grinding - Martin Rost - E-Book

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Martin Rost

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Beschreibung

»grinding« umfasst 13 zeitgenössische Kurzgeschichten. Individualität, Träume von Reichtum und Freiheit sowie Illusionen, Verrücktheiten, Fiktion, Exzesse, die harte & sanfte Realität und der ganz gewöhnliche Wahnsinn bilden den zentralen Kern dieses Werks. »grinding« liegt am Puls der Zeit und beschreibt die Art und Weise, wie die Dinge sich entwickeln – rau, schnell, gigantisch und gefährlich.

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Seitenzahl: 82

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martin rost

grinding

kurzgeschichten

die geschichten sind was sie sind

nicht mehr und nicht weniger

mögliche ähnlichkeiten zu realen personen

und schauplätzen sind unbeabsichtigt

cover – n.a. // photo – abu hayne

2015

inhalt

brief an ehemaligen verleger

planänderung

begegnung mit dem teufel

von wellen und flüssen

der taxifahrer

das liebeslied der fulda

gehacktes

die abenteuer des fips – teil 1

highspeed

verficktes karma … oder so ähnlich

und es begann mit einem knöchel

nachtschicht

spielplatz

brief an ehemaligen verleger

Lieber Johnny,

eigentlich sollte die nächste Geschichte über Freundschaft sein, ich weiß. Aber, scheiße, sieh mich an. Ich habe keine Ahnung davon. Ich kann um die Wette saufen, rauchen und reden, kann zuhören und verstehen, aber ich kann ums Verrecken nicht sagen, wie das Ganze in zwanzig Jahren aussieht . . . die Welt dreht sich immer schneller, Johnny, und ich weiß nicht, wo sie so schnell hin will.

Vielleicht sollten wir einfach abhauen und auf alles scheißen. Wir packen ein, was nötig ist, besorgen uns eine Knarre und rauben irgendeine Bank aufm Dorf aus. Die haben kaum Sicherheitsvorkehrungen und die Bullen brauchen immer ein Weilchen, bis sie vom Revier aus der Stadt raus aufs Dorf gekommen sind. Wir würden uns einfach billige Netzstrümpfe über den Kopf ziehen, die Knarre im richtigen Moment vor die Nase des Angestellten halten und dann total ausrasten. Andernfalls würde unser Verstand nicht damit fertig werden, dass wir im Inbegriff sind, einen bewaffneten Raubüberfall aufs Parkett zu zaubern.

Und weil wir dann innerhalb von zehn Minuten fast reich sein würden – ich schätze mal, wir würden nicht mehr als 50.000 € Beute machen –, wäre es das Beste, unverzüglich mit einem Mietwagen die Flucht anzutreten. Auf jeden Fall was Unauffälliges, vielleicht einen Benz, schwarz, alt und komfortabel. Was meinst du, Johnny?

Wir sollten Richtung Süden fahren, wo es wärmer ist. Vorerst. Doch wahrscheinlich müssten wir uns noch einen weiteren Plan überlegen, wie wir an noch mehr Geld rankommen würden. Denn um wirklich frei zu sein, bräuchten wir erheblich mehr. Erst dann stünden uns alle Türen weit, weit offen . . . per Losverfahren oder Schnick-Schnack-Schnuller würden wir festlegen, durch welche wir durchmarschierten!

Ich denke, wir sollten die Regierung irgendeines bescheuerten Staates erpressen, vielleicht die USA, und etwa 1 Billionen US Dollar Lösegeld verlangen . . . wir sagen denen einfach, wir wären islamistische Terroristen, hätten 25 Atombomben auf die Vereinigten Staaten gerichtet und keine Skrupel, die Dinger loszulassen. Die würden natürlich sofort bezahlen – keine Sorge.

Damit würden wir fürs Erste ausgesorgt haben, und den ganzen Fluchtstress hätten wirauch nicht mehr am Arsch . . . plastische Chirurgie wäre für uns nur noch ein kleiner Furz im Wind, lieber Johnny. Hier ein Lifting, dort ein Lifting, und wir wären wie neu.

Die Welt läge uns zu Füßen. Wir könnten bestimmt dreißig oder vierzig Jahre sehr exzellent und vor allem exklusiv damit leben. Wir würden Kokain von den Ärschen berühmter Promi-Töchter schniefen und dafür von ihren Vätern noch gelobt werden. Wir würden Beamte jedweden Staates mit faulen Eiern und Kacke bewerfen und jedem, der etwas dagegen hat, ein Bündel Geldscheine vor die Füße schmeißen.

Wir würden zum Frühstück massenweise Champagner bestellen und die gesamte Speisekarte auf einmal beordern – nur um Auswahl von einem Buffet zu haben. Wir würden uns, egal wo und egal wann, das kaufen, wonach uns der Sinn stünde. Und ganz sicher würden wir uns die unnötigste Scheiße kaufen . . . Kaugummiautomaten, für jeden Tag ein anderes Auto, Glas-Rutschen von der einen Etage zur nächsten, Rolltreppen für jede Art der Erhöhung, einen Diener, einen Assistenten des Dieners, Doubles, die Droge mit dem Namen Crocodile, Krieg, unglaublich große Zylinder und goldene Monokel, einen Käfig voller Affen, einen extra Affen für die Schulter, Sprengstoff, leerstehende Häuser, Privatclowns, verchromte Handys mit eingeschränkten Bedienungsmöglichkeiten, David Hasselhoff, ein Tattoo mit den Lettern F-U-C-K-Y-O-U auf der Stirn, einen Helm mit drei Bierdosen und nureinem Trinkhalm und natürlich maßgeschneiderte Badehosen . . . wie gesagt, Johnny, den unnötigsten Scheiß. Und das wäre erst der Anfang einer sehr, sehr langen Liste.

Wir würden lachend aufwachen und lachend einschlafen. Mal hier, mal dort. Wir hätten auf jedem Kontinent, ach, in jedem Staat ein Stückchen Land, wo wir zügellose Partys und Orgien veranstalten würden und gewaltige Tier- und Baumreiche unsere Ländereien zierten . . . nackte Frauen, wilde Tiere und zwei Männer in der Blüte eines jeden Lebens – würde uns eigentlich jemals langweilig werden?

Ich sagte zwar, das Geld sollte uns für dreißig bis vierzig Jahre ausreichen, Johnny, aber wenn ich noch mal darüber nachdenke, so bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob wir es zu Lebzeiten tatsächlich schaffen würden, derartig viel Kohle zu verballern. Aber sollte er trotzdem irgendwann kommen, der Tag an dem wir dann erschrocken feststellen müssen, dass unser gesamtes Vermögen zur Neige gegangen ist, so habe ich eine weitere, hervorragende und alles übertrumpfende Idee: Wir ballern uns gegenseitig das Hirn aus dem Schädel! Doch dafür ist es von ungemeiner Bedeutung, hundertprozentig geklärt zu haben, wann genau wir abdrücken . . . sagen wir auf drei und einer versteht nach drei, hat einer von uns beiden ein Problem. Und außerdem wäre dann die ganze Symbolik im Arsch. Von daher schlage ich vor, dass wir eindeutig festlegen, auf drei abzudrücken – eins, zwei, ...

Überleg’ s dir, Johnny.

Ich verbleibe,

dein bescheidener & ruhiger Freund,

Abu Hayne

planänderung

Neulich machte ich vor lauter Langeweile und genervt von einfältiger Tristesse einen Spaziergang, um ein gemütliches Plätzchen für mich und meinen Joint zu finden. Ich ging durch den Garten hindurch und runter ans Ende der Stadt, gar nicht weit weg vom neuen Friedhof, der nun aber doch nicht benutzt werden konnte, weil die Leichen das Grundwasser verseuchen würden. Dort angekommen, sah ich den Schauplatz lang vergangener Abenteuer meiner Kindheit: ein versifftes Bachgebiet, das in einem fabelhaften Tal liegt, völlig abgeschieden vom Rest der Stadt. Ich hielt kurz inne, doch dann kämpfte ich mich durch den riesigen Busch von Brennnesseln, um an den Eingang des kleinen Tals zu gelangen. Im Augenwinkel konnte ich vor einem verkümmerten Haus noch einen Rasen mähenden Mann erkennen, der klein war und mit seinem fetten Bauch aussah wie ein besoffener Kobold, aber der schien mich nicht zu bemerken.

Gepackt von kindlicher Neugier, krebste ich dadurch und gelangte an den Eingang. Dort fand ich etwas vor, das weder Abenteuer noch Spaß in sich zu bergen schien. Alles war mit Unkraut überwuchert, der alte Bach von damals glich einer Kloake und die Insekten taumelten sich wie Kirmesburschen am Freibierstand. Ich entschloss, ein paar Meter weiter zu gehen. Nach kurzer Zeit erreichte ich einen Baum, den ein Blitz schon viele Jahre zuvor zerschellt hatte und der früher eine herrliche Gelegenheit zum Klettern bot. Ich blieb stehen, zündete meinen Joint an und dachte an Silvio. Mit ihm hatte ich dort auf dem umgeknickten und vermoderten Baumstamm immer gespielt und versucht, ihn runterzuwerfen – und umgekehrt. Meistens fielen wir beide runter und landeten unsanft, aber lachend auf dem Boden, welcher schon immer sumpfig war. Jedes Mal wenn wir heimkamen, sahen wir aus wie Schweine; einmal hatte ich sogar alle meine Klamotten dort ausziehen müssen, weil sie zu dreckig waren, um sie der Mutter in den Wäschekorb zu legen, und meine gelben Gummistiefel blieben so tief im Schlamm stecken, dass sie Kinderarme nicht herausziehen konnten...

Dort stand ich nun, rauchte meinen Joint und entsann mich all der Abenteuer, die ich hier erlebt hatte. Schade, dachte ich, es sieht nicht so aus, als würden hier heute noch Kids spielen. Viel mehr sah es so aus, als ob das ganze Gebiet eine riesige Leiche wäre und alles um sie herum giftige Schimmelpilze, die sich über die schäbigen Eingeweide hermachten. Was ich sehr traurig fand, da dieser Dschungel gute zwei Kilometer lang war und einst ein gigantischer Action-Spielplatz.

Ich dachte auch an die wahnwitzigen Missionen von damals, das Gebiet zu durchqueren, über Stock und Stein, über Bach und durch Tunnel, um ans andere Ende zu gelangen, und all das, ohne gesehen werden zu dürfen. Ich hatte vergessen, was für ein unglaublicherund einfacher Spaß es war . . . obwohl es mir damals keineswegs wie ein Spaß vorkam, sondern vielmehr einem Durchhaltewettbewerb glich, den es zu überstehen galt, als Kämpfer einer unzerstörbaren Zweimanneinheit, ohne Rücksicht auf Verluste – und manchmal auch nackt. Aber das war lange her. Ich rauchte entspannt auf, sah mich noch einmal mit nostalgischen Augen um und machte mich auf den Weg zurück.

Als ich beinahe aus dem Dickicht draußen war, vollkommen high, sah ich den besoffenen Kobold von vorhin, wie er noch immer Rasen mähte und sein Blick permanent in meine Richtung fiel. Sehen konnte er mich noch nicht, aber er würde mich sehen, wenn ich hier raus spazierte. Er würde wahrscheinlich seinen beschissenen Rasenmäher abstellen und mich auf nordhessische Art fragen, was ich dort drin zu suchen gehabt hätte, und darauf hatte ich keine Lust; nicht mal darauf, das Risiko einzugehen, auch, wenn es ihm eigentlich egal sein müsste – und mir auch. Aber man kennt ja seine Pappenheimer, und wenn man high ist, versucht man jedes fragwürdige Aufsehen zu umgehen, und deshalb schlich ich erst einmal zurück zum Baum. Dort blieb ich ein paar Minuten stehen und dachte nach, während Monsieur Kobold immer noch seinen beschissenen Rasen mähte – es war bereits 8 Uhr – und ich hier inmitten der Pampa einer weitaus größeren Pampa stand. Links und rechts waren steile, fünf Meter hohe und von Brennnesseln überwucherte Abhänge, deren Mündungen umzingelt waren von gefährlichen Stacheldrahtzäunen, hinter mir, am einfachen Ende, war der Kobold, dem ich nicht traute, und das andere Ende . . . nun ja, es war eben nicht das einfache Ende. Um dorthin zu gelangen, musste man immer tiefer und weiter in das Sumpfgebiet eintauchen, und die Tücken und Fallen lauerten an jeder Ecke – morsche Holzlatten über dem Bach, sumpfähnliche Stellen um den Bach herum und ein kleines Stück Kanalisation, was früher der Höhepunkt der Abenteuerreisen durch den Dschungel war.