Grenzlande 2 - Lorna Freeman - E-Book
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Grenzlande 2 E-Book

Lorna Freeman

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Beschreibung

Wahre Helden geben niemals auf!

Eigentlich will Hase – einer der mächtigsten Magier von Iversterre und Thronerbe des Reiches – nur ein einfacher Soldat sein. Doch als schwarze Hexer einem alles verschlingenden Dämon Zugang in die Welt der Menschen ermöglichen, bleibt Hase keine Wahl. Gemeinsam mit der Leibgarde des Königs nimmt er den Kampf gegen dunkle Magie, Verschwörungen und selbst gegen die Macht der Unterwelt auf.

Die Grenzlande gehören zu den fantasievollsten Welten, die je erdacht wurden!

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Seitenzahl: 626

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Inhaltsverzeichnis
 
Widmung
Prolog
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
 
Copyright
Buch
Eigentlich hatte Hase sich zur Grenzpatrouille gemeldet, um der Magie und seinem bösartigen Lehrmeister zu entgehen. Doch in den wilden Grenzlanden muss er nur allzu schnell erkennen, dass er weder vor seiner adligen Abstammung noch vor seinem magischen Erbe davonlaufen kann - immerhin ist er einer der mächtigsten Magier von Iversterre und zudem als naher Verwandter des kinderlosen Königs der Thronerbe des Reiches. Als schwarze Hexer einem alles verschlingenden Dämon Zugang zur Welt der Menschen verschaffen, ist es mit dem einfachen Soldatenleben daher rasch vorbei, denn Hase weiß natürlich, was von ihm erwartet wird, und nimmt gemeinsam mit der Leibgarde des Königs den Kampf gegen dunkle Magie, Verschwörungen und selbst gegen die Macht der Unterwelt auf …
Autorin
Lorna Freeman begann bereits in jungen Jahren, fantastische Geschichten zu lesen. Zwar wurde sie nicht dort geboren, doch die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte sie in Kalifornien, dem Land des Sonnenscheins und der Erdbeben.
Von Lorna Freeman bei Blanvalet lieferbar
Grenzlande: 1. Die Verpflichtung (26592) · 2. Die Königstreuen (26593)
Für meine Schwestern: Marcia, Joy, Halleigh, Sandra und Adia. Ihr seid allesamt Teufelsbraten, aber ich liebe euch trotzdem.
Prolog
Als ich noch ein Kind war, wurde mein Vater gebeten, den Vorsitz des Handelskonzils in unserem Weiler zu übernehmen - eine große Ehre, da man allen Menschen in den Grenzlanden mit beträchtlichem Argwohn begegnete. Man hielt uns für diebisch, da wir bereits ein ganzes Königreich ausgeplündert hatten. Trotz gewisser Rückschläge gelang es Pa jedoch nicht nur, das Konzil dazu zu bringen, einen gut durchdachten Plan zu entwickeln, sondern ihn auch auf eine vernünftige Weise in die Tat umzusetzen, zum Wohle aller im Weiler. Da sich das Forstkonzil gewöhnlich sehr schwertat, irgendwelche Entschlüsse zu fassen, wurde das als ein gewaltiger Erfolg gefeiert.
Pas Belohnung bestand in der Teilnahme an weiteren Konzilien.
1
»Ach weh!«, rief Lady Alys. Ihre langen blonden Zöpfe wirbelten um ihren Kopf, als sie sich vom Spiegel abwandte und auf die Ottomane warf. Ihre Zofe drängte sich hastig an dem Herold vorbei, kniete sich neben sie und streichelte ihre Hand. »Weh und ach!«, rief Alys erneut und ließ den Brief, den sie gerade erhalten hatte, aus der anderen Hand gleiten. Der Herold schwankte unter dem Stoß, den die Zofe ihm versetzt hatte, und ließ seine Botentasche los, die mit einem lauten Geräusch zu Boden fiel und klirrend ihren Inhalt preisgab. Er ließ sich auf Hände und Knie hinunter und sammelte alles wieder auf, wobei er den Hintern hoch in die Luft reckte.
Alys setzte noch einmal an, mit erhobener Stimme. »Oh weh! Mein süßer Dillem folgt dem Ruf seines Lehnsherrn, um ihm im Kampf gegen den verruchten Lord Morul beizustehen!«
Die Zofe bearbeitete weiter Alys’ Hand, beugte sich vor und murmelte ihr beruhigend zu, welch große Fortschritte die Kampfkünste des süßen Dillem gemacht hätten und dass er zweifellos schon bald gesund zurückkehren und »M’lady heiraten« würde.
»Nein, nein!«, seufzte Alys laut und rückte ein Stück zur Seite, um an ihrer Zofe vorbeizublicken. »Das verstehst du nicht.« Sie versuchte die Hand zu heben, aber die Zofe massierte sie immer noch. Nach kurzem Kampf gelang es Alys, ihre Hand zurückzuerobern, und presste sie gegen ihre Stirn. »Morul hat die Nördliche Dunkelheit aufgerufen …«
Die Zuschauer, die die improvisierte Bühne des Straßentheaters umringten, wurden unruhig und warfen unbehagliche Blicke in unsere Richtung. Lady Alys spürte, dass sie ihre Zuschauer zu verlieren drohte, und hob die Stimme.
»Die Nördliche Dunkelheit, geboren ausMythen, Magie und Zauber,mit Blut und Glocke, Kerze und Buchbindet sie die Hölle an den, der sie ruft …«
Lady Alys brach mitten in ihrer Deklamation ab, als die Menge sich teilte und sich eine Gasse zwischen uns und ihr bildete. Ihr Blick glitt über die beiden Reiter Jeffen und Arlis, die beide eher gewöhnlich aussahen, leuchtete auf, als er mein Wams mit den brandneuen Leutnantsabzeichen streifte, wanderte weiter, über meinen hüftlangen Zopf mit der eingeflochtenen Feder und die Schmetterlinge auf meiner Schulter, bis er sich schließlich auf den schlichten langen Eschenstab in meiner Hand richtete. Das alles roch nach Mythen, Magie und Zauber, durch die sich das Königreich von Iversterres nördlichem Nachbarn, den Grenzlanden, auszeichnete. Der Wind wollte unbedingt mitmachen, liebkoste mich und spielte mit der Feder und den Flügeln der Schmetterlinge.
Das Leben eines fahrenden Schauspielers ist hart. Abgesehen von der ständigen Bedrohung, Bekanntschaft mit überreifem Gemüse und kleinen toten Tieren zu machen, war auch die Duldung durch die Behörden eine höchst unsichere Angelegenheit. Außerdem war es sehr gefährlich, die Machthaber zu beleidigen. Alys zuckte auf ihrer Ottomane zurück, während Herold und Zofe zu dem Schluss kamen, dass sie nichts mehr auf der Bühne zu suchen hätten, weil das ja nun wirklich M’ladys Szene war. Sie gingen hastig nach links ab. Einen Moment später rauschte der Vorhang herunter, und eine Stimme dahinter verkündete, dass aufgrund unvorhersehbarer Geschehnisse der Rest der Morgenvorstellung abgesagt wäre.
»Leutnant Lord Hase«, seufzte Jeffen. »Dramenfluch und Spielverderber.« Er zog seinen Umhang fester um sich und wandte sich von der Bühne ab. Arlis und ich folgten ihm zu einer der Straßen, die vom Theaterplatz - so hatten ihn die Ratsherren der Stadt in einem Anfall von Großmannssucht genannt - wegführten; immerhin konnte er sich eines Schauspielhauses rühmen.
Ich sagte nichts, weil ich mir mehr Sorgen darüber machte, welches neue Gerede durch diesen Vorfall über die Tausende Gerüchte hinaus, die bereits in Freston kursierten, entstehen würde. Wir waren gestern Nachmittag von den Grenzlanden gekommen, in Begleitung von Leuten, die nach Meinung der meisten Menschen von Iversterre nur in Kindermärchen und Theaterstücken wie dem existierten, das eben so abrupt beendet wurde. Nahm man dann noch die Ankunft König Jussons IV. dazu und sein Vorhaben, sich länger hier aufzuhalten, war klar, dass es in der Stadt kochte wie in einem der Feuerschlünde der Oberen Reiche.
Der Wind umwehte mich und trug den Duft der Ernte heran. Es würde eine gute Ernte werden; die Felder quollen über, und an den Bäumen hing prall das Obst des Herbstes. Das Erntefest nahte, die Feier der letzten großen Versammlung des Jahres. Der Wind murmelte und raunte mir Geschichten von Eichelsammlern und Zugvögeln zu, die nach Süden aufbrachen; dann sauste er davon, ließ die Bänder an den Laternenpfosten flattern und fuhr zwischen die Menschen auf dem Platz. Ich lächelte, während ich ihm zusah und den vertrauten Anblick, die vertrauten Geräusche und Gerüche aufsog.
Zu Hause.
Das heißt, mein Zuhause während der letzten fünf Jahre.
Geboren und aufgewachsen war ich in den Grenzlanden, einer lockeren Allianz aus Faena, fantastischen Bestien und ähnlichen Lebewesen, die friedlich und zufrieden im Norden des Königreichs Iversterre hausten. Einst hatte sich das Volk, wie sie sich nannten, bis zu den Südlichen Seen in einem Netzwerk aus Stadtstaaten, kleinen Lehnsgütern, Domänen, Splittergruppen, Stämmen und Clans ausgebreitet, die sich alle fröhlich betrogen und hintergingen, während sie die Faena-Version von Jeder gegen Jedenspielten. Es war das goldene Zeitalter der wechselnden Allianzen, des Verrats und Betrugs gewesen. Dann tauchten eines Tages die Menschen auf und begannen ihre eigenen Machtspiele, manchmal mit List, ein andermal mit blutiger Gewalt. Das Volk wurde Stück um Stück vertrieben, bis es endlich den Kopf aus dem Sand nahm und feststellte, dass es an den Rand des Gebietes gedrängt worden war, das einst vollständig ihm gehört hatte. Das regte die Bewohner ziemlich auf, und sie schoben ihre Meinungsverschiedenheiten für die Zeit des letzten Eroberungskrieges des menschlichen Königreichs beiseite. Zum ersten Mal bekamen es die Menschen jetzt mit einem vereinten Gegner zu tun. Iversterres Königliche Armee wurde windelweich geprügelt, und die Armee der Grenzlande veranstaltete auf ihren Resten einen Siegestanz.
Verlorene Kriege und die Abneigung des Volkes Menschen gegenüber konnten meine Eltern, Lord Rafe ibn Chause und Lady Hilga eso Flavan, nicht abschrecken, ihr Heimatland zu verlassen und sich in einer entlegenen Provinz der Grenzlande niederzulassen. Sie nahmen neue Namen an, Zweibaum und Lerche, wurden Bauern und Weber und schenkten zwischen den Ernten acht Kindern das Leben. Sie glaubten fest daran, dass die Faena sie in Ruhe lassen würden, wenn sie die Faena in Frieden ließen. Sie hatten recht. Allerdings lag das hauptsächlich daran, dass meine Ma und mein Pa sich dank eines glücklichen Zufalls im Gebiet von Dragoness Moraina ansiedelten. Die ehrenwerte Moraina schätzte Unruhe und Belästigungen gar nicht. Es sei denn freilich, sie selbst verursachte sie.
Obwohl ich Hase genannt werde, bin ich ein Mensch. Und als Mensch wuchs ich unter Faena auf. Ich hatte viele Aufgaben zu erfüllen, musste Felder pflügen, Ställe ausmisten und all die anderen Dinge lernen, die das Leben auf einem Bauernhof so interessant machen. Aber ich verbrachte auch Frühlingsnachmittage mit einer Baumelfe, die mich die Kunst des Waldes lehrte, schwamm im Sommer mit Flussottern, lauschte in Winternächten Geschichten von Schwertkämpfen und Zauberei, die von umherziehenden Barden erzählt wurden. Das war das goldene Zeitalter meiner Kindheit.
Als ich heranwuchs, wurde jedoch augenfällig, dass ich die Gabe der Magie besaß, und meine Eltern schickten mich als Schüler zu dem Magier Kareste. Von dem lief ich schon bald weg, nach Iversterre, wo ich Reiter in der Königlichen Armee von König Jusson IV. wurde. Ich blickte nie zurück, bis zum letzten Frühling, als meine Vergangenheit mich mit der Raffinesse eines brünstigen Bullen einholte.
Während einer Routinepatrouille im letzten Frühling hatte sich meine Abteilung in den Bergen oberhalb von Freston verirrt. Als ich den Rückweg zur Garnison auskundschaftete, stolperte ich über Laurel, einen Berglöwen und Anführer der Fae. Bevor ich mich versah, hatte ich auch schon die Feder, die ich jetzt in meinem Zopf trage, das Zeichen einer Verpflichtung, die meine Kameraden und mich aus Freston zunächst in die Königliche Stadt Iversly, dann in die Grenzlande und an den Hof Seiner Gnaden Fyrst Loran spülte.
Ebenso erlangte ich letzten Frühling meine volle Magiermacht mit allen vier Aspekten: Luft, Erde, Feuer und Wasser. Die meisten Magier verfügen nur über einen Aspekt.
Laurel hat mir außerdem letzten Frühling die Wahrheitsrune in die Handfläche geritzt. Es ist die gleiche Rune, die im letzten Krieg mit solch verheerendem Erfolg gegen die Königliche Armee Iversterres eingesetzt wurde.
König Jusson erkannte mich in eben diesem Frühling als Cousin und Thronfolger an, was einige Mordversuche seitens Lord Gherats von Dru, seines Verwandten Leutnant Slevoic ibn Dru und meines eigenen Cousins Lord Teram ibn Flavan zur Folge hatte. Als sie feststellten, dass ich nicht so leicht umzubringen war, zettelten sie eine Rebellion an.
In jenem letzten Frühling hoben wir einen großen Schmuggler- und Sklavenhändlerring aus, durch den sich Dru und Flavan die finanziellen Mittel für ihren Umsturzversuch gegen König Jusson verschafft hatten.
Und ebenfalls im letzten Frühling erklärte mich Seine Gnaden Fyrst Loran zu seinem Cyhn, was wiederum an seinem Hof eine Rebellion auslöste.
Außerdem erhielt ich in jenem besagten Frühling die Schmetterlinge, mit freundlichen Grüßen der Feenkönigin.
Jetzt jedoch kuschelte ich mich zufrieden in meinen Mantel. Trotz all der Ereignisse des letzten Frühlings war ich zu Hause. Es war ein perfekter Herbstmorgen. Die Gipfel der Berge, die Freston umringten, und die leuchtenden Herbstfarben ihrer Hänge hoben sich klar vor dem tiefblauen Himmel ab. Es war frisch und kühl, und der Duft von Gewürzen durchzog die Luft, als die Hausfrauen der Stadt ihre Erntefest-Vorbereitungen begannen. Ich war bei meinen Kameraden, hatte zum ersten Mal meinen Leutnantssold eingestrichen, und mein Namenstag stand kurz bevor. Ich blickte hoch und schätzte den Sonnenstand. Uns blieb noch mehr als genug Zeit für eine Mahlzeit im Hirschsprung, bevor man mich in der Garnison vermissen würde. Unter meinem Umhang prüfte ich das Gewicht meiner Geldbörse, und es stimmte mich zufrieden.
»Ich glaube, Lady Alys war nur aufgeregt, weil Hases Zopf länger und hübscher ist als ihre eigenen Zöpfe«, meinte Arlis. Seine Stimme hatte den trägen, vornehmen Akzent der südlichen Gegenden unseres Königreiches. Er war etwas älter als Jeff und ich und trug einen kurz geschorenen Ziegenbart, der ihm ein schmuckes Aussehen verlieh. Das Problem war allerdings, dass er recht hatte. Arlis warf einen Blick auf die Feder und die Schmetterlinge, die in der schwachen Morgensonne träge die Flügel bewegten. »Und er hat auch den hübscheren Schmuck.«
Arlis war trotz seines Ziegenbartes und seines Akzents aus den Südlanden ein ganz anständiger Bursche. Außerdem war er Patrouillenreiter auf der Königsstraße, was ich ihm jedoch nicht vorhielt. Denn seine Truppe hatte unter denselben Prüfungen und Schwierigkeiten gelitten wie unsere, als sie uns auf unseren Reisen in die Grenzlande und wieder zurück begleitete. Trotzdem wollte ich seine Bemerkung nicht so einfach stehen lassen. »Genieß es, solange du kannst, alter Mann«, erwiderte ich. »Da du ja bereits an Altersschwäche leidest, wirst du der Schönheit niemals näher kommen als …«
In der Ferne schmetterten Trompeten, und ich unterbrach mich, während ich unwillkürlich in Richtung Königstor blickte.
»Der wievielte ist das?«, fragte Jeff, der mit Arlis neben mir stehen geblieben war. »Der achte?«
»Ja.« Ich rieb mir unter dem Schal meinen schwach kribbelnden Hals. »Ich glaube, Nummer sieben ist gestern Abend eingetroffen.« Ich fühlte, wie die Wahrheitsrune auf meiner Handfläche prickelte. Dann wurde meine Hand taub, und ich fragte mich, ob meine gerade erst ausgepackten Winterhandschuhe den Sommer über geschrumpft waren. Ich spreizte meine Finger, und das Gefühl kehrte langsam zurück. Es fühlte sich an, als würden tausend Nadeln in meine Haut stechen.
»Lord Beollan von Fellmark«, erklärte Arlis. Als er unsere überraschten Mienen sah, lächelte er schief. »Einer der Jungs von der Nördlichen Königsstraße hat mir heute Morgen in der Messe erzählt, dass sie zusammenrücken mussten, um Platz für die Bewaffneten einer Lordschaft zu machen. Die Stadt ist überbelegt.« Er seufzte. »Ich nehme an, dieser Haufen wird bei uns einziehen.«
Jeff und ich schnitten eine Grimasse. Im Unterschied zu Arlis’ verhätschelter Königsstraßen-Patrouille rangierte unsere Bergpatrouille ganz unten in der Rangordnung einer Garnison, die bis zum Rand mit Unfähigen, Verdächtigen, Machtlosen und Entehrten besetzt war. Wir bekamen die miesesten Patrouillenrouten, man kommandierte den Abschaum und die Aussortierten zu uns ab, und wir mussten tatsächlich in die Berge reiten und gegen Banditen kämpfen, statt auf edlen Rössern mit glänzendem Zaumzeug herumzureiten und vor Händlern, Bauersfrauen und Kuhhirten anzugeben. Da niemand etwas mit uns zu tun haben wollte, wenn es nicht unbedingt nötig war, konnten wir vermutlich unsere Unterkünfte für uns behalten. Trotz des immer geringer werdenden Platzes in der Stadt.
Arlis bemerkte unser Grinsen. »Lacht nur, Jungs, aber bei dem Tempo, mit dem die Adligen hier eintrudeln, werden Lord Hochnäsig und seine genauso überheblichen Bewaffneten sehr bald in eure Quartiere einziehen.«
König Jusson Goldauges Hohe Lords und Edlen folgten ihm tatsächlich in Scharen nach Freston. Teilweise, weil er der König war und folglich jeder Ort, an dem er sich aufhielt, sofort zum Zentrum der Welt wurde, teilweise auch, weil sie herausfinden wollten, was auf unseren Reisen in die Grenzlande passiert war. Hauptsächlich jedoch, weil sie sichergehen wollten, dass niemand anders einen Vorteil ihnen gegenüber errang, einschließlich meiner Person, obwohl oder wohl eher weil ich der Cousin und Thronerbe des Königs war. Ich fühlte mich nicht im Geringsten beleidigt, da dieses Machtgerangel des Adels um bessere Positionen mich an Desaster und Katastrophen erinnerte, die einen nur faszinierten, solange man sie aus sicherer Entfernung beobachten konnte. Aus diesem Grund drückte ich mich am Theaterplatz herum, statt die Hauptleute Suiden und Javes zu ihrer Audienz bei Jusson zu begleiten. Dass ich mich außerdem davor drückte, mich in der Garnison zu melden, hatte damit nichts zu tun. Jedenfalls nicht viel.
»Aber du vergisst etwas, mein betagter Freund«, sagte ich. »Wir haben Ryson.«
Jeffs Grinsen verstärkte sich. »Sehr richtig. Die Leute von M’lord Hochnäsig würden sicher lieber in einem Schneesturm auf einem freien Feld nächtigen, als mit ihm auch nur eine Kaserne zu teilen …« Ein weiteres Trompetensignal unterbrach ihn.
»Ha! Neun!«, meinte Arlis. »Und ich würde mich nicht zu sehr auf Ryson verlassen. Ich bin ihm heute Morgen im Bad begegnet. Er war im Wasser, so richtig, meine ich, hat Seife benutzt und sich tatsächlich geschrubbt …«
»Mylord!«
Zuerst reagierte ich nicht, weil ich vollkommen verdattert darüber nachdachte, dass Reiter Ryson sich freiwillig Wasser und Seife genähert hatte. Jeff berührte meinen Arm, und ich drehte mich herum. Ein dürrer Mann mit einem Umhang aus bunten Flicken hastete auf uns zu. Ihm folgte Lady Alys, ohne Bühnenschminke, Kostüm und blonde Zöpfe. Ihr echtes Haar leuchtete in einem wundervollen Rot, das in der Morgensonne zu brennen schien, während es über ihre Schultern und die festen, straffen Brüste, die aus ihrem Mieder quollen, zu ihrer schmalen Taille wallte. Die Haarspitzen liebkosten sanft geschwungene Hüften. Ich blinzelte verwirrt. Die beiden blieben vor uns stehen. Er verbeugte sich, sie ließ sich zu einem Hofknicks herab.
»Mylord, edle Herrn«, sagte der Mann, als er sich wieder aufrichtete. »Bitte verzeihen Sie uns, wir wollten niemanden beleidigen. Wir haben dieses Schauspiel nur ausgewählt, weil es beim letzten Mal so gut aufgenommen wurde.«
Alys hob den Kopf, nachdem sie ihren Knicks vollendet hatte. Sie hatte sanfte grüne Augen unter feinen, rotbraunen Brauen in einem ovalen Gesicht, dessen Haut wie Pfirsiche in Sahne wirkte. Sie bemerkte unsere Blicke und verzog ihre rosa Lippen zu einem Lächeln, hinter dem ihre weißen, gleichmäßig geformten Zähne aufblitzten. Dann senkte sie rasch den Blick und knickste erneut. Dabei hielt sie ihre Röcke gerade hoch genug, um uns einen Blick auf ihre zierlichen Knöchel und die kleinen, wohlgeformten Füße zu gewähren.
Mit einem kollektiven Keuchen traten Jeff, Arlis und ich gleichzeitig auf sie zu, während wir versuchten, uns gegenseitig zur Seite zu drängen. »Sie haben niemanden beleidigt, Lady Alys«, sagte ich hastig.
Sie stieß ein perlendes Lachen aus und warf uns durch ihre dichten Wimpern einen kecken Blick zu. »Ich bin keine Lady, Mylord, nur eine einfache Schauspielerin. Mit Verlaub, mein Name ist Rosea.«
»Leutnant Lord Hase ibn Chause e Flavan«, sagte ich, schlug klackend meine Absätze zusammen und verbeugte mich, die Hand aufs Herz gedrückt. »Von der Königlichen Armee seiner Majestät, Garnison Freston, berittene Bergpatrouille …«
»Und der Hohe Lord Zimperlich«, meinte Jeff, während er mich zur Seite schob. Er verbeugte sich ebenfalls. »Reiter Jeffen, schöne Maid. Ein richtiger Soldat.« Er deutete mit dem Daumen auf mich. »Lassen Sie sich nicht von seiner schicken Kleidung und seinen hochtrabenden Titeln täuschen. Ich habe ihm alles beigebracht, was er weiß. Leider hat es nichts gefruchtet.«
»Vielleicht weißt du einfach noch weniger als eine tote Mücke!« Arlis schob sich vor Jeffen. Seine elegante Verbeugung ließ vermuten, dass er irgendwann in seiner Vergangenheit einen Tanzlehrer bemüht hatte. »Reiter Arlis von der berittenen Patrouille der Südlichen Königsstraße. Komm mit mir, schöne Rose, und ich zeige dir die Schätze dieser Welt …«
»Jedenfalls die, die sich in der Kupfernen Sau verstecken«, spielte ich auf eine berüchtigte Taverne direkt vor den Stadtmauern an. Ich schob die beiden gemeinen Reiter kurzerhand zur Seite und baute mich mit ausgestreckten Armen vor ihnen auf. »Leutnant Lord Chause steht zu Ihren Diensten.« Ich lächelte Rosea an und ignorierte das kalte Kribbeln, das mir den Rücken hinunterlief. »Meine Freunde nennen mich Hase.«
»Freunde? Was für Freunde?«, murrte Arlis, während Jeff einen Fluch zwischen den Zähnen zerquetschte.
Rosea tat, als hätte sie die beiden nicht gehört, während sie erneut ein perlendes Lachen von sich gab und die Schmetterlinge betrachtete. »Hase? Was für ein komischer Name, Mylord.« Sie zuckte zusammen, als ihr Begleiter ihr den Knöchel in die Seite rammte. »Aber sehr charmant!«, setzte sie rasch hinzu.
»Und ich, Mylord, edle Herrn, bin ihr Bruder, Rodolfo«, mischte sich der Dürre ein. Er schlug mit einer eleganten Geste seinen bunten Umhang zurück und verbeugte sich erneut. Einen Moment leuchteten seine dunkelbraunen Augen im Licht der Herbstsonne blau. Ich blinzelte, als mir der Schauspieler plötzlich sehr bekannt vorkam.
»Haben wir uns schon einmal getroffen?«, erkundigte ich mich verdutzt.
»Ich glaube nicht, Mylord«, erwiderte Rodolfo. »Vielleicht haben Sie uns schon einmal spielen sehen. Das ist mein fahrendes Ensemble. Rodolfos Truppe. Ich trage die volle Verantwortung für die Wahl unseres Schauspiels.«
Ich bezweifelte, dass ich irgendein Stück von ihm gesehen hatte; zweifellos hätte ich mich an Rosea erinnert. »Niemand wirft Ihnen etwas vor, Meister Rodolfo. Aber da zwei wichtige Besucher aus den Grenzlanden in Freston sind, sollten wir uns vielleicht darüber unterhalten, welche Stücke angemessen sind.« Ich lächelte seine Schwester an. »Der Hirschsprung bietet einen ausgezeichneten Frühstückstisch.«
Rodolfo seufzte bedauernd. »Ich kann leider nicht zugegen sein, Mylord, wegen dringender Pflichten. Aber meine Schwester kennt unsere Stücke ebenso gut wie ich. Vielleicht geben Sie sich ja mit ihrer Begleitung zufrieden?«
Triumphierend grinsend hielt ich ihr meinen Arm hin. »Mit Vergnügen …« Etwas Kaltes berührte meinen Nacken. Stirnrunzelnd richtete ich mich auf.
»Mylord?«, fragte Rosea, deren Hand dort schwebte, wo mein Arm eben noch gewesen war.
Ich verbeugte mich noch einmal. »Verzeihen Sie …«
Wieder berührte etwas meinen Nacken. Meine Hand zuckte hoch und streifte gerade noch etwas, das sich wie ein Finger anfühlte. Das war zu viel. Ich warf einen finsteren Blick über meine Schulter zurück.
»Was ist?«, erkundigte sich Jeff gelassen, während Arlis mich unschuldig anblinzelte.
»Ist alles in Ordnung, Mylord?«, wollte Rodolfo wissen.
Ich rang mir ein Lächeln ab und drehte mich zu den Schauspielern um. »Ja, selbstverständlich …«
Diesmal fuhr mir etwas das Rückgrat entlang, und ich wirbelte ganz herum. »Das ist nicht komisch, Jungs!«
»Was machen wir denn?« Arlis hatte die Hände wegen der herbstlichen Kühle in die Taschen seines Umhangs gesteckt. Jeff zuckte mit den Schultern, die Daumen in den Schwertgurt gehakt.
»In der Tat, Mylord.« Rodolfo schien ebenfalls verwirrt zu sein. »Sie haben sich nicht gerührt.«
Ich fragte mich, ob einer der Schmetterlinge in mein Wams gerutscht war, und blickte auf meine Schulter. Sie waren da und erwiderten verunsichert meinen Blick. Ich kam zu dem Schluss, dass es nur an meiner neuen wollenen Wintergarderobe lag, holte tief Luft und - stieß sie vernehmlich aus, als ich erneut eine Berührung fühlte. Es war ein kaltes Streicheln, das an meinem Nacken begann und mein Rückgrat hinabfuhr. Gleichzeitig wurde die Wahrheitsrune auf meiner Hand wieder taub.
»Pocken und Verdammnis!« Ich zuckte vor der unerwünschten Liebkosung zurück, riss mir den Handschuh herunter und zog eine Feuerspur durch die Luft, während eine Windbö mich umwehte.
»Knochen, Blut und Asche, Hase!« Jeff wich zurück, während Arlis einen erschreckten Ruf ausstieß. »Was zur Hölle tust du da?«
»Wenn Sie heute unpässlich sind, Mylord«, warf Rodolfo schnell ein, »können wir uns gern an einem anderen Tag treffen.« Er packte Roseas Arm und trat von mir zurück. »Vielleicht morgen, oder wenn wir das nächste Mal in der Stadt sind.«
Selbst durch das Feuer und den Wind spürte ich, wie mich etwas berührte. Ich schlug danach, doch es huschte davon, nur um im nächsten Moment zurückzukehren. Die Schmetterlinge flatterten auf und umkreisten aufgeregt meinen Kopf, als der Wind stärker wurde und zu heulen begann. Gleichzeitig zogen dunkle Wolken am Himmel auf, und es donnerte. Blitze zuckten, schlugen in meinen Stab ein und umhüllten mich in dem plötzlich einsetzenden Wolkenbruch mit einem knisternden Flammenschleier. Taubheit kroch von der Rune meinen Arm hinauf.
»Verdammt Hase, hör auf damit!«, brüllte Arlis durch den heulenden Wind, den prasselnden Regen, die Schreie und das Gebrüll der Menschen auf dem Marktplatz.
Dieses Etwas, das mir zusetzte, entzog sich allen Versuchen, es zu vertreiben, glitt zu meiner Stirn, verharrte dort kurz, legte sich dann über meine Augen, Nase und Mund, zuckte meine Kehle hinab und drohte mein hämmerndes Herz zu packen. Ich knurrte, täuschte eine Finte an und attackierte von der anderen Seite. Es gelang mir, etwas zu fassen zu bekommen, das sich wie eine Hand anfühlte. Ich drückte zu, drehte es um und hörte, eingeschlossen in meinen kleinen, privaten Wirbelwind, das Knacken von Knochen und einen leisen Schmerzensschrei. Im selben Moment löste sich die Phantomhand in meinem Griff auf. Mit gefletschten Zähnen wartete ich einen Augenblick, aber wer auch immer mich belästigt hatte, kehrte nicht mehr zurück.
Die Betäubung ließ nach, und meine Hand prickelte plötzlich vor Hitze.
Ich keuchte, als hätte ich gerade fünfzehn Runden mit dem örtlichen Dorfrüpel gerungen, ließ Wind, Regen und Feuer ersterben und sah mich um. Ich zuckte zusammen. Jeff, Arlis und ich standen mitten auf einem nahezu leeren Platz. Was von den Erntefest-Dekorationen noch übrig war, war zerfetzt und vollkommen durchnässt. Die Zweige der Bäume waren abgeknickt, die Scheiben der Fenster zerborsten.
Und zwischen den fallen gelassenen Paketen, Körben, Umhängen und anderen durchnässten Habseligkeiten, lagen Menschen, die von den Fliehenden umgerempelt und niedergetrampelt worden waren.
»Du willst doch wohl jetzt nicht aufhören,« ertönte Arlis’ ätzende Stimme, als er sich Regentropfen von den Lidern wischte. »Du hast Erdbeben, Lavaströme und Flutwellen ausgelassen.«
Jeff sagte nichts, musterte mich aber böse durch sein nasses Haar, das in seinem Gesicht klebte. Hinter ihm sah ich, wie einige grimmige Stadtwachen sich uns im Laufschritt näherten. Und in der Ferne schmetterte wieder eine Trompete, während sich die Wolken auflösten. Unaufhörlich trafen Adlige ein, um das Gedränge in Freston und seiner Garnison noch weiter zu vergrößern.
Ich dagegen brauchte mir keine Sorgen zu machen, dass ich meine Koje mit dem Bewaffneten irgendeines hochnäsigen Lords würde teilen müssen. Ich schloss die Augen, als die Wachsoldaten uns umringten, der Wind sanft murmelte und die Schmetterlinge sich wieder auf meiner Schulter niederließen. Ich würde in ein neues Quartier verlegt werden … in das Stadtgefängnis.
2
Freston ist eine kleine Stadt in der Mulde eines schüsselförmigen Tals; sie liegt an der Kreuzung der Königsstraße und zweier Berghandelsrouten. Die dortige Garnison hat offiziell die Aufgabe, Händlerkarawanen vor jenen Subjekten in den nördlichen Gemarkungen zu beschützen, die so verzweifelt sind, dass sie ihren Lebensuntehalt als Wegelagerer verdienen. Deshalb patrouillieren mehrere Einheiten entlang der Königsstraße, aber nur eine in den Bergen, wo diese Banditen ihre Stützpunkte haben. Einer der Jungs in der Garnison nannte das einmal Armeeintelligenz. Ich erinnerte mich an die Erfahrungen meines Pas in unserem Weiler und erwiderte, dass die Regierungskonzile die gleiche Seuche hätten.
Nur die zähesten und entschlossensten Händler schafften es bis Freston, weil unsere Nachbarstadt Cosdale eigentlich ihre bevorzugte Anlaufstelle war. Sie lag weiter südöstlich und etwas tiefer in den Bergen, wo der Winter nicht so hart und lang war. Außerdem war Cosdale größer, hatte mehr Geschäfte, Herbergen und Tavernen und einen Theaterplatz mit zwei Spielhäusern, was die Soldaten der dortigen Garnisonen uns nur zu gern unter die Nase rieben, falls wir ihnen nicht aus dem Weg gehen konnten.
Doch beide Ortschaften, Freston und Cosdale, wurden von Gresh im Südwesten überschattet. Gresh war eine richtige Stadt, die sich am Knotenpunkt von sechs Handelsrouten ausbreitete, von denen eine der Banson war, der durch ganz Iversterre bis zum Meer floss. Der Handelsverkehr sammelte sich in Gresh, um von dort auf Flussbooten bis zu der Königlichen Stadt Iversly und ihrem Hafen zu segeln. Das erlaubte Gresh, sich als Tor zur Zivilisation zu bezeichnen.
Was Freston wahrlich nicht war. Die befestigten Herrenhäuser, Siedlungen und kleinen Dörfer der Lords der Gemarkungen waren über den ganzen Norden verstreut, doch die einzige nennenswerte Ansiedlung hinter uns war die Garnisonsstadt Veldecke an der Grenze zwischen Iversterre und den Grenzlanden. Freston war wahrhaftig die letzte echte Stadt in der nördlichen Wildnis.
Die Gebäude in Freston spiegelten die Bescheidenheit der Stadt wider. Selbst die Villen der bessergestellten Bürger waren winzig im Vergleich zu den geräumigen Anwesen in Iversly, die sich manchmal über einen ganzen Straßenblock zogen. Andererseits mussten die Bürger von Freston ihre Häuser im Winter heizen, anders als die Einwohner der Königlichen Stadt, für die offene Räume, Innenhöfe und hohe Decken bedeuteten, etwas Kühlung im heißfeuchten Klima der Stadt zu finden.
Das Gefängnis war in etwa nach den gleichen Richtlinien erbaut wie die anderen Gebäude. Es lag versteckt in einer kleinen Gasse, die vom Hauptplatz abging, und das Innere des schmalen Steinhauses entsprach dem Äußeren. Was allerdings keineswegs eine gemütliche Atmosphäre erzeugte. Stattdessen wirkte es wie alle anderen Gefängnisse: kalt, feucht und elend.
Die Gefängniswachen glichen ihren Kollegen woanders in allen Belangen. Nachdem sie des altbewährten Spielchens »Schlagt eure Gefangenen grün und blau« überdrüssig waren, nahmen sie Jeff, Arlis und mir unsere Umhänge, Schwerter, Waffengehänge, Messer, Stiefel und Geldbörsen ab. Meinen Eschenholzstab ließen sie mir allerdings. Sie machten sich über ihn lustig, als tauge er nur zum Verfeuern. Ich stand jetzt an der rückwärtigen Wand einer der beiden einfachen Zellen, während ich mich einerseits auf die blauen Flecken und Beulen konzentrierte, die unter den Fetzen meiner Kleidung aufblühten, und andererseits auf meinen Atem, der im flackernden Licht der Fackeln Wolken bildete. Dem Geruch nach zu urteilen, hatte man sie in Talg getaucht; ihr Aroma bereicherte die ohnehin bereits mannigfachen Düfte in der winzigen Zelle und schienen sich den Platz mit dem streitig machen, was auch immer in dem fauligen Stroh auf dem Boden raschelte.
Ich hörte Schritte von Stiefeln auf der Steintreppe, die zu den Zellen führte. Im selben Moment läuteten die Kirchenglocken die späte Stunde ein. Ich machte mir nicht die Mühe hochzusehen. Ich kannte die Sergeanten, die man schickte, um Soldaten aus dem Gefängnis zu holen, und wäre fast lieber geblieben, wo ich war. Obwohl es schlimmere Befreier hätte geben können. Hauptmann Suiden hätte auch persönlich auftauchen können. Bei diesem Gedanken fröstelte mich.
»Hier sind sie, Euer Gnaden, gesund und munter«, sagte der Oberschließer Menck. Ein Schlüssel klapperte im Schloss, und mit einem rostigen Quietschen der Angeln öffnete sich die Zellentür.
Ohne den Kopf zu heben, sah ich, wie Jeff und Arlis, die sich gegenseitig wärmten und mir und jedem Floh, der es wagte, in ihre Richtung zu hüpfen, böse Blicke zuwarfen, Haltung annahmen. Also ein Sergeant. Ich unterdrückte einen Seufzer, hob den Kopf - und sprang meinerseits auf, um Haltung anzunehmen, als ich dem Blick des Lordkommandeurs begegnete.
Er war ein großer, breitschultriger Mann, der genauso aussah, wie ein Kommandeur der Königlichen Armee und Königlichen Leibgarde aussehen sollte. Lordkommandeur Thadros blaugraue Augen blickten frostig. Hinter ihm drückten sich einige Leibgardisten herum. Die Federn auf ihren Helmen berührten beinahe die Decke, und die Greife auf ihren Wappenröcken schienen im Fackellicht zu schimmern. Thadro warf einen Blick auf unsere Prellungen und Jeffs geschwollenes Auge, bevor er sich an den Oberschließer wandte. »Freilassen.«
Der Schließer schob die Hände in seinen Gürtel und grinste jovial. »Das kann ich nicht einfach so auf Ihr Geheiß hin tun, Euer Gnaden. Gegen die Männer liegen ernsthafte Anschuldigungen vor. Sehr ernsthafte Anschuldigungen. Sie haben gute, ehrliche Bürger verletzt. Eigentum zerstört. Die Kunden der Händler verscheucht. Sie haben sogar …«, auf seinem unrasierten Gesicht zeichnete sich boshaftes Staunen ab, »einige fahrende Schauspieler so erschreckt, dass sie ihr Stück auf der Stelle beendeten. Bevor der Hut herumging.« Sein Blick glitt kurz zu Thadros praller Börse. »Ich kann mir vorstellen, dass es eine Weile dauert, bevor sie entlassen werden können, Euer Gnaden. Eine ganze Weile.«
Trotz des wohlverdienten Rufs von Frestons Garnison, war ich noch nie im Stadtgefängnis gelandet. Unter Hauptmann Suiden zu dienen, half da sicherlich. Denn alle seine Untergebenen, die vor den Friedensrichter geführt werden sollten, mussten erst vor ihn treten. Aber ich hatte von anderen Insassen Geschichten über Menck gehört und schwieg zu seinem Versuch, Thadro zu erpressen. Der jedoch zog nur einige Dokumente hervor.
»Auf Befehl des Stadtrates, des Friedensrichters, des Bürgermeisters und des Königs«, erwiderte der Lordkommandeur.
Menck nahm die Dokumente vorsichtig entgegen und blätterte sie durch, bis er zu dem Befehl des Königs kam. Sein Blick zuckte zum unteren Rand des Pergaments, wo in dem dämmrigen Licht das Siegel des Königs glänzte. Dann fing er von oben an zu lesen. Seine Lippen bewegten sich, während er mit dem Finger über die Zeilen glitt. Schließlich ließ er die Dokumente sinken, und seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, als seine Träume von einem reichen Bestechungsgeld zerplatzten.
»Geben Sie ihnen ihre Habe zurück, und lassen Sie sie frei«, befahl Thadro. »Sofort.«
Kurz darauf traten Jeff, Arlis und ich hinaus in den kühlen Nachmittag, bekleidet und bewaffnet. In Mencks Augen schimmerten Tränen, als er unsere unversehrten Geldbörsen herausrückte. Offenbar waren er und seine Kumpane noch nicht dazu gekommen, die Beute aufzuteilen. Wir folgten Thadro zum Stadtplatz. Die Königliche Leibgarde bildete die Nachhut. Ich sah mich überrascht um, weil alles so normal wirkte. Das warme Licht der untergehenden Sonne liebkoste das Rathaus und vergoldete den mit Silber und Glas geschmückten Turm der Kirche auf der anderen Seite des Platzes. Die Schmetterlinge, die reglos auf meiner Schulter gesessen hatten, flogen auf und in Richtung Garnison davon. Vermutlich hatte ihnen ihre erste Bekanntschaft mit einem menschlichen Gefängnis nicht gefallen.
Thadro blickte ihnen hinterher, blieb stehen und sah mich an. Seine Augen waren von frostig zu eiskalt gefroren. »Ist es zu viel verlangt, dass Sie sich etwas zurückhalten, Leutnant Hase?«
»Ich hatte nichts damit zu tun, dass sie davongeflogen sind, Sir.«
»Ich nehme an, heute Morgen waren Sie auch nur ein unschuldiger Zuschauer.«
Ich zuckte bei seiner sarkastischen Bemerkung zusammen. »Nein, Sir … ich meine, etwas hat mich berührt, Sir.«
Ich spürte Jeffs und Arlis’ ungläubige Blicke in meinem Rücken.
»Dich berührt?« Arlis’ Stimme klang wieder ätzend. »Oh, la la! Wie grauenerregend!«
»Das interessiert mich nicht, selbst wenn alle Ladies von Larsk Sie am ganzen Körper streicheln, während sie eine Sarabande um Sie herum tanzen«, erklärte Thadro. »Es wird keine weiteren Schauspiele geben, verstanden?«
»Aber Sir«, wandte ich ein. »Es war niemand da …«
»Da ist der Hexer!«
Erschrocken sah ich mich um. Der Mob sammelte sich am Brunnen des Platzes. Albe, der Hufschmied, drängte sich vor. Er trug immer noch seine Lederschürze und hielt den Schmiedehammer in beiden Händen. Er hob ihn hoch und ließ ihn auf einen Pflasterstein herabsausen. Gierige Hände rafften die Bruchstücke hoch. Thadro schob mich zurück, und die Gardisten umringten mich hastig. Im nächsten Moment prasselten Brocken von Pflastersteinen auf die erhobenen Schilde der Soldaten.
»Was soll das?« Es bestürzte mich, dass Leute, die ich kannte, mich steinigen wollten, und versuchte an den Gardisten vorbeizusehen. Der Mob heulte, als er mein Gesicht sah.
»Verdammt, Hase!« Jeff packte mein Wams und zerrte mich zurück. Eine zweite Salve wurde abgefeuert, und ein Brocken sauste zwischen zwei Schilden hindurch und traf Jeff am Rücken. »Höllenfeuer!«, fluchte er.
Auf Thadros Signal hin zogen die Gardisten ihre Schwerter, woraufhin das Gebrüll und das Hohngeschrei der stetig anschwellenden Menge erstarben. Aber nur für einen Moment.
»Tötet den Hexer!«, schrie Kresyl, der Bäcker.
Ein weiterer Steinhagel prasselte auf die Schilde, und mehrere Steine zischten zwischen ihnen hindurch. Ich sah, wie Leute mit Mistgabeln, Sensen und Fackeln bewaffnet zu dem Mob stießen. Doch bevor Thadro seinen Leuten den Befehl zum Angriff geben konnte, ertönte Hufgeklapper. Eine Abteilung Kavallerie ritt hinter der Menge auf den Platz, und die Männer bearbeiteten die Köpfe des Mobs mit der flachen Seite ihrer Säbel. Einige Reiter lösten sich aus der Abteilung und ritten auf uns zu, angeführt von einem Mann mit großen Federn auf seinem Hut. Ich erhaschte einen Blick auf silbrig glänzende Augen, bevor der Mann und seine Gefährten ihre Pferde wendeten und eine Barrikade zwischen uns und dem Mob bildeten. Im selben Moment flogen die Türen des Rathauses auf, und die Hüterin des Königlichen Friedens rannte die Stufen herunter. Die Wache hatte am Fuß der Treppe gewartet, nahm jetzt Haltung an und folgte der Frau. Friedenshüterin Chadde ignorierte sie, als sie zu uns lief.
Lordkommandeur Thadro gab dem Pferd vor ihm einen Klaps auf den Hals. »Zur Seite!«
Silbrige Augen blickten auf uns herab, dann lächelte der Mann, grüßte elegant mit dem Schwert und lenkte sein Pferd zur Seite. Thadro hatte sein Schwert gezückt, als er nach vorn trat, wo Friedenshüterin Chadde ihm Gesellschaft leistete. Ich wollte zu ihnen gehen, aber Jeff hielt mich erneut fest.
»Nicht. Du bringst nur alle wieder gegen dich auf.«
Er hatte recht. Trotz der Anwesenheit der Reiter, des Lordkommandeurs und der Hüterin des Königlichen Friedens flog ein Stein aus der hinteren Reihe des Mobs in unsere Richtung und landete vor Chaddes Füßen. Die Friedenshüterin blickte darauf hinab und hob den Kopf. »Das habe ich gesehen, Danel.«
Ich blinzelte. Ich kannte Danel, den Postillion vom Hirschsprung. Ich spähte zwischen Thadro und Chadde hindurch und hätte ihn fast nicht erkannt, so hassverzerrt war seine Miene.
»Er hat sie auf den Hexer geworfen, Chadde!«, rief Albe, bevor Danny antworten konnte. Der Mob knurrte drohend, als sich seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtete.
»Wer? Hase?«, erkundigte sich Chadde. »Hase ist kein Hexer. Er war gestern Nacht bei der Abendandacht, wo er recht häufig anzutreffen ist. Außerdem besucht er auch die Morgen- und Mittagsandacht, soweit seine Pflichten es erlauben.« Sie lächelte den Schmied an. »Das wüsstest du, Albe, wenn du genauso oft in die Kirche gehen würdest wie ins Kupferschwein.«
Selbst im nachlassenden Tageslicht konnte ich sehen, wie Albes Gesicht rot anlief. Er schaute sich finster um, als jemand hinter ihm kicherte.
»Obwohl ich nicht weiß, ob du dazu noch in der Lage sein wirst, sobald Seine Gnaden, der Bürgermeister, sieht, was hier auf diesem Platz vor sich geht«, fuhr Chadde fort, und der Blick ihrer grauen Augen wurde härter. »Es gibt Gesetze gegen Aufwiegelung und die vorsätzliche Zerstörung von Stadteigentum. So wie auch der König Gesetze erlassen hat, die Ermordung seiner Verwandten, Offiziere und Agenten betreffend.«
Es war schwer zu sagen, was mehr wog, die Androhung der Königlichen Justiz oder des Zorns des Bürgermeisters. Vielleicht lag es auch nur daran, dass die Leute allmählich die Bewaffneten und Berittenen in ihrer Mitte wahrnahmen. Plötzlich hörte man das Klappern von Steinen, während Albe seinen Hammer leicht verdutzt anstarrte, als würde er sich fragen, wie um alles in der Welt er in seine Hände gekommen war. Er schob ihn in seinen Gürtel und ging schleunigst davon, wie ein Mann, dem gerade eingefallen war, dass er noch etwas Dringendes zu erledigen hatte. Andere dachten offenbar ebenfalls an liegengebliebene Aufgaben und verschwanden hastig. Fackeln wurden im Brunnen auf dem Platz gelöscht, Mistgabeln und Sensen gesenkt.
»Das war ja recht aufregend«, bemerkte der Berittene mit dem federgeschmückten Hut. Er sah auf uns herab und verbeugte sich im Sattel. »Lord Beol lan von Fellmark, Mylords und edle Herren. Wir kamen gerade von einem Ausflug auf das Land zurück und sind zufällig auf Sie gestoßen.« Er hob den Kopf, betrachtete den fast leeren Platz, bemerkte die Pflastersteinbrocken, die soliden Prügel, Ketten und sogar eine lange Stange aus geschmiedetem Eisen auf dem Boden. »Und das war gut so.«
Thadro seufzte, während er sein Schwert in die Scheide schob. »Ja, das war sehr gut.« Auf seinen Wink hin schoben die Gardisten ihre Schwerter ebenfalls in die Scheiden und traten erneut hinter Jeff, Arlis und mich. Thadro untersuchte uns prüfend auf Verletzungen. »Sie wurden getroffen, Reiter Jeffen?«
Jeff blickte auf Chaddes ausdrucksloses Gesicht. »Nur ein Knutschfleck, Sir.«
»Verstehe. Gut.« Thadro seufzte erneut und sah mich an. »Schaffen wir Sie hier weg, Leutnant Hase, bevor Sie noch einen Aufstand verursachen.«
3
Nach den Vorkommnissen auf dem Stadtplatz verlief unser Marsch zu Jussons Residenz vollkommen ereignislos. Alle waren in Gedanken versunken. Ich hüllte mich in meinen Mantel, als mir die Kälte in die Knochen drang, während Arlis und Jeff mich schweigend begleiteten. Unsere Glieder waren nach den Spielchen mit den Gefängniswärtern noch ein wenig steif. Vor uns ritten Lord Beollan und zwei seiner Bewaffneten, gefolgt von Friedenshüterin Chadde und dem Lordkommandeur. Ich kannte die Friedenshüterin kaum, weil ich es mir zur Gewohnheit gemacht hatte, den Stadtoberen aus dem Weg zu gehen. Außerdem fiel sie als Person nicht sonderlich auf. Sie hatte braunes Haar, graue Augen, war mittelgroß und schlank. Sie trug ein einfaches Wams über einem ebenso schlichten Hemd, dazu eine Lederhose und Stiefel. Das einzig Auffällige an ihr war der Amtsknüppel an ihrer Seite. Das silberbeschlagene Holz glänzte im Licht der Straßenlaternen. Chaddes Gesicht wirkte ruhig und verschlossen, aber als wir um eine Ecke bogen, wandte sie kurz den Kopf und sah mich an. Mich durchfuhr das Gefühl, alle Geheimnisse, die ich jemals gehabt hatte, lägen ausgebreitet vor ihr. Sie blickte wieder nach vorn, und ich fragte mich, was zum Teufel da gerade passiert war.
Als wir die Residenz des Königs erreichten, lächelte Lord Beollan, wobei er mich nachdenklich musterte. »Ich verlasse Sie hier, obwohl wir uns gewiss bald wiedersehen. Heil Euch.« Er verbeugte sich und ritt mit seinen Bewaffneten in Richtung Stallungen davon. Ich sah ihnen sehnsüchtig hinterher.
»Hase«, sagte Thadro. Mit Beinen wie Blei stieg ich langsam mit den anderen die Treppe hinauf. Die Königstreuen, die Gardisten des Königs, die neben dem Eingang standen, salutierten, und einer von ihnen öffnete die Tür. Wir traten hindurch, und die Tür schloss sich mit einem Knall hinter uns, der mir bis in die Knochen fuhr.
Thadro führte uns durch einen Gang, in dem andere Königstreue eine weitere Tür bewachten. Erneut wurde sie von einem Gardisten geöffnet. Dahinter befand sich ein elegantes Arbeitszimmer. Es war nüchtern und in gedämpften Farben eingerichtet, obwohl der Mangel an Prunk und Firlefanz durch den Erntekranz aufgewogen wurde, der an der kahlen Wand hing. In einem gemauerten Kamin loderte ein Feuer, auf einem Gitter stand ein verzierter Kessel, der das Aroma von Vanille, Muskat und Orangeschalen verbreitete, ein wahrhaft kostspieliger Duft, in den sich der Geruch vom Bienenwachs der brennenden Kerzen mischte. Die Vorhänge waren zurückgezogen, und durch die Fenster konnte man einen Blick auf einen Lustgarten werfen, der tagsüber sicherlich eine wahre Orgie von Herbstfarben bot.
Das war wahrhaftig etwas anderes als das Gefängnis.
Und die Person hinter dem Schreibtisch hatte absolut nicht das Geringste mit dem Oberschließer gemein.
»Herein«, sagte König Jusson.
Ich war noch ein kleines Kind gewesen, als die Nachricht bis zum Hof meiner Eltern drang, dass Jusson seiner Königinmutter auf den Thron gefolgt war. Damals war er bereits erwachsen gewesen. Doch er sah nicht so aus wie ein Mann in mittleren Jahren, der bereits seit anderthalb Jahrzehnten regierte, sondern er wirkte kaum älter als ich. Er war groß und schlank, hatte dichtes schwarzes Haar, geschwungene Brauen und leicht schräg stehende Augen, um deren schwarze Iris ein goldener Ring zu liegen schien. Das verlieh ihm das Aussehen eines Dunkelelfs aus einem der Stadtstaaten der Grenzlande. Um die Stirn trug er einen schlichten Goldreif, und sein Gewand passte zu der strengen Eleganz seines Arbeitszimmers. Wie auch seine Miene.
Im Zweifel greife zur Unterwürfigkeit. »Euer Majestät.« Ich verbeugte mich.
In Jussons Miene zuckte kein Muskel. »Kommt alle herein«, antwortete er. »Thadro, schließt die Tür.«
Thadro schloss die Tür mit einem leisen Klicken und baute sich dann hinter dem König auf.
»Setz dich, Hase.« Jusson deutete mit einem Nicken auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Ich zögerte. Die Wärme in dem Raum entfaltete bei Arlis, Jeff und mir den deutlichen Geruch des Gefängnisses, und das Licht der Kerzen erhellte jeden einzelnen Schmutzfleck.
»Der Stuhl wird schon wieder sauber«, meinte Jusson. »Setz dich.«
Ich setzte mich.
Jussons Blick glitt an mir vorbei. »Friedenshüterin Chadde, richtig?«
»Es gab einen Aufruhr, Sire«, sagte Thadro, während Chadde sich verbeugte. »Wir wurden vom Mob angegriffen, und Friedenshüterin Chadde hat uns nicht nur geholfen, gegen den Pöbel zu bestehen, sondern sich auch zu unserer Eskorte gesellt.«
Jussons Blick richtete sich auf mich und registrierte meine Prellungen, bevor er Arlis’ Wunden und Jeffs Prellungen und das blaue Auge betrachtete. Der König runzelte die Stirn. »Sie wurden verprügelt?«
»Das war noch vor dem Aufruhr«, erklärte Thadro. »Während sie im Gefängnis waren.«
»Verstehe.« Jussons Miene blieb finster. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, faltete die Hände unter seinem Kinn und musterte mich nachdenklich. »Du warst sehr umtriebig, Hase.«
Ich bemerkte, dass ich meinen Stab in einem Würgegriff umklammerte. Sorgfältig lehnte ich ihn an meinen Stuhl. »Ja, Euer Majestät. Versteht Ihr, da war diese Hand …«
Jusson hob seine eigene Hand, und ich verstummte. »Wann ist Botschafter Laurel in Iversterre angekommen, Thadro?«, fragte er seinen Lordkommandeur.
Ich fragte mich verwirrt, was Laurel mit dieser Geisterhand zu tun haben sollte.
»Vor etwa sechs Monaten, Euer Majestät«, erwiderte Thadro.
»Sechs Monate«, wiederholte Jusson. Er bemerkte meine Verwirrung und lächelte kalt. »Botschafter Laurel war nicht sonderlich vorsichtig mit seinen … Spekulationen, Cousin. Ebenso wenig wie jene, denen er sie anvertraute. Vor allem, nachdem besagte Spekulationen sich als wahr erweisen sollten.«
Als ich letzten Frühling zufällig meine Kameraden in Tiere und Fabelwesen verwandelt hatte, hatte Laurel darüber spekuliert, dass die menschliche Bevölkerung von Iversterre möglicherweise zu Faena wurde, weil sie dort lebte, wo einst das Volk gelebt hatte, Getreide anbaute, Vieh züchtete sowie Kinder zur Welt brachte, und zwar auf derselben Erde, welche die Knochen und die Asche von Fae barg. Ob es nun stimmte oder nicht, jedenfalls glaubte er, dass unser Wesen verändert worden war, und Jusson hatte recht: Niemand, der so verwandelt worden war, hatte sich diesbezüglich auch nur annähernd in Diskretion geübt. Hauptmann Javes zum Beispiel erzählte nur zu gern allen, die es hören wollten, dass er zu einem Wolf geworden war.
Ich senkte den Blick und rieb an einem Schmutzfleck auf meinem Knie herum, während mir die Konsequenzen dämmerten. Gerade eben hatte ich einen Vorgeschmack erlebt, wie die Stadtbevölkerung auf die Gabe reagierte, die um sie herum wirkte. Ich konnte mir lebhaft die Reaktion der Leute ausmalen, wenn diese Gabe anfing, in ihnen zu wirken.
Jusson klopfte auf den Tisch, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Frage Uns nach Unserer Reise hierher, Cousin. Frage Uns, wie Wir kämpfen mussten, um zu verhindern, dass Unser Königreich in Hysterie und Chaos versank.« Die Augen des Königs glühten golden auf. »Eine arme Mutter kam zu Uns, weil ihr einfältiger Sohn beschuldigt wurde, ein Gestaltwandler zu sein. Wir kamen zu spät, denn das arme Kind war bereits gehenkt und verbrannt worden. Sein eigener Vater hatte die Schlinge geknüpft und das Feuer entzündet.«
Ich merkte, dass mein Mund offen stand, klappte ihn zu und biss mir auf die Lippen, damit er nicht erneut aufging.
Jusson hob eine Braue. »Du fragst Uns ja gar nicht, Hase?« Ich ließ von meinen Lippen ab und schmeckte Blut. »Sire, ich …« Ich stockte, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
»Drei Monate hat die Reise gedauert«, antwortete Jusson dennoch. »Wir haben in jeder Stadt, in jeder Ortschaft, jeder Siedlung, jedem Dorf und jedem Marktflecken angehalten, an dem Wir vorbeizogen. Wir haben beruhigt, bestochen, unterdrückt, bestraft, während Unsere Lords wie die Hornissen herumsummten und auf die kleinste Chance warteten, um zuzustechen. Trotzdem hat es funktioniert. Die Anschuldigungen, Steinigungen und Scheiterhaufen nahmen ab, als Unser Volk davon abließ, sich gegenseitig in Stücke zu reißen. Wir haben zwar keinen Frieden erreicht, zumindest aber eine Art von Ruhe.« Er stützte einen Ellbogen auf die Lehne des Stuhls und das Kinn in die Faust seiner anderen Hand. »Die du in nur einer Stunde vollkommen hinweggefegt hast.«
»Aber Sire …«
»Glaubst du denn, dass die Kunde von den Ereignissen heute Morgen sich nicht sofort in der ganzen Region verbreitet?«, fragte er. »Und von dort im Rest des Königreichs? Auf den Schwingen eines Adlers, Cousin, der fliegt, so schnell er kann.«
»Aber die Hand …«
Jussons Faust krachte auf den Tisch, und ich zuckte zusammen. »Ich gebe einen pockenverseuchten Furz darauf, ob tausend Hände über dich krabbeln! Du wirst den Deinen keinen Schaden mehr zufügen!« Seine Augen glühten. »Soll ich dir sagen, wie viele verletzt wurden? Oder dir den Schaden vorrechnen, nicht nur an Eigentum, sondern auch an Menschen?«
Offenbar hatte der erpresserische Oberschließer nicht übertrieben, was die Folgen meines morgendlichen Kampfes anging.
»Den Schaden, den Ruf betreffend, nicht mitgezählt, Sire«, warf Thadro ein. »Euren Ruf und den von Hase.«
»Allerdings, ja«, sagte Jusson. »Da ich als König mein Wort gegeben habe, dass sich nichts unter uns befindet, das uns Schaden zufügen würde. Was glaubst du wohl, werden die Hornissen anstellen, hm?«
Ich sagte nichts. Mein Magen war ein harter Knoten, mein Rückgrat stocksteif.
»Ich habe heute viele Leute hier empfangen, Hase«, fuhr Jusson fort. »Jeder Einzelne von ihnen verlangte deinen Kopf, obwohl Doyen Dyfrig bösartigen magischen Kräften die Schuld gab, nicht dir. Trotzdem stimmte er mit den anderen darin überein, dass ich das Land von allem säubern sollte, das auch nur einen Hauch von Grenzlande in sich trüge. Wie ein Ratsältester so treffend formulierte: ›Schickt sie allesamt in die Hölle zurück, aus der sie gekommen sind!‹« Der König schüttelte den Kopf, während sein Blick fest auf mir ruhte. »Drei Monate Arbeit für die Katz, und mein Königreich gleitet erneut dem Abgrund entgegen.«
Ich senkte den Blick und bemerkte, dass meine Hände zitterten.
»Du hast dazu nichts zu sagen?« Jussons helle Stimme klang verdächtig sanft.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Sire.«
»Ah!«, meinte Jusson. »Ein Aufflackern von Intelligenz.« Er verlagerte sein Gewicht. »Manchmal kann man einfach nur von vorn anfangen, wenn etwas schiefläuft. Ich werde nicht zulassen, dass mein Volk sich wegen seines Aberglaubens und seiner Furcht selbst zerstört. Ebenso wenig werde ich erlauben, dass jene Erfolg haben, die dies zu ihren eigenen Zwecken ausnutzen wollen, ob innerhalb des Königreichs oder außerhalb. Also werde ich neu anfangen, und zwar hier in diesem verschnarchten Flecken hinter den Bergen. Ich werde neu beginnen, und zwar bei dir selbst, Cousin. Lordkommandeur Thadro hat bei der Rebellion letzten Frühling seinen Stellvertreter verloren und noch keine Zeit gehabt, einen neuen zu ernennen. Deshalb werde ich für ihn entscheiden. Du wirst zu seinem Leutnant ernannt, und zwar mit sofortiger Wirkung.«
Das erregte allerdings meine Aufmerksamkeit. Ich setzte mich gerade und riss die Augen weit auf. »Sire, Hauptmann Suiden …«
»Suiden hat bereits einen Stellvertreter«, erklärte Jusson.
Das stimmte. Leutnant Groskin war schon länger sein Stellvertreter, als ich in der Armee war. Ich versuchte es noch einmal. »Sire, mein magischer Unterricht …«
»Botschafter Laurel wird dich weiterhin unterrichten, Cousin, und zwar mit dem deutlichen Schwerpunkt auf Selbstkontrolle.«
Ich war in die Enge getrieben, öffnete aber trotzdem den Mund. »Sire …«
»Kein Widerspruch, Hase«, unterbrach mich Jusson. »Ich habe nur ein kleines Kontingent an Königstreuen bei mir und kann keinen für dich erübrigen. Deshalb werden die Reiter Jeffen und Arlis ab sofort als deine persönliche Leibwache abkommandiert.«
Die leisen Laute von Heiterkeit hinter mir erstarben, einschließlich der Atemzüge.
»Allerdings sind sie auch Thadro unterstellt. Bis ich anders entscheide.«
Thadros blaugraue Augen glänzten befriedigt, als er hinter den Schreibtisch griff und ein Bündel hervorzog und es öffnete. Es enthielt die Uniform eines Königstreuen, den königsblauen und weißen Wappenrock mit den dunkelblauen Säumen.
»Zweiunddreißig Linien durch Chause«, sinnierte Jusson.
»Vierzig durch Flavan. Wie viele sind das insgesamt?«
Ich sagte nichts. Jusson wusste sehr genau, wo in der Erbfolge ich zu seinem Thron stand. Er konnte mich deshalb Cousin und seinen Thronerben nennen, weil wir in einem Land lebten, dessen Adel danach bewertet wurde, wie viele direkte Nachfahren ein Haus von Iver ableiten konnte, dem ersten König von Iversterre.
»Hase hat vierundsechzig Linien, Sire«, sprang Thadro in die Bresche. »Es gibt da einige Überschneidungen zwischen Chause und Flavan.« Mit einem scharfen Knall schüttelte er den Wappenrock aus, und ich sah den Greif auf der Brust sowie die Leutnantsinsignien auf der Schulter. Ich fuhr mir mit dem Finger in den Kragen, zupfte daran und schluckte schwer.
»Also«, meinte Jusson. »Meine Adligen neigen dazu, untereinander zu heiraten, stimmt’s?« Er wartete keine Antwort ab. »Von allen Häusern, Hase, bist du nur mir untergeordnet. Es wird Zeit, dass du lernst, was es heißt, mein Thronerbe zu sein. Und du wirst es lernen.« Der König zeigte mir wieder sein rasiermesserscharfes Lächeln. »Um mit deinen Worten zu sprechen … Sic!«
4
Da Jusson mir offenbar zutraute, ich könnte einfach davonlaufen, übergab er Jeff, Arlis und mich seinem Haushofmeister. Der höchste Diener des Königs sah noch genauso aus wie damals, als ich ihn im Palast von Iversly zum ersten Mal gesehen hatte: klein, dünn und mit einem dichten weißen Haarschopf auf dem runden Kopf. Mit vollkommen ausdruckslosem Gesicht nahm er uns in seine Obhut und scheuchte uns mit einer Verbeugung aus dem Arbeitszimmer des Königs. Beim Weggehen hörte ich, wie Jusson Friedenshüterin Chadde einlud, sich einen sauberen Stuhl zu nehmen und ihm etwas über den verbrecherischen Oberschließer zu erzählen.
»Menck ist ein Verwandter von Bürgermeister Gawell, Euer Majestät«, erwiderte Chadde ungerührt. »Wir hatten auch schon früher mit ihm und seinen Leuten Probleme. Diesmal jedoch …«
Dann schloss sich die Tür zum Arbeitszimmer.
Der Haushofmeister führte uns die Treppe zu einem Schlafgemach im ersten Stock hinauf. Darin standen eine Art Himmelbett mit vier Pfosten, ein hoher breiter Garderobenschrank, ein kleiner Tisch mit Stühlen und ein Waschbassin mit Spiegel. Das alles wurde von einem knisternden Feuer in dem steinernen Kamin und einer Fülle brennender Kerzen beleuchtet. In Anbetracht der zahlreichen Adligen, die in die Stadt strömten, wunderte es mich, dass ein solch geräumiges Gemach nicht längst vergeben war. Dann fiel mein Blick auf die drei Wannen in der Mitte des Raumes, und sämtliche Gedanken an neue Posten, unsichtbare Hände und einfallende Adlige lösten sich in Wohlgefallen auf.
»Bäder«, stieß Jeff andächtig hervor. »Die wir nicht einmal selbst einlassen müssen!«
Wir beobachteten gierig, wie Lakaien heißes Wasser aus Kupferkannen in die Wannen gossen, während ein anderer Bediensteter duftende Kräuter hinzugab. Weitere Diener standen mit Handtüchern, Seife und langstieligen Bürsten bereit. Eine Person von eindrucksvollem Aussehen hatte neben einem hochlehnigen Stuhl Aufstellung bezogen, in den Händen ein Tablett mit Rasierklingen, Kämmen, Scheren und anderen Instrumenten, was ihn als Barbier auswies.
Der Haushofmeister lächelte trocken. »Wenn Mylords und Sirs ihre Kleidung ablegen würden?«
Bevor wir auch nur das erste Band lösen konnten, umschwärmten
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Borderlands Novel 02. The King’s Own« bei Roc, New York.
 
 
1. Auflage Deutsche Erstausgabe November 2009
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