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„Glanz und Elend der Kurtisanen“ ist ein Roman von Honoré de Balzac, der zwischen 1838 und 1847 erschien. Er besteht aus vier Teilen und stellt die Abseite der Gesellschaft dar, indem er die Welt des Verbrechens und der Prostitution erkundet. Die erste Hälfte des Romans wird von der satanischen Figur des entflohenen Sträflings Vautrin (der sich Don Carlos Herrera nennt) beherrscht, der in seiner letzten Inkarnation eine Form der sozialen Erlösung erfährt; die zweite rückz vor allem die junge Prostituierte Esther in den Mittelpunkt, die durch ihre Liebe zu Lucien Chardon de Rubempré erlöst wird, dem willenlosen Dichter, dessen Ehrgeiz und Eitelkeit die tragischen Triebfedern des Romans sind. Lucien de Rubempré und Vautrin (als selbsternannter Abt Don Carlos Herrera) haben einen Pakt geschlossen, wonach Lucien in Paris Erfolg haben wird, wenn er sich bereit erklärt, Vautrins Anweisungen blindlings zu folgen. Die Kurtisane Esther van Gobseck macht Vautrin jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn Lucien verliebt sich in sie und sie sich in ihn… Anstatt Lucien zu zwingen, sie zu verlassen, erlaubt Vautrin Lucien diese heimliche Affäre, nutzt sie aber auch aus. Vier Jahre lang bleibt Esther in einem Haus in Paris eingesperrt und geht nur nachts spazieren. Eines Nachts wird sie jedoch von dem steinreichen Bankier Baron de Nucingen entdeckt, der sich in sie verliebt. Als Vautrin merkt, dass Nucingen von Esther besessen ist, beschließt er, ihre Macht zu nutzen, um Lucien voranzubringen, indem er dem Baron so viel Geld wie möglich entlockt. Die Dinge laufen jedoch nicht so glatt, wie Vautrin es sich gewünscht hätte… Dies ist der zweite von insgesamt vier Bänden.
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Seitenzahl: 257
Honoré de Balzac
GLANZ UND ELEND DER KURTISANEN wurde zuerst im französischen Original (Splendeurs et misères des courtisanes) in vier Teilen zwischen 1838 und 1847 von Edmond Werdet in Paris veröffentlicht.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
BAND ZWEI
ISBN 978-3-96130-516-2
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Honoré de Balzac
GLANZ UND ELEND DER KURTISANEN
BAND EINS | BAND ZWEI | BAND DREI | BAND VIER
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GESAMTAUSGABE
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Stolz und Vorurteil
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Northanger Abbey
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Inhaltsverzeichnis
Glanz und Elend der Kurtisanen. Band Zwei
Impressum
Band Zwei
Was alte Herren sich die Liebe kosten lassen
Eine kleine Bitte
Die Reihe im Überblick
Buchtipps für dich
Kostenlose eBooks
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N e w s l e t t e r
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Zu guter Letzt
BAND ZWEI
Seit acht Tagen feilschte Nucingen fast täglich in dem Laden der Rue Neuve Saint-Marc um die Auslieferung derer, die er liebte. Dort thronte Asien bald unter dem Namen Saint-Estève, bald unter dem ihres Geschöpfes, der Frau Nourrisson, unter dem schönsten Putz, der jenen grauenhaften Zustand erreicht hatte, in dem Kleider keine Kleider mehr, aber auch noch keine Lumpen sind. Der Rahmen stand im Einklang mit der Figur, die diese Frau sich zulegte, denn solche Läden sind eine der unheimlichsten Eigentümlichkeiten von Paris. Man sieht dort den Nachlaß, den der Tod mit seiner entfleischten Hand dorthin geworfen hat, und man hört das Röcheln einer Schwindsucht unter dem Schal, wie man die Todesqual des Elends unter einem goldbeflitterten Kleide errät. Dort stehen die furchtbaren Debatten zwischen dem Luxus und dem Hunger auf leichten Spitzen geschrieben. Man sieht die Züge einer Königin unter einem federgeschmückten Turban, dessen Stellung an das fehlende Gesicht erinnert und es fast ergänzt. Hier steht das Scheußliche im Hübschen. Die Geißel Juvenals in den Amtshänden des Taxators streut enthaarte Muffs, verdorbene Pelze bedrängter Dirnen aus. Es ist ein verwesender Hauf Blumen, in dem hier und dort gestern geschnittene Rosen glänzen, die einen Tag getragen wurden, und auf dem stets eine Alte hockt, die leibliche Schwester des Wuchers, die kahle, zahnlose Gelegenheit, bereit, auch den Inhalt zu verkaufen, weil sie so sehr daran gewöhnt ist, die Hülle zu kaufen: das Kleid ohne die Frau oder die Frau ohne das Kleid! Asien schaltete dort wie der Stockmeister im Bagno, wie ein Geier mit gerötetem Schnabel über Leichen, mitten in ihrem Element, furchtbarer noch als diese wilden Greuel, vor denen die Vorübergehenden erbeben, wenn sie zuweilen mit Erstaunen eine ihrer jüngsten, frischesten Erinnerungen in einem schmutzigen Schaufenster erkennen, hinter dem eine echte Saint-Estève Grimassen schneidet.
Von Aufregung zu Aufregung, von zehntausend zu zehntausend Franken war schließlich der Bankier so weit gekommen, daß er Frau von Saint-Estève sechzigtausend Franken bot; sie aber erwiderte mit einer Grimasse des Neins, die einen Makako zur Verzweiflung getrieben hätte. Nachdem er erkannt hatte, wie Esther ihm die Gedanken verwirrte, nachdem er unerwartete Verdienste an der Börse hatte einstreichen können, kam er eines Morgens nach einer aufgeregten Nacht endlich in der Absicht, die hunderttausend Franken, die Asien verlangte, herzugeben; aber er wollte ihr eine Fülle von Auskünften entlocken.
»Du entschließt dich also, dicker Possenreißer?« sagte Asien, indem sie ihm auf die Schulter klopfte.
Die entehrendste Vertraulichkeit ist der erste Zoll, den solche Frauen von wahnsinnigen Leidenschaften oder von dem Elend, das sich ihnen anvertraut, fordern; sie erheben sich nie zur Höhe des Klienten, sie nötigen ihn, sich Seite an Seite neben sie auf den Kothaufen zu setzen. Asien gehorchte ihrem Herrn ausgezeichnet, wie man sieht.
»Ich muß fohl,« sagte Nucingen. »Und du wirst nicht bestohlen,« erwiderte Asien. »Man hat Frauen schon verhältnismäßig teurer verkauft, als du die da bezahlen sollst! Von Marsay hat für die verstorbene Coralie sechzigtausend Franken gegeben. Die, die du willst, hat aus erster Hand hunderttausend gekostet; aber für dich, siehst du, alter Wüstling, ist es eine Anstandssache.« »Und wo ist sie?« »Ah! Du wirst sie sehen. Ich bin, wie du bist: bar, bar! … Ach ja, mein Lieber, ›deine Leidenschaft‹ hat Dummheiten gemacht. Junge Mädchen … das ist unvernünftig. Die Prinzessin ist augenblicklich eine Nachtschöne …« »Aine Nacht …« »Was! Willst du den Gimpel spielen? … Sie hat Louchard auf den Fersen; ich habe ihr selbst fünfzigtausend Franken geliehen …« »Finfundßwanßig! Sag?« rief der Bankier. »Bei Gott! Fünfundzwanzig für fünfzig, das versteht sich von selbst,« erwiderte Asien. »Diese Frau, man muß gerecht sein, ist die Ehrlichkeit selbst! Sie hatte nur noch ihren Leib, und sie sagte: ›Liebe kleine Frau Saint-Estève, ich werde verfolgt, nur Sie können mich verpflichten, geben Sie mir zwanzigtausend Franken, ich gebe Ihnen eine Hypothek auf mein Herz …‹ Oh, sie hat ein hübsches Herz! Außer mir weiß niemand, wo sie ist. Ein unvorsichtiges Wort würde mich meine zwanzigtausend Franken kosten … Früher wohnte sie in der Rue Taitbout. Ehe sie auszog – ihr Mobiliar war gepfändet worden … von wegen der Kosten … Diese Lumpen von Gerichtsvollziehern! – nun also, nicht dumm, vermietete sie ihre Wohnung auf zwei Monate einer Engländerin, einem prachtvollen Weib, die diesen kleinen … den Rubempré, zum Liebhaber hatte; der war so eifersüchtig, daß er sie nur nachts ausfahren ließ. Aber da man das Mobiliar verkaufen will, so hat sich die Engländerin aus dem Staube gemacht, um so mehr, als sie für einen Knirps wie Lucien zu teuer war.« »Sie treiben kute Keschäfte,« sagte Nucingen. »In Naturalien,« sagte Asien. »Ich borge hübschen Frauen; das lohnt sich, denn man diskontiert zwei Werte zugleich.«
Asien amüsierte sich damit, die Rolle dieser Frauen zu ›chargieren‹; sie sind herb, aber schleicherhafter, sanfter als die Malaiin, und sie rechtfertigen ihr Gewerbe mit Reden voll schöner Motive. Asien posierte als eine Frau, die all ihre Illusionen, fünf Liebhaber und ihre Kinder verloren hat und sich trotz all ihrer Erfahrung von jedermann ›bestehlen‹ läßt. Sie zeigte von Zeit zu Zeit Pfandscheine vor, um zu beweisen, wieviel schlimme Zufälle ihr Gewerbe mit sich brachte. Sie gab sich für bedrängt, für verschuldet aus. Und schließlich war sie so naiv häßlich, daß der Baron zuletzt an die Rolle glaubte, die sie gab.
»Kut, wenn ich herkebe die hunderttausend, wo werd ich se da sehen?« fragte er mit der Geste des Mannes, der zu allen Opfern bereit ist. »Mein dicker Alter, du wirst heute abend mit deinem Wagen, sagen wir, vor das Gymnase kommen, das liegt auf dem Wege,« erwiderte Asien. »Du wirst an der Ecke der Rue Sainte-Barbe halten. Ich werde dort Posten stehen; dann gehen wir zusammen zu meiner schwarzhaarigen Hypothek … Oh, sie hat wundervolles Haar, meine Hypothek! Wenn Esther ihren Kamm herauszieht, steht sie da wie unter einem Zelt. Aber wenn du dich auch auf Zahlen verstehst, so machst du mir im übrigen den Eindruck eines Gimpels; ich rate dir, die Kleine gut zu verbergen, denn man steckt sie dir ins Gefängnis, wenn man sie findet, und zwar lebhaft, gleich am folgenden Tage … und man sucht sie!«
»Gönnte man nicht ßurückgaufen die Wechsel?« fragte der unverbesserliche Luchs. »Die hat der Gerichtsvollzieher … aber es geht nicht. Die Kleine hat eine Leidenschaft gehabt und ein Depot verzehrt, das man von ihr zurückverlangt. Ah, wahrhaftig, das ist ein Schelm, so ein Herz von zweiundzwanzig Jahren.« »Kut, kut, ich werde das arranschieren,« sagte Nucingen, indem er seine Miene eines Schlaukopfes aufsetzte. »Es verschdeht sich, daß ich ihr Könner werde.« »Ah, dickes Vieh, es ist deine Sache, ihr Liebe einzuflößen, und du hast ja die Mittel dazu, dir einen Schein von Liebe zu erkaufen, der wohl die wahre aufwiegt. Ich gebe dir die Prinzessin in die Hand; sie ist gehalten, dir zu folgen, um den Rest kümmere ich mich nicht … Aber sie ist an Luxus gewöhnt, an die größte Rücksicht. Ah, mein Kleiner, sie ist eine anständige Frau … Hätte ich ihr sonst zwanzigtausend Franken gegeben?« »Kut, es ist apkemacht. Auf heite Apend!«
Der Baron begann die Hochzeitstoilette, die er schon einmal gemacht hatte, von neuem; aber diesmal verdoppelte er in der Gewißheit des Erfolgs die Zahl der Pillen. Um neun traf er die furchtbare Frau beim Stelldichein, und er nahm sie in seinen Wagen. »Fo?« fragte der Baron. »Wo?« sagte Asien. »Rue de la Perle, im Marais, eine Gelegenheitsadresse, denn deine Perle liegt im Kot, aber du wirst sie waschen!«
Als sie dort ankamen, sagte die falsche Frau von Saint-Estève mit einem scheußlichen Lächeln zu Nucingen: »Wir werden ein paar Schritte zu Fuß gehen; ich bin nicht so dumm, daß ich die wahre Adresse gegeben hätte.« »Du tenkst an alles,« sagte Nucingen. »Das ist mein Beruf,« erwiderte sie.
Asien führte den Baron in die Rue Barbette, wo er in einem Logierhaus, das ein Tapezierer des Viertels hielt, in den vierten Stock geführt wurde. Als der Millionär Esther in einem kärglich möblierten Zimmer mit einer Stickereiarbeit beschäftigt sah, erblaßte er. Noch nach einer Viertelstunde, während derer Asien scheinbar auf Esther einflüsterte, konnte dieser junge Greis kaum sprechen. »Knädikes Fräulein,« sagte er schließlich zu dem armen Mädchen, »wirden Se haben die Küte, mich als Könner anßunehmen?« »Ich muß wohl,« sagte Esther, aus deren Augen zwei dicke Tränen rannen. »Wainen Se nicht. Ich will Se machen ßur klücklichsten aller Frauen … Lassen Se sich nur von mir lieben, Sie ferden sehen.«
»Meine Kleine, der Herr ist vernünftig,« sagte Asien; »er weiß genau, daß er über siebzig Jahre alt ist, und er wird nachsichtig sein. Kurz, mein schöner Engel, er ist ein Vater, den ich dir gesucht habe … Müssen ihr das sagen,« flüsterte Asien dem unzufriedenen Bankier ins Ohr. »Man fängt keine Schwalben, indem man mit der Pistole nach ihnen schießt. Kommen Sie mit,« sagte sie, indem sie Nucingen ins Nebenzimmer führte. »Sie kennen ja unsere kleinen Abmachungen, mein Engel?«
Nucingen zog eine Brieftasche aus seinem Rock und zählte die hunderttausend Franken hin, die Carlos, der in einer Kammer versteckt war, mit lebhafter Ungeduld erwartete und die die Köchin ihm brachte.
»Das sind hunderttausend Franken, die unser Mann in Asien anlegt; jetzt soll er uns einiges in Europa anlegen,« sagte Carlos zu seiner Vertrauten, als sie auf dem Treppenabsatz standen. Er verschwand, nachdem er der Malaiin seine Anweisungen gegeben hatte; sie kehrte in das Zimmer zurück, wo Esther heiße Tränen weinte. Das Kind hatte sich wie ein zum Tode verurteilter Verbrecher einen Roman der Hoffnung zurechtgelegt, und jetzt war die verhängnisvolle Stunde gekommen.
»Meine lieben Kinder,« sagte Asien, »wohin wollt ihr gehen? … Denn der Baron von Nucingen …« Esther sah den berühmten Bankier an und ließ sich eine wundervoll gespielte Geste der Überraschung entschlüpfen. »Ja, main Gind, ich bin der Paron von Nischinguen.« »… Der Baron von Nucingen darf und kann nicht in einem solchen Hundestall bleiben. Hören Sie mich an … Ihre ehemalige Kammerfrau Eugenie …« »Eischenie! Aus der Rie Daidpoud? …« rief der Baron. »Nun ja, die gerichtliche Bewahrerin der Möbel,« erwiderte Asien, »die die Wohnung der schönen Engländerin vermietet hat.« »Ach, ich verschdehe!« sagte der Baron. »Die ehemalige Kammerfrau der gnädigen Frau«, fuhr Asien ehrfurchtsvoll fort, indem sie auf Esther deutete, »wird Sie heute abend sehr wohl aufnehmen, und nie wird der Exekutor es sich einfallen lassen, sie in ihrer ehemaligen Wohnung zu suchen, die sie vor drei Monaten verlassen hat …« »Auskeßaichnet, auskeßaichnet!« rief der Baron. »Üprikens genne ich die Exegudoren; ich habe maine Worte, damit sie verschwinten.« »Sie werden in Eugenie eine schlaue Füchsin haben,« sagte Asien, »ich selbst habe sie der gnädigen Frau gegeben …« »Ich genne sie,« rief der Millionär lachend; »Eischenie hat mich um treißigtausend Franken gebrellt …«
Esther machte eine Geste des Grauens, auf die hin ein Mann von Herz ihr sein Vermögen anvertraut hätte. »Oh, durch maine eikene Schuld,« fuhr der Baron fort, »ich lief Ihnen nach …« Und er erzählte das Quiproquo, das die Vermietung der Wohnung an eine Engländerin zur Folge gehabt hatte.
»Nun, sehen Sie, gnädige Frau?« sagte Asien; »davon hat Ihnen Eugenie in ihrer Schlauheit nichts gesagt! Aber die gnädige Frau ist sehr an dieses Mädchen gewöhnt,« sagte sie zu dem Baron, »behalten Sie sie trotzdem.«
Dann nahm Asien Nucingen beiseite und sagte zu ihm: »Geben Sie Eugenie fünfhundert Franken im Monat, das ist ein rundes Sümmchen, und Sie werden alles erfahren, was die gnädige Frau tut; geben Sie sie ihr zur Kammerfrau. Eugenie wird um so besser für Sie passen, als sie Sie bereits gerupft hat … Nichts fesselt eine Frau mehr an einen Mann, als wenn sie ihn rupft. Aber halten Sie Eugenie am Zügel: sie tut alles für Geld; es ist ein Greuel mit diesem Mädchen! …« »Und du? …« »Ich,« sagte Asien, »ich halte mich schadlos.«
Nucingen, dieser so tiefe Mensch, hatte eine Binde vor den Augen; er ließ mit sich umgehen wie ein Kind. Der Anblick dieser aufrichtigen und anbetungswürdigen Esther, die sich die Augen trocknete und mit dem Anstand einer Jungfrau die Maschen ihrer Stickerei zog, gab dem verliebten Greis die Empfindungen zurück, die er im Wald von Vincennes gehabt hatte: er hätte den Schlüssel zu seiner Kasse hergegeben! Er fühlte sich jung, er hatte das Herz voller Anbetung und wartete nur auf Asiens Aufbruch, um sich dieser Madonna Raffaels zu Füßen werfen zu können. Dieses plötzliche Aufblühen der Kindheit im Herzen eines Luchses und Greisen gehört zu den sozialen Erscheinungen, die die Physiologie aufs leichteste erklären kann. Unter dem Gewicht der Geschäfte zusammengepreßt, erstickt von ständigen Berechnungen, von dem fortwährenden Sinnen über die Jagd nach den Millionen, so taucht die Jugend mit ihren wunderbaren Illusionen wieder empor, und sie schwingt sich in die Höhe und blüht wie eine Ursache, wie ein vergessener Keim, dessen Wirkungen, dessen prachtvolle Blüten dem Zufall gehorchen, einer Sonne, die spät erst hervorbricht und leuchtet. Der Baron war mit zwölf Jahren Kommis in dem alten Hause Aldrigger in Straßburg gewesen, und also hatte er den Fuß nie in die Welt der Empfindungen hineingesetzt. Als er nun vor seinem Idol stand, hörte er tausend Phrasen, die sich in seinem Gehirn stießen, und da er keine auf den Lippen fand, so gehorchte er einem brutalen Verlangen, in dem der Sechziger wieder durchbrach.
»Wollen Se kommen in die Rie Daidpoud?« fragte er. »Wohin Sie wollen,« erwiderte Esther, indem sie sich erhob. »Fohin Se follen!« wiederholte er in Entzückung. »Sie sind ain Engel vom Himmel, den ich liebe, als wäre ich ain glainer junger Mensch, obgleich ich kraue Haare habe …« »Ach, Sie können ruhig sagen, weiße! Denn sie sind von einem zu schönen Schwarz, um nur erst grau zu sein,« sagte Asien. »Keh wek, schlechtes Weib! Du hantelst mit Menschenfleisch! Du hast dein Keld, pekeifere mir diese Plume der Liebe nicht mehr!« rief der Bankier, indem er sich durch diese wilde Anrede für alle Unverschämtheiten schadlos hielt, die er hatte ertragen müssen. »Alter Schlingel! Das sollst du mir bezahlen!« sagte Asien, indem sie dem Bankier mit einer Geste drohte, die der Markthalle würdig gewesen wäre, über die er aber nur die Achseln zuckte. »Zwischen dem Mund des Bechers und dem des Zechers hat eine Natter Platz, und da sollst mich du finden!« sagte sie, erregt über Nucingens Geringschätzung.
Die Millionäre, deren Geld von der Bank von Frankreich bewacht wird, deren Häuser bewacht werden von einer ganzen Brigade von Dienern und deren Person auf der Straße den Panzer eines raschen Wagens mit englischen Pferden um sich hat, fürchten keinerlei Unglück; daher sah denn auch der Baron Asien kühl an, er war ganz der, der ihr eben hunderttausend Franken gegeben hatte. Diese Majestät tat ihre Wirkung. Asien trat den Rückzug an und brummte auf der Treppe; sie führte eine höchst revolutionäre Sprache: sie sprach vom Schafott.
»Was haben Sie ihr denn gesagt? …« fragte die stickende Jungfrau, »denn sie ist eine gute Frau.« »Sie hat Sie vergauft, sie hat Sie geschdohlen …« »Wenn wir im Elend sind,« erwiderte sie mit einer Miene, die einem Diplomaten das Herz gebrochen hätte, »wer hat da Geld und Mitleid für uns? …« »Arme Glaine!« sagte Nucingen, »pleiben Se kaine Minute mehr hier!«
Nucingen reichte Esther den Arm, er führte sie, so wie sie war, hinunter und setzte sie mit vielleicht mehr Achtung in seinen Wagen, als er der schönen Herzogin von Maufrigneuse bezeigt hätte. »Sie sollen aine schöne Egibasche haben, die hüpscheste von Baris,« sagte Nucingen während der Fahrt. »Das Raizendste, was der Luxus besitzt, soll Sie umkeben. Keine Gönikin soll raicher sain als Sie. Sie sollen werden keachtet wie aine Praut in Teutschland: ich will, daß Sie frei sind … Wainen Se nicht. Hören Se … Ich lieb Sie wahrhaftig mit rainer Liebe … Jede Ihrer Dränen pricht mir das Herz …« »Liebt man eine Frau, die man kauft, wirklich? …« fragte das arme Mädchen mit entzückender Stimme. »Schosef ist auch von sainen Priedern vergauft worden, weil er so hibsch war. Das schdeht in der Pibel. Außerdem gauft man im Orient saine rechtmäßiken Frauen.«
Als sie in der Rue Taitbout ankamen, konnte Esther den Schauplatz ihres Glücks nicht ohne schmerzliche Eindrücke wiedersehen. Sie blieb regungslos auf einem Diwan liegen, indem sie ihre Tränen eine nach der andern hemmte, ohne ein Wort von den Torheiten zu hören, die der Bankier radebrechte. Er ließ sich auf die Knie nieder; sie ließ ihn liegen, ohne ihm ein Wort zu sagen; sie entzog ihm ihre Hände nicht, wenn er sie nahm; aber gewissermaßen wußte sie nicht, welchen Geschlechts das Geschöpf war, das ihr die Füße wärmte, denn Nucingen fand sie kalt. Diese Szene brennender Tränen, die dem Baron auf den Kopf gesät wurden, und eisiger Füße, die er wärmte, dauerte von Mitternacht bis zwei Uhr morgens.
»Eischenie,« sagte endlich der Baron, indem er Europa rief, »pringen Se doch die knädige Frau daßu, daß sie ßu Pett keht …« »Nein!« rief Esther, indem sie sich wie ein scheuendes Pferd auf ihren Beinen erhob; »hier niemals!«
»Sehen Sie, gnädiger Herr, ich kenne die gnädige Frau, sie ist sanft und gut wie ein Lamm,« sagte Europa zu dem Bankier; »nur darf man sie nicht vor den Kopf stoßen; man muß sie immer von der guten Seite nehmen … Sie ist hier so unglücklich gewesen! Sehen Sie her … das Mobiliar ist recht abgenutzt! Lassen Sie sie ihrer Neigung folgen. Richten Sie ihr recht artig ein hübsches Hotel ein. Vielleicht wird sie, wenn sie ringsum nur Neues sieht, sich fremd vorkommen, und sie wird Sie vielleicht besser finden, als Sie sind, und dann wird sie von engelhafter Sanftmut sein … Oh, die gnädige Frau hat nicht ihresgleichen! Und Sie können sich rühmen, eine ausgezeichnete Erwerbung gemacht zu haben: ein gutes Herz, artige Manieren, einen feinen Spann, eine Haut, eine Frische … ah! … Und Geist, daß zum Tode Verurteilte lachen müssen! … Die gnädige Frau ist der Leidenschaft fähig … Und wie sie sich anzuziehen versteht! … Ja, wenn es auch teuer ist, so hat der Mann doch etwas für sein Geld. Hier sind all ihre Kleider gepfändet, sie ist also mit ihrer Toilette um drei Monate in Rückstand. Aber die gnädige Frau ist so gut, sehen Sie, daß sogar ich sie liebe, und sie ist meine Herrin! Aber seien Sie gerecht! Eine Frau wie sie und mitten unter gepfändeten Möbeln! Und für wen all das? Für einen Taugenichts, der sie gefoltert hat … Die arme kleine Frau! Sie ist nicht mehr sie selber!«
»Esder … Esder …« sagte der Baron, »kehen Se ßu Pett, main Engel. Ach, wenn Sie vor mir Ankst haben, dann plaibe ich auf diesem Ganabee …« rief der Baron, den die reinste Liebe entflammte, als er sah, daß Esther immer noch weinte. »Nun gut,« erwiderte Esther, indem sie die Hand des Barons ergriff und sie mit einem Gefühl der Dankbarkeit küßte, die diesem Luchs etwas in die Augen trieb, was einer Träne ähnlich sah, »ich werde Ihnen dafür dankbar sein …« Und sie lief in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß.
»Da liegt etwas Unerglärliches …« sagte Nucingen bei sich selber; seine Pillen regten ihn auf. »Was wird man sagen bei mir?« Er stand auf und sah durch das Fenster: »Main Wagen schdeht immer noch da … Es wird pald Tag.« Er ging im Zimmer auf und ab. »Wie wirde Frau von Nischinguen lachen, wenn sie jemals erfiehre, wie ich diese Nacht ßukepracht habe! …« Er schmiegte sein Ohr an die Tür des Schlafzimmers, als er sich ein wenig zu albern untergebracht fand. »Esder! …« Keine Antwort. »Kott, du Kerechter! Sie waint immer noch! …« sagte er, als er zurücktrat, um sich wieder auf das Kanapee zu legen.
Etwa zehn Minuten nach Sonnenaufgang wurde der Baron von Nucingen, der zu einem schlechten, gewaltsamen Schlummer entschlafen war, noch dazu in unbequemer Stellung, mitten in einem jener Träume, wie man sie dann hat und deren rasche Verwirrungen zu den unlöslichen Problemen der medizinischen Physiologie gehören, von Europa jäh geweckt.
»Ach, mein Gott, gnädige Frau!« rief sie, »gnädige Frau! Soldaten! … Gendarmen! Die Polizei! … Man will Sie verhaften! …«
In dem Augenblick, als Esther, nur halb in ihren Morgenrock gehüllt, die nackten Füße in Pantoffeln, die Haare in Unordnung, schön genug, um den Erzengel Raphael zur Verdammnis zu führen, ihre Tür auftat und sich zeigte, spie die Salontür eine Flut von Menschenauswurf herein, der zehnpfotig auf die Himmelstochter, die wie ein Engel auf einem flämischen Altarbild dastand, zustürzte. Ein einzelner trat vor. Contenson, der scheußliche Contenson legte die Hand auf Esthers feuchte Schulter. »Sie sind Fräulein Esther van …?« sagte er.
Europa warf ihn mit einem Backenstreich um so leichter nieder, damit er sich sein Stück Teppich abmaß, als sie ihm zugleich jenen scharfen Hieb in die Beine versetzte, der allen, die die Kunst des Fußboxens ausüben, so bekannt ist. »Zurück!« schrie sie; »meine Herrin rührt man nicht an!«
»Sie hat mir das Bein gebrochen!« rief Contenson, indem er aufsprang; »das soll man mir bezahlen!«
Von der Masse der fünf Büttel, die eben wie Büttel gekleidet waren, die ihre scheußlichen Hüte auf den noch scheußlicheren Köpfen behielten und deren Köpfe wie aus geädertem Mahagoni zu sein schienen, während hier die Augen schielten, dort die Nasen fehlten und alle Münder sich zur Grimasse verzerrten, löste sich Louchard ab, der sauberer gekleidet war als seine Leute, aber gleichfalls den Hut auf dem Kopf behielt; sein Gesicht war zugleich süßlich und zum Lachen verzogen. »Gnädiges Fräulein, ich verhafte Sie,« sagte er zu Esther. »Was Sie angeht, meine Tochter,« sagte er zu Europa, »so würde jede Empörung bestraft werden, und jeder Widerstand ist nutzlos.«
Das Geräusch der Gewehre, deren Kolben auf die Fliesen des Eßzimmers und des Vorzimmers stießen und auf diese Weise meldeten, daß der Exekutor die Polizeiwache hinter sich hatte, bekräftigte diese Rede.
»Und weshalb wollen Sie mich verhaften?« fragte Esther unschuldig. »Und unsere kleinen Schulden? …« erwiderte Louchard. »Ach, freilich!« rief Esther. »Lassen Sie mir Zeit, mich anzuziehen.« »Unglücklicherweise, gnädiges Fräulein, muß ich mich überzeugen, daß Sie in Ihrem Zimmer kein Mittel zur Flucht haben,« sagte Louchard.
All das vollzog sich so rasch, daß der Baron noch keine Zeit gehabt hatte, sich ins Mittel zu legen. »Nun, ich hantle jetzt mit Menschenfleisch, Paron von Nischinguen! …« rief die furchtbare Asien, indem sie zwischen den Bütteln durch bis zum Diwan schlüpfte und tat, als entdeckte sie dort den Bankier. »Elände Halungin!« rief Nucingen, indem er sich in seiner ganzen Finanzmajestät aufrichtete.
Und er warf sich zwischen Esther und Louchard, der seinen Hut abnahm, als Contenson rief: »Der Herr Baron von Nucingen! …«
Auf einen Wink Louchards räumten die Büttel das Zimmer, indem sie ehrfurchtsvoll den Kopf entblößten. Contenson blieb allein zurück. »Bezahlt der Herr Baron?« fragte der Exekutor, der seinen Hut in der Hand hielt. »Ich peßahle,« erwiderte er; »aber ich muß doch wissen, um was es sich hantelt.« »Um dreihundertundzwölftausend Franken und einige Centimes, die Kosten mitgerechnet; aber die Verhaftung ist nicht einbezogen.« »Dreihünderttausend Franken!« rief der Baron. »Das ist ain teures Erwachen fier ainen, der die Nacht auf ainem Ganabee verpracht hat,« fügte er, Europa ins Ohr flüsternd, hinzu.
»Ist dieser Mensch wirklich der Baron von Nucingen?« fragte Europa Louchard; und sie kommentierte ihren Zweifel durch eine Geste, um die Fräulein Dupont, die letzte Soubrette des Théâtre Français, sie beneidet hätte. »Ja,« sagte Louchard. »Ja,« erwiderte Contenson. »Ich pürge fier sie,« sagte der Baron, den Europas Zweifel in seiner Ehre traf; »lassen Se mich mit ihr schbrechen ain Wort.« Esther und ihr alter Liebhaber traten in das Schlafzimmer, an dessen Schloß Louchard das Ohr zu legen für nötig fand.
»Ich liebe Sie mehr als main Leben, Esder; aber woßu Ihren Kläubikern Keld keben, das unentlich viel pesser in Ihrer Pörse wäre? Kehn Se ins Kefänknis: ich mache mich anhaischig, die hünderttausend Taler fier hünderttausend Franken aufßugaufen; dann haben Se ßweihünderttausend Franken fier sich …«
»Dieses System«, rief Louchard ihm zu, »nützt nichts. Der Gläubiger ist nicht in das gnädige Fräulein verliebt! … Sie verstehen? Und er will mehr als alles, weil er weiß, daß Sie in sie vernarrt sind.« »Erztummkopf!« rief Nucingen Louchard zu, indem er die Tür öffnete und ihn in das Schlafzimmer einließ, »du waißt nicht, was du sagst! Ich kebe dir fier dich finf Broßent, wenn du erletigst die Sache …« »Unmöglich! Herr Baron.« »Wie, Herr Baron, Sie hätten das Herz,« sagte Europa, indem sie eintrat, »meine Herrin ins Gefängnis gehen zu lassen? … Aber wollen Sie meinen Lohn, meine Ersparnisse? Nehmen Sie sie, gnädige Frau, ich habe vierzigtausend Franken …« »Ach, mein armes Mädchen, ich kenne dich nicht wieder!« rief Esther, indem sie Europa in die Arme schloß. Europa brach in Tränen aus.
»Ich peßahle,« sagte der Baron jämmerlich, indem er ein Heft hervorzog, dem er einen jener kleinen bedruckten, viereckigen Zettel entnahm, wie sie die Bank den Bankiers zur Verfügung stellt und auf denen sie nur in Ziffern und Buchstaben die Summe auszufüllen haben, um auf den Inhaber lautende Anweisungen daraus zu machen.
»Das lohnt nicht der Mühe, Herr Baron,« sagte Louchard, »ich habe Befehl, meine Zahlung nur bar in Gold oder Silber entgegenzunehmen. Weil Sie es sind, will ich mich mit Banknoten begnügen.« »Der Teifel!« rief der Baron auf deutsch, »ßeigen Se mir doch die Fechsel!« Contenson reichte drei Aktenhefte mit blauem Umschlag hin, die der Baron nahm, indem er Contenson ansah und ihm zuflüsterte: »Du hättest ainen pessern Dag kehapt, wenn du mich kewarnt hättest.« »Ach, wußte ich, daß Sie hier sein würden, Herr Baron?« erwiderte der Spion, ohne sich darum zu kümmern, ob Louchard ihn hörte oder nicht. »Sie haben dabei verloren, daß Sie mir Ihr Vertrauen entzogen. Man rupft Sie,« fügte der tiefe Philosoph hinzu, indem er die Achseln zuckte. »Wreilich,« sagte der Baron bei sich selber. »Ach, maine Glaine,« rief er, als er die Wechsel sah, indem er sich zu Esther wandte, »Sie sind das Obwer aines Erzhalungen, aines Schwindlers!« »Leider, ja!« sagte die arme Esther; »aber er hat mich sehr geliebt! …« »Wenn ich hätt kewußt … dann hätt ich fier Sie Ainspruch erhoben.« »Sie verlieren den Kopf, Herr Baron,« sagte Louchard, »es ist ein zweiter Indossant vorhanden.« »Ja,« erwiderte er, »es ist ein ßweiter Intossant vorhanten …« »Will der Herr Baron ein Wort an seinen Kassier schreiben?« fragte Louchard; »ich werde Contenson zu ihm schicken und meine Leute entlassen. Die Zeit vergeht, und jedermann würde erfahren …«
»Keh, Gondanzon!« sagte Nucingen. »Main Gassier wohnt Ecke Rie tes Madhirins und de l’Argate. Hier ist ain Prief, damit er ßu den Kellers keht, wenn wir kaine hünderttausend Taler haben; denn unser Keld ist kanz auf der Pank … Sziehen Se sich an, main Engel,« sagte er zu Esther, »denn Sie sind frai. Die alten Frauen«, rief er, indem er Asien ansah, »sind kewährlicher als die jungen …«
»Ich gehe, um den Gläubiger zum Lachen zu bringen,« sagte Asien zu ihm, »und er wird mir so viel geben, daß ich mich heute amüsieren kann. Ohne Kroll, Herr Baron!« fügte die Saint-Estève hinzu, indem sie eine scheußliche Verbeugung machte … Louchard nahm die Papiere wieder aus den Händen des Barons entgegen und blieb mit ihm allein im Salon zurück, wohin eine halbe Stunde darauf mit Contenson auch der Kassier kam. Esther erschien eben in einer entzückenden, wenn auch improvisierten Toilette. Als Louchard die Summen gezählt hatte, wollte der Baron die Papiere nochmals prüfen, aber Esther ergriff sie mit der Geste einer Katze und trug sie in ihren Sekretär.
»Was geben Sie für das Gesindel?« fragte Contenson Nucingen. »Sie haben nicht kenommen viel Rücksicht,« sagte der Baron. »Und mein Bein! …« rief Contenson. »Lichart, Sie werden keben hündert Franken an Gondanzon von dem Rest des Tausendfrankenschains …«
»Das ist aine ssehr hibsche Frau!« sagte der Kassier zu dem Baron, als sie die Rue Taitbout verließen; »aber sie gömmt den Herrn Paron recht teier.« »Pewahren Se mir Kehaimnis,« sagte der Baron, der auch Contenson und Louchard um Schweigen gebeten hatte.
Louchard ging davon, und ihm folgte Contenson; aber auf dem Boulevard hielt Asien, die auf ihn wartete, den Exekutor zurück. »Der Gerichtsvollzieher und der Gläubiger sitzen da in einem Fiaker, sie haben Durst,« sagte sie, »und da ist was zu verdienen.«