Grimsby's schwarze Seele - Lisa Katharina Bechter - E-Book

Grimsby's schwarze Seele E-Book

Lisa Katharina Bechter

4,8

Beschreibung

Alice und Grace, zwei Freundinnen, die stets auf der Suche nach alten und neuen Buchschätzen sind, verschlägt es in den etwas abseits von Grimsby gelegenen urigen Buchladen Willoughby Books. Dass dieser Ausflug ihr Leben nachhaltig verändern würde, damit hätte wohl keiner von beiden gerechnet … Während Alice sich auf einen Flirt einlässt und die Gefühle zunehmend verrückt spielen, begegnet Grace einem alten Einsiedler, der sich nur zu gern in seiner Hütte im Wald verschanzt und der ihr einen Schrecken einjagt, den sie nie wieder vergessen sollte …

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Liebe so intensiv du nur kannst…

Glaube an dich selbst

und hoffe

bis zur letzten Sekunde…

Inhaltsverzeichnis

Motto

Prolog

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Alice

Grace

Tagebucheintrag 24.Oktober, 1973

Tagebucheintrag 26.Oktober 1973

Alice

Grace

Alice

Grace

… zwei Monate später

Alice

Grace

Prolog

In seinen Gedanken gleiten seine Hände zärtlich von ihrem Hals hinunter über die zarten jungen Brüste. Sie gleiten hinweg über ihre weibliche Hüfte, bis hin zum angewinkelten Knie. Langsam lässt er seine Fingerspitzen an der Innenseite ihres Schenkels wieder hinauf wandern. Ihre zarten, feinen Hände berühren ihn sanft und streichen von seinem empfindlichen Rücken hinunter. Ihre beider Atem gehen schneller, die Herzen pochen zunehmend schwerer und ihr Kuss könnte inniger nicht sein.

Ihre Hand umfasst schließlich behutsam seine Erregung und seine Fingerspitzen finden ihre warme, so wohlige Mitte. Sie hauchen sich ein lustvolles zu und die Hitze zwischen den beiden steigt mehr und mehr. Sie berühren sich, küssen sich, lieben sich auf einfache und doch liebevolle Art und Weise. Und während er sie in Gedanken weit über die Geschwisterliebe hinaus liebt und sein Herz nur für sie zu schlagen scheint, holt ihn die Realität doch wieder einmal ein.

Sie, die doch so zart, so zierlich zu sein scheint, verpasst ihm schmerzende Hiebe mit der flachen und doch so kraftvollen Hand, direkt in sein noch jungenhaftes Gesicht. Seine Wange glüht feuerrot, die Tränen brennen auf seinen Augenlidern und wieder zerschellt der Wunsch nach Geborgenheit, der Wunsch nach ihrer Liebe.

Er bringt es einfach nicht, er hat es ihr noch nie besorgen können, so sagt sie. Ein Nichtsnutz sei er, ein widerlicher Schlappschwanz.

Während er die Worte seiner älteren Schwester in sich aufsaugt, so als könnte er darin vielleicht doch ein Fünkchen ihrer Liebe für ihn finden, lässt seine Erregung nach und er begreift, dass er es wieder einmal nicht geschafft hat, ihre Lust zu befriedigen. Beschämt krümmt er sich zusammen und lässt die Beschimpfungen, die Schläge und Qualen über sich ergehen. Weil er sie trotz all der Demütigungen liebt.

Alice

Seit Tagen planen Grace und ich unseren Ausflug in umliegende Antiquariate. Alte Dinge findet man in unserer Hafenstadt meist schnell, allerdings sind Bücher eine kleine Herausforderung.

Unsere größte Gemeinsamkeit war wohl die Liebe zu Büchern, ganz egal ob frisch aus dem Druck oder alte Schätzchen, auch wenn wir uns im Genre nicht immer ganz einig sind.

Gerade war ich auf dem Weg um Grace abzuholen, denn die Zeiten mit Bus und Bahn hatte ich zum Glück hinter mir. Ich hasste es, mit fremden Menschen so auf Tuchfühlung gehen zu müssen. Mein Sicherheitsabstand war mir heilig, gerade bei Unbekannten. Obwohl mir die Fahrt entlang am Meer, vorbei am stellenweise urigen Hafen von Grimsby zwischendurch schon fehlte.

Als ich bei Grace ankam, stand sie schon bereit und schien ungeduldig auf mich zu warten. Wir waren beide aufgeregt und hibbelig, da wir uns auf das, was uns erwartete wirklich freuten.

Unsere Begrüßung war wie immer herzlich, aber nicht diese typischen Mädchenbegrüßungen mit Schatzi und Mausi und „ich liebe dich ja so sehr“, der Tussiteil ging an uns beiden eher vorbei. Kaum saß sie im Auto, schnappte ich mir mein Tablet PC und startete die App der Navigation. Schnell noch die Adresse eingetippt und los ging die Reise. Die Navigationsapp zeigte uns an, dass unser Ziel, ein altes und scheinbar recht verstecktes Antiquariat in der Nähe vom Hendale Wald sein musste.

Den Weg zum Wald kannte ich ohne Wegweiser, das Antiquariat war in der Nähe des Waldes und mir bisher noch nie aufgefallen, daher fuhren wir lieber mit Navi. Ich war nicht scharf darauf unser Ziel zu umkreisen oder mich direkt ganz zu verfahren. Ich stand eher auf die Punktlandung, was mein Ziel betraf!

Eine gute halbe Stunde Fahrt lag hinter uns.

Wir fanden einen Parkplatz direkt gegenüber des Antiquariats und mussten nur noch die Straße überqueren. Ich musste wirklich sagen, einen besonderen oder atemberaubenden ersten Eindruck hatte Willoughby Books nicht bei mir ausgelöst. Da das kleine Haus einige Meilen vom Meer entfernt lag, war die Fassade nicht so stark vom Salz in der Luft angegriffen worden, wie es hier sonst oft der Fall war.

Vor der Tür stand ein kleiner Warenträger mit Büchern, die mir beim ersten überblicken nicht gefielen. Denn ich musste ja gestehen: Ich suchte meine Bücher Hauptsächlich nach dem Cover aus! Stimmte dann noch der Buchrücken, hatte ich ein neues Schätzchen für meine eigene kleine Bibliothek gefunden. Gut, nicht immer waren es dann gute Bücher, da musste ich ja ehrlich sein. Trotzdem hatten sie dann ein zu Hause bei mir erhalten. Selbst die meiner Meinung nach schlechten Bücher gab ich nicht mehr her und in Ausnahmefällen nur in gute Hände.

Zwischendurch schaffte es aber auch eine Buchempfehlung in mein Regal, was dann schon mal das ein oder andere ungewöhnliche Exemplar in meine Regale zauberte.

Wir gingen an den Büchern vor dem Geschäft vorbei und schon standen wir mit einem Fuß in der Buchhandlung. Der Eindruck von außen war derselbe wie von innen.

Ein kleiner, sehr unscheinbarer Laden, der aber, wenn man sich drauf einlassen konnte, seine ganz eigene Magie verbreitete. Um einen guten ersten Eindruck zu erhalten lief ich für gewöhnlich immer zuerst einmal die Regale ab. Die Tür fiel hinter uns zu und ich lief vom Eingang rechts herum, direkt auf die Regale voller Buchschätze zu. Das Schaufenster war ziemlich vollgestellt und nach einem Thema im maritimen Stil dekoriert, aber schon der Anblick draußen hatte meine Aufmerksamkeit nicht erregen können.

Es war einfach zu überladen.

Ich lief um den großen Tisch, der voll mit Büchern ausgestellt in der Mitte des Raumes stand, auf das Regal an der Wand gegenüber zu.

Doch auch hier leuchteten meine Antennen leider nicht, denn auch regionale Literatur war nicht mein Genre. Einzige Ausnahme waren wirklich alte Bilder und Geschichten von dem Ort, an dem ich groß geworden war und da gilt desto älter umso besser.

Kaum war ich um den Tisch herum, da stand ich vor einem Regal, voll mit Schulbüchern. Aus dem alter war ich definitiv raus. Sollte sich der Prinz auf dem schwarzen Hengst noch blicken lassen und wir bekämen ein Kind, dann aber auch wirklich erst dann, würden Schulbücher wieder ein Thema für mich sein. Etwas weiter rechts neben den Schulbüchern stand ein kleiner Schrank, ich schätzte aus der Zeit um 1800 rum. Alte Bücher und alte Möbel, lassen mein Herz höher schlagen. In dem Schrank standen eine große Sammlung von schmalen kleinen alten Büchern und ein wunderschöner alter Buchständer aus Messing im Barock Stil. Davor standen zwei alte Kinosessel, sodass ich den Inhalt nur von außen betrachten konnte. Neben dem Schrank stand ein Stehtisch mit Flyern, um diesen ging ich herum. Um die Ecke, in dem hinteren Bereich des Ladens standen wie erwartet weitere Regale voll mit Büchern. Nur war leider auch das nicht mein Jagdgebiet und um ehrlich zu sein hatte bis jetzt noch nichts meine Instinkte geweckt!

Am Ende des Raumes stand die Kasse und ein junger Mann stand da hinter. Ich wurde nett angelächelt und gefragt, ob ich Hilfe benötigte. Nein Schätzchen, mir war nicht mehr zu helfen, dachte ich insgeheim. Schüttelte aber nur den Kopf und lehnte dankend ab. Grace war noch am Anfang, sie sog glaube ich noch jeden Buchstaben den sie erblickte wie ein Schwamm auf, während ich mich der gegenüberliegenden Seite zuwand. Und endlich ging meine innere Sirene los.

Fantasy-Romane, eine ganze Seite des Raumes voll von Jugend- und Erwachsenenliteratur mit dem Hauptthema Fantasy. Ich grinste in mich hinein, denn ich hatte endlich etwas gefunden, was mich interessierte. Falls im Antiquariat nichts für mich dabei war, würde ich auf jeden Fall hier zuschlagen. Nach dem Fantasy Bereich kam ein kleiner Vorsprung in der Wand um den ich herum lief und dahinter verbargen sich in der Ecke ein paar CDs. Der Bereich war wirklich der kleinste im ganzen Laden, aber auch wenn ich Musik genauso liebte wie Bücher konnte ich es dem Besitzer nicht verübeln, dass sie hier nur einen kleinen winzigen Platz bekommen hatten.

Durch „youtube“ und viele andere Musikseiten werden CDs immer unbeliebter, wie einst die LP's waren auch diese kleinen runden Musikscheiben auf einem absteigenden Ast. Neben dem Musikbereich war das zweite aussterbende Genre, wenn die Eltern schon keinen Fabel für Bücher hatten, Kinder- und Jugendbücher. Von „Mutter Gans“ zu „Paddington Bär“ und an „Der kleine Vampir“ vorbei, aber auch für die Pubertätsbewältigter war etwas dabei.

Schon stand ich auf der anderen Hälfte des Schaufensters und sah, dass Grace es gerade mal bis zu dem kleinen Schrank geschafft hatte.

Allerdings stand sie zu dem großen Tisch in der Mitte gewandt, den ich nun auch mal in Augenschein nehmen wollte, Krimis und Thriller.

Einiges in dem Bereich hatte ich auch zu Hause, aber aus diesem Genre war es doch ein sehr geringer Teil. Nicht, dass ich auf das blutige Zeug nicht stand, nur manchmal fragte ich mich: wenn ein Autor auf so krankes Zeug kam, auf was kamen dann die echten Psychopathen? Ich erinnere da nur mal an „Saw“ oder „Hostel“, auch wenn es Filme waren und keine Bücher.

Grace flüsterte mir grinsend zu und nickte in die Richtung eines kleinen Durchganges zwischen dem alten Schrank und den Schulbüchern. Woher kam der denn? War ich so in Trance gewesen? Als ich durch den kleinen Gang hindurch schaute, sah ich eine Art Zwischenflur. In der linken Ecke stand ein Drucker und auf der anderen Seite ein Regal. Der Raum dahinter verbarg das, wofür wir eigentlich hier waren. Antiquariate bis unter die Decke! Ich liebte den Geruch von alten Büchern und freute mich schon darauf, eines aufzuschlagen. Naja, es war halt die Frage, ob man einfach so rein durfte.

Es stand zwar groß „Antiquariat“ darüber, aber das war noch lange keine Einladung einfach hinein zu spazieren. Gut, dass ich noch nie auf den Mund gefallen war, ich sprach den jüngeren Typen an, der eben noch an der Kasse stand und jetzt an einem Regal hantierte. „Entschuldigung? Wir würden uns gerne die Bücher im Antiquariat anschauen, können wir einfach so rein gehen?“

Er ließ sofort die Bücher liegen und begleitete mich zum kleinen Durchgang, der hinein in das kleine aber feine Antiquariat führte. „Ja, natürlich können Sie rein, es ist auch unser Büro aber das ist kein Problem.“ Ich lief ihm einfach hinterher, er räumte ein paar Briefe zusammen und legte alles auf einen Stapel. Dabei schaute ich mir schon mal die Regale hinter ihm an und entdecke ein paar Bücher, die ich mir auf jeden Fall genauer ansehen wollte. „So, nun können sie überall dran!“

Ich zuckte vor Schreck leicht zusammen, an ihn hatte ich schon gar nicht mehr gedacht, so fixiert war ich bereits auf die vielen alten Bücher, die sich hier zu Hauf tummelten. Ruckartig drehe ich den Kopf in die Richtung des Buchhändlers. Mein Blick traf seinen und ich wurde völlig unerwartet knallrot, das war mir seit ewigen Zeiten nicht mehr passiert. Reiß dich zusammen, Alice!

Er schaute mich etwas verwirrt an und schien auf irgendetwas warten. Sehr verspätet brachte ich dann ein „Super, Dankeschön“ heraus und schob mich sofort in die kleine Ecke.

Er nickte mir mit einem neckischen Lächeln zu und verschwand wieder an seine Arbeit. Ehe ich mich wieder den Büchern zuwand, verharrte ich einen Moment und war ehrlich etwas verwirrt, was war das denn gerade? Erst wurde ich knallrot und dann stammelte ich herum, wie ein schüchternes Reh, das war ganz und gar nicht meine Art.

Naja, Schwamm drüber und ran an die alten Schätzchen!

Das erste Buch, das ich in den Händen hielt war von außen ein wunderschönes kleines, aber dickes Büchlein. Genau so, wie man sich halt alte Bücher vorstellte. Hervorstehende Rillen, goldene Coverschrift, altes Leder, beziehungsweise in diesem Fall Leinen in dunklen Farben und zwischen den Rillen, in den kleinen Kästchen standen der Buchtitel und der Autor.

Leider war es für mich nur ein Blickfang und kein richtiger Schatz, denn es war ein Gedichtband.

Ich stellte ihn wieder an die Stelle, wo ich ihn herausgezogen hatte und wusste, dass ich Grace darauf aufmerksam machen musste. Was ich schrecklich fand, fand sie nämlich meistens super. Als ich die Regale weiter durchschaute fand ich wieder ein Buch, das meine volle Aufmerksamkeit bekam und nicht nur kurz überflogen wurde.

Obwohl dies überhaupt nicht in mein Interessengebiet fiel, aber ganz im Ernst, bei dem Autor würde jeder mal einen Blick in das Buch werfen. Ich blätterte gerade durch die Seiten von „Ein Sommernachtstraum von Shakespeare“, als mir jemand von hinten über die Schulter schaute. „Klasse Buch, das sollten Sie wirklich nehmen!“

Vor Schreck klappte ich das Buch zu und drehte mich um. Da stand doch tatsächlich wieder der Typ von der Kasse vor mir.

„Oh, bitte entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Typisch Männer, dachte ich.

„Dann sollten Sie sich auch nicht so an eine Frau heranschleichen, die ein tolles Buch in den Händen hält und total darin vertieft ist!“, gab ich theatralisch zurück. Er grinste mich verlegen an und nickte. „Wenn Sie schon mal hier sind, was soll das Buch denn kosten?“ Er schaute sich kurz um und sagte dann leise: „Eigentlich entscheidet mein Vater den Preis der Antiquariate, aber da ich dieses Buch eigentlich gar nicht verkaufen möchte, mache ich Ihnen einen Preis, den Sie nicht ausschlagen können!“ Ich schaute etwas dumm aus der Wäsche, „Warum wollen Sie,... ach lassen wir das. Ich bin Alice!“ und reichte ihm die Hand, er nahm sie und schüttelte sie kurz mit einem festen Händedruck. „Jonathan, freut mich Alice.“

„Nun, Jonathan warum möchtest du es nicht verkaufen und mir trotzdem ein unschlagbares Angebot machen?“ Er schaute wieder ob sein Vater wohl in der Nähe war. „Es ist ein tolles Buch und in einem super Zustand, aber wir haben beide privat so viele Bücher und müssen uns halt auch mal trennen. Da ich bei dir das Gefühl habe, dass es ist in guten Händen ist, würde es mich freuen, wenn du es einfach mitnimmst.“

Ein Mann der Bücher liebt und sich davon mal trennen muss, wie es bei ihm wohl aussieht? „Okay, ich bin ganz Ohr. Hau mich um!“

Er grinste diesmal etwas frecher, „Für 100 £ ist es deins!“ Hat er jetzt wirklich 100 £ gesagt? Das ist mehr als unschlagbar, ich glaube sein Vater würde ihn umbringen, denn normalerweise liegt es bei einem Preis von 600 – 900 £. Ich kann nicht anders, ich muss einfach ja sagen und genau das tu ich auch. „Du bist verrückt! Ja, natürlich nehme ich das Schätzchen mit.“ Er nahm mich mit zur Kasse, damit ich meine neue Errungenschaft direkt in einer kleinen Papiertüte mit dem Emblem des Ladens darauf, vor den Augen seines Vaters schützen konnte. Wie auf Kommando, kam dieser aus einer Ecke, in die ich eben nicht ganz einblicken konnte. Den kleinen Durchgang habe ich vorhin gar nicht gesehen.

Jonathan reichte mir gerade die Tüte, als Herr Willoughby mich freundlich grüßte und in irgendeiner Ecke des Geschäfts auch schon wieder verschwand. Mit meiner neusten Errungenschaft suchte ich Grace, sie stand wie angewurzelt im Antiquariat und bestaunte die Regale, die bis obenhin gefüllt mit alter Bücher waren.

„Grace? Hast du schon was gefunden? Wenn nicht würde ich dir gerne eins zeigen, ich glaube das ist was für dich! Ich war schon erfolgreich.“ Sie schaute mich zwar an, aber meine Worte schienen nur langsam durch zu sickern, aber ich war es ja gewohnt. Wer weiß in welchem Buch sie kurz zuvor noch geschmökert hatte und in Gedanken noch bei der Geschichte des Buches war.

Wir lebten beide zwischendurch in unserer eigenen Welt. Gerade als ich es wiederholen wollte, schüttelte sie den Kopf „Nein, noch nichts gefunden. Welches meinst du denn?“

An ihr vorbei, ging ich zu dem Regal, in dem der Gedichtband stand und zog ihn heraus. Als ich mich umdrehte drückte ich ihr das Buch in die Hand und sagte, dass ich mir vorne noch den Tisch anschauen würde. Sie nickte und ich ließ sie mit dem kleinen Ding alleine. Ich hoffte, dass ich mich nicht getäuscht hatte und sie damit auch einen kleinen Schatz für ihre Sammlung gefunden hatte, so wie ich!

Grace

„Mensch, wo bleibt sie denn?“, ungeduldig schaute ich auf die Uhr, während ich auf meine, ja man könnte fast sagen bessere Hälfte wartete. Alice war meine beste Freundin und auch, wenn wir uns nicht immer ganz einig waren, verstanden wir uns oftmals blind. Wir teilten die Liebe zu Büchern, wenn auch nicht immer das Genre. Während ich die Lyrik, alte Klassiker und schnulzige Liebesromane vorzog und die rosarote Brille nicht selten meine klaren Gedanken vernebelte, waren es blutige Thriller, Horrorgeschichten und so ziemlich die ganze Fantasy-Sparte, die Alice vollends begeisterte. Vielleicht waren es auch gerade diese Unterschiede, die uns so verbanden, denn der Gesprächsstoff ging uns eigentlich nie aus.

Mir fegte ein kräftiger Küstenwind um die Nase, während ich ungeduldig wartete und ich zog mir meinen Parker etwas enger um die Schultern. Für heute planten wir einen Ausflug in ein Antiquariat namens Willoughby Books. Alice fand den kleinen Laden zufällig beim Durchstöbern des World Wide Web, auf der Suche nach neuen „Schätzchen“ - wie sie es nennt. Willoughby Books lag ein bisschen versteckt außerhalb von Grimsby, wir würden wohl ein bisschen suchen müssen.

„Alice, na da bist du ja endlich!“, winkte ich ihr zu.

„Hast du mal auf die Uhr gesehen? Pünktlich auf die Minute, Miss Almond!“

Ich verdrehte ein wenig genervt von ihrer kleinen Zankerei die Augen, setzte mich ins Auto und schnallte mich an. Ja, ja... ich war eben nicht die Geduldigste und meistens schon viel zu früh startbereit. Naja, so war ich halt!

„Reich mir mal bitte mein Tablet rüber, Grace. Ich muss die Adresse noch eingeben.“ Ich reichte ihr den Mini-Computer und sie nahm den handgeschriebenen Zettel mit der Adresse von einer kleinen Ablage im Auto. Noch so ein kleiner, aber feiner Unterschied zwischen uns beiden.

Alice, war unheimlich versiert was Technik anging, sie hatte meistens innerhalb kürzester Zeit das neuste Handy, wenn es auf den Markt kam, den modernsten PC und so weiter. Ich war da eher etwas altmodisch eingestellt, wenn man das so sagen konnte. Wenn es nach mir ginge, dann gäbe es keine SMS oder E-Mails, dann würde man sich noch ganz romantisch Briefe schreiben. Am besten mit einer Feder, die man in tiefschwarze Tinte tauchen musste und über das Papier gleiten lassen musste, so, als würde man ein kleines Kunstwerk damit zeichnen. Verträumt schaute ich aus dem Fenster.

Nach wenigen Fahrminuten waren wir dem Chaos und der Unruhe der Stadt, in der wir beide aufgewachsen waren entflohen. Ich war grundsätzlich kein Freund von Hektik, Tumult und dem ganzen lauten Trouble und genoss es richtig, in Richtung Land zu fahren.

Insgeheim hoffte ich auf dem Weg zu Willougby Books an der ein oder anderen alten Windmühle vorbei zu kommen, denn diese gab es hier in den ländlicheren Gegenden des Öfteren. Für mich versprühten sie irgendwie einen ganz besonderen Charme und gepaart mit der Seeluft, die von der Küste rauf zog, war meine verträumte rosa Wolke perfekt. Grimsby war schon eine tolle Stadt, hier gab es viel Abwechslung, den Hafen, viele Einkaufsmöglichkeiten, Land und Wälder. Aber mich zog es doch immer mehr in die ruhigen Ecken und so war ich froh, mal wieder in Richtung Land zu kommen.

Die meiste Zeit fuhren wir über die Landstraße in Richtung Hendale Wood. In der Nähe des Waldes, auf der Grasby Wold Ln, die recht abgelegen war, fand sich zwischen Bäumen versteckt, der doch irgendwie ein bisschen mickrig wirkende Buchladen Willoughby Books, an dem wir fast vorbeigefahren wären, hätte da nicht der Warenträger etwas weiter vor gestanden und ein kleines Schild das Antiquariat ausgeschildert.

Als wir den Laden betraten, fiel mir direkt auf, dass er zwar klein und unscheinbar von außen war, aber hier doch viele aktuelle Werke ausgestellt waren. Irgendwie schwärmten Alice und ich in verschiedene Richtungen aus, was letztendlich doch wieder typisch für uns war. Während ich jede Genre-Abteilung gewissenhaft inspizierte, suchte Alice nach schönen Covern und ganz viel Fantasy. Ich glaube sie hatte auch ein Auge auf den Typen hinter der Kassentheke geworfen, oder warum scharwenzelt sie die ganze Zeit genau dort herum? Sollte sie mal machen, immerhin war sie ja schon alt genug und hatte auch mal wieder ein bisschen Glück in Liebesdingen verdient. Ich zwinkerte ihr zu und schaute weiter die Buchreihen durch. Wenn ich das mal so überdachte, dann war ich schon sehr froh, Matthew an meiner Seite zu haben. Es brauchte zwar seine Zeit, bis ich begriffen hatte, dass es wirklich etwas Festes zwischen uns werden könnte, doch mittlerweile wusste ich, dass wir einfach zueinander gehörten. Anfangs konnte ich kaum glauben, was er an mir so toll finden würde. Das lag vielleicht daran, dass ich von mir selbst nicht viel hielt und mich eben doch so ganz anders sah, als es Außenstehende, Familie oder Freunde taten.

Er blieb eisern und ging mir manchmal richtig auf die Nerven, bis ich mich dann doch irgendwann breitschlagen und von ihm zum Dinner einladen lies. Ich glaube, das war der romantischste Abend, den ich bis zu diesem Zeitpunkt je erlebt hatte. Ein Candle-Light-Dinner in einem kleinen Restaurant an der Hafenpromenade von Grimsby und ganz klischeehaft mit Sicht aufs Meer und auf die angelegten Schiffe, hinter denen die Sonne langsam unterging. Bevor Matthew mich an diesem Abend nach Hause brachte, küssten wir uns zum ersten Mal, unter einem Sternenhimmel mit dem Rauschen des Meeres im Hintergrund. Spätestens da wusste ich, dass er doch der Richtige sein könnte und verliebte mich vollends in ihn.

Durch das Auftönen der kleinen Klingel, die über der Ladentür hing, wurde ich aus meinen kleinen Tagträumereien gerissen.

Ein älterer Mann, gekleidet mit einer dunkelgrünen Strickjacke, einer zerschlissenen grauen Hose und dunkelblauen Gummistiefeln betrat den Laden und irgendwie wurde mir schlagartig ganz mulmig zumute. Er ging etwas gebeugt, fast so, als hätte er einen leichten Buckel und seine Augen hatten etwas kaum definierbares.

Sie waren dunkel, wirkten irgendwie verwirrt und waren so durchdringend, dass sie vom ganzen restlichen Gesicht ablenkten.

Er fixierte seinen Blick, der schlagartig auf mir lag und stand wie angewurzelt für eine kurze Weile im Raum, ehe er sich wieder umdrehte und hastig das Weite suchte. Ich hatte keine Ahnung wer das war, woher er kam, wohin er so fluchtartig ging und ich war total verwirrt.

Was wollte er hier und wieso hatte er mich so angesehen? Wie jemand, der sich ein neues Buch zulegen wollte, sah er jedenfalls nicht aus. Eher nach einem alten Fischer, der das Gewerbe vor einigen Jahren aufgegeben hatte. Scheinbar hatte noch nicht einmal jemand mitbekommen, dass dieser komische Kautz hier im Laden war.

Alice war mittlerweile angeregt mit dem jungen Typen, der hier arbeitete am reden. Naja, also eigentlich grinsten sie sich beide mit hochroten Köpfen an und Alice Gesichtsausdruck verriet, dass sie bereits im Flirtmodus war. Ich versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, was der alte Mann hier im Laden wollte, wer weiß, vielleicht war er wirklich nur ein verwirrter armer Kerl.

Ich nahm mir einen der Krimis zur Hand, die auf dem Tisch in der Mitte des Verkaufsraumes ausgestellt waren und wartete darauf, dass Alice sich bald losreißen würde, damit wir uns das Antiquariat näher ansehen konnten.

Den Eingang zu dem versteckten Antiquariat, das sich hinter einem kleinen und unscheinbaren Durchgang befand, hatte ich schon beim Betreten des Ladens entdeckt und war neugierig, was sich dort wohl für wertvolle Bücher verborgen hielten.

Kurzer Hand machte ich Alice auf den kleinen Durchgang aufmerksam, denn ich wollte nicht länger warten.

Doch irgendwie konnte ich mich nicht richtig auf die Bücher konzentrieren, der Bucklige hatte mir einen kleinen Schrecken eingejagt und so war es Alice, die mein „Schätzchen“ schließlich fand.

Sie zog einen alten Gedichtband aus dem Jahre 1842 aus dem Regal des Antiquariates und drückte ihn mir in die Hand, ehe sie mich in dem kleinen Raum stehen ließ und sich ebenfalls dem Tisch mit den darauf ausgestellten Krimis und Thrillern zuwandte. Der Gedichtband, den sie mir in die Hand drückte, war sehr gut erhalten und auch der Preis war unschlagbar, so musste ich ihn einfach mitnehmen, obwohl ich mir ernsthaft Gedanken machte, wo ich ihn unterbringen sollte.

Alice

Ich fuhr gerade aus der Parklücke als Grace aus ihrer Starre erwachte.

„Hast Du vorhin den komischen Kauz gesehen?“

„Meinst du Jonathans Vater? So komisch fand ich ihn nicht, aber ja den habe ich gesehen!“

Sie schüttelte den Kopf und schwieg erst mal. „Was hältst du denn von Jonathan? Er macht wirklich einen sehr netten Eindruck, oder? Ach, er sieht echt super aus, die grünen Augen, die dunkelbraunen kurzen Haare und die so dunkle sympathische Bassstimme. Er macht einen ganz anderen Eindruck als Ethan, nicht so der Bad Boy verschnitt. Vielleicht schreibe ich ihm ja wirklich heute Abend mal, er hat mir vorhin noch schnell seine Handynummer zugesteckt. Grace? Jetzt sag doch auch mal was dazu!“ Sie schien mir gar nicht wirklich zuzuhören und ganz wo anders mit ihren Gedanken zu sein. Wahrscheinlich war sie schon wieder bei ihrem Date mit Matthew heute Abend. Ich fand es ja schon süß, dass die beiden nach Jahren immer noch Dates hatten, aber dass sie vorher immer noch so aufgeregt war, als wäre es ihr erstes Date, nervte mich gerade schon sehr!

„Hast du den älteren Mann, mit der dunkelgrünen Strickjacke, der schmutzigen grauen Hose und den dunkelblauen Gummistiefeln wirklich nicht gesehen? Er hatte einen total durchdringenden Blick, ist aber auch ganz schnell wieder aus dem Laden raus. Du musst doch zumindest die Türglocke gehört haben, als er rein kam und wieder raus ging!“ Ich musterte sie flüchtig, sie wirkte nicht sonderlich erschrocken oder aufgedreht.

Ich konnte nichts Ungewöhnliches an ihr sehen. „Grace, sei mir nicht böse, aber ich habe außer uns vieren niemanden gesehen und nur von uns habe ich das Türglöckchen gehört. Bist du sicher, dass dir deine Fantasie nicht durch ging, als du dir einen der Thriller näher angesehen hast?“

Sie brummte einmal kurz vor sich hin, allerdings konnte ich nicht sagen ob sie mir Recht gab oder einfach nur zickig das Gespräch beendete. Also schwiegen wir beide den Rest der Fahrt über. Sie war mit ihren Gedanken eh ganz wo anders und ich wollte mich nicht unbedingt mit einer leeren Hülle unterhalten.

Im Auto, vor ihrem Haus verabschiedeten wir uns trotz der kleinen Zickerei genauso herzlich wie wir uns begrüßt hatten und ich fuhr zu mir nach Hause. In meiner Auffahrt stellte ich den Wagen ab und ging zur Haustür. Für mein Alter und Beruf hatte ich ein großes und und richtig schönes Haus. Meine Eltern haben mir zu meinem 21. Geburtstag das Haus geschenkt, in dem ich aufgewachsen bin und zogen selbst in eine kleinere Wohnung, da es ihnen einfach zu groß war und sie sich mit zunehmenden Alter nicht länger so viel Arbeit aufhalsen wollten.

Als ich die Tür aufschloss wurde ich wie immer von meinem kleinen Goldstück begrüßt.

Cherry, mein kleiner Rauhaardackel freute sich, als wäre ich mindestens zwei Tage und nicht nur vier Stunden weg gewesen.

Die Tüte von Willoughby Books und meine Tasche legte ich im Flur ab und begrüßte ausgiebig mein kleines Mädchen. Dann schnappte ich mir ihre Leine und wir liefen eine Runde um den Block. Ich genoss den fantastischen Ausblick auf das Meer und war froh das Glück zu haben, diese wundervolle Küstenstadt mein Zuhause nennen zu können. Ich dachte über unseren kleinen Ausflug nach, ob Grace sich mittlerweile wieder beruhigt hatte?

Als Cherry und ich wieder von unserem Spaziergang zurück waren, konnte ich mich der ersten und wichtigsten Sache widmen.

Jogginghose anziehen!

Schnell noch einen Tee „Momente der Liebe“ mit Kirsche und Rosenblüten gemacht und dann auf die Couch.

Meine Errungenschaft „Ein Sommernachtstraum“ von Shakespeare lag schon auf meinem Wohnzimmertisch und den Zettel mit Jonathans Handynummer hatte ich ins Buch gelegt. Dieser blitze jetzt etwas aus den Seiten raus. Sollte ich ihm jetzt schon schreiben oder hielt ich es lieber wie die Frauen in den Tv-Serien und Filmen und wartete die berühmten drei Tage? Cherry lag neben mir, mit ihrem Kopf auf meinem Bein und beobachtete mich. Ich fing einfach an drauf los zu plappern. Sie antwortet mir zwar nicht, aber im Gegensatz zu Grace heute, hört Cherry mir wenigstens zu. Dabei verstand sie nicht mal worum es ging.

Nach einigen einseitigen Gesprächen mit Cherry nahm ich mein Handy und Jonathans Nummer und schrieb ihm eine Whats App-Nachricht. Kurz nachdem die Nachricht in seinem Handy ankam, hatte ich auch schon eine Antwort. Wir schrieben über Gott und die Welt, mussten beide dann aber gegen Abend die Notbremse ziehen. Denn wir sind irgendwann vom Schreiben aufs Telefonieren umgestiegen und hatten alle anderen Dinge völlig ignoriert. Außer, dass er zwischendurch ein paar Kunden bediente und mich dafür dann kurz zur Seite legte. Dennoch musste er jetzt noch einiges für seinen Vater und den Laden erledigen und ich