Grenzlande 1 - Lorna Freeman - E-Book
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Grenzlande 1 E-Book

Lorna Freeman

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Beschreibung

Es kommt eine Zeit, die nach Helden verlangt

Ein episches Fantasy-Abenteuer voller Intrigen, Verrat, Mord und mächtiger Magie. Die Grenzlande – regiert von Drachen, Elfen und Zauberern – gehören zu den fantasievollsten Welten, die je erdacht wurden.

Hase ist ein einfacher Soldat der Grenzpatrouille, scheinbar nur ein weiterer Junge vom Land in der Armee des Königs von Iversterre. Da stößt sein Trupp auf einen Faena – einen der magischen Wächter der Grenzlande. Plötzlich findet sich Hase mitten in einer tödlichen Intrige wieder, die das Ziel hat, das magische Reich der Grenzlande und das Menschenkönigreich Iversterre in einen Krieg zu treiben. Aber Hase ist doch nicht nur ein „einfacher Junge vom Land“! Er entstammt dem Hochadel – und ist ein Magier von noch ungeahnter Macht!

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Seitenzahl: 900

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Inhaltsverzeichnis
 
Autorin
Widmung
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
 
Copyright
Buch
Hase ist ein einfacher Soldat der Grenzpatrouille, nur ein weiterer Junge vom Land in der Armee des Königs von Iversterre. Da stößt sein Trupp auf einen Faena - einen der magischen Wächter der Grenzlande. Dieser fordert Hilfe bei der Suche nach menschlichen Mördern, die in die Grenzlande eingedrungen sind. Hase, der in den Grenzlanden aufgewachsen ist, erkennt sofort die Größe der Verbrechen - und deren mögliche Konsequenzen.
Denn wenn die Grenzlande, angestachelt durch diesen Frevel, erneut gegen die Menschen von Iversterre in den Krieg ziehen, werden sie diese vernichten …
Autorin
Lorna Freeman begann bereits in jungen Jahren, fantastische Geschichten zu lesen. Zwar wurde sie nicht dort geboren, doch die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte sie in Kalifornien, dem Land des Sonnenscheins und der Erdbeben.
 
Weitere Titel in Vorbereitung.
Für Mom und Dad, die mir immer Bücher statt Süßigkeiten kaufen würden.
1
Wir hatten uns verirrt. Wir waren auf einer Routinepatrouille unterwegs, einer wie hundert andere, aber diesmal hatten wir irgendwie den Rückweg verpasst, während wir dafür sorgten, dass in den Bergen über der kleinen Stadt Freston keine Banditen herumlungerten. Ich kundschaftete die Gegend ein Stück vor meiner Truppe aus, war von meinen Kameraden als Freiwilliger bestimmt worden, weil ich ja aus dem Grenzgebiet stammte - ein Kind der Erde wäre oder irgend so ein Unsinn, von dem immer in den Straßentheatern die Rede war. Aber Unsinn oder nicht, nachdem wir über eine Woche herumgeirrt waren, ohne auch nur einen einzigen uns bekannten Orientierungspunkt zu Gesicht zu bekommen, war mein Hauptmann so verzweifelt, dass er sich tatsächlich daran klammerte, ich könnte einen Weg nach Hause finden, allein mithilfe meiner Nase. Aber ich hatte meine Geschicklichkeit als Fährtenleser in den tiefer liegenden Wäldern erlernt, nicht hier weit oberhalb der Baumgrenze, wo das Einzige, das ein bisschen höher wuchs als Gras, irgendwelches verkümmertes Gestrüpp war. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, und ich hatte keinen Schimmer, wo ich eine Ahnung hernehmen sollte.
Ich ritt einen Pfad hinauf, der dem verdammt ähnelte, den wir am Vortag schon einige Male hoch- und runtergeritten waren, noch häufiger am Tag zuvor und wenigstens einmal an dem Tag davor. Mein Wallach erklomm ihn mit Leichtigkeit wegen des vertrauten Terrains, da er und der Pfad sich mittlerweile so gut kannten, und ich musste ihn nicht einmal zügeln, als wir den Kamm erreichten. Ich zog im beißend kalten Frühlingswind die Schultern hoch, wendete mein Pferd, um die Gegend erneut zu betrachten, und starrte auf den Faena, der vor mir stand und zurückstarrte.
An der Grenze wimmelte es von heiligen Leuten und Priestern, alle mit ihren eigenen Lehren und Ritualen, die sich gerade genug unterschieden, um erbitterte Streitigkeiten unter ihnen auszulösen, sobald sie sich über den Weg liefen. Einmal, als Kind, hatte ich staunend bei einer Feierlichen Zusammenkunft zugesehen, wie der Hexer Gless kopfüber an mir vorüberflog, von unsichtbaren Händen an den Knöcheln gehalten, während seine zeremonielle Robe um seine Ohren flatterte, weil er auf einer Pause bei der Anrufung bestanden hatte, die »Steht mit den Hühnern auf« blasphemisch fand.
Aber mit den Faena legte sich keiner an.
Faena stammten von allen Grenzlandrassen ab. Teils Priester, teils Reichsverweser, teils Rechtsprecher, waren sie die Kette, in die der Schuss der Grenze eingewoben war. Die Faena waren im letzten Krieg mit Iversterre vor der Armee der Grenzlande marschiert, hatten gebetet und Lobpreisungen gesungen. Sie waren alle zurückgekommen, im Gegensatz zu dem größten Teil der Königlichen Armee von Iversterre. Die Faena, die den Forst und den Weiler um das Anwesen meiner Familie herum durchwandelte, war eine Eschenbaumelfe. Sie hatte es einmal mit einem ganzen Nest von Trappern aufgenommen, nachdem ein Wolf bei ihr eine Eingabe wegen der Pelze gemacht hatte, welche die Trapper erbeutet hatten und die früher einmal seinen Familienmitgliedern gehört hatten. Als sie mit ihnen fertig war, predigten die Trapper von Frömmigkeit, Reinheit und der Unantastbarkeit des Landes. Sagte ich schon, dass sich besser niemand mit einem Faena anlegte?
Dieser hier war ein Berglöwe.
Er stand aufrecht auf zwei Beinen, war etwas größer als ich und trug bunte Perlen und Federn in dem rötlichen Fell um seinen Kopf und in seinen spitzen Ohren. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten in der Sonne, und sein Schwanz zuckte im Wind. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er meine ungeteilte Aufmerksamkeit besaß, griff er in eine Innentasche seines Mantels und zog eine Serviette heraus, die er auseinanderfaltete und aus der er einige Honigkekse zutage förderte. Ich stieg ab und strich die Falten aus meinem Überrock.
»Hase«, sagte ich und legte meine Handflächen aneinander.
»Laurel«, brummte er und drückte seine Tatzen zusammen.
»Ihr wandelt durch dieses Gebiet?«, erkundigte ich mich.
»Im Augenblick«, antwortete Laurel. Er lächelte, was seine langen, spitzen Reißzähne entblößte, und bot mir Honigkekse an. Ich nahm einen; er nahm den anderen und hockte sich hin, um zu essen.
Ich hockte mich neben ihn und aß ebenfalls, während ich die Zügel meines Pferdes fest in den Händen hielt, falls es auf die Idee kommen sollte abzuzischen. Aber mein kauender Kumpan schien es nicht weiter zu stören, denn es senkte nur den Kopf und zupfte an einem Grasbüschel. Als Laurel seinen Honigkeks gegessen hatte, wandte er sich zur Seite, ergriff einen Wasserschlauch und trank einen tiefen Zug, bevor er ihn mir reichte. Ich nahm ihn - das Wasser war kühl und lief meine trockene Kehle hinunter. Ich seufzte, als ich fertig war, und wischte mir den Mund ab. Als ich ihm den Schlauch zurückgab, holte ich Luft, um etwas zu sagen, aber in dem Moment hörte ich das Klappern von Hufen auf steinigem Boden und fester Erde. Ich drehte mich um und sah, wie mein Trupp den Pfad heraufkam.
»Da ist er, Sir«, sagte Leutnant Groskin.
Die Grenzlande waren zwar nicht direkt eine Bastion der Toleranz, aber die meisten hatten gelernt, die in Ruhe zu lassen, die einen selbst in Ruhe ließen - und wenn jemand vorhatte, Essen und Trinken zu teilen, dann wusste man, dass man soeben die Chance bekommen hatte, einen der vielfältigen Mahl-Pakte zu schließen. Sie konnten eine Stunde lang halten, aber auch bis zum Ende der jeweiligen Geschlechter. Sic! Also störte es mich nicht, dass ich, ein Mensch, mit jemandem aß und trank, der sich anschließend die Tatzen zierlich mit seiner Katzenzunge säuberte - aber es störte die Truppe. Als sie uns umzingelte, waren jede Menge Geräusche von geöffneten Schnallen, singendem Metall und Waffengeklapper zu hören.
Hauptmann Suiden beugte sich in seinem Sattel vor. »Was geht hier vor, Hase?«
Ich stand auf und schüttelte meine Hosenbeine herunter. Diese verdammte Uniform schien irgendwie nie richtig zu sitzen.
»Wir haben uns verirrt«, antwortete ich. Ich hörte das Klappen von Helmvisieren, die heruntergelassen wurden, und beeilte mich mit meiner Erklärung. »Und ich dachte mir, dass diese Person hier uns vielleicht helfen könnte, einen Weg hier heraus zu finden, Sir.«
Der Hauptmann starrte mich an. »Woher wollen Sie wissen, dass sie uns nicht direkt in ihren Kochtopf führt?«
»Ganz recht«, knurrte Groskin.
Ich wollte etwas erwidern, aber bevor ich auch nur ein Wort herausbekam, stand Laurel Faena auf. Seine Perlen und Federn klapperten und flatterten, als er sich elegant vor dem Hauptmann verbeugte und mit seinem Schwanz die Balance hielt. In einer Tatze hielt er einen großen geschnitzten Stab, der ebenfalls mit Federn, Perlen und verknoteten Tüchern geschmückt war. Dann verbeugte er sich auch vor mir, etwas kürzer, und berührte mit einer Tatze seinen Mund und seine Brust. Die Geste kannte ich: Mahl-Pakt. Ich tat das Gleiche und spürte die Blicke der anderen auf mir lasten. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, wie Laurel auf die Phalanx der Soldaten zu und dann durch die Gasse ging, die sie mit ihren Pferden bildeten, bis er auf unseren Leutnant stieß.
Leutnant Groskin war zur Bergpatrouille versetzt worden, weil er irgendwann in seiner militärischen Karriere den falschen Leuten auf die Zehen getreten war; also war er sich selbst nur treu, als er sich auf den Sattelknauf lehnte, die Hand auf dem Schwertgriff und ein dreckiges Grinsen im Gesicht.
»Und wohin willst du gehen …?« Der Leutnant brach überrascht ab, als sein Pferd Feind (ein sehr passender Name, übrigens) bockte, zur Seite sprang, leise wieherte und dann einen langen Hals machte, um mit seinen weichen Lippen sanft Laurels Ohr zu liebkosen, als der Berglöwe vorbeiging.
»Na famos«, flüsterte Reiter Jeffen neben mir.
Ich zuckte nicht mit der Wimper, als wir uns allesamt umdrehten und dem Faena folgten, als würde er uns an der Leine führen. Er blieb am Rand des steilen Pfades stehen, den zunächst ich und anschließend meine Kameraden heraufgeritten waren, und streckte den Arm aus. Ein kollektives Stöhnen entrang sich meiner Truppe, und mir verging der Wunsch zu lachen, und zwar gründlich.
Wir waren mehrere Tage lang diesen pockenverseuchten Pfad hinauf- und hinuntergetrabt und hatten jedes Mal nur Berge und noch mehr Berge gesehen. Jetzt plötzlich mündete der Pfad in eine Straße, die den Berghang hinab zu einem Flickwerk aus Höfen, Wäldern und Besitzen führte, welche Freston umgaben, das in einem schüsselartigen Tal lag. In der Stadt selbst konnten wir die grünen Gärten sehen, die Plätze und die von Bäumen gesäumten Alleen, die sich gegen die roten Dachziegel der Häuser, die blauen Dächer der Geschäfte und die goldenen der Regierungsgebäude abhoben. Wir konnten die Karawanen sehen, die über die Königsstraße zum Königstor zogen, das zu dem größten Markplatz führte. Wir sahen sogar die ausgeblichenen roten Ziegel der Königlichen Garnison in der Nähe des Westtores und in der Mitte der von einer Mauer geschützten Stadt die hohen silbernen und kristallenen Türme der Kirche, die in der Sonne glitzerten. All das war kaum zu übersehen. Wir starrten darauf und konnten schon das höhnische Johlen hören, das uns bei unserer Rückkehr zur Basis begrüßen würde.
Groskin hatte sich von seiner Begegnung mit dem Faena erholt und trieb sein Pferd neben das des Hauptmanns. »Ein Hinterhalt von einem Magier würde von den Kameraden weit wohlwollender aufgenommen, Sir, als wenn wir zugeben müssten, dass wir in der ganzen letzten Woche unserem eigenen Hintern nachgejagt sind. Und das in Sichtweite der Garnison, Sir.«
Hauptmann Suiden drehte sich um und sah Laurel scharf an, der den Blick des Hauptmannes gelassen erwiderte. Schließlich seufzte unser Chef und trieb sein Pferd an.
»Sagen Sie den Männern, sie sollen sich in Bewegung setzen, Leutnant.« Er ritt den Pfad hinab, und der Schweif seines Pferdes wehte wie ein Wimpel hinter ihm her.
Groskin kam kaum dazu, den Befehl weiterzugeben, als die gesamte Truppe dem Hauptmann auch schon folgte und sich mühte, ihn nicht zu überholen. Ich stieß den Atem aus und stieg auf mein Pferd. Gerade als ich meiner Truppe folgen wollte, fühlte ich eine Berührung in meiner Handfläche. Ich blickte in meine Hand und sah eine rote Feder, drehte mich um und sah Laurel Faena an, der meinen Blick starr erwiderte. Dann berührte er erneut seinen Mund und sein Herz, griff an seinen Stock und strich über die restlichen Federn, die dort hingen. Ich hatte soeben mich und meine gesamten zukünftigen Sprösslinge bis in alle Ewigkeit einem Pakt verpflichtet. Zum Teufel. Sic!
»Augen vorwärts, Reiter!«, knurrte Leutnant Groskin hinter mir.
Ich drehte mich wieder nach vorn um, und Groskin lenkte sein Pferd neben das meine.
»Sie sind so verflucht leichtsinnig, Hase«, begann er. »Dieses Ding …«
»Laurel Faena, Sir«, unterbrach ich ihn.
»… hätte Sie auf sechs verschiedene Arten verspeisen können, ohne auch nur einen Schweißtropfen zu vergießen - falls es überhaupt schwitzt.«
»Wir haben einen Mahl-Pakt geschlossen, Sir.«
»Einen Pakt? Mit einem Magischen?« Groskin sah mich an und bemerkte die Feder. »Ist das was Ernstes?«
Ich nickte. »Ja, Sir.«
»Was haben Sie sich denn jetzt schon wieder eingebrockt, Hase?« Leutnant Groskin runzelte die Stirn. »Hat das Konsequenzen für die Truppe?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Jedenfalls haben wir uns alle verirrt und reiten jetzt nach Hause.«
»Verfluchte Pocken und Verdammnis!«, fluchte Leutnant Groskin und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Wir müssen es dem Hauptmann stecken - und dem Kommandeur, wenn wir zurückkommen. Wenn alle aufgehört haben zu lachen.«
»Jawohl, Sir«, erwiderte ich. Ich schwöre, dass ich den Wind kichern hörte.
2
Es war nicht so schlimm, wie wir erwartet hatten, als wir an diesem Nachmittag schließlich zu unserer Garnison zurückkehrten. Oh nein. Es war viel schlimmer.
Nach etwa einem Tag Verspätung hatte Kommandeur Ebner vermutet, dass wir durch die Widrigkeiten der Natur aufgehalten worden wären, durch Erdrutsche oder einen plötzlichen Sturm. Nach drei Tagen machte er sich Sorgen, ob wir vielleicht verletzt waren oder Pferde verloren hatten. Nach acht Tagen war er überzeugt, dass da draußen in den Bergen ein Krieg tobte und er uns retten müsste. Er saß auf seinem Pferd und hatte gerade seine Rede an die Männer beendet, in der er ihnen mitgeteilt hatte, dass sie losreiten und das Massaker rächen würden, das man an uns verübt hatte, als wir durch die Tore der Garnison in den Pferdehof trotteten. Als er uns sah, stieß er einen lauten Schrei aus. Sein mächtiger Schnauzbart bebte vor Erleichterung. Aber das Zittern hörte auf, als er das Fehlen von Verbänden, Wunden oder irgendeines anderen Anzeichens für eine epische Schlacht an uns sah, die davon hätten zeugen können, dass wir uns freigekämpft hatten, um die Stadt vor den gewaltigen Horden zu warnen, die sich auf sie zu stürzen im Begriff waren. Wir hatten uns nicht mal beim Rasieren geschnitten.
»Hauptmann Suiden!«, brüllte Kommandeur Ebner. Seine Stimme hallte durch den Hof.
»Sir!«, antwortete unser Hauptmann.
»Sie haben sich eine Woche verspätet«, stellte der Kommandeur fest.
»Jawohl, Sir!«
»Und?«
Es war faszinierend zu beobachten, wie das Gelächter in den Ecken des Hofs begann und langsam zur Mitte hin anschwoll, beinahe so wie ein Stein in einem Teich Wellen erzeugt, nur umgekehrt. Als Hauptmann Suiden berichtet hatte, wie wir durch die Berge geirrt waren und den Heimweg nicht hatten finden können, hielten sich unsere Möchtegern-Retter die Seiten vor Lachen, während sie keuchend und johlend in ihren Sätteln schwankten. Das Lachen verstummte jedoch schlagartig, als Suiden zu dem Teil kam, in dem er schilderte, wie wir den Faena getroffen hatten. Ich hielt die Luft an, bis mir klar wurde, dass er die Sache mit dem Mahl-Bund auslassen würde. Etliche der eher sittenstrengeren Reiter warfen mir bereits schiefe Blicke zu, da ich schließlich in den Grenzlanden aufgewachsen war. Mir war es ganz lieb, wenn sie nicht erfuhren, dass ich einen Pakt mit einem Wesen geschlossen hatte, das sie ohne zu zögern für dämonisch erklären würden. Ich schloss meine Finger um die Feder, die ich in der Hand hielt, und schickte ein inständiges Stoßgebet gen Himmel, dass niemand von meiner Truppe gehört hatte, was ich Groskin erzählt hatte. Und dass Groskin Suiden nichts gesagt hatte.
»Ein Magischer«, meinte Kommandeur Ebner und strich sich über seinen Schnauzbart. »So nah an der Stadt.«
»Jawohl, Sir«, bestätigte Suiden.
»Schicken Sie Ihre Männer weg, Hauptmann, und kommen Sie mit.« Kommandeur Ebner wendete sein Pferd und bemerkte die Reiter, die immer noch im Pferdehof standen. Er gab ein Handzeichen, und die anderen Hauptleute befahlen den Männern abzusitzen.
»Leutnant Groskin«, sagte Hauptmann Suiden. »Die Männer sollen wegtreten.« Dann folgte er dem Kommandeur zu den Stallungen.
Wir warteten kaum auf Groskins geblafftes: »Wegtreten!«, bevor wir wie Käfer davonhuschten, die unter einem aufgehobenen Stein aufgeschreckt worden waren.
Es war natürlich zu viel der Hoffnung, dass die Pferdeknechte nicht gehört hätten, was passiert war, aber es gelang mir, einigermaßen unversehrt aus den Stallungen zu entkommen. Ich trug nur einen blauen Fleck davon, als ich aus Versehen gegen den Stallburschen Hedley stieß, der gerade eine komische Geschichte über blinde Reiter zum Besten gab. Ich entschuldigte mich und half ihm hoch, aber dabei rammte ich ihn doch aus Versehen tatsächlich noch einmal. Ich Tollpatsch, ich! Ich marschierte zu meiner Baracke und ging zu meiner Pritsche. Die Feder musste versteckt werden, und ich dachte mir, der beste Platz dafür wäre mein Spind. Ich tat, als würde ich meine Uniform wechseln, schob die Feder zwischen meine Unterhosen, holte zum ersten Mal seit Tagen tief Luft und stieß sie erleichtert wieder aus.
»Himmel, Hase, benimm dich nicht wie ein Mädchen! Ein bisschen Dreck wird dich schon nicht umbringen!«
Ich sah hoch. Jeff stand an seiner Pritsche direkt neben meiner. Er grinste mich an. »Wer hätte gedacht, dass ein Kerl aus den Grenzlanden so ein Geck wäre?«
»Heho, wenn du ab und zu mal baden würdest, dann hättest du vielleicht, ich sage vielleicht, auch mal Glück.« Ich grinste ihn an, als ich meinen Bademantel überwarf und den Spind schloss. »Andererseits vielleicht auch nicht. Auch ein Bad würde deine Visage nicht verschönern.«
»Friss Sand, du Pfau!«, konterte Jeff. »Die entzückendsten Frauen gelüstet es nach meinem üppigen … Körper.«
»Na klar.« Ich drehte mich herum, in der Absicht, ins Bad zu gehen und im Dampf zu verschwinden. »Sie bräuchten aber erst eine Schaufel, damit sie ihn überhaupt finden …«
»Grenzland-Auswurf!«
Mist. Ich blieb stehen. Leutnant Slevoic versperrte mir den Weg. Leutnant Groskin liebte es, vornehme Söhnchen einzuschüchtern. Slevoic genoss es, sie zu verprügeln. Neben ihm stand Ryson und hinter ihnen Slevoics andere Schmarotzer und Speichellecker.
»Sir!«, sagte ich.
»Habe gehört, dass Sie mit einem magischen Mutanten gefüßelt haben, Auswurf«, begrüßte Slevoic mich.
»Hauptmann Suiden hat mir nicht gestattet, darüber zu reden, Sir.« Ich beobachtete, wie Ryson das dämliche Grinsen verging.
Slevoic lachte und beugte sich drohend vor. »Er ist aber gar nicht da …!«
»Achtung, der Hauptmann!«
Ich bemühte mich, mir bei diesem Ruf meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Ich blickte zur Seite, in der Erwartung, Hauptmann Suiden an der Tür zu sehen, starrte jedoch bereits in sein Gesicht. Slevoic und seine Kumpane waren so darauf konzentriert gewesen, mich einzuschüchtern, dass sie nicht bemerkt hatten, wie der Hauptmann näher kam, und offenbar hatte niemand sich bemüßigt gefühlt, sie zu warnen. Ich erstarrte, während der Blick des Hauptmanns von meinem Gesicht glitt.
»Reiter Ryson.«
»Sir!«
»Sie melden sich sofort beim Stallmeister zum Ausmisten!«
Ich hütete mich zu grinsen, als Ryson eiligst die Baracke verließ. Mist schaufeln und Zaumzeug säubern, während er den komischen Geschichten vom Stallburschen Hedley lauschen musste, könnte seine Lust herumzuschleichen ein wenig zügeln.
Der Blick des Hauptmanns richtete sich wieder auf mich, und er runzelte die Stirn, als er meinen Bademantel sah. »Reiter Hase.«
»Sir!«
»Ich nehme an, es gibt einen Grund, weshalb Sie das da tragen?«
»Ich wollte ins Bad, Sir!«
»Verstehe. Ich hoffe doch, das hat noch einen Moment Zeit, hm?« Er drehte sich zu Slevoic um. »Sie haben sicher einen triftigen Grund, Leutnant, sich in meinen Baracken herumzudrücken?«
»Wir wollten nur unsere Freunde besuchen, Sir«, erwiderte Slevoic.
»Ach?« Suiden hob die Brauen. »Und Sie erwarten, hier welche zu finden?« Slevoic öffnete den Mund, aber der Hauptmann unterbrach ihn. »Wegtreten, Leutnant. Sofort!«
Suiden schwieg zehn Sekunden, nachdem Leutnant Slevoic und seine Kumpane verschwunden waren. Anschließend sagte er nur, dass wir warten würden, bis Leutnant Groskin aus den Stallungen zurückkam, was kurz darauf passierte. Hauptmann Suiden überzeugte sich, dass wir vollzählig waren, und befahl Groskin dann, die Tür zu schließen.
»Hören Sie zu, Männer. Sie bleiben auf Befehl des Kommandeurs in der Baracke. Sie werden sie weder verlassen noch Besucher empfangen. Das Abendessen wird hierher gebracht.« Der Blick des Hauptmanns streifte meinen Bademantel. »Außerdem genügend Wasser, für alle, die sich waschen wollen. Leutnant Groskin bleibt hier, um dafür zu sorgen, dass diese Befehle befolgt werden. Das ist alles.«
»Hauptmann?«, meldete Groskin sich zu Wort.
»Ich rede mit Ihnen, wenn ich zurückkomme, Leutnant.« Hauptmann Suiden drehte sich zu mir herum. »Hase, bei Fuß!«
»Bitte um Erlaubnis, meine Uniform anziehen zu dürfen, Sir«, erwiderte ich.
Hauptmann Suiden ließ sich tatsächlich zu einem Grinsen hinreißen. »Erlaubnis verweigert. Kommandeur Ebner wird über den Bademantel hinwegkommen, aber er wollte uns schon vor ein paar Minuten sehen.« Damit drehte er sich um und schritt zur Tür. Ich folgte ihm.
Als wir im Quartier des Kommandeurs ankamen, wurden wir sofort in sein Büro geführt. Wir standen stramm. Das Kerzenlicht ließ das lebhafte Blau, Rot und Violett meines Bademantels leuchten, und ich fragte mich, was der Kommandeur über mich gehört hatte, weil sein Schnauzbart sich keinen Millimeter rührte.
»Rühren. Setzen, Männer«, sagte Kommandeur Ebner, nachdem sein Bursche die Tür geschlossen hatte. Wir warteten, bis er saß; dann nahmen wir auf den Stühlen Platz, die vor seinem Schreibtisch standen. Ich überzeugte mich, dass mein Bademantel nirgendwo aufklaffte, denn schließlich wollte ich vor meinen Vorgesetzten nicht wie ein Exhibitionist wirken.
Der Kommandeur fischte ein Blatt Papier von einem ordentlich aufgeschichteten Stapel. »Reiter Hase, kein Patronymikon. Vater Lord Rafe ibn Chause, dritter Bruder des derzeitigen Lord Chause; Mutter Lady Hilga eso Flavan, Tochter des derzeitigen Lord Flavan …«
»Sie haben die Namen Zweibaum und Lerche angenommen, Sir«, warf ich ein.
»… die vor dreißig Jahren ihre Titel abgelegt haben und ins Grenzland gezogen sind, um Bauern …«, Kommandeur Ebner las ein bisschen weiter, »und Weber zu werden.« Er seufzte und legte das Blatt Papier zur Seite. »Warum haben Sie die Grenzlande verlassen, Reiter Hase?«
Wie rebelliert man gegen Rebellen? Meine Eltern hatten sämtliche Privilegien abgelegt, die ihnen ihr Rang und ihre gesellschaftliche Stellung gewährten, und hatten ihre Familie in den Grenzlanden großgezogen, frei von Heucheleien und bedrückender Konformität, um die Erde, die Früchte des Ackers und das Wild zu genießen, das frei und wild lebte, unverdorben von dem Einfluss menschlicher Herrschaft. Sic!
Also, wie sollte man das toppen? Ich bin weggelaufen, in die Stadt, und habe mich als Reiter bei der Königlichen Armee von König Jusson Goldauge gemeldet.
»Ich wollte die Welt sehen, Sir«, antwortete ich.
Kommandeur Ebner blickte wieder auf das Papier. »Zweiunddreißig Linien zum Thron von der Chause-Seite und vierzig von der der Flavans.« Er sah mich an. »Sie hätten in Iversly in die Armee eintreten und Offizier werden können, vielleicht sogar in des Königs Garde.«
»Ich bin kein Aristokrat, Sir. Ich bin ein Bauernsohn.«
Er warf einen Blick auf meinen Bademantel. »Hmm. Sicher.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Sie haben auf dieser Patrouille einen Faena getroffen.«
»Jawohl, Sir.«
»Kennen Sie die Geschichte von Iversterre?«, erkundigte sich Kommandeur Ebner.
»Jawohl, Sir, jedenfalls die neueste Version.«
»Hmm, klar«, knurrte der Kommandeur. »Wir haben auch unsere eigene Version. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte.«
Ich widersprach im Stillen, als ich mich an die uralten Geschichten der Elfen erinnerte, von Verfolgungen, Brandschatzungen und Massakern.
»Es gab hier auch einmal Magische«, fuhr Kommandeur Ebner fort. »Aber als das Königreich expandierte, haben sich die Magischen zurückgezogen - bis Iversterre das erreichte, was jetzt die Grenzlande sind. Dann ist die Hölle ausgebrochen.«
»Der Grenzkrieg, Hase«, warf Hauptmann Suiden ein.
»Ja«, bestätigte Kommandeur Ebner, »und die Armee der Grenzlande wurde von diesen Magischen, den Faena, angeführt.« Er strich sich den Schnauzbart glatt. »Man hat uns verflucht gründlich den Hintern versohlt, Reiter, und wir wurden ohne Abendessen ins Bett geschickt. Es war eine sehr schockierende und demütigende Niederlage. Wir hatten Glück, dass sie uns erlaubten, um Frieden zu bitten, und jetzt ignorieren wir die Grenzlande und hoffen inständig, dass sie uns ebenfalls links liegen lassen.«
Was sie nicht taten. Die Grenzlande waren sich ihres südlichen Nachbarn sehr wohl bewusst, so wie man einen Kieselstein im Schuh oder ein Sandkorn im Auge schwerlich vergessen kann.
»Mein Großvater war einer der Glücklichen, die lebend zurückkehrten«, erklärte Ebner. »Opa hat uns Geschichten erzählt, wie selbst die Bäume …« Er unterbrach sich. »Na ja, genug davon.«
»Jawohl, Sir«, sagte ich.
Kommandeur Ebner beugte sich vor. »Und jetzt kommt eine meiner Einheiten mit einer einwöchigen Verspätung von einer Routinepatrouille zurück und erzählt mir, dass sie sich einen halben Tagesritt und fast in Sichtweite der Heimat verirrt hat und dass dort ein Magischer, ein Faena!, herumgelaufen ist, wo vor der Zeit meines Großvaters keiner war, und dass ein Reiter einen Pakt mit dem Wesen geschlossen hat. Wonach dieser Faena besagter Truppe den Heimweg zeigte. Was glauben Sie wohl, wird der Lordkommandeur dazu sagen, hm?«
»Ehm«, erwiderte ich.
»Genau.« Ebner lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und ich beobachtete, wie er auf seinem Schnurrbart herumkaute. Hauptmann Suiden starrte angelegentlich auf eine Kerze. Der Garnisonskommandeur seufzte. »Na gut, es gibt keinen anderen Weg. Wir müssen rausfinden, was da vorgeht.«
»Sir?«
»Und da Sie der Einzige sind, der auch nur ein bisschen mehr über diese Faena weiß als das, was in alten Kriegsgeschichten und Kindermärchen erzählt wird, werde ich Sie dort rausschicken.«
»Mich, Sir?«
»Hauptmann?«
»Sir«, antwortete Hauptmann Suiden.
»Sie und Ihre Männer rücken morgen früh ab und reiten dorthin zurück, wo Sie diesen Magischen aufgegabelt haben.«
»Jawohl, Sir.«
»Dann finden Sie raus, was passiert ist, und erstatten Meldung.« Kommandeur Ebner stand auf. Wir auch. »Ich vertraue Ihrem Urteilsvermögen, Suiden.« Der Schnauzbart des Kommandeurs presste sich flach gegen seine Wangen. »Fangen Sie um Himmels willen keinen neuen Krieg an. Ich möchte nicht gegen Bäume kämpfen müssen!«
3
Das Trompetensignal weckte uns bei Sonnenaufgang. Ich konnte Ryson riechen, der drei Pritschen weiter lag. Er stank nach seinem Dienstausflug in die Stallungen. Offenbar war er ins Bett gefallen, ohne sich auszuziehen.
Als ich aufstand und mich durch meine Morgentoilette mühte, spürte ich Blicke auf mir. Man hatte mich nach meinem Treffen mit Kommandeur und Hauptmann nicht ausgehorcht, weil Groskin Suidens Ausgangsverbot erweitert und uns untersagt hatte zu tratschen. Deshalb hingen Spekulationen in der Luft, die sich allesamt auf mich bezogen. Schließlich flüchtete ich vor den verstohlenen Blicken, indem ich mich auf meine Pritsche setzte und meine Morgengebete absolvierte.
»Achtung, Offizier!«
Bei diesem Ruf beendete ich meine Gebete, öffnete die Augen und stand auf. Ich war zwar nicht der Letzte, aber es genügte, um Leutnant Groskin aufzufallen, der dem Hauptmann in den Saal gefolgt war. Ich warf einen prüfenden Blick auf meine Hose, um mich zu überzeugen, dass sie ordentlich über den Stiefeln hing, und als ich hochblickte, bemerkte ich, dass der Leutnant tief Luft holte.
»Leutnant«, sagte Hauptmann Suiden.
Groskin stammelte, als die Luft aus seinen Lungen wich.
»Rührt Euch!«, befahl Hauptmann Suiden. Er wartete, bis wir entspannter waren. »Unser Urlaub wurde gestrichen.«
Jetzt schnappte die Truppe nach Luft, während wir unseren Hauptmann anstarrten. Er erwiderte unsere Blicke mit seinen ruhigen braunen Augen.
»Machen Sie sich für eine längere Expedition bereit. Das Ziel unserer Mission wird Ihnen unterwegs erklärt. Das ist alles. Leutnant Groskin, folgen Sie mir.« Die beiden verließen den Saal.
Ich trat an meinen Spind, um zu packen, und ignorierte die aufgebrachten Blicke meiner Kameraden.
»Was geht hier vor, Hase?«, flüsterte Jeff mir zu.
»Ich darf nicht darüber reden, Jeff.« Ich beugte mich vor und machte meinen Spind auf.
»Es ist alles nur wegen dieser verdammten Feder, stimmt’s?«
Ich richtete mich so schnell auf, dass meine Bandscheiben knackten, und starrte Jeff an. »Du warst an meinem Spind?«
»Nein. Ich habe dich mit ihr gesehen. Sie ist knallrot, Hase, genau wie die, die der Magische hatte«, antwortete Jeff.
Ich blickte auf meine triste graue Uniform hinunter und mir wurde klar, dass die Feder darauf förmlich glühen würde. Doch ich hob rasch wieder den Kopf, als das Aroma von Pferdedung mich umhüllte.
»Grenzland-Auswurf«, stieß Ryson hervor und drängte sich gegen mich. »Was zum Teufel hast du da gemacht?« Der Rest der Truppe versammelte sich um uns und spitzte die Ohren.
»Verschwinde, Ryson«, sagte ich und hob meine Arme, um ihn zurückzustoßen.
»Was ist hier los?«, knurrte Leutnant Groskin hinter uns.
Ich ließ meine Arme sinken, und meine Bandscheiben knackten wieder, als ich Haltung annahm.
»Sir! Wir haben uns nur gerade gefragt, ob Reiter Hase etwas mit unserem gestrichenen Urlaub zu tun haben könnte, Sir!«
Ich unterdrückte einen Seufzer. Ryson hatte noch weniger Hirn als ein schwachsinniges Schaf.
»Ah! Also glauben Sie, dass Reiter Hase dem Kommandeur sagt, was zu tun ist, ja?«, erkundigte sich Groskin. Mein Rückgrat knirschte fast unter seinem Lächeln.
»Sir, nein, Sir! Aber vielleicht hatte er ja etwas damit zu tun, dass wir uns überhaupt verirrt haben, Sir!«, antwortete Ryson schnell.
Groskins Lächeln wurde noch breiter, und irgendwie kam es mir vor, als würden seine Eckzähne wachsen. »Wie das, Reiter?«
»Ehm … weil er aus den Grenzlanden stammt, Sir?«
»Und?«
»Vielleicht kennt er ja, also … ich meine, er betet immer, Sir!«
»Und deshalb haben wir uns verirrt, ja?«
Ich betete inständig darum, dass Groskins Reaktion auf Rysons Blödheit nicht auch mich treffen würde.
»Er hat eine Feder, Sir. Von dem Magischen«, erklärte Jeff.
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand in den Magen geschlagen.
»Und Sie glauben, das wüssten wir nicht?«
Es war so leise im Saal, dass man die Flaggen auf dem Exerzierplatz in dem lauen Lüftchen gegen die Masten klatschen hörte. Drinnen standen wir alle so stramm, dass man uns als Lineale hätte benutzen können. Unsere Mienen waren wie in Stein gemeißelt. Ich hörte, wie der Leutnant förmlich schnurrte, als er uns betrachtete. In dem Moment wurde mir klar, dass wir sein Ideal erreicht hatten - wir waren vollkommen eingeschüchtert.
»Ryson, Sie stinken wie Pferdemist.« Groskin ging zu einem Wasserfass und trat gegen die Seite, um herauszufinden, wie viel Wasser noch darin war. »Sie waschen sich, Ihr Bettzeug, Ihre Uniform und alles, was Sie angefasst haben, bevor wir abrücken. Ist das klar, Reiter Ryson?«
»Jawohl, Sir.«
»Ich kann Sie nicht hören.«
»Sir, jawohl, Sir!«
»Und die anderen: Packt gefälligst!«
Wir packten.
Nach dem Frühstück warf ich noch einmal einen Blick in meinen Spind, um mich zu überzeugen, dass ich nichts vergessen hatte. Ich sah die Feder, deren Rot sich gegen das Weiß meiner Unterhosen abhob. Ich nahm sie hoch, und nach einem kurzen Moment zog ich eine Nadel aus meinem Nähzeug und befestigte sie damit an meinem Überrock. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass ich mich im Mittelpunkt ungeteilten Interesses befand, also grinste ich und zeigte alle meine weißen Zähne.
»Ein alter Grenzlandbrauch!«
 
Wir sammelten uns vor unserem Abzug im Pferdehof. Die Sonne lugte gerade über die Mauern der Garnison. Kommandeur Ebner war ebenfalls anwesend, und sein Schnauzbart lag steif auf seinen Wangen. Unsere Gesichter waren ein wenig hager, bis auf das von Leutnant Groskin, der immer noch zu schnurren schien, und das von Hauptmann Suiden, das grimmig aussah wie immer. Der Blick seiner braunen Augen ruhte kurz auf meiner roten Feder, dann ging er weiter und inspizierte den Rest der Truppe.
Zufrieden befahl der Hauptmann Leutnant Groskin, die Befehle zum Abrücken zu geben. Er wartete, bis wir uns alle in Bewegung gesetzt hatten, salutierte vor Kommandeur Ebner und schloss sich uns an. Der Kommandeur sagte kein Wort, als wir an ihm vorbeiritten. Vermutlich stand er überhaupt nur wegen der dramatischen Wirkung da. Ich hörte bereits die zukünftigen Barden über unsere Mission singen:
Die Sonne schien strahlend an jenem schicksalhaften Morgen,Als die tapfren Jungs in den Krieg ritten,Oh, Schnauzbart, der uns in der sanften Brise zum Abschiednachwinkte …
Die Melancholie verging, und ich musste gegen ein Lachen ankämpfen, nur für den Fall, dass Suiden nicht vielleicht doch ein Auge im Hinterkopf hatte. Ich war mit Faena aufgewachsen und wusste, dass ein einzelner Faena noch lange keinen Krieg bedeutete. Es sei denn, ihm war zuvor der Krieg erklärt worden, und Kommandeur Ebner hatte gesagt, dass wir das nicht tun würden. Das hoffte ich stark - mich gelüstete es ebenfalls nicht, gegen Bäume zu kämpfen.
4
Wir erreichten die Bergwiesen, als die Sonne gerade noch eine Handbreit über dem Horizont schwebte. Ich sah mich um. Es kam mir vor, als wäre ein ganzes Lebensalter verstrichen, seit wir hier gewesen waren, obwohl es erst gestern gewesen war. Auf Befehl des Leutnants stieg ich ab und ging zu der Stelle hinüber, an der Laurel und ich die Honigkekse geteilt und den Mahl-Pakt geschlossen hatten. Es überraschte mich nicht sonderlich, dass nicht die kleinste Spur von ihm zu sehen war.
Mir stieg ein schwacher Stallgeruch in die Nase. Ryson ignorierte mich, als er an mir vorbeiging. Sein Rock war immer noch feucht. Seine Uniformen waren alle schmutzig gewesen, und er hatte eine noch feuchte anlegen müssen, nachdem Groskin ihm befohlen hatte, sich zu reinigen. Mich fröstelte mitfühlend.
»Hört zu, Männer!«, rief Groskin. »Der Hauptmann hat Ihnen etwas mitzuteilen.« Er sah mich und winkte mich zu sich. »Hase, der Hauptmann will, dass Sie bei ihm bleiben.« Ich folgte dem Leutnant zu Hauptmann Suiden und stellte mich neben ihn. Groskin baute sich zu meiner anderen Seite auf. Der Hauptmann wartete, bis alle sich um uns versammelt hatten, und ich runzelte die Stirn, als mir auffiel, dass seine braunen Augen in seinem dunkelhäutigen Gesicht plötzlich hellgrün leuchteten. Damals dachte ich mir, dass sie vermutlich die letzten Sonnenstrahlen reflektierten.
»Wir haben von Kommandeur Ebner den Auftrag bekommen, die Ursache hinter unserem letzten Abenteuer zu erforschen«, verkündete Suiden. »Das schließt das Auftauchen des Magischen ein. Deshalb werden wir nach ihm suchen und Kontakt mit besagtem Magischen herstellen, uns vergewissern, warum er hier ist, ob er etwas damit zu tun hatte, dass wir uns verirrt haben, und ob er eine Bedrohung darstellt.« Der Hauptmann deutete mit einem Nicken auf mich. »Reiter Hase wird aufgrund seiner Erfahrung in den Grenzlanden für die Dauer dieser Expedition zum Leutnant befördert.«
Ich vergaß die Augen des Hauptmanns, als meine sich weiteten. Was zum Teufel sollte das?
»Aber er ist doch nur ein Bauernjunge aus den Grenzlanden!«, platzte Ryson heraus.
»Leutnant Hases Vater ist ibn Chause, und seine Mutter ist eso Flavan.« Der Hauptmann wartete einen Herzschlag, während die Truppe uns verdattert anglotzte. »Noch Fragen?«
Es war eine rhetorische Frage, aber wir antworteten trotzdem: »Nein, Sir!«
»Wegtreten!«
Der Wind frischte auf und spielte mit der Feder an meinem Rock, als ich losging, um zu helfen, das Lager zu errichten, aber als ich ein Zeltbündel aufheben wollte, nahm es mir ein Reiter aus der Hand. Ich starrte ihn an, aber er erwiderte den Blick nicht.
»Sie sind jetzt Offizier, Hase«, bemerkte Leutnant Groskin, als er sich neben mir aufbaute.
»Die Pocken sollen den Offizier holen, Sir!« Ich drehte mich herum, um ein anderes Zeltbündel aufzuheben, aber sie waren bereits alle weg. Ich ging zu dem Platz, wo die Zelte errichtet wurden, wurde jedoch von meinen Kameraden ignoriert. Ich wartete ein paar Augenblicke, ob mich vielleicht jemand ansprechen würde, aber ich wurde vollkommen geschnitten und fühlte, wie ich rot anlief. Mir kam ein Bild von meinem Pa in den Sinn, als das Forstkonzil unseres Weilers sich noch unmöglicher aufgeführt hatte als üblich. Ich richtete mich auf und rümpfte die Nase.
»Leutnant Hase«, sagte Hauptmann Suiden.
Mein Kopf fuhr herum, und ich starrte ihn an, immer noch die Nase rümpfend.
»Sie müssen Ihr Zelt aufbauen, bevor es dunkel wird«, erklärte er. Die Sonne versank gerade hinter dem Horizont, und der Wind wurde stärker.
»Sir, in den Vorschriften und Regeln steht, dass die Reiter das Lager aufbauen, Sir!«, erklärte Ryson.
Dieses schaffickende Wiesel!
»Leutnant Hase hat dieselben Pflichten und Verantwortlichkeiten wie immer, außer und bis ich es anders entscheide«, antwortete Hauptmann Suiden. »Habe ich mich klar ausgedrückt, Reiter Ryson?«
Es herrschte beredtes Schweigen, als wir seine Worte verdauten.
»Habe ich mich klar ausgedrückt, Reiter Ryson?« Die Stimme des Hauptmanns war ein bisschen lauter geworden.
»Sir, jawohl, Sir!«, brüllten alle, einschließlich meiner Person, Leutnant Groskin und etlicher Pferde.
Der Hauptmann drehte sich um, und wir stießen lautlos die Luft aus. Ich ging zu meinem Zelt. Jeff stand daneben.
»Ich nehme an, wir teilen es noch, da sie kein anderes mitgebracht haben«, bemerkte er.
»Ja.« Ich warf einen Blick über meine Schulter auf die Silhouette des Hauptmanns, die sich gegen die letzten Sonnenstrahlen abhob. »Sag mal, Jeff, hast du bemerkt, dass die Augen des Hauptmanns grünlich …?« Ich brach ab, als ich Jeffs verständnislosen Blick bemerkte, und zuckte mit den Schultern. »Schon gut, vergiss es.«
Als wir das Zelt aufgebaut hatten, gingen wir zum Lagerfeuer, an dem Reiter Basel den Kochdienst übernommen hatte und Abendessen zubereitete. Über den Flammen briet Kaninchen, und ich fühlte, wie mir die Galle hochkam, als der Geruch mir in die Nase stieg. Ich ging zum Zelt zurück, wo ich meine Satteltaschen abgelegt hatte, und holte Brot, Käse und ein paar Früchte heraus. Als ich damit wieder zu den Männern hinüberging, winkte Basel mich zu sich.
»Ich habe Ihnen ein paar Möhren zurückgelegt, Leutnant.«
Ich seufzte. »Basel, du kennst mich seit Jahren. Du musst mich nicht mit Leutnant ansprechen.«
»Jawohl, Sir. Hier, bitte.« Er reichte mir einen Teller mit dampfendem Gemüse.
Ich seufzte erneut, suchte mir eine Stelle am Feuer, den Wind im Rücken, und setzte mich. Zu meiner Überraschung leistete Jeff mir Gesellschaft und sah zu, wie ich die Nahrung auf meinem Teller massakrierte. »Ist es eine Grenzlandsitte, dass du kein Fleisch ist?«
»Nein, einige von uns sind Fleischesser.« Ich dachte an die Wölfe, die Drachen und andere Lebewesen mit scharfen Zähnen. Laurel Faena hatte ebenfalls nicht so ausgesehen, als würde er sich nur von Nüssen und Beeren ernähren. Oder Honigkeksen. »Und ich esse Fisch. Es liegt daran, dass die Grenzlande die Vorstellung von dem, was ›Nahrung‹ ist, ganz schön durcheinanderbringen.« Ich schaufelte Gemüse auf die Gabel. »Da war ein Bauer in dem Weiler neben unserem, der Schweine gezüchtet hat, bis er eines Tages einem Wildschwein begegnete, einem Keiler, der den ganzen Morgen mit ihm über den Sinn des Lebens und den Zweck des Universums diskutierte. Der Bauer meinte hinterher, dass ihn das irgendwie von der Lust auf Schweineschnitzel abgebracht habe.«
»Ihr hattet also kein Vieh auf eurem Hof?«, erkundigte sich Jeff.
»Um uns zu ernähren? Nur Milchkühe und Legehennen. Aber wir hatten auch Pferde, Schafe, zwei Ziegen, Hunde und Katzen. Ganz zu schweigen von den Schlangen, Eulen und Falken, die in unseren Scheunen lebten.« Jeff starrte mich an, also erklärte ich es ihm. »Sie waren gegen das Ungeziefer da. Wo Menschen sind, sind auch Ratten und Mäuse.«
»Also war es ein echter Bauernhof«, meinte Jeff.
»Es ist ein richtiger Bauernhof. Meine Familie spielt nicht den Gutsherrn«, erklärte ich. »Sie leben von dem, was sie anbauen, und verkaufen den Rest.«
»Es ist nur … ich meine, du weißt schon, Hase, du bist ein Fatzke.«
»Nur zu wahr«, murmelte jemand.
»Es ist ein Bauernhof.« Ich sah, dass mich keiner verstand, und versuchte es noch einmal. »Wir hatten keine Schneider für elegante Kleidung. Wir haben unsere Kleidung aus der Wolle gemacht, die unsere Schafe lieferten. Da ich drei ältere Brüder habe, musste ich meist ihre abgelegten Sachen tragen. Wenn ich sie bekam, waren sie braun, ausgebeult und kratzig - und ihr wollt sicher nicht wissen, was die selbstgemachte Seife meiner Mutter daraus gemacht hat.« Meine Haut juckte bei der Erinnerung daran. »In der Hölle, Jungs, trägt man handgestrickte Unterhosen«, sagte ich in das Gelächter hinein, »und ich habe mir jedes feine Hemd, das ich trage, selbst verdient.«
Nachdem wir fertig gegessen hatten und die Wachen eingeteilt waren, kroch ich in mein Zelt, um zu schlafen. Ich machte es mir gerade in meinem Bettzeug gemütlich, als die Klappe angehoben wurde und Jeff hereinkam. Er sagte nichts, als er in sein Bett kroch, und ich döste ein.
»Du hättest etwas sagen können«, meinte Jeff.
Ich blinzelte schläfrig. »Hä?«
»Du hast zu viele verfluchte Geheimnisse, Hase.«
»Und was, zum Beispiel?«
»Das mit deinen Eltern. Dem Magischen. Der Feder.«
Mit einem Schlag war ich hellwach. »Wir haben alle Geheimnisse …«, begann ich.
»Nicht solche. Meine Geheimnisse sind überhaupt nicht so wie deine.«
Das entsprach vermutlich absolut der Wahrheit.
»Ibn Chause e Flavan«, erklärte Jeff.
»Ich bin immer noch ich«, erwiderte ich. »Ich habe mich nicht verändert.«
»Schon möglich, aber wer bist du?«
5
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war Jeff verschwunden, und sein Bettzeug lag neben seinen Satteltaschen fein säuberlich zusammengerollt in einer Ecke. Ich betete besonders sorgfältig, weil ich mir dachte, dass ich wohl jede Hilfe brauchte, die ich kriegen konnte. Dann schnappte ich mir mein Rasiermesser, die Seife und ein Handtuch, hob die Zeltplane an und trat in die Sonne hinaus. Im nächsten Moment blieb ich wie angewurzelt stehen, weil ich fast in Hauptmann Suiden hineingelaufen war. Leutnant Groskin und er standen vor meinem Zelt und starrten Laurel Faena an. Suiden hatte die Arme verschränkt, Groskin die Hand auf seinem Schwertgriff. Hinter dem Faena standen die Reiter. Ein paar machten verstohlene Gesten, mit denen sie das Böse abwenden wollten, aber die meisten hatten ihre Hände ebenfalls an ihren Schwertgriffen.
Laurel sah noch genauso aus wie bei unserer gestrigen Begegnung. Er trug denselben bestickten Umhang, denselben Stab, dieselben Federn und Perlen, die in seinen rötlichen Halspelz und seine Ohren gewoben waren. Ohren, die jetzt beide spitz nach vorn gerichtet waren, als er mich ansah. Er verbeugte sich knapp vor mir, als wären wir uns zufällig am Markttag begegnet. »Lord Hase.«
Die Männer murmelten bei dieser Ehrenbezeugung, die mir außerdem einige böse Blicke einbrachte.
»Versichert Euren Männern, Ehrenwerter Hauptmann, dass ich nichts Böses im Schilde führe.« Laurels Stimme war ein tiefes Grollen.
»Das ist schwer zu glauben, da Ihr aufgegriffen wurdet, als Ihr durch das Lager geschlichen seid«, erwiderte Groskin, dessen Hand sich fester um den Schwertgriff schloss. Die Männer murrten zustimmend, und Ryson, der ein wenig abseits von den anderen stand, murmelte etwas, was ich nicht hören konnte. Einige Kameraden nickten jedoch und machten Anstalten, ihre Schwerter zu zücken.
Suiden warf ihnen einen Blick zu, nach dem schlagartig Ruhe einkehrte. Die Reiter, die ihre Schwerter zücken wollten, erstarrten mitten in der Bewegung. »Was führt Ihr dann im Schilde?«, erkundigte sich der Hauptmann, der seinen Blick wieder auf den Berglöwen richtete.
»Frieden«, antwortete der Faena, dessen Schnurrhaare sich an seine Wangen legten, als er uns ein, wie ich vermutete, harmloses Lächeln zeigte. Seine scharfen Reißzähne glitzerten weiß in der Sonne.
In der folgenden Stille hörte ich, wie der Wind sanft über das Gras strich. Laurel lachte, ein tiefes, fauchendes Geräusch, als er Suidens höflich-ungläubigen Blick bemerkte. »Ich sage die Wahrheit, Ehrenwerter Hauptmann. Aber vielleicht können wir darüber unter vier Augen reden?« Er deutete auf meine nackte Brust, auf der sich eine Gänsehaut breitmachte. »Nachdem Lord Hase sich angekleidet hat.«
Was zum Teufel …? Ich warf dem Faena einen gehetzten Blick zu, als er andeutete, dass ich an dieser Beratung teilnehmen sollte, aber dabei streifte mein Blick Suidens Gesicht. Der Blick des Hauptmanns schien eine Ewigkeit auf mir zu ruhen. »Sie können wegtreten, Leutnant!«, sagte er schließlich.
»Zu Befehl, Sir!« Ich war noch vor dem nächsten Herzschlag am Kochfeuer. Ich hörte, wie Groskin hinter mir den Männern zuknurrte, ihre verdammten Schwerter einzustecken, und sie anblaffte, ob sie nichts zu tun hätten und dass er ihnen eine Aufgabe geben könnte, falls sie darauf bestehen würden herumzuhängen. Dann hörte ich das Trampeln von Füßen, als die Reiter hastig davoneilten.
Ich wartete einen Moment, bis meine Atemzüge sich wieder beruhigt hatten, und fragte den diensthabenden Koch nach heißem Wasser.
»Natürlich, Leutnant«, erwiderte Basel und salutierte.
»Verflucht, Basel, lass das!«, knurrte ich ihn an.
»Zu Befehl, Sir.« Basel bückte sich und nahm eine Schüssel vom Boden. »Ich habe da drüben Erdbeeren gefunden«, - Basel deutete auf einen sonnigen Flecken neben einem Felsen, - »und sie für Ihren Porridge aufgehoben, Leutnant. Ich weiß ja, wie wählerisch Sie bei Ihrem Essen sind.«
Es geht doch nichts über Spott vor dem Frühstück. Bevor ich antworten konnte, hüllte mich eine säuerliche Duftwolke ein. Ich warf einen Blick auf meine Füße. War ich irgendwo hineingetreten?
»Es heißt Lord Hase, Basel«, sagte Ryson, der mehrere Reiter im Schlepptau hatte. Es war ein ziemlich großes Gefolge. Der Gestank ging von ihm aus. Seine feuchte Kleidung war stockig geworden.
»Sie riechen ranzig, Ryson«, sagte ich.
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Rysons Zeltkamerad.
»Warum haben Sie Ihre Kleidung nicht gestern Nacht ausgezogen und am Feuer getrocknet?«, erkundigte ich mich.
»Selbstverständlich, Lord Hase.« Er klimperte mit den Wimpern. »Verzeiht uns, Lord Hase. Wir verstehen nicht so viel von Kleidung wir Ihr, Lord Hase.«
»Das ist genug, Sie schaffickendes, unzuchttreibendes Wiesel …«
Jeff packte meinen Arm und zerrte mich zur Seite. Niemand wollte Ryson anfassen, aber zwei Männer traten schützend vor ihn. Ihre Augen tränten, als der Wind umschlug. »Hast du den Verstand verloren?«, fragte Jeff mich leise. »Willst du, dass der Hauptmann oder Groskin dich hört?«
Ryson und ich hörten auf, uns gegenseitig anzugiften, und alle sahen sich suchend um. Die Spannung ebbte ab, als wir sahen, dass Suiden und Groskin immer noch bei Laurel Faena standen.
Ich befreite mich mit einem Ruck von Jeff und ging zum Feuer zurück. Das Wasser blubberte leise. Ich nahm das Waschbecken und goss etwas hinein.
»Wenn ein Faena jemanden Hoher Imperator des Universums nennen will, dessen Herrschaft niemals endet, dann sagt man eben, ja, so sei es. Sic! und fertig«, erwiderte ich und wusch rasch mein Gesicht mit einem Lappen. »Sie sehen Dinge, die kein anderer sieht. Sie leben in einer anderen Wirklichkeit.«
»Und das ist deine Wirklichkeit, Lord Hase?«, erkundigte sich Jeff.
»Weiß ich nicht. Und nenn mich nicht so.«
»Ibn Chause e Flavan. In welchem Verwandtschaftsgrad stehen die beiden Häuser zum König?«
»Zweiunddreißig Linien von Chause und vierzig von Flavan«, mischte sich Ryson ein und grinste, als ich ihn anstarte. »Es ist wirklich verblüffend, wie weit die Stimme von Kommandeur Ebner trägt, selbst aus seinem Büro heraus.«
Dieses lauschende, spionierende Wiesel …!
»Das sind also wie viele?«, meinte Jeff und zählte sie im Kopf zusammen. »Du hast zweiundsiebzig gemeinsame Vorfahren mit dem König?«
Ich kehrte Ryson und Jeff den Rücken zu und fing an, mich zu rasieren. »Lass gut sein. Meine Eltern haben alle Titel abgelegt, bevor ich geboren wurde. Ich kann nicht einfach angetanzt kommen und sie wieder aufnehmen.«
»Du hast mich gestern Nacht zum Narren gehalten«, meinte Jeff.
Ich hielt inne und erinnerte mich an meine bissige Bemerkung, als die Männer mich ausgeschlossen hatten, während sie das Lager aufbauten. Wie aufmerksam von ihm - und wie nett, mir das vor allen ins Gesicht zu schleudern. Ich beendete meine Rasur und wusch mir die Seife vom Gesicht. »Na ja, du warst so nervös …« Ich unterbrach mich, als ich bemerkte, dass Groskin zu uns herüberkam. Laurel und Suiden verschwanden gerade im Zelt des Hauptmanns.
Ryson sah es auch und wurde blass. Er förderte ein winziges Stück Seife zutage und begann, sich auszuziehen. »Schnell, Basel, heißes Wasser. Groskin hat gedroht, dass er mich in den Strom da drüben wirft, wenn ich mich nicht wasche.«
Wir warfen einen kurzen Blick auf den Strom, der, angeschwollen von der Schneeschmelze, hinter der Weide vorüberfloss. Bei dem Gedanken, Groskin könnte auf die Idee kommen, dass wir alle ein Bad brauchten, durchfuhr uns ein kollektiver Schauer. Basel goss heißes Wasser in ein anderes Waschgeschirr, während ich meines ausleerte. Jeff schnappte sich einen Stock, hob damit Rysons Uniform in das leere Waschbecken, und Basel übergoss sie auch mit kochendem Wasser.
Ich taxierte Rysons winziges Seifenstück im Vergleich zu seinem Gestank. »Hier«, sagte ich und warf Ryson mein Handtuch und meine Seife zu.
»Das reicht nicht«, meinte Jeff. »Ich hole mehr Seife.« Er trottete davon, und ich folgte ihm nach einem Moment. Ich hatte vor, mich in meinem Zelt fertig anzukleiden und eine Weile den Unsichtbaren zu spielen.
Suiden ließ mich erst nach dem Frühstück kommen. Bis dahin beschäftigte ich mich wie die anderen hauptsächlich damit, Ausrüstung zu reinigen und zu pflegen. Es sah nicht so aus, als würden wir bald ausrücken. Ryson musste all seine Sachen noch einmal waschen, und er marschierte mit einem geborgten Handtuch durch das Lager. Diesmal hängte er seine Kleidung und sein Bettzeug über das Lagerfeuer zum Trocknen. Groskin drohte Ryson zwar damit, dass er seine Uniform wieder nass tragen müsste, und knurrte etwas über den unwürdigen Anblick von Rysons nacktem Hintern und darüber, dass das Lager wie eine Waschküche aussah, aber Rysons Zeltkamerad schilderte so leidenschaftlich die Wirkung des Gestanks von Pferdedung und Schimmel in kleinen Zelten, dass der Leutnant schließlich nachgab.
Ich stand am Rand der Weide und starrte auf die Stadt hinunter. Ich fragte mich gerade, wie wir sie bei unserer letzten Patrouille hatten übersehen können, als jemand meinen Arm berührte.
»Der Hauptmann will dich in seinem Zelt sehen, Hase«, sagte Jeff.
Ich nickte, ging zu Suidens Zelt und trat nach Aufforderung des Hauptmanns ein. Das Erste, was ich sah, nachdem sich meine Augen an das düstere Innere gewöhnt hatten, war ein silbernes Teeservice. Ich blinzelte. Meine Mutter hatte auch so eins; es war eines der wenigen Dinge, die sie aus ihrem früheren Leben herübergerettet hatte. Ich setzte mich auf den Teppich zwischen Laurel Faena und Groskin und bekam Tee in einer zierlichen Porzellantasse mit einer ebenso feinen passenden Untertasse gereicht. Groskin hielt mir einen Napf mit Zitronenscheiben hin und dann, nachdem ich eine genommen hatte, eine Zuckerschale einschließlich Zange. Als ich fertig war, stellte Groskin die Schüsseln auf das ebenfalls passende Teetablett zurück. Während ich meinen Tee mit einem silbernen Löffelchen umrührte, beobachtete ich, wie Groskin eine Tasse für Laurel einschenkte; er benahm sich wie meine Mutter. Ich senkte den Blick und berührte den Teppich - er sah aus wie ein echter Perdan. Darauf lagen dicke, bestickte Kissen, und an den Wänden des Zeltes hingen Gobelins. Ich grinste. Unser Hauptmann verstand es zu reisen.
»Amüsiert Sie etwas, Leutnant?«, erkundigte sich der Hauptmann.
Mein Grinsen erstarb. »Nein, Sir. Ich genieße nur den Tee, Sir.«
Hauptmann Suiden lehnte sich gegen ein Kissen. Ihm schien recht behaglich zu sein. »Also gut, Sro Faena, warum seid Ihr hier?«
Laurel nippte vornehm an dem Tee. »Ich bin auf dem Weg zum König.«
Der Hauptmann, Leutnant Groskin und ich erstarrten mitten im Rühren, Trinken oder Herumfuhrwerken und starrten den Faena an. Er erwiderte unseren Blick, ausdruckslos und wohlwollend, und trank noch einen Schluck Tee.
»Ihr wollt zum König«, wiederholte Suiden.
»Ja«, antwortete Laurel.
»Unserem König«, fuhr der Hauptmann fort, dem offenbar an Klärung gelegen war.
»Ja.«
»Jusson IV., genannt ›Goldauge‹, der im Augenblick in der Königlichen Stadt Iversly residiert.« Hauptmann Suiden war wirklich um absolute Gewissheit bemüht.
»Ja, dieser König.«
»Verstehe. Aus einem besonderen Grund?«
Laurel sah mich an. »Erinnert Ihr Euch, Lord Hase, an die Pelztrapper in Eurem Weiler, vor einigen Jahren?«
»Ja«, erwiderte ich. »Die Ehrenwerte Esche Faena hat das … ehm … abgestellt.«
»Das hat sie. Es war ein einmaliger Vorfall, richtig?«, wollte Laurel wissen.
»Ja.« Ich konnte mir gerade noch ein Schulterzucken verkneifen. »Soweit ich mich erinnere, war dies der erste derartige Zwischenfall. Und der letzte.«
»Ihr habt wahrlich ein gutes Gedächtnis, Lord Hase«, erklärte Laurel. »Wie lange seid Ihr jetzt von dort weg?«
»Seit fünf Jahren, Laurel Faena.«
»Das ist keine lange Zeit, aber was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch mitteilte, dass seit Eurer Abreise nicht nur Trapper, sondern auch Fäller, Sklavenhändler, Jäger und andere Schmuggler die Grenzlande durchstreifen?«
Ich blinzelte. »Ehm …«
»Einem Jäger ist es sogar gelungen, den Hort von Dragoness Moraina zu erreichen.« Laurel nippte erneut an seinem Tee. »Wir haben seine sterblichen Überreste, jedenfalls das, was wir finden konnten, in einem Schuhbeutel von Schuster Rosemarie beigesetzt.«
Wir schwiegen, während wir uns das Bild ausmalten, das sich uns aufdrängte.
»Was ist ein Fäller?«, erkundigte sich Groskin nach einem Moment.
Laurel deutete mit einer Tatze auf mich.
»Fäller sind Holzschmuggler«, antwortete ich. »Das Hartholz der Grenzlande wird auf südlichen Märkten sehr geschätzt.«
»Und Bäume zu fällen ist in den Grenzlanden illegal?«, fragte Groskin.
»Jawohl, Sir. Wenn man einen Baum fällt, tötet man seinen Elf.«
Die Blicke von Hauptmann Suiden und Leutnant Groskin glitten durch das Zelt und suchten nach Dingen, die aus Holz bestanden. Sie blieben an den Zeltpfosten hängen.
»Keine Sorge, Ihr besitzt kein Elfenholz«, sagte Laurel. Er berührte den Stab, der hinter ihm lag. »Und der hier wurde mir von einer Eichenelfe geschenkt, deren Baum noch sehr lebendig ist. Ihrer Schwester ist es allerdings nicht so gut ergangen. Die Fäller haben sie erwischt.«
Hauptmann Suiden stellte seine leere Tasse ab. »Offenbar gibt es in den Grenzlanden ein ernsthaftes Problem.«
Laurel nickte. »Ein sehr ernstes Problem.« Er sah mich an. »Ihr kennt das delikate Gleichgewicht dort, Lord Hase?«
Delikates Gleichgewicht? Es war, als würde ein Bulle auf einem dünnen Seil tanzen, das zwischen zwei hohen Pfosten gespannt war. Ohne Netz. »Ja«, antwortete ich.
»Jeder hat seine eigene Idee, wie das Universum funktioniert und wie sich das auf seinem Fleckchen Erde darstellen soll, richtig?«
»Ja«, wiederholte ich.
»Und Ihr wisst auch, wie schwer es ist, dass irgendeiner irgendeinem anderen in irgendetwas zustimmt, ganz zu schweigen davon, einen allgemeinen Konsens zu erreichen?«
Ich nickte. Die Erinnerung an die Enttäuschung meines Pas sowohl über die Forstkonzile der Weiler als auch über den Hohen Rat stieg wieder in mir hoch.
»Der Hohe Rat hat ein Übereinkommen erreicht, Lord Hase«, fuhr Laurel fort. »Einstimmig.«
Mir klappte der Kiefer herunter.
»Wir werden Iversterre den Krieg erklären, wenn diese Übergriffe nicht aufhören.«
Mein Mund schloss sich mit einem vernehmlichen Klacken.
»Die Ehrenwerte Moraina hat recht eloquent ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, was sie davon hält, Teil einer Apothekersalbe zu werden oder als Stiefel eines Edelmannes zu dienen.« Laurel leerte seine Tasse und stellte sie ab. »Und die Mondperiode beginnt bald.«
Suiden runzelte die Stirn. »Mondperiode?«
»Es ist die Zeit vom ersten Vollmond im Frühling bis zur Mittsommersonnenwende, in welcher die Geister derer erscheinen, die verraten und ermordet wurden, Sir«, sagte ich und ignorierte
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Borderlands Novel 01. Covenants« bei Roc, New York.
 
 
1. Auflage Deutsche Erstausgabe März 2009
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