Gitta, der kleine Star - Abenteuer beim Film - Marie Louise Fischer - E-Book

Gitta, der kleine Star - Abenteuer beim Film E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Gitta ist ein Schulmädchen, so wie unzählig viele im Land. Gitta aber hat einen großen Traum, sie möchte in einem Film eine Rolle spielen. Ein bisschen ungeduldig wird sie, was die Erfüllung ihres Traumes angeht. Wie kann sie zum Film kommen, wie einen Filmregisseur kennenlernen, der sie entdeckt? Hoffnungslosigkeit beginnt, sich in ihr breitzumachen. Doch dann stellen sich Zufälle ein und es kommen Menschen hinzu, die Gitta in dieser Hinsicht zu helfen vermögen. Ist sie jetzt am Ziel ihrer Träume?-

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Marie Louise Fischer

Gitta, der kleine Star - Abenteuer beim Film

Illustrationen von Monika Schenk

SAGA Egmont

Gitta, der kleine Star - Abenteuer beim Film

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1978 by Heyne Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719787

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Schornsteinfeger bringen Glück

Es war ein Samstagnachmittag. Die Sonne lachte, und der Himmel war strahlend blau, als die drei Schwestern Gitta, Susy und Regine aus der Schule nach Hause kamen.

Der Vater war in der Küche, er hatte das Mittagessen gekocht. Er setzte gerade den Reisauflauf auf eine große Schüssel. Gitta nahm ihm die Schüssel ab und trug sie vorsichtig vor sich her ins Wohnzimmer. Schnuppernd folgte Susy.

Gitta legte los: »Dies ist ein Kunststück – nein, ein Kunstwerk. Und Vati ist ein Küchenchef! Guten Tag, liebe Mutti!« Sie lief zu der Mutter und gab ihr einen Kuß auf die Wange.

Die Mutter sah ein wenig erschöpft aus – es fiel ihr immer wieder schwer, sich sofort vom Büro auf die Familie umzustellen. Als aber auch Regine mit ausgebreiteten Armen auf sie zustrebte, entspannte sich Mutters Gesicht. Sie küßte ihre Jüngste zärtlich auf den Mund. Dann wandte sie sich zu Gitta: »Hast du den Boden so schön gebohnert?«

»Nein, der Vati!« antwortete Susy vorlaut. »Prima! Ganz groß!«

Die Mutter wandte sich um und sagte ein wenig vorwurfsvoll: »Aber Vati! Wie oft habe ich schon gesagt, das ist doch nicht nötig. Du sollst nicht …«

»Mutti!« unterbrach Susy, »du freust dich ja doch! Und wenn man sich freut, soll man nicht schimpfen!«

»Da hast du ausnahmsweise mal recht, Susy!« lachte die Mutter. »Ich freue mich wirklich, daß ich so eine tüchtige Familie habe!«

Der Reisauflauf wurde ausgeteilt. Es schmeckte herrlich.

Susy seufzte vor Behagen: »Davon kann ich einen Berg essen.«

Jetzt wollte die Mutter wissen, wie es in der Schule gewesen war. »Schön!« riefen Susy und Gitta.

»Und bei dir, Regine?«

Regine druckste nachdenklich: »Ich weiß nicht …«

»Na, so was!« stellte der Vater fest, »du kommst doch gerade aus der Schule!«

»Ich? … Ich habe es vergessen …«, flüsterte Regine.

»Dann denk doch nach! Was habt ihr gelernt? Was hat die Lehrerin gesagt?«

Alle sahen, wie Regine angestrengt nachgrübelte. Plötzlich erhellte sich ihr Gesichtchen: »Ich weiß schon! Unser Fräulein hat gefragt, wohin wir in den Ferien fahren!«

»Ja, warum verreisen wir denn eigentlich nie in den Ferien?« rief Susy ungeduldig dazwischen.

Gitta gab der Schwester unter dem Tisch einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein. Susy brüllte: »Du! – du tust mir weh!«

»Benehmt euch«, mahnte der Vater.

»Gitta hat mich getreten!« petzte Susy empört. »Mit aller Wucht!«

»Weil du so blöd fragst, warum wir in den Ferien nicht verreisen …«

»Na ja – die anderen Kinder verreisen ja auch – nur wir nicht!«

Jetzt war es Gitta zu dumm: »Du bist auch zu dämlich! Wie können wir verreisen, wenn Mutti jeden Tag ins Büro muß?«

Susy ließ nicht locker. – »Warum verreisen wir nicht mit Vati allein, und Mutti fährt, wenn sie Urlaub hat?«

Regine flötete dazwischen: »Ohne Mutti mag ich nicht verreisen!«

»Aber Susy«, rief die Mutter, »du bist schon ein großes Mädchen und weißt auch, daß in die Ferien reisen viel Geld kostet! Und das haben wir eben nicht.«

»Ja – aber alle anderen Kinder verreisen auch«, beharrte Susy.

»Ja, aber die Väter von den anderen Kindern haben auch eine feste Stellung«, warf der Vater ein. Er sah traurig aus.

»Warum hast du keine feste Stellung, Vati?« fragte Susy.

Gitta starrte Susy an: »Du bist zu blöd! Das tut ja schon weh, so blöd bist du!«

Der Vater nickte Gitta beruhigend zu. »Susy hat recht, wenn sie fragt! Ihr wißt – ich bin Buchhalter, ja?«

»Ja«, wiederholte Susy.

»Und ihr wißt auch, daß die Firma, bei der ich gearbeitet habe, vor zwei Jahren verkauft worden ist und daß ich seither keine neue Arbeit gefunden habe.«

»Ja.«

»Und da glauben eben viele Chefs, ich hätte alles verlernt, und – daß ich auch zu alt wäre!«

»Du hast doch gar nichts verlernt, Vati? Du kannst doch sogar mir bei den Schulaufgaben helfen?«

»Natürlich habe ich nichts verlernt!« antwortete lachend der Vater. »Was man einmal gelernt hat, verlernt man nicht! Das ist genauso wie mit dem Schwimmen! Wenn man als Kind schwimmen gelernt hat und als alter Mann ins Wasser geworfen wird, kann man immer noch schwimmen …«

Susy protestierte empört: »Und alt bist du überhaupt nicht, Vati! Warum kriegst du dann keine Stellung! Das verstehe ich nicht!«

»Natürlich kannst du das nicht verstehen«, sagte die Mutter, »dazu bist du noch zu klein!«

»So klein bin ich auch nicht …«, murmelte Susy beleidigt.

Die Mutter strich dem Vater, der ganz still geworden war, einmal schnell und zärtlich über die Hand. Dann drehte sie sich zu Susy um: »Hör auf, Susy, das verstehst du wirklich noch nicht.«

Gitta griff nach des Vaters anderer Hand. »Sei nicht traurig, Vati, Susy ist leider ein bißchen dämlich!«

»Dämlich? Du selber bist dämlich«, gab Susy zurück.

»Kann ich noch was von dem Reisauflauf haben, Vati?«

»Gib nur deinen Teller.«

Susy stopfte sich den Mund voll und machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann sagte sie plötzlich: »Eigentlich ist es doch sehr gut, daß Vati keine feste Stellung hat!«

»Jetzt hör doch schon auf damit!« schalt Gitta.

Susy ließ nicht locker: »Wirklich – stellt euch bloß vor, Vati wäre den ganzen Tag im Büro, wie die anderen Väter … Wir würden nie so gutes Essen bekommen!«

Die Mutter stand lächelnd auf: »Du glaubst wohl, ich kann nicht kochen, was?«

»So gut wie Vati … bestimmt nicht! Bitte nicht böse sein, Mutti, aber so gut wie Vati kannst du bestimmt nicht kochen.« –

Nach dem Essen spülte Gitta das Geschirr, Susy trocknete ab, Regine mußte ihre Aufgaben immer gleich machen, wenn sie aus der Schule kam, denn sonst vergaß sie alles.

Erleichtert polterten sie alle drei eine Stunde später die Treppe hinunter: die Schularbeiten waren fertig, die Küche war blitzblank. Regine hatte ihren Stoffhund, Susy ihre Murmeln und Gitta das Skateboard mitgenommen. Gitta warf einen Blick auf die zwei Kleinen, und als sie sah, daß die beiden friedlich mit den anderen Kindern spielten, rollte sie den Häuserblock hinunter bis an die Ecke zum kleinen Kino.

Gitta lief in elegantem Bogen und landete vor Herrn Reitmeier, seines Zeichens Kinobesitzer. Die erste Nachmittagsvorstellung hatte schon begonnen, Herr Reitmeier stand vor dem Portal und ließ sich die Sonne auf den Kopf scheinen.

»Hallo, Gitta!« rief er.

»Guten Tag, Herr Reitmeier«, grüßte Gitta.

»Du kommst ja überhaupt nicht mehr ins Kino, Gitta! Was ist los?«

»Ich spare Herr Reitmeier.«

»Du willst wohl Millionärin werden was? Wieviel hast du denn schon zusammen?«

»Zwanzig Mark.«

»Na, das ist immerhin schon ein Anfang.«

Gitta fuhr in kleinen Bogen vor Herrn Reitmeier hin und her. »Herr Reitmeier«, fragte sie und stoppte, »wissen Sie nicht, wie man sehr schnell viel Geld verdienen kann?«

»Gitta, wenn man das so genau wüßte, gäbe es keine armen Leute mehr auf der Welt!«

»Schade«, bedauerte Gitta, »ich dachte bestimmt, Sie wüßten es!«

»Wieso gerade ich?«

»Weil Sie reich sind! Sie haben doch ein Kino!«

Herr Reitmeier lachte. »Ein Kino habe ich, aber reich bin ich deshalb nicht. Wozu brauchst du denn so viel Geld?«

»Damit Mutti, Vati, Regine, Susy und ich in den großen Ferien verreisen können!«

»Aber zu Hause habt ihr es doch auch schön! Nicht?«

»O ja«, sagte Gitta, »sehr schön ist es sogar bei uns zu Hause. – Aber verreisen ist doch etwas anderes!«

»Deswegen würde ich nicht traurig sein, Gitta«, beschwichtigte Herr Reitmeier. »Wenn du groß bist, wirst du noch viel verreisen, soviel, daß du es gar nicht mehr magst!«

Gitta war zu den Schaukästen hingerollt. Die Fotografien zeigten schöne Frauen in langen Kleidern mit bloßen Schultern; um den Hals trugen sie glitzernde Ketten mit großen Steinen. Ein gut aussehender junger Mann in weißen Jeans und hohen Stiefeln stand lässig daneben und zeigte lächelnd seine schimmernden Zähne.

»Verdienen Filmschauspielerinnen sehr viel Geld?« fragte Gitta.

»Glaub’ schon!«

»Ich möchte auch Filmschauspielerin werden!«

»Das ist eine gute Idee«, Herr Reitmeier lachte. »Gitta, der große Filmstar.«

»Wie wird man denn Filmschauspielerin, Herr Reitmeier?«

»Erstens muß man hübsch sein …«

»Bin ich hübsch, Herr Reitmeier?«

»Hm, ja, ich glaube, es würde genügen.«

»Und dann …?«

»Dann muß man begabt sein …«

»Wann ist man begabt?«

»Man muß halt schauspielern können, verstehst du?«

»Beim Gedichtaufsagen bin ich die Beste in der ganzen Klasse … Ist das begabt?«

»Ich glaube schon …«

»Also! Hübsch muß man sein und Gedichte muß man aufsagen – und was noch?«

»Dann muß man in einer Schauspielschule vor allem lernen, …«

»Was muß man dort lernen?«

»Weinen und Lachen … und so tun, als ob man jemanden gerne mag und all das …«

»Das kann ich alles, Herr Reitmeier! Ich kann weinen und lachen. Und so tun, als ob ich jemanden gern hätte, kann ich auch …«

»Man muß auch sprechen lernen …«

Gitta lachte. »Jetzt machen Sie aber Spaß, Herr Reitmeier … sprechen kann doch jeder!«

»Ja, so sprechen, wie wir beide, kann jeder. Aber richtig und schön sprechen, das ist etwas anderes!«

»Die Filmschauspieler sprechen genau wie wir … da habe ich schon aufgepaßt! Ich kann das alles ganz genauso, ganz bestimmt! Da brauche ich nichts zu lerrien!«

»Das ist ja schön. Wenn dann ein Film kommt, in dem du die Hauptrolle spielst, werde ich ihn bestimmt in meinem Kino aufführen. Das verspreche ich dir!«

Gitta seufzte: »Deshalb frage ich ja … wie komme ich zu einer Hauptrolle im Film? Die Leute vom Film wissen ja nicht, daß ich alles kann!«

»Du mußt dich halt entdecken lassen!« riet Herr Reitmeier.

»Entdecken? Wie macht man das?«

»Paß auf! Wenn du einen Filmregisseur triffst …«

»Was ist ein Filmregisseur?«

»Das ist der Mann beim Film, der den Schauspielern sagt, wie sie spielen sollen …«

»Aha!«

»Wenn du einen Filmregisseur triffst …«

»Ich habe noch nie einen Filmregisseur getroffen, Herr Reitmeier! Wo trifft man einen?«

»Die Filmregisseure kann man überall treffen! Nehmen wir mal an, du sitzt in einem Café …«

»Ich sitze aber nie in einem Café …«

»Also, du gehst über die Straße. Und da kommt dir ein Filmregisseur entgegen, der sucht gerade eine Schauspielerin für eine Rolle … Er sieht dich und sagt: ›Das ist die Richtige!«

»Mutti und Vati haben gesagt, ich darf mich von fremden Leuten nicht ansprechen lassen!«

»Sehr richtig – das tut man natürlich auch nicht! Du sagst dann: ›Ich wohne da und da, sprechen Sie mit meinen Eltern!«

»Ja! So werde ich’s machen.«

»Na, siehst du!«

»Bloß … Ich bin noch nie einem Filmregisseur begegnet!«

»Doch – doch – du hast es bloß nicht gemerkt! Filmregisseure sind genauso wie gewöhnliche Menschen, wie du und ich!«

»Wirklich?«

»Bestimmt!«

Plötzlich zeigte Gitta verstohlen auf einen Herrn im hellen Regenmantel, der sich die Bilder in den Schaukästen ansah. »Ist das ein Filmregisseur?« flüsterte sie.

»Warum nicht?« lachte Herr Reitmeier.

»Da will ich ihn gleich fragen!« Gitta stieß sich ab und rollte zu dem Herrn vor dem Schaukasten hin. Sie versuchte einen eleganten Bogen zu machen, aber er mißlang. Sie fiel lang hin. Schnell richtete sie sich wieder auf.

»Entschuldigen Sie bitte, ich wollte nur fragen, sind Sie vielleicht ein Filmregisseur?«

»Ein … was?«

»Ein Filmregisseur! Einer, der den Schauspielern sagt, wie sie spielen sollen!«

»Ach so! Du möchtest gern zum Film?«

»Ja! Sehr gern und schnell.«

»Das tut mir aber leid! Ich bin leider kein Filmregisseur.«

»Nicht?«

»Nein. Ich bin Schornsteinfeger!«

Gitta staunte:»Schornsteinfeger?! Das glaube ich Ihnen nicht!«

»Aha! Du denkst, Schornsteinfeger müßten immer schwarz und schmutzig sein, was?«

»Ja. Ich habe noch nie einen Schornsteinfeger in einem hellen Mantel gesehen. Damit können Sie doch nicht die Schornsteine fegen!«

»Wenn ich arbeite, ziehe ich natürlich mein schwarzes Zeug an. Aber heute arbeite ich nicht!«

»Ach so.«

»Wenn ein Schornsteinfeger freie Zeit hat, sieht er genauso aus wie alle anderen Menschen!«

»Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«

»Siehst du, nun hast du wieder was dazugelernt. Wenn ich auch kein Filmregisseur bin!«

»Schade!«

»Sei nicht traurig, du weißt doch … Schornsteinfeger, auch wenn sie nicht schwarz sind, bringen Glück!«

»Werden Sie mir Glück bringen?«

»Ganz bestimmt! Paß nur auf, es dauert nicht mehr lange, und du findest deinen Filmregisseur!«

Das Abenteuer beginnt

Montag nachmittag gingen Gitta, Susy und Regine, nachdem sie zu Mittag gegessen und die Schularbeiten gemacht hatten, auf die Straße. Der Vater mußte eine Besorgung machen.

Die Mutter hängte Gitta die Haustür- und Wohnungsschlüssel an einer Kordel um den Hals.

Als Gitta am Kino vorbeikam, rief Herr Reitmeier von weitem: »Hallo, Gitta!« Gitta lief zu ihm hin. Manchmal durfte sie Briefe für ihn zur Post tragen.

Aber heute hatte Herr Reitmeier etwas ganz anderes im Sinn. Er zog eine zusammengefaltete Zeitung aus der Tasehe: »Hier … Gitta … lies das!« Er deutete auf einen kleinen Artikel, den er rot angestrichen hatte.

»Über dreihundert Vorschläge sind für die Besetzung der weiblichen Kinderrolle in dem Film ›Der schwarze Christian« bei der corona Film GmbH eingegangen. Die Fotografien wurden sorgfältig geprüft. Zwanzig der kleinen Anwärterinnen sind zu Probeaufnahmen in das Filmatelier bestellt worden.«

»Das wäre was für dich gewesen!« schmunzelte Herr Reitmeier.

»Darf ich das noch einmal lesen?« bat Gitta ganz aufgeregt. Sie las die Notiz ein zweites und schließlich ein drittes Mal von vorne bis hinten. »Was für ein Kind wird denn gesucht?« fragte Gitta mit brennendem Interesse.

»Ein blondes Mädchen von ungefähr zehn Jahren.«

»Zehn Jahre bin ich!« überlegte Gitta laut, »und blond bin ich auch!«

»Ja!« Herr Reitmeier überließ Gitta die Zeitung. »Das wäre etwas für dich gewesen!«

»Ist es schon zu spät?«

»Leider. Da steht es ja schwarz auf weiß: ›Die Vorschläge sind geprüft – und zwanzig kleine Mädchen für die Probeaufnahmen sind ausgesucht worden!««

»Wer hat denn die Vorschläge und Fotografien eingeschickt?«

»Die Eltern sicher – oder auch die Lehrer. Das weiß ich auch nicht so genau!«

»Vielleicht auch die kleinen Mädchen selber?«

»Das glaube ich kaum! Die Aufforderung hat ja nur in einer Fachzeitschrift gestanden. Und diese Zeitung lesen nur Leute, die mit dem Film zu tun haben!«

»Das ist aber doch nicht richtig«, protestierte Gitta, »so etwas gehört doch in eine Kinderzeitung!«

»Haha! Was glaubst du, wieviel kleine Mädchen sich dann gemeldet hätten?«

Gitta dachte einen Augenblick nach. Dann lachte sie: »Wahrscheinlich alle!«

»Na, siehst du! Und alle sind zuviel!«

»Schade!« Gitta trat vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. »Aber … hätten Sie mich nicht vorschlagen können, Herr Reitmeier?«

»Doch, das hätte ich«, gab Herr Reitmeier zu, »aber ich wußte damals noch nicht, daß du Filmschauspielerin werden willst. Und man muß ja auch die Fotografien einschicken!«

»Oh! Fotografien habe ich viele!« rief Gitta. »Vati fotografiert ja sehr viel. Fotografien habe ich genug!«

»Gut, Gitta!« Herr Reitmeier betrachtete seine kleine Freundin. »Das nächste Mal, wenn so was in der Zeitung steht – werde ich bestimmt an dich denken.«

Gitta hatte die Zeitung noch immer in der Hand. »Wo ist denn das Filmatelier?«

»Vor der Stadt … In der Gasteige … Weißt du das nicht?«

»Wie kommt man nach der Gasteige?«

»Mit der Straßenbahn … Die Linie sechsundzwanzig fährt direkt bis zum Eingang.«

»Hm!« Gitta überlegte und drehte sich auf dem Schuhabsatz: »Was soll ich tun?«

»Du willst doch nicht etwa aufs Geratewohl nach der Gasteige fahren? Das hat keinen Sinn, Gitta. Du würdest überhaupt nicht hineingelassen werden.«

Gitta seufzte enttäuscht. »Schade.«

»Aber Gitta, du darfst nicht traurig sein! Hörst du? Ich habe dir das nur gezeigt, damit du siehst, daß du eines Tages auch vielleicht mal Glück haben kannst!«

Gitta lächelte tiefsinnig: »Ja … ja … ohne Glück soll man halt nicht auf der Welt sein! Auf Wiedersehen, Herr Reitmeier! Und: Danke schön!«

Gitta trabte nach Hause. Als sie vor der Haustür stand, war ihr Entschluß gefaßt.

Gitta öffnete im Schlafzimmer den Kleiderschrank. Sie nahm den neuen Jeansrock vom Bügel, der so gut zu ihrem roten Pullover paßte.

Schnell lief sie ins Badezimmer, wusch sich Gesicht und Hände – auch Hals und Ohren, obwohl sie ganz sauber waren. Aber sicher ist sicher. Dann warf sie einen Blick in den Spiegel. Sie war mit ihrem Aussehen sehr zufrieden. Dann suchte sie ihr Geldtäschchen, das sie im hintersten Winkel ihrer Spielecke versteckt hatte, damit sie selber nicht daranging. Es enthielt ihr erspartes Geld. Den ganzen Inhalt schüttete Gitta vor sich auf den Tisch. Es waren genau zwanzig Mark. Sie tat noch die Schlüssel mit der Kordel hinein.

Gitta ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloß fallen. An der Haustür blieb sie stehen und schaute nach allen Seiten, doch weder Susy noch Regine waren zu erblicken. Das war gut so. Gitta wollte nicht gefragt und auch nicht aufgehalten werden. Sie hatte es sehr eilig.

So schnell sie konnte, lief Gitta zum Laubplatz, dort blieb sie vor einem großen eleganten Friseurladen stehen. »Damen- und Herren-Frisier-Salon – Parfümerie«, war da zu lesen. Entschlossen öffnete Gitta die Glastür. – Es klingelte. Gitta wollte schon wieder zurück. Aber eine Stimme sagte: »Guten Tag, gnädige Frau.«

Oh, wie fein war alles hier! Schöne, weiche Teppiche lagen auf dem Boden. Und wie gut es roch!

Hinter einem Ladentisch – er war ganz aus Glas – stand eine schöne Dame. Gitta faßte sich ein Herz und ging auf die Dame zu. »Bitte … könnte ich wohl … Ich möchte meine Haare schneiden lassen.«

»Bitte!« Die Dame kam hinter dem Ladentisch hervor und schob Gitta durch einen seidenen Vorhang. »Herr Leimer!« Aus einer Kabine, vor der auch ein seidener Vorhang hing, kam ein junger Mann in weißem Mantel.

»Bitte sehr – womit kann ich dienen?«

»Bitte, wollen Sie diesem kleinen Fräulein die Haare schneiden?«

Herr Leimer machte eine einladende Handbewegung: »Bitte sehr … Hier ist eine freie Kabine, mein Fräulein.«

Gitta trat in die Kabine und setzte sich in einen Sessel. Sie versank in dem Sessel und kam sich sehr klein vor. In einem riesengroßen Spiegel konnte sie alles sehen – sich selber, den Herrn Leimer, der ihr langes Haar kämmte, bis es locker: war.

»Wie kurz möchte das Fräulein das Haar tragen?« fragte der Friseur. Herr Leimer hielt eine gewaltige, blitzende Schere in der Hand. Er drückte die Schere an das Haar. »So … vielleicht? So …?« machte er und schnitt mit der Schere schnipp-schnapp in die Luft hinein. Gitta bekam einen furchtbaren Schreck und Wurde ganz blaß.

Voll Entsetzen rief sie: »Nein! Nein!« rutschte vom Sessel herunter und – rannte durch den Vorhang und durch den Laden – hinaus auf die Straße. Herr Leimer schaute ihr verblüfft nach. Noch auf der Straße lief Gitta im Galopp weiter. Sie fürchtete, Herr Leimer wäre mit der Schere hinter ihr her. Sie lief und lief, bis sie außer Atem stehenblieb und verschnaufte.

Warum war sie weggelaufen? Sie hatte es doch nicht über sich gebracht, das schöne lange Haar, auf das ihr Vater so stolz war, abschneiden zu lassen. Vati wäre bestimmt sehr traurig gewesen.

Gitta kämmte sich mit den Fingern die Haare und band sie im Nacken zusammen. Bald sah sie genauso aus wie vor ihrem Besuch beim Friseur.