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Neue Kreuzfahrt, neues Glück
Chiara und ihre Freundinnen machen sich auf in ein neues Kreuzfahrtabenteuer. Endlich können sie mal den Kopf freikriegen - was vor allem Chiara zugutekommt. Nachdem sie ihren letzten Freund in flagranti erwischt hat, will sie von Männern erst mal nichts mehr wissen und ihr Single-Dasein genießen. Doch dann trifft sie auf Marcus. Er arbeitet auf dem Schiff als Nachhaltigkeitsberater und wirft ihr beim ersten Treffen prompt Umweltverschmutzung vor. Ein holpriger Start, aber zum Glück laufen die beiden sich von nun an öfter über den Weg. Nach und nach erkennt Chiara, dass mehr hinter Marcus‘ Fassade steckt. Doch ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit hindern sie daran, sich wirklich fallen zu lassen. Aber verspielt sie damit vielleicht ihr Glück?
Der zweite Band der romantischen Kreuzfahrt-Liebesroman-Reihe von Sonja Flieder.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 259
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Epilog
Mein kleiner Apfelhof zum Glück
Winterglück auf dem kleinen Apfelhof
Blaubeerduft auf dem kleinen Apfelhof
Glück an Bord
Chiara und ihre Freundinnen machen sich auf in ein neues Kreuzfahrtabenteuer. Endlich können sie mal den Kopf freikriegen – was vor allem Chiara zugutekommt. Nachdem sie ihren letzten Freund in flagranti erwischt hat, will sie von Männern erst mal nichts mehr wissen und ihr Single-Dasein genießen. Doch dann trifft sie auf Marcus. Er arbeitet auf dem Schiff als Nachhaltigkeitsberater und wirft ihr beim ersten Treffen prompt Umweltverschmutzung vor. Ein holpriger Start, aber zum Glück laufen die beiden sich von nun an öfter über den Weg. Nach und nach erkennt Chiara, dass mehr hinter Marcus‘ Fassade steckt. Doch ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit hindern sie daran, sich wirklich fallen zu lassen. Aber verspielt sie damit vielleicht ihr Glück?
Sonja Flieder wurde 1974 in Stuttgart geboren. Seit sie lesen konnte, lässt sie die Faszination für Sprache und menschliche Beziehungen nicht mehr los. Deshalb wusste sie auch schon bald, dass sie Autorin werden wollte. Bereits mit siebzehn schrieb sie einige Kurzgeschichten und verfasste ihren ersten Roman. Nachdem sie durch Studium, Job und Familienplanung das Schreiben etwas aus den Augen verloren hatte, erfindet sie jetzt seit sechs Jahren fast täglich neue Geschichten. Sie lebt mit ihrem Sohn und drei Wellensittichen in einem alten Bauernhaus in der Nähe von Köln.
Sonja Flieder
Glück an Bord – Herzklopfen und Meeresrauschen
Ein Kreuzfahrt-Liebesroman
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Nuture / iStock / Getty Images Plus, © Rawpixel / iStock / Getty Images Plus, © jamesvancouver / iStock / Getty Images Plus, © wjarek / iStock / Getty Images Plus, © ginton / iStock / Getty Images
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplus.de)
ISBN 978-3-7517-2054-0
be-heartbeat.de
lesejury.de
Für Aidan.
»Wo Nina nur bleibt?« Ungeduldig blickte Chiara auf ihre Armbanduhr.
»Ja, das ist echt mal wieder typisch«, sagte Rike und seufzte.
Moment. Chiara stutzte. Genau das war doch schon einmal passiert. Hatte sie gerade etwa ein Déjà-vu? So wie es aussah, schon. Auch zu der letzten Kreuzfahrt vor etwas über eineinhalb Jahren war Nina nicht erschienen.
In ihrer berühmten Schussligkeit hatte sie es geschafft, sich im Kabel ihres Föns zu verheddern. Sie war hingefallen und hatte sich ein Bein gebrochen. Da sie inzwischen einen kabellosen Haartrockner verwendete, den ihre fürsorglichen Freundinnen ihr geschenkt hatten, konnte das diesmal jedoch nicht passiert sein.
Besorgt zupfte Chiara an einer Strähne ihrer pechschwarzen Lockenmähne. »Meinst du, es ist wieder was passiert?«
Rike zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe nicht. Aber zuzutrauen wäre es ihr.« Sie warf einen Blick auf die große Uhr, die neben dem Eingang des Check-in-Bereichs hing. »Mist, wir müssen langsam echt los.«
»Livvie ist ja diesmal nicht mit dabei, deshalb rufe ich Nina an.« In der Hoffnung, damit den vermeintlichen Fluch zu brechen, der auf ihrer Freundin lastete, zückte sie ihr Handy und rief sie an.
Es tutete mehrmals. »Hallöchen Popöchen«, drang es durch den Hörer.
»Bitte sag nicht, dass dir wieder was passiert ist!«, rief Chiara.
»Haha, reingefallen!«, bekam sie als Antwort. Nina kicherte. »Leider bin ich gar nicht dran, sondern nur die Mailbox. Hinterlasst gerne eine Nachricht. Vielleicht rufe ich ja sogar zurück.«
»Mach das gefälligst, und zwar flott«, sagte Chiara nach dem Piepton und legte auf.
Mit einer Mischung aus Ärger, Verzweiflung und leiser Besorgnis wandte sie sich an Rike. »Mal wieder nur die Mailbox.« Sie funkelte Rike an. »Ich schwöre dir, wenn sie nicht bald diesen dämlichen Ansagetext ändert, bekommt sie es mit mir zu tun!«
In gespielter Angst trat Rike einen Schritt zurück und hob abwehrend beide Arme. »Friss mich nicht gleich.« Sie lachte. »Ich kann nichts dafür.«
Um sich zu beruhigen, atmete Chiara tief durch. »Ja, ich weiß. Entschuldige. Ich mache mir nur solche Sorgen.«
»Frag mich mal.«
»Na, habt ihr gedacht, ich schaffe es nicht rechtzeitig?«, ertönte hinter den beiden eine fröhliche Stimme, die Chiara sofort als Ninas identifizierte.
»Grazie Dio!«, entfuhr es ihr. Sie drehte sich zu Nina und nahm sie stürmisch in die Arme. »Ich bin so froh, dass du da bist.
Nina kicherte. »Ganz meinerseits. Um ehrlich zu sein, hatte ich schon ein bisschen Angst, dass ich wieder in irgendeine Katastrophe verwickelt werde.«
Sie versuchte, sich aus Chiaras Umarmung zu lösen. Erfolglos. Stattdessen drückte Chiara Nina noch fester an sich. Alle innere Anspannung fiel von ihr ab. Jetzt stand einer traumhaften Reise nichts mehr im Weg. Nina sollte ruhig merken, wie sehr sie sich darüber freute.
»Hey, du erdrückst mich gleich«, protestierte Nina. Sie sprach etwas undeutlich, da sie nicht gerade wenige von Chiaras Haaren im Mund hatte.
Nach einem letzten kräftigen Drücker ließ Chiara sie los, woraufhin Nina sich durch Pusten der schwarzen Locken in ihrem Mund entledigte.
»So, jetzt will ich auch mal.« Resolut schob Rike ihre Freundin beiseite, um ihrerseits Nina in eine Umarmung zu ziehen. Ihre fiel jedoch weitaus kürzer und sanfter aus.
Nina neigte den Kopf schief und blickte sie an. »Hast du was mit deinen Haaren gemacht?«, fragte sie. »Sie sind irgendwie anders.«
Wie auf Kommando lachten Rike und Chiara schallend los. Es schien, als könnten die beiden gar nicht mehr aufhören. Prustend schlug Chiara ihrer Freundin auf die Schulter, deren T-Shirt wieder einmal ein bizarres Batikmuster aufwies, während diese sich eine Lachträne aus dem linken Augenwinkel wischte.
»Was ist denn?«, fragte Nina, die das Schauspiel betrachtete. Verwunderung stand ihr ins Gesicht geschrieben, was Chiara hätte sehen können, wäre sie nicht damit beschäftigt gewesen, sich den inzwischen schmerzenden Bauch zu halten. »Das war doch eine ganz normale Frage.«
»Ha... ha... hast du das gehört?«, brachte Rike mühsam hervor. »Eine ... ganz ... normale ... Frage.«
Sich immer noch den Bauch haltend, richtete Chiara sich auf und blickte Nina an. »Fällt dir wirklich nichts auf?«
Verständnislos schüttelte Nina den Kopf. »Na schon, sonst hätte ich ja nicht gefragt. Ich weiß nur nicht, was.«
Ihre Freundinnen machten den Fehler, sich anzuschauen. Dies hatte zur Folge, dass sie erneut in Lachen ausbrachen. Inzwischen zogen sie amüsierte Blicke einiger Mitpassagiere auf sich, die das Spektakel beobachteten.
Irgendwann gelang es den beiden dann doch, mit dem Lachen aufzuhören. Für Chiara kam es keine Sekunde zu früh, denn ihre Bauchmuskeln schmerzten bereits gewaltig von der ungewohnten Anstrengung.
»Liebelein, Rikes Haare waren rot.« Ein letzter Lacher entfleuchte ihr, bevor sie es schaffte, sich endgültig wieder zu beruhigen.
»Und jetzt sind sie grün«, ergänzte Rike, die sich inzwischen auf ihren Koffer gesetzt hatte und sichtlich versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Während Nina sich an den Kopf griff, verfärbten sich ihre Wangen zu einem zarten Rosa. »Oje, das kann auch nur mir passieren. Du hättest vermutlich auch zehn Piercings im Gesicht haben und einen Kartoffelsack tragen können, und ich hätte es nicht gemerkt.«
»Das kannst du laut sagen«, erwiderten Chiara und Rike wie aus einem Mund.
»Dafür lieben wir dich ja so.« Voller Zuneigung blickte Chiara sie an.
»Genau, es wäre schrecklich, wenn du anders wärst.«
»Ihr seid lieb.« Nina lächelte. »Na, dann können wir ja jetzt endlich durchstarten.« Voller Erwartung rieb sie sich die Hände. »Ich bin schon ganz gespannt, ob es auf der Lady of the sea wirklich so wundervoll ist, wie ihr erzählt habt.«
»Glaub mir, du wirst Augen machen«, sagte Chiara und nickte gewichtig mit dem Kopf.
*
Diesmal reisten sie geplant nur zu dritt, weil die Geburt von Olivias Baby kurz bevorstand. Deswegen lagen ihre Kabinen nicht nebeneinander. Aus finanziellen Gründen hatten sie sich dazu entschieden, keine zwei Doppelkabinen zu buchen. Da sich Rike bereits auf dem Schiff auskannte, hatte sie sich großzügigerweise für die Einzelkabine entschieden.
Somit würde sie zwar keine lauschigen Freundinnengespräche vor dem Einschlafen führen können, doch das machte ihr nichts aus. Sie war ohnehin eine Leseratte und schon glücklich, wenn sie ein Buch in den Händen hielt.
Mit großen Augen blickte sich Nina in ihrer Kabine um. »Das sind ja bestimmt 15 Quadratmeter«, sagte sie. Etwas wie Ehrfurcht klang in ihrer Stimme mit.
»Könnte hinkommen.« Amüsiert beobachtete Chiara ihre Freundin, wie sie alles genauestens inspizierte.
Es beeindruckte sie immer wieder, dass Nina sich ihr kindliches Staunen bewahrt hatte. Sie selbst war zwar auch nicht gerade pragmatisch, fühlte sich jedoch manchmal fast zu erwachsen und nüchtern. Zumindest war sie in der Lage, ihre Gefühle auszudrücken, wofür ihr italienisches Temperament sorgte. Gut, manchmal schoss sie dabei übers Ziel hinaus, doch das würde sich wohl nicht mehr ändern lassen. Sie war eben, wie sie war.
»Schau mal, sie haben uns sogar Bademäntel hingelegt.« Mit einem weiß-blauen Frotteemantel in den Händen trat Nina aus dem kleinen Badezimmer, das direkt an den Wohn- und Schlafbereich angrenzte. »Ob wir die behalten dürfen?«
Chiara nickte. »So stand es zumindest in den Reiseunterlagen.«
»Na, das nenne ich mal Luxus.«
»Warte, bis du den Rest des Schiffes siehst.«
»Darf ich das Bett am Fenster haben?«, fragte Nina und deutete darauf. »Mir gefällt die Vorstellung, dass ich nachts in den Sternenhimmel schauen kann.«
»Klar. Letztes Mal hatte ich ja das Vergnügen.« Mit einer gewissen Wehmut erinnerte sich Chiara daran, wie sie damals von ihrem Bett aus die Sterne beobachtet hatte.
Draußen auf dem Meer hatte der Sternenhimmel eine ganz andere Qualität, da kein künstliches Licht den Anblick verdarb. Es schienen Abermillionen zu sein, die mit bloßem Auge sichtbar waren. Dazu noch der Mond, der alles in sein milchig-weißes Licht tauchte.
Wenn sie den Anblick genießen wollte, konnte sie sich immer noch auf den kleinen Balkon setzen, der zu ihrer Kabine gehörte. Irgendwann in den nächsten Tagen würde sie diese Chance auch hundertprozentig nutzen.
Ihre Kabine war in Rot- und Brauntönen gehalten. Auf jedem Bett lagen flauschige Handtücher bereit, die mit einem Täfelchen Schokolade garniert waren. Auf dem Tischchen stand eine Vase mit verführerisch duftenden Lilien. Chiara schnupperte daran und genoss den süßlichen, honigartigen Geruch.
Als sie sich eingerichtet hatten, trafen sie sich wieder mit Rike, die sich inzwischen umgezogen hatte. Nun trug sie eine grellgelbe Pluderhose mit gebatiktem T-Shirt in Rot. Die Farbkombination biss sich zwar nicht unbedingt mit ihren grünen Haaren, doch es sah dennoch recht ungewöhnlich aus.
Da sie noch Zeit bis zum Abendessen hatten, nutzten die Freundinnen die Gelegenheit, sich auf dem Schiff umzusehen. Sie schlenderten über die Promenade, auf der sich ein Geschäft neben das andere reihte.
»Wollen wir morgen gleich mal shoppen gehen?«, fragte Rike und warf einen begehrlichen Blick in das Schaufenster eines Schuhladens.
»Brrr.« Chiara schüttelte sich. »Das müsst ihr aber ohne mich machen.«
»Ach ja stimmt, du gehst ja nicht gerne einkaufen. Hab ich ganz vergessen, sorry.« Zur Unterstreichung ihrer Worte legte sich Rike eine flache Hand auf die Stirn.
»Macht nichts«, erwiderte Chiara. »Ihr geht dann einfach ohne mich.« Sie lachte. »Ich habe absolut kein Problem damit, mich in einen der Liegestühle zu setzen und mich bräunen zu lassen.«
»Machen wir morgen denn keinen Ausflug?«, wollte Nina wissen.
»Morgen ist Seetag.« Mit nachsichtigem Blick musterte Rike ihre Freundin. »Gib es zu, du hast kein einziges Mal in die Reiseroute geschaut.«
»Warum auch? Dann wäre es ja keine Überraschung geworden«, sagte Nina und zuckte mit den Schultern.
»Du bist echt ne Marke.« Chiara lachte. »Willst du uns jetzt ernsthaft erzählen, dass du keine Ahnung hast, wohin die Reise geht?«
»Klar«, erwiderte Nina. »Ihr habt euch schließlich um alles gekümmert, also konnte ich ganz entspannt die Reise antreten. Na ja, fast.« Sie verzog das Gesicht. »Blöderweise wäre ich wirklich fast zu spät gekommen. Ich habe zwar gedacht, ich habe mir fünf Wecker gestellt, aber das muss ich wohl irgendwie vergessen haben.«
»Typisch Nina.« Mit einem nachsichtigen Lächeln schüttelte Rike den Kopf. »Wenn wir so was noch mal machen sollten, holen wir dich höchstpersönlich zu Hause ab.«
Die Zeit reichte nicht, um den ganzen Teil des Schiffes, der für Gäste zugänglich war, zu erkunden. Da die Aussicht so beeindruckend war, verbrachten die Freundinnen eine ganze Weile auf einem der Außendecks.
Gegen die Brüstung des durchsichtigen Geländers gelehnt, standen sie einträchtig nebeneinander und beobachteten schweigend das Naturschauspiel, das sich ihnen bot.
Es herrschte hoher Wellengang, wovon sie auf dem Schiff jedoch nichts spürten. Da die Lady of the sea mit Stabilisatoren ausgestattet war, deren Aufgabe darin bestand, Schiffsbewegungen bei Wellengang auszugleichen, zeigte sie sich davon gänzlich unbeeindruckt.
Gewaltige Wellenberge schlugen gegen den Schiffsrumpf. Die Gischt spritzte meterhoch. Mehr als einmal wich Chiara unwillkürlich zurück, doch sie waren viel zu weit entfernt, als dass sie auch nur ansatzweise davon hätten getroffen werden können.
Am Horizont ging gerade die Sonne unter und tauchte das Wasser in ein unwirklich erscheinendes, magisch glitzerndes Licht. Ein kräftiges Orangerot mischte sich mit gedecktem Violett. Der Himmel schien nahezu in Flammen zu stehen. Vereinzelte Wolken zogen rasant über den Freundinnen vorbei, als liefen sie um die Wette.
Das tiefblaue Wasser bildete dazu einen harmonischen Kontrast. Einmal meinte Chiara, einen Delfin springen zu sehen, doch sie war sich nicht ganz sicher. Aber sie konnte ein paar Möwen beobachten, die kreischend ihre Kreise über das Schiff zogen.
Waren sie etwa noch in Küstennähe? Angestrengt blickte Chiara in die Ferne, doch sie konnte nicht einmal ein Stück Land erahnen. Vielleicht flogen die Tiere ja weiter aufs Meer hinaus, als sie gedacht hatte.
»Ist das schön«, hauchte Nina, deren Stimme einen ehrfurchtsvollen Unterton hatte.
Chiara und Rike nickten nur schweigend. Erst als der feuerrote Sonnenball fast hinter dem Horizont verschwunden war, konnten sich die Frauen von dem Anblick losreißen. Einhellig stimmten sie überein, dass es nun Zeit fürs Abendessen war.
Sie machten sich auf in das Restaurant, in dem sie auch bei ihrer letzten Kreuzfahrt gegessen hatten.
*
Als sie im Eingangsbereich des Restaurants angekommen waren und auf ihre Tischzuweisung warteten, blickte sich Chiara um. Seit ihrer letzten Reise hatte sich hier nichts verändert.
Wie zuvor standen auf blütenweißen Tischdecken ebenso weiße Teller mit silberfarbenen ziselierten Blumenornamenten. Auch die Rückenlehnen der Stühle hatten jeweils eine Blumenschnitzerei im Holz. Bilder mit Blumenmotiven hingen in silbernen Rahmen an der Wand.
Als Chiara das breite, momentan unbefüllte Buffet erblickte, stieg Vorfreude in ihr auf. Wenn sie allein an die Reichhaltigkeit der Speisen dachte, die zum Frühstück angeboten wurden, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Auch diesmal stand zu befürchten, dass sie nicht mit ihrem derzeitigen Gewicht das Schiff verlassen würde.
Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass diese Kreuzfahrt mit ihren 19 Tagen Dauer um einiges kürzer war als die vorherige. So viel konnte sie in der Zeit ja gar nicht essen. Oder etwa doch?
Ein spanisch aussehender Schiffssteward mit kurzen schwarzen Locken, die er mithilfe von Unmengen an Haargel gebändigt hatte, kam mit einem breiten Lächeln auf sie zu.
Rike stieß Chiara in die Seite. »Schau mal, wer da ist.« Rasch zupfte sie an ihrem T-Shirt, um es in bestmögliche Form zu bringen. Dann setzte sie ein verführerisches Lächeln auf.
Da Nina keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, bedachte sie sie mit einem verständnislosen Blick, auf den Rike jedoch nicht einging.
Nachsichtig lächelnd schüttelte Chiara den Kopf über sie. »Fängst du schon wieder an, gut aussehende Männer anzuhimmeln?«
Gut gelaunt stieß Rike ihr leicht mit einem Ellbogen in die Seite. »Nur die bestaussehenden, meine Liebe. Nur die bestaussehenden.«
Inzwischen war der Steward bei ihnen angekommen. »Einen wunderschönen guten Abend, die Damen. Darf ich Sie zu ...« Er stutzte und zog die Stirn kraus. »Moment, Sie kenne ich doch. Zumindest zwei von Ihnen. Wo ist denn Ihre Freundin, die uns unseren Küchenchef entwendet hat?«
Chiara lachte. »Ich glaube nicht, dass ihr das sehr leidtut«, sagte sie. »Diesmal konnte sie leider nicht mitkommen, weil sie jeden Augenblick ihr Baby bekommen kann.«
Der Steward verzog das Gesicht zu einem strahlenden Lächeln. »Das zu hören freut mich ganz außerordentlich.«
Schwungvoll streckte Rike ihre Rechte aus. Als der Schiffssteward nach einem Moment einschlug (anscheinend war es nicht üblich, den Stewards zur Begrüßung die Hand zu schütteln), strich Rike mit der linken Hand leicht über die seine. »Juan, es freut mich wirklich außerordentlich, Sie wiederzusehen.«
»Die Freude ist ganz meinerseits.« Ob sich Juan von einer derart vertraulichen Geste geschmeichelt oder ungehalten fühlte, ließ er sich nicht anmerken. Ganz der professionelle Steward, ging er einfach darüber hinweg.
Chiara hingegen schüttelte den Kopf über die Dreistigkeit ihrer Freundin. Doch bevor sie eine ironische Bemerkung machte, biss sie sich schnell auf die Lippen. Rike war sowieso nicht mehr zu bremsen.
»Der Bart steht Ihnen übrigens ganz ausgezeichnet«, sagte Rike und strahlte Juan an.
»Besten Dank«, erwiderte er und deutete eine Verbeugung an.
Da konnte ihr Chiara nur zustimmen. Der Anchor-Bart sah wirklich gut an ihm aus. Er gab seinen eher weichen Gesichtszügen etwas Verwegenes.
Als Juan sie zu ihrem Tisch geführt hatte, saßen dort bereits zwei ältere Leute, vermutlich ein Ehepaar. Chiara schätzte die beiden auf Mitte siebzig.
Zum Glück stellte sich heraus, dass die beiden Herrschaften überaus nett waren. Elsa und Heinz Marquardt hatten jahrelang gespart, um sich den Traum einer Kreuzfahrt zu ermöglichen. Entsprechend dankbar zeigten sie sich über all den Luxus hier.
Während die anderen sich angeregt unterhielten, schweiften Chiaras Gedanken jedoch ab. Wie es Olivia wohl ging? Leider war ihre Schwangerschaft nicht immer ganz komplikationslos verlaufen, sodass Chiara den Anflug eines schlechten Gewissens verspürte, dass sie die Kreuzfahrt überhaupt angetreten hatte.
Doch Olivia hatte vehement darauf bestanden. »Es kann nicht angehen, dass Nina schon wieder zurückstecken muss, nur, weil ich ein paar kleine Wehwehchen habe.«
Als Chiara etwas sagen wollte, hatte Olivia mit strengem Blick eine Hand gehoben. Daher hatte sie ihre Worte heruntergeschluckt und die Entscheidung ihrer Freundin akzeptiert. Allerdings hatten alle drei ihr das unumstößliche Versprechen abgenommen, sich zu melden, falls etwas sein sollte.
Ihre Gedanken wurden abrupt unterbrochen, da Juan die Vorspeise servierte. Chiara hatte sich für Königskrabben an Wildreis mit Avocadocreme entschieden. Bei dem Anblick legte sie vorsorglich beide Hände auf ihren Magen, damit er nicht auf die Idee kam, begehrlich zu knurren.
Es schmeckte sogar noch besser, als es aussah. Auch die Qualität der Haupt- und Nachspeise war mehr als hervorragend. Dies führte zu Chiaras Entschluss, ihre Waage direkt nach der Ankunft zu Hause in die hinterste Ecke zu verbannen. Mindestens vier Wochen würde sie diesen Gegenstand ignorieren. Oder besser fünf. Oder sechs. Oder doch besser sieben?
Während der gesamten Mahlzeit unterhielten sie sich angeregt mit den Marquardts, mit denen sie als Tischgenossen sicher gut auskommen würden. Mitten in ihre Unterhaltung hinein klatschte jemand lautstark mehrmals in die Hände.
Sofort erstarb das im Speisesaal vorherrschende Stimmengemurmel. Auch Chiara unterbrach sich mitten im Satz. Sie wandte den Kopf, um zu sehen, wer da so unhöflich intervenierte. Oder war etwas passiert?
Wie sich herausstellte, stand lediglich eine attraktive Blondine in blütenweißer Kochkleidung mitten im Raum. »Ich begrüße Sie an Bord der Lady of the sea«, sagte sie in gelangweiltem Ton, als hätte sie die Worte einmal zu oft heruntergeleiert. »Bei Fragen und Anregungen stehen Ihnen unsere Schiffsstewardessen und -stewards gerne zur Verfügung.«
Sie sprach weiter, doch Chiara hörte nicht mehr zu.
Stattdessen beugte sie sich zu Rike. »Das ist doch diese Chris«, flüsterte sie. »Die so auf Alex stand.«
»Du hast recht«, gab Rike zurück. »Es ist mir direkt aufgefallen. Wie es aussieht, ist sie jetzt wohl die Küchenchefin hier.«
Chiara schnaubte verächtlich. »Wundert mich, dass das Essen immer noch so gut schmeckt. Die falsche Schlange hätte fast dafür gesorgt, dass Livvie und Alex niemals zusammengekommen wären.«
Für ihre Worte erntete sie ein zustimmendes Nicken von Rike. »Ich hab die Frau auch gefressen. Na ja, wir haben zum Glück nichts mit ihr zu tun.«
»... Sie haben einen angenehmen Aufenthalt«, sagte Chris gerade.
Zum Glück haut sie jetzt wieder ab in die Küche, dachte Chiara.
Doch weit gefehlt. Die Reederei hatte wohl ihre Standards zur Gästebegrüßung geändert, denn Chris begann nun, von Tisch zu Tisch zu gehen, um mit jedem der Gäste ein paar Worte zu wechseln.
»Oh nein«, sagte sie zu Rike und verdrehte die Augen. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte den Speisesaal verlassen. Mit dieser Frau wollte sie garantiert nicht noch einmal sprechen.
»Ganz ruhig.« Rike drückte kurz ihren Arm. »Die kommt nur kurz vorbei und ist ganz schnell wieder weg.«
Sobald Chris an ihren Tisch trat, verwandelte sich ihre gelangweilte Miene zu einem betont freundlichen Lächeln. Sie setzte an, um etwas zu sagen, verstummte jedoch wieder. Als sie Rike und Chiara erkannte, weiteten sich ihre Augen, und sie verzog das Gesicht.
»Oh, Sie sind das«, sagte Chris, wobei sie das Wort Sie förmlich ausspie, und ließ ihren Blick über den Tisch gleiten. »Ihre feine Freundin haben Sie diesmal wohl zu Hause gelassen.«
»Sie konnte leider nicht«, erwiderte Chiara und verzog den Mund zu einem falschen Lächeln. »Erst die Hochzeit mit Alex und nun auch noch das Baby. Die beiden haben so viel zu tun, wissen Sie.« In gespieltem Bedauern schüttelte sie den Kopf. »Tja, daher ist sie leider verhindert, tut mir leid. Ach ja, und dann ist da noch das Haus ...«
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Nina die Szene mit fragendem Blick beobachtete. Sie wandte sich kurz zu ihr und formte lautlos mit den Lippen: später. Nina verstand sofort und nickte fast unmerklich.
»Na, dann wünsche ich viel Glück«, sagte Chris in eisigem Ton. »Jetzt muss ich aber auch schon weiter, die Pflicht ruft.« Es war ihr anzusehen, dass sie sich förmlich zwingen musste, ihnen und ihren Tischgenossen einen angenehmen Aufenthalt zu wünschen.
»Oh weia, hoffentlich spuckt sie uns nicht in die Suppe«, raunte Rike Chiara zu, als die Küchenchefin sich mit einem hochmütigen Blick abwandte und betont gelassen zum nächsten Tisch ging.
Wäre da nicht der kurz aufblitzende Mittelfinger gewesen, während sie sich umdrehte, hätte Chiara die Sache auf sich beruhen lassen. So aber fühlte sie, wie ihr Temperament drohte, überzukochen. Sie versuchte noch, sich zur Ruhe zu mahnen, doch es war bereits zu spät.
Mit einer geschmeidigen Bewegung sprang sie auf und wollte Chris hinterher, um ihr ordentlich die Meinung zu geigen. So leicht kam sie ihr nicht davon.
Rike schaltete sofort und packte ihre Freundin am Arm. »Lass das!«, zischte sie. »Das ändert sowieso nichts, und wir bekommen nur Ärger.«
Als Chiara sich zu ihr umwandte, funkelten ihre Augen wütend. »Aber sie hätte es verdient!«
»Klar hätte sie das«, sagte Rike in beruhigendem Ton. »Aber sie hat nicht das erreicht, was sie wollte. Also hat sie ihre Strafe doch schon bekommen.«
Das sah Chiara ein, und so setzte sie sich langsam wieder hin. Jedoch nicht, ohne ein paar kräftige italienische Flüche vom Stapel zu lassen.
Nina musterte die beiden mit großen Augen. »Jetzt habt ihr mich wirklich neugierig gemacht.«
»Was für eine unhöfliche Person«, sagte Elsa Marquardt in missbilligendem Ton an ihren Mann gewandt. »Mit jedem hat sie ein paar Worte gewechselt, nur mit uns nicht.«
Heinz Marquardt beugte sich zu ihr hinüber und tätschelte ihre Hand. »Glaub mir, Liebes, bei manchen Menschen ist es besser, wenn sie nicht mit einem sprechen.«
»Dem kann ich nur zustimmen«, sagte Chiara und lächelte die beiden an. »Sie haben nichts verpasst, glauben Sie mir.«
»Hoffentlich spuckt sie ihren Gästen nicht in die Suppe.« Elsa Marquardt klang, als würde sie es der Küchenchefin durchaus zutrauen.
Rike lachte. »Das habe ich gerade auch schon Chiara zugeflüstert.«
Kurz darauf verabschiedeten sich die Freundinnen von den älteren Herrschaften und machten sich auf zu einem kurzen Verdauungsspaziergang.
Nach ihrem Spaziergang, der tatsächlich ziemlich kurz ausfiel, weil alle nach dem langen Tag einfach völlig kaputt waren, setzte sich Rike neben Chiara auf deren Bett. Nina hatte es sich auf ihrem gemütlich gemacht und lag mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Rücken.
Ausführlich berichteten Chiara und Rike ihrer Freundin von den Vorkommnissen. Sie erzählten, dass die damalige Souschefin Chris in Alex verliebt gewesen war und alles versucht hatte, den Küchenchef für sich zu gewinnen. Dabei war ihr kein Mittel zu schade gewesen. Auf perfide Weise war es ihr beinahe gelungen, damit Erfolg zu haben.
»Warum habt ihr mir denn nie was davon erzählt?«, fragte Nina, die recht beleidigt klang.
Entschuldigend zuckte Chiara mit den Schultern. »Am Ende waren Alex und Livvie so glücklich, und es ging alles so schnell mit dem Baby und der Hochzeit. Das ist in all dem Trubel wohl irgendwie untergegangen.«
»Na ja, gibt Schlimmeres.« Versöhnlich lächelte Nina ihre Freundinnen an. »Jetzt weiß ich ja Bescheid und kann böse gucken, wenn ich sie sehe.«
Alle lachten.
»Wollen wir noch mit Olivia telefonieren?«, fragte Chiara. Während sie sprach, stand sie bereits auf, um ihren Laptop zu holen.
»Unbedingt«, antwortete Nina. »Ich will wissen, wie es ihr geht.«
Rike nickte zustimmend.
Als Chiara den Laptop auf ihr Bett gestellt hatte, setzten sich die drei auf den Boden davor. Chiara fuhr ihn hoch, öffnete Skype und scrollte zu Olivias Namen. Die Freundinnen drängten sich vor dem Bildschirm zusammen.
Es tutete mehrmals, bis Olivias Gesicht erschien. In den letzten Monaten war es etwas voller geworden und wirkte nicht mehr ganz so schmal. An ihrem strahlenden Lächeln erkannten ihre Freundinnen sofort, dass es ihr gutging.
»Na, wie ist es auf der Kreuzfahrt?«, wollte Olivia wissen.
»Schön wie immer«, erwiderte Chiara und lächelte sie an. »Es ist nur so schade, dass du diesmal nicht dabei sein kannst.«
»Ja, es ist wie ein Fluch.« Rike seufzte tief. »Schon zum zweiten Mal sind wir nur zu dritt.«
»Irgendwann schaffen wir es schon noch alle zusammen.« Olivia lachte. »Glaubt mir, es ist besser, dass ich zu Hause geblieben bin. Ihr ahnt ja nicht, was in den letzten Tagen einer Schwangerschaft so alles passiert. Inzwischen watschle ich schlimmer als eine Ente, kann meine Füße nicht mehr sehen und muss alle paar Minuten auf die Toilette. Mit mir hättet ihr diesmal keine Freude gehabt.«
»Wenigstens siehst du es mit Humor, Livvie«, sagte Nina. »Ich habe mich ja letztes Mal fürchterlich geärgert, wenn ich ehrlich bin.«
»Du hattest dir ja auch das Bein gebrochen. Mir im Gegensatz steht etwas sehr Schönes bevor.« Olivia lächelte sie liebevoll an.
Ob so eine Geburt etwas sehr Schönes war, wagte Chiara zu bezweifeln, doch sie sagte nichts dazu. Zum einen mangelte es ihr an persönlicher Erfahrung zu diesem Thema, zum anderen wollte sie Olivia keine Angst machen. Vermutlich hatte Livvie ohnehin die Zeit danach mit dem Baby gemeint.
»Wie geht es dir denn?«, fragte sie. »Ist mit dir und dem Baby alles gut?«
Livvie nickte. »Die Werte sind zum Glück alle wieder im Normbereich. Das Baby ist wohlauf, und mit mir ist auch alles okay. Abgesehen von den eben beschriebenen Wehwehchen. Aber Alex kümmert sich rührend um mich.« Sie kicherte. »Er bindet mir zum Beispiel die Schuhe und hilft mir aus meinen Stiefeln. Wer kann schon von sich behaupten, einen menschlichen Stiefelknecht zu Hause zu haben?«
Alle lachten.
»Und er besteht darauf, mich überallhin zu begleiten«, sagte Olivia und verzog das Gesicht. »Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt allein auf die Toilette darf.«
»Besser so, als wenn er dich ignorieren würde«, warf Nina ein.
»Das ist richtig. Aber manchmal ist es schon etwas nervig. Na ja, bald ist das Baby ja da, und dann hört das hoffentlich auf.« Olivia seufzte ein wenig. »Sosehr ich mich auf mein Baby freue ... Es wäre schon schön gewesen, wenn ich jetzt bei euch wäre.«
»In unseren Gedanken und Herzen bis du jedenfalls dabei. Jede einzelne Sekunde.«
»Lieb, dass du das sagst, Chiara.« Während sie sprach, begannen Olivias Augen, verdächtig feucht zu schimmern. »Ich bin ...« Sie unterbrach sich und verzog das Gesicht. »Herrje. Mädels, wir müssen Schluss machen. Ich muss mal wieder auf die Toilette.«
Lachend legten die drei Freundinnen auf und schmiedeten noch eine Weile Pläne für den nächsten Tag. Gemeinsam beugten sie sich über den Prospekt mit den Ausflügen, um sich ein erstes Bild zu machen. Zu einer Entscheidung kamen sie jedoch nicht. Dazu waren alle viel zu müde.
»So, jetzt muss ich aber echt ins Bett«, sagte Rike irgendwann und gähnte herzhaft. »Sonst bin ich morgen zu nichts zu gebrauchen.«
Ihr Gähnen steckte Chiara und Nina an. Bevor es noch zu einem wahren Wettbewerb ausarten konnte, verabschiedete sich Rike und machte sich auf den Weg zu ihrer Kabine.
»Ist es wirklich okay, wenn wir shoppen gehen und dich allein lassen?«, fragte Rike tags darauf nach dem Mittagessen und bedachte Chiara mit einem besorgten Blick. »Irgendwie fühle ich mich nicht gut dabei. Wir machen die Kreuzfahrt doch gemeinsam.«
»Na klar«, erwiderte Chiara und lächelte ihre Freundin an. »Ich habe euch doch schon gestern gesagt, dass ich absolut kein Problem damit habe, mich auf dem Sonnendeck mit einem Buch auf einem gemütlichen Liegestuhl zu vergnügen und zwischendurch aufs Meer zu schauen.«
»Wenn du dir wirklich sicher bist, gehen Rike und ich jetzt los.«
»Ja, ich bin mir sicher.« Mit beiden Händen machte Chiara eine wegscheuchende Bewegung. »Ihr findet mich auf dem Sonnendeck beim Spa.«
Die Lady of the sea befand sich gerade auf dem Weg vom Startpunkt Bremerhaven nach Dover. Da eine kräftige Brise wehte, beschloss Chiara, sich nicht in ihren Bikini zu werfen. Dafür war es ihr an diesem Junitag noch ein wenig zu frisch.
Daher machte sie sich in einer engen schwarzen Hose, die vorteilhaft ihre schlanken Beine betonte, und einer gelben Bluse, die mit ihren braunen Augen harmonierte, auf den Weg zum Sonnendeck. Ihre Lieblingssonnenbrille mit den übergroßen Gläsern hatte sie sich auf den Kopf geschoben. Ein breites Armband aus echtem Gold vervollständigte ihr Outfit. In einer Hand trug sie den neuesten Thriller ihres Lieblingsautors.
Wenig später ließ sie sich mit einem wohligen Seufzer in einen der Liegestühle auf dem Sonnendeck sinken. Fast alle waren in Richtung Meer ausgerichtet. Nur ein paar zeigten auf den Fitnessbereich, in dem sich bereits einige Sportwütige tummelten und fleißig die Geräte benutzten.
Kopfschüttelnd betrachtete Chiara sie einen Moment über die Schulter, bevor sie ihre Augen aufs Meer wandte. Heute war abgesehen von den kühlen Windböen ein angenehm warmer Tag, und die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel herab. Chiara schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und schloss für einen Moment die Augen.
Was für ein Glück, dass sie noch einmal mit ihren Freundinnen auf eine Kreuzfahrt gehen durfte. Nur schade, dass diesmal Olivia nicht dabei war. Ob es ihnen wohl einmal gelingen würde, zu viert auf Seereise zu gehen? Sie hoffte es sehr. So schwer konnte das ja nun wirklich nicht sein.
Chiara zückte ihren Thriller und öffnete das Buch auf der Seite, bei der sie war. Sie begann zu lesen. Doch es dauerte nicht lange, und ihre Gedanken schweiften ab. Nachdenklich blickte sie durch das durchsichtige Geländer aufs Meer. Heute hatte es eine mittelblaue Farbe und hob sich gut sichtbar vom hellblauen wolkenlosen Himmel ab. Die Sonne spiegelte sich darin, was die wenigen Wellenkronen fast weiß erscheinen ließ.