Ghost - Svenja Bartsch - E-Book

Ghost E-Book

Svenja Bartsch

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Beschreibung

Dunkle Mächte - finstere Magie - ein Rennen gegen die Zeit Nach dem Hexenzauber ist die Welt aus dem Gleichgewicht geraten und damit auch die Magie. William ist verschwunden, niemand weiß, ob er noch lebt und sämtliche Schattenwesen trachten Malu nach dem Leben. Ein Rennen gegen die Zeit beginnt, denn das Böse wird mit jedem Tag stärker. Können Lena und Malu gemeinsam mit ihren neuen Verbündeten das Unheil abwenden? Und muss Malu sich an ein Leben ohne William gewöhnen?

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Über die Autorin:

Svenja Bartsch, geboren 1998, in Nordrhein-Westfalen, hat schon früh mit dem Schreiben angefangen. Ihre ersten Geschichten schrieb sie im Alter von 13 Jahren. Seinen Anfang nahm alles mit dem Schreiben von Märchen und Kurzgeschichten im Deutschunterricht. Darüber hinaus fand sie schnell Gefallen daran, ihre eigenen Geschichten zu schreiben, da sie einen Verlauf und ein Ende nach ihren Vorstellungen bekommen konnten.

Bis zum ersten veröffentlichungsreifen Buch dauerte es allerdings noch einige Zeit. Mittlerweile ist die Autorin 26 Jahre alt und schreibt nach wie vor gerne. Ihr erster Roman erschien im April 2020.

Inzwischen ist sie neben dem Beruf der Autorin, Korrektorin für andere Autor:innen und Texterin.

Inhaltsverzeichnis

Nach dem Zauber

Neubeginn

Gift

Monsterjäger

Verstoßen

Verbunden

Rennen gegen die Zeit

Dunkle Mächte

Überleben

Angriffe

Vertrauen

Abschied

Strategien

Gleichgewicht

Epilog

Danksagung

Liebe Leser*innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Es geht unter anderem um Gewalt, Folter (am Rande), fehlenden Respekt gegen Frauen und sexuelle Übergriffigkeit.

Keine Garantie auf Vollständigkeit. Lesen auf eigene Verantwortung.

Nach dem Zauber

Unerbittliche Kälte umschloss meinen Körper, als wollte sie ihn nie wieder hergeben. Meine Haut war nahezu taub von den eisigen Wassertropfen, die wie Nadelstiche darauf trafen. Eine unglaubliche Leere erfüllte mich und alles um mich herum verblasste zu einem gähnenden Nichts. Wo war ich? Was war geschehen? Alles verlor auf einmal an Bedeutung. Innerlich war ich vollkommen erstarrt – ja, genauso taub wie meine Haut. Ein gleißender, alles vernichtender Lichtblitz, der immer wieder durch meine Gedanken zuckte, war alles, was noch geblieben war. Selbst der Versuch, mich an das Vergangene zu erinnern, war mir zu mühsam.

Ein Knallen, gefolgt von einem sengenden Schmerz in meiner linken Wange, ließ mich erwachen. Auf einmal prasselten alle Empfindungen und Geräusche wie ein Hagelschauer auf mich nieder. Ich spürte die Steinchen, die sich in meine Handflächen bohrten, den eiskalten Boden, auf dem ich saß und mich abstützte. Der Regen verwandelte sich in eine Eisdusche und jeder Tropfen schmerzte auf meiner Haut. Diese unnatürliche Leere in mir spürte ich nach wie vor, aber sie hatte jetzt ein Gesicht: William! Verzögert nahm ich auch die Geräusche wahr. Da war ein Klagen und Schluchzen zu vernehmen. Kies knirschte und irgendwo in den Augenwinkeln sah ich Licht flackern. Ein Feuer? Ich schenkte dem keine Beachtung, denn der brennende Schmerz auf meiner Wange, der mich aus meiner Lethargie gerissen hatte, stammte von einer Ohrfeige. Ich blickte hoch in dunkelgrüne Augen, deren Gesicht von lilafarbenen Haaren umrahmt wurde.

„Gehts wieder?“, fragte Lena Witthovedes.

„Hast du mich gerade geschlagen?“ Fassungslos starrte ich sie an. Sie allerdings schaute gelassen auf mich herunter.

„Du hast nicht reagiert. Weder auf mein Ansprechen, noch als ich dich an der Schulter gepackt und geschüttelt habe. Vermutlich stehst du unter Schock. Irgendetwas musste ich tun.“ Sie zuckte mit den Achseln und richtete sich auf. Hilfsbereit streckte sie mir eine Hand entgegen. Nach kurzem Zögern ergriff ich sie, um leichter auf die Beine zu kommen. Etwas verwirrt sah ich mich um. Was war passiert? Wo waren die anderen? Hatte sich jemand verletzt? Ich entdeckte meine Mitbewohnerin und ehemalige Freundin Celina. Sie kniete am Boden neben einer Gestalt, die von ihrem zusammengekauerten Körper halb verdeckt wurde und die ich deswegen nicht sehen konnte. Dina, ihre Cousine, stand daneben und murmelte unverständliche Worte. Deliah wimmerte hilflos, in der einen Hand eine Fackel, deren Feuerschein unheimliche Muster auf den Rasen und die Bäume warf.

„Wir sollten von hier verschwinden“, murmelte Lena und packte mich am Arm.

„Wage es ja nicht, uns jetzt im Stich zu lassen!“, keifte Deliah sie über den Platz hinweg an. „Ohne dich wäre dieses Unglück nicht passiert.“

„Was? Soll ich etwa weiter dabei zusehen, wie ihr unschuldige Leute terrorisiert und verfolgt? Es ist genug!“

„Wir? Hast du mal darüber nachgedacht, was er getan hat? Maria hatte einen guten Grund, ihn zu verfluchen.“ Dina stemmte die Hände in die Hüfte.

„Und nach einhundert Jahren konnte das nicht mal genug sein? Denkt doch einmal nach. Sie vergiftet euch total mit ihrem Wahnsinn. Jeder Mensch verdient eine zweite Chance.“

„Er ist aber kein Sterblicher! Er ist ein Geist.“

„Ja, weil ihr ihn dazu gemacht habt. Das bringt doch hier alles nichts. Maria ist unsere Vorfahrin, ja, aber sie entscheidet nicht zum Wohle des Zirkels, und deswegen sollten wir nicht auf sie hören. Ich werde das nicht länger hinnehmen.“

„Was willst du auf einmal? Damals war dir das auch alles egal. Du hast uns alle im Stich gelassen!“, schrie jetzt Celina. Sie hatte den Kopf umgewandt und funkelte Lena wütend an. „Alles, was mir damals geblieben ist, waren eine Mutter, die nichts von dem ganzen Magiezeug wissen wollte, und eine Oma, die mir deren Realität einzureden versuchte. Und wo war meine Schwester in dem ganzen Wahnsinn? Sie verschwand im Nirgendwo!“

„Weil ich bereits damals erkannt habe, wofür ihr zu blind seid. Maria manipuliert euch.“

„Maria weist uns den Weg, so wie die Ahnen es immer getan haben.“ Nun sprach Deliah wieder.

„Ihr habt mir damals schon nicht geglaubt und werdet es auch jetzt nicht tun. Sie ist böse. Wie oft habe ich euch das gesagt? Nur hat nie jemand zugehört. Irgendwann habe ich aufgegeben, aber das war wohl ein Fehler. Schaut euch an, was hier passiert ist. Es ist ein Desaster.“

„Du hättest es ja nicht so weit kommen lassen müssen.“ Diesmal äußerte sich Dina.

„Was? Sollte ich euch dabei zuschauen, wie ihr den jungen Mann nicht nur ermordet, sondern zuvor in aller Seelenruhe foltert? Im Leben nicht. Für heute mag es zu Ende sein, aber glaub mir, es ist noch lange nicht vorbei.“ Unsanft zog Lena mich am Arm und stapfte mit mir in die Dunkelheit davon.

Ich stolperte neben ihr her. Nach einigen Metern blieb sie stehen. Wir waren um eine Ecke gebogen und ich erkannte die anderen in der Dunkelheit nicht mehr. Was zur Hölle war hier passiert? Ich stützte mich an der Hauswand ab.

„Wir sollten zusehen, dass wir reinkommen“, unterbrach Lena die Stille.

„Denkst du, sie werden uns in ihrem Zustand verfolgen?“, fragte ich zaghaft und doch skeptisch.

„Sie nicht. Aber es gibt genug, was hier draußen auf uns lauern könnte. Leider reicht meine Magie nicht mehr, um zurück nach Hause zu kommen, und meinen Besen habe ich nicht dabei. Verdammt!“, fluchte sie.

„Wer sollte uns denn etwas antun wollen außer deiner Familie?“

„Nun ja. Da wären die Feen. Du hast ja bereits mit einer von ihnen Bekanntschaft gemacht. Dann wären da noch alle, die durch den Ausbruch starker Magie auf uns aufmerksam geworden sind. Andere Hexen und Hexer. Keine Ahnung, auf welcher Seite sie im Zweifelsfall stehen würden. Und ich bin sicher, bei dem Zauber wird man die Magie bis in die Geisterwelt gespürt haben.“

„Geisterwelt?“ Meine Stimme zitterte, als ich das Wort aussprach.

„Ja, was dachtest du denn? Dass William der Einzige ist? Ich erkläre es dir später. Wir sollten wirklich hier weg.“

Ich lehnte immer noch mit dem Rücken an der Hauswand und machte keinerlei Anstalten, mich zu bewegen. Ein helles, furchterregendes Heulen erklang in der Ferne. Eine Gänsehaut lief mir über die Arme. Bevor ich fragen konnte, packte Lena mich erneut am Arm.

„Und zwar jetzt. Vielleicht reicht meine Magie, um dein Studentenzimmer sicher zu machen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Celina wird das sicher nicht aufhalten. Sie ist auf irgendeine Weise mit Maria verbunden. Und da es auch ihr Zimmer ist …“ Ich ließ den Satz unvollendet. Gedanklich war ich schon einen Schritt weiter und kam zu einem Entschluss. „Besser, wir gehen zu meiner Oma. Dort habe ich die letzten Tage auch verbracht.“

„Aber ist es dort sicher?“

„Mindestens so sicher wie hier auf dem Campus. Ich habe dort alles, wovon ich weiß, dass es uns schützen kann. Den Rest musst du erledigen.“

„Einverstanden.“ Ein erneutes Heulen zerriss die Nacht. „Dann nichts wie los! Es ist doch nicht weit, oder?“

Ich schüttelte nur den Kopf und wir liefen los.

Einige Minuten später standen wir bei meiner Oma vor der Tür. Bevor ich den Klingelknopf betätigen konnte, hob Lena ihre Hände, die an uns entlangglitten. Ich beobachtete, wie sich unsere Kleidung vom Dreck befreite. Viel besser! Mir war nicht aufgefallen, wie schrecklich wir ausgesehen hatten.

„Pass auf, dass sie deine Hände nicht sieht. Sonst stellt sie nur Fragen.“

„Dazu hättest du auch die Löcher in unseren Sachen flicken müssen.“

„Es ist recht dunkel. Wenn wir Glück haben, fällt es deiner Oma gar nicht auf. Es ist wirklich in Ordnung, wenn ich heute hier übernachte?“

„Sicher. So und jetzt lass uns zusehen, dass wir ins Warme kommen.“ Ich drückte auf die Klingel.

Lena blickte immer wieder ängstlich um uns herum in die Dunkelheit.

„Könntest du das lassen?“, fragte ich gereizt.

„Wieso? Wir sollten darauf vorbereitet sein, wenn jemand kommt.“

„Ich weiß aber nicht, wie ich das meiner Oma erklären soll. Es wäre hilfreich, wenn du nicht schauen würdest, als wäre der Tod hinter uns her. Oder der Teufel“, fügte ich hinzu.

„So einfach ist das nicht. Ich weiß nämlich nicht, wer von den beiden heute Abend unterwegs ist!“, gab sie sarkastisch zurück. Dabei verzog sie ihr Gesicht zu einer stirnrunzelnden Grimasse und verdrehte die Augen. In diesem Moment öffnete sich die Haustür.

„Malu, wie gut, dass du wieder da bist. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“ Oma schloss mich in die Arme.

„Wieso denn? Ich war doch nur etwas unterwegs. Und so spät ist es doch noch gar nicht.“

„Drüben beim Campus geht etwas Seltsames vor sich. Der Himmel leuchtete in allen erdenklichen Farben, es strahlte und blitzte wie bei einem Feuerwerk. Da muss irgendwas passiert sein.“

„Ach was! Sicher nur ein paar Studenten, die sich einen Scherz erlaubt haben. Ich habe nichts mitbekommen.“ Ich gab mein Bestes, um sie zu überzeugen. Keine Ahnung, ob es mir gelang. Ihre Miene blieb unergründlich. Lena und ich traten in den Flur und hängten unsere Jacken auf. Nachdem ich Lena als eine Freundin vorgestellt hatte, die heute bei mir übernachtete, sahen wir zu, dass wir nach oben kamen. Meine Oma bot an, uns später einen Teller Sandwiches hochzubringen, da wir so hungrig aussehen würden. Ich nickte und wir stiegen die Treppe hinauf. Oben fiel ich auf mein Bett und Lena setzte sich auf einen Stuhl mir gegenüber.

„Jetzt noch mal langsam. Was war das eben?“, fragte ich.

„Wenn ich das so genau wüsste … Ich vermute mal, als Dina und ich unsere Zauber gegeneinander gerichtet haben, um die jeweils andere aufzuhalten, sind diese irgendwie verschmolzen und es ist zu dieser Art Explosion oder Lichtblitz gekommen.“

„Und was ist mit William? Sie wollten ihn vernichten, aber du hast sie mit deinem Zauber daran gehindert, oder? Heißt das …?“

„So wenig wie sie ihn vernichtet haben, war ich bereits so weit, ihn zu schützen. Durch Celinas Folter war er stark geschwächt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er ihren Zauber nicht überlebt hat.“ Lena schaute mich traurig an.

In mir zog sich alles zusammen.

„Aber das wissen wir nicht. Er könnte genauso gut noch am Leben sein.“

„Malu… du hast doch gesehen, was die Magie angerichtet hat. Sie hätte sogar Marion fast vernichtet. Wir wissen nicht mal, ob sie das alles überlebt. William war zusätzlich verletzt. Er hat geblutet, was ein Zeichen dafür ist, dass er zum Teil wieder menschlich war. Das spricht noch mehr für seine Schwäche, was wiederum bedeutet, dass es für seinen Körper“, sie malte Anführungszeichen in die Luft, „oder seine Seele um einiges schwieriger wird, diesen Angriff zu überleben.“

Ich sank in mich zusammen. Die Vorstellung, William könnte nicht mehr da sein, könnte sogar gestorben sein, weil ich es nicht rechtzeitig geschafft hatte, füllte mich mit einer eisigen Kälte aus.

„Der einzige Vorteil ist, dass meine Familie uns erst mal in Ruhe lassen wird. Sie werden genau wie ich der Meinung sein, William wäre in dem Lichtblitz vernichtet worden. Ich bin zwar sicher, dass Maria es irgendwie erfahren würde, sollte er noch leben, aber das er noch lebt ist eher unwahrscheinlich.“

„Dann war es das jetzt?“, fragte ich leise. Meine Stimme zitterte.

„Ich wüsste nicht, was wir im Fall William noch tun könnten. Aber alles andere fängt gerade erst an.“ Lena schüttelte sich.

„Wie meinst du das?“

„Ich habe bereits seit Längerem den Verdacht, dass Maria böse ist, vielleicht hat sie einen Pakt mit einem Dämon geschlossen oder mit dem Teufel. Ich habe keine Ahnung, aber das, was sie macht, ist nicht richtig. Und bisher ist es keiner Hexe nach ihrem Tod gelungen, in den Körper einer anderen zu fahren. Nicht mal bei ihren Nachfahren. Allein diese Tatsache hätte Dina, Oma und Deliah misstrauisch machen müssen. Es muss dunkle Magie sein. Aber das ist nicht das Einzige. Durch die starke Magie des Zaubers dürften viele in den magischen Welten gespürt haben, dass etwas vor sich geht.“

„Und das bedeutet …?“

„Du kennst mich und meine Familie. Eigentlich sind wir die Guten, aber du kennst auch Angela. Sie ist eine derjenigen, vor denen wir die Menschen beschützen wollen. Und es gibt so viel mehr da draußen. Gutes und Böses. Diese Welle der Magie, die durch das Land geschwappt ist – sie hat etwas ausgelöst, was die Guten achtsam werden lässt. Denn das Dunkle ist dadurch hellhörig geworden und wird versuchen, die übrig gebliebenen Spuren des Zaubers zu nutzen, um seine Fähigkeiten wieder zu stärken. Dadurch könnte das Gleichgewicht der Magie in Gefahr geraten.“

„Das ist schrecklich.“ Ich schlang mir bei dem Gedanken die Arme um den Körper.

„Und das Schlimmste ist: Ich habe das Gefühl, Maria hat es genau darauf angelegt.“

„Wieso?“

„Vielleicht hat sie in all den Jahren die Seiten gewechselt. Wahrscheinlich bereits vor ihrem Tod. Sie muss einen Pakt eingegangen sein, denn der Zauber, mit dem sie William damals verflucht hat, war sehr mächtig. Wie auch immer. Ich bin mir fast sicher, Williamwar gar nicht ihr eigentliches Ziel.“

„Wieso hat sie die anderen dann gegen ihn aufgehetzt?“ Nun verstand ich wirklich gar nichts mehr. Ich betrachtete Lena. Sie starrte angestrengt aus dem Fenster in die tiefschwarze Nacht und hatte sich ihre Hand nachdenklich ans Kinn gelegt. Auf mich wirkte es so, als versuchte sie, ein komplexes Gesamtbild zu analysieren, dessen Zusammenhänge meinen Horizont überstiegen.

„Ganz einfach. Sie hätten niemals einen Zauber gewirkt, der so stark ist, dass er möglicherweise dem Bösen zu neuer Kraft verhilft. Aber wenn sie glaubten, etwas Gutes zu tun…“

„… dann würden sie einen Zauber sprechen, der genau das bewirkt“, vollendete ich Lenas Satz. Langsam wurde mir klar, was hier wirklich los war. Nur … wer steckte dahinter? Ich schaute in die rabenschwarze Nacht hinaus. Mittlerweile schüttete es wie aus Kübeln. Der Regen rann an den Fenstern hinunter, hin und wieder zuckte ein Blitz und neben dem Donner hörte ich in der Ferne wieder dieses schauerliche Heulen.

„Ich sollte wohl noch ein paar Zauber wirken. Bevor das da doch noch hier reinkommt.“

„Was meinst du mit das da?“ Ich war mir bereits beim Aussprechen nicht mehr sicher, ob ich die Wahrheit hören wollte oder nicht.

„Dem Heulen nach zu urteilen: ein Werwolf. Und ich spreche jetzt nicht von der lieben, netten Twilight-Sorte.“

Ich zog scharf die Luft ein und spürte, wie sich meine Augen weiteten. Das Bild eines heißen Taylor Lautners oben ohne verpuffte und wurde durch ein finsteres Monster mit gefletschten Zähnen ersetzt. „Geister, okay. Hexen, auch gut. Feen, die versuchen mich umzubringen, meinetwegen, aber was kommt denn noch?“

„So einiges. Es gibt viele Wesen da draußen. Ich werde es dir nach und nach erklären, aber für heute Abend reicht es. Vielleicht möchtest du schon ins Bad, dann kümmere ich mich zuerst um die Zauber.“

Ich nickte ergeben und machte mich auf den Weg. Was blieb mir auch anderes übrig?

Celina

Nachdem Malu und Lena im Dunkeln verschwunden waren, drehte ich mich zu Dina um.

„Was machen wir jetzt?“ Ich schaffte es nicht, den verzweifelten Unterton aus meiner Stimme heraushalten, als ich auf Oma blickte.

„Als Erstes müssen wir Oma hier wegbringen. Dann werde ich versuchen, herauszufinden, was bei dem Zauber passiert ist.“ Dina bewegte ihre Hand und Omas Körper hob leicht vom Boden ab. Er schwebte nun auf Hüfthöhe neben ihr.

„Am besten holen wir das Auto her, bevor uns noch einer sieht.“

„Während des Rituals hat uns doch auch niemand wahrgenommen.“

„Das lag an dem magischen Schild, der alle Menschen im Umkreis von hier ferngehalten hat“, erklärte Deliah mir. Sie blickte sorgenvoll in den schwarzen Himmel. Der Regen würde bald stärker werden. Es war besser, wenn sie hier wegkamen.

„Da wir keine Ahnung haben, was passiert ist, als Lena sich eingemischt hat, gehe ich davon aus, dass auch der Schild zerstört ist. Somit werden sämtliche Studenten und andere Bewohner dieser Stadt nicht mehr das dringende Bedürfnis verspüren, woanders zu sein, sobald sie sich dem Campus nähern.“ Durch Dinas Kräfte sank Omas Körper auf eine nahegelegene Parkbank und sie kramte in ihrer Tasche.

„Ich werde das Auto holen und ihr zwei beseitigt am besten die Kerzen und alles andere“, murmelte sie. Ich bückte mich, um den ganzen Kram aufzusammeln. Deliah breitete ihre Hände mit den Handflächen nach unten aus und wisperte seltsame Wörter. Als alles in der Kiste verstaut war, sah man den verbrannten Rasen und die Asche, die wir benutzt hatten, immer noch. Mir fiel auf, wie Deliah die Stirn runzelte.

„Was ist los?“

Deliahs ängstlicher und verwirrter Blick ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen.

„Ich versteh das alles nicht. Normalerweise lässt sich so etwas mit Leichtigkeit beseitigen. Es ist mir noch nie untergekommen, dass die Magie so sehr am Boden gehaftet hat. Wenn das Pentagramm nicht verschwindet, brauchen wir eine sehr gute Ausrede.“ Sie sah sich nervös nach allen Seiten um.

Ein Heulen zerriss die Stille und ich zuckte zusammen.

„Das ist nicht gut. Ich habe ja gleich gesagt, wir hätten die Finger davonlassen sollen, aber deine Oma wusste es ja wieder mal besser.“ Sie rang die Hände gen Himmel und warf beim Reden den Kopf in den Nacken, wie um zu unterstreichen, wie dumm die ganze Aktion gewesen war. Heiße Wut wallte in mir auf.

„Was soll das denn heißen? Wer weiß, ob sie wieder aufwacht. Sie hat ebenfalls ihr Leben riskiert, um die Welt vor William zu schützen, und du willst ihr die Schuld an all dem geben?“ Ich stemmte die Hände in die Hüfte. Deliah wusste genau, dass wir keine andere Wahl gehabt hatten. Wir mussten etwas unternehmen und jetzt machte sie plötzlich einen Rückzieher.

„Das habe ich nicht gesagt. Nur fand ich Marias Forderung gleich falsch. Natürlich ist es unsere Aufgabe, die Menschen zu beschützen, aber es ist gleichermaßen falsch, einen anderen deswegen zu foltern.“ Unsicherheit flackerte in ihren Augen auf, gefolgt von Schuld, sich von uns überredet haben zu lassen.

„William ist aber kein Mensch mehr. Wir mussten ihn aufhalten.“

„Ich weiß nicht. Wenn das Universum es wirklich gewollt hätte, dann wäre er schwach genug gewesen, um von unserem Zauber vernichtet zu werden. Dass wir ihn allerdings erst foltern mussten, passt für mich gar nicht ins Konzept. Es ist nicht richtig. Das sagt der Hexenkodex eindeutig.“

„Wir haben es aber getan. Jetzt darüber zu streiten, bringt uns auch nicht weiter“, fuhr Dina dazwischen. „Ich habe da hinten Leute gesehen, also helft mir, Oma ins Auto zu bekommen und dann nichts wie weg. Solange uns niemand hiermit in Verbindung bringen kann, ist alles gut.“

Deliah blickte sie sprachlos an.

„Wir haben immer darauf geachtet, unsere Spuren zu verwischen.“

„Richtig. Dennoch haben wir gerade keine Wahl. Ich bin sicher, sie werden denken, es wären irgendwelche Sektenanhänger gewesen oder betrunkene Studenten, die eine von Professor Kaynes Erzählungen nachstellen wollten. Umso besser, wenn er den Ärger bekommt.“ Dina griff Oma unter die Achseln und deutete Deliah an, ihre Füße zu nehmen.

Ich fing ihren Blick auf und eilte zum Wagen, um die Hintertür zu öffnen. Nervös knetete ich meine Finger, während sie Oma hinten ablegten.

„Was hast du auf einmal gegen Professor Kayne?“, fragte ich sie.

„Nichts. Er scheint Malu in der Sache mit ihrem Geist beraten zu haben und glaubt daran, dass man Geister von ihrem Leid erlösen muss. Nur deswegen versucht Malu die ganze Zeit William zu retten. Deswegen mag ich ihn nicht.“

Ich schüttelte nur den Kopf. Zu müde, erschöpft und verwirrt, etwas zu erwidern. Gerade hatten wir Oma zur Hälfte ins Auto gezerrt, als wieder das Heulen erklang. Diesmal deutlich näher.

Dina beeilte sich umso mehr, aber Deliah versuchte, sie aufzuhalten.

„Wenn wir das hierlassen, dann werden die Studenten alle nicht mehr sicher sein. Die Magie im Boden ist zu stark.“

Ich verstand kein Wort, aber vermutlich hatten wir etwas Gefährliches in Gang gesetzt, und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob das so richtig gewesen war.

„Was soll ich machen, wenn du es nicht wegbekommst? Auch ich bin nicht allmächtig!“, schrie Dina gegen den Wind an, der wieder stärker wurde.

„Und wenn wir es zusammen versuchen?“, fragte ich leise. Ich wollte morgen früh auf dem Weg zu den Vorlesungen nicht daran erinnert werden, was heute Nacht geschehen war. „Ihr habt doch gesagt, zusammen sind wir stärker. Wenn also Deliah es nicht allein schafft …“ Ich ließ den Satz unvollendet.

Dina überlegte einen Moment. Dann nickte sie schließlich.

„Wir können es immerhin versuchen.“ Mit einem Ruck schlug sie die Autotür zu und ergriff unsere Hände. Wir gingen wenige Schritte auf das Pentagramm zu, das trotz des Regens – der immer noch unaufhörlich auf uns niederprasselte – deutlich zu erkennen war. Nicht mal ansatzweise waren die Kanten verwischt. Die Asche wirkte unangetastet.

Ich gab Deliah meine Hand. Auf ein Zeichen von Dina schlossen wir alle unsere Augen und konzentrierten uns auf die Magie in unserem Inneren. Trotz der Aufregung versuchte ich, ruhig zu atmen, alle Gedanken und Emotionen auszusperren und Ruhe zu finden. Dina begann zu sprechen. Ich spürte die Magie in uns aufsteigen. Schon mal hatte ich das erlebt, bei der Geisterbeschwörung. Auf einmal stieg ein fremdes Gefühl in mir hoch. Es fühlte sich mächtig an. Dunkel, fester und zäher, als der Magiefluss, den ich zuvor gespürt hatte. Wie eine dickflüssige Teermasse. Es rollte auf mich zu und ich hatte das Gefühl, es könnte mich unter sich begraben, wenn es wollte. Stattdessen wand es sich um meine Füße, versuchte, in die Nähe meiner Magie zu kommen, sie zu berühren, und wickelte sich dabei immer höher um meinen Körper. Mir wurde entsetzlich kalt und ich spürte eine alles verschlingende Dunkelheit in mir aufkommen. Diese Magie war ganz und gar nicht wie die unsrige und sie hielt das Pentagramm an Ort und Stelle.

Ruckartig ließ Dina unsere Hände los.

Ich öffnete meine Augen und starrte in ihr panisches Gesicht.

„Irgendwas stimmt hier nicht. Hier liegt eine andere Magie zugrunde, als die unsrige. Sie fühlt sich dunkel und böse an. Ich kann nur hoffen, dass es nicht Lenas ist, denn ich möchte ungern gegen sie kämpfen.“ Dina schüttelte sich.

Mir machte es seltsamerweise nicht so viel aus. Die Magie, die mich bis eben noch umschlossen hatte und sich nun wieder zurückgezogen in einiger Entfernung befand, ließ mich leer und kraftlos zurück. Mit einem Mal zweifelte ich nicht mehr daran, das Richtige getan zu haben, als wir William hatten aufhalten wollen. Ich spürte so etwas wie Genugtuung und Befriedigung in mir hochkriechen. Ja, vielleicht sogar Vergnügen an dem, was wir getan hatten. Entsetzt über meine Empfindungen sprang ich einen Schritt zurück, weg von dem Pentagramm, und im selben Moment verflüchtigten sich diese Gedanken wieder.

Dina drängte uns alle dazu, einzusteigen.

„Die ersten Finsterer werden bald auftauchen und ich bin nicht erpicht darauf, ihnen zu begegnen. Mehr können wir im Moment nicht tun. Wir müssen diese Magie zu einem anderen Zeitpunkt loswerden. Deliah, kannst du unterwegs Kunde an unsere Schwestern schicken? Wir müssen uns noch in dieser Nacht mit ihnen treffen.“ Deliah schaute sie überrascht an.

„Solange Marion nicht erwacht, bist du die Älteste. Es liegt an dir, den Zirkel zu leiten.“

Während ich Dina zuhörte, bemerkte ich mit einem Mal ihre seltsame Sprechweise. Sie klang jetzt so, wie man Hexen aus Filmen kannte, als würde sie aus einer anderen Zeit stammen. Mit einem Ruck schlug sie die Tür zu und rauschte mit uns in die Nacht. Ungewiss, was noch auf uns zukommen würde.

Neubeginn

Malu

Ich verbrachte eine unruhige Nacht. Seltsame Bilder mit gruseligen Fratzen suchten mich immer wieder heim. Dazwischen erschien auch Williams Gesicht. Er blickte verzweifelt zu mir auf und streckte seine Hand aus, als wollte er, dass ich ihn rettete. Am frühen Morgen, draußen war noch alles dunkel, stand ich schließlich auf. Ich ließ die Nacht Revue passieren, um mir klar zu werden, wie es jetzt weitergehen sollte. Doch ich hatte keine Ahnung. Schließlich zog ich mich an, machte mich für den Unterricht fertig und informierte Lena mit einem Zettel darüber, wo ich war. Wir könnten uns nach dem Unterricht unterhalten. Jetzt brauchte ich dringend Ablenkung. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis ans Kinn und schlug den Kragen hoch. Mit den Händen in den Taschen machte ich mich auf den Weg zum Unigelände.

Dort angekommen musste ich feststellen, dass ich viel zu früh war. Also verzog ich mich erst mal in die Bibliothek, um mich etwas aufzuwärmen. Ich schlenderte durch die Reihen und zog wahllos irgendwelche Bücher hervor. Der Einzige, von dem ich glaubte, dass er mir helfen konnte, war Professor Kayne. Nach wie vor war ich etwas unsicher, ob ich ihm vertrauen sollte, aber er hatte mich bisher weder ausgelacht noch mich einweisen lassen oder versucht, mich umzubringen, was ich als durchaus positiv erachtete. Leider war er gerade auf einer Fortbildung und somit würde ich warten müssen. Mehr, als ein paar Bücher über Fabelwesen zu sammeln, konnte ich nicht tun.

Kurz vor Unterrichtsbeginn ging ich zur Verwaltung. Ich brauchte mein eigenes Zimmer. Jetzt, da alles so schrecklich schiefgegangen war, würde ich mit Celina in einem Zimmer kein Auge mehr zutun. Ich wollte nicht riskieren, dass meiner Oma etwas passierte, wenn ich weiter bei ihr wohnte.

„Guten Morgen, Ms. Simone“, begrüßte mich Mrs. Björn fröhlich, „hatten wir nicht erst am Freitag einen Termin?“

„Guten Morgen. Ja, so ist es. Aber leider kann ich nicht bis Freitag warten.“

„Einen kleinen Moment habe ich noch. Womit kann ich Ihnen helfen?“ Sie klopfte den Papierstapel auf ihrem Schreibtisch zurecht und legte ihn dann beiseite, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.

„Ich wollte sehr gern ein neues Zimmer beantragen. Ich kann nicht länger mit Celina Witthovedes zusammenwohnen.“

„Das verstehe ich nicht. Bisher sind Sie doch immer gut miteinander ausgekommen. Ich habe weder von ihr noch von Ihnen jemals Beschwerden gehört.“

„Das mag sein, aber die Umstände sind etwas kompliziert. Ich bekomme dort nachts kein Auge mehr zu. Ich möchte Sie wirklich bitten, mir ein anderes zuzuteilen.“

„Wie wäre es denn mit dem Zimmer von Angela? Dort ist noch ein Bett frei.“ Sie blätterte durch ein paar Unterlagen.

„Alles, nur das nicht“, rief ich, bevor ich darüber nachdenken konnte, wie ich das diplomatischer regeln könnte.

„Wenn Sie schon ein anderes Zimmer bekommen, sollten Sie sich etwas kooperativer zeigen“, schoss sie zurück. „Die Zimmerverteilung findet immer zu Semesterbeginn statt und es ist alles belegt. Sie könnten es mit Angela probieren.“

„Als ich das letzte Mal mit ihr zusammengearbeitet habe, hat sie mich in ihrem Zimmer eingeschlossen.“ Ich legte die Hände auf den Tresen vor ihrem Schreibtisch.

„Wieso das denn?“ Mrs. Björn sah mich zweifelnd an. Sie kniff ihre schwarz umrandeten Augen fest zusammen und musterte mich skeptisch, dabei tippte sie mit ihren künstlichen Fingernägeln auf die Schreibtischplatte, als erwartete sie, ich würde ihren Vorschlag einfach akzeptieren und sie wieder in Ruhe lassen.

„Das müssen Sie sie fragen. Mir hat sie den Grund jedenfalls nicht genannt. Wie auch immer, ein Zimmer mit ihr ist ausgeschlossen.“

„Ein anderes habe ich nicht.“

„Können Sie nicht bitte noch einmal nachschauen?“ Ich schaute sie flehentlich an und sie schlug die Mappe wieder auf. Nach ein paar Minuten sprach sie, ohne aufzusehen. „Hier steht, das Zimmer von Constanze sei leer. Sie war die einzige andere Schülerin, die allein ein Zimmer bewohnt hat, und sie ist letzte Woche zu einem Projekt nach Afrika aufgebrochen. Dort wird sie wohl den Rest des Semesters bleiben. Sie hat ihr Zimmer geräumt. Wenn es sein muss, können Sie es haben.“

„Das wäre wunderbar. Vielen Dank.“ Ich spürte, wie sich meine Gesichtsmuskeln zu einem Strahlen verzogen, als sie die Unterlagen fertig machte.

„Dass Sie mir aber nicht in zwei Wochen wieder hier ankommen und alles wieder rückgängig gemacht werden soll. Wir sind hier nicht im Kindergarten. Aufgrund der Brandschutzverordnung muss ich genaustens dokumentieren, wo welcher Student wohnt, und das ändere ich nicht regelmäßig nach Lust und Laune.“ Sie saß mit gezücktem Kugelschreiber und gespitzten Lippen dort und wartete auf meine Antwort.

„Das müssen Sie nicht, keine Sorge. Für Celina und mich gibt es kein Zurück mehr. Nochmals vielen Dank.“ Ich beobachtete Mrs. Björn, wie sie die Unterlagen ausfüllte und mir schließlich einen Schlüssel überreichte.

„Sobald Sie ihre Sachen in das neue Zimmer gebracht haben, händigen Sie mir bitte den Schlüssel Ihres alten Zimmers aus. Wenn es geht, am besten heute noch. Ich möchte nicht, dass Celina am Ende behauptet Sie würden sie terrorisieren, beklauen oder was weiß ich nicht alles.“

„Ja, natürlich.“ Ich nickte brav, unterschrieb auf der dafür vorgesehenen Linie und machte mich dann auf den Weg in den Unterricht.

Der gesamte Vormittag zog sich hin wie Kaugummi. Einerseits war ich froh, dass es noch etwas andauerte, denn wenn ich meine Sachen erst bei Celina rausgeholt hätte, wäre es für immer vorbei. Andererseits wollte ich es auch endlich hinter mich bringen. Ich konnte nicht länger so tun, als gäbe es für mich noch eine Chance, das Ganze wieder hinzubekommen. Nervös drehte ich den Kopf, als ich mich in der Mittagspause allein an einen Tisch setzte und darüber nachdachte. Celina war mir heute noch nicht begegnet, was mich einerseits erleichterte, andererseits jedoch sorgte. Hatte der Zauber sie so sehr ausgelaugt oder ging es ihrer Oma noch schlechter als gestern? Sie hätte keinen anderen Grund, sich von den Vorlesungen fernzuhalten. Ich schluckte schwer.

„Na, ist Celina wieder nicht da?“, schreckte mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Ich schaute auf. Es war Mareike.

„Keine Ahnung. Hab sie seit gestern nicht gesehen. Magst du dich setzen?“ Ich wies mit meiner Hand auf einen der freien Stühle. Zuerst wirkte sie etwas überrascht, aber dann stellte sie ihr Tablett auf dem Tisch nieder und zog den Stuhl zurück.

„Nachdem du letztens etwas distanziert warst, hätte ich damit nicht gerechnet“, gab sie ehrlich zu.

„Das war ein sehr harter Tag für mich. Ehrlich gesagt war die ganze Woche nicht einfach. Es hatte nichts mit dir zu tun. Du kennst das doch sicher.“

„Nicht wirklich. Mein Leben ist nicht so spannend wie das von Celina und dir.“ Mareike seufzte, möglicherweise war sie genauso einsam wie ich.

„Glaub mir, es kann auch anstrengend sein, wenn es zu spannend ist. Im Moment würde ich gern mit dir tauschen. Einfach mal abschalten, entspannen. Etwas Zeit haben, für die Kurse zu lernen, denn wenn das so weitergeht, dann falle ich Ende des Semesters durch.“ Ich schob mir eine Gabel Salat in den Mund. Nachdenklich kaute ich darauf herum.

„Wenn du Hilfe brauchst, könnten wir auch mal zusammen lernen. Ich helfe dir gerne. Zumindest in den Kursen, die wir gemeinsam haben.“

„Das wäre klasse. Aber was ich im Moment wirklich gebrauchen könnte, wäre etwas Ablenkung und vielleicht jemanden, der mir beim Umzug hilft.“ Ihre Gabel mit dem Nudelauflauf blieb mitten in der Luft hängen und sie schaute überrascht auf.

„Du ziehst weg?“

„Nein. Ich bekomme nur ein anderes Zimmer im Wohnheim. Constanze ist doch nach Afrika und ihr Zimmer ist frei. Da hab ich wirklich Glück gehabt.“

„Ich wusste nicht, dass es um dich und Celina so schlecht steht.“ Mareike wirkte ehrlich betroffen. „Ich hoffe, die räumliche Trennung wird euch helfen.“

„Da gibt es nichts mehr zu helfen. Was Celina gemacht hat, kann ich einfach nicht akzeptieren. Es ist aus und vorbei.“ Ich schluckte schwer. Mein Mund war auf einmal ganz trocken, denn ich war mir sicher, Mareike würde es nicht auf sich beruhen lassen. Schnell nahm ich mein Glas und trank einen Schluck Wasser.

„Was ist denn passiert?“, kam auch sogleich die alles entscheidende Frage.

„Wir haben in gewissen Dingen einfach zu unterschiedliche Ansichten und ihr Vorgehen ist mir in einigen Dingen deutlich zu aggressiv. Sie ist ein anderer Mensch, als ich bisher dachte.“ Mehr konnte ich dazu nicht sagen, wenn ich Mareike nicht davon überzeugen wollte, dass Celina Hexenkräfte hatte und dabei war, jemanden zu töten. Außerdem würde sie sicher in Schwierigkeiten geraten, wenn sie zu viel wusste.

„Das hätte ich nicht erwartet. Ist es denn so krass?“

Ich nickte stumm und schob mir noch eine Gabel Salat in den Mund, obwohl ich eigentlich satt war.

Mareike verstand den Wink. „Verstehe. Du willst darüber nicht sprechen. Ist ja auch recht privat. Also wenn du willst, helfe ich dir heute Nachmittag beim Umzug. Zusammen ist das sicher schnell erledigt. Und danach könnten wir etwas unternehmen.“

Bevor es mir möglich war, zu antworten, piepste mein Handy. Eine Erinnerung daran, dass ich heute Abend arbeiten musste. Ich richtete meinen Blick auf Mareike.

„Das ist wirklich lieb von dir. Leider muss ich heute Abend arbeiten. Aber wenn du nach der Umzugsaktion Lust hast, komm doch gern mit. Dann gebe ich dir einen aus.“ Ich lächelte sie an, wollte meine hoffentlich neue Freundin nicht gleich wieder verlieren.

„Gern. Treffen wir uns um drei vor dem Wohnheim?“ Ich nickte. Dann nahm ich mein Tablett und stand auf. „Dann bis später. Ich muss noch kurz telefonieren und gleich ist die Mittagspause ja schon wieder rum“, verabschiedete ich mich und ging nach draußen. Dort rief ich Lena an.

„Hey, was gibts?“

„Ich wollte mal wissen, wie es weitergeht. Wir können doch nicht so tun, als wäre das alles nie passiert.“

„Richtig. Ich spüre die Magie bei dir am Campus und sie ist sehr stark. Das ganze System ist aus dem Gleichgewicht geraten. Wir werden etwas tun müssen, aber momentan weiß ich nicht was. Vor allem, da wir keine Ahnung haben, was passieren wird. Solange die dunkle Seite nichts unternimmt und Maria keinen neuen Vorstoß wagt, sind wir quasi blind. Wir sollten später darüber sprechen.“

„Ich hab heute wenig Zeit. Ich werde nachher ein neues Zimmer auf dem Campus beziehen und danach muss ich arbeiten.“ Mit dem Handy am Ohr lief ich vor dem Hauptgebäude auf und ab.

„Nun gut, wir finden sicher einen passenden Augenblick. Ich bin so oder so schon am Überlegen, ob ich das College wechsle. Es wäre vielleicht gut, wenn ich in der Nähe bin, da sich alles in Morgantown zugetragen hat und die Magie immer noch in der Luft liegt. Höchstwahrscheinlich wird auch hier zuerst etwas passieren.“

„Wäre sicher keine schlechte Idee“, stimmte ich ihr zu.

„Andererseits liefe ich Dina und Celina regelmäßig über den Weg und das würde sicher zu Spannungen führen. Die beiden trauen mir doch keinen Meter über denWeg.“

„Also heute habe ich sie noch nicht gesehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Dina jetzt andere Sorgen hat.“

„Möglich. Ich denke mal drüber nach. Vielleicht finde ich zu Hause etwas heraus, dann melde ich mich wieder.“

„Mach das, bis dann.“ Ich legte auf und brachte die restlichen Vorlesungen hinter mich, damit ich endlich den Schlussstrich unter meine Freundschaft mit Celina ziehen konnte, der leider nicht mehr zu verhindern war.

Am Nachmittag traf ich mich mit Mareike. Meine Sachen waren schnell zusammengepackt. Mareike brachte einige Kisten in mein neues Zimmer. Ich war gerade dabei, den letzten Karton zu schließen, als sich die Zimmertür öffnete.

„Malu.“ Celina blieb mitten im Türrahmen stehen. Entgeistert starrte sie auf den Koffer, der noch auf meinem ehemaligen Bett lag. Dann wanderte ihr Blick zum Kleiderschrank, dessen Türen offen standen, und in dem gähnende Leere herrschte. Ich bedachte sie mit einem kühlen Blick. Ich glaubte immer noch nicht, was in den vergangenen Tagen passiert war, aber für mich gab es definitiv kein Zurück. Als sie keine Anstalten machte, sich zu bewegen, nahm ich den Karton von meinem Tisch, ging auf sie zu und fragte barsch: „Darf ich mal?“ Ich versuchte, mich an ihr vorbeizuschieben, aber sie machte sich augenblicklich breiter.

„Ich habe gedacht, wir könnten noch mal über alles reden!“, rief sie.

Ich blieb stehen.

„Und dann? Glaubst du, es wird dadurch ungeschehen? Oder glaubst du, ich verzeihe dir?“ An ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass sie keinesfalls vorhatte, sich zu entschuldigen. „Du erwartest jetzt aber nicht ernsthaft, dass ich dir verzeihe, oder? Denn egal was du mir auch erzählst, ich finde es nach wie vor nicht richtig, was dort gelaufen ist. Niemand hat das Recht, über das Leben eines andern zu entscheiden.“

„Das siehst du so. Dennoch solltest du mal darüber nachdenken, wie viele Leben er gekostet hat und noch kosten würde. Dank uns ist das alles jetzt vorbei. Es wird niemand mehr zu Schaden kommen.“ Celina verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ach ja? Es wäre niemand zu Schaden gekommen, wenn Maria ihn einfach nur hässlich gehext hätte wie im Märchen, anstatt dieses Sexsucht-Fluches!“, brüllte ich. „Ich hab dir vorher gesagt: Wenn ihr das durchzieht, bist du für mich gestorben. Du hast es nicht anders gewollt.“

„Malu… du kannst doch nicht einfach gehen.“ Jetzt klang ihre Stimme beinahe flehend. Ich war ihr wirklich wichtig.

„Ihr habt ihn nicht nur ausgeschaltet. Ihr habt ihn regelrecht gefoltert. Ja, ich weiß, er wäre sonst zu stark für den Zauber gewesen, aber es kommt natürlich keiner auf die Idee, dass das vielleicht ein Zeichen dafür sein könnte, dass es falsch ist, was ihr tut. Nein, die großen Hexen doch nicht. So groß bist du gar nicht, wo du doch vor wenigen Wochen nichts mit alledem zu tun haben wolltest. Und jetzt lass mich vorbei.“ Ich drückte mich erneut mit dem Karton in meinen Händen neben ihr vorbei und diesmal ließ sie es zu.

Lena

Das Gespräch mit Malu hatte mich ziemlich nachdenklich gestimmt. In wenigen Tagen war mein Leben ganz schön kompliziert geworden. Bisher hatte ich einfach nur studiert und nebenbei mein Leben mit etwas Magie erleichtert. Ich hatte mich aus allem, was meine Familie tat, rausgehalten. Meine Mutter konnte mit dem ganzen Magiezeugs sowieso nichts mehr anfangen und war irgendwie ziemlich abgedreht. Sie mied das Thema und ging der Familie aus dem Weg.

Wieso wohnte sie eigentlich immer noch dort? Ich hatte es aufgegeben, mit ihr darüber sprechen zu wollen.

In Gedanken versunken, starrte ich aus dem Fenster im oberen Stockwerk des Hauses von Malus Oma. Sie war wirklich eine liebenswerte ältere Dame und ich freute mich sehr, dass ich noch etwas bleiben durfte. Meine Magie war immer noch nicht wiederhergestellt, um wieder zurück in meine Studentenwohnung zu gehen. Vielleicht sollte ich versuchen, unauffällig zu Hause vorbeizuschauen. Es wäre sicherlich von Vorteil, zu wissen, was dort vor sich ging. Ich war schon auf dem Weg zur Zimmertür, als mir einfiel, dass meine Familie nicht um die Ecke wohnte und ich auch kein Auto besaß. Seit Ewigkeiten hatte ich nicht mehr hinter dem Steuer gesessen. Selbst wenn ich mir eines ausliehe, würde das nur in einer Katastrophe enden. Ich fuhr mir mit den Fingern durch meine Haare und wie immer, wenn ich aufgewühlt war, wandelte sich ihre Farbe. Heute wurden sie auf einmal leuchtend grün. Hoffentlich war dies ein gutes Zeichen. Mein Besen!, fiel es mir plötzlich ein. Klar hatte ich ihn am College vergessen, aber vielleicht reichte meine Magie für einen winzigen Apportationszauber.

Wenige Minuten später stand ich im Garten des verlassenen Hauses von Malus Oma und strich über den kleinen Zweig, den ich mit nach draußen genommen hatte. Wie gut, dass der Zauber funktioniert hatte, auch wenn mein Besen noch geschrumpft war. Jetzt wuchs er in meiner Hand, bis ich einen normalgroßen Kehrbesen festhielt. Unwillkürlich musste ich grinsen. Die Magie im Allgemeinen überraschte mich kaum mehr, doch die Sache mit den Besen faszinierte mich noch heute.

Sie passten in jede Tasche, waren handlich, niemals hatte ich mir einen Splitter zugezogen und – ich konnte es mir bis heute nicht erklären– man saß sehr bequem auf ihnen. Sie einfach zwischen die Beine zu klemmen, sollte vermutlich ein unangenehmes Gefühl hervorrufen, gerade wenn man in die Luft abhob und sich daran festklammerte, damit man nicht runterfiel, aber ganz im Gegenteil: Man fühlte sich, als säße man breitbeinig auf einem Stuhl. Nichts für ewig lange Flüge, aber für einen kurzen vollkommen ausreichend. Ich schüttelte die mich ablenkenden Gedanken von mir, stieg auf und drückte mich kräftig vom Boden ab. Als die ersten Windböen durch mein Haar strichen, das mir nach der Wandlung bis zum Kinn reichte, spürte ich, wie die Last auf meinen Schultern leichter wurde.

Einige Minuten später landete ich in sicherer Entfernung meines Elternhauses. Auf den ersten Blick schien alles verlassen zu sein, doch ich verstaute den Besen sicherheitshalber und pirschte mich langsam heran. Höchstwahrscheinlich war zumindest Dina im Haus und ich wollte auf keinen Fall von ihr entdeckt werden. Sie würde sowieso nicht mit sich reden lassen.

Geduckt blieb ich unter dem hochgeschoben Küchenfenster stehen und lauschte. Stimmen drangen zu mir heraus, aber ich verstand sie nicht richtig. Genervt trat ich einen Schritt zur Seite, sodass ich von drinnen nicht zu sehen war, und richtete mich auf.

„Im Hause wollen sie sich gegen mich verschwören, darum muss ich jetzt ausnahmslos alles hören. Damit dies gelingt, der Wortlaut richtig klingt, bring jetzt ein Fledermausohr hervor.“ Ich tippte mir an mein rechtes Ohr und spürte augenblicklich, wie es sich veränderte. Nun nahm ich alles um mich herum wahr. Jede Grille, die hinter dem Haus im Garten zirpte, und sogar die Ameisen, die sich zu meinen Füßen tummelten. Ich taumelte kurz und hielt mich an der Hauswand fest. Dann konzentrierte ich mich auf die Stimmen im Haus und kroch wieder unter das Fenster.

„Deliah, wir müssen die Hexenversammlung einberufen.“ Das war eindeutig Dina, was hatten sie vor?

„Und dann? Du weißt, man muss nicht jedes Mal eine Vollversammlung abhalten, nur weil die Oberhexe verletzt wurde.“

„Das mag ja sein, aber es sieht nicht so aus, als würde Oma in nächster Zeit wieder aufwachen und wir brauchen jemanden, der uns führt. In diesem Fall bist du das.“

Ich sah es förmlich vor mir, wie Dina Deliah mit ihren Blicken durchbohrte. Sie war immer sehr überzeugend gewesen, aber Deliah wollte nie die Leitung übernehmen und war froh, nicht die Älteste zu sein.

„Ich kann doch nicht …“, begann sie auch sogleich.

„Doch! Und du wirst. Wir müssen uns überlegen, wie es weitergeht.“

„Der Junge ist fort. Es ist alles gut.“

„Es mag sein, dass er fort ist, aber du hast die Magie doch auch gespürt, die wir damit freigesetzt haben. Das ist nicht das Ende und wir müssen uns auf das vorbereiten, was kommt. Im Zirkel sind wir stärker und deswegen sollten wir die anderen darauf vorbereiten. Wenn Celina wieder an der WVU ist, wird sie uns warnen, wenn dort etwas Seltsames vor sich geht, und wir können agieren. Außerdem bin ich noch nicht so lange Hexe wie Oma oder du. Ich habe keine Ahnung von der Magie, die dort freigesetzt wurde. Ich spüre nur, dass dort welche ist. Du selbst hast es doch gesehen. Das Pentagramm ging nicht weg.“

„Ich weiß das und es ist beunruhigend. Ich würde viel lieber mit Marion darüber sprechen.“

„Was aber nicht geht. Wir werden den Zirkel einberufen. Vielleicht kann ihr jemand helfen, denn ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist. Und wir brauchen jemanden, der Lena im Auge behält.“ Ich sog scharf die Luft ein. Wollten sie mich jetzt überwachen und ausspionieren?

„Was soll das denn jetzt schon wieder?“, fragte Deliah, die offensichtlich genauso verwirrt war.

„Sie hat unseren Zauber manipuliert und uns angegriffen. Erst haut sie ab und ich muss ihre ganzen magischen Unfälle wieder korrigieren, und so dankt sie es uns?“

„Beruhig dich mal. Sie wusste doch nicht, was genau vor sich geht. Wenn sie mit uns gesprochen hätte, wüsste sie, warum wir gezwungen waren, William zu vernichten, und wäre sicher auf unserer Seite gewesen.“

„Meinst du? Ich bin da nicht so sicher.“

„Und ob. Sie versteht es einfach nicht und hat von dieser…Malu die falschen Informationen bekommen. Das ist alles. Ich werde versuchen, mit ihr zu reden, und dann brauchen wir uns um sie keine Sorgen mehr machen.“

„Ich hoffe, du hast recht.“ Ich hörte Dina im Zimmer auf und ab gehen.

„Was soll sie denn schon anstellen? Sie ist, kurz nachdem ihre erste Magie aufgetreten ist, hier abgehauen. Sie hat nicht mal eine Ausbildung, also kann sie ihre Kräfte nicht gezielt gegen uns richten.“

„Das sah gestern aber ganz anders aus.“ Dina blieb wieder stehen. „Ich werde mich jetzt um alles kümmern. Bis Oma wieder wach wird, bist du unser Oberhaupt, so verlangen es die Hexenregeln. Es sei denn, du möchtest den Zirkel verlassen.“

„Nein, nein“, erwiderte Deliah eilig.

„Gut. Dann weißt du, wie es weitergeht. Während ich die anderen zusammenrufe und Celina an der WVU ist, könntest du nach Oma schauen und vielleicht unsere Kräutervorräte auffüllen. Ich habe so ein Gefühl, dass wir davon noch einige brauchen werden.“

Ich richtete mich auf und entfernte mein magisches Ohr. Für heute hatte ich genug gehört. Es wurde Zeit, dass ich hier wegkam, bevor mich noch jemand entdeckte. Wie gut, dass Dina nicht damit rechnete, belauscht zu werden. So hatte sie keinen entsprechenden Zauber gewirkt, aber ich wollte mein Glück nicht herausfordern. Einige Schritte vom Haus entfernt holte ich meinen Besen hervor und verschwand eilig in denWolken.

Malu

Nachdem ich endlich alle meine Sachen verstaut und Mareike sich verabschiedet hatte, sank ich erschöpft auf mein Bett. Meine Oma hatte ich vor ein paar Stunden angerufen und ihr Bescheid gegeben. Die restlichen Sachen, die noch in ihrem Haus waren, würde ich morgen holen. Ich atmete tief durch und wartete auf das Gefühl der Befreiung, aber es kam nicht. Endlich aus dem Zimmer raus zu sein, Celina nicht mehr ansehen und dabei vor Augen haben zu müssen, wie sie William gefoltert hatte, reichte nicht aus. Ich spürte nichts weiter als Leere in mir. William war fort und alle Zeichen deuteten darauf hin, dass der Zauber trotz allem Erfolg gehabt hatte. Er war endgültig tot, nicht länger nur verflucht, und ich würde ihn nie wiedersehen. Ein unbändiger Schmerz breitete sich in meinem Inneren aus und ich schluckte schwer, spürte eine Schwere auf meiner Brust, als könnte ich nicht atmen und bekäme keine Luft. Eine Träne löste sich aus meinemAugenwinkel und ich begann erst jetzt – vierundzwanzig Stunden später – zu realisieren, was wirklich passiert war. Stetig nahm der Strom an Tränen zu und bald darauf strömten sie mir über die Wangen, während in meinem Kopf eine Art Film ablief, von den wenig schönen Momenten, die William und ich gehabt hatten.

Unser Kennenlernen wirkte mittlerweile nicht mehr so gruselig, die düsteren Momente waren von den schönen, leichten ersetzt worden, fast wie in einer Romantikkomödie. Es zeigte mir im Nachhinein, dass wir füreinander bestimmt waren, denn sonst hätte ich der Kälte des Fluches niemals widerstehen können. Ich drückte meinen Kopf noch tiefer in die Kissen, nicht in der Lage, den Tränenstrom zu stoppen, und trauerte um ein Leben, das ich hätte führen können.

Am nächsten Morgen wurde ich von blendendem Sonnenlicht geweckt. Mürrisch zog ich mir ein Kissen ins Gesicht und blieb liegen. Die Nacht war viel zu kurz gewesen, weil Mareike mich zur Arbeit begleitet und ich bis zur Schließung des Cafés dort ausgeharrt hatte. Weitere Sonnenstrahlen fielen auf mein Bett und blendeten mich, als ich den Kopf zur Decke drehte und das Kissen zu Boden fiel. Wir hatten November, da war es kalt, grau und regnerisch. Am liebsten wollte ich mich den ganzen Tag im Bett verkriechen, um dieser Folter eines wunderschönen Tages zu entgehen, der so gar nicht zu meiner Stimmung passte, aber meine menschlichen Bedürfnisse zwangen mich dazu, mein Bett doch zu verlassen.