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Ein Roman als Spiegel der Aufbruchs- und Ausbruchsstimmung der 68-er Generation. "Golomir ist mein Name, Golomir ist eine Stadt. Golomir ist ein Roman", heißt es im Buch. Mehr Canto als Prosa, mehr balladesk als episch, ist es vor allem vibrierender Ausdruck des Lebensgefühls eines jungen Menschen.
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Seitenzahl: 78
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Jürg Amann
Roman
Meiner Mutter
© 2013
HAYMON verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
Originalausgabe: Verlag publication PN°1 Bibliothek der Provinz, Weitra, 1993
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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ISBN 978-3-7099-7329-5
Umschlag: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Der Trauerzug setzt sich nun in Bewegung. Wir werden ihn begleiten durch die Straßen der Stadt, deren Pflaster dem Dahingehenden oft heiß genug unter den Nägeln gebrannt hat. Mit dem Zug werden wir die wichtigsten Orte passieren, an denen er kurz zuvor noch gewirkt hat. Wir werden mit ihm unter kahlen Bäumen durch die Weltallee ziehen, vorbei an der Versöhnungskirche, unter dem Brennenden Tor hindurch und unter den Linden hin zu der Stätte des ewigen Friedens am Waldrand von Belim. —
Wir haben einen strahlenden Wintertag. Hoch am Himmel ist eine blasse Sonne eben durch den bläulichen Nebel gedrungen. Die Farben sind zart und scheinen zu zittern. Die Luft ist feucht. Und unter unseren Füßen rascheln braungelb die Blätter im trockenen Schnee. Ein würdiger Tag. —
Der Trauerzug hat sich in Bewegung gesetzt. Vorne rollt langsam der tiefblaue Wagen der Polizei, flankiert von zwei Soldaten auf Schimmeln. Hinter ihnen streut ein einsames Mädchen in Weiß Dornen über den Weg. Die Pferde legen Äpfel ins Laub. Zuhinterst folgt, von sieben dampfenden Rappen gezogen, auf einem einfachen Wagen der Sarg. Er ist schwarz. Die Leute, welche in großer Anzahl die Alleen säumen, grüßen und jubeln ihm zu. Sie wissen nicht, daß der Sarg leer ist. Niemand weiß, daß Golomir lebt.
Golomir trat auf die Straße zu uns. Er war heute hager und grau. Er war heute jung. Er steckte die schmalen Hände in die Taschen seines bleichen Regenmantels, schaute sich mißtrauisch um und mischte sich unter die Leute.
Er war größer als sie, größer als alle, die vorübergingen an ihm. Sein langes Haar flog schwarz über die kahlen Köpfe hinweg oder über die Hüte, die besser zum Kopf paßten als die Köpfe zum Leib. Unrasiert hielt er sein blasses Gesicht dem Wind und dem Regen entgegen. Er schlug den Kragen hoch, zögerte und bog dann rasch um eine Ecke. Hier hielt er still, lehnte sich an eine alte Backsteinmauer. Es hatte ihn niemand gesehen.
Golomir schloß seine Augen und drehte den Kopf gegen die feuchte Wand. Über die Straße rannte ein Mädchen auf ihn zu. Er hörte seinen Namen rufen und eilte blindlings davon. Hinter ihm blieb ein Kreischen von Bremsen zurück, ein Rotlicht und ein Leben. Er selber verlor sich unter den Menschen.
Es regnete, der kalte Wind fuhr ihm ins Haar. Von Zeit zu Zeit strich er es aus der Stirn. Dann sahen wir eine rostige Narbe an seiner Hand.
Er ging weiter, duckte sich hinter seinen nassen Mantel und floh aus den belebteren Straßen, stürmte mit langen Schritten über die Plätze, unter den Brücken hindurch, durch einen Park, der kahl war und grau und tot. Da blieb er stehen, drehte das müde Gesicht aus dem Kragen und pfiff ein Lied vor sich hin.
Du erinnerst dich doch an unseren Gang der Mauer entlang, an unseren Blick über Wasser und Drähte, an unsern gemeinsamen Schrei? – Man hörte ihn nicht, ich weiß, aber waren nicht Vögel dabei, die trugen ihn ans andere Ufer? – Waren nicht Krähen und Möwen dabei? –
Mir scheint, es waren Kinder dabei, die ihn nahmen und spielten damit. Sie warfen ihn gegen die Mauer und fingen ihn auf und zählten leise dabei. Mir scheint, sie nahmen ihn auch in den Mund. Hoben ihn auf von der Straße und nahmen ihn in den schmutzigen Mund. Sie lutschten daran und schmeckten daran und spien ihn wieder aus. Er roch wohl zu schlecht. Sie traten ihn mit Füßen, und irgendwann, irgendwann rollte er in den Rinnstein und starb oder lebte weiter im Kot.
Mir scheint, es war auch ein Mädchen dabei, das kniete vor einem Kreuz und weinte ans andere Ufer. Weinte es nicht? – Es hatte Rosen dabei. Für irgendwen hatte es Rosen dabei. Und später, als niemand es sah, warf es die Rosen ins Wasser und rannte davon. Aber ihr Haar flog dunkel im Wind, und ein Fischer schüttelte müde den Kopf.
War nicht ein Regen dabei? Ein Nebel, der plötzlich ins Gras fiel und fror? Der zu uns sprach in einer Sprache, die es nicht gab? Der uns schneuzen ließ und seltsam lachte, wenn er die Kreide wüst von der Mauer wusch? – Ach was. Ein Regen war nicht dabei.
Aber ein Himmel, der grau war vor Alter, und unter dem Himmel ein Mann, der die Drehorgel drehte, zerschlissene Hosen trug, einen Hut und keine Socken, und trotzdem kein Geld von uns nahm. Erinnerst du dich? – Er wollte nur wissen, was für ein Tag war, und heiser bedankte er sich, als er keine Antwort bekam. Erinnerst du dich an den Tag? Wir kannten ihn nicht. Wir kannten seinen Namen nicht, wie wir ihn benutzten zum Gang an der Mauer entlang, zum Blick über Ufer und Drähte, zu unserm Schrei. –
Der Schrei war Golomir. Sein Schuhriemen hat sich gelöst, er hat sich aufs Pflaster gebückt und plötzlich hat er die Blume gesehen. Unten, aus der erdigen Ritze der Mauer, wuchs eine kleine, erbärmliche Blume. Sie hatte die Farbe der Straße.
Golomir hat sie einfach Blume genannt.
Golomir war kalt. Er hatte sich auf eine Bank gesetzt. Der Abend hing schon in den Ästen, und Golomir hatte kein Bett.
Die Kinder hatten ein Bett, die Flüsse auch und die Füße. Jeder Bettler hatte sein Bett. Aber Golomir nicht.
Golomir suchte ein Bett. Er ging an den Menschen vorbei, blieb stehen, ging weiter. Er verschwand in Nischen, Türen öffneten sich und gingen zu. Golomir betrat Gänge und Flure, stieg Treppenhäuser hinauf und hinunter. Und immer kam er heraus. Er war heute grünlich und alt. Sein Kinn war voll Stoppeln. Er hüstelte auch. Und seine Haare waren länger als sonst. Er strich sie sich aus dem Gesicht. Wir sahen die Narbe an seiner Hand. Der Regen war hin. Die Nacht brach über ihm aus.
Da betrat er ein gelbliches Haus, schloß die schwere Türe geräuschlos hinter sich zu, stieg eine Treppe hoch und klopfte an.
Er strich sich das Haar aus der Stirne, schneuzte die Nase und gab sich Mühe zu lächeln. Die Türe ging auf, knarrte und öffnete sich eine handbreit. Golomir tönte leises Raunen entgegen, Musik oder ein Lied oder Gebet, das lauter wurde und plötzlich erstarb.
Hast du hinter der Kette das Zimmer gesehen, smaragdgrün, hast du die Eule gesehen, die auf dem Schreibtisch saß und Kaukasus sprach, zu wem, man wußte es nicht?
Dreifach lagen Teppiche da, aus Krusien, aus Belim und Rußland. Zuoberst aber aus Rußland. Und ein Husten verbarg sich vor dir, das schien ein letztes zu sein. Auf einem Sofa türmten sich Kissen mit goldenen Zeichen. An der Wand hing ein zweischneidiges Schwert.
Aber im Schaukelstuhl schaukelte etwas aus Haut, das war winzig wie eine Kröte und sang vor sich hin. Hast du den Namen verstanden? – Golomir war der Gesang. Er ging von Untergang, Bibel und Menschen. Aber er schloß mit dem Zeitalter der Monde und Sterne. Werden wir es erleben? –
Golomir tönte der Gesang. Er galt dem Altar in der Ecke, auf dem die Kerzen brannten. Die Flammen duckten sich vor einem Hauch. Aber über ihnen, schräg an der Wand, hast du den großen goldenen Rahmen gesehen? – Er war leer. Früher hing Golomir drin.
Die Kröte hustete wieder. Die Eule sprach Kaukasus.
Golomir zog die Türe hinter sich zu, drehte sich um und ging die Treppe hinunter. Er hatte sich in der Türe geirrt.
Er ging an den Menschen vorbei, versuchte sich ihnen zu zeigen, sprach auch einige an. Sie schienen ihn nicht zu hören. Sie sahen ihn nicht. Er war heute schmächtig und klein. Sein weißes Haar flog in der Nacht.
Aber die Stimme wollte nicht tragen.
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