Gottesdienst verstehen - gestalten - feiern - Stefan Schweyer - E-Book

Gottesdienst verstehen - gestalten - feiern E-Book

Stefan Schweyer

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Beschreibung

Im Gottesdienst kommen Himmel und Erde zusammen. Gott begegnet seiner Gemeinde. Was gibt es Schöneres als das? Diesem Geheimnis des christlichen Gottesdienstes geht Stefan Schweyer vor allem im Hinblick auf frei gestaltete Gottesdienste auf die Spur, wie sie in Freikirchen, freien Gemeinden, landeskirchlichen Gemeinschaften aber immer öfter auch in Landeskirchen gefeiert werden. Was geschieht eigentlich, wenn wir Gottesdienst feiern? Wie hängen sonntäglicher und alltäglicher Gottesdienst zusammen? Wie können Gottesdienste ansprechend gestaltet werden? Wie kann das Zusammenspiel von Gottesdienstleitung, Musik und Verkündigung gelingen? Zuerst wird das "große Bild" vom Gottesdienst entfaltet, damit alle Beteiligten verstehen, worum es eigentlich geht. Dann werden die wichtigsten gottesdienstliche Elemente (z.B. Eröffnung, Gebet, Lobpreis, Abendmahl, Segen) mit zahlreichen konkreten Gestaltungshinweisen vorgestellt. Im letzten Teil wird der Blick über den Sonntagsgottesdienst hinaus erweitert auf Onlinegottesdienste, auf das Kirchenjahr und auf Gottesdienste zu besonderen Anlässen. Das Buch richtet sich vor allem an ehrenamtliche und angestellte Personen, die für die Vorbereitung vor allem von frei gestalteten Gottesdiensten verantwortlich sind. Es eignet sich zur Weiterbildung sowie zur Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Gottesdienstkultur in Freikirchen, freien Gemeinden und Gemeinschaften, gibt aber auch für agendarisch gestaltete Gottesdienste wertvolle Impulse. Stefan Schweyer ist Professor für Praktische Theologie an der universitären Hochschule STH Basel. Er hat über viele Jahre hinweg Gottesdienste unterschiedlicher christlichen Traditionen genauer unter die Lupe genommen und sich mit einer Studie über freikirchliche Gottesdienste habilitiert. Mit Pastoren und Ehrenamtlichen hat er zahlreiche Seminare und Workshops zu konkreten Fragen der Gottesdienstgestaltung durchgeführt. Stefan Schweyer denkt gerne über den Gottesdienst nach – aber noch viel lieber feiert er Gottesdienst. Da geht ihm der Himmel und das Herz auf.

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Stefan Schweyer

GOTTESDIENST

verstehen – gestalten – feiern

Sofern nicht anders angegeben, sind Bibelzitate der Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, entnommen.

Dieses E-Book basiert auf der 2. Auflage 2023.

© der deutschen Ausgabe:

2021 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Lektorat: Henrik Homrighausen, Uwe Bertelmann

Umschlagfoto: Adobe Stock

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: DTP Brunnen

ISBN Buch 978-3-7655-2124-9

ISBN E-Book 978-3-7655-7624-9

www.brunnen-verlag.de

Ein intensiver Gottesdienst ist ein starkes Gemeinschaftserlebnis. Stefan Schweyer hat mit seinen Publikationen und seinen Gottesdienstseminaren einen sehr wertvollen Beitrag dazu geliefert. Er betont, dass wir nicht alleine Gottesdienst feiern können, und dass der Gottesdienst ein vorzüglicher Begegnungsort mit Gott ist. Schon zahlreiche Gemeinden haben von diesen Impulsen profitiert. Das Gottesdienst-Praxisbuch wird für die freikirchlichen Gemeinden sehr hilfreich sein.

Peter Schneeberger, Präsident Freie Evangelische Gemeinden Schweiz (FEG) und Dachverband Freikirchen.ch

Stefan Schweyers anschaulichen und bereichernden Impulse haben unsere Worship-Musiker angeregt, die eigenen Vorstellungen und Erwartungen an einen Gottesdienst zu reflektieren und ihren eigenen Beitrag in einem größeren Kontext zu verstehen. Ich empfehle sein Buch allen, die mit Gottesdienstgestaltung zu tun haben.

Pfr. Matthias Pfaehler, Gellertkirche, Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt

Stefan Schweyer versteht es, eine umfassende Gottesdienstlehre auf inspirierende und zeitgemäße Weise zu vermitteln. Er verbindet dabei theologischen Tiefgang mit relevanten Impulsen für die Gemeindepraxis. Dieses Buch wird eine wichtige Quelle der Inspiration für all jene sein, die sich mit Leidenschaft und Herz in Gottesdienste investieren.

Susanne Hagen, Musikerin, Studiengangsleiterin BA Theologie & Musik, Theologisches Seminar St. Chrischona (TSC)

Durch seine verbindende Art bricht Stefan Schweyer die Paradigmen von freikirchlichen und landeskirchlichen Praktiken auf und setzt diese, ohne sie abzuwerten, in den größeren biblischen Kontext. Gleichzeitig schärft er das Verständnis, dass ein guter Gottesdienst auch mit wenig Ressourcen möglich ist, was insbesondere kleineren Gemeinden den Druck nimmt, sonntags immer ein vielseitiges und qualitativ hochwertiges Programm zu bieten. Wie Stefan über den Gottesdienst lehrt und schwärmt, ist für jeden Pastor, Gottesdienst-Moderator und Lobpreisleiter augenöffnend, herausfordernd und vor allem beflügelnd.

Dän Zeltner, Pastor und Musiker, Leiter One Heart Worship Academy

Stefan Schweyer hat uns in Seminaren nicht einfach sein Ideal übergestülpt, sondern mit viel Empathie die Gemeinde und ihre Anliegen in seine Überlegungen mit einbezogen.

Daniel Kilchör, Gemeindeleiter FMG Uster; Regionalleiter Vereinigung Freier Missionsgemeinden (VFMG)

Der Gottesdienst der Zukunft findet seinen Höhepunkt in der Anbetung Gottes, vor seinem Angesicht, in der Ewigkeit. Dieser Gedanke, aus einem Vortrag von Stefan Schweyer, fasziniert und zeigt auf, dass die Praxis des Gottesdienstes hier und jetzt, eine „himmlische“ und ewige Perspektive trägt. Stefan versteht es, die ganz praktischen Aspekte in der Umsetzung unserer verschieden Gottesdienstformen mit diesem einenden Gedanken zu verbinden; zur Ehre und Anbetung Gottes!

Pastor Marco Hofmann, Präsident Schweizerische Pfingstmission (SPM)

Hier wird nicht einfach ein „neues Gottesdienstmodell“ vorgestellt. Es gelingt Stefan Schweyer ausgezeichnet, bei der bestehenden Tradition anzuknüpfen und einerseits liebevoll Schwächen aufzuzeigen und andrerseits die Stärken zu fördern. Das Buch wird den Gemeinden helfen, den Gottesdienst bewusster zu gestalten und genussvoller zu feiern – zu Gottes Ehre und zur Erbauung der Gemeinde.

Thomas Wohler, Pfarrer Freie Kirche Uster und Leiter Reformiertes Seminar

Stefan Schweyers Ausführungen zum Gottesdienst sind im wahrsten Sinn des Wortes horizonterweiternd: Er beleuchtet den Gottesdienst sowohl in seinem ganz konkreten zeitlichen Umfeld wie auch in seiner kosmischen Dimension. Dadurch erhält jeder Gottesdienst seine Würde und Bedeutung als Ort der Gottesbegegnung, und jedes Lied wird zu einer Antwort an Gott. Für uns als Gemeinde waren die Seminare mit Stefan Schweyer grundlegend und wegweisend zugleich. Ich freue mich sehr auf das Buch!

Dr. Matthias Wenk, Pastor BewegungPlus, Theologe, Dozent am IGW

Inhaltsverzeichnis

Stimmen zum Buch

Auftakt:Gottesdienste lassen mich nicht kalt

I. Gottesdienst verstehen

Kapitel 1„Gottesdienst“ — was ist das?

Kapitel 2Welche Elemente gehören dazu?

Kapitel 3Wie sieht eine sinnvolle Abfolge aus?

Kapitel 4Wer macht was?

Kapitel 5Wie spontan soll es sein?

Kapitel 6Wie evangelistisch soll es sein?

Kapitel 7Wie digital kann es sein?

Kapitel 8Was ist mit dem alltäglichen Gottesdienst?

II. Gottesdienst gestalten

Kapitel 9Eröffnung

Kapitel 10Bibel

Kapitel 11Gebet

Kapitel 12Singen

Kapitel 13Predigt

Kapitel 14Abendmahl

Kapitel 15Charismen

Kapitel 16Informationen

Kapitel 17Kollekte

Kapitel 18Sendung & Segen

Kapitel 19Gebäude & Raum

III. Gottesdienst im Rhythmus der Zeit

Kapitel 20Gottesdienst im Wochenrhythmus: der Sonntag

Kapitel 21Gottesdienst im Jahresrhythmus: das Kirchenjahr

Kapitel 22Gottesdienst im Lebensrhythmus: Kasualien

Kapitel 23Gottesdienst im Tagesrhythmus: Tagesgebete

Epilog

Anmerkungen

Auftakt:Gottesdienste lassen mich nicht kalt

Es ist Sonntagmorgen. Ich mache mich auf den Weg in den Gottesdienst. Zu Fuß dauert es gute 20 Minuten. Mir gehen viele Gedanken durch den Kopf. Was erwartet mich? Wer predigt? Worüber wird die Predigt sein? Wer musiziert? Wie ist die Liedauswahl? Welche Personen treffe ich an? Mit wem würde ich gerne beim Kirchenkaffee plaudern? Ich denke an vergangene Gottesdienste und merke: Gottesdienste machen etwas mit mir. Sie lassen mich nicht kalt. Gottesdienste sind für mich eine emotionale Erfahrung: Manchmal bin ich tief berührt, manchmal enttäuscht – manchmal kann ich mich gut ins Singen und Beten einklinken, manchmal finde ich den Draht zum gottesdienstlichen Geschehen nicht – manchmal freue ich mich über Gaben, die zum Einsatz kommen, und manchmal regt mich eine unsensible oder oberflächliche Gestaltung fürchterlich auf – manchmal spüre ich die Nähe Gottes, manchmal empfinde ich eher seine Abwesenheit.

Wenn ich in diesem Buch über Gottesdienste schreibe, mache ich das nicht aus sicherer Distanz oder unbeteiligt – sondern als direkt Betroffener. Schon von Kind auf habe ich Gottesdienste mitgefeiert. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter habe ich viele Gottesdienste mitgestaltet. Als freikirchlicher Pastor war ich für Gottesdienste verantwortlich. Die Freude und das Leiden am Gottesdienst haben mein Interesse geweckt, mehr über Gottesdienst nachzudenken. Für mich war es ein besonderes Geschenk, dass ich die Gelegenheit erhalten habe, freikirchliche Gottesdienste intensiv zu erforschen.1 Parallel dazu war ich mit zahlreichen Gemeinden unterwegs, um in Workshops an der Gottesdienstkultur zu arbeiten. Viele Überlegungen in diesem Buch stammen aus der Forschungs- und Seminartätigkeit. Auf diesem Weg haben mich Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus dem kirchlichen und wissenschaftlichen Umfeld enorm inspiriert und mir einen weiten Blick in die Gottesdienstlandschaft eröffnet. Ein besonderer Dank gehört meiner Frau Lea Schweyer, die als Erste das Manuskript gelesen und mit mir diskutiert hat. Meinem Doktoranden Henrik Homrighausen danke ich für das umsichtige Lektorat, dem Brunnen Verlag und besonders Uwe Bertelmann für die wertschätzende und kompetente Begleitung.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden zumeist das generische Maskulinum verwendet, also z. B. „Gottesdienstleiter“. Die Entscheidung für diese Schreibweise beinhaltet keine Wertung. Bei konkreten Beispielen wechseln sich männliche und weibliche Gottesdienstleiter ab. In der Sache sind natürlich immer beide Geschlechter gemeint.

Es ist meine Hoffnung und mein Wunsch, dass das Buch hilft, mit neuer Freude Gottesdienste zu gestalten und zu feiern. Zusätzlich zu den konkreten Praxistipps, die im Buch enthalten sind, findet man ergänzende Materialien wie Texte oder Videos auf der Homepage www.schweyer.ch/gd. Dort finden sich auch Reflexionsfragen zu den einzelnen Kapiteln, die das Gespräch anregen können, wenn Gottesdienst-Teams in einer Gemeinde dieses Buch miteinander durcharbeiten – wozu es sich sehr eignet. Aber auch wer sich im Gottesdienst in der Rolle des feiernden Teilnehmers wiederfindet, wird hoffentlich durch die Lektüre des Buches ein vertieftes Verständnis des Gottesdienstes gewonnen haben und dann noch intensiver mitfeiern und Gott begegnen können.

Im Juni 2021

Stefan Schweyer

I. Gottesdienst verstehen

Was ist Gottesdienst? Was geschieht, wenn wir Gottesdienst feiern? Es ergibt Sinn, sich solchen Fragen zu stellen (→ Teil I), bevor wir überlegen, wie wir Gottesdienste gestalten können (→ Teil II).

Im ersten Kapitel schauen wir uns das „große Bild“ vom Gottesdienst an. Dieses „große Bild“ stellt die theologische Basis dar und bildet damit die Grundlage für viele weitere Überlegungen. Im Anschluss an biblische Texte und kirchliche Traditionen überlegen wir uns dann, welche Elemente zum Gottesdienst gehören (→ Kapitel 2) und wie sie sinnvoll angeordnet werden können (→ Kapitel 3). In den weiteren Kapiteln widmen wir uns Themen, die nicht nur, aber besonders in freikirchlichen Kontexten bedeutsam sind:

•Was bedeutet das Allgemeine Priestertum für den Gottesdienst? Kann jeder alles tun? Oder gibt es spezifische Rollen und Aufgaben? (→ Kapitel 4).

•Wie spontan oder geplant soll der Gottesdienst sein? (→ Kapitel 5).

•Richtet sich der Gottesdienst an die Gemeinde oder an Suchende? Ist der Gottesdienst eine missionarische Gelegenheit? (→ Kapitel 6).

•Welche Bedeutung haben Online-Gottesdienste? Wie digital kann Gottesdienst sein? (→ Kapitel 7)

•Wie verhält sich der sonntägliche zum alltäglichen Gottesdienst? Welche Bedeutung hat der Gottesdienst für mein Leben unter der Woche? (→ Kapitel 8).

Kapitel 1„Gottesdienst“ — was ist das?

Wenn wir hier von „Gottesdienst“ sprechen, meinen wir zunächst genau das, was die meisten Gemeinden auf ihrer Homepage „Gottesdienst“ nennen und woran Menschen denken, wenn sie sagen, dass sie in einen „Gottesdienst“ gehen: Gottesdienst ist ein ganz bestimmtes Ereignis. Menschen treffen sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, um bestimmte Dinge zu tun.

Später werden wir noch genauer überlegen, wie der Gottesdienst im Alltag und der sonntägliche Gottesdienst zusammenhängen (→ Kapitel 8) und welche Bedeutung Ort (→ Kapitel 19) und Zeit (→ Kapitel 20) haben. Zuerst geht es aber darum, zu erspüren, was das „Besondere“ des Gottesdienstes ist. Was macht einen Gottesdienst zum Gottesdienst? Was ist der Kern des Gottesdienstes? Wir beginnen also mit einer kleinen „Theologie“ des Gottesdienstes:

a) Gott

Gott ist der wichtigste Teilnehmer im Gottesdienst. Wenn Gott nicht dabei ist, ist es kein Gottesdienst. Es wäre vielleicht ein Vereinstreffen, eine Gemeindeversammlung oder ein Seminar. Der Gottesdienst wird zum Gottesdienst, indem wir nicht nur über Gott sprechen, sondern mit ihm. Gottesdienst gleicht daher eher einer Familienfeier als einer Schulstunde. In einer Schullektion kann man etwas über Gott lernen, man kann über Gott nachdenken und diskutieren. Das ist nicht schlecht, aber es ist nicht genug. Gottesdienst ist die Feier, in der Gott dabei ist und in der wir ihm begegnen. Gottesdienst ohne Gott wäre wie eine Geburtstagsfeier ohne Geburtstagskind. Gottesdienst – so könnte man sagen – ist die Familienfeier der Familie Gottes.

b) Wir

Das Gegenüber Gottes im Gottesdienst ist nicht nur der einzelne Mensch, sondern die versammelte Gemeinde. Es geht daher im Gottesdienst nicht nur um mich und Gott, sondern um die Beziehung Gott – Wir. Wenn es nur um mich und Gott gehen würde, könnte ich ja auch zu Hause oder in der freien Natur für mich allein Gottesdienst feiern. Der Gottesdienst unterscheidet sich vom alltäglichen Christenleben genau dadurch, dass wir uns im Gottesdienst als Gemeinde versammeln und dass Gott seiner versammelten Gemeinde begegnet.

Gelegentlich fallen im Gottesdienst Sätze wie: „Vergiss, wer links oder rechts neben Dir sitzt, jetzt geht es nur um Dich und Gott“. Ich verstehe schon, was der Sinn solcher Aussagen ist – sie vermitteln aber ein etwas falsches Bild. Wenn das stimmen würde, müsste ich ja nicht im Gottesdienst sein. Es ist gerade die Besonderheit des Gottesdienstes, dass ich mit den anderen zusammen Gott begegne. Das heißt aber auch: Es ist gar nicht so entscheidend, ob der Gottesdienst mir gefällt, ob meine Vorlieben, Bedürfnisse und Wünsche erfüllt werden, sondern ob ich Teil der Gemeinde werde, die Gott begegnet. Wir werden bei der Gestaltung der gottesdienstlichen Elemente (→ Teil II) mitbedenken, wie sich dieses „Wir“ im Gottesdienst zeigt.

c) Wort — Antwort

Die Begegnung zwischen Gott und seiner versammelten Gemeinde findet im Dialog statt, als Wort und Antwort. Martin Luther hat in der Predigt zur Einweihung der Schlosskirche in Torgau gesagt, dass in diesem Haus nichts anderes geschehen soll, als dass „unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang“.2 Die Begegnung mit Gott erfolgt im Dialog, im wechselseitigen Gespräch, als Wort und Antwort.

Die Kommunikation beginnt bei Gott, nicht bei uns. Das entspricht dem Evangelium, der guten Nachricht. Gottesdienst gibt es, weil Gott nicht schweigt, sondern spricht. Gott ist es, der die Eiszeit des Schweigens durchbricht und so überhaupt erst das Gespräch ermöglicht. Das ist eine befreiende Wahrheit. Im Gottesdienst müssen wir uns nicht mit unseren Gebeten und unserm Lobpreis zu Gott emporarbeiten. Wir müssen uns nicht Gehör bei Gott verschaffen. Wir müssen das Gespräch nicht eröffnen, sondern wir stimmen ein in das Gespräch, das Gott schon lange begonnen hat. Unser Reden ist nicht das erste Wort, sondern das zweite Wort – eben eine „Ant-wort“ auf das Wort, das wir von Gott empfangen haben. Das erste Wort gehört Gott. Das ist die innere Logik des Evangeliums. Dies kann auch in der Gestalt des Gottesdienstes Ausdruck finden, beispielsweise in den ersten Worten, die im Gottesdienst gesprochen werden (→ Kapitel 9) und in der Art und Weise, wie die Bibel im Gottesdienst zu Gehör gebracht wird (→ Kapitel 10).

Die vielfältigen Weisen, wie wir auf Gottes Wort hören und im Gebet mit Gott reden (→ Kapitel 10; → Kapitel 11) verleihen dem Gottesdienst den kommunikativen Charakter. Sie machen deutlich, dass die vertikale Kommunikation (Gott → Wir) bedeutsamer ist als die horizontale zwischenmenschliche Kommunikation. Es wird in der Gestaltung des Gottesdienstes darauf ankommen, diesen Dialog mit Gott in Wort und Antwort im Schwung zu halten. Anders formuliert: Wenn man darauf achtet, dass der Bibel und dem Gebet im Gottesdienst viel Beachtung geschenkt wird, ist die Grundlage für das wechselseitige Reden mit Gott gelegt.

d) Jesus Christus — der Heilige Geist

Das Gespräch mit Gott ist nicht selbstverständlich. Schon auf den ersten Seiten der Bibel wird das deutlich. Adam und Eva verstecken sich vor Gott, nachdem sie von der verbotenen Frucht gegessen haben. Sie spüren, dass sie in ihrer aktuellen Verfassung nicht in der Lage sind, mit Gott zu sprechen. Gott selbst ergreift die Initiative und ruft sie mit seinem Wort aus dem Versteck: „Adam, wo bist Du?“ (1Mo 3,9) – und was Adam und Eva von Gott zu hören bekommen, ist die Ankündigung eines Lebens unter der Realität der Sünde. Verallgemeinert: Als Menschen, die der Macht der Sünde verfallen sind, ertragen wir das Wort Gottes nicht. Es muss uns zum Gerichtswort werden. Wie kann Gott mit uns reden, ohne uns zu zerstören? Wie kann sein Wort Segen bringen?

Gott selbst sendet seinen Sohn Jesus Christus in die Welt. Er ist das „Wort“, das „Fleisch ward“ (Joh 1,14). Jesus verbindet sich mit uns Menschen so eng, wie es nur möglich ist. Er erniedrigt sich und wird Mensch (Phil 2,7-8). So sehr identifiziert sich Jesus mit uns, dass er unser Schicksal teilt, unsere Schuld trägt und unseren Tod stirbt. Der Tod kann ihn nicht halten. Jesus wird zu einem neuen, unvergänglichen Leben auferweckt. Wenn wir uns so mit Jesus identifizieren, wie er sich mit uns identifiziert hat, zerstört uns das Wort Gottes nicht mehr, sondern es baut uns auf. Es ist ein Wort, das aus dem Tod Leben schafft. Durch Jesus wird für uns das Wort Gottes heilsam.

Diese Gedanken gelten nicht nur für das Wort, sondern auch für die Antwort. Wer sind wir denn, dass wir denken, Gott habe Gefallen an unserem Gebet und Lobpreis? Wer sind wir denn, dass wir denken, Gott höre unsere Worte und freue sich darüber? So, wie durch Jesus Gottes Wort für uns annehmbar wurde, so werden unsere Worte durch Jesus für Gott annehmbar. Jesus vertritt uns vor Gott. Durch ihn wird unser Reden für Gott wohlgefällig.

Paulus formuliert es im Römerbrief so: „Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen“ (Röm 8,26). Wir wissen nicht, wie wir richtig beten können. Punkt. So ist es. Paulus sagt nicht: Manchmal wissen wir nicht, wie wir recht beten können. Nein, der Mensch ist zu rechtem Beten nicht imstande, wenn er von Gott nicht dazu befähigt wird. Es ist der Heilige Geist, der unser Gebet vor Gott annehmbar macht. Kein Lobpreis ist aus sich heraus für Gott wohlklingend. Ohne das Wirken des Heiligen Geistes ist selbst das für uns schönste Lied für Gott nur Lärm.

In der klassischen Form der Tagzeitengebete lautet daher das erste Gebet am frühen Morgen: „Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde“ (nach Ps 51,17). Damit wird gesagt: Es ist nicht selbstverständlich, dass wir Gott loben können. Wenn nicht Gott unseren Mund öffnet, bleibt das Lob eine rein menschliche Angelegenheit. In der Eröffnungssequenz im Gottesdienst der anglikanischen Kirche gibt es ein „Vorbereitungsgebet“, darin heißt es: „Allmächtiger Gott, […], reinige die Gedanken unserer Herzen durch die Inspiration deines Heiligen Geistes, […] damit wir auf würdige Art und Weise deinen heiligen Namen erheben“. Durch das Gebet wird zum Ausdruck gebracht: Wir sind auf das Wirken des Heiligen Geistes angewiesen, damit wir Gott recht loben können.

Jesus Christus und der Heilige Geist ermöglichen den Dialog mit Gott. Durch sie wird das Wort Gottes für uns heilsam und durch sie wird unser Reden für Gott annehmbar. Mit diesem Gedanken sind zwei weitere große Geheimnisse verbunden, auf die ich hier nur kurz hinweisen will: Erstens das Geheimnis der Trinität. Weil Gott nicht allein ist, weil Gott der Dreieine ist, benötigt Gott nicht den Menschen oder die Welt, um reden zu können. Kommunikation trinitarisch gedacht heißt: Gott spricht mit sich selbst – und doch ist es kein Selbstgespräch, sondern ein wirkliches Gespräch von Vater, Sohn und Geist. Kommunikation gehört daher zum innersten Wesen Gottes. Wenn wir mit Gott reden, lässt Gott uns an seinem innertrinitarischen Gespräch teilhaben. Unser Beten ist verbunden mit dem Gebet von Jesus. Bei unserem Beten stellt sich Jesus an unsere Seite. Er betet mit uns mit – und wir beten mit ihm mit. Deshalb beten wir durch den Sohn und im Geist zum Vater (→ Kapitel 11).

Das zweite Geheimnis besteht darin, dass in Jesus Gott und Mensch zusammenkommen. Jesus ist der wahre Gott und der wahre Mensch. Er gehört ganz auf Gottes Seite und ganz auf die Seite von uns Menschen. Die Verbindung von Gott und Mensch findet in Jesus ihren unübertreffbaren Höhepunkt. Wenn es im Gottesdienst darum geht, dass Gott und Mensch einander begegnen, kann man also sagen: Der eigentliche und wahre Gottesdienst findet in der Person von Jesus Christus selbst statt. In seiner Person kommen Gott und Mensch zusammen. Deshalb kann durch ihn auch die Begegnung von uns Menschen mit dem lebendigen Gott stattfinden. Wenn wir Gottesdienst feiern, werden wir mit hineingezogen in den wahren Gottesdienst von Jesus Christus. Oder nochmals anders gesagt: Wenn wir Gottesdienst feiern, feiert Jesus mit uns mit und wir mit ihm.

e) Himmlischer Gottesdienst

Im Gottesdienst singen wir gelegentlich „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, die Länder sind voll seiner Ehre“ (Jes 6,3). Woher kommen diese Worte? Jesaja hatte in einer Vision einen Blick in den himmlischen Gottesdienst. Er sieht Gott auf seinem Thron. Rund herum waren Engel, die Gott unablässig lobten: „Heilig, heilig, heilig …“. Es sind also Worte, die von Engeln stammen (und nicht etwa von Jesaja oder von einem menschlichen Liederdichter). Wenn die Gemeinde dieses Lied singt, stimmt sie in den Lobgesang der Engel ein. Sie klinkt sich in den himmlischen Gottesdienst ein. Sie verehrt mit den Engeln zusammen Gott: „Ehre sei Gott in der Höhe“ (Lk 2,14) und preist Jesus als das Lamm Gottes: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob“ (Offb 5,12).

Der Kreis der lokalen Gemeinde wird damit aufgesprengt. Die Gemeinde, die sich zum Gottesdienst versammelt, nimmt teil am himmlischen Gottesdienst. Daher ist es auch nicht so entscheidend, ob sich zwei oder drei oder hundert oder zweitausend Personen zum Gottesdienst treffen. Es ist auch nicht so entscheidend, ob jetzt in einem Gottesdienst mehr oder weniger Personen anwesend sind als in anderen Gottesdiensten: Es feiern sowieso Zehntausende Engel mit!

Im Hebräerbrief wird die Wirklichkeit des Gottesdienstes so beschrieben: „Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln […]“ (Heb 12,22). Der irdische Gottesdienst wächst über sich hinaus. Daher ist der Gottesdienst weit mehr als eine Vereinsversammlung. Er ist auch mehr als nur die Zusammenkunft einer lokalen Gemeinde. Es ist nicht einfach der Gottesdienst der „Freien evangelischen Gemeinde xy“. Vielmehr nimmt die FeG xy teil am himmlischen Gottesdienst. Das ist eine befreiende Perspektive. Sie bewahrt uns davor, dass wir uns um uns selbst und um „unsere“ Ortsgemeinde drehen und richtet unseren Blick auf das Größere. Gottesdienst ist ein kosmisches Ereignis. Der Himmel und die ganze Schöpfung verehren Gott – was für ein Vorrecht und eine Freude, dass wir in das Lob des Schöpfers mit einstimmen dürfen!

f) Universale Kirche

Wenn die lokale Gemeinde mit dem himmlischen Gottesdienst verbunden ist, ist sie zwangsläufig auch mit allen anderen lokalen Gemeinden verbunden, die sich in den himmlischen Gottesdienst einklinken. Die lokale Gemeinde feiert mit allen anderen Gemeinden zu allen Zeiten und an allen Orten. Der Gottesdienst der lokalen Gemeinde ist der Gottesdienst des weltweiten Leibes Christi, der universalen Kirche.

Das gilt zeitlich gesehen. Der Gottesdienst beginnt nicht mit der Entstehung der lokalen Gemeinde. Die lokale Gemeinde stimmt ein in einen Gottesdienst, den es lange vor ihr gab. Sie singt mit dem Volk Israel die Psalmen. Sie singt (hoffentlich) bewährte Lieder, die nicht nur aus der eigenen Epoche stammen. Sie betet mit Gebetstexten aus der Tradition der Kirche. Die lokale Gemeinde ist ohne die lange Geschichte der Mütter und Väter im Glauben nicht denkbar. Es wäre überheblich, wenn wir glauben oder uns so verhalten, als wären wir die ersten, die verstanden haben, wie man richtig Gottesdienst feiert. Es wäre eine Tragik, wenn man sich von der Geschichte Gottes mit seinem Volk abschneidet und sich nicht mehr als Teil des universalen Gottesvolks versteht. Im Gottesdienst wird Vergangenes gegenwärtig und Zukünftiges wird vorweggenommen. Ganz besonders deutlich wird das beim Abendmahl (→ Kapitel 14), wenn das vergangene Ereignis von Kreuz und Auferstehung neu lebendig wird und wenn wir einen Vorgeschmack auf die Vollendung erhalten.

Die lokale Gemeinde ist nicht nur zeitlich mit der universalen Kirche verbunden, sondern auch räumlich. Sie ist verbunden mit allen anderen Gemeinden rund um den Globus, die auf Gottes Wort hören und Gott loben. Johannes formuliert es scharf: „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner“ (1Joh 4,20). Auf die Gemeindelandschaft übertragen: Man kann nicht gleichzeitig mit den Engeln zusammen Gott loben und die anderen Gemeinden verachten. Was uns miteinander verbindet, ist der Glaube an den dreieinen Gott. Dieser Glaube ist prägnant zusammengefasst im apostolischen Glaubensbekenntnis. Uns verbindet auch die Heilige Schrift. Sie ist nicht nur einer christlichen Konfession oder Denomination gegeben, sondern dem ganzen Leib Christi. Uns verbinden Gebete, vor allem das Vaterunser und die Psalmen, und Lieder. Wir mögen darüber hinaus noch viele Differenzen in Lehr- und Gestaltungsfragen haben. Diese darf man nicht geringachten. Es braucht daher beides: Das Ringen um die Wahrheit des christlichen Glaubens und die Offenheit für die anderen Gemeinden und Kirchen. Im Gottesdienst kommt diese Verbundenheit und Offenheit mit anderen Gemeinden besonders dadurch zum Ausdruck, dass wir auf die gleichen Bibelworte hören (→ Kapitel 10), dass wir in Dank und Fürbitte aneinander denken (→ Kapitel 11), und dass wir einander an den finanziellen und materiellen Gaben teilhaben lassen, die Gott uns gegeben hat (→ Kapitel 17).

Im Gottesdienst wird der Kreis der lokalen Gemeinde aufgesprengt: in die Höhe durch die Verbindung mit dem himmlischen Gottesdienst und in die Breite durch die Verbindung mit der universalen Kirche. Die lokale Gemeinde feiert nicht alleine! Das ist gut so. Der Gottesdienst sollte daher nicht in erster Linie ein Ort sein, wo die Besonderheiten der lokalen Gemeinde besonders gut vermarktet werden. Vielmehr ist der Gottesdienst der privilegierte Ort, an dem lebendig wird, was uns mit dem himmlischen Gottesdienst und mit der universalen Kirche verbindet und was dem ganzen Leib Christi geschenkt ist.

g) Tempel

Die hier vorgestellten Überlegungen zum Gottesdienst nehmen das biblische Verständnis des Tempels auf. Wir folgen den großen Linien dieses Bildes: Im Garten Eden haben Adam und Eva die besondere Gegenwart Gottes erlebt. Nach dem Ungehorsam gegenüber Gott wurden sie aus dem Paradies ausgeschlossen. Die große Frage nach dem Sündenfall lautet daher: Wie kann Gott bei den Menschen wohnen, ohne dass die Menschen an Gottes Gegenwart zugrunde gehen? Wie können sich der heilige und reine Gott und der sündige und unreine Mensch begegnen? Wie kommen Himmel und Erde zusammen?

Tempel: Gott wohnt bei den Menschen.

Gott selbst hat einen Weg gesucht, wie er unter den Menschen wohnen kann. Dazu hat er sich Abraham und seine Nachkommen – das Volk Israel – erwählt. Dieses Volk hat Gott aus der Sklaverei Ägyptens befreit. Die Befreiung zielt auf die Verehrung Gottes ab: „Lass mein Volk ziehen, dass es mir diene in der Wüste“ (2Mose 7,16; vgl. auch 2Mose 3,12.18; 8,25-28 u. a.). Gott begegnet dem Volk in der Wüste am Sinai. Er gibt ihm die Gesetze, die Ordnungen für das Leben. Und er befiehlt dem Mose, nach dem himmlischen Vorbild ein Heiligtum zu bauen, „dass ich unter ihnen wohne“ (2Mose 25,8-9). Nach dem Bau der Stiftshütte „bedeckte die Wolke die Stifthütte, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnung“ (2Mose 40,34). Die „mobile“ Stiftshütte führte das Volk den Weg durch die Wüste in das verheißene Land an. In Jerusalem wurde nach dem Vorbild der Stiftshütte der Tempel gebaut. Und bei der Einweihung geschah das gleiche wie bei der Stiftshütte: „Die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn“ (1Kön 8,11). So wurde die Stiftshütte bzw. der Tempel zum Wohnort Gottes mitten in der gefallenen Welt und zum Begegnungsort der Menschen mit Gott. Man kann also sagen: Im Tempel geschieht, was vor dem Fall im Garten Eden geschah: Gott wohnt bei den Menschen.

Jesus — der wahre Tempel

Wir haben bereits darüber nachgedacht, dass der eigentliche Gottesdienst in der Person von Jesus Christus stattfindet. Es überrascht daher nicht, dass Jesus sich selbst als den wahren Tempel präsentiert: „Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab und indrei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes“ (Joh 2,19-21). Die Herrlichkeit Gottes, die in Gestalt einer Wolke den Tempel erfüllte, erstrahlt auf dem Berg der Verklärung über Jesus (Mt 17,1-5). In Jesus kommt zum Höhepunkt, was in der Stiftshütte und im Tempel begann. In Jesus wohnt Gott mitten unter den Menschen.

Die Gemeinde als Tempel

Diese Wahrheit wird auf die Gemeinde – den Leib Christi – ausgeweitet. Wenn die Gemeinde mit Jesus verbunden ist, dann gilt auch von ihr, dass sie ein „heiliger Tempel“ ist, ein Ort, wo Gott durch seinen Geist wohnt (Eph 2,21-22; 1Kor 3,16). In der Gemeinde geschieht, was im Tempel geschah: Gott und Mensch begegnen sich.

Die Gläubigen als Tempel

Wer an Jesus Christus glaubt, wird mit dem Heiligen Geist beschenkt. Der Vater und der Sohn nehmen durch den Geist Wohnung im gläubigen Menschen (Joh 14,23; Eph 3,17). So wie Gott die von Menschenhand gemachte Stiftshütte nimmt und zu einem Wohnort seiner Herrlichkeit macht, so gefällt es Gott, durch seinen Geist den sündigen Menschen zu seinem Wohnort zu verwandeln. Deshalb kann der Apostel Paulus argumentieren und sagen: Es ist nicht gleichgültig, wie man mit dem Leib umgeht: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ (1Kor 6,19). Die Herrlichkeit Gottes, welche die Stiftshütte erfüllte und über Jesus aufleuchtete, ruht auf den Gläubigen: „Der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes ruht auf euch“ (1Petr 4,14).

In der neuen Schöpfung, in der kein Raum mehr für das Böse ist, wird für immer wahr, was im Tempel und in der Gemeinde den Anfang genommen hat: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen […] er wird bei ihnen wohnen“ (Offb 21,3). Deshalb gibt es im Neuen Jerusalem kein Tempelgebäude mehr, „denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm“ (Offb 21,22). In der Vollendung gibt es nichts mehr, was die Begegnung zwischen Gott und Mensch stören könnte. Die ganze Stadt ist „Tempel“.

Besondere Gegenwart Gottes

Wir halten also fest: Der Tempel ist der Ort der besonderen Gegenwart Gottes. Diese besondere Gegenwart Gottes unterscheidet sich von der generellen Gegenwart Gottes. In einem allgemeinen Sinn kann man sagen: Gott ist überall gegenwärtig. Es gibt keinen Ort, an dem Gott nicht wäre (Ps 139,7-12). Die besondere Gegenwart zeichnet sich nun dadurch aus, dass Gott nicht nur anwesend ist, sondern dass es zu einer intensiven Beziehung mit Gott kommt. Wenn Jesus also sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20), dann ist diese Gegenwart mehr als nur die Allgegenwart Gottes in der Welt. So wie Gott im Tempel bei seinem Volk wohnt, so wohnt Jesus bei denen, die sich in seinem Namen zum gemeinsamen Gebet versammeln. Eine biblische Theologie des Tempels hilft uns, besser zu verstehen und zu erkennen, was im Gottesdienst geschieht. Zugespitzt und knapp formuliert: Gott wohnt im Gottesdienst. Er ist in besonderer Art und Weise im Gottesdienst gegenwärtig. Der Gottesdienst ist der bevorzugte Begegnungsort zwischen Gott und seiner Gemeinde.

Mit diesen Überlegungen haben wir ein „großes Bild“ gewonnen, wie wir den Gottesdienst aus biblisch-theologischer Sicht verstehen können: Gottesdienst ist die Feier, in der der lebendige Gott seiner versammelten Gemeinde begegnet. Diese Begegnung erfolgt im wechselseitigen Dialog, in Wort und Antwort. Sie wird ermöglicht durch das Erlösungswerk von Jesus Christus und durch das Wirken des Heiligen Geistes. Die auf der Erde feiernde Gemeinde verbindet sich mit dem himmlischen Gottesdienst und dem Gottesdienst der weltweiten Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten. So wird im Gottesdienst „ein Stück Tempel“ Wirklichkeit: Gott wohnt unter uns. Vor diesem Hintergrund können nun einzelne Aspekte des Gottesdienstes weiter vertieft werden.

Kapitel 2Welche Elemente gehören dazu?

Wenn der Gottesdienst ein Dialog zwischen Gott und der Gemeinde ist, braucht es im Gottesdienst Elemente, die diesen Dialog ermöglichen. Bevor wir uns diesen kommunikativen Grundformen zuwenden (c-f), stellen wir uns einige grundsätzliche Überlegungen zur Freiheit der Gottesdienstgestaltung an (a-b).

a) Gottesdienst in der Freiheit des Evangeliums

Die Bibel schildert uns keinen vollständigen Gottesdienst und schreibt keinen genauen Ablauf vor. Ich halte das für sehr bedeutsam. Es gibt nicht die eine und einzig richtige Gestalt des Gottesdienstes. Das Feiern des Gottesdienstes erfolgt in der Freiheit des Evangeliums. Bevor Martin Luther die Gottesdienstordnung der „Deutschen Messe“ präsentiert, stellt er gleich am Anfang klar:

„Vor allen Dingen will ich gar freundlich gebeten haben, auch um Gottes Willen, alle diejenigen, die diese unsere Ordnung im Gottesdienst sehen oder befolgen wollen, ja kein notwendiges Gesetz daraus machen, noch jemandes Gewissen damit verstricken oder fangen; sondern sie, der christlichen Freiheit entsprechend, nach ihrem Gefallen gebrauchen, wie, wo, wann und wie lange es die Sache mit sich bringt und fordert.“3

Niemand soll also in Sachen Gottesdienst einen Zwang oder ein Gesetz aufstellen – das gilt auch für alle Überlegungen in diesem Buch. Deshalb gibt es in der weltweiten Christenheit auch so unterschiedliche Arten von Gottesdiensten. Es besteht die Freiheit, den Gottesdienst in unterschiedlichen Kulturen und zu unterschiedlichen Zeiten anders zu gestalten. Diese Freiheit ist nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln. Die Gestalt des Gottesdienstes richtet sich aber nicht nach einer bestimmten Vorlage, sondern nach der Frage, wie unter bestimmten kontextuellen Bedingungen möglichst gut zur Geltung kommen kann, was Gottesdienst ist.

b) Aus dem biblischen Zeugnis lernen

Nicht kopieren, sondern lernen

Einzelne Bibeltexte geben uns kleine Einblicke, wie die ersten Christen Gottesdienst gefeiert haben – besonders in der Apostelgeschichte und im Ersten Korintherbrief. Diese Bibeltexte bieten uns hilfreiche Orientierungen. Wir müssen uns aber bewusst sein: Wir können die Gottesdienste der ersten Christen nicht kopieren. Wir müssen es auch nicht. Wir wissen zu wenig, wie genau diese Gottesdienste ausgesehen haben. Und wenn wir versuchen wollten, genau auf die gleiche Art Gottesdienst zu feiern, würden wir die unterschiedlichen Kontexte missachten. Es geht daher nicht darum, die urchristlichen Gottesdienste zu wiederholen, sondern aus ihnen zu lernen.