Gott und sein Wort - Georg Fischer SJ - E-Book

Gott und sein Wort E-Book

Georg Fischer SJ

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Beschreibung

Gottes Wort gibt Kunde von ihm und übersteigt menschliche Maße und Vorstellungen. Es zu verstehen ist daher immer ein Grenzgang. Die Beiträge dieses Bandes unternehmen dies in zwei Richtungen: Teil I, "Die Kunst der Auslegung", stellt Grundzüge für ein angemessenes Deuten biblischer Texte vor. Teil II, "Der Reichtum der theologischen Botschaft", zeigt auf, mit welcher Vielfalt das Alte Testament von Gott redet und ihn so in seiner Unfassbarkeit aufleuchten lässt. Beide Zugänge, der methodische und der inhaltliche, hängen miteinander zusammen und beeinflussen einander wechselseitig.

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StuttgarterBiblischeAufsatzbände 70

Herausgegeben vonThomas Hieke und Thomas Schmeller

Georg Fischer SJ

Gott und sein Wort

Studien zu Hermeneutikund biblischer Theologie

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2019

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller

Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg

Druck und Bindung: Sowa Sp. z o.o., ul. Raszynska 13, 05-500 Piaseczno, Polska Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Silberburgstraße 121, 70176 Stuttgart

Printed in Poland

ISBN 978-3-460-06701-1

eISBN 978-3-460-51083-8

Inhalt

Vorwort

Einleitung

A)Biographische Hintergründe

B)Vorstellung der Beiträge

Teil I: Die Kunst der Auslegung

A)Grundlagen

Exegese als Dialog.

Grundsätzliches zur Auslegung biblischer Texte

In: Clemens Sedmak (Hg.), Was ist gute Theologie? (STS 20), Innsbruck: Tyrolia 2003, 137–150.

Grundlagen biblischer Hermeneutik

In: Helmut Utzschneider / Erhard Blum (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart: Kohlhammer 2006, 247–254.

Time for a Change!

Why Pentateuchal Research is in Crisis

In: Matthias Armgardt / Benjamin Kilchör / Markus Zehnder, Paradigm Change in Pentateuchal Research (BZAR 22), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, 3–20.

B)Hoffnungen

Kann aus Rom etwas Gutes kommen?

Zum Dokument der Päpstlichen Bibelkommission

In: Bibel und Liturgie 69 (1996), 171–173.

Das Alte Testament und die Kirche.

Zur Sicht Gottes und seiner Offenbarung im 2. Vaticanum

In: Roman Siebenrock (Hg.), Ein neues Pfingsten der Kirche. Zur bleibenden Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils (ITS), Innsbruck: Tyrolia 2020.

C)Intertextualität

Wenn Geschichte zum Gebet wird.

Zur Aufnahme des Auszugs aus Ägypten in den Asaf-Psalmen (Ps 77; 78; 81)

In: Robert Rollinger / Brigitte Truschnegg (Hg.), Altertum und Mittelmeerraum: Die antike Welt diesseits und jenseits der Levante (FS Peter W. Haider; Oriens et Occidens 12), Stuttgart: Franz Steiner 2006, 473–483.

Israels Auszug aus Ägypten in den Psalmen

In: „Canterò in eterno le miseridordie del Signore“ (Sal 89,2) (FS Gianni Barbiero; AnBib Studia 3), Rom: Gregorian & Biblical Press 2015, 221–233.

A Need for Hope?

A Comparison of the Dynamics in Lev 26 and Deut 28–30

In: Roy E. Gane / Ada Taggar-Cohen (Hg.), Current Issues in Priestly and Related Literature. The Legacy of Jacob Milgrom and Beyond (SBL Resources for Biblical Literature 82), Atlanta: SBL Press 2015, 369–385.

Teil II: Der Reichtum der theologischen Botschaft

A)Der verkannte Gott

Gottes Prüfen

Zum alttestamentlichen Hintergrund einer Vaterunser-Bitte

In: Jahrbuch der Erzdiözese Wien, 1999, 31–35.

„Jahwe, der treue und lebendige Gott“.

Einige Bemerkungen zu Gott, wie das Alte Testament ihn beschreibt

In: Auftrag 93 (2004), 5–8.

Versöhnung (AT)

Ursprünglich auf Italienisch im Lexikon: Romano Penna u. a. (Hg.), Temi Teologici della Bibbia, Cinisello Balsamo: San Paolo 2010, 1152–1158 (deutsche Erstveröffentlichung hier).

Who is Violent, and Why?

Pharaoh and God in Exodus 1–15 as a Model for Violence in the Bible

In: Markus Zehnder / Hallvard Hagelia (Hg.), Encountering Violence in the Bible (BMW 55), Sheffield: Phoenix Press 2013, 94–107.

Der verkannte Gott.

Gedanken zum Reformationsjahr bezüglich Bibelübersetzungen

In: Reimmichls Volkskalender für das Jahr 2017, Innsbruck: Tyrolia 2016, 127–131.

B)Den Menschen fordernd

Berufen zum Leben.

Gottes Rufen in Deuterojesaja

In: Geist und Leben 71 (1998), 109–115.

How Can the Rich Love the Poor?

Old Testament Suggestions for our Present-Day Economy

In: Kuruvilla Pandikattu / Andreas Vonach (Hg.), Religion, Society, and Economics (European University Studies, Reihe XXIII, Bd. 758), Frankfurt: Peter Lang 2003, 15–22.

Gefährten im Leiden.

Der Gottesknecht bei Jesaja und der Prophet Jeremia

In: Biblische Zeitschrift 56/1 (2012), 1–19.

Israel’s Struggle with Political Governance.

Democratic Tendencies and Leadership in the Old Testament

In: Jose Thayil / Andreas Vonach (Hg.), Democracy in an Age of Globalization, Innsbruck: University Press 2015, 179–191.

„Gott hat es zum Guten gedacht“.

Der weinende Josef als weiser Theologe und Mittler der Versöhnung

In: Bibel und Kirche 70 (2015), 29–34.

Geistliche Tiefe in außergewöhnlichem Leid.

Das Buch Jeremia

In: Egbert Ballhorn u. a. (Hg.), 73 Ouvertüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2018, 320–331.

C)Ein reichhaltiges theologisches Profil

Spuren des Schöpfers.

Zur Rolle der Natur im Ijobbuch

In: Irmtraud Fischer u. a. (Hg.), Auf den Spuren der schriftgelehrten Weisen (FS Johannes Marböck; BZAW 331), Berlin: de Gruyter 2003, 157–166.

„Der Fels“.

Beobachtungen im Umfeld einer theologischen Metapher

In: Christiane Karrer-Grube u. a. (Hg.), Sprachen – Bilder – Klänge. Dimensionen der Theologie im Alten Testament und in seinem Umfeld (FS Rüdiger Bartelmus; AOAT 359), Münster: Ugarit-Verlag 2009, 23–33.

„Wer ist wie er ein Lehrer?“

Beobachtungen zu Gottes Lehren und Erziehen im Alten Testament

In: Stefan Gehrig / Stefan Seiler (Hg.), Gottes Wahrnehmungen (FS Helmut Utzschneider), Stuttgart: Kohlhammer 2009, 30–40.

The Desire to See God.

A Comparison between the Bhagavadgita and the Book of Exodus

In: Mohan Doss / Andreas Vonach (eds.), Cross-cultural Encounter: Experience and Expression of the Divine, Innsbruck: University Press 2009, 9–24.

Gibt es den Heiligen Geist schon vor dem Kommen Jesu?

Zur Rolle des Geistes Gottes im Alten Testament

In: Willibald Sandler (Hg.), Ein Hauch von Gott. Die Präsenz des Heiligen Geistes in Kirche und Welt (Theologische Trends 21), Innsbruck: University Press 2012, 21–47.

„Blindheit“ (Blendung, Verblendung)

In: Michael Fieger u. a. (Hg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2013, 73–77.

Traum-Theologie.

Zu Gen 28,10–19a

In: Pastoraltheologie / Göttinger Predigtmeditationen 192 (2013/5), 381–386 (Auslegung für den 14. Sonntag nach Trinitatis, damals 1. 9. 2013).

Geschenkte Freiheit bewahren und nützen.

Biblische Impulse zu einem Schlüsselbegriff menschlicher Existenz

In: RelliS 11/1 (2014), 8–11.

Der weinende Gott.

Ein Schlüssel zur Theologie des Jeremiabuches

Auf Italienisch in: Guido Benzi u. a. (Hg.), La profezia tra l’uno e l’altro Testamento (FS Pietro Bovati; Analecta Biblica Studia 4), Rom: Gregorian & Biblical Press 2015, 233–244 (deutsche Erstveröffentlichung hier).

Ein Plädoyer für Erbarmen.

Das Alte Testament und sein Gott

In: Zeitschrift für Katholische Theologie 138 (2016), 299–314.

Gottes Werben.

Zu Ex 19,1–6

In: Göttinger Predigtmeditationen 71/3 (2017), 375–381 (Auslegung für den 10. Sonntag nach Trinitatis, damals 20. 8. 2017).

Freundschaft mit Gott.

Eine Spurensuche in der Bibel

In: Erbe und Auftrag 95/2 (2019), 125–135.

Disputed Issues of Biblical Theology

In: Marvin A. Sweeney (Hg.), Theology of the Hebrew Bible. Volume 1: Methodological Studies (Resources for Biblical Studies 92), Atlanta: SBL 2019, 11–30.

Gnädig und gerecht.

Die Bedingungen des Überlebens

In: Monika Datterl u. a. (Hg.), Welt am Abgrund. Zwischen Bedrohung und Vision (Theologische Trends 29), Innsbruck: University Press 2019, 55–73.

Reflexion und Vision

Abstracts

Bibelstellenregister (in Auswahl)

Vorwort

Dieser Band ist schon seit fünf Jahren geplant. Die Realisierung wurde immer wieder aufgehalten und hat sich verzögert. Auch dadurch ist der Umfang angewachsen, trotz der Beschränkung der Auswahl auf die wichtigsten Titel; doch gibt es gelegentlich Verweise auf andere Beiträge.

Der Titel „Gott und sein Wort“ deutet zwei Schwerpunkte an, die miteinander zusammenhängen und mich seit langem beschäftigen. Verantwortliches Auslegen verlangt, die Methoden und ihre Anwendungen zu reflektieren. Dazu gehört auch, die Ausrichtung dieser Zugänge zu beachten, ob zentrale Anliegen der untersuchten Texte zur Sprache kommen. Im Fall der Bibel ist dies fast immer Gott, sein Handeln und die Beziehung zu ihm.

Zu diesen beiden Themen sind hier Aufsätze gesammelt. Zwei davon erscheinen erstmalig auf Deutsch, weil sie ursprünglich auf Italienisch publiziert wurden. Sieben Beiträge sind englisch – ein Tribut daran, dass diese Sprache immer mehr den internationalen Dialog unter Exegeten dominiert und deutsche Veröffentlichungen von Manchen nicht gelesen werden. Zu allen Artikeln gibt es im Anhang englische Zusammenfassungen (Abstracts).

In wenigen Fällen habe ich kleine Korrekturen vorgenommen. Die Zitierweisen der Originale wurden belassen und nicht vereinheitlicht. Manchmal haben die Redaktionen der Zeitschriften, Festschriften und Sammelbände verändernd eingegriffen; demgegenüber finden sich hier die ursprünglichen Versionen. Gelegentlich schienen mir Ergänzungen angebracht; diese sind gekennzeichnet durch ein hochgestelltes (a, b), das auf Anmerkungen am Ende des jeweiligen Artikels verweist.

Danken möchte ich vor allem meinem geschätzten Kollegen Thomas Hieke, sowohl für die Aufnahme des Bandes in die Reihe SBAB als auch für die Hilfe in der Verwendung der Dokumentvorlage, sowie für wertvolle Gespräche und freundschaftliche Nähe. Frau Dr. Andrea Klug danke ich, wie schon bei SBAB 49, für all ihre präzise Arbeit und den redaktionellen ‚Feinschliff‘. Dr. Samuel Hildebrandt hat freundlicherweise die englischen Zusammenfassungen korrigiert. Dem Verlag Katholisches Bibelwerk bin ich seit vielen Jahren verbunden und ebenfalls dankbar für die Publikation dieses neuen Buches.

Innsbruck, im Juli 2019

Georg Fischer SJ

Einleitung

A)Biographische Hintergründe

Die Prägungen, die meinen Zugang zur Bibel kennzeichnen, reichen weit zurück. Im Religionsunterricht in der Volksschule in Rankweil waren biblische Geschichten Hauptinhalt, und auch in der Jugend blieb mir die Bibel das liebste und wichtigste Buch.

Diese Ausrichtung erfuhr im Noviziat der Gesellschaft Jesu (1972–74 in Nürnberg) sowie während des Philosophiestudiums (am Berchmanskolleg in München, 1974–76) eine Bestärkung. Dort waren u. a. P. Wolfgang Feneberg SJ und P. Benedikt Schwank OSB meine Lehrer, beide voller Begeisterung, der eine für das Neue Testament, der andere für das Land der Bibel, das er uns in Vorträgen nahebrachte, bei denen ich ihm die Dias wechseln durfte. Sie vermittelten, wie kraftvoll Gottes Wort auch für die Gegenwart ist. Äußerst wertvoll war auch die solide philosophische Grundlegung, die sowohl unter historischer als auch systematischer Perspektive das komplette Spektrum abdeckte.

Im Studium der Theologie in Innsbruck (1978–81) schrieb ich zwar meine Diplomarbeit bei P. George Vass SJ in Dogmatik über das Buch von Eberhard Jüngel „Gott als Geheimnis der Welt“, wobei mich speziell die Frage der Erkenntnis Gottes, von Offenbarung und des Zugangs zu ihr interessierte; doch noch größeren Einfluss hatten zwei Exegeten: P. Klemens Stock SJ las ausgewählte Kapitel des Neuen Testaments in der für ihn typischen Gründlichkeit.1 Wenn in den Seminaren Studierende in ihrer Interpretation zu weit ‚ausholten‘, brachte die für ihn charakteristische Frage „Was sagt der Text?“ sie wieder auf den Boden zurück.

Die andere prägende Gestalt war P. Arnold Gamper SJ, mein Vorgänger hier als Ordinarius für Alttestamentliche Bibelwissenschaften und Altorientalische Sprachen an der Theologischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck. Er verband philologische Genauigkeit mit umfassender Bibelkenntnis, soliden Textanalysen und theologischem Interesse,2 auf der Basis reicher Beschäftigung mit der Sekundärliteratur, doch ohne sich zu sehr auf Theorien zur Entstehung einzulassen.

Dieselbe Orientierung hielt auch weitgehend am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom an, wo ich 1981–83 das Lizentiat erwarb. Beeindruckende Kurse dort waren jene von P. Alonso Schökel SJ zu Gebeten im AT, von P. Charles Conroy MSC zu hebräischer Poesie, von P. Dennis McCarthy SJ zur deuteronomistischen Theologie, von P. Jean-Noël Aletti SJ zu den Paulusbriefen. P. Jean-Louis Ska SJ trug zur Erzählanalyse von Exodus vor, P. Pietro Bovati SJ faszinierte mit seiner bibeltheologischen Auslegung von Jer 1–6, P. Dionisio Minguez SJ führte in die rhetorische Analyse an Hand der Apostelgeschichte ein. Besonders wichtig wurden die drei Hebräisch-Aufbaukurse von P. Fabrizio Foresti OCarm und P. Bob Lawton SJ, letzterer auch sehr sensibel für stilistische Feinheiten, als Grundlage für alle weitere Beschäftigung mit den Originaltexten. Die aufgezählten Professoren und viele Andere vermittelten eine internationale Weite3 und eine Breite von Zugängen zu biblischen Texten, die Basis für das Methodenbuch Wege in die Bibel. Leitfaden zur Auslegung4 wurde und es auch für alle Beiträge hier im Buch ist.

Das anschließende ‚Doktoratsjahr‘ (1983/4) hatte als Schwerpunkt die Bücher Genesis und Exodus, die ich samt der Literatur dazu und zum Pentateuch intensiv studierte. P. Norbert Lohfink SJ las damals in Rom zu Deuteronomium 12–26 mit außergewöhnlicher Präzision5 und half mir bei der Publikation des ersten Artikels.6 Den Abschluss jenes Jahres bildete eine öffentliche Vorlesung, deren Thema, Gen 44,18–45,15, einen Tag vorher mitgeteilt wurde. Diese Schlüsselstelle für Versöhnung beschäftigte mich weiterhin und führte zu mehreren Publikationen.7

Für das von mir für die Dissertation in Aussicht genommene Thema, die Berufung des Mose in Ex 3–4, hatte P. Dennis McCarthy SJ Anfang Juni 1983 die Betreuung zugesagt und auf mein Bedenken, ob dieses Projekt angesichts des schon vielen dazu Geschriebenen machbar sei, zuversichtlich geantwortet, es sei möglich. Diese seine Einschätzung hat mich auch über seinen unerwarteten Tod beim AT-Kongress in Salamanca Ende August 1983 hinaus getragen und mich ermutigt, bei diesem Text zu bleiben. P. Jean-Louis Ska SJ hat dann nach seiner Rückkehr aus dem Tertiat 1985 die Begleitung übernommen, allerdings einen Wechsel in seiner methodischen Orientierung vollzogen, was zu Spannungen führte, auch mit dem Zweitbetreuer P. Horacio Simian-Yofre SJ.

Die Beschäftigung mit ‚Größen‘ der Pentateuchforschung (Julius Wellhausen, Gerhard von Rad, Martin Noth, Rolf Rendtorff, u. a.) und der reichlichen Literatur zu Ex 3–4 ließ mich zur Einsicht kommen, dass diese zwei Kapitel unter erzählerischer Rücksicht als einheitlich angesehen werden können. Die Studien von Nahum M. Sarna, Moshe Greenberg, Jan Peter Fokkelman, Robert Alter zu den ersten Büchern der Tora8 bestätigten diesen Weg und machten mich weiter skeptisch gegenüber manchen literarkritischen Analysen. Solche Zurückhaltung gegenüber der Aufteilung in Schichten wuchs in den Folgejahren in meinen Forschungen besonders zu Gen 1 bis Ex 15 noch mehr; diese Texte mögen unterschiedliche Herkunft haben, sind aber in ihrer überlieferten Gestalt offenbar ein bewusst konzipiertes Ganzes.

Die Doktorarbeit schloss ich 1987 ab und verteidigte sie im April 1988; sie erschien als erste deutsche erzählanalytische Arbeit im Bereich des AT unter dem Titel „Jahwe unser Gott. Sprache, Aufbau und Erzähltechnik in der Berufung des Mose (Ex 3–4)“ 1989; Erich Zenger befürwortete damals trotz seiner anderen Position die Aufnahme in die Reihe Orbis Biblicus et Orientalis,9 wofür ich ihm dankbar bin.

Für die Habilitation schien mir wichtig, noch einmal ein neues Feld anzugehen. P. Norbert Lohfink SJ machte mich auf Jer 30–31 aufmerksam, und dieser Text faszinierte mich trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten. Das erste Jahr (ab Herbst 1988)10 verbrachte ich fast ausschließlich mit der Klärung der Textfrage; dabei wurde mir zur Gewissheit, dass in Jer 30–31 die Fassung des Masoretischen Textes den Vorzug gegenüber jener der Septuaginta verdient und nicht mit einer anderen Vorlage für die griechische Übersetzung zu rechnen ist.

Das nächste Problem stellte die eigenartige Sprache und Komposition von Jer 30–31 dar. Etwa eineinhalb Jahre untersuchte ich mit der Konkordanz alle wichtigen Einzelworte und bedeutsamen Verbindungen, bevor beim wiederholten Durchschauen und Reflektieren plötzlich Regelmäßigkeiten erkennbar wurden, die auf gezielte literarische Techniken hindeuteten.11 Diese Beziehungen bestehen intensiv zum Jeremiabuch, aber auch zu anderen biblischen Schriften, sind teils „exklusiv“ und von einer solchen Zahl, dass bewusste schriftstellerische Arbeit für die gesamte Komposition anzunehmen ist. Mit diesem Befund ergab sich auch eine neue Sicht der Theologie des Textes.

Diese am Trostbüchlein gewonnenen Erkenntnisse bildeten den Ausgangspunkt für die spätere Forschung zu Jeremia und insbesondere für den Kommentar in der Herder-Reihe.12 Das dort Gesehene bewährte sich bei der Durcharbeitung des gesamten Buches. Der hebräische Text von Jer ist, entgegen einer heute verbreiteten Tendenz zur Bevorzugung der Septuaginta, der zuverlässigere. Die intertextuellen Beziehungen lassen Jer als Reaktion auf ca. die Hälfte der Schriften der Hebräischen Bibel erkennen, mit dem Ziel, das dunkelste Kapitel der Geschichte Israels, die letzten Jahre bis hin zum Untergang Judas und Jerusalems 587 v. Chr., aufzuarbeiten. Die Schlüsselrolle kommt dabei Jhwh zu, der über das verdiente Gericht hinaus neues Leben anbietet.

Der Durchgang durch prägende Erfahrungen meines Weges in der Exegese wollte Hintergründe für das hier vorliegende Buch deutlich machen. Die Ausbildung am Biblicum in Rom, abseits der üblichen ‚Schulen‘, mit internationalem Horizont und gesamtbiblischer Orientierung, hebt sich von dem ab, was im deutschen Sprachraum und oft auch in anderen Ländern üblich ist. Methodische Vielfalt und Ausrichtung auf die Aussagen über Gott sind mir wesentlich geworden; beide Aspekte sind miteinander verflochten, wie ich hier durch die beiden Teile und in der Reflexion (unten bei C) zeigen möchte.

B)Vorstellung der Beiträge

Teil I:Die Kunst der Auslegung

A)Grundlagen

Die Ausführungen in diesem Teil verdanken sich der Vielfalt der Professoren während meines Lebens und speziell am Biblicum in Rom. Ihre Zugänge und Ausführungen sind auch Basis für das Methodenbuch (s. o. Anm. 4) geworden. Die ersten beiden Beiträge hier legen allgemeine Prinzipien und mein tragendes Verständnis des Faches offen; der dritte versucht, am Beispiel der Forschung zum Pentateuch die Ursachen der anhaltenden Schwierigkeiten zu analysieren und für eine Umorientierung zu plädieren.

„Exegese als Dialog“ (2003) stammt aus einem Sammelband, dessen Anliegen die Suche nach ‚Qualität‘ in der Theologie war. Was zeichnet aus, dass eine Auslegung als ‚gut‘ angesehen werden kann? Ich sehe eine Antwort in der Kommunikation auf mehreren Ebenen, mit Gegenwart, Tradition, Gemeinschaft, Autor und Gott. Erklärend dazu nenne ich Voraussetzungen, Aspekte der Durchführung und Darlegung sowie einige Beispiele von Autoren und Büchern, die über das Übliche herausragen.

„Grundlagen biblischer Hermeneutik“ (2006) ist entstanden im Zusammenhang mit der jahrelangen Teilnahme an den Konferenzen des Kreises „Theorie der Exegese“ in Neuendettelsau, mit dem Ziel, eine Art ‚Handbuch‘ zur Orientierung auch für Kollegen zu schaffen. Der Plural „Lesarten“ im Titel des Buches verweist auf die Bandbreite der darin enthaltenen Beiträge. Mir waren Anliegen, die oft zu wenig beachtete Rolle der Gemeinschaft, die Person der Auslegenden als ‚Brücke‘, mit ‚subjektiven‘ und kreativen Aspekten sowie den Bezug auf die Gegenwart, als Verantwortung beim Auslegen für Andere, dabei hervorzuheben.

„Time for a Change!“ (2019) gibt den Eröffnungsvortrag der Pentateuch-Tagung vom 16.–18. März 2017 in Riehen bei Basel (CH) wieder. Seit Jahrzehnten gibt es im Bereich der Forschung zur Entstehung der Tora wenige wirkliche Fortschritte; sie scheint sich im Kreis zu drehen und ist Anlass für weit verbreitetes Unbehagen und Unzufriedenheit. Dies legt nahe, die Gründe dafür in den Blick zu nehmen und neue Wege / Paradigmen zu überlegen.13 Meiner Ansicht nach ist ein grundsätzliches Überdenken der Methodik gefragt. Die oft gehegten Bedenken gegen ‚synchrones‘ Vorgehen beruhen auch auf Missverständnissen;14 hier wäre zunehmend wichtig, die entgegenstehenden Positionen in offenem Gespräch zu klären.

B)Hoffnungen

Dieser Abschnitt bringt zwei Artikel, die Grundprobleme der katholischen Kirche besonders in Bezug auf die Auslegung der Bibel und die Stellung des Alten Testaments ansprechen.

„Kann aus Rom etwas Gutes kommen? Zum Dokument der Päpstlichen Bibelkommission“ (1996) setzt, in Anlehnung an den Einwand Natanaëls in Joh 1,46, mit einer spitzen Titelfrage ein. Wie an jener Stelle fällt die Antwort überraschend positiv aus. Im Rahmen einer Reihe, in der mehrere Kollegen aus ihrer Sicht zum Dokument „Die Interpretation der Bibel in der Kirche“ Stellung nahmen, habe ich eine ausgewogene Einschätzung versucht. Es zeugt von einem großen Fortschritt in der Auffassung exegetischer Auslegung bei offizieller katholischer Seite; es ist vielfach ausgewogen und hat auch Neues aufgenommen. Anderseits bestehen noch Desiderate, z. B. bezüglich der Klärung der Verwendung von „Sinn“.15

„Das Alte Testament und die Kirche“ wurde als Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung an der Theologischen Fakultät im Oktober 2012 gehalten.16 Wie die Dokumente des 2. Vaticanum Gott und seine Offenbarung sehen, gehört zum Segen des Konzils. Sie zeigen eine stärkere Aufnahme auch des ersten Teils der Bibel, geben ihm weit mehr Beachtung als früher und sehen darin den Anfang der eigenen Erwählung. Doch gibt es auch noch Grenzen, in der Weise der Verwendung oder in der ‚christlichen‘ Sichtweise, die den Eigenwert des AT als vollgültige göttliche Offenbarung kaum in sich wirklich schätzen kann. Dennoch weckt die neue Wertschätzung Hoffnung, und sie hat zu einer weiteren Öffnung geführt.

C)Intertextualität

In den letzten Jahrzehnten hat dieser Zugang, die Verbindungen zwischen Texten genauer und präziser zu untersuchen, enorm an Bedeutung gewonnen.17 Auf der Seite der Auslegenden spiegelt er, was zur Entstehung vieler biblischer Schriften geführt hat, dass diese nämlich oft unter Bezug auf bereits vorliegende Bücher geschrieben wurden, also im Dialog und als Diskurs gewachsen sind. Mir ist das schon bei der Dissertation18 und dann vor allem in der Arbeit an Jeremia aufgegangen; die intertextuellen Beziehungen von Jer zu anderen biblischen Rollen sind für mich die Basis zu einem neuen Verständnis dieses Prophetenbuches geworden und haben neben dem Herder-Kommentar zu einer Reihe von Veröffentlichungen geführt.19 Die dabei verwendeten Kriterien habe ich, sehr kurz gefasst, in Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion20 offengelegt.

Als Beispiele solcher Untersuchungen sind hier drei aufgenommen, zwei aus Festschriften für Kollegen zur Aufnahme des Exodusmotivs in den Psalmen, sowie ein weiterer aus der Gedenkschrift für Jacob Milgrom.

„Wenn Geschichte zum Gebet wird“ (2006) stammt aus der Festschrift für Peter W. Haider, einen Historiker, mit dem ich mehrfach zusammengearbeitet habe. Der Beitrag bespricht die Aufnahme des Auszugs aus Ägypten in den Asafpsalmen (Ps 77; 78; 81) auf dem Hintergrund der Rezeption des Exodusmotivs im Alten Testament und zeigt verschiedene Aspekte an seiner Verwendung auf.

Als Weiterführung dazu entstand für die Festschrift zu Ehren von P. Gianni Barbiero SDB „Israels Auszug aus Ägypten in den Psalmen“ (2015). Das in den Psalmen erst relativ spät erwähnte Motiv wird ab Ps 77–78 dominanter, oft in aufeinanderfolgenden Psalmen (Ps 80–81; 105–106; 135–136); in ihnen springen die Unterschiede in der Aufnahme der Exodus-Erzählung besonders ins Auge. Das Motiv erscheint sowohl zum Aufweis der Schuld und Undankbarkeit (z. B. Ps 78; 106) als auch zum Bekenntnis der ewig anhaltenden Verbundenheit Gottes (Ps 136) und bezeugt die Lebendigkeit dieser Erinnerung und Tradition.

„A Need for Hope? A Comparison of the Dynamics in Lev 26 and Deut 28–30“ (2015) war ursprünglich ein Vortrag auf dem Internationalen Kongress der Society of Biblical Literature in London im Juli 2011 im Andenken an Jacob Milgrom. Er geht auf die Beziehung zwischen diesen beiden verwandten Texten ein; Anlass dazu war für mich, mehrfach auf diese beiden Texte als Vorlagen für Jer gestoßen zu sein und deren Unterschiede bemerkt zu haben. Inzwischen hat Markus Zehnder einen weit umfangreicheren, äußerst präzisen Vergleich dazu vorgelegt.21

Teil II:Der Reichtum der theologischen Botschaft

A)Der verkannte Gott

Mir geht sehr nahe, wie viele Missverständnisse über den biblischen Gott weit verbreitet sind. Ich sehe es als beständige Aufgabe, auf allen Ebenen (Vorlesungen, Publikationen, Vorträge) falsche Auffassungen von ihm abzubauen. Die Überschrift für diesen Bereich stammt von einem kleinen, hier als Letztes abgedruckten Beitrag aus dem Jahre 2016; genauso zutreffend wäre vielfach „der unbekannte Gott“.22

„Gottes Prüfen“ (1999) ist schon vor 20 Jahren entstanden, hat aber ganz neue Aktualität durch die von Papst Franziskus angestoßene Diskussion über die Übersetzung der Vaterunser-Bitte gewonnen. Die zugrundeliegenden biblischen Stellen zeigen, dass Gott nicht versucht, sondern durch Erprobung zu persönlicher Reifung und größerer Entschiedenheit, Bewährung führt. „Und führe uns nicht in Versuchung“ ist also in positivem Sinn zu verstehen, als Bewahrung vor einer unsere Kräfte übersteigenden Prüfung.

Der Titel „Jahwe, der treue und lebendige Gott“ (2004) nimmt auf Jer 10,10 Bezug und nennt zwei Grundeigenschaften Gottes. Der kleine Artikel bespricht in einfacher Weise gängige Schwierigkeiten im Umgang mit dem AT und speziell mit den Vorstellungen von Gott, die sich auch von einer einseitigen NT-Sichtweise her ergeben.

„Versöhnung (Altes Testament)“ wurde für ein italienisches Lexikon (2010) geschrieben und erscheint hier erstmalig im deutschen Original. Der Beitrag bringt eine Zusammenfassung der wichtigsten Texte und Botschaften aus dem Buch Sühne und Versöhnung23 bezüglich des Alten Testaments sowie meinem Der Jakobsweg der Bibel.24 Er zeigt, dass der biblische Gott Alles unternimmt, um den Menschen sogar noch nach ihrem Schuldigwerden Gemeinschaft mit sich zu gewähren und einen Weg zum Heil zu weisen.

„Who is violent, and why?“ (2013) geht auf eine Konferenz in Kristiansand (Norwegen) im Sommer 2012 zurück, die noch unter dem Schock des Todes von 69 Jugendlichen ein Jahr zuvor auf einer norwegischen Ferieninsel stand und der häufig gestellten Frage nach Gottes ‚Gewalt‘ nachspürte. Am Beispiel von Ex 1–15 lässt sich der grundlegende Unterschied zwischen tyrannischer Gewalt, symbolisiert im Pharao von Ägypten, und göttlicher Machtanwendung mit dem Ziel der Befreiung aufzeigen. Ex 1–15 schildert einen modellhaften Konflikt, der symbolisch zu lesen ist; die Klärung problematischer Übersetzungen und oft missverstandener Motive hilft zu einem angemessenen Verständnis.

Der letzte Beitrag „Der verkannte Gott“ hat die Überschrift für diesen Teil inspiriert. Er wurde erbeten im Zusammenhang mit dem Reformationsjahr 2017 und geht auf die Schwierigkeit von Übersetzungen ein. Dabei kommen einige problematische Wiedergaben in den Blick, u. a. solche, die Gott „rächen“ bzw. „Eifersucht“ zuschreiben; doch besagen die entsprechenden Wurzeln nqm und qnʾ im Hebräischen für ihn im ersten Fall „gerechtes Ausgleichen“ und im zweiten, „leidenschaftlich“ zu sein.25

B)Den Menschen fordernd

Der biblische Gott ist nicht ‚bequem‘, im Sinne von „unseren Vorstellungen entsprechend“. Er stellt Ansprüche, nimmt in Dienst und führt damit in eine Weite, die unsere Erwartungen überschreitet. Es ist eine Einladung, sich auf seine Wege einzulassen und dabei Fülle und Glück zu erfahren. Die Beiträge in diesem Teilbereich zeigen einige Aspekte in dieser Richtung auf.

Die Berufung des Propheten Jeremia, Jer 1,4–10, war der Lesungstext bei meiner Priesterweihe am 9. Mai 1981. Dieses Thema hat dann auch zur Wahl von Ex 3–4 für die Dissertation und zu weiteren Publikationen zu diesem Motiv geführt.26 Eine davon ist „Berufen zum Leben“ (1998), in der ich auf die besonderen Akzente an Gottes Rufen in Deuterojesaja eingehe. Kennzeichnend dafür sind persönlicher Anruf, liebende Zuwendung sowie eine herausfordernde Sendung, die das ganze Leben umgreifen kann.

„How Can the Rich Love the Poor?“ (2003) geht auf einen Vortrag im Rahmen einer Konferenz mit unserer Partnerinstitution Jnana-Deepa-Vidyapeeth in Pune / Indien im Mai 2002 in Innsbruck zurück, ist bewusst als paradoxe Frage formuliert und spricht ein anhaltendes Grundproblem an. Aufgrund der besonderen Ausrichtung Gottes auf Arme und Schwache27 hat die Bibel viel dazu zu sagen; der Blick auf ihn ist die stärkste Motivation, ähnlich wie er Sorge für die Notleidende zu tragen, und hat auch zu rechtlichen Regelungen für die Gemeinschaft geführt.

Wenn Gott jemand für eine große Aufgabe bestellt, sind Konflikte und Härten vorprogrammiert. „Gefährten im Leiden“ (2012) widmet sich der Beziehung des Gottesknechtes bei Jesaja mit dem Propheten Jeremia.28 In beiden Fällen gehen eng mit Gott verbundene Personen einen schweren Leidensweg, der aber im einen Fall (Jes) Heil bewirkt und bei Jer Heilsansagen bringt, seine Sendung bestätigt und ein extremes Beispiel für das Leben eines Propheten bildet. Die ‚diachrone‘ Auswertung legt nahe, dass Jer von Jes übernimmt und sein Autor die Gestalt Jeremias mit Zügen des Gottesknechtes aus Jes porträtiert und ‚biographisch‘ konkretisiert. Literarisches Mittel dafür und für die Beschreibung der Beziehung von Einzelnem und Gemeinschaft ist die gezielte Verwendung von „Ich“ und „Wir“.

„Israel’s Struggle with Political Governance“ (2015) ist entstanden als Vortrag für eine Konferenz mit unserer Partnerinstitution Jnana-Deepa-Vidyapeeth in Pune / Indien im Mai 2012 in Innsbruck und geht der Frage nach, welche Gesellschaftsform Gott für seine Gemeinschaft vorsieht, insbesondere, ob es dabei auch ‚demokratische‘ Elemente gibt. In Ex 19 und 24 erwartet er die Zustimmung des ganzen Volkes, und auf dieser Linie liegt auch die Antwort an Josua in Jos 24. Gott ist an einer persönlichen Zustimmung zu seinem Angebot gelegen; er nimmt die Freiheit des Menschen ganz ernst.29 An den genannten Stellen erscheint darüber hinaus einmütiger Konsens als Ideal.

„Gott hat es zum Guten gedacht“ (2015) greift die tröstende Antwort Josefs an seine Brüder aus Gen 50,20 auf, in der dieser als weiser Theologe und Mittler der Versöhnung ihnen ihre Angst nimmt, dass er ihnen ihr böses Handeln nach dem Tod Jakobs / Israels vergelten könnte. Dieser Satz ist ein Schlüssel zum Verständnis der Genesis und überhaupt des biblischen Gottes. Wer an ihn glaubt, kann und soll Anderen versöhnlich begegnen30 und Vergehen nicht nachtragen – eine große Herausforderung, die Jesus im NT noch stärker betont (z. B. Mt 6,12–15; 18,21–35).

„Geistliche Tiefe in außergewöhnlichem Leid“ (2018) lautete der Originaltitel für die Vorstellung des Jeremiabuches anhand von Jer 1 in den 73 Ouvertüren (hg. Egbert Ballhorn u. a.), die dort unter dem Titel „Gottes-Tiefe“ erschien.31 Das Anfangskapitel von Jer kommt einer reichhaltigen Einführung in wichtige Themen des Buches gleich, die bereits Entscheidendes über Gott, Prophet und Botschaft vermittelt. Gott stellt außergewöhnliche Ansprüche an Jeremia, schenkt ihm aber mit der persönlichen Beziehung schon vor der Empfängnis, der umfassenden Aufgabe, der internationalen Ausstrahlung u. a. noch viel mehr.

C)Ein reichhaltiges theologisches Profil

Die Faszination, die vom biblischen Gott ausgeht, hat mich von Jugend an ergriffen und spiegelt sich ein wenig in der Vielfalt der in diesem Bereich in zeitlicher Reihenfolge angeordneten Beiträge wider.32

„Spuren des Schöpfers“ (2003) entstammt der Festschrift für Johannes Marböck, der 1993 in Graz meine Habilitation angenommen hat. Es untersucht die Rolle, die der Natur im Reden der Hauptfiguren im Ijobbuch zukommt; am meisten erfolgt dies bei Gott, der Naturphänomene eng mit sich verbindet und sie zum Zentralthema in seinen beiden langen Reden macht. Dieses Verweisen auf die Schöpfung, die heute erfreulicherweise wieder mehr Beachtung erfährt, erweist sich mit als heilsam für Ijob.33

„Der Fels“ (2009) aus der Festschrift für Rüdiger Bartelmus schließt passend daran an. Besonders die Texte des AT bezeugen eine Nähe von Jhwh zu Bergen und treffen mit der Verwendung von „Fels“ für ihn auch eine Aussage über ihn selbst: Er ist verlässlich, beständig, Schutz vermittelnd und ewig.

Ein Tribut an den Hauptorganisator der Treffen „Theorie der Exegese“ in Neuendettelsau, Helmut Utzschneider, ist der Beitrag „Wer ist wie er ein Lehrer?“ (2009), der Gottes Lehren und Erziehen im Alten Testament nachgeht.34 Der Titel stammt aus Ijob 36,22 und deutet an, dass Gott bei dieser elterlichen Aufgabe herausragend ist, unerreicht in vielen Aspekten.

„The desire to see God“ (2009) geht auf ein Jahr in Asien zurück, wo ich unter anderem auch in Pune / Indien unterrichtet und in der Bhagavadgita ein ähnliches Motiv wie im Buch Exodus entdeckt habe. Es lässt gemeinsame Sehnsucht, aber auch Unterschiede dieser Religionen erkennen. Erstmalig wurde es vorgetragen bei der Konferenz zusammen mit der Theologischen Fakultät Jnana-Deepa Vidyapeeth in Pune / Indien im Mai 2007 in Innsbruck, zum Thema „wechselseitiger kultureller Austausch über Erfahrung und Ausdruck des Göttlichen“.

Bei den „Innsbrucker Theologischen Sommertagen“ 2011, die sich dem Thema des Geistes Gottes stellten, habe ich referiert zu „Gibt es den Heiligen Geist schon vor dem Kommen Jesu?“. Bereits im Alten Testament spielt Gottes Geist eine wesentliche und oft zu wenig beachtete Rolle; dabei lässt sich ein Wachsen im Erkennen und Benennen von Gottes Wirken beobachten, das zur Vorbereitung für das NT wird.

„Blindheit“ (Blendung, Verblendung) ist ein Artikel aus dem Wörterbuch alttestamentlicher Motive (2013). Sehen ist eine der wichtigsten Weisen der Wahrnehmung. Es ist, ebenso wie Blindheit, im AT überwiegend mit Gott verbunden, in einer Fülle von Aspekten: als Rettung, als Gericht, als Auftrag, usw., doch mit einer deutlichen Tendenz, diese Behinderung zu heilen.

Die berühmte Stelle vom Traum Jakobs in Bet-El in Gen 28 mit der Leiter, deren Spitze den Himmel berührt, ist theologisch äußerst reich. „Traum-Theologie“ (2013) zeigt an ihr, wie Gott einem ‚Sünder‘ große Zusagen gibt und damit kühnste Erwartungen noch übertreffen kann; dass es mehr als ‚nur‘ ein Traum ist, macht seine Einlösung der Zusagen deutlich.

„Geschenkte Freiheit bewahren und nützen“ (2014) führt den Beitrag zu „Democratic Tendencies“ [Israel’s Struggle …] im Bereich B) weiter. Die erste Entscheidung, für den Bund mit Gott, soll in einer lebendigen Beziehung mit ihm weiter wachsen und fruchtbar werden.

„Der weinende Gott“ (2015)35 stellt einen Schlüssel zur Theologie des Jeremiabuches dar. Der Beitrag entstammt der FS für Pietro Bovati, einen meiner Lehrer am Päpstlichen Bibelinstitut (s. o. in A), selber ein Spezialist für dieses Buch. Jer ist ‚verrufen‘ wegen seiner überwiegend von Unheil sprechenden Texte, enthält aber auch besonders „lichtvolle Züge“ bei Gott. Dazu gehören sein betroffenes Weinen über das Volk, und sogar über Moab, Zeichen innerer Bewegtheit, sein eifriger, unermüdlicher Einsatz und das Wenden leidvoller Situationen zum Heil. Diese Spannungen in der Porträtierung Gottes bilden eine hermeneutische Herausforderung: Es gilt, verantwortlich aufzuzeigen, wie diese beiden Seiten, die anscheinend ‚dunkle‘ und die ‚helle‘, sich zueinander verhalten und welcher von ihnen mehr Gewicht zukommt. Der Beitrag bietet dazu eine Lösung.

„Ein Plädoyer für Erbarmen: das Alte Testament und sein Gott“ (2016) ist entstanden im Zusammenhang mit einem Symposion zum Thema „Barmherzigkeit“ an der Theologischen Fakultät in Innsbruck im Juni 2016 und nimmt ein Herzensanliegen von mir auf.36 Die „Gnadenrede“ in Ex 34,6–7 erweist sich unter mehreren Rücksichten als der entscheidende Schlüssel zum Verständnis des biblischen Gottes und ist als „Kern“ seiner Selbstoffenbarung anzusehen.

Der Beginn der Sinai-Perikope, Ex 19,1–6, gehört zu den wichtigsten Texten der Bibel für das Verständnis Gottes. „Gottes Werben“ (2017) zeigt auf, wie er Beziehung möchte und über Befreiung hinaus Gemeinschaft schenkt. Der Alles überragende Gott erbittet dabei auf sein Angebot hin die freie Zustimmung des Volkes.37

Göttliche Zuneigung prägt auch den nächsten Beitrag „Freundschaft mit Gott“ (2019). Ausgehend von Jesus als ‚Freund‘, der seinen Jüngern solch enge Beziehung gewährt, geht die Spurensuche zurück ins AT und entdeckt dort mehrfach ähnlich tief erfahrene Nähe Gottes, u. a. zu Henoch, Noach, Abraham, Mose, seinem Volk. Dabei ragen Jes 5,1, Hoheslied und einige Jeremia-Stellen heraus, und es tritt hervor, dass Gott noch weit mehr als ein Freund ist.

„Disputed Issues of Biblical Theology“ (2019) geht zurück auf die „panel discussions“ der Gruppe „Theology of Hebrew Scriptures“ bei den Konferenzen der Society of Biblical Literature in Amerika ab 2013,38 insbesondere das Gespräch mit den jüdischen Kollegen Marvin A. Sweeney und Dalit Rom-Shiloni, u. a. Entgegen der in der Vergangenheit verbreiteten ‚christlichen‘ Geringschätzung des AT, die in manchen Kreisen leider heute noch anhält, gibt es eine breite gemeinsame Basis für beide Religionen. Auch vereinen grundlegende Fragen, etwa, ob biblische Theologie notwendig ist, wo zu beginnen ist, oder welche Rolle der Glaube dabei spielt. Die speziellen theologischen Profile der Schriften der Hebräischen Bibel zu erheben ist dabei eine bleibende Herausforderung, für Alle.

„Gnädig und gerecht“ (2019) entstand für eine Tagung zum Thema „Welt am Abgrund“ im September 2019 an der Theologischen Fakultät in Innsbruck.39 Angesichts von bedrohlichen Szenarien und besorgniserregenden Entwicklungen stellen Viele die Frage, was gegen den möglichen Untergang helfen kann. Das Alte Testament gibt Antwort mit dem im Titel genannten Doppelmotiv, das reichlich und variiert entfaltet sowie markant in allen Teilen der Hebräischen Bibel begegnet. Erstmalig taucht es in Gen 6,8–9 auf, dort verteilt auf Gott und Noach; der Aspekt der ‚Gerechtigkeit‘ tritt dabei ergänzend zu dem dazu, was die beiden Beiträge zu „Versöhnung“ und „Erbarmen“ (s. o.) als göttliche Wesenseigenschaft betont haben.

1Ein Beispiel: In der Vorlesung zur Kindheitsgeschichte bei Lukas (Lk 1–2) kam er nach einigen Wochen zu Lk 1,11 und dort auf den „Boten / Engel“ zu sprechen; die Erklärung dazu nahm mehr als die ganze Stunde in Anspruch.

2Bibeltheologie war für ihn die Krönung der Auslegung; in regelmäßigem Rhythmus las er die Themen „Bund“, „Messias“ und „Erlösung im AT“. – Unvergesslich ist mir auch, wie er, ohne nachschauen zu müssen, ein verzerrtes deutsches Jesaja-Zitat sofort als aus der Vulgata-Version von Jes 11,10 stammend erkannte.

3Lehrkörper und Studierende am Biblicum kommen konstant aus ca. 70 verschiedenen Ländern.

4Gemeinsam mit Boris Repschinski SJ und Andreas Vonach, Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, vier Auflagen seit 2000, und inzwischen als ebook.

5Er verwandte fast 90 % der Vorlesung des gesamten Semesters auf den Vers Dtn 12,1, den er für einen Artikel bearbeitete und den er uns exemplarisch unter allen möglichen Rücksichten voranalysierte.

6Die Redewendung דבר על־לב im Alten Testament. Ein Beitrag zum Verständnis von Jes 40,2, in: Biblica 65 (1984), 244–250. Mein erstes Manuskript von 5 Seiten erfuhr 7 Seiten Korrektur von ihm, die zweite, verbesserte Version weitere 3 Seiten notwendige Änderungen – ich bin ihm heute noch dankbar für diese ‚Schule‘.

7Angefangen von „Die verborgenen Tränen des Josef“, in: Entschluß 44/4 (1989), 26–27, über, u. a., das Buch Sühne und Versöhnung (NEB Themen 7, Würzburg: Echter 2000), gemeinsam mit Knut Backhaus, dort S. 31–37, bis hin zu Der Jakobsweg der Bibel. Gott suchen und finden (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2010).

8Nahum M. Sarna, Understanding Genesis, New York: Schocken 1966; Moshe Greenberg, Understanding Exodus, New York: Behrman House 1969; Jan Peter Fokkelman, Narrative Art in Genesis (SSN 17), Assen: Van Gorcum 1975; Robert Alter, The Art of Biblical Narrative, New York: Basic Books 1981.

9Band 91 der Reihe, im Universitätsverlag Fribourg.

10Entscheidende Kraft für die folgenden Jahre der Arbeit an der Habilitation wurde mir in Mediationsexerzitien bei P. Franz Jalics SJ in Gries geschenkt, erstmalig im Kurs von Weihnachten 1988 bis Dreikönig 1989; ohne diese hätte ich es nie geschafft.

11Das Trostbüchlein. Text, Komposition und Theologie von Jer 30–31 (SBB 26; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 1993), bes. 138–231.

12Jeremia 1–25 sowie Jeremia 26–52 (HThKAT), beide Freiburg 2005.

13Fußnote 66 dort verweist auf frühere Beiträge in Die Anfänge der Bibel. Studien zu Genesis und Exodus (SBAB 49), Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2011; 22012, die bereits in diese Richtung gehen. Auf dieser Basis steht auch ein Lexikonartikel zum Pentateuch für das chinesische Wörterbuch zur Bibel, hg. von Luis Gutheinz SJ, das demnächst erscheint.

14Wenn sich die Analyse auf den Endtext konzentriert, schließt das z. B. nicht aus, dass es mündliche oder schriftliche Vorformen gegeben hat.

15In den folgenden Jahren kamen weitere bedeutende Dokumente der Päpstlichen Bibelkommission heraus, u. a. „Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel“ vom 24. Mai 2001, das die Beziehung zu den Juden in erfreulicher Weise fasst und große Wertschätzung für sie zeigt, sowie „Inspiration und Wahrheit der Heiligen Schrift“ vom 22. Februar 2014, das einer brennenden Frage nachgeht.

16Die in den letzten Jahren mehrfach versprochene Publikation der Ringvorlesung ist immer noch ausständig; sie soll aber ‚bald‘ (wohl im nächsten Jahr) erfolgen.

17Inzwischen spricht man bereits von einer „zweiten Welle“, s. den Sammelband „Second Wave Intertextuality and the Hebrew Bible“, hg. Marianne Grohmann / Hyun Chul Paul Kim, Atlanta: SBL 2019.

18Jahwe unser Gott, Exkurs 3: „Epiphanie- und Berufungselemente in Ex 3,1–6“, S. 115–122.

19Einige davon sind gesammelt in Teil C von Der Prophet wie Mose. Studien zum Jeremiabuch (BZAR 15), Wiesbaden: Harrassowitz 2011. Darin enthalten sind auch zwei Beiträge, die mit dem Markus- und dem Johannes-Evangelium die Bezüge zum NT ansprechen.

20Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007, 132–133. Für die dort geforderte „Konvergenz der Kriterien“, als sicherere Basis für diachrone Schlüsse, s. jetzt auch Dominik Markl, The Redactional Theologization of the Book of the Covenant: A Study in Criteriology, in BN 181 (2019), 47–61, der sieben Kriterien beobachtet und aus der „coincidence of criteria“ S. 57 f. ableitet, dass Ex 21,1–22,16 wohl später in eine bestehende Gesetzessammlung eingefügt wurden.

21M. Zehnder, Leviticus 26 and Deuteronomy 28, in: Matthias Armgardt u. a. (Hg.), Paradigm Change in Pentateuchal Research (BZAR 22), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, 115–175. – Meinen hier wiedergegebenen Beitrag hat Roy E. Gane redaktionell bearbeitet und in flüssigeres Englisch umgeschrieben.

22S. dazu meine Erwägungen in Theologien des Alten Testaments (NSK-AT 31), Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2012, 10, im Vorwort, und 299, abschließend.

23Gemeinsam mit Knut Backhaus (NEB Themen 7), Würzburg: Echter 2000.

24Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2010.

25Eine ausführlichere Darlegung dieser beiden Verständnisse findet sich in: Thomas Hieke / Konrad Huber (Hg.), Die Bibel falsch verstanden, Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2020, in meinen Beiträgen: „‚Mein ist (nicht) die Rache‘. Eine Frage der Gerechtigkeit“, sowie „Rasend vor Eifersucht? Der leidenschaftliche Gott der Bibel“.

26U. a. die Artikel „Berufung (AT)“ sowie „Prophet (AT)“ im Bibeltheologischen Wörterbuch, hg. J. B. Bauer, gemeinsam mit J. Marböck und K. M. Woschitz, Graz: Styria 41994, 71–72 und 459–462 (dort S. 461 nicht „7. Jahrtausend“, sondern „7. Jahrhundert“), das Buch Auf dein Wort hin. Berufung und Nachfolge in der Bibel, gemeinsam mit Martin Hasitschka SJ, Innsbruck: Tyrolia 1995 (auch in englischer Übersetzung: The Call of the Disciple, New York: Paulist Press 1999, sowie mehreren Nachdrucken) und der Artikel „Prophetie“ für das von Luis Gutheinz SJ herausgegebene chinesische Bibellexikon.

27Ich habe noch mehrere andere Artikel zum Thema verfasst, darunter „Durch ihre Armut reich. Zur Armut im AT“, in: Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 48 (1998), Heft 72, 3–11; „Vom Glück, Armen zu begegnen“, in: Baustelle Theologie 1 (1998), Heft 2, S. 8, sowie, gemeinsam mit Dominik Markl SJ, „Armut als globale Herausforderung. Impulse aus der Sicht des Alten Testaments“, in: ZKTh 129 (2007), 459–479.

28Der Beitrag ist ähnlich auf Englisch erschienen, als: Riddles of Reference: “I” and “We” in the Books of Isaiah and Jeremiah: The Relation of the Suffering Characters, in: OTEs 25/2 (2012), 277–291.

29Die beiden Beiträge „Geschenkte Freiheit bewahren und nützen“ sowie „Gottes Werben“ unten bei C) schließen inhaltlich passend dazu an.

30S. dazu auch den Lexikon-Artikel „Versöhnung (AT)“ oben in Teil A.

31Auch sonst hat die Redaktion des Buches Manches sprachlich leicht verändert.

32Voraus liegt noch „Tetragramm“ in der 3. Auflage des LThK, Bd. 9 (2000), S. 1358.

33Für diesen Aspekt s. meinen Beitrag „Heilendes Gespräch – Beobachtungen zur Kommunikation im Ijobbuch, in: Theodor Seidl / Stefanie Ernst (Hg.), Das Buch Ijob. Gesamtdeutungen – Einzeltexte – zentrale Themen (ÖBS 31), Frankfurt: Peter Lang 2007, 183–200.

34Er ist ein Jahr später in englischer Übersetzung erschienen: Who is a teacher like him?, in: Theology Digest 54/2 (2010), 129–133.

35Der Artikel war schon 2013 abgegeben, doch dauerte es bis zur Publikation zwei Jahre; dazwischen kamen noch 2 Artikel zum Thema, speziell zu Jer 9,9, heraus, u. a. der von Benedetta Rossi, Strategie comunicative in GerTM e GerLXX, in: D. Markl u. a. (Hg.), Gottes Wort im Menschenwort (ÖBS 43), Frankfurt: Peter Lang 2014, 153–170.

36S. im Buch Sühne und Versöhnung, gemeinsam mit Knut Backhaus, den Abschnitt „Gottes Wesen ist Erbarmen“ (S. 44–49), sowie den letzten Beitrag hier, „Gnädig und gerecht“.

37Im Zusammenhang damit stehen die beiden Artikel „Geschenkte Freiheit bewahren“ und „Democratic Tendencies“ [Israel’s Struggle …] oben.

38Die Sitzung, in deren Rahmen auch mein Vortrag stattfand, war am 24. November 2013 in Baltimore, und weitere Treffen derselben Gruppe folgten in den Jahren bis 2016.

39Im Sammelband dazu wurde wegen des begrenzten Umfangs der Beitrag nur teilweise wiedergegeben; hier erscheint er vollständig.

Teil I: Die Kunst der Auslegung

A) Grundlagen

Exegese als Dialog

Grundsätzliches zur Auslegung biblischer Texte

Die Theologie hat im letzten Jahrhundert einen ungeahnten Aufschwung genommen. Die Zahl der Einrichtungen, die wissenschaftliche Ausbildung in Theologie vermitteln, ist auf ein hohes Maß gestiegen. Nie zuvor haben so viele Menschen ein Studium in diesem Fach absolviert. Und während früher die theologischen Veröffentlichungen begrenzt und noch aufnehmbar waren, haben sie jetzt eine Fülle erreicht, die kaum mehr überschaubar ist.

Diese Anzeichen einer Blüte betreffen auch die Exegese als Teildisziplin der Theologie. Gerade das starke Wachstum erfordert aber eine Sichtung im Blick auf die Qualität. Ich möchte im Folgenden aus der Perspektive eines Alttestamentlers einige Überlegungen dazu bieten, was heute ‚gute Exegese‘ sein kann.

Weil dafür mehrere Aspekte wichtig sind, sei ein kurzer Überblick über den Aufbau vorangestellt: Den Beginn bilden allgemeine Grundlagen (A), darauf folgen konkrete Voraussetzungen (B), dann die praktische Durchführung (C), die Darlegung (D) und schließlich einige Beispiele (E).

A)Grundlagen

Nach der Etymologie ist Exegese jene Beschäftigung, die etwas herausführt. Im Gebiet der Theologie ist dies jenes Fach, das Sinn, Bedeutung, Botschaft und Hintergründe biblischer Texte erschließt. Dahinter steckt die stillschweigende Annahme, dass diese Informationen im Text enthalten und aus ihm herauszuholen sind.

Diese anfängliche Annäherung an Exegese macht bereits deutlich, dass es sich um eine Begegnung mit Texten, damit um ein Kommunikationsgeschehen,1 im weiten Sinn um einen Dialog handelt. Ein solches Verständnis gewährt Zugang zu einem angemessenen Erfassen dessen, was bei der Auslegung biblischer Texte vor sich geht. Ge-138 nauer könnte man dabei auch von einem Dialog2auf mehreren Ebenen sprechen.

a)Dialogebene 1: Auslegung in der Gegenwart

Diese erste Weise der Vermittlung ist naheliegend und leicht begreiflich. Die Aussagen des alten Textes sollen Menschen heute zugänglich werden. Was kann z. B. ein Auftrag wie „Geh aus deinem Land …!“ (Gen 12,1) jetzt bedeuten?

Die Aufgabe besteht auf dieser Ebene darin, ein Dokument der Vergangenheit mit der Gegenwart in Verbindung zu bringen, wobei jedes Mal je eigene Welten mit im Spiel sind.3 Es ist ein Dialog zweier Welten, der bei jeder Auslegung alter Texte erfolgt.

Dabei steht die deutende Person in der Gegenwart, mit deren Erfahrungen, Wissen, Normen usw. Gerade die wissenschaftlichen Ansprüche heute stellen dabei andere Anforderungen als früher. Die Breite der gegenwärtigen Erkenntnisse, die Vielzahl an neuen Details, die Menge an aktueller Literatur verlangen für eine verantwortliche Auslegung eine intensive, länger dauernde Beschäftigung.

b)Dialogebene 2: Im Gespräch mit der Tradition

Exegese heute setzt nicht beim Nullpunkt an, sondern kann zurückblicken auf eine sehr lange, ununterbrochene Geschichte. Seit die biblischen Texte entstanden, haben Menschen sich um ihr Verständnis bemüht, dies teils mündlich weitergegeben oder sogar schriftlich gefasst.

Die lange Reihe solcher früheren Deutungen, soweit sie uns heute noch zugänglich sind, beginnt wohl mit den ältesten Übersetzungen. Die Targume, die Septuaginta und all die anderen Wiedergaben stellen erste Versuche dar, den ursprünglichen Text zu begreifen, und verdienen unter dieser Rücksicht besondere Wertschätzung.4

Sowohl die jüdische als auch die christliche Tradition haben in weiterer Folge immer wieder und in beträchtlichem Ausmaß Literatur geschaffen, die sich auf die biblischen Texte explizit bezieht.5 Es gibt 139 kein anderes Buch, das über so lange Zeit, so viel und so umfassend kommentiert worden ist wie die Bibel.

Dieses Ausmaß an sogenannter ‚Sekundärliteratur‘ zur Bibel stellt auch ein eigenes Problem dar: Allein die Forschungsgeschichte zu einem einzigen biblischen Kapitel aufzuarbeiten verlangt mehrere Jahre Einsatz. Auf der anderen Seite riskiert eine Exegese, die ihre eigene Geschichte vernachlässigt, Untersuchungen, Positionen und Ergebnisse unnötig zu wiederholen oder gar in bereits überholte Deutungen zurückzufallen.

c)Dialogebene 3: Der Bezug zur Gemeinschaft

Die Bibel hebt sich grundlegend von sonstiger Literatur ab, insofern sie innerhalb verschiedener gläubiger Gemeinschaften – in sehr weitgehender ökumenischer Übereinstimmung – als verbindlich gilt. Die Zugehörigkeit zu einem Kanon gibt den Texten unter mehreren Rücksichten besondere Qualitäten.

Es beginnt mit der Sorge um die Überlieferung, die sich manifestiert in der getreuen Weitergabe der Texte.6 Wir besitzen aus der Antike keine auch nur annähernd gleich gut bezeugten Schriften wie die Bibel.

Neben der Sicherung des Wortlautes lag allen biblische Texte tradierenden Gemeinschaften ihre Pflege und Verwendung am Herzen. Sie sorgten dafür, dass sie regelmäßig in der Liturgie gelesen wurden, kümmerten sich um ihr Verständnis und dessen Weitergabe, erstellten Regeln dafür. Sie fassten verschiedene Schriften in ein autoritatives Gesamtwerk zusammen,7 das den Rahmen für die Deutung von Einzeltexten bildet und somit entscheidend auch das Verständnis bestimmt.

Diese religiöse Praxis ist einer der Hauptgründe dafür, dass die alten Texte heute noch zugänglich und verständlich sind. Die Bindung an die Gemeinschaft und deren Wertschätzung ihren heiligen Schriften gegenüber trägt wesentlich jede Interpretation 140 von einzelnen Auslegenden mit. Die Kommunikation mit diesen Gemeinschaften und der Dialog mit ihnen gehören grundlegend zur Exegese dazu.

d)Dialogebene 4: Die biblischen Texte

Wenn jemand heute Gen 12 liest, hat er einen Text vor sich, den viel früher ein uns Unbekannter für ganz andere Menschen geschrieben hat.8 Diese verschiedene Adressierung gilt es ernst zu nehmen, und ebenso die damit verbundenen ursprünglichen Absichten und Aussagen. Ihnen kommt Priorität zu vor allen bisher genannten Dialogebenen, weil diese alle davon abhängig sind.

Wenn Exegese nicht in Beliebigkeit abgleiten will, muss sie diese Ausrichtung auf den Beginn bewahren. Vom Text selber her gewinnt sie den Maßstab, der eine Bewertung all der vielen später folgenden Interpretationen ermöglicht und der eine Unterscheidung in zutreffende, begrenzt richtige und falsche Deutungen vornehmen lässt.

Wie uns die Autoren einzelner biblischer Texte meist nicht bekannt sind, genauso wenig haben wir Zugang zu ihren Gedanken. Deswegen kann es nicht Aufgabe der Exegese sein herauszufinden, was ein biblischer Schriftsteller (als ‚realer Autor‘) sagen wollte; das Bemühen muss sich darauf beschränken, zu beschreiben, was der Text selbst ausdrückt.9 Nur im privilegierten Dialog mit dem – soweit es möglich ist – ursprünglichen Text kann Exegese gelingen und zu bleibenden Resultaten gelangen.

e)Dialogebene 5: Gott als eigentliche Quelle

Ohne Gott wie die bisherigen Elemente in die Auslegung einbinden oder gar instrumentalisieren zu wollen – ein angemessenes Verständnis von biblischer Exegese ist ohne ihn unmöglich. Die geprägte Überzeugung der gläubigen Gemeinschaften, ihre Schriften seien ‚inspiriert‘ (Dei Verbum 11), führt ihre Entstehung auf das Mitwirken Gottes und seines Geistes zurück.

Tatsächlich bezeugen auch viele biblischen Texte diese Herkunft. Sie weisen sich nicht nur häufig ausdrücklich als ‚Wort Gottes‘ aus, sie lassen oft auch indirekt erkennen, dass hier ein von Gott erfüllter oder begnadeter Mensch wiedergibt, was er von ihm erhalten oder erfahren hat. Diese göttliche Prägung ist trotz menschlicher Sprache und Unzulänglich-141keiten in ihrer Vermittlung heute noch wahrnehmbar.

Diese wesentlich und letztlich grundlegende Dimension biblischer Texte verlangt nach einem entsprechenden Ausdruck in der Auslegung. Wer sie ausblendet, wird den Texten in ihrer tiefsten Bestimmtheit nicht gerecht. Das bedeutet, dass Exegeten in ihrem Untersuchen den Bezug zu Gott als entscheidend mit berücksichtigen müssen, wollen sie nicht fundamental den Charakter dieser biblischen Schriften als göttliches Wort verfehlen.

(Gott, als Urheber)

DE 5

die biblischen Texte

DE 4

überliefernde Gemeinschaften

DE 3

Traditionen der Auslegung

DE 2

Exegeten in der Gegenwart

DE 1

Der göttliche Ursprung, die anfängliche Kommunikationssituation des Textes, der Bezug zur Gemeinschaft, die lange Geschichte der Auslegung, die Verbindung mit der Gegenwart – sie alle müssen adäquat für die Deutung berücksichtigt werden, soll sie nicht von vornherein schwerwiegenden Defiziten ausgesetzt sein.

Offensichtlich stellt diese Aufgabe hohe Anforderungen. In der Tat ist sie für viele extrem heraus-, wenn nicht gar überfordernd. Es bedarf einer länger dauernden Phase des Hineinwachsens und des Reifenlassens, bis ein Text sich in den genannten Dialogebenen erschließt. Die Vorstellungen der heutigen Zeit, der Publikationsdruck und andere Umstände sind einem solchen geduldigen, wartenden Sich-Aussetzen den Texten gegenüber oft nicht förderlich.

Trotzdem lohnt diese Aufgabe, sogar über alle Maßen. Sie beglückt damit, sich als Partner in einem Dialogprozess zu finden, der von Gott über inspirierte Autoren, gläubige Gemeinschaften und im gleichen Anliegen ringende Kollegen bis in die Gegenwart reicht und alle zusammenbindet im einen, Leben stiftenden Wort. 142

B)Konkrete Voraussetzungen

Die Folgen dieser Wesensmerkmale von Exegese machen sich bemerkbar in einer Vielzahl von Anforderungen. Sie sind, aufgrund des komplexen Dialoggeschehens auf mehreren Ebenen, so groß, dass niemand sie alle heute noch in vollem Maße erfüllen kann. So kommt es oft zu Schwerpunktsetzungen, die dann auch in bestimmte Schulen münden können.11 Im Folgenden seien die wichtigsten Voraussetzungen genannt, die ein wissenschaftlich verantwortbares Auslegen biblischer Texte heute verlangt.

Eine unterschätzte Rolle nimmt dabei eine solide philosophische Grundlegung ein. Verstehen und Umgang mit Texten hängen mit hermeneutischen Fragen und Positionen zusammen, die stark auf die Auslegung einwirken. Weiters kann man in der Philosophie Grundzüge logischen Argumentierens lernen. Um nur zwei kleine Beispiele zu nennen, gegen die öfter verstoßen wird: Das eine besteht darin, aus dem Nicht-Vorhandensein (eines Wortes usw.) große Schlüsse zu ziehen. Das andere liegt in Zirkelschlüssen, wo das zu Begründende bereits implizit vorweg angenommen wird.

Die meisten Exegeten kommen heute aus dem Bereich der Theologie. Doch hat die Bibel eine größere Nähe zur Literatur,12 und diese Beziehung ist in den letzten Jahrzehnten für die Auslegung vielfach fruchtbar geworden. Wer biblische Texte ihnen entsprechend aufnehmen möchte, bedarf eines Gespürs für literarische Ausdrucksformen und Qualitäten. Außerdem bringen Erkenntnisse der Literaturwissenschaft gewichtige neue Überlegungen, bewährte methodische Untersuchungsweisen und wertvolles Vergleichsmaterial mit ein.13

Nach diesen zwei eher weniger bedachten Voraussetzungen seien nun auch die selbstverständlichen genannt. Das Arbeiten mit den alten Texten und der modernen internationalen Literatur dazu verlangt die Kenntnis mehrerer Sprachen,14 einschließlich solider Fundamente in Philologie und143Grammatik. Aus dem durch den Kanon bedingten Miteinander der biblischen Bücher folgt, dass man sich nicht nur einem zuwenden kann, sondern eine breite Bibelkenntnis braucht. Weiters bedarf es einer guten Vertrautheit mit der alten Geschichte und der Archäologie, die gerade in jüngster Zeit einen erfreulichen Aufschwung erlebt hat.15Sie liefert nicht nur den Rahmen, sondern auch viele Einzelfakten, die Auslegungen bestimmen oder absichern. Schließlich, ohne dass die Liste damit vollständig würde,16 sei auf die Altorientalistik verwiesen. Texte aus dem damaligen Umfeld zu kennen erhellt oft das Verständnis der Bibel.

Angesichts dieser Anforderungen kann man nur entweder kapitulieren oder sich mit großer Geduld auf den Weg machen, im Wissen, nie das Ideal zu erreichen. In vielen Jahren des Bemühens um die Auslegung wächst zwar auch die Fähigkeit dazu, und die eigenen Grenzen werden etwas geweitet. Doch wichtiger noch erscheint, das Deuten biblischer Texte als gemeinschaftliche Anstrengung zu sehen, wo jeder seine besonderen Begabungen einbringt und sich durch andere anregen und bereichern lässt. In Miteinander und Dialog kann so ein neues und tieferes Verstehen der Bibel geschenkt werden.

C)Durchführung

a)Allgemeines

Zwei Grunderfahrungen begleiten mein exegetisches Arbeiten. Auf die Spitze gebracht, lauten sie: „Ich kann nicht verstehen“, sowie „ich kann nicht schreiben“. Dieses doppelte Unvermögen bleibt letztlich immer, und es lehrt Demut. Es stellt die Kehrseite dessen dar, dass Begreifen ebenso wie seine Darlegung als kreative Vorgänge zutiefst Geschenk sind. Auch 144 kommt darin die Unverfügbarkeit der letzten und – vom Ursprung her gedacht – eigentlich ersten Dialogebene zum Ausdruck (oben bei A, e), auf die nur Gebet und die Bitte um den Geist die entsprechenden Antworten sind. Diese sind zugleich die beste Vorbereitung für die wissenschaftliche Arbeit an Gottes Wort, die in seiner Auslegung genauso auf Inspiration, Eingebung angewiesen ist, wie dessen Entstehung davon geprägt war.

Wer biblische Texte auslegen will, muss versuchen, mit den ihm eigenen Fähigkeiten (B) unter Berücksichtigung der genannten Dialogebenen (A) der jeweiligen Aufgabe zu entsprechen. Es gilt, den je verschiedenen Anlass (ob für eine Predigt, eine Seminararbeit, eine Dissertation, einen Kommentar …) genau im Auge zu behalten und diesem Ziel angemessen den Text zu untersuchen.

Diese Ausrichtung auf die je gestellte Aufgabe entscheidet über Umfang und Niveau des Untersuchens, gerade bei begrenzter Zeit und aus Verantwortung gegenüber dem Einsatz der eigenen Mittel. Auf alle Fälle muss die erste Dialogebene, der Bezug zur Gegenwart und darin zu den möglichen Adressaten, mit bedacht werden. Fragen wie: Für wen lege ich aus? Was ist im heutigen gesellschaftlichen Kontext relevant? Welche aktuellen Situationen und Rollen entsprechen denen des Textes?, u. a. helfen, die Auslegung zielgerichtet zu halten.

b)Die Rolle der Ansprüche

Zu dieser grundsätzlichen Orientierung durch den Anlass treten die selber und von außen gestellten Ansprüche. Ein Vortragspublikum, eine Predigtgemeinde, eine wissenschaftliche Zeitschrift oder eine spezielle Buchreihe haben unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen. Auch Qualifikationsarbeiten (Diplomarbeit, Dissertation oder Habilitation) bewegen sich je nach Betreuer und Ort auf sehr verschiedenem Niveau.

Doch noch entscheidender sind die eigenen Maßstäbe. Die inneren Einstellungen, welchen Grad an Perfektion jemand erreichen will, wie präzise eine(r) untersucht, wie umfangreich man Literatur verarbeitet, bestimmen oft viel mehr über die Qualität des Forschens und den Stil einer Arbeit.

c)Ideale

In der Untersuchung anzustrebende Ideale sind Vollkommenheit und höchste Genauigkeit – nur sie vermögen dem Charakter des göttlichen Wortes einigermaßen nahezukommen. Unvollständige oder schlampige, d. h. nicht präzise Studien verfehlen nicht nur den Text, sie leiten auch andere in die Irre und bedürfen eines erneuten, aufwendigen Nacharbeitens.17 Solche be- 145 grenzten und unverlässlichen Auslegungen sind einer der Hauptgründe dafür, dass der Umgang mit der Sekundärliteratur (zweite Dialogebene) sehr zeitraubend und nur begrenzt fruchtbar geworden ist – mit dem kaum begrüßenswerten Ergebnis, dass manche sich diesem Dialog nicht mehr oder nur sehr beschränkt stellen.18

Ein weiteres, heute oft untergehendes Ideal ist die Sicherheit. Die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der manchmal, noch dazu auf schmaler Basis, Thesen in die Welt gesetzt werden, erschreckt. Dafür gibt es viele Gründe; zwei davon liegen in unhinterfragten Mehrheitsmeinungen und in unkritisch übernommenen Schulpositionen. Demgegenüber ist echte Grundlagenforschung angesagt, die solide tragende Fundamente zu erstellen und frischen Wind in überholte Diskussionen und Zitatenkartelle zu bringen vermag. Hilfreich zur Erhöhung der Sicherheit des eigenen Auslegens sind das Ernstnehmen von Randphänomenen und abweichenden Befunden (solche, die mit der eigenen These nicht überein gehen), eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit anderen Deutungen sowie sogenannte ‚Gegenproben‘, d. h. einmal aus umgekehrter Richtung das Gegenteil annehmen und daran die eigenen Argumente auf ihre Tragfähigkeit überprüfen.

Schließlich gehören Weite und Offenheit zu den hohen Idealen heutiger Exegese. Die vielen Dialogebenen (A) und die enormen Voraussetzungen, mit denen riesige andere Gebiete in den Blick gelangen (B), verlangen eine überdurchschnittliche menschliche und intellektuelle Weite. Nur so können auch der Reichtum und die Vielfalt des göttlichen Wortes sich einigermaßen entfalten. Bereit zu sein, sich Neuem auszusetzen, Unbekanntes anzugehen und sich auf Fremdes einzulassen, sollte inneres Anliegen von Auslegenden sein.19 Gerade die Offenheit auch für andere Disziplinen hat in den vergangenen Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass die Exegese eine Blüte und neuen Schwung erlebt.

Die genannten Ziele sind ‚Ideale‘, d. h. als Richtungen zu verstehen, die je nach Aufgabe verschieden auszugestalten sind. Es kommt auf die Balan-146ce,20 das Abstimmen mit der vorliegenden Aufgabe an. Im Blick auf letztere gilt es, so weit möglich den genannten wünschenswerten Orientierungen zu entsprechen, ohne sich ein Übermaß an unnotwendiger Belastung aufzulegen.

d)Unterscheiden

„Prüft alles, das Gute behaltet!“ heißt es in der vielleicht ältesten Schrift des NT (1 Thess 5,21). Damit sind zwei wesentliche Vorgänge angesprochen, die auch für biblische Auslegung Gültigkeit haben. Es geht zunächst um ein Prüfen. Nicht alles Geschriebene ist richtig, und auch biblische Texte haben mehrere Aspekte und Hintergründe, die zu erkennen und zu unterscheiden sind. Das Kriterium dafür sind Sachargumente und das ihnen zukommende Gewicht. Sie zählen mehr als die Berufung auf berühmte Namen oder lange Tradition.

Dieses Achten auf die Kraft von Gründen bestimmt sowohl den Weg des Auslegens als auch die Deutung selbst. Ohne Urteilen und Bewerten gelingt keine Orientierung in der Vielfalt verschiedener Deutungen, und die Auslegung bleibt bei einer Aufzählung mehrerer Meinungen stehen. Solche Kritik ist besonders wichtig der eigenen Position und den eigenen Voraussetzungen gegenüber, die immer wieder an den Gegenargumenten überprüft werden sollen. Die Aufgabe des Prüfens obliegt auch jenen, die als Ausbildende, Rezensenten oder Herausgeber Verantwortung tragen.

Dieser Vorgang, das Wertvolle von dem abzugrenzen und auseinanderzuhalten, was sich als nicht so verlässlich oder richtig erwiesen hat, lässt sich einem Sieben vergleichen (siehe auch das Motto am Ende),21 das das Erwünschte zurückhält und das andere durchlässt. Damit ergibt sich dann als zweiter Schritt, das als kostbar Erkannte zu bewahren. Wer so Gutes und Bewährtes herausfiltert und für Andere in konzentrierter Form zugänglich macht,22 erspart ihnen viel Arbeit und leistet einen bleibenden Beitrag in der Erforschung der heiligen Schriften. 147

D)Darlegung

Dem Mitteilungscharakter gemäß, der durch alle fünf Dialogebenen zieht, drängt die exegetische Beschäftigung mit der Bibel auch wieder zu neuem Dialog. Sie will an andere weitergeben, was an Einsicht in die Texte gewachsen ist, ob in mündlicher oder schriftlicher Form.

Zu guter Exegese gehört somit nicht nur das Forschen selber, sondern in gleicher Weise die Fähigkeit, dies in leicht fasslicher Weise darzustellen. Klare Darlegung, logischer Aufbau und stringente Beweisführung mit Gründen sind besonders gefragt. Auch sind mögliche Adressaten dankbar für Hervorhebungen, Überblicke, auch schon zwischendurch, sowie Zusammenfassungen am Ende jedes Teiles.

Vielleicht die Hauptschwierigkeit bei der Darlegung liegt darin, dass sie zugleich zwei Vorgänge erfordert. Auf der einen Seite gilt es, das Geflecht, das die vielen Beobachtungen auf den verschiedenen Ebenen bilden, wieder zu entflechten, sie auf das Wesentliche hin zu konzentrieren und das eigentlich Tragende transparent zu machen. Auf der anderen Seite ist das nur möglich als ein Zusammenführen, in einem Prozess des Sammelns und Fassens von einer neuen Perspektive her zu einem einheitlichen Ganzen.

In einem anderen Bild kann man dieses Geschehen als Oszillieren beschreiben. Die Kunst des Auslegens besteht dabei darin, hin und her zu wechseln

–zwischen Blick auf den Text und auf andere Literatur23

–von der Aufnahme der Tradition zur Präsentation von neuem, Eigenem

–zwischen Beobachtungen, Begründungen und Schlüssen

–von der Nahaufnahme auf den auszulegenden Text zur Einbeziehung ähnlicher Texte24

–zwischen Details und größeren Zusammenhängen

–vom Bestreben um Sicherheit zum Wagnis der Deutung

Wie schon beim Untersuchen selber bedarf es dazu eines feinen Gefühls,25 zu erspüren, was jeweils ansteht, und dies in eine für andere verständliche, 148 schrittweise erklärende Darlegung zu bringen. Auch unter dieser Rücksicht ist Exegese eine Kunst und eine ausgesprochen kreative Tätigkeit.

So kehrt hier der Aspekt der Balance (von oben, Durchführung C) in anderer Form wieder. Für die Zuhörer oder Leser ist es ein Geschenk, wenn das Verhältnis zwischen den im vorigen Absatz erwähnten Polen ausgewogen ist. Die Empfindung der auslegenden Person beeinflusst Auswahl, Anordnung und Proportionen je nach den angezielten Adressaten.

E)Beispiele

Um noch ein wenig konkret zu verdeutlichen, wie alttestamentliche Wissenschaft diesen hohen Anforderungen nachzukommen versucht hat, möchte ich exemplarisch einige Werke und Autoren kurz vorstellen. Die Aufzählung ist in keiner Weise vollständig; sie soll nur winzige Ausschnitte des großen Panoramas berühren und dabei modellhafte Aspekte aus jüngerer Zeit hervorheben.

Im Bereich der Tora ragt die Neuauflage des Genesiskommentars von B. Jacob (mit einem Geleitwort von B. Janowski und E. Zenger) heraus.26