichtigen waren diese Genvarianten überrepräsentiert.
Hier wird es interessant. Die Fettleibigkeits-Gen-Varianten haben im Großen und Ganzen nämlich immer irgendetwas mit dem Gehirn zu tun. Klassischerweise beeinflussen sie Wesenszüge wie den Appetit oder die Impulskontrolle. Diese genetischen Studien deuten also darauf hin, dass manche Menschen stärker auf Nahrungsmittel-Superstimuli reagieren als andere. Wenn die Belohnung für ein Stück Schokolade bei mir größer ausfällt als bei Ihnen, besteht für mich ein höheres Risiko, zu viel davon zu naschen und zuzunehmen. Mit anderen Worten unterstützt die Genetik hinter Fettleibigkeit die These, dass die Kalorienzufuhr das größte Problem für unser Gewicht darstellt – nicht mangelnde körperliche Aktivität.
***
Wenn Sie mal wieder versuchen, die Gummibärchen- oder Chipstüte im Schrank liegen zu lassen, glauben Sie wahrscheinlich, dass Sie diesen Kampf mit sich selbst ausfechten. In diesem Duell stehen Ihre Vernunft und Ihre Willenskraft auf der einen Seite – und auf der anderen Seite der Drang, 600 leere Kalorien zu verputzen. In Wirklichkeit ist dieser Kampf aber gar nicht so isoliert zu betrachten. Tausende von Menschen sind darin involviert; ärgerlich für Sie ist dabei bloß, dass diese Menschen alle für das gegnerische Team antreten.
Denn das Unternehmen, das beispielsweise die Chips herstellt, verfolgt nur ein Ziel: Dass Sie die Tüte nicht im Schrank liegen lassen. Wie bei allen anderen Unternehmen auch geht es dem Chipshersteller einzig und allein darum, Geld zu verdienen, sodass Ihre Vernunft, Ihre Willenskraft und Ihr Sättigungsgefühl die größten Feinde dieses Herstellers sind. Lassen Sie die Chips im Schrank liegen, vergeht schließlich mehr Zeit, bis Sie eine neue Tüte kaufen. Das Gleiche gilt, wenn Sie immer nur je eine kleine Portion essen, weil sie danach satt sind, oder wenn Sie dank Ihrer Willensstärke nach einer halben Tüte aufhören. Will der Chipshersteller also möglichst viel Geld verdienen, muss er Ihrem Sättigungsgefühl und Ihrer Willenskraft den Kampf erklären.
Jetzt denken Sie vielleicht, ich überdramatisiere das Ganze, aber ich garantiere Ihnen, es ist unfassbar, wie weit manche Lebensmittelproduzenten gehen, um ihre Mission zu erfüllen. Die größten Hersteller betreiben mitunter mehrere Forschungsparks rund um die Welt. Dort stellen sie hochausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an und stellen ihnen Milliardenbeträge zur Verfügung, die für sorgfältigste Optimierungsprozesse von Chips, Keksen und Mikrowellengerichten eingesetzt werden, als ginge es um überlebenswichtige Medikamente oder hochtechnologische Waffen.
Die Forschenden finden Antworten auf Fragen wie: Wie sieht die perfekte Balance zwischen Fett und Zucker aus? Kann man Salzkristalle in eine neue Form bringen, damit sie ein besseres Mundgefühl erzeugen? Verbessert es den Geschmack eines Kekses, wenn man ihn zwei Prozent fester oder weicher macht? Was regt den Appetit mehr an – E620 oder E621? Sollten die Chips eventuell eine dunklere Nuance von Gelb haben? Und so weiter.
Von jedem einzelnen Produkt stellen die Unternehmen Tausende Probevarianten her und testen mit fortschrittlichen wissenschaftlichen Methoden, wie Mäuse und Menschen auf diese Produkte reagieren. Bei jedem Test bewerten sie, ob eine kleine Veränderung das Produkt ein winziges bisschen attraktiver als vorher macht. Manche Lebensmittelproduzenten setzen sogar Hirnscanner ein, um den Einfluss der Nahrungsmittel auf uns zu studieren.
Es fällt schon schwer, bei diesem Bild nicht vor Lachen loszuprusten. Stellen Sie sich einen Haufen exzellent ausgebildete Forschende vor, die mit ernster Miene und modernster Laborausrüstung konzentriert daran arbeiten, eine Tiefkühlpizza zu optimieren.
All der Komik zum Trotz ist es aber eine traurige Angelegenheit. Denn so lächerlich es sich auch anhören mag, die Wahrheit ist, dass das wissenschaftliche Optimieren von Lebensmitteln exakt nach den Vorstellungen der Hersteller funktioniert. Sie haben den Effekt davon sicherlich schon am eigenen Leib zu spüren bekommen: Ich meine diesen Zustand, in dem man sich eine Handvoll Chips nimmt, und dann nicht mehr in der Lage ist, damit aufzuhören. Es ist kein Zufall, dass Ihnen das passiert. Es ist genau so geplant.
***
Wenn ich den Begriff »Nahrungsmittel-Superstimuli« verwende, spreche ich genauer gesagt von der Art von Nahrungsmitteln, die nicht von Bäumen gepflückt wurden, auf einem Feld angebaut oder in einem Stall gewachsen sind. Unter Nahrungsmittel-Superstimuli verstehe ich Produkte, die von Lebensmittelforschern in Laboren entwickelt wurden, mit der obersten Priorität, uns dazu zu verleiten, so viel wie möglich davon zu essen.
Ein Apfel ist zum Beispiel die Frucht eines Apfelbaums. Ein Steak ist Muskelgewebe eines Rinds. Aber ein Oreo-Keks ist eine Mischung aus Zutaten von mehreren verschiedenen Kontinenten, sorgsam zusammengesetzt, um Nahrungsmittel-Superstimuli zu erschaffen. Der Keks enthält Zucker, aus Zuckerrohr isoliert; Weißmehl aus Weizen; Palmöl, aus Palmen gewonnen; Kakaopulver aus Kakaobohnen; Lecithin aus Sojabohnen; diverse Formen von Sirup, oft aus Mais gewonnen; Massen von Salz und schließlich eine ganze Reihe von E-Nummern, die die Farbe, die Haltbarkeit und den Geschmack optimieren.
Jede einzelne Zutat selbst ist bereits verarbeitet, und Oreos existieren überhaupt nur aufgrund eines langwierigen industriellen Prozesses. Deshalb nennt man Nahrungsmittel-Superstimuli auch industriell hergestellte oder hochverarbeitete Lebensmittel. Typischerweise erkennt man solche Lebensmittel an ihrer langen Haltbarkeit, der knallig-bunten Verpackung, einem bestimmten Markennamen und an einer umfangreichen Zutatenliste, die für gewöhnliche Menschen unmöglich zu entschlüsseln ist. Beispiele wären Süßigkeiten, Chips, Schokolade, Eis, Limonade, Mikrowellengerichte und diverse Arten von Fast Food.
Wie gut die Lebensmittelforscherinnen und – forscher ihre Arbeit beherrschen, können wir an einer gründlichen Studie des amerikanischen Fettleibigkeitsforschers Kevin Hall und seiner Kollegen sehen. Dabei quartierte man einige Versuchsteilnehmende in einem Forschungszentrum ein und servierte ihnen alles, was sie zu essen bekamen. So konnte man genau überwachen, was und wie viel jede einzelne Person verzehrte. Die Teilnehmenden wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine erhielt hochverarbeitete Lebensmittel wie Fertiggerichte, Frühstücksprodukte und Snacks. Die andere Gruppe bekam unverarbeitete Nahrungsmittel wie Fleisch, Obst, Gemüse und Reis.
Die Forscher sorgten dafür, die Mahlzeiten für die beiden Versuchsgruppen so gleich wie möglich zu gestalten. Sie legten immer gleich viele Kalorien auf die Teller und achteten außerdem darauf, dass alle Mahlzeiten die gleiche Menge an Proteinen, Kohlenhydraten, Fett, Salz, Zucker, Ballaststoffen und so weiter enthielten. Der einzige Unterschied zwischen den Gerichten bestand darin, dass eine Gruppe Essen serviert bekam, das Lebensmittelwissenschaftler entwickelt hatten, während man der zweiten Gruppe natürliches Essen vorsetzte.
In den darauffolgenden vier Wochen überwachten die amerikanischen Forscher die Essgewohnheiten der Versuchsteilnehmenden, stellten sie auf die Waage und nahmen Blutproben. Das Resultat sagt eine Menge darüber aus, weshalb wir mit einer Fettleibigkeits-Epidemie kämpfen. Allen Versuchsteilnehmenden wurde nämlich gesagt, sie sollten nur so lange essen, bis sie sich satt fühlten. Doch die Gruppe, die industriell verarbeitete Lebensmittel aß, nahm pro Tag500Kalorien mehr zu sich als die Gruppe, die unverarbeitete Nahrungsmittel serviert bekam. Das entspricht einer ganzen zusätzlichen Mahlzeit, die nötig war, damit sich die Gruppe ebenso satt fühlte wie die Teilnehmenden mit dem nicht verarbeiteten Essen. Folglich führte die hochverarbeitete Ernährung auch dazu, dass die Probanden während der Studie zunahmen.
In der Gruppe mit der unverarbeiteten Ernährung verloren die Probandinnen und Probanden dagegen an Gewicht. Sie waren ja durchschnittliche Amerikaner und es daher gewohnt, in ihrer alltäglichen Ernährung eine ganze Menge Industrielebensmittel zu sich zu nehmen. Als sie dann zu unverarbeiteten Lebensmitteln wechselten, normalisierte sich ihre Appetitregulierung allmählich, was sich nicht nur in ihrem Gewicht widerspiegelte, sondern auch in ihrem Blut. So sanken beispielsweise die Werte des Hungerhormons Ghrelin, sobald die Versuchsteilnehmenden komplett auf industrielle Lebensmittel verzichteten, während die Werte für das appetitverringernde Hormon PYY anstiegen.
Die Studie kam also zu dem Schluss, dass es den Lebensmittelherstellern gelungen ist, Nahrungsmittel-Superstimuli zu erschaffen, die unsere Appetitregulierung außer Kraft setzen und uns dazu bringen, zu viel zu essen.
Lassen Sie uns herausfinden, wie sie das anstellen.
Überall in ganz Südamerika wachsen kleine buschartige Pflanzen, die man Cocasträucher nennt. Diese Sträucher werden insbesondere in Peru und Bolivien angebaut, wo die Blätter dieser Pflanzen seit Tausenden von Jahren einen wichtigen Bestandteil der Kultur darstellen. Cocablätter haben nämlich eine belebende Wirkung, wenn man sie zerkaut. Und eben das tun die Einheimischen, um Müdigkeit entgegenzuwirken, ebenso wie sie die Blätter auch in Verbindung mit Zeremonien einsetzen und um alles von der Höhenkrankheit bis hin zu Hunger und Durst zu bekämpfen.
Im Zuge der spanischen Kolonisation Südamerikas gelangten die Cocablätter bereits im 16. Jahrhundert nach Europa. Doch zu Beginn lösten sie fern ihres Ursprungsorts keine Begeisterung aus. 1855 gelang es einigen deutschen Chemikern dann allerdings, den aktiven Stoff in den Blättern zu isolieren. Also den Stoff, der für den belebenden Effekt sorgt. Die Chemiker benannten diesen Stoff nach dem Cocastrauch – Kokain –, und spätestens ab hier dürften Sie eine recht deutliche Ahnung haben, wie der Rest der Geschichte verläuft.
Die deutschen Chemiker hatten eigentlich vorgehabt, den neuen Stoff für die Entwicklung von Medikamenten zu nutzen, aber man fand schnell auch andere Verwendungsmöglichkeiten. Kokain als isolierter Stoff ist nämlich um ein Vielfaches stärker, als wenn man bloß die Blätter der Cocapflanze kaut. Das liegt zuallererst daran, dass man eine größere Menge in konzentrierter Pulverform einnimmt. Cocablätter bestehen zu weniger als einem Prozent aus Kokain, man müsste also Blättermengen wie ein Elefant fressen, um die gleiche Menge wie in einem bisschen Pulver zu bekommen.
Darüber hinaus hat reines Kokain aber auch deshalb einen stärkeren Effekt als Cocablätter, weil ab der Einnahme weniger Zeit vergeht, bis der Stoff das Gehirn erreicht. Zerkaut man die Blätter, nimmt man das Kokain zusammen mit vielen Ballaststoffen, Wasser und woraus das Blatt eben sonst so besteht, ein. Das verzögert die Aufnahme im Körper, weshalb das Kokain länger braucht, um ins Gehirn zu gelangen. Und das ist relevant, denn Wirkstoffe im Allgemeinen werden stimulierender – und abhängigkeitsverursachender –, je schneller sie das Gehirn erreichen.
Zigaretten machen zum Beispiel deshalb abhängiger als Nikotinkaugummis, weil das Nikotin schneller ins Gehirn gelangt, wenn man es raucht. Dabei wird das Nikotin über die Lungen aufgenommen, und das geht eben schneller, als wenn man es über die Mundschleimhäute aufnimmt, wie man es beim Kauen von Nikotinkaugummis tut. Aus dem gleichen Grund kann Kokain noch abhängigkeitserregender gemacht werden, indem man es als Crackkokain raucht.
Aber warum spreche ich hier eigentlich über Kokain?
Nun ja, auf die Gefahr hin, Sie ein wenig paranoid im Hinblick auf das Essen in Ihrem Kühlschrank werden zu lassen, gibt es tatsächlich eine Parallele zu Nahrungsmittel-Superstimuli. Denn die Lebensmittelhersteller wenden denselben Trick beim Entwickeln von Nahrungsmittel-Superstimuli an wie die deutschen Chemiker seinerzeit bei der Herstellung von Kokain: den stimulierenden Wirkstoff finden, isolieren und in großen Mengen hinzufügen.
Das beste Beispiel für diesen Prozess ist ein anderes weißes Pulver, nämlich Zucker. Vielleicht haben Sie schon einmal davon gehört, dass Zucker auf die gleiche Weise auf das Gehirn wirkt wie Kokain. Lassen Sie mich gleich anmerken, dass das nicht ganz korrekt ist. Natürlich gibt es einen großen Unterschied zwischen einem Kokainabhängigen und einem Ottonormalverbraucher, der an einem Samstagabend einfach eine Tüte Gummibärchen naschen will.
Aber nachdem das gesagt ist: Es gibt doch gewisse interessante Ähnlichkeiten. Zum Beispiel kann man bei Ratten abhängigkeitsähnliches Verhalten auslösen, sowohl wenn man sie mit Kokain als auch wenn man sie mit Zucker füttert. In beiden Fällen »bingen« die Ratten, sobald sie Zugang zu ihrem Stoff bekommen; sie weisen mitunter Abstinenzsymptome auf, wenn sie keinen Zugang dazu haben; und in Verbindung mit der Fütterung von Zucker hat man einige Veränderungen im Gehirn entdeckt, die man auch von anderen Formen von Abhängigkeit kennt.
Stellt sich nur die Frage, warum wir diese Schwäche haben.
***
Nicht alle Tiere teilen unsere große Vorliebe für Zucker. Arten wie Delfine und verschiedene Katzen können Süßes tatsächlich gar nicht schmecken.
Abgesehen davon sind viele Wesen aber ganz wild auf alles von Obst bis hin zu Weingummis. Vermeintlich lässt sich diese Begeisterung damit erklären, dass Zucker eine »billige« Form von Kalorien darstellt. Er muss so gut wie nicht verdaut werden, bevor wir ihn im Körper aufnehmen und als Energie für unsere Zellen nutzen können. Man könnte also sagen, Zucker ist gleichbedeutend mit Kalorien, bei denen der Körper sich nicht anzustrengen braucht, um sie zu gewinnen. Und Energie wollen wir ja immer gern einsparen.
Obendrein haben wir Menschen aufgrund unserer langen Vorgeschichte als obstessende Affen im Regenwald eine besondere Vorliebe für Süßkram. Süße bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Frucht reif und zudem ungiftig ist. In diesen frühen Zeiten nutzten unsere affenähnlichen Vorfahren die Vorliebe für Süßes also als Ernährungsratgeber, um herauszufinden, was man bedenkenlos verzehren konnte.
Heute sind die Supermärkte immer noch randvoll mit allen möglichen Früchten, aber dabei handelt es sich gar nicht mehr um das Obst, von dem unsere Vorfahren lebten. Modernes Obst ist eine menschliche Erfindung. Nehmen wir zum Beispiel Pfirsiche. Vor vielen Tausend Jahren waren sie weder saftig noch apfelgroß wie die Früchte, die wir heute kennen. Wilde Pfirsiche hatten die Größe von Beeren und schmeckten recht trocken, ein bisschen so wie Linsen.
Doch im Osten Chinas nahmen sich Bauern der Pfirsichbäume an und begannen, sie zu züchten. In jeder Generation züchteten sie mit denjenigen Bäumen weiter, die die am besten schmeckenden Früchte trugen. Was zur Folge hatte, dass die Pfirsiche mit der Zeit nach unserem Geschmack geformt wurden. Sie wurden größer, deutlich saftiger und um ein Vielfaches süßer als ihre Vorgänger.
Die gleiche Geschichte lässt sich im Grunde über alle Obstsorten erzählen, die wir heute essen. Der Urvater der Wassermelone zum Beispiel war eine kleine Frucht mit bitterem, grünem Fruchtfleisch, und wilde Bananen haben rein gar nichts mit dem süßen Obst zu tun, das wir heute kennen. Nein, sie sind klein, schmecken bitter und haben harte Kerne.
Verstehen Sie mich nicht falsch – dass unser Obst heute süßer ist als »natürliches« Obst, heißt nicht, dass es ungesund wäre. Im Gegenteil, es gibt viele Belege dafür, wie gesund der Verzehr von Obst ist. Unter anderem, weil Obst eine Quelle für Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe ist und somit sättigt. Tatsache ist jedoch, dass modernes Obst das erste Beispiel für unsere Fähigkeit darstellt, unsere Lebensmittel nach unserem Geschmack zu formen. Was bei den Pfirsichbauern in China so wunderbar seinen Anfang nahm, lief danach allerdings ziemlich aus dem Ruder.
***
Unsere Vorliebe für Süßes brachte uns schließlich ernsthaft in Schwierigkeiten, als man im alten Indien verarbeiteten beziehungsweise raffinierten Zucker erfand. Also die Art Zucker, die wir vollständig aus ihrem natürlichen Kontext reißen, isolieren und unserem Essen in großen Mengen zusetzen.
Von Indien aus verbreitete sich der raffinierte Zucker unter anderem in den Nahen Osten, wo europäische Kreuzfahrer und andere Reisende ihn zu kosten bekamen. Süßes Salz nannten sie ihn, und schon bald erfreute er sich auch in Europa großer Beliebtheit. Lange Zeit war raffinierter Zucker aber so teuer, dass nur die Oberschicht Zugang dazu hatte, und deshalb gab man ihm den Beinamen weißes Gold.
Im 15. Jahrhundert änderte sich jedoch alles. Damals segelten die Spanier und Portugiesen weit hinaus auf den Atlantik und entdeckten dort mehrere Inseln – unter anderem Madeira, die Kanarischen Inseln und São Tomé. Größtenteils waren diese Inseln unbewohnt, also ließen sich die Entdeckungsreisenden nieder und befanden sie bald als für den Anbau von Zuckerrohr geeignet. Später entdeckten die Spanier auch Amerika (wieder) und brachten den Zuckerrohranbau mit. Nur neun Jahre nachdem Christoph Kolumbus an Land ging, erntete man zum ersten Mal Zuckerrohr auf dem amerikanischen Kontinent. Binnen kürzester Zeit wurde er zu einer der wichtigsten Exportwaren des Kontinents, und damit begann ein fanatischer Kampf darum, den Preis zu drücken. Man machte technologische Fortschritte beim Gewinnungsprozess, sodass aus jedem Zuckerrohr so viel Zucker wie nur irgend möglich geholt wurde. Die Kolonialisten stützten sich auf die Sklaverei, um den Arbeitern auf den Zuckerfeldern keinen Lohn zahlen zu müssen. Und zuletzt gelang es zu Hause in Europa deutschen Forschern, die Pflanze heranzuzüchten, die wir heute Zuckerrübe nennen. Sie wuchs und gedieh im kühlen europäischen Klima, und man war nicht mehr darauf angewiesen, den raffinierten Zucker quer über den Atlantik zu transportieren.
Im Lauf weniger Jahrhunderte verwandelte der Preiswettlauf Zucker vom weißen Gold in eines der billigsten Dinge, die man überhaupt essen kann. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Lediglich ein paar Lebensmittel wie zum Beispiel Reis können es in puncto Preis mit raffiniertem Zucker aufnehmen. Alles andere, von Milch über Kartoffeln bis zu Hafer, ist teurer.
Wegen seines niedrigen Preises und unserer Vorliebe für Süßes ist raffinierter Zucker zu einem Eckpfeiler der modernen Ernährung geworden. Im Durchschnitt essen die Dänen 50 Gramm zugesetzten Zucker pro Tag, was 10 Teelöffeln, 20 Zuckerwürfeln oder einem Zehntel unserer gesamten Kalorienzufuhr entspricht. In Deutschland liegt der Verbrauch mit 91 Gramm Zucker pro Tag und Kopf fast doppelt so hoch.
***
Stellen Sie sich einmal vor, Sie schließen sich nach dieser kleinen Einführung der dunklen Seite an. Sie werden von einem Lebensmittelkonzern angestellt, wo Sie die Aufgabe haben, Nahrungsmittel-Superstimuli zu entwickeln. Was haben Sie bisher Nützliches gelernt?
Zuallererst wissen Sie, dass wir Menschen auf Süßes stehen, das den Appetit anregt, also sollte Ihr Produkt auf jeden Fall Zucker enthalten. Außerdem wissen Sie, dass Zucker durch den technologischen Fortschritt extrem billig ist. Das heißt, Sie können ihn in großen Mengen einsetzen, ohne sich Gedanken um die Kosten machen zu müssen. Und schließlich haben Sie gelernt, je schneller ein Stoff vom Körper aufgenommen und ins Gehirn transportiert wird, desto effektiver wirkt er als Superstimulus.
Das bringt Sie auf eine gute Idee. Indem Sie den Zucker in einer Flüssigkeit auflösen, stellen Sie sicher, dass er schnell vom Körper aufgenommen wird. Denn alles, was wir essen, wird zu Flüssigkeit, wenn wir es verdauen. Durch die Herstellung einer Zuckerflüssigkeit können Sie die Verdauung einfach überspringen und sorgen so dafür, dass die Verbraucher den Zucker schnellstmöglich aufnehmen.
Voilà, ein Getränk voller Zucker. Jetzt können Sie reich werden.
Okay, in Wahrheit sind Sie natürlich viel zu spät dran, um diese Erfindung für sich zu beanspruchen. Es existiert bereits eine globale Industrie, die sich dem Verkauf von Limonaden, Eistees, Sportgetränken, Fruchtsäften, Energy Drinks und Ähnlichem widmet. Die Formel dahinter ist eine simple: Wasser, Unmengen an Zucker und ein paar Geschmacksstoffe. Mehr braucht es tatsächlich nicht, um Milliarden zu verdienen.
Zwar enthielt Coca-Cola früher auch Kokain, doch diese Zutat hat man gestrichen. Um die Kunden abhängig zu machen, sind nämlich lediglich große Mengen des anderen weißen Pulvers nötig. Das können wir unter anderem beobachten, wenn wir den Kühlschrank eines durchschnittlichen Dänen (oder Deutschen) öffnen. Wir trinken nämlich so viel Limonade, dass man davon Zahnschmerzen bekommen will. Allein zu Hause liegt der Verbrauch pro Kopf in Dänemark bei rund 82 Litern jährlich (77 Liter in Deutschland). Zählt man sämtliche gesüßten Getränke mit, kommen wir auf 127 Liter Softdrinks (Deutschland: 122 Liter), weil manche von uns offenbar völlig verrückt nach Fruchtsaftgetränken sind.
Das ist nicht nur deshalb ein Problem, weil es unseren armen Zahnärzten und -ärztinnen den Schlaf raubt. Süße Getränke sind nämlich leider auch eine äußerst effektive Methode, einen Menschen dick zu machen, weil wir die Kalorien in einem Softdrink nicht kompensieren. Normalerweise essen Sie weniger zu Abend, wenn Sie ein üppiges Mittagessen hatten, und Sie essen weniger Fleisch, wenn Sie dafür ein paar Kartoffeln mehr auf den Teller laden. Das liegt daran, dass Ihre natürliche Appetitregulation im Blick behält, wie viele Kalorien Sie zu sich genommen haben, und dafür sorgt, dass Sie die Gabel liegen lassen, wenn Sie genug hatten.
Süße Getränke aber stören diesen Prozess. Erstens ist der enorme Zuckergehalt ein Superstimulus, der unser Gehirn, wie wir inzwischen wissen, nach mehr schreien lässt. Zweitens enthalten die meisten Süßgetränke weder Proteine noch Ballaststoffe, die sonst am meisten zur Sättigung beitragen. Und drittens sättigen Flüssigkeiten im Allgemeinen nicht sonderlich gut.
Eigentlich haben wir sogenannte Dehnungsrezeptoren in der Magenwand, die registrieren, wie voll dieser ist, und die das Gehirn über den Zustand informieren. Aber denken Sie daran, Flüssigkeiten werden vom Körper blitzschnell aufgenommen (und auch rasch wieder ausgeschieden). Das bedeutet, dass sie den Magen nicht besonders lange füllen. Folglich essen Sie nicht weniger, weil Sie eine Cola mehr trinken. Die Kalorien aus der Limonade kommen einfach mit obendrauf, und deshalb erhöhen Limonaden das Risiko zuzunehmen.
Cola-Sterin
Limonaden und Softdrinks sind nicht nur ungesund, weil sie dick machen.
Das sehen wir beispielsweise an einer Schweizer Studie, bei der die Wissenschaftler eine Gruppe Versuchspersonen, die normalerweise keine Limonade tranken, dazu brachte, damit anzufangen. Während des Versuchs nahmen die Wissenschaftler regelmäßige Blutproben, und es dauerte nicht mehr als zwei bis drei Wochen, ehe die Werte sich in eine besorgniserregende Richtung bewegten.