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„Wenn man eines Tages mein Leben erzählt, würde man erkennen, wer ich wirklich bin.“ Grace Kelly. 1947: Gegen den Willen ihrer Eltern zieht die erst siebzehnjährige Grace nach New York, um zur Schauspielschule zu gehen. Sie taucht ein in das schillernde Leben Manhattans und muss hart darum kämpfen, eine gute Schauspielerin zu werden. Gegen den Widerstand der mächtigen Männer der Filmbranche und trotz der gesellschaftlichen Erwartung an die junge Frau, sich zu fügen, gelingt es Grace, sich treu zu bleiben und dennoch eine Legende der Leinwand zu werden. In der Liebe indes scheitert sie immer wieder – bis sie Rainier begegnet, dem Fürsten von Monaco … Ein großer Roman über die Ikone Grace Kelly: Muse, Star und bedingungslos Liebende
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Seitenzahl: 330
»Wenn man eines Tages mein Leben erzählt, würde man erkennen, wer ich wirklich bin.« Grace Kelly.
1947: Gegen den Willen ihrer Eltern zieht die erst siebzehnjährige Grace nach New York, um zur Schauspielschule zu gehen. Sie taucht ein in das schillernde Leben Manhattans und muss hart darum kämpfen, eine gute Schauspielerin zu werden. Gegen den Widerstand der mächtigen Männer der Filmbranche und trotz der gesellschaftlichen Erwartung an die junge Frau, sich zu fügen, gelingt es Grace, sich treu zu bleiben und dennoch eine Legende der Leinwand zu werden. In der Liebe indes scheitert sie immer wieder – bis sie Rainier begegnet, dem Fürsten von Monaco …
Ein großer Roman über die Ikone Grace Kelly: Muse, Star und bedingungslos Liebende
Über Sophie Benedict
Sophie Benedict ist das Pseudonym der Bestsellerautorin Steffi von Wolff. Die 1966 bei Frankfurt geborene Journalistin war jahrelang als Moderatorin und Redakteurin beim Radio tätig.
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Sophie Benedict
Grace und die Anmut der Liebe
Roman
Inhaltsübersicht
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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
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Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Filmographie
Fernsehen:
Kino:
Auszeichnungen:
Literatur und Quellen
Impressum
Philadelphia, 1941
Gespannt beobachtete Grace, wie der hohe Bücherstapel auf dem Kopf ihrer Freundin Selina kaum wackelte. Würde es ihr diesmal gelingen, ihn dort oben zu behalten? Stolz lief Selina in den viel zu großen Absatzschuhen, die sie heimlich von ihrer Mutter ausgeborgt hatte, auf und ab.
»Sehr gut«, lobte Grace sie. »Und nun sag mir, dass du dich scheiden lassen willst. Du hast genug von mir und meinem Jähzorn, außerdem …«, ihre Stimme wurde leiser und nahm einen verzweifelten Ton an, »… habe ich eine Affäre mit deiner besten Freundin.«
»Harry!«, rief Selina theatralisch und hob beide Arme Richtung Decke. »O Harry, o …«
»Text!«, rief Grace. »Wo bleibt dein Text?«
»O Harry …« Selina ließ die Arme sinken. »Wie geht der noch mal?«
Grace musste gar nicht auf ihre Notizen sehen. »›Es ist vorbei. Ich verlasse dich, Harry! Genug der Höflichkeiten – ich gehe!‹«
Selina drehte sich abrupt zu Grace um, woraufhin alle neun Bücher von ihrem Kopf und mit lautem Gepolter auf den hölzernen Dielenboden fielen.
»Selina, du musst dich kontrolliert bewegen, aufrecht«, sagte Grace. »Die Bücher sollen auf deinem Kopf bleiben. Dafür sind sie da.«
»Ich verstehe nicht, warum ausgerechnet ich gehen soll«, erklärte Selina und setzte sich auf die alte Aussteuertruhe von Graces Mutter. »Schließlich war er es, der mich betrogen hat. Wieso muss er denn nicht unser gemeinsames Haus verlassen?«
»Das ist an dieser Stelle nicht wichtig«, sagte Grace. »Darum geht es nicht, sondern darum, dass du glaubwürdig wirkst. Dass deine Wut auf ihn nachvollziehbar wird, dass du verletzt bist wegen all der Dinge, die er dir angetan hat. Meinetwegen sag ihm, dass er gehen soll. Und nun leg die Bücher auf deinen Kopf und probier es noch mal.«
»Ach, weißt du, Grace«, sagte Selina und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich lasse es bleiben. Aus mir wird nie eine Schauspielerin werden. Ich habe immer Probleme, mir den Text zu merken, und irgendwie komme ich mir die ganze Zeit albern vor.«
Grace zog die Augenbrauen hoch. »Albern? Selina, was gibt es denn Schöneres, als jemand anderen zu spielen, jemand anderes zu sein, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist?«
»Das sage ich dir: Lesen finde ich schöner. Oder malen«, sagte Selina. »Daddy hat mir erst kürzlich neue Aquarellfarben geschenkt. Da sind so schöne Grüntöne dabei, und ich habe mir überlegt, dass …«
Grace sprang auf und stellte sich kerzengerade hin, dann ging sie mit kurzen, kräftigen Schritten durch den Raum.
»Harry!«, rief sie durchdringend. »Wo bist du, Harry?« Sie drehte sich um, und ihr Blick schien sich auf ihren abtrünnigen Ehemann zu richten. »Nun, es ist Zeit, dass wir miteinander reden. Es ist vorbei, Harry … nein, endgültig. Komm mir nicht zu nahe, bei Gott, ich schwöre, dass ich schreie! Ich ertrage es nicht mehr. Ich verlasse dich, ich gehe. Werd glücklich mit Maureen … Ja, ich weiß es. Ihr habt mich lange genug an der Nase herumgeführt! Aber nun ist endgültig Schluss. Harry … Nein, nicht … Warum kniest du denn nieder? … Steh auf, steh doch auf …«
Nun sank Grace auf die Knie. »Ich verzeihe dir, Harry … Ich … ich liebe dich auch. Wie könnte ich mich dagegen wehren.«
Selina saß mit offenem Mund da und staunte, welche Verwandlung mit ihrer Freundin geschah. Sie sah Tränen über Graces Wangen laufen, sah, wie sich ihre Züge erst verhärteten und dann wieder weicher wurden, beobachtete fasziniert die Veränderungen in Graces kindlichem Gesicht, das doch auf einmal das einer erwachsenen Frau zu sein schien.
»Wie machst du das nur?«, fragte sie die Freundin.
Grace stand auf, strich das blonde Haar hinter die Ohren und wischte die Tränen fort. »Ich weiß nicht, es kommt einfach. Als wäre ich in diesem Moment nicht ich selbst, sondern jemand anderes.«
Die Mädchen hatten irgendwann angefangen, gemeinsam Dialoge zu schreiben, kleine poetische Szenen und Geschichten, aber spielen konnte Grace sie um so vieles besser. Sie liebte es einfach, in diese Rollen zu schlüpfen, den Figuren und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Selina wohnte ganz in der Nähe. Grace und sie hatten sich eines Sommernachmittags beim Spielen kennengelernt, und seitdem waren die Mädchen, sie waren beide zwölf Jahre alt, Freundinnen. Selinas Vater, Paul Clayton, ein schwerreicher Industrieller, war selten zu Hause. Die Mutter lebte mit ihren beiden Töchtern und den Hausangestellten in der opulenten Villa, hielt sich jedoch meist in ihrem Schlafzimmer und dem angrenzenden Salon auf, während Selina und Grace auf dem Dachboden herumturnten und sich Geschichten ausdachten.
»Du bist einfach wunderbar«, sagte Selina nun bewundernd und seufzte. »Aber ich muss jetzt nach Hause. Mein Vater kommt heute, und ich muss pünktlich sein. Mom geht es nicht gut.«
»Was hat sie denn?«, fragte Grace und setzte ihre Brille ab, um sie mit einer Ecke ihrer Bluse zu putzen.
»Mrs. Treville sagt, sie habe ›Zustände‹«, erklärte Selina ernst.
»Was denn für ›Zustände‹?«
»Zustände eben, was man so hat, wenn man alt wird.«
Selinas Mutter war vor einem Monat zweiunddreißig Jahre alt geworden, wenn man jedoch dem Gerede der Nachbarn glauben wollte, sah sie aus wie fünfzig. Vor allem Mrs. Treville redete darüber. Sie war die Schlange in der Nachbarschaft, die scharfzüngige Klatschbase von Philadelphia, eine ungefähr sechzigjährige Witwe, die in ihrem Riesenhaus mit prachtvollen Säulen und großer Veranda residierte wie eine Königin.
»Das Haus von Mrs. Treville sieht aus wie das Gut Tara in Vom Winde verweht«, meinte Selina immer, die den Film vor zwei Jahren im Kino gesehen hatte und die ganzen vier Stunden lang wie gebannt gewesen war.
»Vivien Leigh ist so unglaublich schön, ich wollte, ich würde so aussehen wie sie«, sagte sie nun. »Jedenfalls behauptet Mrs. Treville, solche Zustände seien normal, aber Mommy benehme sich auch sonst komisch. Angeblich hat sie Mrs. Treville einmal die Tür vor der Nase zugeschlagen, weil diese uneingeladen vorbeigekommen sei und gefragt habe, warum Mommy das Haus nie verlässt. Na ja, sie weiß es doch selbst – Zustände eben.«
Grace dachte an ihre eigene Mutter. Die hatte nie Zustände, Margaret war immer gleich unnahbar. Graces Mutter war stets diszipliniert und meist ernst, und sie lachte selten.
Sie begannen ihre Sachen zusammenzupacken, und Selina verstaute die roten Lederstöckelschuhe in einer mitgebrachten Tasche.
»Sehen wir uns morgen?«, fragte sie, aber Grace schüttelte den Kopf.
»Morgen muss ich für die Schule lernen, danach habe ich Tennisunterricht und später noch Ballett.« Sie setzte ihre Brille wieder auf. Grace hasste ihre Kurzsichtigkeit ebenso sehr wie ihre Brille. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie lieber die Augen zusammengekniffen und alles verschwommen gesehen, anstatt das so verhasste Gestell aufzusetzen. Ihre Mutter zwang sie jedoch, die Brille zu tragen – ohne dass sie dabei ein einziges Wort hätte verlieren müssen. Wenn Margaret Kelly sich aufrichtete, die Augenbrauen hochzog und tief einatmete, dann wusste man, es war besser, keine Diskussion anzufangen.
»Und übermorgen?«, fragte Selina, aber wieder schüttelte Grace den Kopf.
»Da werde ich mit meiner Schwester zum ersten Mal zu den Proben bei den Old Academy Players gehen, der Theatergruppe von East Falls«, erzählte sie aufgeregt. »Unsere Eltern haben uns erlaubt, dort zu spielen. Ich freue mich schon so, und Peggy geht es genauso.« Graces Augen strahlten hinter den Brillengläsern. Wäre es nach ihr gegangen, würde sie den ganzen Tag lang in neue Rollen schlüpfen. Es gab so viele Facetten und Gefühle, die man ausdrücken konnte, und Grace hatte unbedingt vor, sie alle darstellerisch zu erkunden.
So lange, bis es ihr gelänge, ihren Vater endlich einmal stolz auf sie zu machen.
Denn das war es, was sie sich sehnlich wünschte. John Kelly war ein überaus direkter, tatkräftiger Mann. Als Ruderer hatte er beeindruckende Erfolge erzielt, ja sogar olympische Medaillen gewonnen, und was ihn begeisterte, waren weniger die schönen Künste, sondern handfeste sportliche Triumphe. Und während seine drei anderen Kinder diese Erwartungen erfüllten, fand er zu seiner zarten, zurückhaltenden und oft kränklichen zweiten Tochter keinen Zugang. »Warum heult Grace denn jetzt schon wieder?« war ein Satz, den sie nicht selten von ihrem Vater hatte hören müssen.
Manchmal, wenn sie allein war, spielte sie sich selbst und dann ihren Vater, wie er sie liebevoll umarmte und ihr sagte, was für eine wunderbare Tochter sie sei. Grace liebte diese Phantasie, die ihr ganz allein gehörte. Ein paarmal schon hatte sie sich in ihrem Spiel so verloren, dass sie vergaß, pünktlich zum Essen zu erscheinen, und dann war der Vater alles andere als liebevoll gewesen.
Aber das störte Grace in diesen Augenblicken nicht; der Gedanke, später in ihre Traumwelt zurückkehren zu können, war ihr Halt und freudige Verheißung zugleich.
Philadelphia, 1947
»Was soll mir denn passieren, Daddy?«, fragte Grace, wobei sie versuchte, sich zu beherrschen, denn emotionale Ausbrüche kamen bei ihrem Vater gar nicht gut an. Doch selten war es ihr so schwergefallen wie in diesem Moment – denn hier ging es um alles.
Ihr Vater war es gewohnt, dass die Dinge so liefen, wie er es sich vorstellte, dafür hatte er hart gearbeitet. John Kelly war der Zweitjüngste von neun Geschwistern und wusste, was es hieß, sich durchzubeißen – er hatte sich vom Maurer zum erfolgreichen Unternehmer hochgearbeitet: Kelly for Brickwork erwirtschaftete schon in den 1920er Jahren einen Millionenumsatz. Von seinen Töchtern erwartete er Respekt und unbedingte Disziplin, vor allem aber, dass sie taten, was er verlangte. Er war es nicht gewohnt, ein Nein oder sonstige Widerworte von ihnen zu hören.
Sie saßen zu Hause beim Abendessen. Gemeinsame Mahlzeiten wurden in der Familie Kelly genauso ernst genommen wie der Sport. John und seine Frau Margaret hatten ihre Kinder von klein auf zum Sporttreiben animiert, und so spielte Grace zwar Tennis, schwamm oder spielte Hockey, ihre athletischen Leistungen blieben jedoch bescheiden, und am liebsten hatte sie immer Ballett getanzt.
»Was passieren kann, wenn du allein in eine Stadt wie New York gehst?«, polterte John Kelly los. »Das fragst du nicht wirklich, Gracie. Wie alt bist du? Gerade mal siebzehn Jahre. Wir haben nicht so viel Wert auf deine Schulbildung gelegt, damit du nun Schauspielerin wirst. Du sollst einen passenden Mann fürs Leben finden und heiraten, Gracie – und nicht deine Zeit vertun.«
»Aber … Daddy, immer wenn ich in der Schule gespielt habe, waren alle begeistert – auch du«, sagte Grace, die vor Entrüstung keinen Bissen von ihrem Essen hinunterbekam. »Und wenn es nun einmal das ist, was ich kann, Daddy?«
Der Vater legte den Löffel beiseite. »Gracie. Eine Aufführung in der Schule bedeutet doch gar nichts.«
»Und was ist mit dem Stück von Onkel George? Weißt du nicht mehr, wie beeindruckt ihr alle von meiner Vorstellung wart?« Ihr Onkel George, Johns Bruder, hatte ein Bühnenstück geschrieben. The Torch-Bearers, die Fackelträger, und Grace wusste, dass sie gut gewesen war. Besonders stolz war sie auf die Worte des Rezensenten einer Lokalzeitung: »Es macht ganz den Eindruck, als würde Grace Kelly auf der Bühne zum Fackelträger ihrer Familie.«
»Gracie, du sitzt nicht gerade, wie oft soll ich es dir noch sagen?«, entgegnete ihre Mutter Margaret bloß – kühl, beherrscht, distanziert wie immer. Grace wusste gar nicht mehr, wann sie sich ihr das letzte Mal nahe gefühlt hatte. Ob es das überhaupt je gegeben hatte.
Sie saßen zu sechst an dem großen Esstisch. John, seine Frau Margaret, Grace und ihre Schwestern Peggy und Lizanne sowie John, Graces Bruder, der an der Pennsylvania University studierte.
»Entschuldige, Ma«, sagte Grace automatisch.
»Iss bitte, Gracie. Du hast noch nichts angerührt. Lizanne, du weißt, dass man den Löffel zum Mund führt und nicht umgekehrt.«
»Entschuldige, Ma«, sagte nun Lizanne automatisch. Sie war vier Jahre jünger als Grace, und auch sie wagte keinen Widerspruch. Graces ältere Schwester Peggy, die gerade zu Besuch war, zuckte ebenfalls zusammen. Sie stand immer noch unter der Fuchtel ihrer Mutter, wenn sie nach Hause kam, obwohl sie selbst schon ein Kind hatte. Stocksteif saß sie da, in Erwartung der nächsten harschen Kritik ihrer Mutter. Lange warten musste sie nicht.
»Peggy, leg den Löffel anständig am Tellerrand ab. Ich …«
»Es kommt jedenfalls überhaupt nicht infrage.« John Kelly war nun weder laut noch unbeherrscht, sondern sehr leise. Das war stets ein schlechtes Zeichen.
Grace seufzte. Es war noch nie einfach mit ihren Eltern gewesen. Selbst jetzt, mit fast achtzehn, fühlte sie sich in ihrer Gegenwart noch wie ein kleines Kind, das nichts von der Welt verstand und beständig gemaßregelt werden musste. Und sie hatte immer gehorcht, obwohl sie manchmal am liebsten laut geschrien hätte, wenn sie etwas ungerecht gefunden hatte.
Grace kostete von der Suppe, ohne etwas zu schmecken. Sie wollte nach New York, unbedingt. Sie wollte Schauspielerin werden, zumindest musste sie es versuchen – selten war sie sich einer Sache so sicher gewesen. Und so einfach würde sie sich diesen Traum nicht nehmen lassen.
»Jeder sagt, dass ich Talent habe«, versuchte sie es nun. »Ihr könntet doch stolz darauf sein. Auf mich.«
»Da gibt es andere Dinge, auf die ich stolz wäre«, sagte ihr Vater, und Grace wusste genau, dass er damit die sportlichen Erfolge meinte, wie sie ihre Geschwister in steter Regelmäßigkeit vorweisen konnten. »Und nun ist Schluss mit diesem Thema«, sagte er.
»Aber …«, fing Grace an, wurde jedoch von ihrer Mutter unterbrochen.
»Du hast gehört, was dein Vater gesagt hat, Gracie. Es reicht. Jetzt wird gegessen.«
Grace fragte sich, wie lange sie noch darauf warten sollte, bis ihr Leben begänne. Und dann war da auf einmal diese Idee – sollte sie sich vielleicht ohne die Zustimmung ihrer Eltern bewerben? Einfach so, ganz ohne Erlaubnis? Ein bislang unbekanntes Gefühl machte sich in ihr breit. Es hatte nichts mit Gehorsam oder Disziplin oder den Dingen, die man ihr in ihrer Familie beigebracht hatte, zu tun, nein, es war anders. Sie wusste nicht, dass es ein Gefühl war, das wohl jeder junge Mensch kennenlernte, der an der Schwelle zum Erwachsenenleben steht und zum ersten Mal zum Greifen nahe vor sich sieht, was er sich bislang nur vage vorgestellt hat: ein eigenes Leben ohne Bevormundung und Regeln, ohne jemanden vorher um Erlaubnis fragen zu müssen – Freiheit. Ein Flirren zog durch Graces Körper, aber da war natürlich auch die Ungewissheit. Wie würde das Leben jenseits dieser Schranken werden?
Graces Mutter sah ihre Tochter mit diesem Blick an, den sie immer hatte, wenn ihr etwas nicht passte.
»Du wirst nichts ohne unsere Zustimmung tun, Gracie, hast du mich verstanden?«
»Sicher, Ma«, nickte Grace automatisch. Dennoch dachte sie weiter darüber nach, was wohl werden könnte, wenn man sie ließ.
»Gib acht, dass du nicht kleckerst, Gracie.«
»Entschuldige, Ma.«
Margaret goss sich Wasser nach. Sie sah wie immer tadellos aus. Ein enger beigefarbener Rock und eine weiße Bluse, eine lockere Strickjacke in Dunkelgrau und die Haare zu einem Knoten frisiert. Margaret benutzte kaum Make-up und verlangte dasselbe von ihren Töchtern. Sie pries Natürlichkeit; grelle Farben, egal ob für Kleidung oder Kosmetik, waren ihr ein Gräuel.
Grace liebte ihre Mutter, aber sie hatte auch einen Heidenrespekt vor ihr. Die deutsche Herkunft von Ma war den Kindern nie geheuer gewesen. Sie kannten dieses Land nicht, in dem einst ein Kaiser regiert hatte und in dem Zucht und Ordnung so viel galten, und es war ihnen auch unheimlich. Wenn sich ihre Mutter mal wieder von ihrer distanzierten Seite zeigte, nannten ihre Kinder sie daher »den preußischen General«.
»Gracie«, sagte ihr Vater nun. »Im Bennington College bist du nun einmal nicht aufgenommen worden – und eine Kelly fällt nicht durch eine Aufnahmeprüfung, ich bitte dich. Immerhin hättest du nicht nur die Tanzausbildung absolvieren, sondern auch studieren können. Du solltest mehr aus deinem Leben machen, und die Sache mit New York ist nichts als ein Hirngespinst.«
»Das ist kein Hirngespinst.« Grace war nun ganz ruhig, das würde sie nicht auf sich sitzenlassen. »Es ist das, was ich mir für mein Leben wünsche. Davon abgesehen bin ich in Bennington nicht aufgenommen worden, weil inzwischen so viele junge Männer aus dem Krieg zurückgekommen sind und ihre Studien fortsetzen wollen. Deswegen war dort so ein Andrang, und natürlich sind es die Mädchen, die zurückstecken sollen. Bennington hat einfach die Anforderungen an die Bewerber erhöht: Zwei Jahre Mathematik statt einem, das wisst ihr genau. Und ich hatte eben nur ein Jahr Mathe belegt und wurde deshalb abgewiesen. Nicht, weil ich nichts konnte.« Sie war so wütend.
»Vielleicht wäre Gracie ja dick wie eine Kuh geworden, wenn sie nach Vermont gegangen wäre, da gibt’s doch so viele Kühe«, sagte Lizanne und kicherte. Sie war dreizehn Jahre alt und kicherte im Moment über alles. Grace warf ihr einen wütenden Blick zu.
»Vielleicht kann mir Onkel George bei der American Academy of Dramatic Arts weiterhelfen«, sagte sie dann. »Das ist sowieso die beste Schule, wenn man Schauspielerin werden will.«
»Du hast gehört, was ich gesagt habe«, wiederholte John Kelly. »Ein für alle Mal: New York. Theater. Schauspielerei – nichts als Flausen sind das. Ich wünsche nicht, dass meine Tochter ein so unstetes Leben führt. Gracie, du sollst etwas Vernünftiges tun. Konzentriere dich lieber auf das Wesentliche, denk darüber nach, wie dein Werdegang sein könnte, damit er deiner Familie angemessen ist. Mit dem Thema Theater ist endgültig Schluss.«
Grace löffelte verbittert ihre Suppe. Aber so schnell würde sie nicht aufgeben. Sie mochte aussehen wie ein unschuldiger Engel, doch sie wusste, dass sie ausgesprochen zäh sein konnte. Und wenn sie etwas wirklich wollte, hatte sie es bisher auch immer geschafft.
* * *
Am nächsten Tag rief sie heimlich ihren Onkel in New York an und bat ihn um Hilfe. Schließlich ging es um ihr Leben, und sie hatte nicht vor, sich alles von ihren Eltern vorschreiben zu lassen.
Aber auch ihr Onkel hatte Bedenken. »Ich verstehe dich, Gracie«, erklärte er, »aber du stellst dir das zu einfach vor. Nicht jeder Schauspieler wird erfolgreich, das ist ein harter Job und schwer verdientes Geld.«
»Ich weiß aber, dass ich es schaffen kann – dass es das Richtige für mich ist«, sagte Grace. »Denk nur daran, wie ich in dem Stück gespielt habe, das du geschrieben hast. Weißt du nicht mehr, wie sehr ich euch alle überzeugt habe?«
»Gut, Gracie, ich werde sehen, was ich tun kann, auch wenn mir dein Vater wahrscheinlich den Kopf abreißt.«
»Das wird er schon nicht, Onkel George. Danke!«
New York, 1947
Barbizon Hotel for Women las Grace ehrfürchtig, als sie vor dem Gebäude stand.
Sie schaute sich um. Endlich war sie da – in Manhattan. Um sich herum sah sie all das Glitzern und Funkeln der Leuchtreklamen, hörte den Lärm, das Hupen der Autos, das Stimmengewirr der Menschen hier in der 63rd Street, ganz in der Nähe der Lexington Avenue.
Grace fühlte sich wie in einem Traum. New York lag nicht mehr als zwei Autostunden von Philadelphia entfernt, dennoch war es eine neue Welt.
Onkel George hatte seine ganze Überzeugungskraft spielen lassen, bis ihr Vater widerwillig zugestimmt hatte, Grace ziehen zu lassen.
»In einer Woche ist sie wieder da«, hatte er gesagt, und er hätte seine Tochter nicht mehr verletzen können als mit diesen Abschiedsworten.
Doch sie würde ihrem Vater beweisen, dass dies der richtige Weg für sie war.
Das Barbizon Hotel for Women war ein imposantes Backsteingebäude mit zweiundzwanzig Stockwerken. Der Eingangsbereich bestand aus einer Art Atrium, von dem die Treppen hoch in die Zimmer abgingen. Überall standen große Fächerpalmen. Hier wohnten nur junge Damen, und jeglicher Kontakt mit Männern war in der Pension für alleinstehende Frauen tabu, das wurden die Betreiber nicht müde zu betonen, so auch bei Grace. Hier herrschten strenge Gesetze, weshalb das Barbizon dafür bekannt war, den Müttern, die sich um ihre Töchter in New York sorgten, die Ängste zu nehmen. Man garantierte für einen makellosen Lebenswandel der Töchter, mitunter grimmig ausschauende Hausmütter bewachten alles, auch die Aufzüge in die Stockwerke, in denen die Privatzimmer der Mädchen lagen. Täglich um sieben Uhr morgens wurde kontrolliert, ob die Damen des Hauses die Nacht auch allein verbracht hatten.
»Keine Herrenbesuche«, sagte die Dame an der Rezeption nun streng, eine ältere, blasse Dame. Ihre Brille baumelte an einer langen Kette vor ihrer züchtig und bis zum Hals zugeknöpften gestärkten Bluse. Ihre Haare waren streng nach hinten frisiert und zu einem Knoten gebunden.
»Natürlich nicht«, erwiderte Grace und sah sich um. Die Einrichtung war neutral gehalten, hier erinnerte sie nichts an zu Hause, es gab nichts Vertrautes, was sie einerseits verunsicherte, andererseits war diese Andersartigkeit genau das, was sie gewollt hatte.
Würde sie die Herausforderung, hier in New York ihren Weg zu finden, bestehen?
»Und um Punkt zehn Uhr abends wird abgeschlossen«, betonte die Dame von der Rezeption.
»Aber natürlich«, sagte Grace und nahm ihren Koffer, um sich ihr Zimmer zeigen zu lassen.
Die Dame ging voran und drehte sich dann kurz um. »Sie sind aus Philadelphia, Kindchen, nicht wahr?«
»Ja«, nickte Grace.
»Das höre ich«, sagte die Dame. »Ich erkenne alle Dialekte, das lernt man hier mit der Zeit. Sie werden einiges damit zu tun haben, das loszuwerden. So sehr, wie Sie durch die Nase sprechen.«
Grace wurde rot und ärgerte sich. Was ging es diese Frau an, wie sie sprach? Sie beschloss, nicht zu antworten. Dazu hatte die Dame auch noch recht. Seit einer verschleppten Nasennebenhöhlenentzündung war ihre Aussprache nicht mehr so klar wie zuvor, und auch ihre Schulkameradinnen hatten sie bisweilen damit aufgezogen, dass sie angeblich redete »wie eine eingebildete Königin«.
»Da wären wir.« Die Frau schloss die Zimmertür auf. »Bitte sehr.«
Die Einrichtung des Zimmers war einfach, aber ordentlich: ein Bett, ein Schrank und ein Schreibtisch, Teppich, gemusterte Vorhänge und eine Kommode.
»Die einzigen Männer, die wir hier dulden, sind Ärzte, Elektriker, Klempner und sonstige nötige Handwerker. Falls im Foyer ein kleines Fest stattfindet, sind auch dort Herren zugelassen, allerdings müssen sie vorab mit Namen angemeldet werden. Wir haben die Verpflichtung, jegliche Verstöße gegen diese Regeln zu melden und zu ahnden – merken Sie sich das bitte.«
»Das werde ich«, sagte Grace freundlich und nickte der Dame zu, die nun endlich ging.
Grace blickte auf die Uhr. Halb sechs. In einer Stunde war sie mit Onkel George verabredet, und sie wollte sich noch frisch machen und einen Moment ausruhen – bevor sie den ersten Abend ihres neuen Lebens in New York verbringen würde.
Grace verließ pünktlich ihr Zimmer im Barbizon und stand nun zum ersten Mal abends allein auf einer New Yorker Straße, umgeben von spektakulären Häuserfluchten, ganz allein und bereit, ihrem neuen Leben entgegenzutreten. Sie war unendlich froh, dass die Eltern sie hatten ziehen lassen. Auf einmal fühlte Grace sich sehr erwachsen, obwohl sie erst in drei Monaten, am 12. November, achtzehn Jahre alt werden würde. In diesem Moment erschien ihr alles leicht und einladend. Sie war endlich in New York angekommen, jener großen, verheißungsvollen Stadt, die so voller Leben war. Fasziniert ging Grace an Geschäften vorbei, blieb vor einigen Schaufenstern stehen und bewunderte die neuen Hüte und Schuhe, die neuen Kleider und Jacken. Riesige Leuchtreklamen machten auf sich aufmerksam. Ein feines Raunen schien in der Luft zu liegen, das von all den Menschen kam, die unterwegs waren. Wenige gingen allein, viele zu zweit oder dritt oder noch mehreren, und man unterhielt sich auf seinem Weg zum Kino oder zum Dinner.
Autos hupten, Menschen riefen nach einem Taxi, lachten, begrüßten und verabschiedeten sich. Ein Geschäft oder Restaurant lag neben dem anderen, es war ein steter Trubel in den Straßen, der Grace ganz und gar in seinen Bann zog. Sie genoss es so sehr, sich umzuschauen, dass sie kaum bemerkte, wie die Geschäfte und Restaurants weniger wurden und sie offenbar in eine stillere Gegend gekommen war.
Grace ging ein paar Schritte zurück und schaute sich um. Die Straße war ihr nicht bekannt. Nun sah sie ein Schild. Sie befand sich in der First Avenue, was ihr überhaupt nichts sagte, und je weiter sie ging, desto mehr hatte sie das Gefühl, von ihrem Weg abzukommen. Irgendwann drehte sie um. So was Dummes. Sie hatte noch nicht einmal einen Stadtplan dabei.
Glücklicherweise war es noch nicht ganz dunkel, und Grace hoffte, dass die Straße, die sie jetzt entlangging, sie nicht ins Nirgendwo führte. Sie beschloss, einen älteren Herrn, der gerade seinen Hund ausführte, zu fragen, aber der Mann reagierte nicht. Grace wunderte sich über das Verhalten des Mannes und fragte sich, ob die Großstadtbewohner sich wohl nicht von Fremden ansprechen ließen. Dann lief sie weiter, war wütend auf sich selbst. Warum hatte sie vorher nicht mal nachgeschaut, wo genau das Restaurant war? Und Onkel George hatte auch noch gesagt, es liege quasi um die Ecke vom Barbizon. Sie war aber bestimmt schon zwei Meilen gelaufen, und mit einem Mal kam sie sich überhaupt nicht mehr erwachsen, sondern sehr dumm und unerfahren vor.
Grace blieb stehen und sah sich wieder um und lauschte, ob sie von irgendwoher Geräusche hörte. Aber da war nichts. Nur hin und wieder fuhr ein Auto vorbei. Sie ging die Straße entlang, schaute in jede Nebenstraße und hoffte, sich zurechtzufinden. Und auf einmal sah sie von Weitem eine der großen, beleuchteten Reklametafeln, die Wrigley’s Spearmint anpries, und sie wusste, dass sie endlich auf dem richtigen Weg war, denn sie erinnerte sich, wie sie diese blinkende Kaugummiwerbung beim Verlassen des Barbizon gesehen hatte.
Kurze Zeit später war Grace wieder beim Barbizon und blieb kurz kopfschüttelnd stehen, um sich zu sammeln. Und dann ging sie hundert Meter geradeaus, dann links, dann rechts, dann wieder links, so wie Onkel George es ihr erklärt hatte, ohne sich vom pulsierenden Leben in New Yorks Straßen ablenken zu lassen.
* * *
»Wann ist dein Vorsprechen?«, wollte ihr Onkel wissen, nachdem sie sich vor dem Restaurant begrüßt und drinnen Platz genommen hatten.
»Übermorgen«, erklärte Grace mit vor Aufregung glänzenden Augen. »Am Zwanzigsten. Ich kann es kaum abwarten. Tante Marie hat ein gutes Wort bei Mr. Diestel eingelegt.« Marie Magee war eine Freundin ihrer Mutter Margaret, die Schauspielerin war und ihre Beziehungen hatte spielen lassen, um Grace das Vorsprechen bei der berühmten American Academy of Dramatic Arts zu organisieren.
Emil Diestel war der Sekretär des Verwaltungsrats, und Tante Marie hatte sich direkt an ihn gewandt, um Grace zu helfen. Diese hatte ihr erzählt, dass die Einschreibungsliste schon voll sei, nicht einmal die nächste Eleonora Duse würde dieses Jahr noch einen Platz bekommen. So hatte man es ihr zumindest erzählt.
»Du hast Glück«, sagte George. »Wahrscheinlich hat sie den armen Diestel so unter Druck gesetzt, dass er gar nicht anders konnte. ›Das arme Kind, Mr. Diestel, erbarmen Sie sich ihrer!‹« Er hob beide Arme gen Himmel und verdrehte die Augen.
»Nein!«, lachte Grace. »Sie hat wohl eher erzählt, dass du mein Onkel bist«, gestand sie. »Der berühmte Pulitzer-Preisträger und Theaterautor, was auch eine Rolle gespielt haben dürfte. Jedenfalls sagte Tante Marie, sie habe ihr Bestes gegeben. Und übermorgen kann ich endlich beweisen, was ich kann. Ich freue mich schon darauf, es Mom und Dad zu sagen. Dass ich aufgenommen werde.« Sie war sich so sicher, dass es gelingen würde, dass George lachen musste.
»Wir werden sehen«, versuchte er, sie zu mäßigen. »Freu dich nicht zu früh. Beziehungen hin oder her, letztlich kommt es auf deine Leistung an, Gracie. Und nun wollen wir bestellen. Heute ist unser erster gemeinsamer Abend in New York, und es wird gefeiert.« Er winkte den livrierten Kellner herbei, der nach ihren Wünschen fragte, und George, der sich in Restaurants der gehobenen Klasse stets zu Hause fühlte, orderte eine Flasche Dom Pérignon und die Speisekarten.
Grace sah sich in dem opulent eingerichteten Lokal um, das selbstverständliche Eleganz und puren Luxus verströmte. Dicke orientalische Teppiche in dunklen, satten Farben dämpften die Schritte, dunkelgrüne Samtvorhänge umrahmten die Sprossenfenster, kleine, runde Louis-seize-Tische und gemütliche Stühle aus Mahagoni und schwarzer Esche luden zum Essen ein. Als der Kellner ihnen dann noch den Champagner in die funkelnden Kristallgläser goss, fühlte Grace sich endgültig wie eine Königin in einem Palast. Mitten im Raum hing ein riesiger, funkelnder Kronleuchter an der Decke, dessen unzählige echte Kerzen ein wunderbar gedämpftes Licht verbreiteten, und an einem großen, schwarz glänzenden Flügel saß ein Pianist und spielte ein wundervolles Stück von Chopin.
Dankbar lächelte sie ihren Onkel an.
Der nahm Graces Hand. »Wie fühlst du dich?«
»Ich bin sehr aufgeregt«, gestand Grace mit roten Wangen.
Sie trug ein schlichtes dunkelblaues Kleid und Perlenohrringe, was ihre Augen wie Saphire strahlen ließ. Sie war kaum geschminkt, nur einen Hauch roséfarbenen Lippenstift hatte sie aufgetragen. Eigentlich hätte Grace gern ihren dunkelroten benutzt, den sie sich heimlich für New York gekauft hatte. Aber dann erklang die Stimme ihrer Mutter in ihrem Ohr: »Weniger ist mehr, Gracie.« Und sie hatte sich für den braven, unauffälligen in Rosé entschieden.
»Das glaube ich dir«, sagte George und betrachtete seine Patentochter, die er eine ganze Weile nicht gesehen hatte. Sie war schön geworden. Ihr blondes, glattes Haar trug sie halblang, und ihrer Figur sah man an, dass sie stets viel Sport getrieben und Ballettstunden genommen hatte. Grace bewegte sich mit natürlicher Anmut und Eleganz, sie war eine junge Frau, die wusste, dass das Leben vor ihr lag, und die fest entschlossen schien, ihren Weg durch diese Welt zu finden.
Er hoffte sehr, dass sie dabei erfolgreich wäre, und würde alles dafür tun, was in seiner Macht stünde. Deswegen hatte er sich auch bei seinem Bruder dafür eingesetzt, dass Grace in New York vorsprechen konnte. Alles Weitere würde man sehen. Vorerst war er froh, dass seine Nichte ihr Elternhaus verlassen hatte, dessen Strenge und Rigidität ihrer Entwicklung und ihrer musischen Begabung wohl kaum zugutekämen.
George hätte seinem jüngeren Bruder gern ein wenig Gelassenheit, Humor und Toleranz gewünscht, aber da biss er in steter Regelmäßigkeit auf Granit. Zu unterschiedlich waren er und John, zu groß die Gegensätze ihrer Lebenswelten. Während John ein Mann war, der mit den Händen arbeitete, tat es George mit dem Kopf, und das nicht ohne Erfolg, sonst hätte er 1926 nicht den Pulitzer-Preis für sein Stück Craig’s Wife erhalten.
George konnte sich gut vorstellen, wie schwer es Grace bei seinem Bruder hatte. Sie war einfach eine sensible junge Frau mit einem feinen Gespür für die schönen Künste, doch in ihrer Familie kam ihr, so hatte George es über die Jahre miterlebt, die Rolle des schwarzen Schafes zu. Keiner hatte je versucht, auf das Mädchen zuzugehen. Sie hatte ihm mal erzählt, dass sie als kleines Kind einst stundenlang in einem Wandschrank ausgeharrt hatte, in den die Schwestern sie gesperrt hatten, was keinem in der Familie aufgefallen war.
»Niemand hat mich vermisst«, hatte Grace gesagt. »So war ich es gewohnt, ich habe nie irgendjemandem gefehlt. Als Mom mich gefunden hat, war sie ganz erstaunt, dass ich im Dunkeln nicht geheult, sondern mit meinen Puppen gespielt habe.«
Gracie kommt nach mir, dachte George nun fast ein bisschen stolz. Er selbst hatte keine Kinder, obwohl er im Januar schon seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Doch er hatte nie geheiratet und war von Anfang an vernarrt in seine Patentochter gewesen. Dass er sich zu Männern hingezogen fühlte, hatte George nie an die große Glocke gehängt, aber auch nie ein Geheimnis daraus gemacht, und die Familie hatte notgedrungen akzeptiert, dass er eben »anders« war.
Für Grace war George einfach George, und sie liebte ihn. Ihr Onkel hatte feine Gesichtszüge, sein braunes Haar war stets nach hinten gekämmt, und er hatte die freundlichsten und tiefgründigsten Augen, die man sich vorstellen konnte. Er war ein kluger Gesprächspartner, der all ihre Fragen zu Politik und Weltgeschehen beantworten konnte – und, das bedeutete Grace am meisten, er nahm sie ernst und belächelte niemals ihre Träume und die Vorstellungen, die sie sich vom Leben machte.
Die Speisekarten kamen, und trotz des opulenten Angebots, das von getrüffelter Leberpastete über Lenden in Madeiracreme mit Butterreis oder Entrecote mit Butterbohnen und Pommes dauphine bis zu Heidelbeerstrudel mit Baiser und Zartbittermousse reichte, bestellte Grace, schon ganz New Yorkerin, wie George amüsiert feststellte, einen gemischten Salat mit gebratener Hühnerbrust, Essig und Öl natürlich extra. Der Dom Pérignon perlte verheißungsvoll in den geschliffenen Gläsern, und sie stießen an.
»Ich hätte nicht gewusst, mit wem ich meinen ersten Abend in New York lieber verbringen würde«, sagte sie. »Du machst mir eine große Freude, Onkel George. Ich bin dir so dankbar für alles, was du für mich getan hast.«
»Ich freue mich für dich, Gracie. Und das wird bestimmt nicht unser letzter Abend in New York sein, das verspreche ich dir.« Er beugte sich vor. »Und für einen alten Mann ist es doch immer schön, von anderen alten Männern beneidet zu werden.«
»Wieso beneidet?«, fragte Grace irritiert.
»Nun, weil ich mit der reizendsten jungen Dame des Restaurants an einem Tisch sitze«, lachte er. »Auf die Zukunft, Gracie. Auf dich!«
»Danke, das genügt.« Emil Diestel, seines Zeichens Sekretär des Kuratoriums der renommierten American Academy of Dramatic Arts, nickte Grace mit undurchdringlicher Miene zu. Sie beobachtete ihn, während er zu seinem Schreibtisch ging und sich in seinen Drehstuhl setzte, und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Wirkte er enttäuscht? Hatte sie sich etwa doch überschätzt?
»Bitte setzen Sie sich doch, Miss Kelly.«
Nervös nahm sie auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz und strich immer wieder ihren Rock glatt.
»Sie wissen, dass die Frist für die Bewerbung abgelaufen und das Auswahlverfahren bereits abgeschlossen ist.« Er verschränkte die Hände und sah Grace freundlich an.
Das verhieß nichts Gutes, dachte Grace, nickte jedoch freundlich. »Sicher, Mr. Diestel, das weiß ich, ich … ich hatte nur gehofft, Sie vielleicht trotzdem überzeugen zu können, mich aufzunehmen.«
Mr. Diestel lächelte förmlich, obwohl er seine Entscheidung längst getroffen hatte und sich sicher war, dass es eine Sünde wäre, diese junge Frau ziehen zu lassen.
Grace hatte erst eine Szene aus Die Fackelträger vorgetragen, dem Stück ihres Onkels, in dem sie schon einmal brilliert hatte, anschließend noch eine Passage aus Shakespeares Der Kaufmann von Venedig.
Mr. Diestel war ein erfahrener Mann mit einem jahrelang geschulten Auge für schauspielerischen Nachwuchs, und er hatte sofort erkannt, welches Potenzial in Grace steckte. Aber er sah auch, dass sie viel an sich arbeiten müsste, vor allem an ihrer Stimme, für die sie dringend Sprechtraining bräuchte. Dennoch war Grace Patricia Kelly eine vielversprechende Kandidatin mit einem solchen Ehrgeiz, wie er ihn selten bei einem Vorsprechen erlebt hatte, schon gar nicht bei einer so jungen Frau.
»Sie sind aufgenommen, Miss Kelly«, sagte er und brachte Grace damit zum Strahlen.
»O Mr. Diestel, ich danke Ihnen!« Sie sprang auf, rannte hinter den Schreibtisch und fiel ihm um den Hals. »Sie ahnen ja nicht, was das für mich bedeutet!«
Mr. Diestel reichte ihr noch die Unterlagen und Informationen zur Anmeldung, und schon tanzte die aufgeregte Grace aus der Academy. Emil Diestel sah ihr nach.
Grace Kelly sei eine junge Akteurin von sensiblem Temperament, schrieb er in seinem Aufnahmebericht, sie habe eine ausdrucksvolle, dramatische Begabung, sei intelligent, freundlich und lebhaft. Ihre Bühnenpräsenz sei sehr gut. Das einzige Manko sei ihre Stimme, die nasal und ungenau platziert war. Aber was er sah, das gefiel Mr Diestel. Ausgesprochen gut sogar.
Emil Diestel hatte das seltene Gefühl, einen ungeschliffenen Diamanten entdeckt zu haben. Nun lag es an ihr und ihren Lehrern, einen Brillanten daraus zu machen.
* * *
Als Grace aufgeregt ins Barbizon hineinstürmte, traf sie die achtzehnjährige Phyllis Lavalle, die mit einer anderen Bewohnerin des Hotel Barbizon, Laura Snyder, in der Bibliothek saß.
»Hi.« Grace warf ihre Jacke auf einen der Clubsessel. »Störe ich?«, fragte sie atemlos. Sie platzte fast vor Mitteilungsdrang. Nachdem sie die Academy verlassen hatte, war sie ohne Umwege zu einem öffentlichen Telefon gerannt, um Onkel George anzurufen, aber weder er noch Tante Marie waren zu Hause gewesen, und so hatte sie ihr Glück noch mit niemandem teilen können.
»Warum solltest du stören?«, antwortete Phyllis. »Nimm dir einen Tee. Wie war dein Vorsprechen?«
»Es war wunderbar«, schwärmte sie und setzte sich zu Phyllis und Laura. »Ich habe mit …«
Phyllis hob eine Hand, um sie zu unterbrechen. »Natürlich war es wunderbar, und ich wette, du bist angenommen worden, obwohl die Frist längst verstrichen ist, aber dank deiner guten Beziehungen und deines enormen Talents hat Mr. Diestel noch mal ein Auge zugedrückt. Und schon ist Grace in der Academy aufgenommen, während wir anderen Absagen erhalten haben und jetzt erst einmal bis spätabends in einem Diner oder einem Supermarkt schuften können, bis die nächsten Vorsprechtermine stattfinden – und ob wir da bestehen, steht in den Sternen. Und für dich, Grace, ist das alles auch noch ganz selbstverständlich.« Phyllis, eben noch so freundlich, blitzte sie nun mit funkelnden Augen an.
Grace wusste kaum, wie ihr geschah, und begann erschrocken, sich zu rechtfertigen. »Mein Onkel hat mir zu dem Termin verholfen, ja, aber Mr. Diestel hätte mich bestimmt nicht aufgenommen, wenn mein Vorsprechen schlecht gewesen wäre. Er würde sich doch niemanden in die Academy holen, der kein Talent hat.«
Phyllis lachte schnaubend auf. »Hörst du, Laura? Grace hat Talent, wir offenbar nicht. Na ja, wir haben ja auch keinen Onkel mit einem Pulitzer-Preis und eine schauspielernde Tante, die in New York alle wichtigen Leute kennt.«
»Was hat das denn damit zu tun?«, fragte Grace nun aufgebracht. »Glaubt mir, ich …«
»Ist schon gut, Grace«, sagte Laura. »Uns war jedenfalls klar, dass du sowieso aufgenommen wirst. Na dann, herzlichen Glückwunsch.« Dann blätterte sie ostentativ in einem Modemagazin auf ihrem Schoß.
Grace, die sich darauf gefreut hatte, ihre Freude mit jemandem zu teilen, stand auf. »Vielen Dank für eure Anteilnahme«, sagte sie nun und hoffte, nicht so verzweifelt zu klingen, wie sie es war, sondern lediglich reserviert.
Sie nahm ihre Jacke und lief mit raschen Schritten aus der Bibliothek, schaffte es gerade noch in ihr Zimmer, dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen und fing an zu weinen. Wie konnte es sein, dass für sie ein Traum in Erfüllung ging und ihr das von den anderen Mädchen so geneidet wurde?
Sie, Grace, hätte sich über den Erfolg von Phyllis und Laura gefreut. Sie hielt kurz inne und putzte ihre Nase.