Global Countdown - B. A. Mapelli - E-Book

Global Countdown E-Book

B. A. Mapelli

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Beschreibung

Irgendwann im 21. Jahrhundert Aktivisten von Klimaschutzorganisationen wie Fridays for Future und Last Generation protestieren immer noch gegen Luftverschmutzung und die Ausbeutung der Natur. Kriegerische Auseinandersetzungen sind weltweit an der Tagesordnung. Wasserknappheit und Hunger führen zu immer größeren Migrationsbewegungen. Trockenheit und Überschwemmungen wechseln sich Jahr für Jahr in vielen Regionen ab. Der Meeresspiegel steigt und steigt. Die Welt steuert auf eine Katastrophe zu. Die Mitglieder einer internationalen Organisation machen dafür Führungskräfte in Politik, Wirtschaft, Militär, Verbänden und Institutionen verantwortlich. Selbstüberschätzung, Gier nach Macht und Geld und die ungerechte Verteilung von Wohlstand sollen ausgemerzt werden. Die Entwicklung der Menschheit soll durch Veränderung der Genetik verbessert werden. Stammzellen werden im Mutterleib manipuliert. Man verschafft den heranwachsenden "Neuen" durch gezielte Schulung und Ausbildung Führungspositionen in den Schaltzentralen der Macht. Dies führt zu Widerstand. Die herrschende Elite möchte weder Macht noch Geld abgeben. Es dauert nicht lang, dann werden die "Neuen" behindert und bekämpft. Sie und ihre Unterstützer sehen sich mächtigen Gruppierungen gegenüber, die unbedingt die bestehenden Strukturen beibehalten wollen. Und dazu ist ihnen jedes Mittel recht.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Teil 2: Viele Jahre

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 1

Wie jeden Morgen nach dem Frühstück stand Guido Beltrame in seinem großen Wohnzimmer am Fenster, das nach Osten wies und von wo aus man die Hänge seiner weitläufigen Olivenhaine sehen konnte. Na ja, die Bezeichnung Frühstück war etwas zu hoch gegriffen, wenn man den Espresso und die beiden Gebäckstücke mit den Gepflogenheiten anderer europäischer Küchen verglich. Aber so war es nun Mal auf Sizilien. Morgens einen Schluck starken Kaffee und lediglich ein oder zwei kleine Stückchen Süßes.

Beltrame war, verglichen mit den meisten seiner Landsleute, groß gewachsen. Er maß gute eins achtzig, hatte eine sportliche Figur, jugendliche Gesichtszüge und man sah ihm seine zweiundvierzig Jahre erst auf dem zweiten Blick an.

Er ging die große Treppe ins Erdgeschoß hinunter und begrüßte an der offenen Küchentür seine Haushälterin Susanna. Für die Pflege der großzügigen Außenanlage stand Susanna ein Gärtner zur Seite, das Haus wurde von einer Putzfrau in Schuss gehalten, die alle zwei Tage in die Villa kam. Frau Susanna wohnte im Dachgeschoß in einer gemütlich eingerichteten kleinen Wohnung, wo es an Nichts fehlte.

„Guten Morgen Susanna. Wie geht es Ihnen?”

Die kleine mollige Frau hatte ihn nicht Kommen hören, zuckte bei seinen Worten erschrocken zusammen und drehte sich zu ihm hin, wobei sie ihre nassen Hände mit einem Geschirrtuch abtrocknete.

„Signore Guido, ich werde noch einen Herzanfall bekommen, wenn Sie nicht aufhören, auf so leisen Sohlen durch das Haus zu schleichen.”

Sie lachte und fuhr damit fort, Geschirr in einen der Hängeschränke über der Spüle zu räumen.

„Ja, Signore Guido, danke der Nachfrage, es geht mir trotzdem immer noch gut,” fügte sie freundlich hinzu.

Der Hausherr nahm an der Garderobe im Hausflur ein leichtes Sakko ab und hängte es sich lose um die Schultern. Dann trat er durch das mächtige hölzerne Eingangstor der Villa nach draußen in das grelle Licht der Morgensonne. Er ging schnell die fünf breiten Stufen aus grauem Granit hinab und schlug dann den Weg zur Garage ein. Er fuhr sich mit der Hand über die dunklen, halblangen Haare und überlegte, ob er sie nach dem Duschen gekämmt, oder ob er es wieder einmal vergessen hatte. Diese Marotte hatte er tatsächlich. Wenn er am Morgen in Gedanken vertieft war, konnte es passieren, dass er seine Morgentoilette durchzog, ohne daran zu denken, sich mit dem Kamm nach dem Trockenrubbeln durch die Haare zu fahren. Aber auch in diesem Fall war er immer noch ein attraktiver Mann. Fein geschnittene Gesichtszüge, schmale Lippen und eine etwas zu große Nase wurden dominiert von dunklen Augen.

Mit einer Fernbedienung an seinem Schlüsselbund öffnete er ein großes Garagentor. Dahinter standen zwei Autos, die durch die reflektierten Sonnenstrahlen zum Blitzen gebracht wurden, je weiter das silbrig glänzende Lamellentor nach oben fuhr. Er stieg in ein dunkelblaues Cabrio. Beltrame setzte das Auto rückwärts in einem Bogen in den mit weißem Kies bedeckten Hof. Obwohl die meisten Leute inzwischen Elektroautos fuhren, wollte er sein schon einige Jahrzehnte altes Vehikel auf keinen Fall abschaffen. Er fuhr langsam durch das zur Straße führende Portal, das einen Durchgang durch eine mindestens drei Meter hohe Umfriedung aus hellroten Ziegeln frei gab, die um das gesamte Anwesen gezogen war. Als er das Grundstück verlassen hatte, schloss sich das zweiflügelige schmiedeeiserne Tor kurz darauf automatisch.

Er nahm die Straße in Richtung Palermo, hielt nach etwa zwei Kilometern unterhalb seiner Weinberge an und sprach dort mit seinen Arbeitern, die sich jetzt im Frühjahr um die Pflanzen kümmerten. Im Mai war es wichtig, dass die Reben ausgedünnt wurden. Nur so konnte man auf eine gute Qualität im frühen Herbst hoffen. Voraussetzung war aber auch hier sonniges Wetter und ausreichend Regenwasser.

Wie immer, wenn er früh genug unterwegs war, nahm er einen Umweg, der ihn ein paar Kilometer weit an der Küste entlang führte. Im Frühling war der sanfte Wind, welcher vom Wasser ins Land blies, von einem nur schwer zu beschreibenden Aroma erfüllt. Er musste sich dazu zwingen, nicht genüsslich die Augen zu schließen. Er war natürlich nicht der einzige Fahrer, der diese herrliche Strecke befuhr. Mit geschlossenen Augen zu fahren, wäre schlicht und einfach unverantwortlich und unter Berücksichtigung des Fahrstils seiner Landsleute lebensgefährlich gewesen.

An einer schmalen Haltebucht entlang der asphaltierten Straße hielt er an und schaute hinab zum Strand, wo sich die leichte Brandung an unzähligen bizarren Felsen jeder Größe brach. Er sah zwei Männer, die ihre Angeln ausgeworfen hatten und nun geduldig und reglos auf Beute warteten.

Er schloss die Augen und im selben Moment zogen die Bilder aus der Vergangenheit auf, die er nicht vergessen konnte. Das Datum war ihm unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt, als das große Schlauchboot in nicht mehr als etwa hundert Meter Entfernung vom rettenden Ufer in einer kalten Morgendämmerung im Dezember 2016 von einer hohen Welle seitlich hochgedrückt wurde und kenterte. Er war wie heute auf dem Weg ins Büro und hatte die Szene im Augenwinkel mehr erahnt als gesehen. Damals war er ausgestiegen und hatte hinaus gespäht auf das raue Meer, auf dessen Wellen immer wieder dunkle Punkte zu sehen waren, die dann schon nach ein paar Sekunden wieder von der nächsten Welle verschluckt wurden. Er war hinunter zum Strand gerannt und hatte sich gehetzt umgesehen, ob vielleicht noch andere Leute da waren, die den offensichtlich gestrandeten Menschen draußen im Wasser helfen können. Doch am Ufer war niemand sonst zu sehen.

Er war bis zu den Knöcheln im Wasser gestanden, und hatte die unruhige graue Oberfläche mit den Augen abgesucht. Er hatte krampfhaft überlegt, was er tun könnte, um den Schiffbrüchigen zu helfen.

Mit seinem Handy hatte er einen Notruf abgesetzt. Mit kurzen Worten schilderte er das Unglück, beendete dann das Gespräch und blickte hilflos im seichten Wasser hin und her watend auf die vor ihm ablaufende Tragödie. Es waren Dutzende von Personen, deren Köpfe aus dem Wasser ragten und zumeist mit unbeholfenen Schwimmbewegungen versuchten, an Land zu gelangen. Vereinzelt erkannte er, dass wohl auch Kinder im Wasser waren, weil man dies durch die Größenunterschiede erahnen konnte. Die Kleinen befanden sich so nah bei den Erwachsenen, dass man davon ausgehen konnte, dass die Leute versucht hatten, die Schwächeren in Sicherheit zu bringen.

Ungeduldig und frustriert ob seiner Hilflosigkeit schaute Beltrame damals zurück zur Straße, in der Hoffnung, dass bald ein Rettungstrupp eintreffen würde. Es war in diesen Tagen nicht ungewöhnlich, dass Schiffe aller Bauarten an den Stränden Siziliens verunglückten. Er hatte aber bis zu diesem Morgen noch niemals eine solche Tragödie persönlich und hautnah erleben müssen.

Später, der Rettungstrupp war nach etwa einer halben Stunde am Strand eingetroffen, schaute er hilflos den Sanitätern und Feuerwehrleuten zu, die viele Leichen geborgen hatten und jetzt dabei waren, die Wasseroberfläche abzusuchen. Er sah lauthals schluchzende Männer mit reglosen kleinen Kindern in den Armen. Frauen rannten unaufhörlich am Strand entlang und suchten nach ihren Angehörigen. Draußen kreuzte ein Boot der Küstenwache parallel zum Ufer. Offenbar suchte man immer noch nach Überlebenden oder Ertrunkenen.

Beltrame wandte sich damals ab, ging zu seinem Auto und wischte sich beim Anfahren die Tränen aus den Augen.

Jetzt auf der Fahrt in sein Büro war Beltrame froh, diese Stelle am Strand hinter sich zu lassen und die schreckliche Erinnerung verdrängen zu können.

Eine knappe Stunde später hatte er seinen Sportwagen im Hof einer Privatklinik geparkt, eine Seitentür des fünfstöckigen Gebäudes mit seiner Chipkarte geöffnet und war dann mit dem Aufzug in die oberste Etage gefahren. Dort ging er direkt in sein Büro, welches er ebenfalls durch eine Seitentür betrat und deshalb von seinen beiden Sekretärinnen erst bemerkt wurde, als er die Gegensprechanlage betätigte.

„Einen schönen guten Morgen, die Damen. Hoffe, dass es Ihnen mindestens genauso gut geht, wie mir. Wie stehen die Aktien in Bezug auf einen Latte Macchiato?”

„Einen Augenblick bitte, Herr Direktor. Wir haben schon alles vorbereitet. In einer Minute können Sie den ersten Schluck probieren. Darf es sonst noch etwas sein?”

„Bitte, wie immer, die Morgenpost mit den notwendigen Kommentaren von Frau Salina.”

Es verging kaum eine Minute und eine hübsche Frau Mitte dreißig trat durch die zweiflügelige Bürotür in das Zimmer von Direktor Beltrame. Sie trug ein goldfarbenes Tablett, auf welchem eine große Tasse mit schaumigem Kaffee stand. Daneben war eine kleine Schale Gebäck angerichtet, die Post hatte sie unter den Arm geklemmt. „Guten Morgen, Signore Beltrame. Es ist immer wieder erstaunlich, wie Sie es schaffen, schon am frühen Morgen eine solche Vitalität auszustrahlen. Ich hoffe, dass Sie es mir nicht verübeln, wenn ich so offen darüber spreche. Aber es ist nun Mal so. Und deshalb muss ich es auch sagen, weil es sonst niemand tut.”

„Meine liebe Frau Christina, ich bin nicht böse darüber, dass Sie mir Komplimente machen. Nur weiter so. Das tut mir natürlich auch gut. Und was steht heute Wichtiges an?”

„Bevor wir die Post durchgehen, möchte ich Ihnen sagen, dass sich Eriwan gemeldet hat. Man bittet um einen Rückruf. Mehr habe ich nicht erfahren können. Aber das ist ja normal bei Herrn Vanessian.”

Der Chef hatte seine Sekretärin etwas erstaunt angesehen. Beltrame arbeitete als Mediziner in seiner eigenen Klinik in Palermo. Daneben engagierte er sich schon seit Jahren in einer achtköpfigen Organisation, die sich weltweit in Politik, Wirtschaft und anderen wichtigen Gebieten um eine gerechte Verteilung der notwendigen Lebensgrundlagen bemühte. Samuel Vanessian in Eriwan war ein Mitglied der Organisation. Er war derzeit der Führer der Gruppe. Die Führungsaufgabe wurde alle zwei Jahre innerhalb der Organisation gewechselt.

„Gut, dann rufe ich am besten gleich an. Wenn Sie mich bitte für die nächsten Minuten ungestört lassen könnten.”

Frau Salina, ihr Chef sprach sie in der Regel mit ihrem Vornamen Christina an, lächelte und verließ das Zimmer. Beltrame zog ein kleines altmodisches Telefon aus der Jackentasche und drückte ein paar Tasten. Dann hielt er sich das Gerät ans Ohr und wartete.

„Hallo, hier Beltrame. Mit wem spreche ich?”

„Mit wem schon, du hast die Geheimnummer gewählt. Hier ist Samuel, mein lieber Guido. Auf deinen Anruf warte ich schon eine ganze Weile.”

„Wieso denn? Ich habe gerade erst erfahren, dass du mich sprechen willst. Schneller geht es wirklich nicht.”

„Ja, klar. Vor neun Uhr bist du ja nie im Büro. Egal, hör mir bitte zu. Es ist etwas passiert und wir müssen uns treffen. Der alte Sottosole in Caracas hat sich zurückgezogen. Er meint, dass er seine Aufgaben nicht mehr zu hundert Prozent wahrnehmen kann. Er schlägt einen Nachfolger, besser gesagt eine Nachfolgerin vor, die sich bei uns vorstellen soll. Ich glaube, es ist seine Tochter aus erster Ehe. Bin aber nicht sicher, weil er meinte, dass sie sich persönlich vorstellen wolle und vorerst keinen Kommentar zu ihrer Lebensgeschichte abgab. Wir sollten sie zuerst einmal kennen lernen.”

„Und wo soll das Treffen stattfinden?”

„Genau darüber möchte ich mit dir reden. Wenn man einmal von Caracas absieht, liegt Palermo relativ zentral zu den anderen Standorten. Wie siehst du das?”

Beltrame zögerte kurz und antwortete dann.

„Ja, das stimmt. Okay, Caracas ist weit weg. London, Amsterdam, Algier, Tobruk, Nairobi und Eriwan. Von den internationalen Flughäfen in diesen Städten kann man direkt nach Palermo oder Catania fliegen. Und die Nordafrikaner könnten sogar mit dem Boot kommen. Hat auch etwas für sich, nicht wahr?”

Der Armenier stimmte begeistert zu.

„Ja, auf jeden Fall. Wie immer müssen wir dafür sorgen, dass die Zusammenkunft nicht nachvollzogen werden kann, falls irgendjemand sich dafür interessieren sollte. Unsere Sicherheitsstandards stehen wie immer an erster Stelle. Wie die Jungs anreisen, kann jeder für sich selbst auswählen und dann vorschlagen. Entscheiden werde dann ich hier in Eriwan. Also, wann kann das Treffen bei dir stattfinden und wo willst du es organisieren, lieber Guido?”

„Am besten bei mir zu Hause in der Villa. Wie du weißt, wohne ich auf dem Lande. Meine Leute sind nicht neugierig, loyal und außerdem äußerst zurückhaltend, was mein Privatleben angeht. Und wann soll das stattfinden?”

„Schon am kommenden Sonntag, wenn du das kurzfristig einplanen und organisieren kannst. Ich bin sehr daran interessiert, die Nachfolge von Hugo so schnell wie möglich zu regeln. Ich hoffe, dass diese Frau die notwendigen Qualifikationen mitbringt und hundertprozentig vertrauenswürdig ist, damit wir ihr gegenüber ohne Risiko unsere Pläne offenlegen können. Also, geht das klar am Sonntag?” Der Italiener war aufgestanden und ging im Büro zum Fenster. Er dachte kurz darüber nach, welche Vorbereitungen das Treffen notwendig machen würde. Dann bestätigte er.

„Ja! Kein Problem. Wenn ich jemanden abholen soll, egal ob in Palermo oder in Catania, dann sage mir Bescheid. Dasselbe gilt für die Jungs, die eventuell mit dem Boot kommen. Gib mir einfach die Ankunftszeiten und den Hafen durch, ich organisiere dann die Transfers. Und wie kommst du? Mit dem Flieger oder mit dem Schiff?”

„Auf dem Wasser schaffe ich das nicht. Bis ich von Eriwan aus einen Schwarzmeerhafen erreicht habe, nein, das klappt nicht. Ich werde mit dem Privatjet kommen. Ich lande aber nicht auf einem der großen Flughäfen in Catania oder Palermo. Mal sehen, vielleicht in Messina, und von dort aus mit dem Mietwagen. Ich melde mich wieder und gebe dir Bescheid. Also, mach es dir gemütlich für den Rest des Tages, du alter Zeitverschwender.” Bevor Beltrame etwas erwidern konnte hatte Samuel Vanessian aufgelegt.

Beltrame verstaute sein Telefon in der Jackentasche und lehnte sich nachdenklich in seinem Ledersessel zurück. Dann drückte er eine Taste an der Gegensprechanlage und rief nach seiner Sekretärin.

Kapitel 2

Am folgenden Sonntag gegen Mittag trafen die letzten beiden Teilnehmer der Konferenz auf dem Anwesen Beltrames ein.

„Da seid ihr ja, meine Freunde. Hat alles geklappt während der Anreise oder hattet ihr Schwierigkeiten?”

„Nein, wir konnten problemlos im Hafen von Palermo anlegen. Nach der Zollkontrolle haben wir uns einen Leihwagen genommen und sind hierhergefahren. Und wie geht es dir, Guido? Du siehst gut aus, wie immer.”

Arthur Mehmedi und Hassan Aramina hatten sich in Algier getroffen und waren von dort aus mit Mehmedis Boot in Richtung Sizilien aufgebrochen. Beltrame legte eine Hand auf die Schulter des Libyers.

„Du schmeichelst mir wieder. Das ist auch wie immer. Mir geht es prächtig. Kommt jetzt mit mir. Die anderen sind schon da. Wir haben ein schönes Mittagessen vorbereiten lassen. Ihr habt doch sicher auch Hunger, oder?”

„Ja, wir sind schon sehr früh ausgelaufen. Hoffe, dass es auch etwas zu trinken gibt, Guido. Du wirst doch einem alten Freund nicht deinen wunderbaren Wein vorenthalten wollen.”

Lachend stiegen sie die Treppe vor dem Hauseingang hinauf und betraten das Haus.

Im Esszimmer saßen an dem langen Tisch mehrere Leute, die sich angeregt unterhielten. Als die beiden Neuankömmlinge mit Beltrame eintraten verstummten die Gespräche und einer der Männer stand auf. Er kam ihnen an der Tür entgegen und schüttelte den beiden Neuankömmlingen die Hand.

„Arthur Mehmedi, alter Freund. Schon lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir? Du bist nicht älter geworden, wie machst du das?”

Der Armenier Vanessian hatte es sich nicht nehmen lassen, die beiden älteren Herren willkommen zu heißen.

„Hallo Samuel. Ich freue mich auch, dass du endlich einmal wieder ein Treffen organisiert hast. Es wurde wirklich Zeit. Auch wenn es nicht gerade ein freudiges Ereignis ist, welches uns hier zusammenbringt. Ich finde es schade, dass der alte Sottosole zurücktritt.”

„Und du, lieber Hassan, wie geht es dir?”

Vanessian hatte den alten Mann aus Tobruk umarmt und nach italienischer Tradition rechts und links einen Begrüßungskuss angedeutet. Man konnte ihm ansehen, dass er ein wenig gerührt war.

„Mir geht es so gut wie noch nie, lieber Samuel. Ich habe vor zwei Wochen wieder geheiratet. Da muss es mir ja gut gehen, nicht wahr?”

Alle lachten und Guido führte seine Gäste an den Tisch, wo sie ihre Plätze einnahmen.

An der einen Stirnseite saß eine Frau in den Dreißigern, die die Begrüßungszeremonie neugierig verfolgt hatte. Sie war die einzige Frau am Tisch. Beltrame hatte hinter seinem Stuhl verharrt und hob die Hand zum Zeichen, dass er etwas sagen wollte.

„Also meine Herren, wir sind heute hier, um unsere neue Partnerin aus Caracas kennenzulernen. Das ist Maria Grazia Sottosole. Ihr Vater hat sie uns als seine Nachfolgerin empfohlen. Und wir wollen an diesem Wochenende mit ihr zusammen entscheiden, ob eine zukünftige Zusammenarbeit für beide Seiten von Nutzen sein wird. Ich möchte Euch alle auffordern, während des Essens mit Frau Sottosole einen regen Gedankenaustausch zu pflegen. In dieser leider etwas kurz bemessenen Zeit wird es nicht einfach sein, sich auch persönlich näher kennenzulernen. Jetzt wünsche ich allen einen guten Appetit.”

Er setzte sich und klingelte mit einer kleinen Messingglocke nach dem Küchenpersonal, welches schon nach kurzer Zeit damit begann, die Antipasti zu servieren.

Nach dem mehrgängigen Menü aus sizilianischen Spezialitäten, hatten sich alle auf der Terrasse hinter der Villa eingefunden. Maria war zuvor auf ihr Zimmer gegangen, um sich frisch zu machen. Sie erschien als Letzte und Beltrame empfing sie mit einem Glas eisgekühlten Marsala. Er bat sie, zu ihm an einen kleinen Tisch in einer Ecke zu sitzen.

„Wie gefällt es … oh, entschuldigen Sie bitte, ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass wir Englisch reden müssen.”

Beltrame hatte sie auf Italienisch angesprochen. Vereinbart war aber, dass man sich ausschließlich auf Englisch verständigte, damit alle mitbekamen, was gesprochen wurde. Die dunkelhaarige Frau hatte an ihrem Marsala genippt und erwiderte Beltrames Blick.

„Ich habe nur sehr wenig gesehen, seit ich in Palermo gelandet bin. Die Stadt scheint sehr interessant zu sein. Auf dem Weg hierher ist mir aufgefallen, dass neben dem Weinbau auch Oliven sowie Kapern kultiviert und üppige Kräuterplantagen betrieben werden. Das gefällt mir, muss ich sagen. Vielleicht bietet sich ja eine Möglichkeit und Sie zeigen mir die Umgebung während einer kleinen Rundfahrt.”

„Das können wir gerne machen. Wie lange bleiben Sie denn auf Sizilien?”

„Mein Vater hat mir geraten, ein paar Tage zu bleiben, um die Insel ein wenig besser kennenzulernen. Außerdem meinte er, dass es wichtig sei, mich mit Ihnen nicht nur oberflächlich bekanntzumachen. Ist Ihnen das recht?”

„Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung. Morgen früh fahre ich kurz in die Klinik und organisiere alles Notwendige. Gegen Mittag bin ich wieder hier und wir fahren dann zu einem herrlich gelegenen Landgasthof zum Essen. Ist das in Ihrem Sinne?”

„Das wäre wunderbar. Ich kann also davon ausgehen, dass man mich in die Firma aufnehmen wird?”

„Ja, während Sie in Ihrem Zimmer waren, wurde einstimmig beschlossen, dass wir dem Vorschlag Ihres Vaters folgen wollen. Wir sind alle der Auffassung, dass Sie das Team maßgeblich unterstützen und wir von Ihrer Arbeit profitieren werden. Darauf wollen wir anstoßen. Kennen Sie diesen trockenen Likör aus Wein? Eine Spezialität aus Sizilien.”

„Ich habe schon von Marsala gehört. Getrunken habe ich ihn aber noch nicht. Prost.”

Vanessian war zu ihrem Tisch gekommen und lächelte sie beide freundlich an.

„Frau Sottosole, hat Ihnen Guido schon gesagt, dass wir Sie in unserem Kreis begrüßen wollen?”

Maria Grazia nickte und stellte ihr Glas auf dem hellen Marmortisch ab.

„Ja, ich bin im Bilde und ich freue mich darauf, endlich zu erfahren, worum es bei diesem streng geheimen Projekt geht. Mein Vater hat mir überhaupt nichts gesagt. Noch nicht einmal in Andeutungen. Also, wann werde ich mehr erfahren?”

Der Armenier Vanessian sah von Beltrame zu der jungen Südamerikanerin und fuhr fort.

„Heute Nachmittag halten wir eine offizielle Sitzung ab. Die neuesten Ergebnisse und der Stand der Forschung werden erörtert. Sie haben dann die Möglichkeit, Fragen zu den einzelnen Projekten zu stellen. Jeder im Team verantwortet entweder Forschungen auf medizinischer Ebene oder Aktionen zur Veränderung der Infrastruktur von internationalen Entscheidungsgremien, wie wir das nennen. Sie können gespannt sein.”

Vanessian drehte sich um und machte zwei Schritte in Richtung der kleinen Gruppe, die sich im weitläufigen Garten unter einem Baum zusammengefunden hatte. Dann hielt er inne und kam wieder zurück.

„Es ist üblich, dass wir uns beim Vornamen nennen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie dieser Tradition zustimmten. Ich bin Samuel und das hier ist Guido. Wenn Sie mögen, dann kommen Sie mit mir mit. Ich werde Sie den anderen nochmals vorstellen und Ihnen ihre Vornamen nennen.”

Maria Grazia nickte nur, was offenbar ihre Art war, anstatt mit Ja oder Nein zu antworten. Sie folgte Vanessian in den Garten.

Beltrame machte sich dann auf den Weg ins Haus, um den Versammlungsraum her zu richten.

Im Kellergeschoss befand sich unter anderem ein durch eine Stahltür abgesicherter fensterloser Raum, der direkt unter der Terrasse angelegt war. Er war etwa so groß, wie die Plattform darüber und maß ungefähr zwölf auf sechs Meter. In der Mitte stand ein dunkler, ovaler Holztisch, der von Stühlen umringt war. An der Stirnseite links von der Tür hing eine Weltkarte, auf der einige Orte mit bunten Stickern gekennzeichnet waren. An der gegenüber liegenden Wand waren auf einer Anrichte verschiedene Geräte aufgereiht, die Vanessian bediente, während die Mitglieder des Teams ihre Plätze einnahmen. Als der Armenier sich zum Tisch umdrehte verstummte das Gemurmel und er schaute in erwartungsvolle Gesichter.

„Da wären wir also. Ihr kennt ja diesen Raum schon, bis auf Maria Grazia natürlich. Ich möchte aus diesem Anlass Hassan darum bitten, unser neues Mitglied über das Projekt und die Ziele unserer Arbeit zu informieren. Hassan ist der Älteste und der letzte Aktive aus der Gründungsversammlung vor mehr als nunmehr vierzig Jahren, nachdem Sottosole sich zurückgezogen hat. Hassan, darf ich bitten?”

Vanessian nahm seinen Platz ein und Hassan Aramina stand auf und begab sich auf die frei gebliebene Stirnseite des Tisches, wo sich die Apparaturen für die Bedienung eines Bildgebers befanden. Man konnte an seinem etwas schleppenden Gang erkennen, dass er nicht mehr der Jüngste war. Er wischte mit dem Daumen über ein in der Tischplatte eingelassenes schachbrettgroßes Display und das Licht wurde gedimmt. Gleichzeitig erschien auf der gegenüberliegenden Seite auf einer von der Decke herunter gefahrenen Leinwand ein Bild, welches einen von Sträuchern umgebenen Hof zeigte, auf dem eine große Anzahl kleiner Kinder spielte. Quer über dem Bild stand das Wort PLACENTA.

„Maria Grazia, nochmals herzlich Willkommen im Team. Ich werde versuchen, so kurz wie möglich zu erläutern, warum es unserer Organisation gibt und welche Ziele wir verfolgen. Wenn Fragen auftauchen, dann bitte notieren, damit wir sie am Ende meines Vortrages abarbeiten können. Wenn ihr mir gestattet, dann werde ich mich setzen. Ihr wisst ja, die Knie sind nicht mehr die Neuesten.”

Mit diesen Worten zog er einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.

„Vor nunmehr exakt 42 Jahren trafen sich acht Männer in einem Hotel in Genf, um zu beraten, wie man es schaffen könnte, die Welt zu verbessern. Man blickte zurück auf viele, viele Kriege, Genozide, Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen, Umweltkatastrophen, die allesamt von uns Menschen verursacht, durchgeführt und verantwortet worden waren. Machtgier, Geldgier, Geltungssucht, die Fähigkeit, andere zu foltern bis zum Tode, alles das musste man als von Menschen gemacht erdulden und erleiden, ohne dass auch nur der Ansatz zu einer Verbesserung der Situation erkennbar gewesen wäre.

Die Nachfolger von Religionsstiftern, wie beispielsweise Mohammed und Jesus, versuchten vor vielen hundert Jahren durch das Erstellen von Regeln ein einigermaßen erträgliches Zusammenleben zwischen den Menschen zu vermitteln. Erfolglos, weil bis zum heutigen Tag die Führer der großen Weltreligionen selbst nur an den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Organisationen interessiert waren und immer noch sind, und dafür ohne Hemmungen Andersgläubige umbringen. Die acht Männer erörterten die Gründe für diese Fehlentwicklungen, welche nicht zu korrigieren waren und sich immer wieder aufs Neue bildeten. Man kam zu dem Schluss, dass die Menschen offenbar von Geburt aus dazu veranlagt sind, ihre egoistischen Ziele strikt und ohne Rücksicht auf andere zu verfolgen. Das Ergebnis war, dass man die Veranlagung des Menschen so verändern müsse, dass die Gier nach Macht und Geld nicht mehr im Vordergrund steht und alle Entscheidungen beeinflusst. Jetzt stellte sich die Frage, wie dies zu erreichen ist. Darüber hinaus erkannte man, dass selbst bei Gelingen dieses Vorhabens, die geläuterten Menschen dann in Positionen kommen müssten, die sie in die Lage versetzten, Entscheidungen im großen Stile zu treffen, damit die geschilderten Untaten verhindert werden könnten und falsch veranlagte Mitmenschen entsprechend umfunktioniert werden könnten.”

Hassan nahm ein Glas vor sich auf und trank einen Schluck. Seine Zuhörer blickten gebannt auf die Projektionen auf der Wand, die den Vortrag mit eindrucksvollen und auch grausamen Bildern unterstrichen hatten.

„Zusammenfassend möchte ich die nach monatelangen Beratungen entwickelten Maßnahmen vorstellen, die seit Jahren angestoßen und umgesetzt werden. Wir arbeiten in Privatkliniken daran, das Menschwerden im Mutterleib so zu beeinflussen, dass keine Mörder und Folterer und keine machtbesessenen und geldgierigen Menschen mehr geboren werden. Dazu versucht ein internationales Ärzteteam, über Genmanipulationen diese Teufels-Gene, wie wir sie nennen, zu isolieren. Wir sind dabei auf einem guten Weg und konnten bereits Erfolge verzeichnen. Diese ‚Neuen’, wie wir sie bezeichnen, werden dann in Positionen eingeschleust, um von dort aus das Leben auf der Erde positiv zu beeinflussen. Es ist uns gelungen, Stellen in der Politik zu besetzen. Wir mussten aber bald erkennen, dass die Politiker keine große Einflussmöglichkeiten auf die Geschehnisse haben, die beispielsweise zu kriegerischen Konflikten oder zu Folter durch Sicherheitskräfte führen.

Am Ende mussten wir einsehen, dass die Wirtschaftsbosse entscheiden, ob irgendwo ein Krieg angezettelt wird, oder nicht. Politiker werden dazu benutzt, die Bürger auf einen Waffengang vorzubereiten. Organisierte Kriminalität ist die zweite Triebfeder für Ausbeutung, nationale und internationale Brandherde und Ausrottung ganzer Gesellschaften, wenn man es als notwendig für das Geldscheffeln ansieht. Wir mussten daher unsere Strategie ändern und unsere Leute in der Wirtschaft und bei der Mafia in maßgebliche Positionen einschleusen. Neben den Anstrengungen in der Vererbungslehre, bildet die Unterwanderung unserer ‚Neuen’ in Wirtschaft und kriminelle Organisationen derzeit unsere Hauptarbeit. Welche Projekte in Caracas verfolgt werden, wird dir, Maria Grazia, am besten Samuel erklären. Er hat den Überblick über die gesamte Organisation.”

Der alte Araber lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und gab Guido einen Wink. Dieser saß neben ihm und beugte sich zu ihm hin und wartete darauf, dass ihm Hassan sagte, was er für ihn tun könne.

„Gibt es auch etwas anderes als das Wasser hier?”

Er hatte zwar leise gesprochen, die anderen konnten es aber dennoch verstehen und alle grinsten den Alten an. „Ja, natürlich! Ich lasse uns gleich etwas bringen. Und du, Maria Grazia. Was kann ich dir anbieten?”

Die dunkelhaarige Frau hatte kaum auf die Ansprache reagiert, man konnte ihr ansehen, dass sie offensichtlich damit beschäftigt war, das Gehörte zu verarbeiten.

Kapitel 3

Am nächsten Tag war Guido Beltrame kurz nach zwölf Uhr in die Villa zurückgekehrt. Seine Gäste hatten sich am Vorabend mit Ausnahme von Frau Sottosole verabschiedet. Die beiden Nordafrikaner fuhren in den Hafen von Palermo, wo ihr Boot wartete, die anderen hatten Flüge in Palermo und Catania gebucht.

„Guten Tag Maria Grazia. Schon ein wenig eingelebt in meinem Haus?”

„Ja, danke. Ich habe gut geschlafen. Das Frühstück habe ich ebenfalls genossen. Ich bin ein wenig im Garten herumgegangen. Er ist sehr schön.”

„Ja, das stimmt. Unser Gärtner versteht sein Handwerk und außerdem macht es ihm Spaß, was sich auf die Qualität seiner Arbeit auswirkt. Was ich dich noch Fragen wollte, wirst du zu Hause lediglich Maria gerufen oder ist es üblich, dass beide Vornamen genannt werden?”

„Ach, das ist unterschiedlich. Mein Vater sagt nur Maria zu mir. Nur dann, wenn er etwas deutlich machen will oder sich über mich geärgert hat, ruft er beide Namen. Aber sonst heiße ich Maria. Und das kannst du auch so machen, wenn du willst.”

„Gut, Maria. Wenn du startklar bist, dann fahren wir jetzt zum Mittagessen.”

Sie ging noch kurz in ihr Zimmer und war schon eine Minute später im Hof, wo Guido sie in seinem Cabrio erwartete.

Sie fuhren gemächlich durch die hügelige Gegend und Maria bewunderte die üppig blühende Buschlandschaft, die sich rechts und links die Straße entlang und über die sanft ansteigenden Wiesen hinzog.

Guido nannte die Sträucher beim Namen und erklärte Maria, welche Früchte daran wuchsen und wann man sie ernten konnte. Es gab Haselnuss, Mandelbäume, Kapern und auch Gewürzpflanzen, wie Rosmarin, Thymian, Salbei und Majoran. Maria hatte ihr Fenster herunter gedreht und der Duft der Pflanzen war betörend. Das Verdeck war zurückgeklappt, sie hatte aber bei der Abfahrt ihr Fenster nach oben gefahren, um ihre Frisur vor dem Fahrtwind zu schützen. Jetzt war ihr das gleichgültig und die Haare flatterten im warmen Wind.

„So etwas habe ich noch nie gerochen. Ist das immer so?”

„Zu dieser Jahreszeit ist es am stärksten, weil nachts noch Tau auf den Blättern und Blüten entsteht. Wenn der Tau dann tagsüber verdampft, nimmt er die Gerüche mit in die Luft und man könnte meinen, man liege in einer Badewanne voller Düfte. Wenn die Kräuter und Gewürze reif sind, riechen sie deutlich intensiver, allerdings muss man dann sehr nahe bei ihnen stehen.”

Eine knappe halbe Stunde später bog Guido auf einen von Bäumen beschatteten Parkplatz und stellte sein Auto ab. Die beiden betraten ein niedriges Bauernhaus, das mit Holzmöbeln im alten Stil eingerichtet war. Es war eine Osteria, die von einer Familie betrieben wurde. Der Gastraum war nicht sehr groß. Beltrame begrüßte eine junge Frau, die hinter dem Tresen stand. Dann führte er Maria zu einem Tisch in einer Ecke im hinteren Teil des Lokals. Sie nahmen Platz und Maria konnte von ihrem Stuhl aus durch ein Fenster in den Hinterhof des Hauses schauen. Dort pickte eine Schar Hühner nach Samenkörnern auf dem sandigen Boden.

„Das ist aber gemütlich hier. Wir wohnen zwar in Caracas auch in einem Vorort auf dem Lande, aber Hühner habe ich schon lange nicht mehr lebendig gesehen.” Maria hatte den Mund zu einem Lächeln verzogen und sah Guido freundlich an.

Ihr Begleiter schaute sich aufmerksam im Lokal um.

„Für einen Montag ist ganz schön viel Betrieb. Habe mir schon draußen gedacht, dass etwas Besonderes sein müsse, weil vier oder fünf Autos geparkt waren. Normalerweise ist am Wochenanfang nicht viel los. Aber, egal. Dann können wir davon ausgehen, dass es die eine oder andere Spezialität gibt, die sonst nicht angeboten wird. Was möchtest du denn gerne essen? Fleisch, Fisch, Gemüse, Salat, Pasta, oder etwas ganz anderes?”

„Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Was kannst du denn empfehlen? Ich esse fast alles gerne.”

„Wenn ich hierherkomme, esse ich immer zuerst eine kleine Platte gegrilltes Gemüse. Es wird auf Holzkohle zubereitet und nur mit etwas Olivenöl und grobem Salz gewürzt. Das schmeckt hervorragend, glaube mir.”

„Das hört sich gut an, da schließe ich mich gerne an. Und was gibt es danach?”

Maria hatte sich vorgebeugt und schaute ihren Gastgeber neugierig an.

„Meine Vorliebe gehört den selbst gemachten Ravioli. Die Füllung besteht aus fein geriebenen Zwiebeln, gehackter Geflügelleber und frischen Kräutern. Die Bindung wird durch Eigelb und geriebenem Parmesan oder Grana Padano erreicht. Die Ravioli werden gegart und dann in der Pfanne in Butter geschwenkt, zuletzt werden ein paar frische Salbeiblätter mit angeröstet.”

„Jetzt meldet sich aber der Hunger bei mir. Noch eine Frage zu den Ravioli, was ist Grana Padano? Parmesan ist mir bekannt, Grana habe ich noch nie gehört.”

Beltrame schaute sie erstaunt an.

„Ja, diesen Käse kennt man fast nur in Italien. Im Norden fließt der größte Fluss Italiens. Er heißt Po und entspringt im Piemont, fließ dann durch die Lombardei und in Venetien mündet er in die Adria. An den Flussufern in der Lombardei, man nennt dieses Gebiet die Pianura Padana, produzieren die Milchbauern einen Hartkäse, welcher dem Parmesan mehr als ähnlich ist. Aus Markenschutzgründen dürfen sie ihren Käse aber nicht Parmesan nennen. Und so haben sie ihn einfach Grana Padano genannt. Ich esse ihn fast lieber als den Parmesan. Aber auch hier kommt es auf den Hersteller an.”

Maria hatte interessiert zugehört.

„Und danach kann man immer noch etwas essen, oder ist es dann genug?”

Guido ließ eine Hand auf die Tischplatte fallen und lachte.

„Genug? Wo denkst du hin. Ich mache dann gewöhnlich eine kleine Pause und nehme einen Limoncello. Den machen sie hier selbst. Und wenn die Vorspeisen verdaut sind, dann nehme ich entweder Fisch vom Grill oder einen kleinen Lammeintopf mit Gemüse. Alternativ kann man auch bunten Salat mit gebratenen Garnelen als Abschluss nehmen. Vielleicht gibt es ja heute noch eine Spezialität, die es sonst nicht gibt. Wir können ja einfach fragen, oder?”

Die junge Frau vom Tresen kam zu ihnen an den Tisch und stellte eine Wasserflasche und zwei Gläser ab. Dann legte sie Servietten und Besteck dazu und schaute sie lächelnd an.

„Signorina Monica, was können Sie uns als Hauptgang empfehlen? Das hier ist Frau Maria Grazia aus Venezuela. Ich habe ihr von meinen Lieblingsspeisen schon vorgeschwärmt. Aber vielleicht gibt es ja heute etwas Besonderes? Mir scheint, dass mehr Gäste da sind, als es montags sonst der Fall ist.”

Er hatte dabei seinen Blick zu dem langen Tisch im vorderen Teil des Raumes gewandt, an dem ein gutes Dutzend Personen recht laut und angeregt miteinander palaverten, wie man es in Sizilien üblicherweise erleben konnte.

„Ja, das stimmt. Heute haben wir ausnahmsweise Spanferkel vom Grill, wie man es auf Sardinien zubereitet. In Weißwein und mit Rosmarin und Salbei eingelegt. Es schmeckt wirklich gut, ich habe es probiert. Wir haben eine Geburtstagsfeier und die Leute haben das Essen bestellt.”

Beltrame übersetzte ins Englische.

„Ich habe sie verstanden. Italienisch habe ich schon vor vielen Jahren gelernt. Leider benütze ich es nur selten. Und die junge Frau hat sich deutlich bemüht, den sizilianischen Dialekt zu vermeiden. Sonst hätte ich wahrscheinlich nichts verstanden. Also ich bin für die Speisenfolge, wie du sie vorgeschlagen hast. Und als Hauptgang möchte ich die Garnelen auf Salat. Sonst wird es mir zu viel, glaube ich.”

Er bestellte für Maria und für sich die beiden Vorspeisen, dann den Salat für sie und für sich das Spanferkel.

„Ich möchte den trockenen Weißwein, den der alte Giuseppe unten bei Licata anbaut. Der schmeckt dieses Jahr wieder sehr gut. Man meint tatsächlich, dass er ein wenig mit Salz aromatisiert ist und der Nachtwind vom Meer dazu beiträgt. Maria, ich bestehe darauf, dass du diesen köstlichen Tropfen zumindest probierst. Wasser steht ja schon hier.”

Der Sizilianer hatte seinen Wunsch sehr nachdrücklich vorgebracht.

„Ich bin zwar eine Frau, aber das heißt nicht, dass ich immer nur Wasser trinke. Keine Angst, ich werde nicht anfangen zu singen oder auf dem Tisch zu tanzen.”

Guido lachte und auch die junge Bedienung stimmte ein. Maria hatte in perfektem Italienisch geantwortet.

Während des Essens sprach Guido über die medizinischen Forschungen, die sowohl in seiner Klinik in Palermo als auch in anderen Krankenhäusern in Amsterdam, London und Eriwan permanent durchgeführt wurden.

„Wir haben die Arbeitsweise unserer Vorgänger übernommen. Damals ging man davon aus, dass man das Erbgut des Menschen dahingehend verändern müsse, dass die angeborenen Überlebensstrategien um einige wenige Faktoren, und zwar Habsucht, Geltungssucht und die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, ausgemerzt werden. Heute ist man den Genen auf der Spur, die dafür verantwortlich sind.”

Beltrame probierte den inzwischen servierten Weißwein und nickte anerkennend.

„Mein Onkel war einer der führenden Ärzte in einem Team, welches sich mit der Analyse der Plazenta beschäftigte. Man veränderte die DNA und teilweise auch Gen-Strukturen, um Menschen mit besseren Eigenschaften zu generieren. Das ist jetzt ungefähr fünfundzwanzig Jahre her. Es gibt also schon eine ganze Reihe dieser ‚Neuen’, wie wir sie nennen. Bei einigen der jungen Leute ist tatsächlich festzustellen, dass sie nicht daran interessiert sind, reich zu werden oder auf einer Bühne zu stehen und Reden zu halten. Sie sind bescheiden und geben sich mit dem Notwendigen zufrieden, das man zum Leben braucht. Das ist soweit ganz gut, behindert uns aber am weiteren Vorgehen, eine bessere Welt zu schaffen. Denn die ‚Neuen’ sind überhaupt nicht dazu bereit, sich in Führungsebenen in der Wirtschaft, bei der Politik oder gar im organisierten Verbrechen einschleusen zu lassen. Zurzeit sind wir dabei, aufgrund der neuesten Erkenntnisse in der Vererbungslehre und der Genforschung, neue Bedingungen im Mutterleib zu schaffen, um dieses Problem zu lösen. Wir brauchen also Menschen, die intelligent, führungsstark, ehrgeizig sind, aber kein Interesse an Macht und Geld haben. Dennoch müssen sie einsehen, dass sie mitwirken müssen, um die Menschheit zu retten. Und das ist nicht nur für sie selbst äußerst widersprüchlich.”

Auch Maria hatte den Wein gekostet. Sie wandte sich wieder ihrem Gastgeber zu.

„Schön, das klingt zwar sehr utopisch, aber ich bin bereit, an den Erfolg bei der Genmanipulation zu glauben. Wir machen also bessere Menschen. Und dann warten wir hunderttausend Jahre ab, bis die Evolution dafür gesorgt hat, dass nur noch die ‚Neuen’ und ‚Guten’ übriggeblieben sind.”

„Ja, ich weiß, das wird nicht funktionieren,” meinte der Italiener. „Die Evolution wird dafür sorgen, dass die ‚Neuen’ ganz schnell wieder ausgerottet werden, weil sie eben nicht aggressiv sind. Von alleine wird das also nicht klappen, weil genau die Evolution gegenläufig strukturiert ist. Nur die starken und gewalttätigen überleben.”

Maria schüttelte zweifelnd den Kopf und erwiderte: „Und wie und auf welcher Ebene sollen die bestehenden Führungsstrukturen beeinflusst werden, damit die oberen Zehntausend endlich dazu bereit sind, gerecht zu teilen? Wie wollen wir die Wirtschaft wegholen von der Produktion von Waffen und Munition? Welcher Religionsführer wird ernsthaft Toleranz gegenüber Andersgläubigen üben?”

Guido Beltrame nickte mehrfach mit ernster Miene.

„Es ist ein Berg von Arbeit, der vor uns liegt. Das haben bereits unsere Vorfahren gewusst, als sie das Projekt ins Leben gerufen haben. Es ist klar, dass es sich um eine über viele Generationen andauernde Aufgabe handelt. Wir wollen es aber trotzdem weiterverfolgen und haben vor, wenn wir zu alt dafür geworden sind, unsere Nachkommen dafür zu begeistern. So, wie es jetzt auf der Erde zugeht, läuft es unabdingbar auf eine Katastrophe hinaus. Wir werden uns langsam aber sicher gegenseitig ausrotten.”

Kapitel 4

John Walter Cockran war wie immer kurz vor sieben Uhr in sein Büro gegangen und hatte seinen Rechner hochgefahren. Während der Bildschirm aufleuchtete und die Dateien aufgebaut wurden, bat er über die Sprechanlage um einen Kaffee. Als er seinen elektronischen Posteingang überprüfte, klopfte es an der Tür und eine Dame mittleren Alters kam mit einem Tablett in das Zimmer.

„Guten Morgen, Mister Cockran. Ich sehe, es geht Ihnen gut, nicht wahr?”

Die brünette Frau stellte eine gefüllte Tasse vor ihn hin und schob das Tablett mit einer Flasche Wasser, einem Glas und einer Zuckerdose an den Rand des Schreibtisches.

„Ja, es geht mir gut. Bin gestern aus Sizilien zurückgekommen. Leider konnte ich keine Minute länger dortbleiben, was ich sehr gerne getan hätte. Aber Sie wissen ja, unser Projekt duldet keinen Aufschub. Gibt es etwas Neues dazu, oder hat sich noch nichts getan seit letztem Samstag?”

Cockran hatte seiner Sekretärin angedeutet, dass sie sich auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch setzen sollte. Sie nahm Platz und fuhr fort.

„Unser Mann ist im ganz engen Kreis aufgenommen worden. Der Aufsichtsrat hat noch zwei weitere Bewerber zu einer letzten Beurteilung für den Freitag eingeladen. Einer der beiden könnte unserem Mann durchaus gefährlich werden. Beide haben nahezu dieselbe Ausbildung, sodass es in den Sternen steht, wer die Position im Vorstand des Unternehmens bekommen wird. Ich habe deshalb heute um zehn Uhr eine Sitzung im kleinen Kreis angesetzt. Sie, Herr Cockran, müssen entscheiden, ob wir den Konkurrenten ausschalten wollen und, falls ja, auf welchem Wege das geschehen soll.”

„Gut, ich werde mich entsprechend vorbereiten. Die benötigten Angaben zu dem Mann haben Sie mir bestimmt schon in die Post gegeben, oder?”

„Ja, hier sind die Unterlagen.”

Mit diesen Worten nahm die Sekretärin ein dunkles Kuvert aus einer Schütte auf dem Schreibtisch und legte es ihrem Chef vor.

Um zehn Uhr trafen sich Cockran, seine Sekretärin und noch ein weiterer Mann in einem kleinen Besprechungszimmer im oberen Stockwerk des fünfgeschossigen Bürohauses, welches von der Firma Cockran Consulting genutzt wurde und von Cockrans Vater gekauft worden war.

Die Frau und der ältere Herr im dunklen Anzug saßen schon auf ihren Stühlen und unterhielten sich leise als Cockran eintrat.

Er schloss die Tür sorgfältig hinter sich, drückte dann neben der Tür an der Wand einige Tasten, und ging lächelnd auf den Mann zu.

„Hallo, Onkel Marc, schön, dich zu sehen. Gut siehst du aus, wirklich wahr. Wie geht es Elisabeth?”

Der alte Herr, man konnte ihn nicht genau schätzen, er musste aber deutlich über siebzig sein, streckte ihm die Hand entgegen und nickte nur mehrmals als Antwort auf die Fragen seines Neffen.

„John, mein Lieber, es geht uns beiden prächtig. Ich habe mir ja immer gewünscht, das Ende meiner Tage auf dem Land zu verbringen. Und das mache ich jetzt schon seit mehr als zwölf Jahren. Wer hätte das gedacht, weil ich doch viel zu lange gewartet habe, bis ich endlich hingeschmissen habe. Ich werde nächsten Monat zweiundachtzig, und ich fühle mich wie ein Mann, der noch das halbe Leben vor sich hat. Elisabeth ist gesundheitlich auch auf dem Damm. Aber manchmal glaube ich, dass es ihr in meinem Landhaus etwas zu langweilig ist. Na ja, alles geht eben dann doch manchmal nicht.”

Die Tasten, die Cockran an der Tür gedrückt hatte, sorgten für einen Schutzschirm, der das Abhören der im Raum gesprochenen Worte unmöglich machte.

„Ich muss Euch endlich mal wieder besuchen,” meinte der jüngere Mann, „Aber du weißt ja, wie das ist.”

Frau Winter, die Sekretärin Cockrans, hatte drei dünne Mappen auf dem Tisch verteilt. Sie deutete auf eine und erklärte:

„Das ist die Personalakte des Mitbewerbers, den wir für fähig halten, den Vorstandsposten zu bekommen. Ich bin der Auffassung, dass wir dieses Risiko unbedingt ausschalten müssen. Wir haben in die Karriere unseres eigenen Mannes schon sehr viel Zeit und noch mehr Geld investiert, als dass wir es uns leisten könnten, zu scheitern. Wir müssen ihn endlich in diese Bank einschleusen.”

Frau Winter hatte sehr eindringlich gesprochen und der junge Cockran hob beschwichtigend die Hand.

„Lassen wir Marc erst einmal ein paar Minuten Zeit, damit er sich mit dem Inhalt der Akte vertraut machen kann. Wenn du Fragen hast, Onkel, dann nur los.”

Der Ältere blätterte die wenigen Seiten in der Mappe durch und überflog das Gedruckte, ohne sich in den Text zu vertiefen.

„Oxford, Jurastudium, Wirtschaftsstudium, drei Jahre Erfahrung als Praktikant in Amerika, China und sogar Russland. Ja, der ist gefährlich. Was hat den unser ‚Neuer’ dagegen zu halten?”

Der Onkel blickte seinen Neffen erwartungsvoll an. Cockran schaute Frau Winter auffordernd an und diese begann, in kurzen Sätzen den Werdegang des eigenen Mannes zu schildern. Tatsächlich deckten sich die Ausbildungsgänge der beiden nahezu vollständig. Allerdings wich der Aufenthalt im Ausland in einem einzigen Fall ab. Der eigene Kandidat war nicht in Russland gewesen, dagegen hatte er sowohl in China als auch in Brasilien Erfahrungen sammeln können. Und dies hatte dazu geführt, dass er neben den üblichen europäischen Sprachen Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch, auch chinesische Dialekte kannte und Portugiesisch fast fließend sprach.

„Die beiden sind selbstverständlich ledig und ungebunden. Sie sind dazu bereit, überall dort, wo man sie einsetzen will, zu arbeiten. Das Einkommen wird keine Rolle spielen. Das ist ohnehin zweitrangig bei diesen Positionen. Und wie sollen wir den Mitbewerber ausbooten?”

Marc Cockran hatte seine Erkenntnisse und Fragen dazu ausführlich geschildert und sich aus einer niedrigen Anrichte, die an einer Längsseite des Raumes stand, eine Wasserflasche hervorgeholt. Oben auf dem Möbelstück befanden sich einige Gläser, von welchen er sich eines nahm. Er hob sein Glas in die Höhe und blickte fragend die beiden anderen an.

„Danke, Onkel, ich nehme auch ein Glas. Und Sie, Frau Winter, auch eines?”

Die Sekretärin bedankte sich erfreut, weil sie es nicht gewohnt war, dass man sie bediente. Als jeder einen Schluck genommen hatte, sprach John Cockran mit ernster Miene.

„Was haben wir für Möglichkeiten? Wir könnten den Konkurrenten daran hindern, den Termin wahr zu nehmen. Vielleicht würde dies dazu führen, dass er aus dem Raster fällt. Könnte aber auch gar keine Wirkung haben und lediglich zu einer Terminverschiebung führen. Ich habe den ganzen Morgen darüber nachgedacht. Wir könnten ihm eine Nachricht zukommen lassen, aus der er nachdrücklich erfährt, dass seine Bewerbung zurückgezogen werden muss. Kann aber durchaus sein, dass er dies ignoriert. Also, was bleibt uns anderes übrig, als ihn auszuschalten?”

Im Raum trat Stille ein und Frau Winter blickte vor sich auf die Tischplatte. John Cockran stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Nur der Alte blieb ungerührt sitzen. Es schien so, als ob es für ihn eine ganz einfache und übliche Entscheidung zu einem Geschäftsvorgang sei, zu beschließen, einen anderen Menschen zu eliminieren.

Der Ältere bat John, sich wieder zu setzen.

„Du machst mich nervös, wenn Du hin und her gehst. Bitte nimm Platz.”

John setzte sich und schaute seinen Onkel fragend an.

„Gut, du sagst nichts. Weil es nichts zu sagen gibt. Die Sache ist klar, einfach sonnenklar. Er muss weg. Und wer sorgt in der Regel bei uns für das Ausmerzen von Problemen?”

Der junge Cockran schaute erwartungsvoll Frau Winter an, die seinen Blick erwiderte und dann nach kurzem Zögern antwortete.

„Ich werde dafür sorgen, dass er in einen Unfall verwickelt wird. Ich habe schon Fakten zu seinem Tagesablauf gesammelt, weil ich mir gedacht habe, dass wir den anderen Bewerber ausschalten müssen. Wenn ich das Okay habe, dann kann ich sofort alles in die Wege leiten. Ich denke es wird sehr schnell gehen, weil er glücklicherweise Sport treibt und dabei nicht scheut, gewisse Risiken einzugehen. Er fährt regelmäßig mit dem Mountainbike in einer Halle im Chelsea. Wir haben schon überprüft, wie wir die Bahn manipulieren können, damit er die Gewalt über seine Maschine verliert. Es ist so steil dort, dass er entweder tödlich verunglückt, zumindest aber schwere Verletzungen davontragen wird, die eine Übernahme der Position unmöglich machen. Hoffen wir, dass er Glück hat und lediglich ein paar Monate ausfällt. Danach können wir ja versuchen, ihn für unsere Sache zu gewinnen. Aber dazu müssen wir noch wesentlich mehr über seinen Charakter erfahren. Alles zu seiner Zeit.”

Der Alte war aufgestanden und hatte damit deutlich gemacht, dass das Gespräch beendet war. Frau Winter verließ zuerst das Zimmer und begab sich zu ihrem Büro, um die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Die beiden Männer wechselten das Thema, sprachen über die letzten Spiele von Arsenal und John begleitete seinen Onkel hinunter in die Tiefgarage, wo sein Chauffeur auf ihn wartete.

„Also, Onkel Marc, viele Grüße zu Hause. Ich komme bestimmt, wahrscheinlich schon nächstes Wochenende. Werde dich informieren, sobald wir wissen, wie die Sache gelaufen ist.”

Schon zwei Tage später stand ein kleiner Artikel in der Sun, in welchem über einen Sportunfall in der Bikerhall in Chelsea berichtet wurde. Der schwer verletzte Mann konnte reanimiert werden, und man ging davon aus, dass er sich wieder erholen würde. Allerdings war nicht abzusehen, wie lange die Genesung dauern würde.

Der ‚Neue’ aus der Organisation Cockrans erhielt die Stelle im Vorstand der international agierenden Bank und sollte bereits in drei Monaten seine Arbeit aufnehmen. Als Cockran seinem Onkel Mitteilung machte, freute sich dieser über einen großen Erfolg des Teams und wünschte ihm viel Glück bei der weiteren Unterwanderung der Wirtschaft in England.

Die acht Mitglieder der Organisation vereinbarten ein Treffen in London, um den Erfolg würdig zu feiern. Über den Zeitpunkt sollte noch entschieden werden, weil alle in wichtige Aktionen eingebunden waren, die es unmöglich machten, dass sie sich lediglich zum Feiern würden treffen können.

Kapitel 5

Arthur Mehmedi saß am Steuer seiner protzigen Limousine und starrte ungerührt durch die Windschutzscheibe auf das heillose Durcheinander an einem Verkehrsknoten in Algier. Er ließ die Seitenscheibe ein Stück herunter und blies den Rauch seiner dünnen Zigarre durch den Spalt. Dann blickte er kurz in den Rückspiegel und prüfte den Sitz seiner Frisur. Er fuhr sich mit der Hand durch das volle dunkle Haar, welches an der einen oder anderen Stelle hellgraue Strähnen aufwies. Vor ihm schob sich die Blechkarawane langsam weiter und er betätigte mit leichtem Druck das Gaspedal. Der Mann auf dem Beifahrersitz hatte sein Fenster ganz nach unten gefahren und lehnte mit dem Ellenbogen im Fensterrahmen.

„Es tut mir leid, Herr Mehmedi,” sagte er und schaute zum Fahrer hin.

„Ich habe ja gesagt, dass es keine Freude macht, um diese Zeit in Algier Auto zu fahren. Man fährt eigentlich gar nicht, man kriecht durch die Straßen. Und man steht in den Straßen.”

„Ich weiß, Mohamedi. Ich wohne schon seit fünfzig Jahren hier. Wenn ich aber nicht mehr ans Steuer gehe, dann verlerne ich das Fahren. Und das möchte ich nicht. Kapiert?”

Beide schwiegen und taten so, als ob es nichts faszinierenderes gäbe, als die Autos vor ihnen.

Eine gute Stunde später parkten sie vor einem stattlichen Gebäude in der Nähe des Handelshafens von Algier. Mehmedi war ausgestiegen und hatte seinem Chauffeur Mohamedi geraten, sich einen schattigen Platz zu suchen, weil es eine Weile dauern würde, bis er wieder zurückkäme. Mohamedi setzte sich ans Steuer und fuhr langsam die Straße entlang, die auf der rechten Seite von mächtigen Zedern gesäumt war. Er hoffte, dass er unter einem der Bäume einen Parkplatz finden würde.

Sie hatten vereinbart, dass der Chef seinen Chauffeur anrufen würde, sobald er ihn wieder am Tor des Anwesens abholen sollte.

Arthur Mehmedi hatte an einem prächtig geschnitzten Holzportal, das an eine Kirchentür erinnerte, an der seitlich in die Mauer eingelassenen Tastatur einige Zahlen eingetippt. Nach wenigen Sekunden ertönte ein leises Knacken und der rechte Flügel des Tores schwang langsam nach innen. Sobald der Spalt groß genug war, schlüpfte Mehmedi durch in einen großzügigen Hof. Die Tür fiel leise zu, während er zwischen schön angelegten Blumenbeten hindurch auf eine weitere Tür zuging, die sich in etwa zwanzig Meter Entfernung innerhalb einer weiteren Mauer befand, die ein hohes villenähnliches Haus umgab. Über der Mauer konnte man zwei Stockwerke zählen, in der orange gestrichenen Hauswand waren je Etage fünf große Fenster zu sehen, die alle mit dunkelblauen hölzernen Läden halb geschlossen waren. Die zweite Tür öffnete sich automatisch, als Mehmedi sich ihr näherte. An der Haustür wurde er von einer Frau erwartet, die nach arabischer Tradition gekleidet war. Ihr dunkelgrüner Umhang bedeckte sie bis zu den Knöcheln. Die Füße steckten in leichten Sandaletten, auf dem Kopf trug sie ein besticktes Tuch in derselben Farbe, wie ihr Gewand.

„Guten Morgen, Arthur. Schön, dich zu sehen. Wie geht es zu Hause?”

Die Frau war vor ihm ins Haus gegangen und stieg die fünf Stufen im großzügigen Foyer hinauf, um oben angekommen auf ihren Gast zu warten.

„Danke der Nachfrage, Samira. Alle sind gesund und es geht uns gut. Und wie ist es bei euch in Tobruk voran gegangen?”

Mehmedi hatte die Begrüßungszeremonie sehr kurzgehalten und war gleich zur Sache gekommen. Die Frau schien über diese Vorgehensweise etwas überrascht zu sein, denn sie zögerte einen Augenblick, bevor sie antwortete.

„Die beiden ‚Neuen’ aus Tobruk haben wir inzwischen, wie du weißt, umfangreich ausgebildet. Heute müssten sie, wenn alles nach Plan gelaufen ist, in Riad eingetroffen sein. Sie werden dort als Vertreter eines großen amerikanischen Waffenproduzenten arbeiten. Die notwendigen Anträge bei den Regierungsstellen Saudi-Arabiens wurden bereits vor etwa einem halben Jahr eingereicht und wir haben vor einer Woche alle vorgeschriebenen Genehmigungen erhalten. Man kann davon ausgehen, dass die Saudis unsere beiden Kandidaten auf Herz und Nieren überprüft und offenbar nichts gefunden haben, das ihnen verdächtig vorkam. Wir können also davon ausgehen, dass unser Vorhaben umgesetzt werden kann. Natürlich brauchen wir bei der Sache auch eine Portion Glück. Sonst kommen wir an den Minister nicht ran und die beiden Prinzen, welche für die Waffengeschäfte verantwortlich sind, tauchen in der Öffentlichkeit auch nur selten auf. Und dann sind sie mit einer halben Armee unterwegs.”

Sie waren in einen Konferenzraum gekommen, wo drei Männer an einem Tisch saßen und ihre Unterhaltung beendeten, als die Tür aufgeschoben wurde.

„Arthur, altes Dromedar, wie geht es dir?”

Ein dunkelhäutiger Mann war aufgestanden und zur Tür gekommen. Er war fast zwei Meter groß, breitschultrig und hatte kleine dunkle Locken. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Die beiden Männer umarmten sich.

„Asan, mein schwarzer Berg, du bist ja noch größer geworden, was?”

Mehmedi war einen Schritt zurück gegangen, um sein Gegenüber besser betrachten zu können.

„Nein, größer nicht, nur schwerer. Viel schwerer.”

Der Mann aus Kenia rieb sich mit der Hand über den Bauch, den er absichtlich aufgebläht hatte, und sie gingen zum Tisch und nahmen Platz.

Die beiden anderen Männer hatten die Begrüßung beobachtet und warteten ruhig darauf, was Mehmedi und Mulawi zu berichten hatten.

Frau Samira hatte den Raum lautlos wieder verlassen.

Asan Mulawi berichtete von den Tests, welche in seiner Privatklinik in Nairobi durchgeführt wurden und strahlte wie ein kleiner Junge darüber, dass sie einer Genmanipulation auf der Spur waren, die deutliche Anzeichen für eine maßgebliche Veränderung des Vererbungspools mehr als nur andeuteten.

„Wenn sich das bestätigt, was wir bei dem ersten Kind in den Genen gefunden haben, dann können wir davon ausgehen, dass wir einen Durchbruch erzielt haben. Wir müssen die Mütter mit Stammzellen versorgen, die wir vorher verändern. Die Neugeborenen werden im Erwachsenenalter keine Gier nach Reichtum, Geltung oder Macht mehr entwickeln. Sie werden bescheidene und glückliche Menschen sein, die mit ihren Nachbarn ein zufriedenes Leben führen. Sie werden dabei nicht träge und untätig sein, sondern dafür sorgen, dass es allen gleichmäßig gut geht. Sie werden von ihrem erarbeiteten Gut den Schwächeren einen Teil abgeben. Es wird keine Menschen mehr geben, die Milliarden und aber Milliarden anhäufen, ohne zu wissen, wofür sie das viele Geld auftürmen. Ich hoffe, dass wir in einem oder zwei Jahren so weit sein werden. Und wie sieht es bei euch aus, Mehmedi?”

„Ich habe gerade die Bestätigung dafür erhalten, dass wir die beiden ‚Neuen’ aus Tobruk in Riad eingeschleust haben. Dazu muss ich aber sagen, dass ihre Aufgabe nicht darin besteht, den Waffenhandel auf lange Sicht zu verhindern. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir Leute, wie die beiden Prinzen, die große Freude an kriegerischen Auseinandersetzungen haben, beseitigen müssen. Diese Leute werden immer einen Grund dafür finden, den Einsatz von Waffen zu rechtfertigen. Das gilt natürlich vor allem für die beiden Prinzen, die die Armee kommandieren. Es ist unmöglich, ihnen die Verfügungsgewalt über Kriegswaffen zu nehmen. Es bleibt uns daher nur der Weg, sie beide zu beseitigen. Diese Sache läuft bereits. Und ich hoffe, dass wir Erfolg haben und unsere Männer heil wieder zurückkommen werden.”

Kapitel 6

Maria Grazia war von Beltrame zu vielen schönen Stellen in und um Palermo geführt worden. Sehenswürdigkeiten in der Stadt und auf dem Lande hatten sie ebenfalls besucht und er hatte ihr erklärt, warum die einzelnen Gebäude und Paläste von historischer Bedeutung waren. Sie genossen die Aussichten über die langen Sandstrände und die felsigen Buchten an der Küste im Westen und Süden Siziliens.

Um die Mittagszeit hatten sie entweder eine Trattoria auf dem Land oder ein Restaurant in der Stadt aufgesucht. Guido führte sie jeden Tag ein klein bisschen mehr in die Kochkultur seiner Insel ein. Während der Fahrten und der Essenspausen kam es nicht selten zu gegensätzlichen Erörterungen zum Sinn und Zweck des Projektes Placenta.

„Dass die Welt besser sein könnte, das ist unbestritten, Guido. Aber so, wie ihr die Sache angeht, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihr damit auch nur das Geringste verändern werdet. Okay, ihr besetzt strategisch wichtige Positionen in Großkonzernen weltweit. Gut, ihr beseitigt Politiker, die augenscheinlich mit den Waffenkonzernen Geschäfte machen und dabei ohne jegliche Moral vorgehen. Vielleicht helfen diese Maßnahmen ein klein wenig und die Anzahl der Kriege, die Ausbeutung von Menschen, die Ausbreitung von Hunger und Durst auf der Welt und noch einiges mehr wird reduziert. Das Grundübel werdet ihr aber nicht ausmerzen können. Und deshalb ist Placenta sinnlos. Und davon bin ich überzeugt, so leid es mir auch tut.”

Maria war lauter geworden.

„Und was ist nach deiner Meinung das Grundübel auf unserem Planeten?”

Maria legte ihre Gabel neben den Teller und tupfte sich mit der Serviette die Mundwinkel.

„Mann, Guido! Diese Meeresfrüchte sind die Wucht! Das habe ich noch nie so gegessen.”

Guido freute sich über das Urteil Marias und grinste über das ganze Gesicht.

„Und jetzt probiere einmal einen Schluck von diesem Wein dazu. Du wirst staunen, wie Meeresfrüchte und dieser Wein miteinander harmonieren.”

Sie prosteten sich zu und Maria nahm einen Schluck. Sie schloss kurz die Lider und genoss den trockenen und dennoch fruchtigen Grauburgunder, der an den Hängen der Berge im Norden geerntet wurde.

„Ja, großartig, wirklich toll! Aber leider müssen wir neben diesen Launen der Natur auch andere, weitaus üblere ertragen. Und man kann sie mit einem Wort klar umreißen. Und das Wort lautet: Mensch!”

Guido hatte seine Serviette auf den Tisch gelegt und sich zurückgelehnt. Er kramte in der Tasche seines Sakkos herum, welches über der Stuhllehne hing. Er nahm einen seiner dünnen Zigarillos heraus und zündete ihn an. Sie saßen auf einer Terrasse eines Landgasthofes, wo das Rauchen erlaubt war.

„Du meinst, solange es Menschen auf der Erde gibt, wird es ein ewiger Kampf ums Überleben bleiben? Ganz gleich, wie die Menschen strukturiert sind? Du meinst, dass wir die Menschen durch Manipulation des Erbgutes nicht besser machen können. Wenn du diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehst, dann wird es besser sein, du beteiligst Dich nicht an weiteren Aktionen. Austreten aus der Gruppe kommt nicht mehr in Frage. Ich habe aber noch nicht aufgegeben, dich von unserer Chance auf Besserung überzeugen zu können. Du musst einen der ‚Neuen’ einfach kennenlernen. Erst dann wirst du verstehen, was zurzeit geschieht. Glaube mir, Maria, sobald du einen von ihnen gesehen und gesprochen hast, wirst du auch daran glauben.”

„Selbst, wenn ihr einen Supermenschen geschaffen habt, wie soll sich dieser und vielleicht noch ein paar Tausend andere gegen die Evolution durchsetzen? Hast du vergessen, dass seit Millionen von Jahren immer nur der Stärkere überlebt hat? Nicht der Bessere! Nein, derjenige, der sich durchsetzt gegen die anderen. So, wie wir es heute zum Beispiel in einer wild lebenden Herde sehen können. Nur der Stärkste, oder vielleicht auch der Hinterhältigste, darf sich fortpflanzen. Bei uns Menschen ist es heutzutage meist der Mächtige oder der Reiche, welcher die Führung übernimmt. Oder auch der Brutalste. Wie sollen sich die ‚Neuen’ denn so schnell vermehren, dass sie einen Gegenpol zu den Etablierten bilden können? Immerhin dauert es ja dann auch noch mindestens fünfundzwanzig Jahre nach ihrer Geburt, bis unsere ‚Nichthabgierigen’ so weit sind, dass sie Aufgaben übernehmen können. Und was machen wir mit den jungen Frauen? Werden wir sie dann, sobald sie geschlechtsreif sind, als Gebärmaschinen für neue Menschen einsetzen?”

Maria hatte sich ereifert und am Ende ihres Ausbruchs mit der Hand auf den Tisch geschlagen.

„Es ist besser, wenn wir unsere Diskussion um Sinn und Unsinn von Placenta für heute beenden. Nach dem Essen fahren wir zurück und ich werde mich erkundigen, wo und wann wir einen ‚Neuen’ oder eine ‚Neue’ treffen können. Glaube mir, du wirst staunen!”

Kapitel 7

Asan Mulawi hatte seine Wohnung in einem Vorort von Nairobi verlassen und fuhr mit dem Aufzug ins Erdgeschoß hinunter. Mit im Fahrstuhl befanden sich sowohl sein Chauffeur als auch einer der Prokuristen seiner Firma, mit dem er am Vormittag über einen weiteren Förderturm auf den Ölfeldern in Norden gesprochen hatte. Er hatte nach Erörterung aller Fakten entschieden, dass sie sich noch einmal ein Bild von den örtlichen Gegebenheiten machen wollten, um endgültig sicher zu gehen, dass nichts übersehen worden war.