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**Zwischen uns brennt ein Feuer** Tag für Tag muss Aeryn als Gladiatorin in der Arena kämpfen und die Gunst der Zuschauer gewinnen. Denn nur so kann sie als versklavte Vantyr, deren Feuermagie versiegelt wurde, in der Fremde überleben. Was ihr bleibt, ist ihr lodernder Stolz und ihr unbändiger Wunsch nach Freiheit. Um nie wieder einen blutigen Kampf bestreiten zu müssen, fasst Aeryn schließlich einen schier unmöglichen Plan, bereit, sogar ihr eigenes Leben zu opfern. Aber ausgerechnet Cato, der Leibwächter eines Arenabetreibers des Landes, bringt ihr zielstrebiges Herz ins Stolpern. Mit ihrem einzigartigen, romantischen Fantasyroman konnte Asuka Lionera so viele Leser*innen begeistern, dass »Gladiator's Love« direkt nach Erscheinen zum SPIEGEL-Besteller wurde. Persönliche Leseempfehlungen: »Mit ›Gladiator's Love‹ ist es Asuka Lionera gelungen, eine Geschichte zu erschaffen, die in der Welt der romantischen Fantasy ihresgleichen sucht. Ein absolutes Lesehighlight mit Herzklopfgarantie!« (Beril von @berilria.books) »Dieses Buch steckt voller unbeschreiblicher Emotionen, Leidenschaft & Nervenkitzel in geballter Form und diese komplexe Welt mit ihren einzigartigen Charakteren hat mich nicht mehr losgelassen. Seite für Seite eine Achterbahnfahrt der Gefühle und die perfekte Mischung aus Magie, Spannung und Liebe.« (Yvonne von @book_lovely29) Sei bereit, alles für die Liebe und Freiheit zu riskieren. //»Gladiator's Love. Vom Feuer gezeichnet« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
ImpressDie Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Asuka Lionera
Gladiator’s Love. Vom Feuer gezeichnet
**Zwischen uns brennt ein Feuer**
Tag für Tag muss Aeryn als Gladiatorin in der Arena kämpfen und die Gunst der Zuschauer gewinnen. Denn nur so kann sie als versklavte Vantyr, deren Feuermagie versiegelt wurde, in der Fremde überleben. Was ihr bleibt, ist ihr lodernder Stolz und ihr unbändiger Wunsch nach Freiheit. Um nie wieder einen blutigen Kampf bestreiten zu müssen, fasst Aeryn schließlich einen schier unmöglichen Plan, bereit, sogar ihr eigenes Leben zu opfern. Aber ausgerechnet Cato, der Leibwächter eines Arenabetreibers des Landes, bringt ihr zielstrebiges Herz ins Stolpern.
WOHIN SOLL ES GEHEN?
Buch lesen
Vorbemerkung
Vita
Danksagung
© rini
Asuka Lionera wurde 1987 in einer thüringischen Kleinstadt geboren und begann als Jugendliche nicht nur Fan-Fiction zu ihren Lieblingsserien zu schreiben, sondern entwickelte auch kleine RPG-Spiele für den PC. Ihre Leidenschaft machte sie nach ein paar Umwegen zu ihrem Beruf und ist heute eine erfolgreiche Autorin, die mit ihrem Mann und ihren vierbeinigen Kindern in einem kleinen Dorf in Hessen wohnt, das mehr Kühe als Einwohner hat.
VORBEMERKUNG
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Asuka Lionera und das Impress-Team
Für all jene, deren Seele zu warm für diese kalte Welt ist.
A E R Y N
»Dachtest du wirklich, du könntest mich besiegen?«, tönt Marcellus, mein heutiger Gegner, bevor er neben mir ausspuckt. »Ich habe schon ganz andere als dich auseinandergenommen. Dich werde ich ebenfalls zerquetschen!«
Ich war unachtsam. Anders kann ich mir nicht erklären, wie es ihm gelungen ist, mich zu überrumpeln.
Heute ist kein guter Tag. Das habe ich schon gemerkt, als ich den ersten Schritt in die Arena gesetzt habe. Das Blut in meinen Adern kribbelt und brennt. Das wird böse enden, wenn ich diesen Kampf nicht so schnell wie möglich hinter mich bringe. Doch offenbar habe ich meinen heutigen Gegner unterschätzt.
Ich springe zurück auf die Füße. »Versuchs doch«, zische ich, als ich einem weiteren seiner Schwerthiebe ausweiche.
Unbarmherzig brennt die Mittagssonne des etureischen Reiches auf mich herab. Jeder meiner Atemzüge ist erfüllt von Staub und Hitze, doch ich ringe nach Luft, ganz gleich wie sehr es in meinem Hals kratzt.
Mit dem linken Arm halte ich den hölzernen Schild vor mich, der etwa halb so groß ist wie ich, um einen Angriff meines Gegners zu parieren. Ich fühle den Aufprall seines Schwerts gegen meinen Schild bis hinauf in die Schulter, aber ich weiche keinen Schritt zurück.
Zurückzuweichen bedeutet Schwäche. Schwäche bedeutet Tod.
Und ich werde weder heute noch morgen oder übermorgen in dieser verdammten Arena sterben.
Die Finger meiner rechten Hand umklammern den rauen Schwertgriff so fest, dass es beinahe wehtut. So gut es geht, versuche ich das heiße Blubbern in meinen Adern zu ignorieren. Es ist ausgeprägter als gewöhnlich, doch ich darf nicht zulassen, dass es die Oberhand gewinnt.
Erneut lässt mein Gegner einen Schwerthieb auf meinen Schild niedergehen. Die Menge um uns herum stöhnt gelangweilt und erschrocken gleichermaßen auf. Ich kann nie sagen, ob sie sich darüber freut, dass mir nichts geschehen ist, oder danach lechzt, mich blutüberströmt im Staub der Arena liegen zu sehen.
Als Marcellus den Arm für eine weitere Attacke hebt, lasse ich den Schild sinken, tauche unter seinem schlecht ausgeführten Hieb hindurch und mache einen Schritt zur Seite. Nun habe ich alle Zeit der Welt, seine ungeschützte Flanke anzugreifen.
Noch vor wenigen Stunden rumorte ein ungutes Gefühl in meinen Eingeweiden, als ich auf die Tafel blickte, an der die heutigen Kampf-Paare angekündigt wurden. Marcellus ist ein Koloss von einem Mann und fast doppelt so breit wie ich. Er ist ein Etureer, der jedoch unehrenhaft aus dem Heer entlassen wurde und seitdem sein Glück als Gladiator versucht. Bisher hat er sich außergewöhnlich gut geschlagen; ich habe einige seiner Kämpfe gesehen. Mehrmals durchschlug er die Schilde seiner Kontrahenten oder überrollte sie schlicht mit seiner Größe und Kraft.
Doch all diese Muskeln und die Körpergröße haben einen Preis: Seine Angriffe mögen so kraftvoll sein, dass mir beinahe die Schulter birst, aber Marcellus benötigt mehr Zeit, um seine Muskelberge zu bewegen. Zeit, die ich nutzen kann, ihm auszuweichen und anzugreifen, wenn seine Deckung unten ist.
Mir gelingt ein Schwertstreich unterhalb seiner Rippen, der ihn vor Schmerzen aufheulen und die Menge um uns herum vor perfider Freude jubeln lässt.
Ich liebe ihr Jubeln genauso sehr, wie ich es verabscheue.
Es vibriert in mir, bringt mein Blut dazu, noch schneller zu pulsieren. Schneller und immer schneller, bis ich das Gefühl habe, nicht mehr Herr über meinen Körper zu sein. Bis ich nur noch handele, statt nachzudenken.
Die Kämpfe, in denen das passiert, sind die schlimmsten, denn sie versetzen mich in einen Rausch, bis ich mich selbst nicht mehr erkenne, und sie enden immer in einem Blutbad.
Ich stehe kurz davor, mich ein weiteres Mal diesem Rausch hinzugeben. Etwas lockt mich. Etwas, was schon viel zu lange in mir eingesperrt ist. Es lodert in mir, wie ein nie versiegendes Feuer.
Und es ist genauso zerstörerisch.
Als ich erneut das Schwert hebe, um einen weiteren Hieb auszuführen, rammt Marcellus mir mit voller Wucht seinen Schild gegen die linke Seite. Ich werde zurückgeschleudert. Als ich hart im Staub der Arena lande, wird mir sämtliche Luft aus den Lungen gepresst. Unzählige Steinchen kratzen über meine Haut, die zum größten Teil unbedeckt ist.
Meine Seite pulsiert vor Schmerzen, doch ich rappele mich so weit auf, dass ich zu meinem Schild kriechen kann. Er liegt einige Meter entfernt, aber zum Glück habe ich das Schwert nicht losgelassen.
Ein Schatten fällt auf mich, und bevor ich reagieren kann, tritt mir Marcellus in den Bauch. Ich gebe ein Röcheln von mir, ehe ich wieder zurück in den Staub falle.
Obwohl jede Bewegung wehtut, zwinge ich mich zurück auf die Füße, um keinen erneuten Treffer zu erleiden – schneller diesmal, sodass sein erneuter Angriff ins Leere läuft.
Marcellus keucht vor Anstrengung und der ganze Schweiß auf seinem Gesicht und der Brust rührt garantiert nicht von der glühenden Hitze. Ich muss ihm nur noch ein paarmal ausweichen, bis er erschöpft zu Boden sinken wird. Diese Taktik hat sich schon bei vielen Gegnern seines Kalibers bewährt, auch bei denen, die von Kopf bis Fuß gepanzert waren.
Seinen nächsten Hieb pariere ich und bin überrascht über die Kraft, die er noch hat. Schnell stelle ich einen Fuß zurück, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während er die Klinge gegen meine drückt und sein Gesicht nur ein Stück von meinem entfernt ist.
»Es wird mir Ehre einbringen, eine Vantyr besiegt zu haben«, knurrt Marcellus.
»Träum weiter!«, grolle ich und stoße ihn zurück.
Ich habe kaum genug Zeit, einen anderen Stand zu wählen, da geht er wieder auf mich los.
Ich komme nicht umhin, ihn für sein Durchhaltevermögen zu bewundern. In der Vergangenheit wurde ich Gegnern zugeteilt, die bereits nach einer Minute ihre Waffe von sich geworfen haben, weil sie nicht gegen mich antreten wollten.
Doch Marcellus lässt mehrmals sein Schwert auf mich niedersausen und ich habe Mühe, seine Angriffe weiter zu parieren. Ich weiche ihnen aus, lasse mich zurücktreiben und sehe Siegesgewissheit in seinem Blick aufglimmen.
Freu dich nicht zu früh, raune ich in Gedanken.
Endlich hat er mich so weit zurückgetrieben, dass ich an meinem verlorenen Schild angelangt bin. Seinen nächsten Hieb pariere ich und stoße ihn mit aller Kraft zur Seite, sodass Marcellus beinahe das Gleichgewicht verliert. Ich nutze die Sekunden, die er benötigt, um wieder einen sicheren Halt im heißen Arenasand zu finden, indem ich meinen Schild aufhebe und ihn um meinen linken Unterarm schnalle.
Die Siegessicherheit verschwindet aus seinem Blick und macht nackter Angst Platz, als ich ihn meinerseits zurücktreibe und ihm immer wieder kleinere, aber nicht minder schmerzhafte Schnitte an Armen, Händen und jedem Körperteil zufüge, den meine Klinge erreicht. Nach wenigen Minuten blutet Marcellus aus unzähligen Wunden, die zwar nicht bedrohlich sind, ihn aber, gemeinsam mit der Schnittwunde an der Seite, in seinen Bewegungen einschränken.
Nach einem weiteren Angriff zieht er seinen Schild zu langsam hoch, sodass ich ihm meinen gegen das Gesicht rammen kann. Vor Schmerzen aufheulend lässt er das Schwert fallen und presst die freie Hand gegen die Nase, aus der eine wahre Blutfontäne schießt.
Das Jubeln der Menge ist ohrenbetäubend, ehe es zu einem Singsang wird. Sie rufen meinen Namen, wieder und wieder.
»Aeryn! Aeryn! Aeryn!«
Ihre ekstatischen Rufe befeuern das Brennen in meinen Adern nur noch weiter, bis ich es kaum noch aushalte – ein fast vergessenes Gefühl längst vergangener Tage. Ich dränge es zurück, denn wenn ich mich ihm hingebe, werde nur ich lebend diese Arena verlassen. Und den Kampf habe ich auch so gewonnen.
Die Kämpfe von uns Gladiatoren dienen fast immer nur der Unterhaltung. Die Menge liebt es, wenn Blut fließt, aber zu Todesfällen kommt es selten. Meistens sind sie eigener Dummheit geschuldet. Oder der anwesende Senator ist der Meinung, dass Köpfe rollen sollen.
Das kam innerhalb der letzten fünf Jahre, die ich in der Arena kämpfen musste, bereits öfter vor. In Marcellus’ Sinn hoffe ich, dass sein Herr genügend Gold bezahlt hat, um den heute anwesenden Senator milde zu stimmen. Zeigt er am Ende unseres Kampfes mit dem Daumen nach unten, bleibt mir jedoch nichts anderes übrig, als Marcellus zu töten.
Flüchtig werfe ich einen Blick auf die Empore in den Zuschauerrängen, die mit einem bunten Baldachin überspannt ist. Von hier aus sehen diese feisten Politiker zwar alle gleich für mich aus, aber ich versuche trotzdem in der Miene des heutigen Senators zu erkennen, wie er sich entscheiden wird.
Mit einem Schwertstreich gegen sein Bein bringe ich Marcellus nun dazu, in die Knie zu sinken. Ich kicke seine Waffe außerhalb seiner Reichweite und setze ihm meine Klinge an den Hals, ehe ich wieder zu den Zuschauerrängen aufschaue.
Ich hoffe wirklich, dass der Senator Milde walten lässt. Es ist mir zuwider, andere Gladiatoren zu töten. Mir genügt es, sie im Staub vor mir knien zu sehen.
Der Senator streckt den Arm aus und belässt ihn für einen theatralischen Moment in dieser Geste, bis auch der letzte jubelnde Zuschauer verstummt und gespannt auf die Entscheidung des Staatsmannes harrt. Ich wünschte, er würde sich verdammt noch mal beeilen, damit ich mir endlich den Staub, das Blut und die roten Schlieren abwaschen kann, die meine Haut bei jedem Kampf zieren müssen. Und damit ich aus dieser verdammten Sonne herauskomme.
Mit jeder Sekunde des Wartens ebbt das brennende Gefühl in meinen Adern etwas mehr ab, verschwindet aber nicht gänzlich. Tage wie diese, an denen das Brodeln meiner einstigen Kraft nicht ganz versiegen will, machen mich rastlos. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass das Gefühl verschwindet, sobald ich die Arena hinter mir lassen kann.
Was hoffentlich bald ist.
Als ich schon drauf und dran bin, die Entscheidung für den Senator zu fällen, zeigt er mit dem Daumen nach oben und ich lasse von Marcellus ab.
Das Jubeln der Menge erfüllt die Arena und ich gebe mich, als badete ich darin, als es über mich brandet. Es hat mich viele Monate gekostet, den Zuschauern das vorzuspielen, was sie sehen wollen: eine siegreiche Gladiatorin, die sich für die Unterstützung aus den sicheren Rängen bedankt.
Durch meine Kämpfe und vor allem meine Siege habe ich mich zum Liebling des Volkes entwickelt. Eines Volkes, das ich mit jeder Faser meines Herzens verabscheue. Und doch bin ich abhängig von seiner Gunst und seinen Launen.
Marcellus nutzt den Augenblick, um besiegt aus der Arena zu schleichen. In ein paar Wochen wird das Los wieder auf uns beide fallen und wir werden uns erneut gegenüberstehen, denn heute haben wir der Menge einen guten Kampf geboten. Ich glaube jedoch nicht daran, dass der Ausgang des zukünftigen Kampfes ein anderer sein wird als heute. Ich hatte ausreichend Zeit, um seine Angriffsabläufe zu studieren.
Huldvoll verbeuge ich mich zu allen Seiten. Der Applaus und die Rufe meines Namens werden nicht leiser, dennoch bleibe ich nicht stehen, sondern eile auf einen der zahlreichen Ausgänge zu.
Als ich die Gänge unterhalb der Zuschauerränge betrete, schließt sich ein Gatter hinter mir und sogleich werde ich von zwei muskulösen Männern umringt, während ein dritter die Spitze seines Speers auf mich richtet, damit ich nicht auf dumme Gedanken komme. Ohne Widerstand reiche ich den Männern Schild und Schwert. Erst danach wird mir erlaubt weiterzugehen, wobei sich stets mindestens einer der Wärter hinter mir hält.
Ich kenne den Weg durch die verwinkelten Gänge. Die Zuschauer sehen nur die Wege, die zu den Rängen und wieder ins Freie führen, aber das Arenagelände hat viel mehr zu bieten. Neben Waffenräumen gibt es eine Vielzahl weiterer Zimmer: Baderäume, Zimmer für private Unterhaltungen und natürlich Zellen. Als eine der kostbarsten Gladiatorinnen, über die mein Herr und Arenabetreiber Graecus verfügt, muss ich mein Dasein zum Glück nicht in einer dieser Zellen fristen, bis mein Herr gedenkt, mich nach Hause zu holen.
Aus den noch tiefer gelegenen Ebenen dringt das wütende Brüllen gefangener Raubtiere empor. Ich bin froh, dass ich noch nie gegen eine dieser ausgehungerten Bestien antreten musste, denn sie wären ein zäherer Gegner als Marcellus.
Als hinter mir ein träges Klatschen ertönt, bleiben ich und mein stummer Bewacher stehen. Ich wende mich zu meinem Herrn um und neige den Kopf, wie er es von mir erwartet.
»Siegreich wie immer«, raunt er, während er näher kommt.
Graecus ist ein älterer Mann, schätzungsweise Ende fünfzig, von untersetzter Statur und mit einem unübersehbaren Bauchansatz. Als er vor mir steht, muss ich den Blick senken, um ihm in die Augen sehen zu können, da er mir nur bis zur Nase reicht. Wie immer ist er gewandet in erlesene Kleidung, die mit Goldfäden durchwirkt ist. Graecus liebt es, seinen Wohlstand nach außen hin zu zeigen und damit die Tatsache zu überspielen, dass ihm ein hochrangiger Posten in der Politik verwehrt blieb. Stattdessen betreibt er die größte und profitabelste Arena der Hauptstadt. Täglich finden Kämpfe in ihr statt, größere wie kleinere, die zu jeder Tageszeit gut besucht sind, denn die Etureer lieben diese blutige Zerstreuung mehr als alles andere.
Graecus’ Blick wandert über mich und bleibt eine Spur zu lange an der entblößten Haut auf meinem Bauch und den Beinen hängen. Ich begrüße es, dass ich nicht in eine komplett geschlossene Lederkluft gesteckt werde, die mich in meinen Bewegungsabläufen behindert. Deshalb habe ich mich nie gegen den dunkelbraunen Lendenschurz, die hohen Stiefel und das tief ausgeschnittene und knapp unter der Brust endende Lederoberteil gewehrt. Vor jedem Kampf bemalen Sklavinnen meine bloße Haut mit unterschiedlichen Mustern in roter Farbe. Heute winden sich die Schlieren in Wirbeln um meine Beine, den Bauch, die Arme und den Hals hinauf. Doch sie sind nichts als eine billige Nachahmung der echten Verzierungen, die sich auf meiner Haut abzeichnen, sobald ich die Kontrolle über das Brennen in meinen Adern verliere. Die aufgemalten Zeichen sollen das verdeutlichen, was ich bin: eine Vantyr. Oder um es mit den Worten der Etureer zu sagen: eine gefährliche Barbarin, der ihre magische Gabe mit allen Mitteln genommen werden musste.
»Geh und ruh dich aus«, sagt Graecus, nachdem er mit seiner Bestandsaufnahme fertig ist und an mir vorbeigeht. »Du hast es dir verdient. Dein Sieg hat mich ein ganzes Stück reicher gemacht, obwohl ich immer noch nicht verstehe, wie Leute so dumm sein können, gegen dich zu wetten.«
Er gibt mir einen Klaps auf den Hintern, für den ich ihm instinktiv den Kopf von den Schultern getrennt hätte, wenn sie mir das Schwert nicht abgenommen hätten. Nun kann ich nichts anderes tun, als aufgebracht zu ihm herumzuwirbeln.
»Brauchst du sonst noch etwas?«, will er wissen, ohne sich vor meinem zweifellos wütenden Blick zu fürchten.
»Heute nicht«, sage ich.
Graecus nickt. »Wenn du deine Meinung änderst, brauchst du es nur auszusprechen.« Er kneift mir in die Wange. »Für mein bestes Pferd im Stall ist mir nichts zu teuer.«
Ich rucke den Kopf zur Seite und befreie mich so von seiner Berührung. Der Kerl neben mir spannt sich an, als erwarte er, dass ich auf Graecus losgehe. Ich hätte nicht wenig Lust dazu, aber noch weniger steht mir der Sinn danach, eine Hand zu verlieren. Das würde meine Siegeschancen bei den nächsten Kämpfen deutlich schmälern.
A E R Y N
Nachdem ich ein ausgiebiges Bad genommen und zwei Sklavinnen mir die Überbleibsel meines Kampfes vom Leib geschrubbt haben, schlüpfe ich in ein einfaches Leinenhemd und eine lederne Hose. Dann mache ich mich auf die Suche nach einem von Graecus’ besonderen Sklaven, die wir hinter seinem Rücken Handlanger nennen, damit er mich ins Stadthaus zurückbringt. Ich will endlich dieses Kribbeln in meinen Adern loswerden, aber das gelingt mir nur, wenn ich die Arena gänzlich verlasse.
Auf meinem Weg durch die Arenagänge begegne ich einigen anderen Gladiatoren, die entweder zu einem der Räume oder der Arena selbst eskortiert werden. Die meisten von ihnen kenne ich und nicke ihnen zu. Hier in der Hauptstadt des etureischen Reiches treten nur die Besten der Besten an und überleben in der Regel, weil ihre Herren alles daransetzen, ihre teuren Investitionen zu behalten. Deshalb sehen wir hier selten neue Gesichter.
Ich entdecke einen von Graecus’ Handlangern in der Nähe des Arenaeingangs. Weiter als bis hier darf ich ohne Begleitung nicht gehen, wie mir eine der Wachen klarmacht, die mir sogleich den Weg versperrt.
Ich seufze und deute mit einer Kopfbewegung auf den Handlanger, der in ein Gespräch mit einem mir unbekannten Mann vertieft ist. Für ihn habe ich nur einen flüchtigen Blick übrig; ich sehe ihn sowieso nur von hinten. Nachdem die Anspannung des Kampfes von mir abgefallen ist, möchte ich nur ins Stadthaus, etwas essen und schlafen. Ich reibe mir über die Arme, in der Hoffnung, das Kribbeln darin etwas dämpfen zu können.
»Ich will mit dem da reden«, sage ich ungeduldig zu der Wache und deute mit einer Kopfbewegung auf die beiden Männer am Ausgang.
Endlich wird auch Graecus’ Sklave auf mich aufmerksam. »Da ist sie«, sagt er an den fremden Mann gewandt.
Sofort dreht dieser sich zu mir um.
Ich habe das Gefühl, als würde das Prickeln in meinen Adern für einen kurzen Augenblick aufhören, nur um anschließend stärker als zuvor über mich herzufallen. Doch es gelingt mir, es wieder niederzukämpfen, bis es kaum mehr als ein sachtes Flackern ist.
Nun bin ich mir sicher, dass ich den Mann noch nie gesehen habe, denn dieses Gesicht hätte ich nicht vergessen. Ich habe tagtäglich mit grobschlächtigen Muskelbergen und abgearbeiteten Sklaven zu tun. Des Nachts lasse ich mir Männer kommen, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich habe den Kopf vor unzähligen Senatoren und Würdenträgern geneigt, die mir zu meinen Siegen gratulieren und meine Gönner, meine patrons, werden wollten. Doch keinem Einzigen von ihnen – egal, ob jung oder alt, adelig oder Sklave – wohnte eine solch raue Schönheit inne wie dem Mann vor mir.
Bisher habe ich nicht daran geglaubt, dass es diese raue Schönheit bei Männern überhaupt gibt. Die Männer und Frauen der Vantyr, meines Volkes, verfügen über sie, aber bei einem Fremden habe ich sie noch nie gesehen.
Sein Gesicht ist scharf geschnitten, verliert dadurch aber nicht seine jugendliche Frische. Anders als die meisten Etureer ist seine Haut nicht dunkel gebräunt oder ledrig von der ständig scheinenden Sonne. Wenn ich darauf wetten müsste, würde ich sagen, dass er ein Senator oder Politiker ist. Jemand, der nicht oft nach draußen kommt. Dagegen spricht jedoch die Soldatenmontur, die er trägt und die seinen athletischen, groß gewachsenen Körper betont.
Am meisten jedoch fesselt mich die Farbe seiner Augen, die ich sogar aus mehreren Metern Entfernung erkennen kann. Sie sind von einem solch intensiven Blau, wie ich es nur von den Wellen meiner Heimat kenne. Sofort durchzuckt mich ein Stich in der Brust, gefolgt von einem Gefühl, das ich über Jahre erfolgreich verdrängt habe: Heimweh. Gemeinsam mit dem Prickeln unter meiner Haut vernebelt es mir beinahe die Sinne.
Die Wache gibt den Weg frei, sodass ich ein paar Schritte auf den Handlanger und den Fremden zu machen kann. Als ich mich ihm nähere und ihn dabei nicht aus den Augen lasse, blinzelt er mehrmals und fährt sich eine Spur verlegen durch sein dunkles Haar. Hier innerhalb der schlecht beleuchteten Arenagemäuer wirkt es rabenschwarz, aber ich könnte mir vorstellen, dass es in der Sonne dunkelbraun leuchtet.
Eine zarte Röte überzieht seine bartfreien Wangen, während er mich nahezu mit Blicken verschlingt, ehe er schnell woanders hinsieht. Ich schmunzele über sein Verhalten und kann nicht leugnen, dass es mir gefällt. Diese leichte Schüchternheit ist eine erfrischende Abwechslung zu der grobschlächtigen Härte und Gefühlskälte, mit der ich es sonst zu tun habe.
Ich wende mich an den Handlanger, dessen Namen ich nicht kenne. Graecus’ persönliche Speichellecker wechseln derart schnell, dass ich es schon lange aufgegeben habe, auf dem neuesten Stand zu bleiben. »Ich bin fertig für heute. Bring mich ins Stadthaus.«
Er nickt knapp, ehe er auf den jungen Mann neben sich deutet. »Während ich die Kutsche vorfahren lasse, kannst du dich mit ihm unterhalten.« Er eilt davon, bevor ich etwas erwidern kann.
Ich ziehe eine Augenbraue nach oben, als meine Aufmerksamkeit wieder auf dem Fremden liegt. Er schaut mich an, ohne einen Muskel zu rühren. Seine meerfarbenen Augen sind weit aufgerissen, als könnte er nicht glauben, dass ich hier bin.
»Und wer bist du?«, frage ich.
Er öffnet den Mund, doch kein Ton kommt heraus. Die Röte auf seinen Wangen nimmt zu.
Ich neige den Kopf. »Bist du stumm?«
»N-Nein, nur … ein wenig aufgeregt«, stammelt er.
Dann kneift er die Augen zu und atmet tief durch. Als er sie wieder öffnet, sind sie klarer als zuvor und erinnern mich erneut schmerzlich an meine Heimat. Ich verschränke hastig die Arme, als könnte ich das wehmütige Gefühl zusammen mit dem Kribbeln dadurch in mir einsperren.
»Verzeiht. Ich bin noch völlig gefangen von Eurem Kampf und kann nicht glauben, Euch tatsächlich gegenüberzustehen. Mein Name ist Cato, Mylady.«
Schnell halte ich mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten. »Sehe ich für dich aus wie eine Lady?«
Mit der freien Hand deute ich auf meinen Aufzug. Auch wenn ich meine Kampfkluft und die roten Schlieren mittlerweile los bin, muss ich mit der Hose und dem offenen Haar alles andere als ladyhaft auf ihn wirken.
Er blinzelt mehrmals. »Nun … Ja.«
»Dann bist du der Erste, der das so sieht.« Ich bin mir nicht sicher, ob ich über seine Antwort geschmeichelt sein oder den Kopf schütteln soll. »Also, was kann ich für dich tun?«
Sofort wird er wieder nervös. »Ich … Wisst Ihr, ich bin ein großer Bewunderer Eurer Kämpfe und bleibe stets so lange in der Hauptstadt, bis ich mindestens einen miterleben durfte.«
Ah, er ist einer von denen. Seine Sorte kenne ich zur Genüge. Männer, die mich leicht bekleidet in der Arena sehen und anschließend denken, mich besitzen zu können. Und sei es nur für eine Nacht.
Dabei vergessen sie, dass ich ihnen mit Leichtigkeit das Genick brechen könnte, wenn mir der Sinn danach steht.
»Seit ich Euch vor gut drei Jahren zum ersten Mal habe kämpfen sehen, war es mein Traum, einmal ein paar Worte mit Euch zu wechseln.«
Ich stutze. »Worte … wechseln?«, wiederhole ich stockend. »Das … ist alles?«
Der junge Mann runzelt die Stirn. »Natürlich.«
Ich neige den Kopf und schaue ihn an, während ich krampfhaft versuche, schlau aus ihm zu werden. Ich bin sonst sehr gut darin, mein Gegenüber einzuschätzen. Eine Fähigkeit, die mir bereits mehrmals das Leben gerettet hat. Doch bei ihm komme ich mit all meiner Erfahrung nicht weiter. Er ist groß und kräftig, aber nicht derart muskulös wie die meisten Gladiatoren. Laut seiner Kleidung ist er ein Soldat oder hat einen Posten im Militär inne. Auf seinem Brustpanzer prangt das silberne Relief eines Wolfs. Ich habe schon viel über die verschiedenen Einheiten der Armee gehört, ebenso über ihre Ausschweifungen. Der junge Mann vor mir passt jedoch nicht in das Bild, das ich über die Jahre hinweg von den Mitgliedern der Armee erhalten habe. Seine geschliffenen Umgangsformen – sogar einer Unfreien wie mir gegenüber – und sein zurückhaltendes, schüchternes Verhalten lassen ihn jünger auf mich wirken, als er eigentlich sein müsste. Wenn er einer Einheit angehört, ist er mindestens zwanzig Jahre alt.
Mein Blick gleitet über sein Gesicht, die wie zu einer stummen Frage leicht geöffneten Lippen, die gerade Nase bis hin zu den Augen, deren Farbe mich völlig gefangen nimmt. Aus der Nähe erkenne ich, dass das tiefe Blau mit helleren, türkisfarbenen Sprenkeln durchzogen ist.
Irgendetwas an ihm zieht mich völlig in seinen Bann. Doch nicht nur ich reagiere auf diesen Mann. Auch meine Magie, die nun, da ich ihm gegenüberstehe, stärker brennt als während des Kampfes in der Arena, scheint durch seine Nähe angefacht zu werden. Sie fühlt sich allerdings nicht so zerstörerisch an. Wenn sie nicht versiegelt wäre, würde ich die gesamte Arena in Schutt und Asche legen können. Stattdessen peitscht sie während meiner Kämpfe oft heiß durch meine Adern, besonders wenn ich einem fähigen Gladiator gegenüberstehe, als suche sie verzweifelt nach einer Möglichkeit, um hervorbrechen zu können. Aber nun blubbert sie fast sanft durch meine Adern und macht mich dadurch rastlos. So kenne ich sie nicht. Normalerweise ist meine Magie beinahe wie ein eigenständiges und vor allem störrisches Wesen, das mir die Zusammenarbeit verweigert. Zum ersten Mal nehme ich sie anders wahr, und ich kann nicht leugnen, dass mir das gefällt. Diese Ruhe. Diese Sanftheit. Beides scheint auf mich überzuspringen und sich in meinem Inneren einzunisten. Das Blubbern meines Feuers wird sacht und pulsiert im Gleichklang zu meinem Herzschlag – nicht mehr entgegengesetzt.
Soll diese Änderung nur von diesem Mann ausgelöst worden sein?
Vielleicht hat er auch diese Wirkung auf mich, weil er so anders ist als die Männer, mit denen ich tagein, tagaus zu tun habe. Einem wie ihm bin ich nicht begegnet, seit man mich in dieses von der Göttin verlassene Land geschleppt hat. Vielmehr erinnert er mich an die Männer meiner Heimat. Auch ihnen wohnte stets eine Sanftheit inne, die das ungezähmte Wesen von uns Vantyr-Frauen besänftigen konnte. So wie auch meine Magie gerade besänftigt ist.
Ganz im Gegensatz zu mir.
Ich habe Graecus’ unterschwelliges Angebot, mir einen Mann für die Nacht zu bringen, nur abgelehnt, weil ich wusste, welche Art von Mann er wieder angeschleppt hätte: einen, dem es nur darum gegangen wäre, bei der gefährlich-schönen Gladiatorin zu liegen, und der sich nur um seine eigenen Bedürfnisse gekümmert hätte. Doch nun bereue ich es fast, abgelehnt zu haben. Selbst wenn der von Graecus ausgewählte Mann nicht all meine Bedürfnisse befriedigt hätte, hätte er mir vielleicht trotzdem diese Rastlosigkeit nehmen können, die ich verspüre, seit sich der Fremde zu mir umgedreht hat.
Ich neige den Kopf, während ich den Mann vor mir immer noch betrachte. Wäre es bei ihm genauso? Würde er sich nur nehmen, statt auch mir etwas zu geben? Oder würde er seine Schüchternheit und Sanftheit auch im Bett nicht ablegen?
Ein Teil von mir, der schon lange nicht mehr das bekommen hat, wonach er sich sehnt, würde es gern herausfinden.
Ohne groß darüber nachzudenken, hebe ich die Hand und lege sie ihm an die Wange. Meine Bewegungen sind langsam, um den Wachen um uns herum keinen Grund zum Eingreifen zu geben. Der junge Mann rührt sich nicht. Ich wäre nicht verwundert, wenn er aufgehört hätte zu atmen. Sanft, aber mit Nachdruck ziehe ich seinen Kopf zu mir herunter, der willig meinem Wunsch folgt, und stelle mich auf die Zehenspitzen. Nur kurz streife ich mit den Lippen über seine, doch es reicht aus, um ihm ein leises, fast gequältes Stöhnen zu entlocken. Als ich mich zurückziehe, lecke ich mir mit der Zunge über die Lippen. Er schmeckt süß, als hätte er vor Kurzem eine Frucht gegessen, während in meinem Mund noch die staubige Trockenheit der Arena herrscht. Ich bin drauf und dran, den Kuss zu wiederholen, fester diesmal, um noch mehr dieses süßen Geschmackes einzufangen, doch ehe ich das Vorhaben in die Tat umsetzen kann, kommt Graecus’ Handlanger zurück.
»Die Kutsche ist bereit«, teilt er mir mit.
Widerwillig lasse ich die Hand von der Wange des jungen Mannes mit dem Wolfsrelief auf dem Brustpanzer gleiten. Er hat die Augen weit aufgerissen. Seine Wangen sind nun tiefrot und sein Mund, den ich eben noch geküsst habe, öffnet und schließt sich, ohne dass ein Ton herauskommt.
Ich lächele ihn an. »Ich freue mich, wenn du mich auch bei einem meiner nächsten Kämpfe anfeuerst, junger Wolf.«
Damit lasse ich ihn stehen und folge dem Handlanger hinaus.
Im ersten Moment muss ich gegen die gleißende Helligkeit des Nachmittags anblinzeln. Zwar wollte ich so schnell wie möglich ins Stadthaus, weil mich dort eine warme Mahlzeit und ein weiches Bett erwarten, aber jetzt würde ich mich am liebsten umdrehen und zurück in die Arena gehen. Nur um zu sehen, ob auf seinem Gesicht noch immer ein solch verwirrter und überrumpelter Ausdruck prangt wie eben. Auch das bin ich nicht gewohnt. Meistens lauert in den Mienen der Männer blanke Gier und Geringschätzung, wenn sie mich betrachten.
Als Gladiatorin lebe ich gefährlich und könnte bereits morgen einem Gegner unterliegen und tot sein. Ich habe schon vor Jahren gelernt, dass es klüger ist, mir schnell das zu nehmen, was ich will und haben kann, denn schon einen Augenblick später könnte alles vorbei sein. Deshalb schiebe ich nichts auf, sondern lebe mein Leben, das durch Fesseln begrenzt ist, in vollen Zügen.
Den schüchternen Wolf zu küssen, muss rein gar nichts bedeuten. Es war ein plötzliches Verlangen und ich hatte keinen Grund, es zu unterdrücken.
Wahrscheinlich werde ich ihn sowieso nie wiedersehen.
A E R Y N
Estrard, die Hauptstadt des etureischen Reiches, ist so groß, dass ich bisher nur einen Bruchteil von ihr gesehen habe. Obwohl es mir gestattet ist, in Begleitung Graecus’ Anwesen zu verlassen, habe ich so gut wie nie davon Gebrauch gemacht. Ich habe nie den Sinn in einem Stadtbummel gesehen, denn alles, wonach ich verlange, wird mir gebracht, sobald ich den Wunsch ausspreche.
Die Straßen der Stadt sind staubig und überfüllt mit Menschen. Einfache Häuser aus Lehm stehen dicht an dicht, doch sie sind nicht hoch genug, um die verhasste Sonne während der Fahrt zurück zu Graecus’ Stadthaus von mir abzuschirmen. Mittlerweile habe ich vergessen, wie es sich anfühlt, wenn ein lauer, nach Wellen duftender Wind über meine Haut streift. Ich kenne nur noch Hitze und Trockenheit – sowohl hier draußen als auch in meinem Inneren.
Rund um die Arena bieten Händler lauthals ihre Waren an: Fische, die aufgrund des langen Weges zum Meer keinesfalls frisch sein können, Früchte aus anderen Ländern, die auch schon bessere Tage gesehen haben, feine Stoffe und Gewürze. Unzählige Gerüche drängen auf mich ein und verursachen mir Übelkeit, während uns der Kutscher, ein Unfreier, dessen Haut aufgrund der unbarmherzigen Sonne wie Leder wirkt, so zügig wie möglich durch die engen Gassen und Menschenmassen manövriert.
Vor etwa drei Jahren habe ich während so einer Fahrt einen Fluchtversuch gewagt. Graecus’ damaliger Handlanger war unaufmerksam und ich konnte mich in den verwinkelten Gassen vor ihm verbergen. Doch das nützte mir nichts. Wie ich feststellen musste, hatte ein junges Mädchen von gerade einmal sechzehn Jahren keine hohen Überlebenschancen in den Straßen von Estrard.
Am schlimmsten war der Durst, aber irgendwie gelang es mir, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Als ich jemanden nach dem Weg zum Hafen fragte, der – wie ich jetzt weiß – ein ganzes Stück außerhalb der Hauptstadt liegt, schickte mich dieser Jemand geradewegs in eine Gasse, wo Frauen und Mädchen dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen. Schnell wollte ich von dort fliehen, aber ich war bereits aufgefallen. In dieser Nacht zeigte sich zum ersten Mal seit ihrer Versiegelung meine Kraft und hielt mir die beiden Kerle vom Hals, die mich als Freiwild angesehen hatten. Doch danach war ich dermaßen erschöpft und am Ende, dass ich keinen anderen Weg sah, als meine Fluchtpläne zu begraben. Also schlich ich bei Nacht zurück zu Graecus’ Anwesen. Der wartete bereits auf mich. Das war das erste und einzige Mal, dass er mich züchtigen ließ. Ich wäre auch ohne Prügel nicht mehr abgehauen, denn es gab keinen anderen Ort, an den ich gehen konnte.
Einen solchen Ort wird es niemals für mich geben. Ich habe gelernt, zufrieden mit dem zu sein, was ich erreichen kann.
Nachdem wir uns schließlich weit genug von der Arena entfernt haben, lichtet sich das Gedränge und auch die Vielzahl an Gerüchen nimmt ab. In der Ferne kann ich bereits Graecus’ weitläufiges Anwesen erkennen, das sich am Rande Estrards befindet. Genug außerhalb, um dem Lärm der Hauptstadt zu entgehen. Genau deswegen hat Graecus dieses Fleckchen Land erstanden, hat er mir einst erzählt, und ich verstehe ihn. Ich verbringe nur wenige Stunden am Tag in der Stadt und freue mich jedes Mal darauf, ihr den Rücken kehren zu können.
Das Stadthaus ist umgeben von Feldern, auf denen mehrere Sklaven in der prallen Sonne arbeiten. Viele von ihnen sind Mädchen, die nicht älter als zehn Jahre alt sein können. Auch mir hätte dieses Schicksal geblüht, wenn ich mich nicht so geschickt im Kämpfen angestellt hätte.
Als der Kutscher auf den weitläufigen, gepflasterten Hof des Anwesens fährt, springe ich noch während der Fahrt von der Ladefläche und gehe auf die Sklavenunterkünfte zu, die etwas abseits des Haupthauses stehen. Die gemauerten Häuser sind gut in Schuss – anders als die meisten, an denen wir auf der Fahrt hierher vorbeigekommen sind. Aufgeteilt sind sie nach Männern und Frauen, die meist zu dritt oder zu viert ein Zimmer bewohnen. Sollten Sklaven heiraten, steht es ihnen frei, sich selbst eine Hütte auf dem Anwesen zu bauen. Meine Unterkunft teile ich mir mit zwei weiteren Frauen: Griselda, einer älteren Haussklavin, mit der ich wenig zu tun habe, und Kallidora. Wir drei bewohnen ein Zimmer im zweiten Stock des Gebäudes, das dem Haupthaus am nächsten ist. Trotz der drückenden Hitze Eturiens ist es dank der dicken Mauern des Hauses in unserem Zimmer zu jeder Tageszeit angenehm kühl. Wir haben sogar ein Bad für uns auf derselben Etage. Ein Luxus, von dem die anderen Sklaven nur träumen können. Ihre Unterkünfte sind zwar nicht schlecht, reichen aber längst nicht an unsere heran.
Kallidora lehnt bereits mit der breiten Schulter am Eingang zu unserer Unterkunft. »Du kommst spät.«
Ich schmunzele, als ich an meine Begegnung mit dem jungen Wolf und die Art zurückdenke, wie er mich angesehen und auf mich reagiert hat. »Ich wurde aufgehalten.«
Kallidora ist ebenfalls eine Vantyr, doch sie ist mehr als doppelt so alt wie ich und stammt aus einem anderen Clan. Mittlerweile ist ihr rabenschwarzes Haar von einigen silbernen Strähnen durchzogen, doch ihre blauen Augen blicken blitzgescheit wie eh und je. Sie ist hochgewachsen, überragt mich und auch die meisten Männer, und ist ähnlich wie einer gebaut. Ihr breites Kreuz und die muskulösen Arme lassen nichts von ihrem Alter erkennen. Sie kam vor über dreißig Jahren hierher und hat sich seitdem einen Namen in der Arena gemacht. Zum Glück gehören wir demselben Herrn und müssen deshalb nie gegeneinander antreten. In ihr habe ich meine Meisterin gefunden, wie mir jedes gemeinsame Training vor Augen führt. Zwar ist mir aufgefallen, dass sie während der letzten Jahre langsamer geworden ist und meine Attacken nicht mehr so leicht durchschaut, aber sie zu besiegen, ist trotzdem alles andere als einfach. Es gelingt mir nur manchmal; meistens läuft es auf ein Unentschieden hinaus, weil wir nicht gewillt sind, die andere zu verletzen.
Hätte ich sie damals nicht gehabt, hätte ich die ersten Tage hier in diesem fremden Land nicht überlebt. Ich wollte sie nicht überleben …
Aber Kallidora nahm mich unter ihre Fittiche und lehrte mich alles, was ich wissen musste. Auch wie ich in dieser Welt ohne meine Magie zurechtkommen kann. Wie ich ohne sie kämpfen und ihr Drängen ignorieren kann. Ich verdanke ihr jeden Tag mein Leben, denn ohne sie, ohne ihr gnadenloses Training und ihr Verständnis für meinen Verlust wäre ich verloren gewesen. Sie als Freundin bezeichnen zu dürfen, ist eine Ehre für mich. Wären wir nicht hier in Eturien, könnte ich mir Kallidora perfekt als eine Clanführerin vorstellen, der ich, ohne zu zögern, folgen würde. Schon von unserer ersten Begegnung an hatte sie eine Aura von Macht und Selbstsicherheit verströmt, die ich mir unbedingt auch aneignen wollte.
Macht und Selbstsicherheit waren viel besser als das, was ich bis dahin ausgestrahlt hatte. Im Grunde war ich nichts anderes als das kleine heulende Mädchen gewesen, das dummerweise die Überfahrt nach Eturien überlebt hatte. Diesen Teil von mir sperrte ich ein und warf den Schlüssel weg. Sobald ich das Training mit Kallidora aufnahm, sog ich förmlich ihre Art in mich auf und eignete sie mir an.
Nie wieder wollte ich wie das Mädchen werden, das ich einst war: schwach, mittellos und angewiesen auf andere.
Kallidora wurde zu meinem Vorbild und ich eiferte ihr nach. Das tue ich auch jetzt noch. Sie mag älter geworden sein, aber sie hat nichts von ihrer Art eingebüßt, die einer Clanführerin alle Ehre machen würde.
Doch in letzter Zeit hat Kallidora sich verändert; manchmal schwindet ihre Aura von Selbstsicherheit. Dann redet sie davon, dass sie nicht ewig weiterkämpfen und gewinnen kann. Dass sich etwas ändern muss. Was dieses Etwas sein soll, konnte oder wollte sie mir nie beantworten. Bisher ist es mir zum Glück gelungen, ihre Bedenken zu zerstreuen. Und ich bin mir sicher, dass es mir auch weiterhin gelingen wird.
Ich gehe auf sie zu, stelle mich auf die Zehenspitzen, während sie sich ein Stück zu mir herunterbeugt, und lehne meine Stirn gegen ihre, als Zeichen meines Respekts und Vertrauens. Eine uralte Geste unseres Volkes, die wir uns auch hier in der Fremde bewahrt haben. Zum Glück ist Graecus ein nachsichtiger Herr, der uns Vieles durchgehen lässt, solange es unseren Wert nicht beeinträchtigt. Nur den Gebrauch unserer Muttersprache gesteht er uns nicht zu. Laut ihm ist sie die Sprache der Barbaren, eine unreine und heidnische Sprache, und er duldet sie nicht in seinem Haus. Höhere Politiker haben unsere Sprache unter ein Verbot gestellt, und Graecus tut alles dafür, um in den Augen des Senats als würdig erachtet zu werden. Deshalb reden Kallidora und ich nur in unserer Muttersprache, wenn wir allein sind, damit er uns nicht die Zungen herausschneiden lässt, wie es nach einem wiederholten Vergehen seine Pflicht und sein Recht wäre.
»Ich hoffe doch, dass du gewonnen hast«, verlangt Kallidora zu wissen.
»Natürlich«, sage ich lächelnd. »Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich gegen Gladiatoren wie Marcellus gewonnen habe. Keine Ahnung, warum sie sich immer wieder Siegeschancen ausmalen.« Ich zucke mit den Schultern. »Ich schätze, ich werde Marcellus nächste Woche etwas zu trinken für die gebrochene Nase ausgeben müssen.«
»Das solltest du«, sagt Kallidora mit einem Schmunzeln. »Nicht dass ihm irgendwann das Schwert ausrutscht.«
Ich verdrehe die Augen. »So gekonnt sind seine Angriffe nun auch wieder nicht.«
Die Zuschauer lieben es, wenn Blut fließt, doch wir Gladiatoren achten darauf, dass wir den anderen nicht zu stark verletzen. Hin und wieder kann es aber zu unschönen Unfällen kommen, etwa wenn ein Kämpfer einen Groll gegen den anderen hegt. Oder wenn eine schlimmere Verletzung einfach nötig ist, um zu siegen. So wie heute.
Solche Vorfälle oder Zwistigkeiten werden außerhalb der Arena mit Alkohol oder Gold geklärt, damit es beim nächsten Aufeinandertreffen nicht zu unerwarteten Überraschungen kommt.
»Ich habe Hunger«, murre ich, während ich mich an Kallidora vorbei in unser Zimmer schiebe. »Was gibt es zu essen?«
Kallidora seufzt hinter mir, ehe sie die Tür schließt. »Du hast immer Hunger. Graecus wird wegen deines riesigen Appetits irgendwann einen weiteren Koch einstellen müssen.«
Sie liegt mir schon seit Jahren damit in den Ohren, dass ich aufpassen soll, nicht fett zu werden, aber ich setze eher Muskeln denn Fett an. Die Mahlzeiten, die Graecus uns auftischen lässt, sind einfach, aber ausgewogen. Süßes, wie die Nachspeisen, die es manchmal im Haupthaus zu Empfängen gibt, bekommen wir nie. Nicht einmal, wenn ich an einem solchen Empfang teilnehmen muss, darf ich davon naschen.
Auf einem runden Tisch, der in der Mitte unseres Zimmers steht, ist unser Abendessen bereits angerichtet. Griselda isst meistens mit den anderen Haussklaven im Anwesen, sodass Kallidora und ich für uns sind. Neben dem Tisch samt Stühlen gibt es drei Betten im Zimmer, die durch einen Sichtschutz aus weißem Stoff voneinander abgetrennt sind. Neben den Betten steht je eine Kommode mit einer Waschschüssel. Den Flur hinunter gibt es zwei Aborte für alle Bewohner dieser Etage sowie eine Waschkammer, die wir zu mehreren benutzen müssen. Ich mag es nicht, wenn die Haussklavinnen meinen Körper angaffen, deshalb wasche ich mich meistens gleich in der Arena. Dort gehen mir zwar auch Sklavinnen zur Hand, aber denen muss ich den Rest des Tages nicht mehr über den Weg laufen und ihr Getuschel hören. Zumindest bilde ich mir ein, dass sie meine Narben beäugen und sich über sie lustig machen, sobald sie glauben, ich könne sie nicht mehr hören. Sie fürchten sich vor mir und ich tue alles, damit es dabei bleibt. Obwohl meine Magie versiegelt ist, ist mein Blut das einer Vantyr. Neben der vergleichsweise hohen physischen Stärke, die ich dadurch besitze, hat es eine heilende und lindernde Wirkung.
Meine Arme und Beine zieren silbrige, dünne Narben, die zum Glück nur auffallen, wenn das Licht aus einem bestimmten Winkel fällt. Durch das Training und die regelmäßigen Kämpfe bin ich kräftig, doch die sehnigen Muskeln rauben mir nichts von meinem fraulichen Aussehen, obwohl ich mich nicht wie eine Frau fühle.
Vielleicht haben die Sklavinnen auch nur Angst vor mir. Ich bin nicht für mein nachsichtiges Wesen bekannt, erst recht nicht gackernden und tuschelnden Sklavinnen gegenüber. Ich wünschte, ich könnte mir selbst die Schlieren aufmalen, die ich für die Kämpfe auf meiner Haut tragen muss, und wäre nicht mehr auf ihre Hilfe angewiesen.
Ich hasse es, Hilfe von Fremden anzunehmen. Es lässt mich bedürftig und schwach erscheinen. Nichts davon bin ich.
»War die Arena sehr voll?«, fragt Kallidora.
Ich vollführe eine wegwerfende Handbewegung. »Ja, wie immer. Du kennst die Etureer doch. Sobald sie einen blutigen Kampf zu sehen bekommen, drängen sie sich sogar bei brütender Mittagshitze in die Arena.«
Kallidora gibt einen Laut von sich, der sowohl eine Zustimmung als auch ein Grummeln sein könnte.
Ohne darauf zu warten, dass sie sich ebenfalls an den Tisch setzt, mache ich mich über das gebratene Hühnchen und den noch dampfenden heißen Reis her, um das fast ohrenbetäubende Knurren in meinem Magen endlich zu besänftigen. Ich achte nicht darauf, ob es gut schmeckt, solange es meinen Bauch füllt.
Ich bin schon fast fertig, als Kallidora sich doch noch zu mir setzt. Ihr Gesicht, das mit feinen Narben und Falten gleichermaßen durchzogen ist, wirkt düster, während sie mich anschaut.
»Den Titel ›Liebling des Volkes‹ habe ich schon vor Monaten an dich verloren, nicht wahr?«, murmelt sie.
Ich lasse den Hähnchenschenkel sinken, an dem ich gerade noch geknabbert habe, und runzele die Stirn. »Warum sagst du das?«
Sie lehnt sich zurück, ohne ihren durchdringenden Blick von mir zu nehmen. »Meine Zeit in der Arena neigt sich dem Ende.«
Ich seufze. Nicht dieses Thema schon wieder … Seit einigen Monaten liegt sie mir damit in den Ohren, dass sie ihr Ende kommen sieht, doch das ist nicht wahr.
Ich wische ihre Aussage mit einer Handbewegung beiseite. »Du bist genauso siegreich wie ich und längst nicht am Ende. Graecus wäre ein Narr, wenn er dich jetzt …«
»Es geht nicht um Graecus«, fällt sie mir ins Wort. »Ich bin weder blind noch dumm, Aeryn. Ich habe den Höhepunkt meiner Karriere als Gladiatorin bereits vor zwei Jahren erreicht. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich … nicht mehr von Nutzen bin.«
Ich schlucke angestrengt und schiebe den noch nicht leer gegessenen Teller von mir. Der Appetit ist mir schlagartig vergangen. Gedanken an die Zukunft wie auch die Vergangenheit verdränge ich, so gut es geht. Sie bringen nichts als Schwermut mit sich. Ich komme gut damit zurecht, im Hier und Jetzt zu leben. Was mit mir geschehen soll, wenn ich irgendwann nicht mehr kämpfen kann – sei es wegen meines Alters, einer Verletzung oder weil sich die Menge an mir sattgesehen hat –, weiß ich nicht.
Zwar hat Kallidora das Thema immer mal wieder angeschnitten, aber sie ließ sich stets mit den Worten beruhigen, dass sie weiterhin siegreich ist. Daran gibt es nichts zu rütteln.
»Und was willst du stattdessen tun, hmm?«, frage ich und lasse meine Hand geräuschvoll auf die Tischplatte knallen. »Du bist eine Vantyr, eine Kämpferin!«
Kallidora weicht meinem Blick aus. »Irgendwann wird auch die beste Vantyr des Kämpfens überdrüssig. Viele Möglichkeiten habe ich nicht, wenn ich der Arena den Rücken kehre. Ich könnte eine der Haussklavinnen werden oder … im Hafenviertel arbeiten.«
Mein Hals fühlt sich an wie zugeschnürt. »Das kannst du nicht ernsthaft in Erwägung ziehen!«
Als würde es sie nichts angehen, zuckt Kallidora mit den Schultern. »Wie du schon sagtest, ich bin eine Vantyr. Es wird genug Männer geben, die mir trotz meines Alters einen … Besuch abstatten würden.«
»Nein!«, zische ich und lasse nun auch die andere Hand auf die Tischplatte krachen. Das Geschirr klirrt. »Gerade weil wir Vantyr sind, werden wir uns nicht so weit erniedrigen. Unsere Ahnen würden sich im Grab herumdrehen. Dem Titel nach mögen wir nicht mehr wert sein als Sklaven, aber wir sind keine. Wir sind Gladiatorinnen.«
Kallidora schmunzelt, während sie die Arme vor der Brust verschränkt. »Was willst du mir damit sagen? Dass ich lieber ehrenvoll in der Arena sterben soll, anstatt Graecus’ Böden zu schrubben?«
»Du wirst niemandes Böden schrubben, denn du bist keine Sklavin«, sage ich und bin derart aufgebracht, dass ich unbewusst in unsere Muttersprache wechsle, die mir leichter von der Zunge geht als Etureisch. »Ebenso wenig wie ich eine bin. Wir sind nicht dafür geschaffen, Befehle entgegenzunehmen. Außerdem …«, ich schlucke angestrengt, »… warst du es, die mir eingeschärft hat, dass wir zurückkehren müssen. Zurück nach Hause.«
Kallidora schenkt sich ein Glas Wasser ein. Ihre präzisen Bewegungen, die selbst bei dieser einfachen Tätigkeit von jahrelangem Training zeugen, beruhigen mich ein Stück weit.
Alles, was ich gesagt habe, ist die Wahrheit. Wir Vantyr sind ein stolzes Volk, das allein von Frauen angeführt wird und auf einem großen Eiland weitab von Eturien lebt. Natürlich gibt es bei uns auch Männer, die als vollwertiges Mitglied des Clans geschätzt und geachtet werden, doch es sind die Frauen, die alle Entscheidungen treffen. Außerdem trägt eine jede Vantyr Magie in sich. Ich beherrschte einst das Feuer, genau wie meine Mutter, während Kallidora mir erzählte, dass sie die Macht über die Erde hatte.
Eine Macht, die uns genommen wurde. Versiegelt durch ein kreisrundes Brandmal mit den Initialen unseres Herrn, das unsere Schultern verschandelt und unsere Magie in uns einschließt, als sei sie ein gefährliches Tier. Doch wir spüren sie unentwegt in uns.
»Darf ich dir einen Rat geben?«, fragt Kallidora, während sie an ihrem Wasser nippt.
»Natürlich.«
»Du bist jung und erfolgreich«, sagt sie. »Das Volk liebt und feiert dich. Ich weiß, dass man in dieser Zeit die Zukunft leicht aus den Augen verliert. Aber sieh mich an! Ich werde mit jedem Tag älter, habe meine Jugend schon lange hinter mir gelassen und werde früher oder später auch nicht mehr siegreich sein. Jüngere Gladiatoren werden kommen und mich besiegen. Und dann bin ich für meinen Herrn nicht mehr von Wert.«
»Graecus ist nicht so«, widerspreche ich. »Er brüstet sich stets damit, zwei Vantyr zu besitzen und …«
»Zwei siegreiche Vantyr«, unterbricht sie mich scharf. »Aber auf absehbare Zeit hat er nur noch eine.« Über den Tisch hinweg greift sie nach meiner Hand und drückt sie. »Ich hatte es genauso schwer wie du, als ich hier ankam, doch wir beide haben uns durchgebissen. Ich weiß, dass du das nicht hören willst, weil du erfolgreich bist, aber verliere deine Zukunft nicht aus den Augen, Aeryn. Warte nicht wie ich, bis es zu spät ist.«
Ich runzele die Stirn. »Was meinst du damit?«
Sie zieht ihre Hand zurück. »Es stimmt, wir hätten es sehr viel schlechter treffen können als mit Graecus. Er ist nachsichtig, züchtigt uns nicht ohne Grund, vergeht sich nicht an uns und hält unsere Ausrüstung und Waffen immer in Schuss. Trotzdem sind wir für ihn nicht mehr wert als das Gold, das wir ihm einbringen. Bei meinen Kämpfen finden kaum noch Wetten statt. Manchmal ist die halbe Arena leer. Ich bringe ihm nicht mehr genug ein, als dass ich einen Einfluss auf ihn hätte, aber du … Du bist sein wertvollster Besitz. Und diesen Einfluss solltest du nutzen.«
»Wozu?«, will ich wissen.
Eine Weile mustert sie mich stumm. Ihr Blick ist derart durchdringend, dass ich mich unruhig auf meinem Stuhl winde. Als sie endlich wieder den Mund öffnet, halte ich die Luft an, um kein Wort zu verpassen.
»Bitte ihn um deine Freiheit.«
A E R Y N
»Was?«, keuche ich.
Kallidora lässt sich von meinem Ausbruch nicht beeindrucken. »Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass Herren ihren siegreichen Gladiatoren die Freiheit geschenkt haben.«
Ich schüttele den Kopf. »Das mag sein, aber Graecus wird das nicht tun. Warum auch? Du hast selbst gesagt, dass er sich dank mir eine goldene Nase verdient.«
»Und genau das ist es«, sagt Kallidora. »Du musst ihm vor Augen führen, dass dies kein Zustand für die Ewigkeit ist. So wie bei mir wird auch deine Zeit irgendwann vorbei sein. Doch jetzt, da du die Aufmerksamkeit des Volkes hast, könnte es für Graecus mehr als vorteilhaft sein, dir die Freiheit zu schenken.«
»Inwiefern?«
Sie lehnt sich mit einem verschwörerischen Lächeln vor. »Er wollte immer in die Politik, oder?«
Ich nicke.
»Dich freizulassen, könnte ihm den Weg dorthin ebnen. Die Menschen werden ihn dafür feiern, dass er dich zu einer von ihnen gemacht hat. Sie werden ihn als ›Graecus den Barmherzigen‹ bezeichnen, und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er in den Senat gewählt wird.«
Kallidora hat recht, das weiß ich. Zwar habe ich die Gedanken an meine Zukunft bisher weitestgehend verdrängt, aber nun prasseln sie wieder auf mich ein. Gemeinsam mit der Angst, irgendwann vor dem Nichts zu stehen, so wie es Kallidora gerade ergeht. Anders als sie würde ich mich eher in mein Schwert stürzen, als auch nur in Erwägung zu ziehen, als Haussklavin oder gar Dirne zu arbeiten. Und ich weiß, dass Kallidora insgeheim ebenso denkt.
Es stimmt, dass Graecus mir bisher keinen Wunsch verwehrt hat. Er tut alles dafür, dass es mir gut geht und ich bestens versorgt bin. Nur deshalb kann ich jeden Tag gute Leistungen bringen. Mich freizulassen, wird ihm auf kurze Sicht eher schaden als nutzen, aber Kallidora hat einen hervorragenden Punkt dargelegt: Graecus ist mehr als ambitioniert. Für einen Posten im Senat würde er alles opfern – sogar mich.
Ich kann mir jeden Tag eine Verletzung zuziehen, die mich wochenlang ans Bett fesselt oder wegen der ich gar nicht mehr kämpfen kann. Oder ich könnte krank werden. Dann wäre ich Graecus – zumindest auf unbestimmte Zeit – nicht mehr von Nutzen.
Nervös knete ich mir die Hände im Schoß. »Und wenn er ablehnt?«
Kallidora lässt sich wieder zurück gegen die Lehne ihres Stuhls sinken. »Dann gibt es noch eine Möglichkeit, von der ich dir aber erst erzählen werde, wenn es wirklich keinen anderen Weg gibt.«
Ein eisiger Schauer rinnt mir über den Rücken. »Was meinst du damit?«
»Ich habe Vorkehrungen getroffen«, antwortet sie knapp. »Und Kontakte geknüpft, die über die aktiven Gladiatoren hinausgehen. Es gibt überraschend viele wie mich oder diejenigen, die bereits einen Schritt weiter sind und in den Herrenhäusern schuften müssen.«
Meine Hände verkrampfen sich ineinander. »Was hast du vor?«
»Wenn alles schiefgeht«, murmelt sie, »werde ich so sterben, wie ich es für richtig halte.«
Ich schrecke aus einem Albtraum hoch, an den ich mich – Sekunden danach – nicht mehr erinnern kann. Mehrere Augenblicke vergehen, bis ich weiß, wo ich bin. Kallidoras und auch Griseldas gleichmäßige Atemzüge sowie der Mond, der schwach durch das Fenster scheint, verraten mir, dass es mitten in der Nacht sein muss.
Leise seufzend reibe ich mir mit beiden Händen über das schweißnasse Gesicht und betrachte schließlich meine Handgelenke und die darauf verlaufenden Narben im fahlen Mondlicht.
Ich werde mir nie verzeihen, dass ich zu langsam war. Dass ich den anderen den Vortritt gelassen habe … Als ich an der Reihe war, konnte ich nur einen hastigen Schnitt am linken Handgelenk vollführen, ehe die Soldaten in die Kammer gestürmt kamen. Für die anderen Mädchen kam jede Hilfe zu spät; die meisten von ihnen atmeten schon nicht mehr. Nur ich stand noch aufrecht im vom Blut feuchten Stroh.
Ich wünschte, ich wäre in dieser Nacht ebenso wie die anderen Mädchen und wahrscheinlich mein gesamter Clan gestorben.
Stattdessen wurde ich hierher nach Eturien verfrachtet und verkauft. Mein einziges Glück ist es, dass ich mich an meinen Verkauf nicht mehr erinnern kann.
Mit dem Daumen fahre ich über die tiefere Narbe am rechten Handgelenk. Diese Narbe habe ich mir kurz nach meiner Ankunft in Graecus’ Anwesen beigebracht – und scheiterte erneut. Hier war es Kallidora, die mich fand und behandelte. Als ich wieder zu mir kam, schrie ich sie an und fragte, warum sie mich gerettet hat. Als Vantyr müsste sie doch wissen, wie schlimm es für mich war, mutterseelenallein in der Fremde zu sein.
Kallidora ließ sich durch mein Schreien nicht beeindrucken, sondern erklärte mir ruhig, was mich erwartete. Was ich zu tun hatte. Sie sagte, dass es meine Mutter, meine Schwestern und Tanten nicht zurückbringen würde, wenn ich mein Leben eigenhändig beendete. Stattdessen würde es die Göttin erzürnen. Viel wichtiger sei es, am Leben zu bleiben und eines Tages auf unser Eiland zurückzukehren, um das, was ich verloren hatte, wiederaufzubauen.
Und der einzige Weg dorthin – zurück nach Hause – führt durch die Arena.
Auch ich habe von erfolgreichen Gladiatoren gehört, denen die Freiheit geschenkt wurde oder die sie sich erkauft haben. Ich habe gehofft, dass Graecus mit meinen Siegen derart zufrieden ist, dass er mich früher oder später freilässt, ohne dass ich darum bitten muss.
Aber Kallidora hat recht: Ich kann nicht für immer kämpfen und auf Graecus’ Gutmütigkeit hoffen. Früher oder später werde ich verlieren – ob mein Leben oder den Zuspruch der Menge, bleibt abzuwarten. Keinen Tag länger darf ich die Augen vor meiner Zukunft verschließen.
Ich muss handeln, bevor es zu spät ist. Und ich werde Graecus nicht nur um meine, sondern auch um Kallidoras Freiheit bitten.
A E R Y N
Der Tag beginnt für mich wie immer noch vor dem ersten Hahnenschrei. Nach einer miesen Nacht fällt mir das Aufstehen heute besonders schwer, doch ich habe keine Wahl.
Als eine junge Haussklavin schüchtern in der Mitte unseres Zimmers steht, um Kallidora und mir beim Anlegen unserer Lederrüstungen zu helfen, hätte ich sie um ein Haar gewaltsam nach draußen befördert, nur um noch ein paar Minuten schlafen zu können.
Im Gegensatz zu mir ist Kallidora bereits auf den Beinen und lässt sich ihr hüftlanges schwarzes Haar bürsten, während ich missmutig zur Wasserschüssel schlurfe und mir eiskaltes Wasser ins Gesicht spritze.
»Du hast heute einen Kampf?«, frage ich.
Kallidora sieht mich im Spiegel an. »Gleich den ersten. Es werden wieder nicht viele Zuschauer kommen. Wann bist du an der Reihe?«
»Kurz nach dem Mittag, wie immer«, murre ich.
Ich hasse es, in der prallen Mittagssonne kämpfen zu müssen, aber um diese Zeit sind die meisten Zuschauer anwesend, da in der Mittagshitze die Arbeit allgemein ruht. Viele Bewohner Estrards nutzen diese freien Stunden, um sich die Kämpfe anzusehen und dabei neue Kontakte zu knüpfen.
»Lai viete vada jūsu«, sage ich in unserer Muttersprache, als Kallidora fertig angezogen, frisiert und bereits auf dem Weg zur Tür ist.
Die Göttin führe deine Hand.
»Un tavs«, antwortet sie.
Und die deine.
Bevor ich etwas erwidern kann, neigt sie den Kopf und ich tue es ihr gleich.
Dann wende ich mich an die Haussklavin, die mit großen Augen zu mir aufschaut. »Du hast nichts davon gehört, ist das klar?«
Sie nickt hektisch, als sie das Knurren in meiner Stimme hört. Graecus legt großen Wert darauf, dass sich seine Sklaven ausschließlich in Etureisch unterhalten. Doch niemals würden Kallidora oder ich die jeweils andere in einen Kampf ziehen lassen, ohne ihr den Segen der Göttin zu wünschen.
Ich setze mich an den Frisiertisch und lasse über mich ergehen, dass die Sklavin mir mein dunkelblondes Haar bürstet, das mir ungebändigt über den Rücken fällt.
Damals, als ich noch ein Zuhause hatte, war mein Haar braun wie die Stämme der unzähligen Bäume, die auf unserer Insel wuchsen. Doch hier, unter der etureischen Sonne, ist es mit jedem Jahr heller geworden. Erst waren es nur einzelne blonde Strähnen, die zwischen dem dunklen Braun hervorspitzten, doch mittlerweile ist es fast völlig ausgeblichen.
Ich hasse meine Haarfarbe, aber da mein Haar fast den ganzen Tag über entweder zu einem straffen Zopf geflochten oder hochgesteckt ist, damit es mich beim Kämpfen nicht behindert, habe ich gelernt, es zu ignorieren.
Genauso wie die Sommersprossen, die sich über meinen Nasenrücken ziehen.
Das Einzige, was an mir noch genauso ist wie damals, ist meine Augenfarbe: Grün wie die Wälder meiner Heimat. Wenigstens meine Augen haben sich nicht verändert, wohingegen den Rest von mir nicht einmal meine Mutter wiedererkennen würde.
In nur fünf Jahren bin ich von einem behütet aufgewachsenen Mädchen zu einer jungen Frau geworden, die sich mit Zähnen und Klauen ihren Platz im Leben erkämpft hat.