Glück to go - Christiane Hagn - E-Book

Glück to go E-Book

Christiane Hagn

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Beschreibung

Als sich Christiane Hagn eines Tages die Frage 'Bist du glücklich?' selbst vor dem Badezimmerspiegel stellt, fällt ihre Antwort länger aus als erhofft: 'Also, ganz grundsätzlich gesehen bin ich bestimmt nicht unglücklich, außer …' In diesem Moment beschließt sie, von nun an alles dafür zu tun, diese Frage zukünftig mit einem klaren 'Ja!' beantworten zu können. Schließlich gab es sie ja, die Glücksmomente in ihrem Leben – auf ihren vielen Reisen, als sie das letzte Mal verliebt war … Doch ihr Ziel ist nun, dauerhaft und vor allem alltagskompatibel glücklich zu werden. In einem gewagten Selbstexperiment unternimmt die Autorin 20 Versuche, um das Glück aufzuspüren, einzufangen und festzuhalten. Ob Lachyoga, Fasten, Base-Flying, Zumba-Tanzen oder Besinnung im Kloster – alles, was Glück verheißt, wird kurzerhand von ihr ausprobiert und ausgewertet. In Glück to go erzählt Christiane Hagn in 20 humorvollen, ehrlichen, berührenden und nicht zuletzt beglückenden Geschichten von ihrer rasanten Glückssuche …

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Christiane Hagn

GLÜCK TO GO

20 kompromisslose Selbstversuche, die tägliche Dosis Glück zu finden

Für meine Eltern

VORWORT

GLÜCK – ein wirklich sehr großes Wort

In Zeiten, in denen es Massagen und sogar Botox »to go« gibt, sollte »Glück to go« wirklich nicht zu viel verlangt sein. Um nun also mein Vorhaben, fortan täglich glücklich zu sein, in die Tat umsetzen zu können, bedarf es noch ein wenig Recherche. Denn um zu wissen, wonach ich suche, muss ich erst wissen, was ich suche. Was um alles in der Welt verbirgt sich hinter dem Abstraktum aus fünf Buchstaben – »G-l-ü-c-k«?

Wie immer, wenn ich vor schier übermächtigen Herausforderungen stehe, wie zum Beispiel »Dreisatz rechnen« oder eben »das Glück finden« schlage ich nach. Und zwar dort, wo das Wissen dieser Welt gesammelt liegt:

Laut Wikipedia ist das Glück »… ein sehr vielschichtiger Begriff, der Empfindungen vom momentanen Glücksgefühl bis zu anhaltender Glückseligkeit einschließt, aber auch als ein äußeres Geschehen begegnen kann, z. B. als glücklicher Zufall oder als eine zu Lebensglück verhelfende Schicksalswende.«1

Da ich mit dieser Definition nicht wirklich was anfangen kann, probiere ich es mit einer etwas altmodischeren Methode und sehe im Duden nach: »Glück: Substantiv, Neutrum.« (Also doch kein Mann!) ... Bedeutungsübersicht: 1. etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist; besonders günstiger Zufall, günstige Fügung des Schicksals; 2. das personifiziert gedachte Glück; Fortuna; 3.a. angenehme und freudige Gemütsverfassung, in der man sich befindet, wenn man in den Besitz oder Genuss von etwas kommt, was man sich gewünscht hat; Zustand der inneren Befriedigung und Hochstimmung; 3.b. einzelne glückliche Situation; glückliches Ereignis, Erlebnis.«2

Das ist interessant, aber für mein Anliegen nicht konkret genug. Also gebe ich das Wort »Glück« auf Google ein und werde geradezu erschlagen von 131.000.000 Ergebnissen. Ich klicke mich unverfroren durch einige Links und vertiefe mich für die nächsten Stunden in die Glücksforschung verschiedenster Disziplinen. Ich arbeite mich durch psychologische, philosophische, theologische, neurophysiologische, wirtschaftswissenschaftliche und sogar politische Betrachtungen darüber, wo und wie das Glück zu finden sei, und stelle schnell fest, dass Glück verdammt noch mal nicht nur ein großes Wort ist. Vielmehr ist es ein Mysterium, das die Menschheit schon seit Anbeginn, noch vor Senecas »De vita beata« (»Vom glücklichen Leben«), laut Bibel nämlich schon seit Adam und Eva beschäftigt.

Vielleicht dachte Eva, der Apfel könne sie glücklich machen. Vielleicht wäre die Vertreibung aus dem Paradies nicht passiert, wenn Adam sie ordentlicher beglückt hätte. Vielleicht würden wir dann jetzt alle glücklich im Garten Eden leben oder uns dort, vor lauter Glück, so ganz ohne Leid, zu Tode langweilen. Wer weiß das schon?

Etwas erschöpft von meiner Recherche, vertiefe ich mich auf Amazon in die sogenannte Glücksliteratur, die hauptsächlich aus beschämenden Buchtiteln besteht. Solche, die man fast ausschließlich in Bahnhofsbuchhandlungen findet und nur in Ausnahmezuständen kauft, wie bei Jobverlust, Liebeskummer oder einer ernsthaft pubertären Krise, in der das Leben – ohne Kurt Cobain – so gar keinen Sinn mehr zu machen scheint. Vielleicht würden sich aber auch noch mehr Leute vor Züge werfen, wenn diese Bahnhofsbuchhandlungen nicht so hervorragend sortiert wären?

Das war geschmacklos, ich weiß. Aber als Akademikerin mit abgeschlossenem Magisterstudium der Psychologie (wenn auch nur im Nebenfach, wobei ich mich neun Semester ausschließlich mit Freud durchgemogelt habe) lehne ich Lebenshilfebücher profitorientierter Scharlatane und unbefriedigter Esoterikerinnen von Natur aus ab.

Ich gebe zu, auch ich habe schon mal zu einem solchen Buch gegriffen, obwohl mir der Tod von Kurt Cobain oder die Trennung von Take That damals nicht so naheging wie so mancher meiner Zeitgenossinnen. Aber auch ich hatte schon Liebeskummer – das eine oder andere tausendste Mal.

Von der Beschäftigung mit dem Glück ermattet, klappe ich mein Notebook zu und werfe einen Blick in die versteckten Ecken meines Bücherregals. Sieht so aus, als hätte ich gerade ein bisschen geschwindelt. Denn es ist geradezu erstaunlich, welche Mengen an Glücksliteratur ich in meinem jungen Leben tatsächlich schon angehäuft und scheinbar – nach Eselsohren und Kaffeeflecken zu urteilen – auch gelesen habe.

Ich finde die Bestseller »Sorge dich nicht, lebe!« von Dale Carnegie und »Jetzt! Die Kraft der Gegenwart« von Eckhart Tolle. Außerdem diverse Ausgaben der »Psychologie Heute« zu Themen wie »Lebensfreude – 7 Strategien der Lebenskunst«, »Glück, Glaube, Gott – Was gibt dem Leben Sinn?« oder »Glücklich leben: Der Weg der Philosophie«. Daneben stehen die »Anleitung zum Glücklichsein« von Heinrich Kalbfuss sowie das ironisch geschriebene Pendant von Paul Watzlawick, die »Anleitung zum Unglücklichsein« – ein Buch, das mir mein Psychologe bereits in der ersten Sitzung sehr ans Herz gelegt hat. Ich finde ein weiteres Werk von Watzlawick über das Glück und die Konstruktion der Wirklichkeit mit dem unglaublichen Titel »Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch essen«.

Wenn ich tatsächlich all diese Bücher gelesen habe, tat ich das offensichtlich mit mäßig anhaltendem Erfolg. Und noch einmal lesen kommt nicht infrage. Das dauert mir zu lange, denn ich bin eine sehr ungeduldige Frau auf der schnellen Suche nach dem Glück.

Es muss einen anderen, und vor allem sofort umsetzbaren Weg geben, mich des Glückes Freund zu machen. Als ich gerade all diese Werke zurück in ihr Versteck schiebe, stoße ich auf ein altes Kinderbuch. Es heißt »Alle meine Freunde« und ist eines dieser Bücher, die man früher an seine Klassenkameraden verliehen hat. »Alle Freunde« mussten ein Foto von sich einkleben und Fragen beantworten, wie »Was ist dein Lieblingsessen?«, »Was ist deine Lieblingsfarbe?« und weitere essenzielle Dinge des ewigen Kreislaufes von Leben und Tod.

Das bringt mich auf eine Idee: Für erste praktische Anhaltspunkte werde ich Menschen in meinem Umfeld oder eben »alle meine Freunde« danach befragen, was sie persönlich glücklich macht. Und um niemanden in ersichtliche Verlegenheit zu bringen, starte ich in Form einer Rundmail eine nicht gerade wissenschaftliche, aber dafür sehr effektive Umfrage. Ich weiß, in Zeiten von Facebook ein bisschen old-school, aber wenigstens muss niemand sein Foto einkleben.

Im Laufe der nächsten Tage erhalte ich auf die Frage »Was ist Glück?« folgende Antworten:

Glück ist …

•ein gedeckter Apfelkuchen mit Sahne

•verliebt sein

•eine Küche, die immer gut besucht ist und immer genug Wein im Regal hat

•ein multipler Orgasmus

•wenn der Ball an den Pfosten prallt, zurück auf die Linie springt und dann ins Tor geht

•ein grandioser Party-Abend, an den man sich auch noch erinnern kann

•Freunde

•Kunst

•wenn ich mich spüre

•wenn die Zeit so einen bestimmten Geruch bekommt

•das Gegenteil von Talent

•frei über sich selbst zu bestimmen

•frische Luft

•eine mutige Entscheidung

•wenn mich eine Melodie zum Wiederhören zwingt

•in einer Tätigkeit zu versinken

•anderen eine Freude zu machen

•wenn ich meinen Freund von Weitem auf der Straße sehe und wir uns aufgeregt zuwinken

•die Abwesenheit von Unglück

•Küssen

•wenn Dinge eintreten, die ich mir gewünscht habe

•eine warme Bettdecke

•Ekstase – Askese, Freude – Trauer, stumm – laut

•mir treu zu sein

•in Freiheit reisen zu können

•Adrenalin + Serotonin + Zufall + Faktor x

•an den Bahngleisen im Sommerregen zu tanzen

•ein Parkplatz direkt vor meiner Haustüre

•Sport

•einen Menschen zu haben, den man liebt und von dem man geliebt wird

•Kohlenhydrate

•die erfolgreiche Bewältigung einer Herausforderung

•ausgewogen zu sein

•das Ausbleiben von Naturkatastrophen

•Schokolade

•die göttliche Fügung von Dingen

•ein Tag am Meer

•wenn das Öl steigt und man einen Call-Optionsschein hat

•mit anderen zu sein

•das Alleinsein genießen zu können

•ein Frühstück in der Sonne

•Shopping

•subjektives Wohlbefinden

•zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein

•meine Geschirrspülmaschine

•die Aussicht auf schöne Dinge

•das Telefonat mit der Tochter

•wenn der Schmerz nachlässt

•spontan abzuhauen

•im Hier und Jetzt zu leben

•im freien Fall keine Angst zu haben

Stolz betrachte ich meine Liste, mit der das Glück endlich praktische Gestalt anzunehmen scheint. Eine Liste, die mir zahlreiche Anregungen liefert, die mir bei meiner Suche von Nutzen sein könnten. Besonders gut gefällt mir die sehr klare Definition vom Glück als »subjektives Wohlbefinden«. Ich finde, das sollte bei Wikipedia stehen.

Los geht’s: Von nun an werde ich nichts unversucht lassen, das Glück in all seinen Erscheinungsformen aufzuspüren: als Zustand, als Prozess, als stimulierende Empfindung, als unverrückbare Tatsache. Das zufällige und das trainierbare Glück. Das große wie das kleine Glück. Egal ob Flow, Glückseligkeit oder Glücksmoment: Das Glück muss erobert werden! Oder frei nach Abraham Lincoln: »Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben.«

1. VERSUCH

Glück ist ein Apfel

„Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen, es ist nicht dort und ist nicht hier. Lern überwinden, lern entsagen, und ungeahnt erblüht es dir."

Theodor Fontane (1819–1898), Schriftsteller und Apotheker

Heute ist wieder mal ein besonders glücksbefreiter Tag. Oder das Glück hat sich verdammt gut hinter meinen Kopfschmerzen und einem flauen Gefühl in meiner Magengegend versteckt. Nein, ich bin nicht krank. Ich bin verkatert. Und das an einem Montagmorgen.

Freitagmorgen wäre okay. Donnerstagmorgen: auszuhalten. Denn dann ist das Elend, wie lange man bis zum Wochenende noch durchhalten muss, wenigstens absehbar. Aber Montag? Die Vorstellung, dass die komplette Arbeitswoche, fünf volle, fiese Tage, noch vor mir liegen, lässt mich in meinem aktuellen Zustand geradezu in tiefe Verzweiflung stürzen.

Normale Menschen würden an einem solchem Tag – an dem sie sich so erbärmlich fühlten wie ich mich heute – gar nicht erst an ihrem Arbeitsplatz erscheinen. Sie würden wegen Kopfschmerzen und Übelkeit zu Hause bleiben und hätten dabei nicht einmal gelogen. Ich dagegen gehe an einem solchen Tag erst recht ins Büro. Aber ich bin auch nicht normal, sondern aus Bayern und römisch-katholisch erzogen. Selbstkasteiung ist mein zweiter Vorname.

»Wer feiern kann, kann auch zur Schule gehen!« Mit diesem Satz weckte mich meine Mutter sogar nach meiner eigenen Geburtstagsparty und schickte mich gnadenlos in die Matheklausur. Ich bekam eine Sechs und von meinem Vater mit meinen 16 Jahren die zweite und letzte Ohrfeige meines Lebens. Die erste bekam ich im Alter von acht Jahren, als ich nach einem Friseurbesuch mit einem Kurzhaarschnitt nach Hause kam. Für beide Ohrfeigen schämt er sich bis heute, denn meine bayerische Erziehung war zwar sehr auf Disziplin ausgerichtet, kam aber ohne Anwendung von Gewalt aus. Eigentlich.

Dennoch, meine bayerische »Du musst die Konsequenzen für dein Handeln tragen«-Erziehung hinterließ tiefe Spuren. So habe ich jenen besagten Satz im Laufe meines Heranwachsens eigeninitiativ zu »Wer saufen kann, kann auch arbeiten!« umformuliert und mich bis heute stets daran gehalten.

Da sitze ich also und verdrücke um elf Uhr morgens schon ein Stück Pizza mit scharfer Salami von dem Imbiss unter unserem Büro, in der Hoffnung, das flaue Gefühl in meinem Magen dadurch wieder loszuwerden. Leider passiert genau das Gegenteil und ich kämpfe noch stärker gegen die Übelkeit an. Um mich von meinem Brechreiz abzulenken, fange ich an, das Wort »Wiederkäuer« zu googeln. Wieso bin ich nicht einfach zu Hause geblieben …

Es wird höchste Zeit, mich im Alter von 30 Jahren endlich abzunabeln und eigene Maximen aufzustellen. Wie wäre es mit: »Wer sich montags schon schlecht fühlt, sollte den Rest der Woche blaumachen«?

Doch dafür ist es heute schon zu spät. Also quäle ich mich weiter durch den Tag, erfahre, dass Wiederkäuer eine pflanzenfressende Unterordnung der Paarhufer sind, und versuche, meinen miserablen Zustand vor meinen Kollegen geheim zu halten. Bis zum späten Mittag bin ich schon wieder so weit regeneriert, dass mir weder bei dem Gedanken an Pizza noch an Zigaretten schlecht wird. Und bis zum Nachmittag geht’s mir schon wieder so gut, dass ich sogar rauchen kann. Als ich abends den Rechner runterfahre, habe ich nicht nur keine Zigaretten mehr übrig, sondern auch das schleichend aufkommende Bedürfnis nach einem Feierabendbier. Verrückt, dieser menschliche Organismus: ein Wunder der Selbstregeneration.

Als ich gegen 19 Uhr schon fast beschwingt das Büro verlasse, ruft mein lustiger italienischer Freund Ricci an. Es gäbe heute dieses Konzert der Banda Bassotti im SO 36 in Kreuzberg, wo wir unbedingt hinmüssten. Ich lehne natürlich ab: »Auf keinen Fall, Ricci. Ich muss jetzt nach Hause, Augenbrauen zupfen, in die Badewanne und danach sofort ins Bett.«

»Dai, vieni!«

»No.« Ich bleibe eisern.

»Dai!«

»No!« Auf gar keinen Fall.

»Dai, Christiane, non sei cosí tedesca!« Mist. Jetzt hat er mich. Denn wenn ich eines nicht ausstehen kann, dann ist es, wenn man mir vorwirft, typisch deutsch zu sein. Das ist noch schlimmer als die Charaktereigenschaft»geizig« oder »unspontan« unterstellt zu bekommen, die auf Platz zwei und drei der schlimmsten Vorwürfe rangieren. Statt also vernünftig und deutsch in die Straßenbahn nach Hause zu steigen, fluche ich auf Italienisch ins Telefon und nehme die Treppen Richtung U8. Richtung Untergrund, Richtung Sodom und Gomorrha.

Am nächsten Morgen erlebe ich ein Déjà-vu der besonderen Art. Ein »Und täglich grüßt das Murmeltier«-Erlebnis. Ich habe schon wieder Kopfschmerzen und bin weit davon entfernt, mir anmaßen zu können, glücklich zu sein. Denn meine postalkoholische »Ich bin Single und führe ein Lotterleben«-Depression tut meinem subjektiven Wohlbefinden gar nicht gut. Doch genau daran leide ich gerade. Ich kann mich doch nicht Nacht für Nacht auf belanglosen Partys rumtreiben, auf der Couch von italienischen Lebenskünstlern übernachten und Stück für Stück meinen Körper, meinen Geist und meine Seele mit Alkohol, Zigaretten und Schlafentzug zerstören. Das ist ungesund und hat nichts mit Glück zu tun. Ich muss handeln. Jetzt!

Ich greife zu meinem pinken, mit Pailletten und Federbüschel verzierten Lieblingsstift, der bei meinen männlichen Kollegen eine Mischung aus Rat- und Fassungslosigkeit auslöst, und erstelle folgende Liste:

1. Kein Alkohol

2. Keine Zigaretten

3. Kein Fleisch

Ich überlege, ob ich noch »kein Sex« ergänzen soll, aber das wäre zum aktuellen Zeitpunkt völlig überflüssig. Allerdings stellt diese lächerliche Drei-Punkte-Liste auch keine wirkliche Herausforderung dar. Denn es gibt genug Menschen, die nie trinken, niemals geraucht haben und schon mit elf Monaten den Fleischanteil in der »Milupa Kinderpasta Spaghetti-Bolognese« verweigert haben. Und nach meinem Umfrageergebnis zu urteilen, führt doch gerade »die Bewältigung einer Herausforderung« zu Glück. Daraus schlussfolgere ich, dass ich auf mehr verzichten muss als auf lächerliche drei gesundheitsgefährdende Genussmittel.

Ich muss härtere Geschütze auffahren und gebe auf Google »Glücklich mit fast nichts« ein. Auf Platz eins dieser Ergebnisliste erscheint »Heilfasten: Glücklich mit fast nichts«.

Es hätte auch schlimmer kommen können (»Klosterleben« erscheint auf Platz fünf). Daher schon fast erleichtert recherchiere ich weiter zum Thema. Meine Erleichterung schwindet schnell. Denn wenn ich das recht verstehe, soll man sich zu Beginn einer Heilfasten-Woche zuallererst selbst einen Einlauf verpassen und anschließend sechs Tage lang nichts außer Flüssigkeiten zu sich nehmen. Klingt nicht gerade nach dem greifbaren Glück. Aber zugegeben nach einer Herausforderung. Noch dazu wird auf zahlreichen Foren versprochen, dass Fasten glücklich mache und – Achtung – man durch Fasten seine »Happiness dauerhaft steigern« könne. (»Happiness« ist für mich das Unwort des Jahrhunderts.) Wie auch immer, es sieht danach aus, als könnte ich mir ein Stück Glück tatsächlich erhungern. Ich werde heilfasten und zwar sofort.

Alle Hinweise darauf, dass man das Fasten langsam vorbereiten sollte, ignoriere ich. Denn Sätze wie »An Ihrem Entlastungstag steht auf Ihrem Speiseplan ein lecker und fantasievoll angerichteter Rohkostsalat« lösen bei mir große Aversionen aus. Bevor ich jetzt fantasievoll Salat zubereiten muss, esse ich heute lieber gar nichts mehr. Außer vielleicht noch dieses klitzekleine Erdbeertörtchen von Butter Lindner. Einfach köstlich.

Nach Feierabend suche ich einen Ort auf, den ich unter normalen Umständen niemals betreten würde: den Bioladen. Ich kaufe schon aus Prinzip niemals im Bioladen ein, weil mir dieser Ökowahnsinn einfach auf die Nerven geht. Doch heute mache ich eine Ausnahme, denn ich habe die Hoffnung, all die seltsamen Zutaten, die ich für die nächsten sechs Tage benötigen werde, hier zu finden.

Bei meinem Streifzug durch die Gänge bin ich über das mannigfaltige Sortiment sehr erstaunt. Die verkaufen sogar Alkohol! Wer hätte das gedacht: Suppe kochende Yuppi-Muschis trinken Alkohol. Hut ab! Natürlich widerstehe ich der Versuchung, diesen ökologisch angebauten, vermutlich fußgestampften, Biolandwein zu versuchen und besorge stattdessen vorschriftsmäßig eine Tube Bienenhonig, 30 fastengeeignete Teebeutel ohne Zusatz von Aromen, zwei Flaschen Obstsaft ohne Zucker und eine Flasche Gemüsesaft. Klingt nach einer Spitzenparty.

Von meinem freudlosen Einkauf schon etwas niedergeschlagen, wende ich mich an eine Verkäuferin und frage, von meinem Einkaufszettel ablesend, nach »glutamatfreier Gemüsebrühe«. Sie sieht mich völlig entsetzt an. So, als ob ich sie nach Eiern aus Käfighaltung gefragt hätte.

»Wir haben nur glutamatfreie Gemüsebrühe!«, faucht sie mich vorwurfsvoll an. Glutamat scheint hier ein echtes Schimpfwort zu sein. Ich denke kurz darüber nach, meine Frage mit »Tut mir leid, Tourette«, zu entschuldigen, aber entscheide mich doch für ein: »Umso besser. Und wo finde ich die?«

Sie dreht sich oberfeldwebelmäßig um und ich marschiere im Laufschritt hinterher, bis zu einem Regal, das mir eine schier endlose Qual der Wahl an Gemüsebrühe bietet. Ich entscheide mich für das Glas mit dem buntesten Etikett und bleibe tapfer, als ich an der Kasse für eine Handvoll und noch dazu ausschließlich flüssige Lebensmittel über 30 Euro bezahle.

»Das sind sechs Schachteln Zigaretten!«, höre ich das Teufelchen auf meiner Schulter in mein Ohr schimpfen und schäme mich sogleich vor mir selbst fremd (ja, das geht!).

Nachdem ich den Bioladen-Einkauf erfolgreich hinter mich gebracht habe, betrete ich hoch erhobenen Hauptes die Apotheke. Tatsächlich ist es mir unangenehmer, im Biomarkt Saft ohne Zucker zu besorgen, als in der Apotheke nach einer Dose F.X. Passage Salz zum Abführen zu fragen. Könnte ja auch sein, dass ich morgen eine Darmspiegelung habe, ich Ärmste.

Zu Hause ankommen, öffne ich meinen Kühlschrank, um alle noch vorhandenen Lebensmittel, die mich in nächster Zeit verführen könnten, zu entsorgen, oder zumindest außer Sichtweite zu stellen. Doch mein Kühlschrank ist das reinste Klischee: Drei Nagellacke, ein Glas Zitronengraspaste mir unbekannten Ursprungs und ein ekelhafter holländischer Grachtenschnaps, den ich nicht mal in betrunkenem Zustand anrühren würde. Scheint, als wäre ich für meine Fastenwoche bereits perfekt vorbereitet.

Etwas skeptisch breite ich meine neuen Bio-Errungenschaften auf dem Küchentisch aus und versuche mir einzureden, dass ich mich schon wahnsinnig auf den Beeren-Waldmeister-Tee aus ökologischem Anbau freue. Was für eine Scheiße! Womit wir schon beim Thema wären: Der Beipackzettel meines Abführmittels verrät mir, dass man das Abführsalz entweder frühmorgens auf nüchternen Magen oder abends vor dem Schlafengehen einnehmen soll. Ich beschließe, diesen unangenehmen Teil, die »Darmsanierung«, sofort hinter mich zu bringen, und löse zwei Teelöffel auf einen viertel Liter Wasser auf. Es sieht aus wie Brause, es schmeckt wie Brause. Und: Es funktioniert!

1. Tag

Als um acht Uhr morgens mein Wecker klingelt, quäle ich mich ins Badezimmer. Mein Magen knurrt. Das fängt ja gut an. Auf meiner aus dem Internet ausgedruckten Fastenanleitung steht, dass ich den ersten Tag am besten zu Hause mit Buch und Decke auf der Couch verbringen sollte. Aber ich weiß, dass ich mich zu Tode langweilen würde, wenn ich den ganzen Tag fröstelnd, allein und mit Kopfschmerzen auf meiner unbequemen Couch rumliegen müsste. Außerdem ist heute Dienstag, ein Werktag. Und: »Wer fasten kann, kann auch arbeiten!«

Also packe ich ein paar Teebeutel ein, meine Zwei-Liter-Thermoskanne und den Apfel-Kirsch-Saft ohne Zucker. Um mich wenigstens ein bisschen zu schonen, lasse ich heute das Fahrrad stehen und nehme die Straßenbahn. Am Hackeschen Markt angekommen, passiere ich schweren Herzens die Hofpfisterei – ohne mir wie sonst täglich eine frische Butterbreze zu kaufen. Stattdessen gibt es heute zwei Liter Guten-Morgen-Kräutertee aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft. Ich gebe zu, meine Laune war schon mal besser.

Gegen Mittag setzen fürchterliche Kopfschmerzen ein, die allerdings auch damit zu tun haben könnten, dass meine Kollegen gerade darüber diskutieren, welches Lichtkonzept für unsere neuen Büroräumen angebracht wäre, und dabei alle gleichzeitig auf mich einreden. Ich trinke Tee, spare nicht am Bienenhonig und versuche, meinen aufkommenden Frust mit der lauwarmen Plörre runterzuspülen.

Auf der Suche nach einer Person, die mich bei meinem Vorhaben jetzt etwas motivieren könnte, denke ich an meine Freundin Stevani. Ich habe sie beim Dreh zur ZDF-Dokumentation »Fett weg« kennengelernt. Sie hat mit 1,60 Meter ungefähr meine Größe und sich in zwölf Monaten von 95 Kilo auf 66 Kilo runtergehungert. Stevani machte auf mich von Anfang an einen wirklich sehr glücklichen Eindruck. Vermutlich wird sie sich über meine lächerlichen sechs Tage Fasten kaputtlachen, aber das ist mir gerade egal. Ich schreibe ihr auf Facebook eine Nachricht:

Liebe Stevani, ich bin gerade auf der Suche nach dem Glück und mein erster Selbstversuch ist Heilfasten. Heute ist mein erster Tag. Ich habe Kopfschmerzen, mir ist kalt, ich habe Hunger, schlechte Laune und ich kann jetzt schon keinen Tee mehr sehen! Was kann ich tun? Hilfe! Hunger! Christiane

Als ich um halb sieben zu Hause ankomme, frage ich mich, was ich jetzt eigentlich machen soll. Der Supermarkteinkauf samt Essenszubereitung fällt schon mal weg. Wenn man nicht mehr essen muss, gewinnt man wirklich sehr viel Zeit. Zeit, die ich plötzlich sehr gern damit verbringen würde, fantasievoll Salat zuzubereiten. Dieser Salat würde ein Feuerwerk kreativer Rohkost-Kunst werden. Stattdessen gönne ich mir noch ein Viertel glutamatfreie Gemüsebrühe und anschließend das Schaumbad »Glückliche Momente« mit Hanfextrakt, bevor ich trotz Wärmflasche frierend schon um halb neun ins Bett gehe. Ich schlafe sofort ein und träume von einer Scheibe Schwarzbrot mit grober Leberwurst.

2. Tag

Man könnte sagen, ich bin ziemlich schwach auf den Beinen. Als ich morgens ins Bad taumle, fühle ich mich wie nach einer gerade überstandenen Grippe. Statt nach Kleid und Strümpfen greife ich nach einem weiten T-Shirt und Schlabberjeans. Meine Haare binde ich lieblos zu einem Knoten nach oben und nach Make-up ist mir auch nicht zumute.

Für Tag zwei steht auf meiner Fastenanleitung, dass ich heute schon einen kleinen Spaziergang machen dürfte. Also laufe ich kurzerhand zu Fuß zur Arbeit. Natürlich vergesse ich dabei nicht, frische Luft tief ein- und wieder auszuatmen. Ich friere entsetzlich. Kein Wunder. Es ist Mitte Februar und ganz Berlin, ach was, ganz Deutschland, friert bei immer noch Minusgraden. Heute hat es minus zwölf Grad. Die ideale Zeit, um mal sechs Tage nichts zu essen. Was habe ich mir nur dabei gedacht?

Im Büro angekommen, freue ich mich umso mehr, auf Facebook eine Nachricht von Stevani vorzufinden. Sie schreibt:

Hallo meine »Glückliche«! Du fastest also im Selbstversuch? Um das Glück zu finden? Interessant. Natürlich habe ich schon gefastet, so wie alle Dicken, aber Heilfasten habe ich nie durchgehalten. Und ich hasse Tee! Ich trinke ihn jeden Tag und finde ihn zum Kotzen. Ich habe über 150 Sorten ausprobiert, aber keinen gefunden, der mir schmeckt. Du fragst mich nach Tipps? Wie wäre: Tu dir was Gutes, geh spazieren, leg dich ins Solarium, lass dich massieren oder mach irgendeinen Wellnesskram. Zieh dich warm an und trink viel Tee! Haha! Ganz ehrlich: Das ist alles Quatsch, wie ich finde. Wenn ich Kohldampf hab, hab ich Kohldampf, da interessiert mich die Landschaft um mich rum herzlich wenig. Weißt du, was mich gerade in diesem Moment sehr glücklich macht? Mein Milchkaffee. Aber nicht neidisch werden, meine Süße! So, jetzt noch der einzige Tipp, der wirklich hilft: Popöchen zusammenkneifen und durchhalten! Apropos Po: Hast du abgeführt? Wenn der Magen und der Darm leer sind, treten wesentlich weniger Hungergefühle auf! Viel »Glück«, Stevani!

Ich gebe zu, ich hatte etwas Motivierenderes erwartet. Aber es geht doch nichts über eine ehrliche Antwort. Also, »Popöchen zusammenkneifen«, denke ich und nippe an meiner Tasse Pfefferminztee.

Im Laufe des Tages schnauze ich meine Kollegen so oft an, bis keiner mehr mit mir spricht. Anschließend knalle ich zwei Freundinnen mitten im Telefonat den Hörer auf. Einmal, weil sich Moni echauffiert, dass ich morgen wegen meiner »Schnapsidee Fasten«, wie sie es nennt, nicht zu ihrem Lasagne-Essen kommen will und das andere Mal, bei Betty, einfach so, ohne Grund. Nachdem meine Wut etwas verpufft ist (und ich ein Glas verdünnten Apfel-Kirsch-Saft getrunken habe), schreibe ich eine Entschuldigungsmail in die Nachbarbüros, sage dem Essen mit der Bitte um Vergebung zu und schicke Betty eine SMS: Tut mir leid. Ich faste gerade. Verzeihst du mir? Wenn das so weitergeht, bin ich nach sechs Tagen nicht nur Giftstoffe und ein paar Kilos los, sondern auch Freunde und Job.

Mein Abendprogramm besteht aus einem Viertelliter Gemüsebrühe, einer heißen Dusche und erneut einem großen Glas Abführmittel. Um acht Uhr schlafe ich verzweifelt und hungrig ein.

3. Tag

Laut Anleitung darf ich heute schon wieder tun und lassen, wonach mir der Sinn steht (Schweinebraten essen?). Mein Körper wird mir sagen, wenn es zu viel wird. Das passt ganz gut, denn meine Kollegen haben mir verziehen, allerdings nur unter der Bedingung, dass ich heute nicht ins Büro komme: »Wer fasten kann, soll zu Hause bleiben!«, war ihre Ansage.

Also habe ich mir für heute freigenommen und versuche, Stevanis Ratschlag zu befolgen, nämlich mir etwas Gutes zu tun. Ich trinke Tee, gehe spazieren und lege mich für acht Minuten ins Solarium, was ich als ziemlich beklemmend empfinde. Anschließend kaufe ich mir einen Strauß bunter Tulpen, eine neue, viel zu teure Bodylotion, ein Buch und ein Paar warme Wollsocken. Wieder zu Hause heize ich meinen Kamin an, lege das »Cellokonzert Nr. 1 in C-Dur« von Haydn auf und mich selbst auf die Couch, mit meinem neuen Buch: »Landkarte des Glücks« von Eric Weiner.

So liege ich da und lese. Meine Stimmung ist stabil, allerdings bin ich ein wenig gelangweilt. Ich bin nicht richtig glücklich, aber schon ein bisschen stolz, dass ich die ersten zwei – und nach diversen Foren zu urteilen – damit die härtesten Tage überstanden habe.

Als mich dann mein Freund Gunther anruft und fragt, ob ich morgen Abend zu ihnen zum Essen kommen möchte, fühle ich mich wie Hiob unter der Prüfung Gottes. Ich liebe es, wenn mich Gunther und seine Frau in ihre schummrige Küche einladen, neue Rezepte von Jamie Oliver ausprobieren und wir Albali-Rotwein wie Wasser trinken. Doch ich bleibe stark und sage schweren Herzens ab.