Great Divide - Markus Weinberg - E-Book
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Great Divide E-Book

Markus Weinberg

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Beschreibung

Die Rocky Mountains: 4500 Kilometer erstrecken sie sich von Kanada bis Mexiko. Eindrucksvolle Gebirgsketten, glasklare Seen und anspruchsvolle Steigungen – eine Sehnsuchtsroute für Radfahrer. Die Tour Divide führt als eines der schwierigsten long-distance Radrennen einmal die nordamerikanische Wasserscheide entlang, ohne Unterstützung und auf eigene Faust. Markus Weinberg, Filmemacher und Journalist, und Mathias Müller, Bike-Journalist und Triathlet, haben diese Herausforderung gemeistert. Entstanden ist eine atemberaubende Geschichte über die Schönheit der Natur, über das Glück der Selbstüberwindung, über die besten Burger und neugierige Bären entlang des Weges.

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Seitenzahl: 299

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

POLYGLOTT ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Wilhelm Klemm

Lektorat: Martin Waller, Werkstatt München - Buchproduktion

Kartografie: Huber Kartografie

Schlusskorrektur: Ulla Thomsen

Covergestaltung: zero Werbeagentur

eBook-Herstellung: Pia Schwarzmann

ISBN 978-3-8464-0977-0

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Coverabbildung: Markus Weinberg

Fotos: Johannes Filous; Rugile Kaladyte; Mathias Müller; Markus Weinberg

Syndication: www.seasons.agency

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EINE TOUR ZWISCHEN PILGERREISE UND EXTREMABENTEUER

Bei dem Selbstversorgerrennen Tour Divide geht es einzig und allein darum, ein Rennen gegen sich selbst zu bestreiten, mit den Ressourcen, die der eigene Körper und Geist bereitstellen. Und das vor der Kulisse der grandiosen landschaftlichen Vielfalt der Rocky Mountains. Immer wieder kommen die Teilnehmer dabei an ihre Grenzen – sie werden diese dann verschieben und Lösungen finden, oder aber scheitern. Es ist eine Herausforderung, die einer Mischung aus Pilgerreise und Extremabenteuer gleicht.

»Es gibt keine Startgebühr und kein Preisgeld - nur den Ruhm, einen der aufreibendsten Solowettbewerbe der Welt zu überstehen.«

THE NEW YORK TIMES

Vorwort

von Jonas Deichmann

Mit dem Fahrrad ein Land oder einen Kontinent zu durchqueren ist für mich die ultimative Art, eine Region kennenzulernen. Insbesondere unsupported unterwegs zu sein, also ohne unterstützendes Begleitteam, bringt ganz neue Herausforderungen mit sich. Oft ist das Radfahren dabei der einfache Teil. Essen muss gefunden werden, ein Schlafplatz für die Nacht oder auch die nächste Dusche. Besonders spannend wird es, wenn etwas schiefläuft und improvisiert werden muss. So habe ich auf meinen Radtouren durch über 100 Länder dieser Erde abgelegene Regionen kennengelernt, in die sich nur sehr selten ein Tourist verirrt. Ich hatte unbeschreibliche Naturerlebnisse, Begegnungen mit Tieren und wurde überall von den Einheimischen sehr herzlich empfangen. Eine wunderbare Art zu reisen. Die Einsamkeit ist eine Herausforderung, hat jedoch auch ihren eigenen Reiz. Bei mir kommt nach ein paar Tagen eine Zufriedenheit und das Gefühl auf, ganz und gar hier in diesem Moment zu sein. Ich nehme Dinge anders war und lerne mich selbst besser kennen. Daran wächst man auch persönlich, umso mehr auf einer so anspruchsvollen und abwechslungsreichen Route wie der Tour Divide.

Ich kenne Markus und Mathias bereits seit einigen Jahren und durfte mit beiden einige Radtouren unternehmen. Mathias lernte ich auf einer Fahrradmesse kennen, und er berichtete in seiner Funktion als Chefredakteur der Bike Bild über meine diversen Rekordprojekte. Hieraus entwickelte sich eine Freundschaft, und wir machten gemeinsame Radtouren. Bereits bei unserem ersten Treffen erzählte er mir von seinem Traum, einmal die Tour Divide zu fahren. Er hatte höchsten Respekt vor der Herausforderung – als Familienvater mit Vollzeitjob war das eine ganz große Nummer für ihn.

Markus wiederum hat schon viele ähnliche Projekte unternommen. Als Filmemacher und ehemaliger Radprofi hat er mich bei meinem Triathlon um die Welt etappenweise begleitet. Wir waren gemeinsam im sibirischen Winter unterwegs, hatten Defekte und körperliche wie mentale Grenzerfahrungen. Dabei blieb Markus stets optimistisch, und ich freute mich jedes Mal, wenn ich nach ein paar Wochen Einsamkeit wieder seine Gesellschaft hatte. Und mit dabei war immer seine Kamera, durch die ein tolles Buch und ein spannender Dokumentarfilm entstanden sind.

Die Tour Divide ist eines der berühmtesten Radrennen im Unsupported-Bereich, und dieses Buch mit den Bildern und Geschichten von Markus und Mathias weckt bei mir sofort die Sehnsucht, auch auf mein Rad zu steigen und loszufahren. Es nimmt mich mit auf ein wunderbares Abenteuer und zeigt mir diesen spannenden Teil der USA auf faszinierende Weise.

Über Gebirgspässe und weite Hochebenen führt die Strecke immer nah an der kontinentalen Wasserscheide entlang, die etliche Male überquert wird.

The Great Divide

Die Great Divide Mountain Bike Route ist ein Sehnsuchtsort für Abenteurer, Ausdauersportler, Sinnsuchende und Verrückte. Und auf ihr: die Mutter aller modernen Bikepacking-Rennen, die Tour Divide. Eine Tour für Grenzerfahrungen, Erkenntnisse, Emotionen, Gewinn und Verlust. Gleichzeitig anziehend wie Respekt einflößend. Eine Tour, die die Persönlichkeit verändern kann, wenn man sich darauf einlässt, allein zu sein – allein mit dem Rad über 4300 Kilometer und 48 000 Höhenmeter auf der Wasserscheide der Rocky Mountains. Von Banff in Kanada bis Antelope Wells, der Grenzstation zwischen den USA und Mexiko. Ein Offroadtrip durch dichte, von Wildtieren beherrschte Wälder, durch weite Wüstenlandschaften, vorbei an verfallenen Stätten des großen Goldrauschs und durch Reservate der indigenen Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents. Der Idee folgend, nur die Hilfe anzunehmen, die sich unterwegs findet, an Orten zu übernachten, die sich ergeben, dem Wetter zu trotzen und sich selbst zu vertrauen.

Wir nehmen euch in diesem Buch nicht nur mit auf eine Reise durch einen faszinierenden Teil des nordamerikanischen Kontinents, zu den schönsten Highlights der »Great Divide«, sondern geben euch auch einen Einblick in unsere Gedanken, Gefühle und inneren Auseinandersetzungen.

Worin liegt der Reiz, eine solche Tour mit so vielen Unsicherheiten anzugehen? Warum als Rennen? Warum nicht als einfache Biketour mit viel Zeit, Etappe für Etappe? Und warum auf dem Rad und nicht als Wanderung?

Vermeintliche Gewissheiten zu Beginn wandeln sich während der wochenlangen Reise zu Unsicherheiten, die wiederum zu Einsichten werden. War es am Ende doch eher eine Pilgerreise als ein Extremabenteuer? Eine Reise zu sich selbst? Nach Tagen allein in den Bergen begegnen wir nicht nur Bären und Pumas, sondern auch den großen Themen des Lebens.

Was bedeutet Glück? Was ist mir wichtig? Bin ich auf meinem Weg? Eine heilsame Innenschau, an der wohl niemand vorbeikommt, egal ob er oder sie im Renn- oder im Touristenmodus auf dieser Route unterwegs ist.

Könnt ihr euch vorstellen, euch auf ein solches Abenteuer einzulassen? Mit unserem persönlichen Erfahrungsbericht und einer ausführlichen Routenbeschreibung geben wir euch die Möglichkeit, der Antwort ein Stück näherzukommen.

Wir, das sind Markus Weinberg und Mathias Müller, Teilnehmer des berüchtigten Selbstversorgerrennens Tour Divide entlang der Great Divide Mountain Bike Route auf der großen Wasserscheide der Rocky Mountains.

Ein Radrennen der ganz besonderen Art

Die Tour Divide beginnt für die meisten mit dem sogenannten Grand Depart. Alljährlich am zweiten Freitag im Juni machen sich im kanadischen Banff knapp 200 Starter und Starterinnen auf den Weg, um gegen die herausfordernde Route, das Wetter, die Natur und sich selbst zu bestehen – in einem sehr ungewöhnlichen Rennen. Es gibt kein Startgeld, keine Preise, keine wirkliche Organisation. Im Ziel, am Grenzübergang von Antelope Wells, wartet niemand auf die Ankommenden. Es gibt keine Zuschauer, kein Restaurant, keine Bar – nur den Grenzzaun und einige Gebäude amerikanischer Behörden.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – unterwerfen sich die Starter einem strikten ethischen Regelwerk: Die Route ist allein zu bewältigen, Hilfe von außen darf nur angenommen werden, wenn sie den anderen Teilnehmern auch zur Verfügung stehen würde. Es geht einzig und allein darum, ein Rennen gegen sich selbst zu bestreiten, mit den Ressourcen, die der eigene Körper und Geist bereitstellen.

10. Juni 2022: Grand Depart am YWCA Hotel in Banff, Kanada

Harte Bedingungen

Dieses bis heute sehr spezielle Rennformat brachte 2005 der Radenthusiast und spätere dreifache Sieger des Rennens, Matthew Lee, auf den Weg. Bis heute zieht er die Fäden im Hintergrund und kümmert sich darum, dass es Jahr für Jahr eine befahrbare Strecke gibt, denn die Gegebenheiten in den Rocky Mountains können sich schnell ändern.

Auch in unserem Jahr 2022 gab es wegen Hochwasser, Waldbränden, Schneestürmen und Straßensperrungen Abweichungen zur Originaltour. Neue Streckenrekorde waren daher 2022 nicht möglich. Den aktuellen Rekord bei den Männern hält seit 2016 Mike Hall mit unglaublichen 13 Tagen, 22 Stunden und 51 Minuten, bei den Frauen ist es Lael Wilcox, die im Jahr 2015 nur 15 Tage, 10 Stunden und 59 Minuten für die Strecke benötigte.

Wer beim Grand Depart in Banff an den Start geht, muss einen GPS-Tracker mit sich führen und sich bei der Livetracking-Plattform Trackleaders anmelden. So können Freunde und Kollegen zu Hause das Abenteuer bei trackleaders.com in Echtzeit mitverfolgen. Auch die Teilnehmer selbst können in den seltenen Pausen, die sie sich gönnen, über diese Website checken, wo sich die nächsten Wettbewerber befinden – vorausgesetzt, es gibt Empfang fürs Smartphone. Die GPS-Tracker sind zudem mit einem SOS-Knopf ausgestattet, der 2022 leider viel zu oft gedrückt wurde – 16 Teilnehmer mussten von Bergrettern mittels Hubschrauber von Pässen in Sicherheit gebracht werden. Mehr dazu erzählen wir in diesem Buch. Eine Übersicht über die Regeln der Tour Divide findet sich auf >.

Der Ursprung: die Great Divide Mountain Bike Route

Ein Selbstversorger-Bikepacking-Rennen ist die extreme Form, sich auf der Great Divide Mountain Bike Route zu bewegen. Seit vielen Jahren schon – und auch während unseres Rennens – sind aber auch viele andere Radreisende dort unterwegs. Möglich ist das, seit Mitte der 1990er-Jahre die Strecke von Mitgliedern des 1974 gegründeten Fahrradverbands Adventure Cyclist Association (ACA) aus Montana erkundet wurde. 1997 präsentierte die ACA besagte Great Divide Mountain Bike Route, die beinahe zu 90 Prozent ohne Asphalt auskommt und durch die schönsten Gebiete der Rocky Mountains führt. In einem Ritt geht es vom Banff National Park fast immer Richtung Süden, über die Flathead-Berge, zum Yellowstone- und Grand-Teton-Nationalpark. Hohe Gebirgspässe müssen bezwungen werden, es geht durch tiefe Fichtenwälder, Steppen und Wüsten. Fast 30-mal überqueren die Radfahrer die große Wasserscheide, von der aus das Wasser entweder nach Westen in den Pazifik oder nach Osten in den Atlantik abfließt. Doch nicht nur Radfahrer, auch Wanderer sind auf dem ähnlich verlaufenden Continental Divide National Scenic Trail (CDT) aus den 1970er-Jahren unterwegs.

Trail Angels unterstützen die Biker an der Strecke.

Trail Angels

Entlang der Route sind sich Anwohner und Reisende über die Jahre immer nähergekommen. Für viele öffnen sich Türen – für eine Nacht auf dem Flur, in der Garage oder im Gästezimmer. Boxen mit Lebensmitteln und Getränken stehen am Wegesrand. Immer wieder trifft man auf sogenannte Trail Angels, Anwohner, die selbstlos geben und den Radlern und Radlerinnen auch mal aus kritischen – meist selbst verschuldeten – Situationen heraushelfen.

Diese guten Erfahrungen machen Radreisende trotz der gesellschaftlichen Verwerfungen in den USA. Die Strecke führt durch traditionelles Republikanerland, wo viele erwarten würden, dass die Menschen Fremden gegenüber kritisch eingestellt sind. Wo Landbesitzer das Betreten ihrer Wiese mit dem Gewehr verhindern wollen. Den Fahnen und Wahlplakaten von erzkonservativen Zeitgenossen entkommt man auf dieser Route tatsächlich nicht. Es fühlt sich an wie ein großer Widerspruch, wenn Hilfsbereitschaft und Trumpismus an ein und demselben Ort aufeinandertreffen. Eine regelrecht entwaffnende Erfahrung, um in der Sprache des Wilden Westens zu bleiben.

Mathias Müller am Tag vor dem Start an den Vermilion Lakes bei Banff, Kanada

Mathias Müller: vom Triathleten zum Offroad-Biker

Angelockt von dem unglaublichen Abwechslungsreichtum dieser Tour, ihrer Einzigartigkeit und ihres Mythos war es nur eine Frage der Zeit, dass dieses Abenteuer auch auf der Bucketlist von Mathias Müller landete. Wie es zu seiner Teilnahme kam, beschreibt er so:

Früher war ich immer auf Rennen fixiert. Zuerst im Bereich des Mittel- und Langstreckenlaufs, dann als Triathlet. Allein dreimal habe ich beim Ironman auf Hawaii teilgenommen. Irgendwann jedoch – mittlerweile mit eigener Familie und drei Kindern – blieb nicht mehr allzu viel Zeit fürs Training übrig.

Der Zufall wollte es, dass ich in meinem neuen Job als Redaktionsleiter bei BIKE BILD eine Geschichte über sogenannte Overnighter recherchierte – einfache Radtouren, bei denen man in der Natur übernachtet und am nächsten Tag wieder nach Hause radelt. Dieses Mini-Adventure, so der Terminus in der Szene, brachte mir Gunnar Fehlau aus Göttingen nahe, ein Pionier der deutschen Bikepacking-Szene. Schon kurz darauf nahm ich am Candy-B-Graveller teil, einer Bikepacking-Trophy auf den Spuren des Flugkorridors der Rosinenbomber, die Westberlin von 1948 bis 1949 mit Nahrungsmitteln aus der Luft versorgten. Das weckte eine neue Leidenschaft in mir, und schnell erfuhr ich auch von der Mutter aller Bikepacking-Events, der Tour Divide. Sehr bald danach wusste ich, dass ich dieses Rennen bestreiten wollte. Meinen Plan, die Reise im Jahr 2020 in Angriff zu nehmen, machte jedoch die Corona-Pandemie zunichte. Immerhin, während meiner kleineren Abenteuer, etwa der Teilnahme an der Grenzsteintrophy (1300 Kilometer über die Lochplatten der ehemaligen innerdeutschen Grenze), konnte ich ein paar Erfahrungen als Bikepacker sammeln, worüber ich in den Rocky Mountains oft froh war.

Das Schwerste, sagt Extrem- und Rekordfahrer Jonas Deichmann immer, sei es, an die Startlinie zu kommen. Das gelang mir schließlich im Sommer 2022, als die USA ihre Grenzen endlich wieder für Touristen geöffnet hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das passende Rad und die – so hoffte ich – passende Ausrüstung zusammen. Viel wichtiger aber war, dass meine Frau Anna mir signalisierte, sie könne unseren Alltag mit drei Kindern auch einen Monat lang allein managen. Als auch mein Arbeitgeber grünes Licht gab, machte ich mich – zugegebenermaßen sehr nervös – auf den Weg nach Banff in Kanada. Ich sagte mir, dass ich letztlich einfach immer nur weiterfahren müsste. Ich war zudem zuversichtlich, dass ich – wenn ich zu Hause an einem Tag gut 400 Kilometer auf Asphalt fahren konnte – bei der Tour Divide bestimmt täglich 200 Kilometer auf Schotter- und Waldwegen schaffen würde, um so das Ziel in Antelope Wells in 20 oder spätestens 23 Tagen zu erreichen. Was sollte mich schon aufhalten, dachte ich. Nun, nach wenigen Tagen im Rennen wusste ich, was mich bremsen konnte.

Markus Weinberg kann es kaum erwarten, am nächsten Tag am Grand Depart in Banff teilzunehmen.

Markus Weinberg: Radrennfahrer, Tourveranstalter, Filmemacher

Seit Jahren ist auch Markus Weinberg mit dem Radsport eng verbunden. Der Ex-Rennradprofi, Renn- und MTB-Touren-Veranstalter, Journalist und Filmemacher ist immer wieder zu Abenteuern aufgebrochen und hat bereits einige Geschichten davon erzählt. Dass nun dieses Buch von ihm und Mathias Müller dazugekommen ist, hat auch mit einem Telefonat zu tun, wenige Monate vor dem Grand Depart, dem traditionellen Rennstart im kanadischen Banff. Mathias nämlich beglückwünschte Markus zu seinem Dokumentarfilm »Jonas Deichmann – Das Limit bin nur ich«, dessen Start als Langfilm in den deutschen Kinos kurz bevorstand. Mathias fragte rundheraus, ob Markus nicht Lust auf ein neues Filmprojekt hätte. »Ich fahre die Tour Divide. Wollen wir eine Geschichte dazu machen?«

Markus schaufelte kurzerhand seinen Kalender frei und versuchte, noch kurzfristig an ein Visum für die USA zu gelangen. Kein einfaches Unterfangen bei coronabedingten Termin-Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr. Doch es gelang, und Markus stürzte sich in die Vorbereitungen.

Er hat das Ganze so erlebt:

Mathias hatte mich auf dem richtigen Fuß erwischt. Eben war mein Film über Jonas Deichmann fertig geworden, und ich war innerlich bereit für neue Abenteuer. Nur der kurzfristige Termin passte nicht wirklich. Wer hat schon spontan einen Monat frei? Doch die Aussicht auf ein neues Abenteuer und darauf, Arbeit und Hobby, Geschichtenerzählen und Radfahren erneut miteinander zu verbinden, ließ mich alle terminlichen Hindernisse überwinden. Schon bei anderen Filmprojekten, die sich mit dem Radsport beschäftigen, hat dieses Konzept gut funktioniert, ob nun der Abenteuer-Outdoor-Radreisefilm »Heading East – Abenteuer TransOst«, oder »Kirgisistan – Über den Wolken«, ein Film über ein Selbstversorger-Bikepacking-Rennen.

Gereizt hat mich auch der Gedanke, die USA noch einmal neu kennenzulernen, nachdem ich bereits 2008 für ein Jahr als Berufsradfahrer in Santa Monica/Los Angeles gelebt und Rennen in den Vereinigten Staaten gefahren hatte.

Mit herausfordernden Geschichten zwischen Outdoor und Sport bin ich groß geworden. Aufgewachsen in der DDR in einer Künstler- und Bergsteigerfamilie, waren mir Sport, Politik, Kunst und Kultur nie fremd. Felsklettern in der Sächsischen Schweiz, »boofen« unter Felswänden, später die jugendbewegte Zeit im Wandervogel, ein Jahr trampend mit Rucksack und Gitarre durch Afrika und schließlich die Zeit als aktiver Leistungssportler mit Rennen auf allen Kontinenten – all das bildete die Grundlage für meine Abenteuersucht.

Hinzukommt eine ausgeprägte Neugier für gesellschaftliche Perspektiven und Auseinandersetzungen. Ich wollte schon immer Geschichten erzählen. Mein Dokumentarfilm »Die Mission der Lifeline« etwa berichtet über die Auseinandersetzung zwischen einer Dresdner Seenotrettungsorganisation und der rechten Pegida-Bewegung, die im Mittelmeer vor der libyschen Küste zu einem Kampf um Leben und Tod wurde. Eine derart dramatische Zuspitzung erwartete ich für eine Bikepacking-Reise auf der Great Divide Mountain Bike Route keinesfalls – doch für einige Teilnehmer sollte es anders kommen.

Durch die Kurzfristigkeit der Entscheidung blieb jedoch manches auf der Strecke. Die eigentliche Vorbereitung auf die Tour beispielsweise. Mein Fahrrad richtig zu präparieren, die Ausrüstung anzupassen und vor allem: mich mit den Besonderheiten der Tour Divide auseinanderzusetzen. Bis eine Woche vor Tourbeginn ging ich beispielsweise fest davon aus, dass Mathias und ich als Team an den Start gehen würden. Doch Teams gibt es nicht bei der Tour Divide, wie ich wenige Tage zuvor erfuhr. »Solo only«, meinte Mathias. Das sollte mich die nächsten Wochen massiv beschäftigen. Allein wollte ich eine derart schwere Tour eigentlich nie bestreiten.

Kurz vor dem Ziel in der Halbwüste New Mexicos

Dieselbe Tour, doch unterschiedliche Perspektiven

Seit vielen Jahren verbinden Markus und Mathias ihr berufliches Schaffen mit ihrer Leidenschaft zum Radfahren. Obwohl sie mit der Tour Divide dasselbe Rennen bestreiten, hätten ihre Erlebnisse und Wahrnehmungen auf der Route kaum unterschiedlicher sein können, und so erleben auch die Leser dieses Buches das Rennen aus verschiedenen Perspektiven.

Am Rande mit dabei war auch eine kleine Filmcrew, bestehend aus Johannes und Moana. Sie sind – mit dem Auto – ihre ganz eigene Tour gefahren, um die Landschaft, wichtige Wegpunkte und Menschen entlang der Great Divide Mountain Bike Route mit der Kamera festzuhalten. Einige ihrer Bilder sind in diesem Buch zu sehen. Kontakt zwischen den beiden und uns Fahrern gab es so gut wie nicht, hatten sie doch nur 14 Tage für ihren Roadtrip zur Verfügung.

Dass sie dabei waren, mag Traditionalisten der Unsupported-Bikepacking-Szene schon ein Dorn im Auge sein. In der Vergangenheit wurde die Begleitung durch eine Filmcrew schon als Unterstützung gewertet. Deshalb waren Johannes und Moana völlig selbstständig unterwegs.

Doch vielleicht muss man auch nicht alles auf die Goldwaage legen. In Zeiten, in denen jeder Teilnehmer ein Smartphone mitführt und sich somit alle nur erdenklichen Informationen über das Rennen selbst und die Versorgungsmöglichkeiten entlang der Strecke besorgen kann, herrschen für die Tour Divide längst andere Voraussetzungen als noch vor zehn Jahren. Wo fängt Support an und wo hört er auf? Das ist letztlich eine fast philosophische Frage.

Mathias und Markus wollten sich auf jeden Fall an die (auslegbaren) Regeln halten: Jeder macht sein eigenes Ding, keine Verabredungen werden getroffen, und am besten liegen immer ein, zwei Tage Abstand zwischen beiden. Das hat auch was Gutes. So fließen drei beinahe unabhängige Blicke auf die Great Divide Mountain Bike Route und die 2022er-Ausgabe der Tour Divide in dieses Buch ein.

Mathias Müller und Markus Weinberg nehmen euch mit auf einen wilden Ritt durch die Rocky Mountains. Viel Freude dabei.

Tiere auf der Strecke wie dieser Weißwedelhirsch sind bei der Tour Divide keine Seltenheit.

Die kanadischen Rockies

Banff–Eureka: 441 km / 5750 HM

Die Route startet vor dem YWCA Hotel im kanadischen Bergsteigerstädtchen Banff, umgeben von den markanten Bergen das Banff National Park.

Über den Goat Creek Trail entlang des Spray River geht es zum Spray Lake Reservoir. Wir gelangen in den Spray Valley Provincial Park und weiter in den Peter Lougheed Provincial Park. Vom Forstweg biegt der Track ab in den High Rockies Trail zu einem Highlight der Strecke, der schmalen Blackshale-Creek-Hängebrücke. Einzige vernünftige Verpflegungsmöglichkeit auf diesem Abschnitt ist der Boulton Creek Trading Post.

Über den Aufstieg des Hydroline Trail erreichen wir den Elk Pass auf 1961 Metern und damit den Bundesstaat British Columbia. Eingerahmt vom Elk Lakes Provincial Park und den Bergspitzen der Elk Range, führt die Strecke den Elk River entlang bis zur Kreuzung Crossing Creek und somit zum Einstieg in die Koko Claims.Erst auf 2040 Meter Höhe endet die schwere Schiebepassage. Die steile und geröllreiche Abfahrt führt zur Bull River Forest Road hinab, der wir bis zum Einstieg zum Three Sisters Pass folgen (1530 Meter). Oben wartet der kleine Hartley Lake mit seinem Campingplatz. Weiter rollt es ohne Schwierigkeiten bis ins Städtchen Fernie mit Radladen, Supermarkt und Hotels.

Über eine große Schleife vor der kanadisch-amerikanischen Grenze führt die Route über den Flathead Pass (1797 Meter) und weiter hinab zum Flathead River. Ihm folgen wir auf einer gut ausgebauten Forststraße bis zum Cabin Pass (1704 Meter). Die Abfahrt schlängelt sich steil den Bighorn Creek hinab zum Wigman River. Hier wartet »The Wall«, ein fast senkrecht hinaufführender (Kletter-)Pfad – die einzige Möglichkeit, hinauf auf die Straße zum Galton Pass (1926 Meter) zu gelangen.

Nach furioser Abfahrt führt im weiten Tal eine Asphaltstraße zur kanadisch-amerikanischen Grenzstation in Roosville. Die letzten Kilometer nach Eureka im Bundesstaat Montana sind ein leicht zu bewältigender Epilog auf Asphalt.

Banff, Alberta, Kanada (Markus)

Der Morgen dämmert in Banff. Schneebedeckte Berge umschließen das kleine Bergsteigerstädtchen, Nebel hängt an den Bergspitzen und wabert in den Tälern. Es ist windstill, und eine ruhige Spannung liegt in der Luft. Noch sind die Straßen verwaist. Nur ab und an sieht man einen Radfahrer über eine kleine Brücke gen Süden rollen.

Als ich das einzige Schnellrestaurant der Stadt betrete, das schon offen hat, ist es 6 Uhr morgens, doch es herrscht schon reges Treiben. Voll bepackte Gravel- und Mountainbikes lehnen an der Fensterfront, hinter der Frühstücksburger, Omeletts und Kaffeebecher die Tresenseite wechseln. Ich stürze mich ins Getümmel, obwohl ich eigentlich gar keinen Hunger habe. Aus einer Ecke heraus beobachte ich meine zukünftigen Leidensgefährten. Langsam kehrt innere Ruhe ein. Denn meist funktioniere ich nach dem Motto: Wenn alle nervös werden, werde ich ruhig. Wenn alle ruhig sind, werde ich nervös.

Der 2133 Meter hohe Mount Norquay ist einer der Hausberge von Banff.

Ein lang gehegter Traum wird wahr (Mathias)

Es ist Freitag, der 10. Juni, heute startet die Tour Divide. Ich bin dabei, möchte meinen großen Traum, das größte Abenteuer meines bisherigen Lebens, in Angriff nehmen. Meine Startgruppe fährt um 7.20 Uhr vor der Jugendherberge in Banff los, und ich muss mich beeilen, weil ich zu lange am Fahrrad gewerkelt habe. Tatsächlich komme ich als Letzter dort an. Meine Gefühle fahren Achterbahn. Ich weiß nicht, was auf mich zukommt.

Vorbereitung mangelhaft (Markus)

»Mensch, Junge!«, hatte Mathias gebrummt, als er mich kopfschüttelnd 13 Stunden vor dem Startschuss am Radladen in Banff empfing. Mein Rad musste zum Großteil noch aufgebaut und die neuen Beast-Laufräder auf Tubeless umgerüstet werden. Eigentlich hatte ich alles falsch gemacht, was man vor so einer Tour falsch machen kann. Zum Glück haben die Mechaniker schon mehr als ein Rad für die Tour Divide aufgebaut und dem ein oder anderen Rennfahrer die Teilnahme gerettet. So wie mir jetzt.

Ebenfalls noch erworben: ein Bärenspray. Eigentlich wollte ich darauf verzichten. Zu schwer, sperrig – und ob es mir wirklich hilft oder ich mich damit im Notfall nur selbst verletze? Ich lasse mich überzeugen. Nur 30 Minuten später wird klar, dass es eine gute Entscheidung war. Vor der spektakulären Bergkulisse an den Vermilion Lakes wollen Johannes und Moana, unsere Film- und Foto-Crew, noch Startbilder von uns schießen. Als Mathias und ich um eine Kurve rollen, da steht er auf der Straße: der erste Schwarzbär meines Lebens. Spray ist nicht nötig, er trollt sich ganz gemächlich die Böschung hinauf. Trotzdem ist spätestens jetzt klar: Es wird ernst.

Die Starter der Tour Divide versammeln sich am YWCA Hotel in Banff.

The Grand Depart – Startschuss ins Abenteuer (Markus)

Anders als in den Jahren zuvor erfolgt der große Start in diesem Jahr coronabedingt alle zehn Minuten in 25er-Gruppen am YWCA Banff Hotel. Und zwar nach der Reihenfolge der selbst eingeschätzten Zielzeit. So ist es kein Wunder, dass mir als Erstes Sofiane Sehili und Adrien Liechti in die Arme laufen. Die beiden Profis wollen nichts weniger als einen Rekordversuch auf der Route wagen und unter 14 Tagen bleiben. Ich selbst habe 24 Tage angegeben – Startzeit 7.30 Uhr. Mathias glaubt, es in 20 Tagen zu schaffen, und hat somit Startzeit 7.20 Uhr. Doch wo ist er überhaupt?

Als um 7 Uhr bereits die zweite Gruppe startet, kommt er den Berg hinauf und sieht schon fix und fertig aus. Wir lächeln gemeinsam in die Kamera, und als ich Mathias dabei in den Arm nehme, spüre ich, wie er vor Aufregung zittert. Und dann ist er weg. Verschwunden hinter der Ecke des Hotels mit 24 anderen Startern.

Gleich außer Puste (Mathias)

Schon nach wenigen Metern bleibt mir die Puste an einer steilen Rampe weg. Was, hier schon im kleinsten Gang hoch? Das kann ja heiter werden. Es ist vor allem meine Nervosität, die mir einen Streich spielt, meinen Puls hochjagt und meine Beine schwer werden lässt. Voller Adrenalin spreche ich jeden an, der mich überholt. Small Talk. Wo kommst du her? Wie lange möchtest du für die Strecke brauchen? Was man eben zwischen zwei Atemzügen so loswerden kann.

Die ersten rund 60 Kilometer geht es fast permanent bergauf. Eine Bank am Wegesrand bietet mir nach Stunden einen geeigneten Pausenplatz. Während ich ein mitgebrachtes kaltes halbes Hähnchen verspeise, schaut mir ein Dutzend Erdmännchen zu, in der Hoffnung, einen Krumen abzubekommen.

Mathias auf seinen ersten Kilometern

10, 9, 8... 3, 2, 1 – YEAHHHHH (Markus)

Noch eine Minute bis zum Start. Ich aktiviere Track 1 auf meinem Wahoo Navigationsgerät. Bis Eureka in den USA sind 440 Kilometer und knapp 5750 Höhenmeter zu bewältigen. Knapp kalkuliert, bin ich in drei Tagen da.

Wir rollen gemeinsam aus der Ausfahrt. Ein paar Zuschauer am Wegesrand applaudieren, dann geht es hinein in den Wald. Links und rechts des Goat Creek Trails, der sich längs des Spray River entlangschlängelt, ragen dunkle Bergketten mit weißen Schneespitzen in die Höhe. Dunkle Fichten drängen bis auf den feuchten Weg, Nebelfelder stehen hier und da noch in den Senken. Nur nach und nach setzt sich das Blau am Himmel durch.

Meine Startgruppe hat sich schon auf den ersten Metern komplett zerlegt. Jeder fährt sein eigenes Tempo. Ständig steht jemand am Wegesrand, packt die Tasche um, zieht die Jacke aus oder stellt den Sattel neu ein.

An einer Geröllwelle taucht Mathias vor mir auf. Nur die Uhr verrät, dass wir noch keine Stunde auf dem Rad sitzen. Er schnauft kopfschüttelnd: »Junge, was haben wir uns dabei gedacht? Das geht schon mal gut los.« – »Mann, seit Monaten verfolge ich deine Trainingsvideos im Netz. Du müsstest in der Form deines Lebens sein!«, erwidere ich. Er ächzt. »Junge, du warst Profi. Für dich ist das doch ein Leichtes. Ich hab’ Rücken.« Wenn er wüsste! Habe ich doch monatelang nicht wirklich auf dem Rad gesessen. Ein wohl vorerst letztes: »Allez«, wie es auf der Blende seines Käppis steht, und ich lasse ihn tatsächlich hinter mir.

Etwas später hole ich auf zu einem Fahrer, der mir bekannt vorkommt, und tatsächlich: Es ist Allan Shaw, der schottische Kopenhagener aus Mexiko-Stadt. Wir hatten uns im Vorjahr beim Silk Road Mountain Race in Kirgisistan kennengelernt. Dass er überhaupt schon wieder auf dem Rad sitzen kann … Vor wenigen Monaten war Allan noch auf einen Rollstuhl angewiesen, nachdem er in Mexiko von einem Auto umgefahren worden war und mehrfach operiert werden musste. Und jetzt fährt er hier, neben mir. Was für eine Freude! Ein kleines Stück radeln wir gemeinsam, doch am Ende hat jeder seinen eigenen Rhythmus, und am Anstieg zum kleinem Staudamm Goat Pond verlieren wir uns wieder.

Die Straße gleicht einem Catwalk der Tiere: Weißwedelhirsche, Elche, Streifenhörnchen, wilde Dickhornschafe. Letztere sind besonders Respekt einflößend. Während die Straße gefühlt direkt in den Himmel aufsteigt, steht eine Gruppe gut behornter Schafe da. Der Boss scharrt ordentlich mit den Hufen, doch es bleibt zum Glück bei der Drohgebärde. Passend dazu am Wegesrand ein Warnschild: »Avalanche Area – No Stopping«. –»Yes, Sir«, denke ich mir. »I will not stop, I promise.«

Streifenhörnchen am Wegesrand

Bruchlandung (Markus)

Kurze Zeit später geht es nach links ab direkt in den High Rockies Trail. Also nicht ganz direkt: Eine dicke Schneewehe versperrt die Einfahrt in den dunklen Wald. Auf die Schneewehe folgt eine Wasserdurchfahrt, bis der Wald etwas lichter wird und der höchste Punkt des Trails erreicht ist. Jetzt wird’s super flowig. Es macht richtig Spaß, mit der Schwungmasse des schweren Rades um die Kurven oder durch die kleinen Wellen zu surfen. Bis – ja bis? Ein kurzer Antritt aus einer Welle hinaus, und ich fliege über den Lenker.

Erst realisiere ich überhaupt nicht, was passiert ist, springe direkt wieder aufs Rad und will sofort weiter. Doch es dreht sich nichts mehr. Nur ich, ich drehe kurz durch. Die Tour kann doch nicht schon hier vorbei sein, nach 65 Kilometern!

Der Schaden ist beträchtlich. Das kleine Kettenblatt meiner Zweifachkurbel ist gebrochen und hat sich zwischen Rahmen und großem Kettenblatt verklemmt. Als ich versuche, die verbliebenen Schrauben zu lösen, zerbricht mein Inbusschlüssel, und als Nächstes macht auch noch der Leatherman die Grätsche. Seit meinem 14. Lebensjahr begleitet mich das Universalwerkzeug auf allen Reisen. Beim Versuch, das Kettenblatt zu biegen, bricht das gute Stück. Bärenkräfte wirkten im Bärenwald. Zu Hause werde ich das vor 28 Jahren erteilte Werbeversprechen der lebenslangen Garantie mal testen. Bin gespannt.

Die ersten Fahrerinnen und Fahrer überholen und fragen etwas mitleidig, ob alles gut sei. Einer leiht mir sein Inbus-Set. So kann ich wenigstens die letzte Schraube des kleinen Blatts lösen und mit Kabelbindern am großen Kettenblatt befestigen. Ein halber Millimeter Luft zwischen Rad und Kurbelgarnitur muss reichen. Bis zum nächsten Radgeschäft in Fernie sind es ja lediglich 190 Kilometer.

Mir bleibt das große Kettenblatt, und auch der Rahmen ist noch ganz. Glück im Unglück. Der Schreck sitzt tief, aber es kann zumindest weitergehen. Gut, dass kurz darauf ein kleines Highlight folgt, das auch ein beliebtes Fotomotiv im Trail ist: die schmale Hängebrücke über den Blackshale Creek.

Banff: Ort und Nationalpark

Das Städtchen Banff mit seinen rund 8000 Einwohnern ist nicht nur der Ausgangspunkt der Tour Divide und der Great Divide Mountain Bike Route, sondern auch ein Hotspot der Bergsteigerszene mit jährlich Millionen von Besuchern im gleichnamigen Nationalpark. 1885 gegründet, ist der Banff National Park der älteste in Kanada. Heute gehört er als Teil der Canadian Rocky Mountain Parks zum UNESCO-Welterbe.

Fahrtechnisch nicht besonders schwierig, aber spektakulär: die Blackshale Suspension Bridge

Attention please. Bears around! (Markus)

Das Ende des Trails kündigt eine laute Glocke an, als wir die Straße am Lower Kananaskis Lake erreichen. Niemand Geringeres als Tour-Divide-Urgestein Crazy Larry und ein Kollege in Warnweste sorgen für ordentlich Lärm. »Attention please. Bears around!«, ruft er uns zu. Ich bleibe stehen, um kurz zu plaudern und ein kleines Interview mit ihm zu führen. Ein Fahrer nach dem anderen fährt auf, jeder scheint Larry zu kennen, und schließlich überrennt ein großer Schwung an Fahrern – ich mittendrin – den Boulton Creek Trading Post. Die erste und bis Fernie einzige Verpflegungsmöglichkeit, bestehend aus einem kleinen Supermarkt mit Imbiss. Beste Gelegenheit, um ein neues Tool mit Zange zu organisieren und diverse Snacks nachzukaufen.

Immer auch auf Vorrat kaufen, sagt Allan.

Allans Lektion (Markus)

Im einsetzenden Regen sitzen wir vor dem Imbiss. Allan, der mit der Meute angekommen ist, hält drei riesige Hotdogs in der Hand. Ich frage ihn, wie er das denn alles essen will? Es folgt die erste Lektion von einigen weiteren, die mir Allan über Bikepacking-Rennen erteilen wird. »Bestell immer mindestens doppelte Portionen und pack den Rest ein für schlechte Zeiten.« Noch fühle ich keinen Hunger. Erst in ein paar Tagen wird sich mein Biorhythmus ändern und sich ein permanentes Hungergefühl einstellen, wie ich es von früheren Touren kenne. Ein tolles Gefühl purer Lebendigkeit und innerer Stärke.

Die Asphaltstraße führt noch einmal hinunter zum See, bevor die erste ernstzunehmende Steigung bezwungen werden will, der 1961 Meter hohe Elk Pass. Ich quäle mich mit meinem viel zu schweren Gang hinauf. An den ganz steilen Stellen muss ich absteigen und schieben. Dennoch hole ich Fahrer ein, mit denen ich eben noch zusammengesessen hatte.

Unverhofftes Wiedersehen (Markus)

Ich verlasse den Bundesstaat Alberta und gelange nach British Columbia. Meine erste Begegnung nach der imaginären Grenze: Mathias. »Eh, wie kommst du denn hierher?«, entfährt es mir. Während wir gemeinsam versuchen, eine fahrbare Bergabspur im morastigen Weg zu finden, der zusätzlich von einem Bachlauf geflutet ist, erzählen wir uns gegenseitig den ereignisreichen ersten Tag. Den Verpflegungspunkt hatte Mathias verpasst. Während ich speiste, hatte er sich unbemerkt an mir vorbeigeschoben. Wir hieven die Räder über hingeworfene Äste, Mathias rutscht ab und versinkt mit einem Bein im Schlamm. Ich stapfe direkt durchs Wasser: nass aber sauber. Als wir wieder auf dem Rad sitzen, lasse ich bergab etwas rollen, und eine Kurve später ist von Mathias nichts mehr zu sehen. »Mach los, Junge«, hallt es noch in meinem Ohr nach.

Interview mit Lael Wilcox

Lael Wilcox, 36, stammt aus Anchorage, Alaska. Die Ultra-Distanz-Bikerin hält den Rekord der Frauen bei der Tour Divide und lässt bei ihren Rennen auch viele männliche Kollegen weit hinter sich. Über ihre Tour Divide 2019 wurde der Film »I Just Want to Ride« gedreht.

Wie oft bist du die Tour Divide schon gefahren?

Ich bin die Tour Divide bisher viermal gefahren (zweimal 2015, 2019 und 2021). Einzelne Abschnitte der Strecke habe ich mir ab 2011 angesehen.

Was gefällt dir an der Strecke?

Das Bergauffahren. Wirklich, ich liebe die Anstiege!

Und was magst du nicht?

Ich mag einfach alles an diesem Rennen. Die Fahrt ist insgesamt sehr friedlich und wunderschön. Die Straßen sind ziemlich gut zu befahren. Ich würde die Route auf jeden Fall jedem Anfänger empfehlen. Viel mehr Menschen sollten die Strecke auch außerhalb des Rennens fahren. Sie wurde von der Adventure Cycling Association in den 1990er-Jahren entworfen und ist es auf jeden Fall wert, gefahren zu werden, egal ob in einem Rennen oder in mehreren kleinen Abschnitten.

Was ist die größte Herausforderung an der Tour Divide?

New Mexico. Es ist heiß, und es gibt ungeahnt viele Berge dort.

Hast du Angst vor Bären und Berglöwen?

Ich habe noch nie einen Bären auf der Strecke gesehen. 2021 bin ich um Mitternacht außerhalb von Ovando, Montana, einem Puma und seinen Jungen begegnet. Es ist aber nichts passiert. Es ist doch ein Privileg, wilde Tiere zu sehen. An den meisten Orten der Welt werden sie gejagt und getötet. Ich bin dankbar, dass es sie in den Rockies noch gibt.

Nimmst du dir bei so einem Rennen auch ab und zu ein Motelzimmer oder schläfst du nur draußen?

2015, bei den ersten beiden Rennen, habe ich jede Nacht draußen geschlafen. Bei meiner ersten Teilnahme habe ich 17 Tage lang nicht geduscht. Ich wollte keine Zeit verlieren. Wenn ich 2023 wieder Rennen fahre, werde ich wahrscheinlich jede dritte oder vierte Nacht in einem Motel übernachten. Es ist eine gute Gelegenheit, elektronische Geräte aufzuladen und zu duschen.

Wie lange schläfst du nachts während eines Rennens?

Ich plane vier Stunden pro Nacht ein.

Was isst du? Stoppst du an Restaurants?

Während der Tour Divide esse ich alles auf dem Rad. Ich kaufe oft Burger, Pizza oder Burritos zum Mitnehmen, die ich dann während der Fahrt verspeise.

Du bist die Rekordhalterin in der Kategorie der Frauen. Glaubst du, du könntest sogar schneller sein als deine 15 Tage, 10 Stunden, 59 Minuten?

Ja – ich hoffe, dass ich 2023 schneller fahren kann. Mit dem Rekord ist es jetzt etwas knifflig, denn durch den Klimawandel gibt es oft Umwege, die einen von der ursprünglichen Route abbringen. Aber ich werde mein Bestes geben.

Ist eine Tour-Divide-Rekordzeit mit den Wetterbedingungen vereinbar?

Dieses Jahr war Sofiane sehr schnell – und das Wetter war verdammt schlecht. Bessere Bedingungen machen es definitiv einfacher, den Rekord zu brechen. Er wird fallen.

Wirst du zurückkommen, um die Tour Divide erneut zu gewinnen oder sogar deinen eigenen Rekord zu brechen?