12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 12,99 €
Verglichen mit anderen Erdbewohnern dauert ein Menschenleben nur einen Wimpernschlag: Kalifornische Redwoods können fünftausend Jahre alt werden, einige Quallenarten kehren ihren Alterungsprozess um und manche Bakterien sind sogar unsterblich.
Molekularbiologe Nicklas Brendborg nimmt die Leser:innen mit in die entlegensten Winkel der Welt und die modernsten Forschungslabors; unterwegs zu den ältesten Menschen, zu Zombiezellen und zu Experimenten, die unsere grundlegenden Vorstellungen vom Leben auf den Kopf stellen.
Dabei geht Brendborg einer zentralen Frage der Menschheit nach: Wie kann ein langes und gesundes Leben gelingen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 342
Verglichen mit anderen Erdbewohnern dauert ein Menschenleben nur einen Wimpernschlag: Alterungsprozess um und manche Bakterien sind sogar unsterblich.
Molekularbiologe Nicklas Brendborg nimmt die Leser:innen mit in die entlegensten Winkel der Welt und die modernsten Forschungslabors; unterwegs zu den ältesten Menschen, zu Zombiezellen und zu Experimenten, die unsere grundlegenden Vorstellungen vom Leben auf den Kopf stellen.
Dabei geht Brendborg einer zentralen Frage der Menschheit nach: Wie kann ein langes und gesundes Leben gelingen? Kalifornische Redwoods können fünftausend Jahre alt werden, einige Quallenarten kehren ihren
Nicklas Brendborg ist 25 Jahre alt und Postdoktorand für Molekularbiologie an der Universität Kopenhagen. Brendborg, ein Nachwuchstalent des Novo Nordisk International Talent Program und des Novo Scholarship Program, veröffentlichte 2015 sein erstes Buch, TOP STUDENT. Mit Lars Tvede war er Co-Autor von SUPERTRENDS.
EICHBORN
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen.
Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG
Vervielfältigung dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten
Dieses Buch ersetzt nicht den professionellen Rat von Ärzten oder anderen Gesundheitsexperten. Autor und Verlag übernehmen keine Haftung für Verletzungen oder Schäden, die direkt oder indirekt durch das Befolgen von Hinweisen oder Tipps in diesem Buch entstehen.
Titel der dänischen Originalausgabe:
»Gopler ældes baglæns«
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2021 by Nicklas Brendborg
Published by arrangement with Sebes & Bisseling Literary Agency Scandinavia
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2022/2023 by Bastei Lübbe AG,
Schanzenstraße 6–20, Köln
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung eines Designs von Rasmus Funder; Motive: © Anna Kutukova/Shutterstock; white snow/Shutterstock; boromvit tatasai/Shutterstock
eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-7517-2063-2
eichborn.de
luebbe.de
lesejury.de
Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Im Jahr 1493 machte sich Christoph Kolumbus auf zu seiner zweiten Amerikareise. Zu seinem Gefolge gehörte ein ehrgeiziger junger Spanier namens Juan Ponce de León. Auf der Insel Hispaniola gründeten die Seefahrer ihre erste Kolonie in der neuen Welt, und hier ließ sich Ponce de León nieder. Damals wussten die Spanier nicht viel über das, was sie da entdeckt hatten. Oder wo sie überhaupt gelandet waren. Womöglich in Indien?
Von der tropischen Insel aus zogen sie immer wieder auf Entdeckungsreisen – und dabei war es im Prinzip unmöglich, nicht auf etwas Unbekanntes zu stoßen. In der neuen Siedlung in der Karibik, aber auch zu Hause in Spanien rankten sich Gerüchte um diese Reisen, über fantastische Welten, fremde Völker und unvorstellbaren Reichtum.
Eines Tages hörte Ponce de León ein solches Gerücht über ein neues Land nördlich von Hispaniola. Sofort trommelte er eine Mannschaft zusammen und machte sich auf den Weg, um der Geschichte auf den Grund zu gehen. Gemeinsam mit seinen Männern segelte er entlang der Bahamas – die man zu dieser Zeit bereits kannte – und erspähte als erster Europäer das unbekannte Land: Aufgrund der von Blumen übersäten Landschaft taufte er es auf den Namen La Florida.
Bei ihrer Erforschung Floridas begegneten die Spanier irgendwann einem Stamm Eingeborener. Während des Aufeinandertreffens verhielten sich die Stammesmitglieder diplomatisch und erzählten den Neuankömmlingen von einer recht sonderbaren Quelle, die sie »Jungbrunnen« nannten: einer Quelle, deren Wasser Heilkräfte besäße und die selbst den ältesten Mann wieder jung mache. Aber, darauf beharrten sie, niemand in ihrem Stamm könne sich daran erinnern, wo die Quelle lag. Und nein, das sei ganz sicher kein Ablenkungsmanöver, um von den Spaniern in Frieden gelassen zu werden. Es gebe sie wirklich.
In den folgenden Jahren segelte die spanische Expedition die Küste Floridas auf und ab und durchkämmte die hintersten Winkel nach der berüchtigten Quelle. Aber wie wissen, ob man sie auch gefunden hat? Die hoffnungsvollen Spanier badeten in jeder Quelle, in deren Nähe sie kamen. Ein reichlich mutiges Unterfangen, in Anbetracht der Alligatorenpopulation Floridas. Den Jungbrunnen fanden sie natürlich nie – stattdessen fand der Sensenmann sie irgendwann alle.
Wenn Sie einen seriösen Historiker fragen, dann ist diese Episode vor allen Dingen eine Legende. Da ich aber kein solcher bin, kann ich es mir erlauben, mein Buch mit dieser kleinen Abenteuergeschichte einzuleiten.
In Wirklichkeit suchten Ponce de León und seine Männer wahrscheinlich nach denselben Dingen wie alle anderen ihrer Zeitgenossen: Land, Gold, eventuell Sklaven und wohl auch Frauen. Dennoch finden sich Berichte dieser Art in den unterschiedlichsten Zivilisationen wieder, von Alexander dem Großen über das antike Griechenland und die Kreuzritter bis hin zum alten Indien, China und Japan. Es gibt zahlreiche Erzählungen über verjüngende Quellen und magische Elixiere.
Unsere eigene Zeit bildet dabei keine Ausnahme. Ständig hören wir Geschichten über Anti-Aging-Hokuspokus. Parallel zum Vormarsch der Wissenschaft ist es heute eben die Forschung, die die meisten Vorschläge unterbreitet, wo die Quelle der ewigen Jugend denn zu finden sei. Auf den ersten Blick mag das wie ein Fortschritt klingen, aber selbst die Suche der Wissenschaft nach einem Wundermittel gegen das Altern war nicht immer von Glück geprägt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts glaubten einige Forscher zum Beispiel, dass man Extrakte aus Tierdrüsen dazu verwenden könne, Menschen jünger zu machen. Einer dieser Wissenschaftler, der Chirurg Serge Voronoff, baute diese etwas bizarre Theorie weiter aus: Er war überzeugt davon, dass man nicht nur Extrakte der Tiere verwenden sollte; nein, man müsse den Menschen das Drüsengewebe direkt transplantieren, das funktioniere garantiert. Und nachdem er in Ägypten kastrierte Männer untersucht hatte, schlussfolgerte er, dass Hoden einen besonders verjüngenden Effekt hätten.
Darauf begann Voronoff mit der Transplantation kleiner Stücke von Affenhoden auf seine Patienten. Es war gerade skurril genug, dass gewöhnliche Menschen einen großen Bogen um ihn machten. Doch die Reichen und Berühmten waren verrückt danach. Sie standen Schlange, um endlich auch Voronoffs Anti-Aging-Transplantation ausprobieren zu dürfen. Das Interesse war in der Tat so riesig, dass Voronoff Unsummen verdiente, und schon bald hatte er Schwierigkeiten, genügend Affenhoden herbeizuschaffen. Er war gezwungen, ein Gehege für die armen Geschöpfe zu errichten – auf seinem neugekauften Schloss –, und stellte einen Zirkustrainer ein, um die Tiere selbst zu züchten.
Voronoffs Patienten endeten logischerweise als historischer Witz. Sowohl sie als auch Voronoff selbst wurden mit der Zeit älter und bekamen Falten, wie auch Ponce de León und seine Männer. Und wie wir heute – es sei denn, die Wissenschaft findet eine bessere Lösung als bisher.
In diesem Buch soll es genau darum gehen: jung zu sterben, und das so spät wie möglich. Es geht um die Antworten der Wissenschaft auf die Frage, wie wir so lange wie möglich ein gesundes Leben führen können. Ich verspreche Ihnen, Sie müssen keinerlei Drüsen an Ihr bestes Stück nähen, und Sie brauchen auch nicht mit menschenfressenden Reptilien zu baden. Eine Reise wird es trotzdem.
Die Jagd nach einem längeren Leben war schon immer von Übertreibungen und Betrügereien begleitet. Heutzutage hat sich das natürlich gebessert, nachdem die Wissenschaft den Platz von Magie und Religion eingenommen hat – und sich seit den Zeiten Serge Voronoffs glücklicherweise erheblich weiterentwickelt hat. Aber es ist immer noch schwer zu durchschauen, was wahr und was falsch ist. Es gibt viele Hochstapler dort draußen, und nicht wenige der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse verbergen sich in für normale Menschen unbekannten Zeitschriften hinter fachsprachlichen Ausdrücken. Die große Frage lautet nun: Was wissen wir heute über Anti-Aging, und was davon kann man bedenkenlos für das eigene Leben nutzen?
Die Zustände heute sind nämlich andere. Früher war alles, was mit Verjüngung zu tun hatte, ausnahmslos Schwindel und Scharlatanerie. Das ist es heute erwiesenermaßen nicht mehr: Wir können auf nachweisbare, solide wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Labor und aus der realen Welt zurückgreifen, die beweisen, was tatsächlich wirkt. Es ist Routine, das Leben von Labortieren erheblich zu verlängern, und wir stehen an der Schwelle dazu, diese vielversprechenden Resultate auf den Menschen zu übertragen. Unsere Zeit ist die erste, in der wir eine echte Chance haben, die Menschheit von der Geißel des Alterns zu befreien.
***
Man kann Anti-Aging als einen natürlichen Teil des langen und langwierigen Vormarschs der modernen Medizin ansehen:
–Zuerst kämpften wir darum, dass die meisten von uns überhaupt überleben und erwachsen werden konnten.
–Als Nächstes gingen wir zum Angriff auf die vielen Viren und Bakterien über, die einst ganze Gesellschaften auf einmal lahmlegen konnten – und dies mitunter bis heute tun, wie wir aus aktuellem Anlass wissen.
–Dann haben wir es mit den altersbezogenen Erkrankungen aufgenommen: Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz. Auch gegen sie kämpfen wir noch immer. (Im Lauf dieses Buchs werden wir sehen, wie weit wir schon gekommen sind.)
–Inzwischen unternimmt die Wissenschaft schon den nächsten Schritt: den Kampf gegen das Altern selbst.
Doch auch wenn wir die schlimmsten Krankheiten, die es gibt, besiegen und loswerden könnten, kommen wir nicht darum herum, mit steigendem Alter körperlich immer schwächer zu werden.
Den Großteil unseres Lebens verbringen wir mit einem Körper, der sich in ständigem Verfall befindet. Und darüber hinaus ist unser Älterwerden die Ursache dafür, dass uns Alterserkrankungen zu schaffen machen. Junge Menschen bekommen eben äußerst selten Thrombosen und erkranken nicht an Demenz. Natürlich können wir Behandlungsmethoden gegen diese Erkrankungen entwickeln, aber wem wir in Wirklichkeit zu Leibe rücken wollen, ist der Alterungsprozess. Wir brauchen Anti-Aging.
Wenn es uns gelänge, die Zeiger unserer biologischen Uhr zu bremsen – oder sie sogar zurückzudrehen –, könnten wir nicht nur zwei, sondern alle Fliegen mit einer Klappe schlagen: Wir könnten länger leben, wären dabei gesünder und fitter, und wir würden das Risiko für die meistgefürchteten Krankheiten minimieren.
So weit sind wir selbstverständlich längst nicht. Wir können niemandem garantieren, dass er oder sie über 100 Jahre alt werden wird. Betrachtet man die Sache allerdings als großes Puzzle, können wir dank der enormen Fortschritte in der Anti-Aging-Forschung schon die ersten Teile zusammenfügen.
Mit dem, was wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen, ist es uns bereits möglich, den Alterungsprozess bedeutend zu verlangsamen. Und das ist eigentlich alles, was nötig ist. In der Anti-Aging-Wissenschaft arbeitet man mit dem Begriff der longevity escape velocity, der besagt, dass wir das Wunderheilmittel nicht jetzt sofort und auf der Stelle finden müssen. Alles, was wir brauchen, sind kleine, schrittweise Verbesserungen. Jedes Mal, wenn wir das Altern nur ein winziges bisschen aufhalten, erkaufen wir uns Zeit. Und in dieser Zeit erreichen wir neue Verbesserungen, die uns noch mehr Zeit einbringen, und so weiter.
Wenn wir irgendwann an dem Punkt ankommen, an dem die Wissenschaft das durchschnittliche Leben schneller verlängert, als die chronologische Zeit abläuft – zum Beispiel jedes Jahr um anderthalb Jahre –, dann könnte man argumentieren, dass das eine Art Unsterblichkeit ist.
Jetzt verfolgt dieses Buch aber nicht die Absicht, uns alle unsterblich zu machen. Vielmehr geht es darum, die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft zu präsentieren, die Ihnen dabei helfen können, so lange wie möglich jung und gesund zu bleiben. Auf unserer gemeinsamen Reise werden wir allen Ecken der Welt einen Besuch abstatten, in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen.
Dieses Buch gibt Ihnen die besten Ratschläge für ein langes und gesundes Leben an die Hand. Und eine gute Portion Skepsis.
Unter der Oberfläche der eisblauen Grönlandsee gleitet ein enormer Schatten vorüber. Der sechs bis sieben Meter lange Riese hat es nicht eilig, seine Höchstgeschwindigkeit liegt bei 2,7 Stundenkilometern.
Sein lateinischer Name lautet Somniosus microcephalus – »der Schlafwandler mit dem kleinen Hirn«. Auf Deutsch trägt er den etwas neutraleren Namen Grönlandhai oder Eishai. Wie sein wissenschaftlicher Name vermuten lässt, ist dieser Hai weder schnell noch besonders intelligent. Trotzdem hat man in seinem Magen Reste von Robben, Rentieren und sogar Eisbären gefunden.
Unser mysteriöser Begleiter lässt es ruhig angehen, denn er hat Zeit. Als die Titanic sank, war er 286 Jahre alt, bei der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika war er älter, als es je ein Mensch geworden ist. Vor Kurzem hat er seinen 390. Geburtstag gefeiert. Dennoch schätzen Forscher, dass er noch etwa 100 Jahre zu leben hat. Was nicht heißen soll, der Grönlandhai litte nicht unter Beschwerden. Auf seinen Augen haben sich selbstleuchtende Parasiten eingenistet, die ihn langsam erblinden lassen.
Und obwohl er eine beeindruckende Größe besitzt, teilt der Grönlandhai einen Feind mit allen anderen nicht essbaren Fischen: Isländer. Das Fleisch des Grönlandhais enthält so große Mengen des Gifts Trimethylaminoxid, dass einem beim Verzehr extrem schwindelig wird – man wird sozusagen »haigh«. Aber die Isländer haben trotzdem eine Möglichkeit gefunden, das Fleisch zuzubereiten.
Der Grönlandhai ist genau das richtige Tier für den ersten Platz in diesem Buch: Unter den Wirbeltieren wurde bisher kein anderes entdeckt, das länger lebt als er. Tatsächlich ist er sogar ein Verwandter des Menschen – zwar sehr weit entfernt, aber vor mehreren Millionen von Jahren hatten wir einen gemeinsamen Vorfahren. Aus diesem Grund mutet der Grundbauplan bekannt an: ein Herz, eine Leber, ein Darmtrakt, zwei Nieren und ein klitzekleines Gehirn.
Trotz aller Gemeinsamkeiten trennen uns auf dem Evolutionsbaum dann doch ziemlich viele Äste vom Grönlandhai. Als Säugetier zeichnen uns Menschen einige fundamentale Eigenschaften aus, die wir mit keinem Fisch teilen. In der Biologie gilt die Faustregel, je dichter wir rein evolutionär mit einem Tier verwandt sind, desto mehr können wir von ihm über uns selbst lernen. Das heißt, von Fischen können wir mehr als von Insekten lernen, aber weniger als zum Beispiel von Vögeln und Reptilien – ganz zu schweigen von unseren nächsten Verwandten, den Säugetieren.
Zufälligerweise ist der Grönlandhai am selben Ort zu Hause wie einer unserer nächsten Verwandten, das am längsten lebende Säugetier der Welt. Mit ein wenig Glück begegnet einem der 18 Meter lange und 1000 Tonnen schwere Grönlandwal in den Meeresgewässern rund um Grönland. In Alaska gehen die Iñupiat auf die Jagd nach Grönlandwalen – wie sie es seit jeher tun – und stoßen in den Fettschichten der Tiere dabei manchmal auf Harpunenspitzen aus dem 19. Jahrhundert. Unter anderem dank solcher alten Funde geht man davon aus, dass Grönlandwale über 200 Jahre alt werden können.
Im Vergleich zum Grönlandhai ist das vielleicht nicht allzu lang, aber für ein Säugetier immer noch enorm. Die Tendenz zu einem langen Leben hat der Grönlandwal übrigens mit vielen anderen Walen gemein. Nach Tieren, die besonders lange leben, muss man also im Meer suchen.
***
Wollen wir stattdessen aber langlebige Säugetiere in unserem eigenen Lebensraum, auf dem Land, finden, werden wir weder in der Savanne noch in den Baumwipfeln fündig. Die langlebigsten Landsäuger kommen tatsächlich in Altersheimen vor.
Selbst ohne technische Hilfsmittel können wir Menschen im Vergleich zu anderen Säugetieren ein sehr hohes Alter erreichen. Sofern wir Unfällen und Krankheiten aus dem Weg gehen. Unsere Ahnen in der Steinzeit konnten bereits gut und gern über 80 werden, und mit Hilfe der modernen Medizin haben wir im Alterswettbewerb der Säugetiere inzwischen souverän den ersten Platz eingenommen. Es ist sehr gut möglich, dass die Französin Jeanne Calment, mit 122 Jahren der Mensch mit dem höchsten je erreichten Alter, gleichzeitig auch das älteste je dokumentierte Landsäugetier ist.
Dass wir länger leben als andere Säugetiere, bedeutet allerdings nicht, dass unsere Lebenszeit, verglichen mit der von anderen Organismen, in irgendeiner Weise beeindruckend wäre. Im Vergleich zu einigen Lebensformen, mit denen wir uns diesen Planeten teilen, sind wir nichts weiter als lächerliche Eintagsfliegen. Hier kann nicht einmal der Grönlandhai mithalten.
Die besten Beispiele stammen aus der Welt der Pflanzen, denn gerade bei Bäumen scheint das Phänomen des Alterns nicht zu existieren. Zumindest in der Hinsicht, dass das Risiko zu sterben für Bäume mit steigendem Alter zunähme. Im Gegenteil. Parallel dazu, dass Bäume kräftiger werden und in die Höhe wachsen, gewinnen sie an Widerstandsfähigkeit, und das Sterberisiko nimmt mit jedem Jahr weiter ab. Bis sie irgendwann so groß sind, dass sie bei einem Sturm umstürzen. Aber durch einen Unfall zu sterben hat nichts mit dem Altern zu tun.
Daraus folgt, dass einige Bäume existieren, die wirklich alt sind. Einer der ältesten allein stehenden Bäume überhaupt heißt Methuselah, ist eine fast 5000 Jahre alte Langlebige Kiefer (der Name ist also Programm) und steht in Kalifornien. Als Methuselah den kalifornischen Waldboden durchstieß, wurden die Pyramiden von Gizeh gerade noch gebaut, und auf der Wrangelinsel im Arktischen Ozean vor Sibirien tummelten sich die letzten Mammuts.
Selbst wenn 5000 Jahre schon nach viel klingt, gibt es andere Baumarten, die noch älter werden können. 500 bis 600 Kilometer nördlich von Kalifornien, im Fishlake National Forest in Utah, gibt es eine Amerikanische Zitterpappel namens Pando. Dabei ist Pando eigentlich gar kein einzelner Baum, sondern eine Art Superorganismus – ein riesiges Wurzelgeflecht, das sich über ein Gebiet so groß wie das Münchener Oktoberfest erstreckt und über 14000 Jahre alt ist. Aus den Wurzeln sprießen immer noch neue Bäume.
Zum jetzigen Zeitpunkt besteht Pando aus ungefähr 40000 Bäumen, von denen jeder einzelne »nur« um die 130 Jahre alt ist – hin und wieder sterben einige ab, weil sie umstürzen, bei Waldbränden beschädigt oder vom Blitz getroffen werden und dergleichen. Die Wurzeln allerdings leben seit über 14000 Jahren.
Die unglaubliche Geschichte einer Strahlenschildkröte
Selbstverständlich dürfen Schildkröten in einem Kapitel über langlebige Tiere auf keinen Fall fehlen. Eine der ältesten Schildkröten aller Zeiten, die Strahlenschildkröte Tu’i Malila, lebte bei der königlichen Familie des tropischen Inselstaats Tonga und starb 1965 als sehr alte Dame. Tu’i Malila war ein Geschenk des britischen Entdeckers James Cook an den König von Tonga, das dieser 1777 erhielt, also ein Jahr nach Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Damit betrug ihre Lebensspanne etwa 188 Jahre – Altersrekord unter den Schildkröten, deren Alter wir mit Gewissheit verifizieren können.
Andere Organismen sind nicht nur dazu in der Lage, weitaus länger als wir zu leben, die Natur steckt darüber hinaus voller anderer Methoden, alt zu werden. Wir Menschen altern exponentiell: Nach der Pubertät verdoppelt sich unser Sterberisiko ungefähr alle acht Jahre, während unser Körper parallel dazu immer schwächer wird. Zwar ist dies eine sehr gewöhnliche Form des Alterns, aber bei Weitem nicht die einzige.
Besonders eigentümlich ist die Gruppe von Tieren, die sich reproduzieren, anschließend in Rekordzeit altern und dann sterben. Diese Form des Alterns kennen wir beispielsweise von Pazifischen Lachsen. Vielleicht haben Sie einmal in einer Naturdokumentation gesehen, wie die Lachse in Alaska sich geradezu heroisch vom Meer aus durch die Flüsse kämpfen. Sie schwimmen gegen den Strom, springen Wasserfälle hinauf und müssen dabei aufpassen, nicht von Bären, Reihern oder Adlern erwischt zu werden, um letztlich ihre Laichgewässer zu erreichen. Eine wilde Reise.
Wie auch die Lebensgeschichte der Lachse. Nach den Strapazen der Elterntiere wachsen die Nachkommen in kleinen Wasserläufen heran. Hier leben sie in Sicherheit – bis auch sie sich aufs Meer hinausbegeben und einige Jahre später selbst geschlechtsreif werden.
Wenn die Zeit gekommen ist, machen sich die Lachse auf die atemberaubende Reise zurück zu den Wasserläufen ihrer Kindheit. Unmengen an Stresshormonen werden durch ihre Körper gepumpt, sie hören auf zu fressen und plagen sich Tag und Nacht flussaufwärts gegen die Strömung ab. Es ist ein unermüdlicher Kampf gegen Mutter Erde. Die wenigen, die es unversehrt schaffen, setzen ihren Laich schließlich im selben Wasserlauf ab, in dem alles begann.
Man würde davon ausgehen, dass sich die Tiere anschließend wieder in Ruhe und Frieden Richtung Meer aufmachen könnten, flussabwärts und mit dem Strom. Aber daran scheinen sie nicht interessiert. Nach dem Ablaichen kollabieren sie komplett. Wie eine Pflanze, die auf der Stelle verwelkt. Schon ein paar Tage nachdem die befruchteten Fischeier im Sandboden des Flusses eingegraben sind, geht die gesamte Elterngeneration ein.
Doch bizarre Lebensgeschichten dieser Art sind gar nicht so selten, wie man meinen könnte:
–Weibliche Kraken zum Beispiel sterben, nur kurz nachdem ihre Eier ausgebrütet sind. In der Zeit davor tun sie alles, um ihre Brut zu beschützen – und verzichten dafür komplett auf die Nahrungsaufnahme.
–Die Männchen der Stuart-Breitfußbeutelmaus aus Australien sind durch den Paarungsakt so gestresst, aggressiv und sexuell erschöpft, dass sie wenig später das Zeitliche segnen.
–Zikaden verbringen mehr oder weniger ihr gesamtes Leben (bis zu 17 Jahre) unter der Erde und kommen erst an die Oberfläche, wenn sie ihre Eier ablegen. Kurze Zeit später sterben sie.
–Eintagsfliegen leben nicht länger als ein oder zwei Tage, nachdem sie aus den Eiern geschlüpft sind. Es gibt sogar eine Tagesfliegenart, die keine Mundwerkzeuge besitzt und nur etwa fünf Minuten lebt.
–Selbst im Pflanzenreich lassen sich vergleichbare Phänomene feststellen: unter anderem bei Agaven, die mehrere Jahrzehnte leben können, aber bald nach ihrer ersten und einzigen Blüte absterben.
Im direkten Gegensatz dazu gibt es aber auch Tiere, die im Großen und Ganzen überhaupt nicht altern. Jedenfalls nicht nach unserer gängigen Definition. Ein Beispiel dafür sind Hummer, die im Alter weder schwächer werden noch an Fruchtbarkeit einbüßen. Stattdessen wachsen sie ihr gesamtes Leben lang einfach weiter. Was allerdings nicht bedeutet, dass Hummer ewig leben. Die Natur ist grausam, und mit der Zeit fallen sie Raubtieren, Konkurrenten, Krankheiten oder Unfällen zum Opfer. Und falls nicht, kann ihre enorme Größe irgendwann potenziell tödliche körperliche Probleme verursachen. Allerdings ist das Altern eines Hummers ganz und gar nicht mit dem schrittweisen Verfall zu vergleichen, den wir von uns Menschen kennen.
***
Und dann gibt es die Tiere, bei denen es noch verrückter zugeht als bei den ewig wachsenden Hummern. Die Tiere, die rückwärts altern. So als hätten sie tatsächlich Zugang zu einer Art Jungbrunnen.
Eines dieser Tiere ist Turritopsis – eine Quallenart, die in warmen Meeresgewässern lebt und ungefähr so groß ist wie der Nagel eines kleinen Fingers. Für das ungeübte Auge gleicht sie einer ganz gewöhnlichen, langweiligen Qualle: Sie tut nichts anderes, als langsam herumzuschwimmen und Plankton zu fressen. Aber diese kleine Qualle ist in Wahrheit sehr viel interessanter, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Fühlt sich Turritopsis bedroht, zum Beispiel aufgrund von Hunger oder plötzlichen Temperaturänderungen im Wasser, geschieht etwas Sonderbares. Sie entwickelt sich in ihr Polypenstadium zurück – wie ein Schmetterling, der wieder zur Larve wird. Danach »wächst« sie von Neuem heran. Das entspricht einem Menschen, der von seiner Arbeit gestresst ist und dann einfach wieder zum Kind wird, um von vorn zu beginnen. Zudem deutet bisher nichts darauf hin, dass diese Zaubernummer von Turritopsis eine einmalige Angelegenheit wäre. Sie kann sie beliebig oft wiederholen.
Turritopsis’ Fähigkeiten sind außergewöhnlich, aber wie bei allen guten Ideen sind auch andere darauf gekommen. Dass Lebewesen rückwärts altern, kommt im Tierreich häufiger vor, wie zum Beispiel bei dem winzigen Plattwurm Planaria. Hat er genügend zu fressen, führt er wie Turritopsis ein nur mäßig beeindruckendes Leben. Wird das Futter aber knapp, hat er ein ganz besonderes Ass im Ärmel. Dann beginnt er, sich selbst zu fressen – zuerst die weniger wichtigen Teile, bis zuletzt nichts mehr außer dem Nervensystem übrig ist.
Dieses Fressen des eigenen Körpers ermöglicht es Planaria, auf bessere Zeiten zu warten. Wenn er wahrnimmt, dass etwas Gutes im Anflug ist, regeneriert er sich wieder. Danach ist es, als würde sein Leben von vorn beginnen. Jedenfalls verhält er sich wieder wie ein Jungtier. Während seine Wurmgenossen an Altersschwäche sterben, schwimmt diese Art immer noch herum und strotzt vor jugendlicher Energie. Die Regenerationsfähigkeit des Planaria-Plattwurms ist sogar so ausgeprägt, dass man ein Exemplar in zwei Hälften teilen kann und anschließend nicht etwa einen toten zweigeteilten Plattwurm in der Hand hält, sondern zwei neue, lebende Würmer.
Ein solches Tier zu töten ist schwer. Stellen Sie sich vor, wir wären in der Lage zu lernen, wie es das anstellt.
Eine Million Jahre langer Schlaf
Manche Bakterien beherrschen einen ganz besonderen Anti-Aging-Trick: Verspüren sie Stress, können sie sich zu einer kompakten Struktur zusammenpacken, die an einen Samen erinnert.
Dieser Samen oder Endospore, wie sie genannt wird, ist eine Art Ruhezustand. Eine Endospore ist extrem widerstandsfähig gegen alle möglichen Einflüsse der Natur. In ihr gibt es keinerlei Aktivität, aber trotzdem spürt sie, wenn die Krise überstanden ist. Dann entfaltet und reaktiviert sie sich wieder vollständig, als wäre nichts geschehen.
Wie lange genau diese Bakterien in ihrem Ruhezustand verharren können, ist schwer zu sagen. Möglicherweise gibt es keine echte Begrenzung dafür. Im Labor ist es Routine, Endosporen zu reaktivieren, die über 10000 Jahre alt sind. Es gibt sogar Berichte über Endosporen, die nach mehreren Millionen Jahren im Ruhestadium aufgeweckt wurden.
Im Allgemeinen gilt, je größer ein Tier, desto länger lebt es. Elefanten sind ein gutes Beispiel: Sie sind nicht nur das größte Landsäugetier, sondern gleichzeitig auch eines der am längsten lebenden. Für Wale gilt Ähnliches, denn der riesige Meeresbewohner hält die Rekorde bei den Säugetieren, sowohl in puncto Größe als auch bei der Lebensspanne.
Der Zusammenhang zwischen Größe und Lebensdauer eines Tieres hat jedoch einen interessanten Haken. Innerhalb jeder Art ist nämlich das Gegenteil der Fall. Kleine Individuen leben im Durchschnitt länger als ihre großen Artgenossen. Vielleicht kennen Sie dieses Phänomen von Hunden, bei denen beispielsweise eine Deutsche Dogge selten älter als zehn Jahre wird, während Chihuahuas, Jack Russell Terrier oder Lhasa Apsos zu den Rassen zählen, die ein besonders hohes Alter erreichen können.
Mit anderen Worten: Die Tierarten, die am längsten leben, sind sehr groß, die am längsten lebenden Tierindividuen hingegen sehr klein.
Warum genau große Tierarten langsamer altern, lässt sich nur schwer beantworten. Eine plausible Erklärung ist, dass Arten mit weniger Fressfeinden generell länger leben. Die Sache mit dem Gefressenwerden verkürzt das eigene Leben nämlich ungemein.
Aber Tiere mit einer geringeren Anzahl an Fressfeinden entwickeln auch über Generationen hinweg eine längere Lebensdauer. Wenn das Risiko gering ist, zum Abendbrot eines anderen zu werden, lohnt es sich eher, einen gemächlichen Lebensstil zu führen. Denn genügend Zeit hat man ja. Befindet man sich stattdessen ständig in Lebensgefahr, erscheint ein rasches Leben sinnvoller: Da kommt man besser schnell aus den Startlöchern und beeilt sich, so viele Nachkommen wie möglich in die Welt zu setzen, bevor man irgendwem oder irgendetwas zum Opfer fällt.
Das Gleiche trifft im Übrigen auf Arten zu, die einem großen Risiko unterliegen, unvermittelt aus anderen Gründen zu sterben, wie zum Beispiel durch Infektionen oder Unfälle – auch für sie erscheint ein schnelles Leben lohnender.
Das stärkste Geschlecht?
Bei Säugetieren leben weibliche Individuen fast immer länger als männliche – ob es nun Löwen, Hirsche, Präriehunde, Schimpansen, Gorillas oder wir Menschen selbst sind. Was mit der Theorie über Größe und Lebensspanne übereinstimmt. Weibliche Säugetiere sind im Allgemeinen nämlich immer kleiner als ihre männlichen Artgenossen. Bei Menschen liegt der Unterschied in der Körpergröße bei circa 15 bis 20 Prozent, und im Durchschnitt leben Männer ein paar Jahre weniger als Frauen. Bei den seltenen Arten, deren Weibchen und Männchen gleich alt werden – was beispielsweise auf Hyänenhunde zutrifft –, haben beide Geschlechter in etwa die gleiche Körpergröße.
Ein Beispiel für Tiere, die Gefahr laufen, einen plötzlichen Tod zu erleiden, und sich daher an ein kurzes Leben angepasst haben, sind Beutelratten. Der Wissenschaftler Steven Austad von der University of Alabama at Birmingham wunderte sich während eines Forschungsaufenthalts in Südamerika darüber, dass die von ihm eingefangenen Beutelratten so schnell alterten. Fand er dieselbe Beutelratte innerhalb von wenigen Monaten erneut, gab es deutlich erkennbare körperliche Unterschiede.
Austad kam zu dem Schluss, dass dies einer Anpassung an das harte Leben der Beutelratten geschuldet sein müsse. Auf Bildern gleicht der Regenwald möglicherweise einem Paradies, in Wirklichkeit ist er aber ein tropischer Albtraum. Hinter jedem einzelnen Baumstamm lauert eine neue Gefahr. Für die Beutelratten in Südamerika gilt es also, alles Nötige zu erledigen, bevor jemand oder etwas sie selbst erledigt.
Es gibt allerdings auch Beutelratten, die an einem weitaus weniger bedrohlichen Ort leben. Austad fand heraus, dass die kleine Insel Sapelo Island vor der Küste Georgias die Heimat einiger besonders glücklicher Beutelratten ist. Auf Sapelo Island gibt es keine Raubtiere, sodass sich die ansonsten scheuen Tiere vollkommen sorglos auf der Erde liegend sonnen. Austads Entdeckungen auf Sapelo Island bestätigten seine Theorie: Die dort heimischen Beutelratten leben bis zu 25 Prozent länger als ihre Artgenossen auf dem Festland Georgias.
Dass ein gefahrenarmes Leben einer Art helfen kann, eine längere Lebensdauer zu entwickeln, ist möglicherweise auch die Erklärung für unseren eigenen Sonderstatus: Menschen leben länger, als man ausgehend von unserer Körpergröße erwarten würde. Wir stellen die absolute Spitze der Nahrungskette dar, und um sich mit einer Gruppe bewaffneter Menschen anzulegen, bedarf es schon außerordentlicher Dummheit. Heutzutage meiden uns die meisten wilden Tiere – wohl deshalb, weil die Tiere, die einst keine Angst vor den Steinzeitmenschen hatten, es auf die harte Tour lernen mussten. Ebenso trauen sich nur die allerwenigsten Raubtiere, es mit einem Elefanten oder einem Wal aufzunehmen.
Trotzdem gibt es auch andere kleine Tiere, die relativ lange leben. Sogar solche, die wesentlich kleiner sind als wir Menschen. Viele von ihnen haben eine alternative Möglichkeit gefunden, nicht gefressen zu werden. Sie können fliegen. Ziemlich clever, da sie auf diese Weise sehr viel schwerer zu fangen sind. Die meisten Raubtiere ziehen es zum Beispiel vor, Nager anstelle von Vögeln zu jagen – Sie wissen wahrscheinlich selbst, wie frustrierend der Versuch geraten kann, eine Fliege zu erschlagen.
Daher ergibt es definitiv Sinn, dass Vögel im Schnitt länger leben als Säugetiere mit vergleichbarer Körpergröße. Unter den Säugetieren selbst ist es nicht anders. Fledermäuse sind zwar recht klein, leben dafür aber sehr lange. Im Durchschnitt dreieinhalbmal so lange wie andere Säugetiere mit entsprechender Größe.
Das Lieblingstier der Anti-Aging-Forscher
Es gibt da noch ein äußerst bemerkenswertes Tier, mit dem wir es bisher versäumt haben, Bekanntschaft zu machen. Einen waschechten Anti-Aging-Allstar.
Wir begegnen ihm im Osten Afrikas. Lässt man den Blick über die Savanne schweifen, ist unser neuer Liebling nicht unmittelbar zu erblicken. Ein paar Zentimeter unter der Erde flitzt er allerdings in kilometerlangen, schmalen Tunnelgängen umher, die er selbst gegraben hat.
Der Nacktmull, so der Name dieses Tieres, ist unglaublich interessant, gleichzeitig aber unfassbar hässlich. Stellen Sie sich die Ratte ihrer schlimmsten Albträume vor: die Haut hellrot und faltig. Einzelne, lange Haare stehen vom Körper ab. Die Grabwerkzeuge des Nacktmulls, die Schneidezähne, sitzen außerhalb des Munds. Und die kaum funktionalen Augen sind nichts als klitzekleine Pünktchen.
Wie erwähnt lebt der Nacktmull in weitläufigen Tunnelsystemen unter der Erde Ostafrikas. Diese Tunnel werden von Nacktmullkolonien, die aus 20 bis 300 Mitgliedern bestehen, gegraben und primär dazu genutzt, Yams und andere Pflanzenknollen zu finden. Wenn Nacktmulle nicht mit der Nahrungssuche oder mit Wachehalten beschäftigt sind, hält sich die Kolonie im Hauptquartier auf. Hier gibt es ausreichend Platz, um Nahrung zu lagern, aber auch für Schlafnester und sogar Bereiche, in denen sie ihre Notdurft verrichten oder Abfälle entsorgen.
Im Hauptquartier einer Kolonie trifft man auf ein ganz besonderes Nacktmullexemplar: die Königin. Denn eine Nacktmullkolonie funktioniert nicht wie eine gewöhnliche Säugetierherde. Diese kleinen Nager sind fast die einzigen eusozialen Säugetiere. Eine solche Art des Zusammenlebens kennen wir beispielsweise von Bienen und Ameisen. Die Königin ist das einzige Individuum der Nacktmullkolonie, das Junge bekommt, während der Rest ihres Staats aus zeitweilig sterilen Arbeitern und Soldaten besteht. Mit Ausnahme von einigen wenigen Männchen, die sie zu ihren Liebhabern auserwählt.
Allerdings ist mit den Besonderheiten der Nacktmulle weder bei ihrem alienartigen Aussehen noch bei der insektenähnlichen Lebensweise Schluss.
Der Grund, weshalb Nacktmulle für uns Menschen von so großem Interesse sind, liegt darin, dass sie die Gesetze des Alterns brechen: Nacktmulle sind klein, leben aber lang. Ein erwachsener Nacktmull wiegt ungefähr 35 Gramm – nicht viel mehr als eine Maus. Trotz dieses Gewichts liegt der Altersrekord dieser Tiere ein gutes Stück über 30 Jahre. Zum Vergleich: Die längste Lebensspanne einer Maus beträgt etwa vier Jahre.
Und Nacktmulle haben nicht nur ein längeres Leben – sie erkranken auch so gut wie nie an Krebs, bleiben ihr gesamtes Leben lang aktiv, können sich enorm lang fortpflanzen und besitzen sowohl außergewöhnlich robuste Knochen sowie ein gesundes Herz.
Um die Brisanz all dieser Fakten zu verstehen, stellen Sie sich Folgendes vor: Sie sind eine Forscherin, die mehr darüber erfahren will, wie man länger lebt. Wo fangen Sie an? Eine naheliegende Option wäre es, ein Tier zu studieren, das lange lebt. Eventuell können Sie ja einige der Geheimnisse des Tieres lüften.
Sie überlegen. Tiere, die lange leben … Wale? Eher nicht, da vermutlich ein wenig zu umständlich für die Arbeit im Labor. Elefanten? Selbes Problem. Vögel in kleinen Käfigen? Tierquälerei (und außerdem sind sie nicht einmal Säugetiere). Wie wäre es mit Nacktmullen? Langlebig? Check. Kann man sie in einem Labor halten? Check. Säugetiere wie wir? Check. So weit, so gut.
Die nächste Herausforderung, die sich einem als Forscherin stellt, besteht darin, eine passende Vergleichsgröße zu finden. In diesem Fall läge es auf der Hand, einen kurzlebigen Artverwandten zu nehmen. Dann könnten Sie untersuchen, welche Unterschiede zwischen den beiden Verwandten ihre so verschiedenen Lebensspannen erklären. Hier zeigt sich erneut, was für eine clevere Wahl der Nacktmull ist. Die beiden am meisten erforschten Labortiere überhaupt sind nämlich mit ihm verwandt – Mäuse und Ratten. Und sie zählen nicht nur zum engeren Familienkreis, sondern sind auch noch extrem kurzlebig.
Glücklicherweise müssen wir nicht einmal einen Laborkittel überziehen. In Laboren rund um den Globus steckt man bereits mitten in der Erforschung der Geheimnisse des Nacktmulls. Nacktmullforscher berichten unter anderem, dass es nahezu unmöglich ist, junge von alten Nacktmullen zu unterscheiden. Hier sei mir vielleicht die Anmerkung gestattet, dass die Latte für gutes und junges Aussehen bei Nacktmullen nicht gerade hoch liegt: Es genügt ein runzliges und haarloses Äußeres. Trotzdem ist die Sache erstaunlich. Nicht nur die Tests zeigen, dass Nacktmulle langsam altern – wir können es sogar sehen.
Eine weitere Superkraft von Nacktmullen ist ihre Fähigkeit, Krebserkrankungen aus dem Weg zu gehen. Bei den Tausenden von untersuchten Nacktmullen hat man lediglich sechs Tumore entdeckt. Für ein so kleines Tier ist das besonders bemerkenswert. Zum Vergleich findet man bei 70 Prozent aller Labormäuse nach ihrem Tod Anzeichen für Krebs. Und alles in allem ist es völlig normal, dass 20 bis 50 Prozent einer Art an Krebs erkranken. Inklusive uns selbst: In Dänemark hat Krebs gerade erst Herz-Kreislauf-Erkrankungen als häufigste Todesursache überholt. In Deutschland rangiert Krebs mit etwa 231300 Toten im Jahr 2020 an zweiter Stelle und ist für ungefähr ein Viertel aller Todesfälle verantwortlich.
Deshalb ist es fantastisch, dass ein skurriles kleines Nagetier aus Ostafrika einen Weg gefunden hat, diese Krankheit zu bändigen. Selbst wenn Forscher versuchen, Nacktmulle künstlich mit Krebs zu infizieren (was bei Mäusen ein simples Unterfangen ist), geschieht nichts. Statt sich zu einem aggressiven und schnellwachsenden Krebsgeschwür zu entwickeln, sterben die betroffenen Zellen einfach ab.
An einem warmen Donnerstag rollt um die Mittagszeit ein umgebauter Schulbus in den Busbahnhof der costa-ricanischen Stadt Nicoya – dem Hauptort der nördlichen Provinz auf der gleichnamigen Halbinsel. Mit Hilfe von Gesten und meinem Touristenführerspanisch erhalte ich die Bestätigung, dass es der Bus ist, auf den ich warte.
Ich reihe mich in die Warteschlange aus Einheimischen ein: junge Mütter mit kleinen Kindern, feixende Schülerinnen und Schüler, Senioren und Gruppen aus mittelalten Frauen. Wir nehmen alle im Bus Platz, und mit ein wenig Verspätung bahnt er sich seinen Weg durch den Betondschungel Nicoyas hinaus auf das fruchtbare costaricanische Land. Entlang der kaum befahrenen Straße liegen kleine, farbenfrohe Häuschen mit dazugehörigen Feldern, ehe am Horizont eine tiefgrüne Landschaft in Sicht kommt.
Als einziger Gringo im Bus ziehe ich natürlich schnell die Aufmerksamkeit auf mich. »No hablo español«,muss ich die anderen Fahrgäste leider enttäuschen. Ein Gespräch, wenn auch ein primitives, entwickelt sich trotzdem zwischen uns. Mittels einer Mischung aus Handbewegungen, auswendig gelernten Sätzen und ein klein wenig Google Translate gelingt es uns zu kommunizieren. Nach einer Weile fragt eine Frau vorsichtig und in gebrochenem Englisch: »Sind Sie auf dem Weg nach Hojancha?«
Das bin ich. Nicht, dass ich damit auf großes Verständnis stieße. Ob ich wandern will? Nein, nicht wirklich. »Ich fahre wegen der Blauen Zone hin«, erkläre ich. Die Frau lacht und übersetzt für einige andere neben ihr. Dann bedenkt sie mich mit einem etwas ernsteren Blick: »Es stimmt, was man darüber erzählt.«
Eine halbe Stunde später biegt der Bus auf den zentralen Platz des verschlafenen Örtchens Hojancha. Als ich aussteige, begleitet mich ein Ortsansässiger in das beste Restaurant der Stadt, bedankt sich mehrfach für meinen Besuch und zieht dann weiter. Während ich mein casado genieße, geht der Alltag um mich herum unbeeindruckt seinen Gang.
***
Wir wissen inzwischen ja, dass Tiere schnell, langsam, schrittweise, plötzlich, vorwärts, rückwärts oder auch überhaupt nicht altern können. Was uns spannende Perspektiven für die Zukunft eröffnet. Für den Moment ist es aber am aufschlussreichsten, wenn wir uns die Lebensweisen anderer Menschen ansehen.
Hier kommt die Nicoya-Halbinsel ins Spiel. Dieser bergige Teil Costa Ricas ist ein beliebter Anlaufpunkt für Touristen, vor allem wegen der fantastischen Natur: unberührter Regenwald, herrliche Sandstrände und ein warmes, angenehmes Klima. Darüber hinaus nimmt die Nicoya-Halbinsel eine zentrale Rolle im Buch The Blue Zones des amerikanischen Journalisten Dan Buettner ein. Darin besucht Buettner fünf Regionen unserer Erde, in denen die Menschen der Lokalbevölkerung außergewöhnlich lange leben, und er versucht zu ergründen, worin ihre Geheimnisse bestehen. Diese Regionen nennt Buettner Blaue Zonen.
Neben der Nicoya-Halbinsel in Costa Rica nennt er vier weitere Blaue Zonen: die Barbagia auf Sardinien (Italien), die Insel Ikaria (Griechenland), die Präfektur Okinawa (Japan) und die Stadt Loma Linda in Kalifornien (USA). Die Gemeinsamkeit dieser fünf Gebiete besteht darin, dass ihre Einwohner ziemlich irre Statistiken aufweisen, was die Lebensdauer betrifft. Nehmen wir zum Beispiel Menschen, die im Jahr 1900 geboren wurden: Frauen aus Okinawa hatten damals eine siebeneinhalbmal höhere Wahrscheinlichkeit, über 100 Jahre alt zu werden, als dänische Frauen – bei den Männern lag die Wahrscheinlichkeit sechsmal so hoch.
Woran mag es liegen, dass Menschen in diesen auf den ersten Blick willkürlich ausgewählten Regionen unserer Erde so eine erstaunliche Lebenserwartung aufweisen? Hierzu lohnt es sich, zwei Möglichkeiten unter die Lupe zu nehmen: Entweder sind die Menschen dort besonders, oder aber es ist ihre Umwelt, die für außergewöhnliche Lebensbedingungen sorgt.
Zunächst fällt auf, dass alle fünf Blauen Zonen isoliert liegen. Sogar heute bestehen noch viele der Transportwerge auf Nicoya aus schmalen Dschungelpfaden oder Schotterstraßen, die nur mit Quads einigermaßen befahrbar sind. Historisch gesehen haben die Einwohner also in ihrer eigenen Welt gelebt, was wiederum eine genetische Erklärung liefert. Man hat untereinander geheiratet, und nur wenige Außenstehende haben sich dort niedergelassen. Alle Einwohner sind demnach eng miteinander verwandt. Trotzdem liefern die Gene allein keine hinreichende Erklärung. Wenn auf Nicoya geborene Menschen nämlich von dort wegziehen, leben sie kürzer, als wenn sie geblieben wären.
Dan Buettner versucht das mit der Kultur zu erklären, die man in den jeweiligen Regionen vorfindet. Es hat mit der Art zu tun, wie man als Familie zusammenlebt, welches Essen man zu sich nimmt, und ganz allgemein damit, wie man überhaupt lebt. Die Bewohner der Zonen haben starke soziale Bande, ernähren sich gesund, sind sehr aktiv und führen ein für sie sinnerfülltes Leben. Es scheint, als hätte Buettner recht.
Nachdem die langen Finger der Globalisierung die Blauen Zonen inzwischen aber fest im Griff haben, wird es immer schwieriger, die kulturellen Eigenheiten der Regionen zu erkennen. Auf der Nicoya-Halbinsel gibt es heute massenweise Fastfood, einfachere Transportmöglichkeiten, man arbeitet viel häufiger im Sitzen, und es gibt generell viel mehr von all dem, was für uns zu einem modernen Lebensstil gehört. Übergewichtige Menschen sind längst keine ungewöhnliche Erscheinung mehr.
In den entlegenen Bergdörfern hingegen stößt man immer noch auf Spuren der Lebensweise, die die Insel einmal so speziell machten, aber auch an diesen Orten zieren Satellitenschüsseln die Hausdächer und Autos die Einfahrten.
Ein besonders gutes Beispiel für den Niedergang der Blauen Zonen ist die Präfektur Okinawa in Japan. Bis zum Beginn der 2000er lebten die Bewohner Okinawas im Durchschnitt am längsten von allen Japanern. Und das will einiges heißen, sind die Japanerinnen und Japaner doch notorisch gut im Lange-Leben. Seitdem hat sich die dortige Blaue Zone aber vor unseren Augen quasi in Luft aufgelöst: Heute essen die Menschen in Okinawa öfter bei KFC als in irgendeiner anderen Präfektur, und Okinawa musste in Bezug auf die Lebenserwartung einen drastischen Absturz auf einen der letzten Plätze unter den japanischen Präfekturen verzeichnen. Im Großen und Ganzen ist diese Entwicklung in Okinawa natürlich hauptsächlich mit Fortschritt verbunden – Zugang zu medizinischer Versorgung, sauberes Trinkwasser, weniger hungernde Menschen –, aber gleichzeitig ist es durch diesen Prozess sehr viel schwerer zu erkennen, worin das eigentliche Geheimnis der Blauen Zonen besteht. Beziehungsweise bestand.
***
Dänemark, die unglückliche Ausnahme
Bevor wir weiterziehen und die Blauen Zonen verlassen, machen wir einen kurzen Zwischenstopp in einer ganz bestimmten Region unseres Erdballs, das eine Art Anti-Blauzone darstellt. Also ein Land, in dem die Bevölkerung kürzer lebt, als man erwarten würde. Es ist ein reiches Land mit einem guten Gesundheitswesen, das von Ländern umgeben ist, die zu den langlebigsten weltweit zählen.
Ja – leider ist die Rede von Dänemark. Mit einer erwarteten Lebensdauer von 80,9 Jahren nehmen wir Dänen den traurigen 30. Platz hinter Großbritannien, Slowenien und Zypern ein. Zum Vergleich liegt Schweden auf Platz 11, Norwegen auf 14 und Island sogar auf dem achten Platz derselben Liste. Mit 81,3 Jahren belegt Deutschland den 26. Platz.