Grand Hotel Wunder (Band 2) – Bei Liebeskummer hilft Magie! - Katharina Schöde - E-Book

Grand Hotel Wunder (Band 2) – Bei Liebeskummer hilft Magie! E-Book

Katharina Schöde

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Beschreibung

Charlie, Paulina und Mia sind die "Wunder-Mädels" – sie leben alle drei mit ihren Familien bei der exzentrischen Lady Lou im Grand Hotel Wunder. Dabei ist in dem vornehmen Luxushotel am See nichts so, wie es von außen scheint, und die drei Freundinnen machen es sich zur Aufgabe, jedem Spuk auf den Grund zu gehen. Die Münzen aus dem Wunschbrunnen sind verschwunden, und nun verkehren sich nicht nur alle Wünsche ins Gegenteil, sondern der magische Hüter der Münzen droht auch noch, das Grand Hotel zu überfluten! Mia hat derweil noch ganz andere Probleme, denn plötzlich taucht in ihren Träumen immer wieder ein hübscher Meerjunge auf … ob Träume real werden können?

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Seitenzahl: 269

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Inhalt

1 Geisterturnierparty

2 Wunschbrunnenwünsche

3 Herzflummigold

4 Sommernachtsmagie

5 Raubritterschatztruhe

6 Tauchverhinderungszauber

7 Unterwasserkussversuch

8 Orakelfroschrätsel

9 Wunschumkehrungstragödie

10 Wassergeistrache

11 Mondscheinoffenbarung

12 Unterwassershowdown

13 Vorläufiges magisches Endergebnis

14 Bienenstichgeheimnis

1

Geisterturnierparty

»Hey, wach auf! Ich hab-hicks eine Überraschung!«

Lorie schwebte zu Mias Bett hinunter und hauchte sie mit ihrem eisigen Atem an. Verschlafen und fröstelnd öffnete Mia die Augen. Sie war es gewohnt, dass das kleine Gespenstermädchen sie nachts in ihrem Zimmer besuchte – aber eigentlich hatte Lorie versprochen, Mia nur im absoluten Notfall zu wecken.

»Is was passiert?«, murmelte Mia schlaftrunken und versuchte, die Kälte abzuschütteln, die Lorie mitbrachte.

»Nein, also doch, aber n-hicks Schlimmes«, antwortete Lorie. Es war nichts Neues, dass sie an ständigem Schluckauf litt. Aber Mia bemerkte, dass ihre Geisterfreundin gar nicht so traurig und niedergeschlagen klang wie sonst – und das machte sie neugierig.

»Was denn dann?«

»Du wirs-hicks staunen.«

»Lorie, jetzt sag schon!«, flehte Mia im Flüsterton. Sie wollte ja nicht, dass ihre Mutter etwas von dem nächtlichen Besuch mitbekam.

»Es wird etwas ganz Besond-hicks-eres geschehen, und ihr seid alle einge-hicks-laden.«

»Eingeladen? Wozu???«

Diese Geheimnistuerei machte sie total hibbelig! An Weiterschlafen war nicht mehr zu denken. Also setzte sie sich auf und zog sich trotz der warmen Sommernacht die Decke bis zum Hals.

»Lorie! Jetzt sag schon!!!«

Doch Lorie ließ sie zappeln. Sie schwebte ans Fußende des Bettes und zog ganz langsam etwas aus ihrem silbrig glitzernden Umhang. Es war so dunkel, dass Mia nicht erkennen konnte, um was es sich handelte. Also schaltete sie die Lichterkette über ihrem Bett ein. Nun sah sie, dass Lorie drei alte Papierrollen in der Hand hielt. Sie sahen aus wie antike Schriftstücke, zusammengehalten mit einem grünen Seidenband und verschlossen durch ein goldenes Siegel mit dem Frosch-Wappen des Hotels.

»WASISTDAS?«, fragte Mia lauter. Langsam wurde sie wirklich ungeduldig.

»Pssst!«, mahnte Lorie. »Es ist total-hicks geheim.«

Mia schnaubte. »Lorelei, wenn du mir nicht sofort sagst, was das ist, dann …«

»Was-hicks dann?«, schniefte Lorie und ließ den Kopf hängen. »Dann bin ich n-hicks mehr deine Freundin?«

O nein! Mia hatte vergessen, wie empfindlich das Gespenstermädchen war. Als sie sah, wie Lorie die Tränen die Wangen herunterliefen, bereute sie sofort, dass sie so heftig gewesen war. Sie war noch immer nicht dahintergekommen, was der Auslöser für Lories anhaltende Traurigkeit war, aber es tat ihr sehr leid, und sie hoffte, irgendwann einen Weg zu finden, sie davon zu befreien.

»Nein, nein, Lorie, entschuldige, so war das doch nicht gemeint. Natürlich bist du meine Freundin. Bitte, hör auf zu weinen. Ich bin doch nur so neugierig.«

Es war manchmal echt mühsam, mit übernatürlichen Wesen wie Lorie in Verbindung zu stehen. Doch natürlich auch ziemlich aufregend.

»Aber wenn du mich schon weckst, könntest du mir vielleicht auch sagen, was das ist? Sieht superspannend aus. Darf ich es bitte, bitte anschauen?«

Lorie seufzte theatralisch und hatte endlich ein Einsehen. Sie ließ eine der Schriftrollen zu Mia hinüberschweben. Mia schnappte danach und betrachtete ihren Fang. »Wow!«

In geschwungener Schrift stand ihr Name auf der Papierrolle:

»Was ist das?«

»Für dich. Mach es do-hicks auf«, schluchzte Lorie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von der Wange.

Behutsam löste Mia das Siegel, rollte das Schriftstück aus und las:

Bei den »Herrschaften« handelte es sich um die Gemeinschaft der Geister und Geisterinnen des Grand Hotels. Die meisten von ihnen hatte Mia bereits kennengelernt, trotzdem war sie sehr erstaunt über ihre Einladung.

»Eine Geisterparty? Hier im Hotel? Weiß Lady Lou davon?«

Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihre Großmutter, die rigorose Hoteldirektorin, einer solchen übernatürlichen Feierlichkeit zugestimmt hatte. Denn es war das oberste Gesetz des Hauses, dass die lebendigen Gäste nichts von den Geistern im Hotel mitbekommen durften. Und eine solche Wunderparty würde sicher nicht lautlos vonstattengehen, erst recht nicht, wenn dort auch noch ein Spukturnier veranstaltet wurde.

Mia runzelte die Stirn.

Doch Lorie beruhigte sie.

»Lady Lou hat es selb-hicks erlaubt. Dienstag Nacht sind keine Gäste im Hicks-otel, weil doch die Wasserleitung repariert wird. Also ha-hicks die Chefin ausnahmsweise erlaubt, ein Spuk-hicks-ball-Turnier zu veranstalten. Weil, deine Großmutter weiß schließlich, dass sie die Herrschaften bei Laune hicks-halten muss.«

»Superkrass«, war alles, was Mia dazu einfiel. Sie wohnte nun schon einige Monate mit ihrer Mutter im Grand Hotel Wunder, aber es gab immer noch Überraschungen.

»Sind Paulina und Charlie auch eingeladen?«, fragte sie Lorie. Denn ohne ihre beiden Freundinnen ging gar nichts.

»Ja, klaro, was denk-hicks denn du? Ihr drei gehört doch zusammen«, sagte Lorie mit gewohnt trauriger Stimme. Dann ließ sie die übrigen zwei Schriftrollen so schnell zu Mia hinübersausen, dass sie ihr gegen den Kopf knallten und auf ihre Bettdecke fielen.

»Aua!«

»’tschuld-hicks-gung!«, jammerte das Gespenstermädchen und drohte schon wieder in Tränen auszubrechen.

Mia betrachtete die Schriftstücke. Tatsächlich, es standen die Namen ihrer Freundinnen darauf:

Mia freute sich sehr auf das anstehende Geister-Event. Im Grand Hotel hatte sie das erste Mal im Leben echte Freundinnen gefunden – und damit war nicht nur das Gespenstermädchen Lorie gemeint. Paulina war immer gut gelaunt und voller genialer Ideen. Und Mias Cousine Charlie war nicht nur eine Sportskanone, sie war auch unglaublich mutig. Zusammen hatten sie die Geheimagentur Wunder gegründet. Ihr Tarnname lautete Chicas, das war Spanisch für »Mädchen«. Die Chicas waren eine Geheimbande, die sich mit der Erforschung aller mystischen und übernatürlichen Wesen, Ereignisse, Orte und Gegenstände rund um das Hotel befasste. Als Geheimagentinnen hatten die drei bereits unglaubliche Mysterien ans Licht gebracht und es sogar geschafft, einen echten Fluch aufzulösen. Dabei hatten sie Bekanntschaft mit den Geistern des Hauses gemacht und mit einigen von ihnen sogar erfolgreich zusammengearbeitet. Dass sie nun auf eine echte Gespensterparty eingeladen wurden, war also nur konsequent.

Trotzdem war Mia unglaublich aufgeregt. Denn dass es sich um eine übernatürliche und absolut magische Veranstaltung handelte, daran bestand kein Zweifel.

»Fantastico, aber was zieht man an zu einer Geisterparty?«, wollte Paulina von Mia wissen, als sie sich am nächsten Tag in ihrem Hauptquartier, dem vollgerümpelten Dachboden, trafen.

»Keine Ahnung, da steht: Wir bitten Sie, sich in Ihr schönstes Gewand zu kleiden …«

»Ich zieh ganz sicher nichts Vornehmes an«, erklärte Charlie, die in zerrissenen Jeans auf einer staubigen Kiste hockte. »Ich hab auch gar kein Gewand.«

»Gewand heißt einfach nur Kleid«, erklärte Mia.

»Kleid hab ich auch nicht«, antwortete ihre Cousine entschieden.

»Chicas, ich glaube, die meinen nur, dass wir etwas besonders Schönes anziehen sollen, weil es eine besondere fiesta ist«, versuchte Paulina, zwischen den beiden zu schlichten, und damit waren alle einverstanden.

Die Mädchen konnten es kaum erwarten herauszufinden, was sie auf der geheimen Wunderparty erwartete.

»Auf jeden Fall ist diese Spuk-Sause eine erstklassige Gelegenheit, die Spukenden des Hauses besser kennenzulernen und ihnen das ein oder andere Geheimnis zu entlocken«, erklärte Charlie – und da waren Mia und Paulina ganz ihrer Meinung.

Als Mia abends vor ihrem Kleiderschrank stand und überlegte, was wohl ihr schönstes Gewand sei, beschäftigte sie noch etwas anderes.

Es wird ein Spukturnier geben, bei dem Sie Ihre magischen Fähigkeiten unter Beweis stellen können, stand in der Einladung.

Doch die Chicas konnten weder spuken noch zaubern. Trotzdem war Mia aufgefallen, dass zumindest sie selbst eine besondere Fähigkeit besaß. Sie hatte es schon während ihres letzten magischen Abenteuers bemerkt. Die Geister, die ihren Freundinnen und ihr begegnet waren, konnten sich mit einem Fingerschnipsen sichtbar und unsichtbar machen. Aber Mia konnte die Geister auch sehen und hören, wenn sie vor anderen Menschen verborgen waren. Ihre Großmutter Lady Lou nannte diese Fähigkeit eine Gabe. Und sie schien mehr darüber zu wissen, genauso wie Mias Mutter Marlen. Aber bisher hatte keine von ihnen so wirklich mit der Sprache herausgerückt, was es damit auf sich hatte.

Das Thema beunruhigte Mia, seit sie mit angehört hatte, wie sich ihre Mutter und Lady Lou einmal darüber unterhalten hatten. Mia war es so vorgekommen, als würden sich die beiden deshalb Sorgen um sie machen.

Sie verstand nicht, was diese Geheimnistuerei sollte. Warum erklärte ihr niemand, was genau es bedeutete, diese Gabe zu haben? War sie so was wie ein Wunder-Gen oder einfach nur ein Talent für übersinnliche Wahrnehmung? Ein magischer Sehnerv, sozusagen?

Sie musste unbedingt mehr über ihre besondere Fähigkeit erfahren. Und diese Gespensterparty war genau die richtige Gelegenheit, um herauszufinden, was dahintersteckte.

Kurz entschlossen griff sie nach ihrem blau-weiß gestreiften Lieblingskleid und zog es über. Dann versuchte sie, ihre wilden Locken mit einer roten Schleife zu bändigen, und putzte ihre Brille.

Jetzt musste sie nur noch warten, bis ihre Mutter eingeschlafen war, damit sie sich unbemerkt aus der Dachgeschosswohnung schleichen konnte. Denn obwohl ihre Mutter Marlen sehr wohl wusste, dass Geister im Hotel lebten, würde sie es sicher nicht gutheißen, wenn Mia mitten in der Nacht auf eine Spukparty ging.

Kurz vor Mitternacht traf Mia ihre Freundinnen in der Eingangshalle. Paulina trug ein wunderschönes rotes Kleid mit schwarzen Punkten, das ihre Oma ihr aus Spanien geschickt hatte, und Charlie hatte immerhin eine unbeschädigte Jeans und ein sauberes T-Shirt angezogen.

Sie verständigten sich lautlos, um Richard nicht zu wecken. Der mürrische Empfangschef des Hotels wachte Tag und Nacht darüber, dass im Grand Hotel alles mit Recht und Ordnung zuging. Zugegebenermaßen war dies in einem Spukhotel ein ganz schön anspruchsvoller Job. Die Mädchen fanden aber, dass der alte Herr trotzdem zu mürrisch und außerdem viel zu streng war.

In dieser Nacht waren zwar gar keine Gäste im Haus, aber das würde den alten Ritchi, wie sie ihn nannten, nicht davon abhalten, ihnen die Hölle heißzumachen, sollten sie ihn aufwecken. Außerdem brauchten sie noch etwas anderes.

Obwohl sie die Herrschaften bereits kannten und sicher waren, dass es sich um weitgehend harmlose und liebenswerte Hotelgeister handelte, war doch eine gewisse Vorsicht geboten. Denn magische Wesen reagierten oft unvorhersehbar und hatten überirdische Kräfte. Für diesen Fall gab es im Hotel den Generalschlüsselbund – einen magischen Bund mit Hunderten von Schlüsseln für die Türen zu den wichtigsten geheimen Räumen, Kammern, Kellern, Schränken und Schatztruhen des Grand Hotels. Das Rasseln dieses Schlüsselbundes verursachte bei Geistern unerträgliche Schmerzen. Es wurde eingesetzt, um die übernatürlichen Bewohner unter Kontrolle zu halten, sollten sie über die Stränge schlagen oder nachts zu laut herumspuken.

Als Empfangschef und Geisterbeauftragter des Hotels war Ritchi Herr über den Generalbund und ließ ihn normalerweise nicht aus den Augen. Doch die Mädchen hatten ein ausgeklügeltes Manöver erprobt, wie sie den magischen Schlüsselbund nachts unbemerkt von seinem Nachttisch stibitzen konnten. Es gelang auch in dieser Nacht.

Um Ritchi nicht doch noch aufzuwecken, schlichen sie auf Zehenspitzen die Treppe hinauf zum Salon. Mia hielt den magischen Generalbund in ihrer Jackentasche fest umschlossen. Sicher ist sicher, sagte ihre Großmutter immer.

Als sie die alte Standuhr Mitternacht schlagen hörten, öffnete Charlie vorsichtig die große, knarzende Flügeltür. Sobald sie den Salon betraten, fühlten sie die magische Aura in der Luft. Der Saal war mit alten Kronleuchtern beschienen, die ihr funkelndes Licht auf die antiken Möbel warfen. Die Wände waren mit dicken Teppichen bedeckt, auf denen sich zauberhafte Szenen abzeichneten. Es schien, als würden die Bilder zum Leben erwachen, als die Mädchen näher kamen. Ritter grüßten vom Pferde, Burgfräulein tanzten, große Weiden neigten sich zum Seeufer.

In der Mitte des Raumes war ein großer Tisch mit einer Fülle von leckeren Speisen und Süßigkeiten gedeckt. Es gab kunstvoll verzierte Cupcakes, glitzernde Zuckerplätzchen und dampfende Schokoladenfontänen. Der süße Duft in der Luft war so verlockend, dass die drei Mädchen es kaum erwarten konnten, sich an den Leckereien zu bedienen.

Plötzlich ertönte eine geheimnisvolle Melodie, und der Salon füllte sich mit schimmerndem Rauch. Mia sah, wie aus dem Nebel freundliche Geister auftauchten, die fröhlich durch den Raum schwebten. Anscheinend konnte wieder einmal nur sie die Geister sehen, denn ihre Freundinnen schauten suchend umher.

Dann schnipsten die Geister einer nach dem anderen mit den Fingern – und wurden so auch für Charlie und Paulina sichtbar. Als Letztes erschien Lorie. Sie wischte sich ein paar Tränchen aus den Augen und winkte ihnen zu.

Sir Edmund ohne Kopf trug einen schicken, schwarzen Smoking, und auf seinem Kopf, der wie gewöhnlich unter seinem Arm steckte, saß ein glänzender Zylinder. Er nickte den Mädchen zu. »Welcome! Hereinspaziert, die jungen Damen! Seid unsere Gäste, esst, tanzt, genießt diese besondere Nacht mit uns.«

Hilpold von Schauerstein, der Geisterritter, schob quietschend das Visier seines Helmes hoch. Tragischerweise war seine Rüstung so verrostet, dass sie klemmte und er schon seit Jahrzehnten darin gefangen war. »Anmeldungen zum Turnier hier bei mir!«, verkündete er mit blecherner Stimme.

Staunend schaute Mia sich um und entdeckte, dass außer den ihr bekannten guten Geistern des Hotels eine Gruppe von Unbekannten am Fenster stand.

Die drei Männer und drei Frauen sahen aus, als wären sie eine Mannschaft oder ein Team. Es waren sechs groß gewachsene Gestalten in einheitlichen, dunkelrot glänzenden Trainingsanzügen. Auf der Brust waren die goldgestickten Initialen RR zu lesen. Sie hatten alle pechschwarze Haare und dunkle Ränder unter den wässrig grauen Augen. Ihre schweren schwarzen Samtumhänge mit aufgestelltem Kragen verliehen ihnen etwas Vampirhaftes.

Abschätzig schauten sie zu den drei Mädchen herüber.

Mia bemerkte, dass die Haut der Gäste so hell und dünn war, dass man darunter die Adern hervorscheinen sah. Konnte es sein, dass diese gespenstischen Besucher dunkelblaues Blut hatten?

Wie von allen Geistern, so ging auch von dieser Furcht einflößenden Truppe eine eisige Kälte aus. Man sah sogar ihren eisigen Atem neblig in den Salon strömen.

Paulina drückte sich an Mia und flüsterte: »Wer ist das denn? Die sind totalmente gruselig. Hast du die schon mal gesehen?«

Mia schüttelte den Kopf, und auch Charlie zuckte mit den Schultern.

Sir Edmund bemerkte, dass die Mädchen die Gruppe am Fenster skeptisch beäugte, und lachte. »Darf ich vorstellen? Die Rambossa-Geschwister, unsere transsilvanische Reisegruppe. Sie sind auf der Durchreise von den Karpaten nach Florenz, wo demnächst die Internationalen Spukball-Championships stattfinden. Echte Profis. Es ist ein besonders spektakulärer Zufall, dass sie uns heute Nacht mit ihrer Anwesenheit beehren.«

Die transsilvanische Reisegruppe fixierte die drei lebendigen Freundinnen, dann nickten sie in einer synchronen Bewegung, was megagespenstisch aussah. Mia lief ein Schauer über den Rücken. Gut, dass sie eine Jacke mitgenommen hatte. Sie zog den Reißverschluss zu und biss sich auf die Lippe, damit niemand merkte, wie sie vor Furcht und Kälte bibberte.

»Vampiros«, flüsterte Paulina nicht weniger ängstlich.

Charlie zeigte ihr einen Vogel. »Quatsch, so was gibt es nicht.«

Mia war sich da nicht so sicher. Diese transsilvanischen Brüder und Schwestern waren ihr nicht geheuer, so viel stand fest. Und dass im Grand Hotel Wunder Geistergäste beherbergt wurden, war ihr auch neu. Sie fragte sich, in welchen Zimmern die wohl schliefen und ob sie tags oder nachts anreisten. Wieder mal wurde ihr bewusst, wie viele Mysterien es rund um das alte Hotel noch aufzudecken gab.

Als Letztes entdeckte sie Prinzessin Anastasia. Die russische Zarentochter thronte auf dem glitzernden Kronleuchter und überblickte das Geschehen. Als Mia ihren Blick streifte, gab sie ein knurrendes Geräusch von sich, das wohl so etwas wie Hallo, schön, dass ihr da seid heißen sollte.

Anastasia war über und über tätowiert. In dieser Nacht trug sie ein grünes Samtkleid, und ihre Haare waren zu grauen Korkenzieherlocken frisiert. Sie hatte die Gestalt eines jungen Mädchens mit dem Gesicht einer alten Frau. Von allen Geistern, die Mia bisher begegnet waren, fand sie Prinzessin Anastasia am faszinierendsten. Sie war sicher, dass unter ihrer rauen russischen Schale ein weicher Kern steckte. Anastasia war stets darauf bedacht gewesen, dass es allen Geistern im Hause gut ging, dass alle fair behandelt und die Regeln eingehalten wurden.

Doch Mia wusste auch, dass sich die russische Geisterprinzessin mit schwarzer Magie wie Flüchen und bösen Zaubern auskannte. Wenn ihr irgendjemand die schonungslose Wahrheit über ihre sogenannte Gabe sagen konnte, dann war es Prinzessin Anastasia.

Also beschloss Mia, später unbemerkt Kontakt mit der Prinzessin aufzunehmen.

Nachdem sich alle über die angebotenen Leckereien hergemacht hatten, ertönte ein verbeulter Fanfarenstoß von Hilpold von Schreckenstein, der das Turnier offiziell eröffnete. »Ta-ta-ta-ta!«

Alle Köpfe wandten sich in seine Richtung, mit Ausnahme von Sir Edmund ohne Kopf, der seinen Kopf auf dem Tisch abgelegt hatte, um den Neuankömmlingen und Unwissenden die Regeln zu erklären.

»Sehr geehrte Gästinnen und Gäste, verehrte Herrschaften, liebe Freundinnen und Freunde,« begann er feierlich. »Ich darf Sie alle im Namen der Spukenden dieses ehrenwerten Grand Hotels begrüßen. Das Spukball-Turnier ist eine uralte Tradition im Hotelsalon Wunder. Als Wurfgeschoss dient klassisch eine Kanonenkugel, unsere wiegt exakt 30 000 Gramm und stammt aus dem 15. Jahrhundert. Der Spukball, also die Kugel, wird gekonnt geworfen, geschleudert oder geschmettert, mit dem Ziel, fünf Silberleuchter umzuwerfen.«

Mia sah die alten Leuchter auf der gegenüberliegenden Seite des Salons auf einem Serviertisch stehen. Jetzt ergaben auch die zusätzlichen Wandteppiche Sinn. Vermutlich sollten sie das Gebäude vor Fehlschlägen der Kanonenkugel schützen.

Unruhe machte sich breit. Die Rambossa-Geschwister begannen zu tuscheln, was sich anhörte wie ein gespenstisches Zischen und alles um sie herum in eisigen Nebel hüllte.

»Es versteht sich von selbst, dass eine Manipulation durch Zauber aller Art ausgeschlossen ist und jeder Turnierteilnehmer für eventuelle Schäden selbst aufkommt. Wer es schafft, in insgesamt drei Runden die meisten Leuchter umzuwerfen und dabei am wenigsten zu zerstören, hat gewonnen«, beendete Sir Edmund seine Ausführungen.

»Also eigentlich ganz einfach, man muss nur gut zielen und darf nichts kaputtmachen. Das kriege ich hin«, raunte Charlie ihren Freundinnen zu.

Paulina hingegen war etwas enttäuscht. »Ich dachte, es geht beim Spukball um Magie oder zumindest ums Tanzen.«

Mia nickte. Sie hatte sich das auch etwas außergewöhnlicher vorgestellt. Aber Tradition war Tradition, und die Geister schienen die ganze Angelegenheit ziemlich ernst zu nehmen.

Charlie hingegen war Feuer und Flamme. Sie liebte sportliche Herausforderungen, war eine erstklassige Fußballspielerin und sehr ehrgeizig in jeder Art von Wettbewerb.

»Entschuldigung, Sir Edmund, darf ich etwas fragen?«, wandte sich Charlie an den kopflosen Geist, und sofort war ihr die Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher.

»Selbstverständlich, Fräulein Charlotte, um was geht es denn?«, antwortete der abgetrennte Kopf des Aristokraten und rollte über den Tisch zu ihr.

»Ähhh, ja, also, Sie haben gesagt, die Reisegruppe, also die Geschwister aus Transsilvanien, das seien alles Profi-Spukballer?«

Synchron bewegten sich sechs transsilvanische Augenpaare zu Charlie und fixierten sie finster.

»Wäre es dann nicht unfair, wenn sie gegen uns Laien und Anfänger spielen? Sollten wir nicht einen Bonus bekommen?«

Mia beobachtete besorgt, wie das dunkle Blut in den Adern der Rambossas immer schneller pumpte. Sie bewunderte ihre Cousine für ihren Mut. Sie selbst hätte sich sicher nicht mit diesen Gruselgeschwistern angelegt. Aber Charlie war von ihrem sportlichen Ehrgeiz getrieben.

Vorsichtshalber umklammerte Mia den Generalbund in ihrer Tasche. Sie hoffte, dass er zur Not auch bei auswärtigen Gespenstern funktionieren würde.

Da mischte sich der quietschende Ritter aus der Ecke des Salons ein und erklärte, dass Charlie recht habe. Da man gegen die Profis aus Transsilvanien unter normalen Bedingungen keine Chance hätte, hatte man beschlossen, die Rambossa-Geschwister in diesem Turnier nur einhändig spielen zu lassen.

Demonstrativ wedelten die Rambossas gleichzeitig mit dem rechten Arm und legten den linken auf den Rücken. Dabei schauten sie so arrogant zu den übrigen Turnierteilnehmern hinüber, als wären sie absolut sicher, auch einarmig allen Anwesenden haushoch überlegen zu sein.

Nachdem nun alles geklärt war, konnten die Spiele beginnen. Ronja Rambossa begann und balancierte die schwere Kugel mit einer Leichtigkeit, als handele es sich lediglich um eine (leichte) Wassermelone. Dann vollführte sie eine Pirouette, schwang den rechten Wurfarm mit der Kanonenkugel elegant über den Kopf, holte aus und schleuderte das Geschoß auf den rechten der fünf Kerzenleuchter.

Mia beobachtete die rasende Kanonenkugel. Ganz so banal, wie es ihr erschienen war, war dieser Geistersport doch nicht.

In der nächsten Sekunde begannen die fünf Leuchter ein regelrechtes Tänzchen auf dem Serviertischchen aufzuführen. Sie glitten hin und her, hüpften auf und ab, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt, und versuchten geschickt, der Kanonenkugel auszuweichen. Zusätzlich schien ein Energiefeld von ihnen auszugehen, das die fliegende Kugel ablenkte.

Es steckte also doch mehr Magie hinter dem Spiel, als die Mädchen gedacht hatten! Spukball erforderte nicht nur pure Kraft, sondern auch Fingerspitzengefühl und ein Verständnis für diesen rätselhaften metaphysischen Prozess.

»Wow, krass!«, staunte Mia, während sie das ungewöhnliche Schauspiel beobachtete.

»Vielleicht handelt es sich um eine Art magnetische Abstoßung?«, versuchte Charlie, das Phänomen zu erklären.

»Nein, das ist mágico«, meinte Paulina fasziniert.

Im nächsten Moment gelang es der Kugel, den unsichtbaren magisch-magnetischen Schutzschild zu durchbrechen. Der zweite Leuchter von rechts fiel um und riss zwei weitere mit zu Boden. Die Rambossas nickten sich selbstzufrieden zu, klopften Ronja auf die Schulter und trugen ihre blassen Nasen noch ein bisschen höher.

»Great shot! Wenn das keine Vorlage ist. Doch nun ist die Favoritin des Hauses an der Reihe, Loreley die Graue!«, verkündete Sir Edmund aufmunternd. Er hatte seinen Kopf wieder fest unter den Arm geklemmt und kommentierte aus dem Hintergrund.

Lorie verblüffte ihre menschlichen Freundinnen, indem sie die Kanonenkugel geschickt balancierte, das Ziel fixierte und zu einem meisterhaften Wurf ausholte. Die Kanonenkugel schwebte in Richtung der Leuchter, bremste abrupt ab und verharrte einen Moment lang direkt über den silbernen Kerzenständern. Diese schienen nicht damit gerechnet zu haben, von oben angegriffen zu werden. Dann stürzte die Kugel mit voller Wucht nach unten und kegelte vier der silbernen Leuchter um.

Die Herrschaften jubelten.

»Wonderful! Absolutly wonderful! Die erste Runde geht an das Team Wunder!«, verkündete Sir Edmund stolz.

Die Rambossas schauten finster und tuschelten zischend.

Irgendwann kam schließlich auch Charlie an die Reihe. Allerdings stellte sich heraus, dass sie das Gewicht der Kanonenkugel hoffnungslos unterschätzt hatte. Selbst mit beiden Armen schaffte sie es gerade eben so, dieses super-schwere Ding hochzuheben. Ihr Wurf war dementsprechend kläglich, und nur weil Lorie unbemerkt an einem der Leuchter gerüttelt hatte, fiel einer um.

Paulina und Mia beschlossen daraufhin, sich das Ganze nur als Zuschauer anzusehen.

Hilpold von Schauerstein eröffnete sein Wettbüro.

»Setzt jetzt eure Wetten auf die Gewinner ab. Wer wettet gegen die Rambossas?«

Hätten Blicke töten können – der Blick aus sechs eiskalten Rambossa-Augenpaaren hätte Hilpold auf der Stelle hingerichtet. Aber er war ja schon ein Geist und in seiner Rüstung ohnehin optimal geschützt.

Sir Edmund ohne Kopf setzte eine glänzende Goldmünze auf Lorie.

Das Gespenstermädchen begann natürlich zu weinen. »Das is-hicks einfach viel zu viel Druck! Ich schaffe das nic-hicks.«

»Es bleibt spannend! Wird es einer der Herrschaften gelingen, einen einarmigen Rambossa zu schlagen?«, kommentierte der Kopf unter Sir Edmunds Arm weiter. Spätestens damit war klar, dass er nicht ganz unparteiisch war.

In der zweiten Runde lieferte sich Lorie einen harten Wettkampf mit Ramon Rambossa, dem ältesten der transsilvanischen Geschwister.

Doch dann durchkreuzte der Schluckauf Lories Pläne. Sie musste so laut und heftig hicksen, dass sie für einen Moment die Kontrolle über den Spukball verlor, woraufhin die Kanonenkugel scheppernd in eine Vitrine voller Teetassen krachte. Das würde Lady Lou sicher nicht gefallen, befürchtete Mia.

In der dritten Runde schwang Anastasia die Kugel so geschickt, dass vier Silberleuchter umfielen, ohne dass die Kanonenkugel irgendetwas anderes berührt hatte. Die Herrschaften applaudierten, und die Prinzessin verbeugte sich. Was für ein Wurf! Selbst Ronja Rambossa nickte ihr anerkennend zu.

Bevor die Zarentochter zurück zu ihrem Kronleuchter schwebte, näherte sich Mia unauffällig. Das Spukball-Turnier tobte weiter, sodass niemand ihre Unterhaltung bemerken würde. Die Gelegenheit wollte sich Mia nicht entgehen lassen. »Eure Hoheit, ich habe eine Frage, vielleicht könnten Sie mir weiterhelfen. Es wäre sehr freundlich, wenn ich Sie etwas … also, na ja, eben fragen dürfte – nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht, weil …«, stammelte sie vor Aufregung.

»Sprrich!«, gebot Anastasia mit ihrem harten russischen Akzent, der Mia jedes Mal wieder zusammenzucken ließ.

»Ja, also, es geht um Folgendes: Ich kann euch sehen und hören, auch wenn ihr für andere unsichtbar seid, sogar bevor ihr euch zeigt. Lady Lou sagt, es sei eine Gabe, und meine Mutter weiß ebenfalls davon – aber niemand will mir erklären, was das zu bedeuten hat!«

Die Prinzessin richtete sich auf und betrachtete Mia aufmerksam. Es war, als könnte sie tief in sie hineinblicken. Mia spürte eine eisige Kälte in sich hochkriechen, und sie wusste nicht, ob sie vor Furcht oder vor Kälte zitterte.

»Das ist das Dritte Auge, auch bekannt als das Auge der Errkenntnis«, raunte die Russin und ergriff Mias Hände. Ein weiterer Schauer durchlief sie.

»Was bedeutet das?«

»Du bist empfindsam für jede Arrt von Magie, nicht nurr für die Enthüllung von Geisterrn. Das ist eine gefährrliche Fähigkeit fürr einen lebenden Menschen. Du musst lerrnen, damit umzugehen. Nicht alle Geisterr möchten gesehen werrden. Nicht alle Geisterr sind ungefährrlich.«

Anastasia tätschelte Mias Wange mit ihren eiskalten, tätowierten Fingern, bevor sie zurück zu ihrem Kronleuchter schwebte.

Mia fröstelte, während der Rest des Salons Lories überraschenden Sieg über Ramon Rambossa ausgelassen feierte.

Es war ein triumphaler Moment. Die transsilvanischen Profis waren so enttäuscht von ihrer eigenen Leistung, dass sie sich beschämt zurückzogen und planten, vor ihrer Abfahrt am nächsten Tag eine zusätzliche Trainingseinheit einzuschieben.

Schließlich verdrängte auch Mia ihr ungutes Gefühl und ließ Lorie hochleben. Das kleine Gespenstermädchen hatte, wie konnte es auch anders sein, Tränen in den Augen. Aber Mia war sicher, dass es sich diesmal um Freudentränen handelte.

Es war an der Zeit, zum gemütlichen Teil der Nacht überzugehen. Sie hatten ja noch gar nicht die Cupcakes, den Schokoladenbrunnen und all die anderen Leckereien probiert. Vielleicht würde sogar noch getanzt.

Doch gerade als Mia einen Butterkeks in die Schokoladenfontäne halten wollte, sauste Anastasia vom Kronleuchter auf den festlich gedeckten Tisch herab und krachte auf das Buffet. Es schepperte laut. Die Schüssel mit dem Vanillepudding fiel um, und die Zuckerplätzchen rollten über die Tafel.

Erschrocken schauten alle zu der russischen Prinzessin. Was sollte das?

Anastasia riss die Augen weit auf und kreischte: »Herrrschaften! Meine Zehen jucken!« Sie zog sich eines ihrer Schnürstiefelchen aus, riss den schwarzen Seidenstrumpf herunter und wackelte demonstrativ mit ihren Zehen. »Verrdammt, sie haben seit Jahrrzehnten nicht mehr so gejuckt! Meine Zehen jucken!!!«

Wie bitte? Ihre Zehen juckten? Meinte sie das ernst? Ratlos schaute Mia zu Charlie und Paulina. Sollte das ein Spaß sein oder irgendein Spiel?

Die Situation war dermaßen absurd, dass alle drei zu lachen begannen. Doch im nächsten Moment bemerkten sie, das sie die Einzigen waren, die diesen Vorfall lustig fanden.

Die anwesenden Geister waren auf der Stelle verstummt und schauten betroffen zu Anastasia, die nun dabei war, sich den Vanillepudding vom Kleid zu wischen.

Das Visier von Hilpold klappte scheppernd nach unten. Lorie begann, laut zu schluchzen. Und Sir Edmunds Kopf rollte über den Tisch zu seinem Körper zurück und sprang ihm förmlich unter den Arm.

Was hatte das zu bedeuten? Schließlich fasste sich Mia ein Herz und fragte vorsichtig: »Ähh, Entschuldigung, aber was ist denn so schlimm an juckenden Zehen?«

Niemand sagte etwas, alle Geister wichen den fragenden Blicken der Mädchen aus.

»Wollt ihr uns veräppeln?«, platzte es aus Charlie heraus.

Da hob die düstere Prinzessin abrupt den Kopf und schaute ihr direkt in die Augen. »Glaubt ihrr mirr nicht? Das Jucken meinerr Zehen bedeutet grroßes Unheil. Ich spüürre es. Herrrschaften, es kommt aus der Rrichtung des Sees!«

»Oje, oje, vom See-hicks!«, jammerte Lorie.

Sir Edmund räusperte sich, auch er klang beunruhigt. »Wann wird uns das Unheil ereilen, Eure Hoheit?«

»Nicht heute Nacht, nicht morrgen, doch nicht mehrr lange«, zischte Anastasia, dann schwebte sie wieder hinauf zu ihrem Kronleuchter.

»Thank you, princess. Vielen Dank für die Warnung. Ich denke, unter diesen Umständen ist es angebracht, unseren Ball umgehend zu beenden und den Blankensee im geistigen Auge zu behalten.«

Alle stimmten zu.

Und so verließen die drei Mädchen kurz darauf erstaunt und verunsichert den Salon.

Auf der Treppe überlegten sie, was zu tun war. Sollten sie sich fürchten? Wegen juckender Geisterprinzessinnenzehen? Mussten sie irgendjemand warnen?

»Sie hat gesagt, heute Nacht passiert nix, also überlegen wir morgen weiter«, entschied Charlie schließlich gähnend. Und damit waren auch Mia und Paulina einverstanden. Sie waren so müde, dass sie sowieso keinen klaren Gedanken mehr fassen könnten.

Also brachten die Geheimagentinnen unbemerkt den Generalschlüsselbund zurück auf Ritchis Nachttisch und verabschiedeten sich.

Als Mia wieder in ihrem Zimmer unter dem Dach ankam, war sie doch ziemlich beunruhigt. Sie öffnete die Dachluke und schaute hinaus auf den Blankensee. Dunkel und ruhig lag er dort, eingebettet von dichten Wäldern, erleuchtet durch den hellen Vollmond, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelte. Was für Geheimnisse wohl in ihm schlummerten?

Sie mussten unbedingt herausfinden, was es mit der rätselhaften Vorhersage auf sich hatte.

2

Wunschbrunnenwünsche

Am nächsten Morgen wunderte sich Mias Mutter Marlen, dass ihre Tochter früher als normalerweise aufstand, obwohl sie völlig übermüdet zu sein schien.

Mia wollte unbedingt noch vor der Schule ihrer Großmutter einen Besuch abstatten, denn Lady Lou war schließlich die Direktorin des Grand Hotel Wunder und sollte über die gespenstische Warnung von Prinzessin Anastasia Bescheid wissen.

Ohne anzuklopfen, stürmte Mia ins Büro der Chefin, woraufhin ihre Großmutter hinter ihrem riesigen Schreibtisch aufschreckte und fast ihren Tee verschüttete. Über ihre Lesebrille hinweg schaute sie empört zu ihrer Enkelin.

»Mia Agathe Wunder, was hat dieser Überfall zu bedeuten?«

Lady Lou trug wie immer eines ihrer schwarzen Seidenkleider, die mindestens aus dem vorletzten Jahrhundert stammen mussten, und dazu neue, neon-orange Turnschuhe.

Atemlos berichtete Mia von der vergangenen Nacht und der düsteren Vorahnung der Zarentochter.

»Anastasias Zehen jucken, und die Herrschaften sind sicher, das bedeutet großes Unheil. Sie meinte, es kommt vom See, also zumindest aus der Richtung.«

»Unheil? Vom See?«, fragte Lady Lou.

Mia nickte. Ihre Großmutter runzelte die Stirn und ließ ihren Blick zum Fenster gleiten, von dem aus man das Ufer des Blankensees sehen konnte.

Mia ließ sie nicht aus den Augen. War Lady Lou beunruhigt? Waren die juckenden Zehen der Prinzessin tatsächlich ein ernsthaftes Problem? »Meinst du, es passiert wirklich etwas Schlimmes?«, fragte sie unruhig.

Doch Lady Lou setzte ein harmloses Lächeln auf und schüttelte den Kopf. »Nein, mein Kind. Ihre Hoheit Prinzessin Anastasia ist eine wahre Prinzessin auf der Erbse. Sie ist überempfindlich und hysterisch. Letztes Jahr hat sie ein Erdbeben vorausgesagt, und tatsächlich ist nur ein Blumenkübel umgefallen. Es ist gut, dass du gleich zu mir gekommen bist, aber es besteht keinerlei Grund zur Sorge.«

Mia wollte ihr gerne glauben, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass ihre Großmutter versuchte, die Sache kleinzureden.

Sie hätte gerne noch mal nachgefragt, aber sie musste sich beeilen, um den Schulbus nicht zu verpassen.

Dass die drei Mädchen völlig übermüdet waren und im Schulbus fast einschliefen, war nicht so schlimm, denn es war der letzte Schultag vor den Ferien.

Frau Krautwurm teilte die Zeugnisse aus und wünschte allen schöne Ferien. Gut gelaunt hüpften sie raus auf den Schulhof.

Netti und Hugo, die beiden nervigen Geschwister, die sich für etwas Besseres hielten, weil ihr Vater der Bürgermeister war, liefen den Freundinnen hinterher. »Hey, ihr Hotelkröten, was macht ihr denn in den Ferien? Müsst ihr in eurem ollen Hotel bleiben?«, fragte Netti neugierig.

»Wir fahren ja erst zum Cluburlaub nach Italien und dann zum Wandern in die Alpen. Aber eure Eltern haben sicher keine Zeit, um mit euch wegzufahren«, fügte Hugo hinzu.

Und seine Schwester bemerkte mit gespieltem Mitleid: »Oder kein Geld.«

Mia packte Charlie am Arm, denn sie wusste, dass ihre Cousine am liebsten auf die beiden losgegangen wäre.

Paulina lachte nur. »Wer im Sommer woanders Urlaub macht als bei uns, der ist selber schuld. Blankensee ist ein paraíso. Sehr schade, dass ausgerechnet euer Vater als Bürgermeister lieber woanders Urlaub macht.«

Charlie nickte zustimmend und sagte: »Und wenn ihr weg seid, haben wir das Paradies für uns ganz alleine.«

Mia lachte, und bevor die Obermeyer-Geschwister antworten konnten, ließen die drei Freundinnen sie einfach links liegen.

Paulina wollte sich noch mit ihrem Freund Leon aus der Parallelklasse zum Eisessen verabreden. Also warteten sie am Schultor auf ihn. Aber als Leon kam, schlug er vor, lieber wie seine Freunde ins Freibad fahren.

Mia wusste, dass Paulina unglücklich war, weil Leon nie Lust hatte, etwas mit ihr alleine zu unternehmen. Aber da es heute endlich heiß genug war, um schwimmen zu gehen, wollte auch Charlie unbedingt in das legendäre Seebad am Blankensee. »Cool, dann fahren wir alle zusammen, das wird super«, sagte sie.

Mia hatte noch Bedenken. »Was, wenn Anastasia recht hat, und am See passiert irgendein Unglück?«

Charlie widersprach: »Ach, so ein Quatsch. Lady Lou hat doch selbst gesagt, die ist überempfindlich und wir müssen uns keine Sorgen machen, oder?«

Mia nickte.

Und Paulina meinte, Leon gar nicht zu treffen, wäre ja auch blöd.

Also war der Ausflug zum Seebad beschlossene Sache.