Großband Raumschiff Rubikon 2 - Vier Romane der Weltraumserie - Manfred Weinland - E-Book

Großband Raumschiff Rubikon 2 - Vier Romane der Weltraumserie E-Book

Manfred Weinland

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Manfred Weinland/MarcTannous: Die Satoga-Kriege Alfred Bekker: Insel im Nichts Susan Schwartz: Die hermetische Galaxis Manfred Weinland: Entartete Zeit Am Morgen einer neuen Zeit. Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen. Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung. Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten. Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

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Manfred Weinland, Alfred Bekker, Marc Tannous, Susan Schwartz

Großband Raumschiff Rubikon 2 - Vier Romane der Weltraumserie

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Großband Raumschiff Rubikon 2 - Vier Romane der Weltraumserie

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Copyright

1.

Kriegsrat

2.

Anomalie

3.

Ein „anderes“ Schiff

4.

Mysteriöse Erschütterungen

5.

Innenansichten einer Galaxie

6.

Der Vorstoß

7.

Exodus

8.

Am Kreuzweg

Epilog

Copyright

Auf dem Weg in die Leere

Der schwärzeste Punkt in der Dunkelheit

Würmer am Rande der Unendlichkeit

Alte Bekannte

5. Kapitel | Siroonas Vergangenheit

Eine Frage der Präsenz

7. Kapitel

Duell auf der Feuerwelt

Sobeks Netz

9. Kapitel

Die Bedrohung

In der Gegenwart...

Copyright

Raumschiff Rubikon | Die hermetische Galaxis | Susan Schwartz

Prolog

ERSTER TEIL

1.

2.

Samragh: Anfang oder Ende

3.

4.

5.

6.

ZWEITER TEIL

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Copyright

Further Reading: 30 Sternenkrieger Romane - Das 3440 Seiten Science Fiction Action Paket: Chronik der Sternenkrieger

About the Publisher

Großband Raumschiff Rubikon 2 - Vier Romane der Weltraumserie

Manfred Weinland, Alfred Bekker, Marc Tannous, Susan Schwartz

Dieser Band enthält folgende Romane:

Manfred Weinland/MarcTannous: Die Satoga-Kriege

Alfred Bekker: Insel im Nichts

Susan Schwartz: Die hermetische Galaxis

Manfred Weinland: Entartete Zeit

––––––––

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER DIETER ROTTERMUND

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Die Satoga-Kriege

Manfred Weinland & Marc Tannous

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...

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© by Author

© Cover: Nach Motiven von Pixabay, Adelind, Steve Mayer

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1.  

Kriegsrat

John Cloud blickte durch das transparent geschaltete untere Segment der Holosäule auf diejenigen, die im Rund der sieben Kommandositze Platz genommen hatten. Hier in der Schaltzentrale der ehemaligen Foronenarche SESHA, die von den Menschen RUBIKON getauft worden war. In Gedenken an eine andere, unendlich primitivere RUBIKON, mit der John Cloud und zwei weitere jetzt Anwesende seinerzeit zum Mars aufgebrochen waren. Jenes erste Schiff dieses Namens war auf dem roten Planeten von den Invasoren zerstört worden war, die sich in der Folge die gesamte Menschheit unterjochten ... und dieses Joch bis zum heutigen Tag in all seiner Tragik aufrecht erhielten.

Die Keelon, enge Verbündete – mehr noch: Schöpfungen – der anorganischen Jay’nac ...

„ Lasst uns Kriegsrat abhalten – und über die weiteren Schritte im Klaren werden.“

Fontarayn schien leicht irritiert über den Begriff, den Cloud benutzte, um Sinn und Zweck ihrer Zusammenkunft zu charakterisieren, er sagte aber nichts. Der Gloride saß dem Commander der RUBIKON schräg gegenüber, eingerahmt von dem Pflanzenwesen Cy und dessen Gefährten in vielen Abenteuern, Algorian. Der spindeldürre Aorii verfügte über psionische Fähigkeiten, die er schon das eine oder andere Mal zum Nutzen der Crew eingesetzt hatte.

Unmittelbar zu Clouds Linken saß eine Frau von beachtlicher Attraktivität ... und Schlagkraft: Scobee. Sie zählte mit dem rechts von Cloud thronenden Jarvis zu seinen ältesten Gefährten, und die gegenseitige Sympathie, da wollte er sich nichts vormachen, hatte sich anfangs arg in Grenzen gehalten. Die auf sie einstürmenden Gefahren hatten sie schließlich zusammengeschweißt. Extremsituationen, in denen sie einander mehr als einmal hinter die äußere Fassade hatten blicken können. So war es gekommen, dass sie sich schätzen lernten. Mehr und mehr.

Und dass ich anfing, meine bornierten Vorurteile ins Nirwana zu verabschieden, dachte Cloud in einem Anflug von Scham. Heute, gut zwei – subjektive – Jahre nach diesen unschönen Erlebnissen, kam es ihm vor, als wäre der John Cloud, der in den GenTecs nur bessere Maschinen gesehen hatte, die einem Programm folgten, das Wissenschaftler bei ihrer in-vitro-Schöpfung in sie verpflanzt hatten, ein Fremder, der nichts mehr mit dem John Cloud der Gegenwart zu tun hatte.

Überhaupt nichts mehr!

Sein Blick blieb kurz an Jarvis hängen, der auch kaum noch etwas mit dem Jarvis ihrer ersten Begegnungen gemein hatte.

Damals hatte er noch gelebt, geatmet und die höchst zweifelhafte Angewohnheit gehabt, im Zweifelsfall erst zu schießen und dann nach Möglichkeiten einer Verständigung mit Gegnern zu suchen. Inzwischen wandelte er als „lebender Toter“, als „beseelter Roboter“ unter ihnen, aufgegangen in einem foronischen Kunstkörper, der aus der Nanorüstung des Hohen Mont hervorgegangen war. Und den er inzwischen fast traumwandlerisch sicher beherrschte, fast nach Belieben gestalten und verändern konnte.

Der wuchtige, anthrazitfarbene Koloss, in den Jarvis’ Bewusstsein in dem Moment transferiert worden war, als seine angestammte organische Hülle ihr Dasein aushauchte, schien mit dem Kommandositz verschmolzen zu sein. Es gab nicht einmal eine Fuge, die belegte, dass Jarvis einfach nur da saß. Dennoch war es so, vermochte sich der immer noch draufgängerische, aber ansonsten völlig veränderte Freund bei Bedarf von einem Moment zum anderen von seinem Sitz lösen.

Der Letzte im Bunde der Sieben, die sich auf Clouds Bitte hin zusammengefunden hatten, war ein Extraterrestrier, den Cloud bereits als Freund für immer verloren geglaubt hatte, nachdem er auf Saskana entführt worden war: der Narge Jiim.

Der Geflügelte der wie ein grotesk geratener Engel zwischen Scobee und Cy kauerte, hatte erkennbare Mühe mit der für flügel lose Humanoide ausgelegten Sitzgelegenheit. Immer wieder rutschte er hin und her, wusste nicht so recht, wo er seine zusammengefalteten Schwingen verstauen sollte, um auch nur ein Mindestmaß an Bequemlichkeit zu erreichen.

Nicht zuletzt um seinetwillen beschloss Cloud, den Beginn der Beratung nicht länger zu verzögern.

„ Ihr alle“, sagte er, „kennt den Grund unserer Zusammenkunft. Bevor wir aber das weitere Vorgehen diskutieren, würde ich Jarvis bitten, uns noch einmal einen kurzen Abriss der Ereignisse zu geben, die dazu führten, dass wir hier und heute eine schwer wiegende Entscheidung zu treffen haben. Die nämlich, ob wir der Milchstraße für lange Zeit den Rücken kehren und uns auf eine Reise zur Nachbargalaxis Andromeda einlassen sollen oder nicht. Jarvis?“

Der Angesprochene reagierte, indem er eine Grimasse schnitt, die jeden, der sie zum ersten Mal erlebte und den früheren Jarvis gekannt hatte, fast zu Tode erschrecken musste. Im Kreis der hier Versammelten rief sie jedoch nicht einmal ein Schulterzucken hervor.

„ Ich liebe es“, drang es aus dem Nanokörper, „den Chronisten geben zu dürfen. In der Tat dürfte mein Gedächtnis unschlagbar sein. Ebenso meine Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu –“

„ Ja, ja, schon gut, spar dir das Geschwafel und komm zur Sache“, unterbrach ihn Scobee mit einem gespielt verzweifelten Seufzer. „Du kannst es, wir wissen es. Warum tust du es also nicht?“

„ Tun?“, kam es wie ein fernes, verständnisloses Echo aus dem Hightech-Körper des Mannes, der einmal ein Klon wie Scobee gewesen war. Ein genetisch optimierter, im Reagenzglas gezeugter Mensch.

„ Auf den Punkt kommen“, gab die Frau ihm zu verstehen, dabei zog sie die beiden verschnörkelten Tattoos nach oben, die ihr die Augenbrauen ersetzten und ihr ein wenig Ähnlichkeit mit einem japanischen Manga-Girl des frühen 21. Jahrhunderts verliehen – der Zeit vor der Keelon-Herrschaft und vor der kompletten Umstrukturierung der Erdgesellschaft.

Heutzutage gibt es sicher keinen einzigen Comic mehr, dachte Cloud mit gewissem Bedauern an die unverzichtbaren Begleiter seiner Kindheit.

Er gab Scobee mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, was er von ihren Einwürfen hielt.

Normalerweise viel – hier und jetzt und in diesem Zusammenhang jedoch ... nichts.

„ Bitte, Jarvis, fahre fort“, sagte er.

Scobee holte Luft, als wollte sie zu einem weiteren Kommentar ausholen, doch dann schloss sie den Mund und schwieg, während ihre Augen mikroskopisch winzige Blitze in Clouds Richtung schleuderten.

Damit konnte er leben.

Mit den Gefahren, die sich am galaktischen Horizont abzeichneten, weniger.

Eine Bedrohung von möglicherweise universellem Ausmaß.

Bevor Jarvis, der Aufforderung nachkam, richteten sich seine stilisierten Augen auf Fontarayn, der nie deplatzierter gewirkt hatte als jetzt. Er wirkte, mehr noch als der „Exot“ Jarvis, wie ein Anachronismus. „Wo ist eigentlich dein Pendant?“

„ Pendant?“, zwitscherte der Gloride.

„ Dein Artgenosse“, sagte Jarvis, wobei sich die Lippen seines Mundes leicht asynchron zu den Worten bewegten. „Wäre es nicht sinnvoll, wenn er dieser Unterredung ebenfalls beiwohnt?“

„ Er wollte sich ein wenig in eurem Schiff umsehen“, sagte Fontarayn. „Ich kann nicht für ihn sprechen. Er ist ein eigenständiges Wesen. So weit ich weiß, habt ihr ihm und mir erlaubt, uns frei auf diesem –“

„ Darum geht es gar nicht“, mischte sich Cloud ein, dessen Geduldsfaden allmählich überstrapaziert wurde. „Ich halte Jarvis’ Einwand für berechtigt. Es wäre sinnvoll, wenn Ovayran an dieser Diskussion teilnähme. Immerhin betrifft die anstehende Entscheidung auch ihn.“

„ Ich werde ihn später über alles unterrichten“, versicherte Fontarayn. „Es gibt nichts, was er beisteuern könnte, das nicht auch ich in die Waagschale werfen kann. Er wird jedes Detail unseres Beschlusses erfahren und sich verinnerlichen. Wir Gloriden benötigen zu einem solchen Wissenstransfer keine Worte, wir begeben uns lediglich in unsere energetische Zustandsform und verschmelzen kurzzeitig miteinander.“

„ Oh, ihr fusioniert also“, mimte Scobee Erstaunen, um im nächsten Moment interessiert hinzuzufügen: „Hat das über den rein logistischen Austausch auch eine, hm, sexuelle Komponente?“

Cloud wurde zunehmend fassungsloser. Nicht, weil er sich als sonderlich prüde empfand, wohl aber, weil er im Gegensatz zu Scobee nicht das Gefühl hatte, über eine unendliches Reservoir an Zeit zu verfügen.

„ Das ist völlig absurd!“, verwahrte sich Fontarayn.

Cloud glaubte ein gemurmeltes „ihr Armen“ aus Scobees Mund zu hören, war sich aber nicht sicher. Rasch wandte er sich Jarvis zu und sagte: „Neuer Versuch. Beginne am besten mit unserer Ankunft im galaktischen Kerngebiet. Alles davor kannst du dir schenken. Selbst unser Gast ...“ Er nickte Fontarayn zu. „ ... ist mittlerweile im Groben über die Geschehnisse informiert, die dazu führten, dass die Jay’nac und Satoga einander über Jahrzehntausende hinweg bekämpften und danach trachteten, sich gegenseitig auszurotten.“

„ In Ordnung“, sagte Jarvis. „Ihr kennt den Grund, weshalb wir unmittelbar nach dem Friedensschluss zwischen Jay’nac und Satoga hierher ins galaktische Zentrum kamen. Wir wollten, dass unser Gefährte Boreguir, der den letzten Kampfhandlungen zum Opfer fiel, auf heimatlichem Boden beigesetzt wird, auf Saskana, von wo es ihn einst über ein foronisches Transportsystem zum stellaren Mars verschlug. Es war ein letzter Gefallen, der uns allen am Herzen lag, selbst denen, die kein Herz mehr besitzen – oder nie eins besessen haben ...“

Unter den Worten, die das Audiosystem des Nanokörpers nach außen abstrahlte, lebten die Ereignisse, in deren Sog die RUBIKON-Crew geraten war, noch einmal auf, wurden lebendig in der Vorstellung derer, die alles miterlebt hatten. Für Fontarayn hingegen mochte diese knappe Zusammenfassung viele Fragen offen lassen. Beziehungsweise es hätten viele Lücken bleiben müssen, wäre nicht davon auszugehen gewesen, dass sich der Gloride längst auf seine Weise alle relevanten Informationen beschafft hatte. Aus den Datenbänken der RUBIKON.

Es war ein bislang ungelöstes Problem, dass der aus Andromeda stammende Perlenbewohner offenbar ohne jede Mühe Zugriff auf selbst geheimste Daten und Prozesse an Bord hatte, sobald er sich in seine „Lichtgestalt“ transformierte. Sesha schien bis heute kein adäquates Mittel gegen die Vorstöße der Gloriden gefunden zu haben. In Zeiten friedlicher Koexistenz mit den Perlenbewahrern war dies tolerierbar; Cloud fragte sich jedoch, was geschehen würde, wenn es Fontarayn oder Ovayran eines Tages für notwendig erachteten, sich in den Besitz der RUBIKON zu bringen. Oder, noch schlimmer, das Schiff zu zerstören.

Gegenwärtig schien eine solche Eskalation nicht zu drohen. Aber die Mentalität der Gloriden war und blieb rätselhaft – und damit voller Risiken.

„ ... haben sich die Treymor in den Besitz von ERBAUER-Technologie gebracht“, referierte Jarvis gerade, „als sie die Gloriden-Expedition überwältigten, die von der Milchstraßen-Perle aus ihre Heimatwelt besuchte. Die Käferartigen schafften dies dank ihrer natürlichen Affinität zu allem Energetischen. Hm, auf der Basis der erbeuteten Hochtechnik und unter Einbeziehung der Saskanen gelang es ihnen in der Folgezeit dann, ein ‚heimliches Reich’ auf- und auszubauen, das sich gegenwärtig über ein Gebiet von knapp achtzehn Lichtjahre Radius erstreckt – aber auf Expansion ausgelegt ist. Die Treymor breiten sich unaufhaltsam aus wie eine Krankheit, wie ein Krebsgeschwür ... Allerdings“, fuhr Jarvis nach einer kurzen Pause fort, „gibt es Zweifel, dass die Käferartigen auch hinter der Entvölkerung der Milchstraßen-Perle stecken, in der Ovayran lebte, bis es ihn nach Saskana verschlug, wo er auf Jiim traf, ihn aus einem Missverständnis heraus entführte ... ihn aber später wieder zu uns zurück führte. Die Treymor nutzen die besondere Gabe der Saskanen, sich vergessen zu machen, um ihr im Aufbau gegriffenes Reich vor jedem potenziellen Besucher zu verbergen. Nie gab es ein perfekteres Tarnfeld als diesen psionischen Mantel, den unser Freund Boreguir offenbar nach Belieben einsetzen, sogar Objekten wie einen Stempel aufdrücken konnte – der beim Rest seiner Spezies aber offenbar bislang weitgehend unbewusst vorhanden ist und von den Treymor-Besatzern ohne deren Wissen missbraucht wird. Was sich durch unseren Vorstoß und unseren letzten Kontakt mit den Saskanen jedoch ändern könnte. Die Saat des Widerstands wurde gelegt, es bleibt abzuwarten, ob sie tatsächlich aufgeht und wie sie sich entwickelt ... Nachdem jedenfalls zahllose Stämme auf sämtliche dem Treymor-Reich zugehörige Welten verteilt wurden und nun dort ihr Dasein fristen, umfasst das Netz des Vergessens nunmehr die uns bekannte 18-Lichtjahre-Zone, die wir dank der Gloriden aktuell so sehen können, wie sie sich jenseits des Schleiers, den die Psi-Gabe der Saskanen erzeugt, darbietet.“

„ Vergiss nicht zu erwähnen“, sagte Scobee, die es sich einfach nicht nehmen lassen wollte, ihren ganz persönlichen Senf beizusteuern, „dass wir bislang der Meinung waren, die Treymor steckten auch hinter der Entvölkerung der CHARDHIN-Perle im Milchstraßen-Black-Hole, unsere gloridischen Gäste an Bord aber der Ansicht sind, die Käferartigen müssten nach den jüngsten Erkenntnissen als Urheber ausgeschlossen werden.“

„ So ist es“, ergriff nun auch Fontarayn das Wort. „Es bedarf mehr als der Grundtechnologie der ERBAUER, die sich die Treymor widerrechtlich aneigneten, um das Gebiet jenseits des Ereignishorizonts zu betreten ... und diesen frevlerischen Vorstoß zu überleben. Ganz davon zu schweigen, dass Geschöpfe, die in völliger Unkenntnis der Hintergründe agieren, in der Lage sein sollten, ein heiliges Gebilde wie die Perle zu erobern.“

Cloud blinzelte irritiert und tauschte dann Blicke mit Scobee, die Fontarayns Worte ebenso einzustufen schien wie er. Ratlosigkeit und Verwirrung kennzeichneten ihr Mienenspiel. Der Gloride sprach zum ersten Mal in einer Weise von den ERBAUERN und deren Hinterlassenschaft, als ginge es um eine göttliche Kraft. Und als wäre es nicht nur eine Aufgabe, die die Gloriden in den Perlen erfüllten – Pflege und Wartung –, sondern als huldigten sie einer ... Religion.

Der Gedanke war verstörender als alles, was Cloud bislang von und über die Gloriden erfahren hatte. Allerdings fragte er sich, ob Fontarayns Wortwahl so kritisch betrachtet werden durfte – oder ob nicht einfach das Verständnis des Gloriden für die irdische Sprache ihnen einen Streich spielte.

Aber warum sind dann bislang nie Irritationen aufgetreten?

„ Blieben“, sagte er in die entstandene Stille hinein, „nur die Überwesen, die ihr kurz und knapp – und denkbar schlicht – als ERBAUER bezeichnet ...oder habt ihr für euch selbst noch einen anderen Namen für sie?“

Der Vorstoß kam für ihn selbst überraschend. Es war, als legte ihm ein anderer die Frage auf die Zunge.

Und täuschte er sich, oder verlor Fontarayn für den Bruchteil einer Sekunde die gewohnte Unerschütterlichkeit? Für einen Moment sah es so aus, als verlöre sogar der Körper des Gloriden an Stabilität, als schwanke er zwischen den beiden möglichen Existenzformen, zwischen Manifestation und Entstofflichung.

„ Nein“, sagte er dann. Sein Blick fixierte Cloud in einer Weise, wie er es noch nie getan hatte – oder zumindest wie Cloud ihn noch nie für sich empfunden hatte, und er dachte: Er hat es bemerkt. Er hat erkannt, dass ihm etwas herausgerutscht ist, was uns zumindest irritiert, wenn nicht misstrauisch macht ...

„ Es sind die ERBAUER. Wir haben keinen anderen begriff für sie. Und wir wissen wenig, fast nichts über sie – all das habe ich mehrfach erklärt. Wieso interessierst du dich so für ... Namen?“

„ Weil daraus mitunter mehr Wissen abzuleiten ist als demjenigen, der sie ausspricht klar ist.“

Cloud wollte, dass Fontarayn die Spitze verstand. Und er war sicher, dass dies der Fall war. Nichtsdestotrotz ließ der Gloride das Thema damit auf sich beruhen.

Von seiner Warte aus das Beste, was er tun kann – wenn er etwas zu verbergen hat.

Er hielt kurz inne, weil ihm bewusst wurde, wie ungünstig gerade jetzt wachsendes Misstrauen zwischen ihnen – Crew und Gloriden – war.

„ Lasst uns nun zum Kern der Versammlung kommen“, sagte er mit belegter Stimme. „Es geht um Fontarayns Bitte – oder sollte ich sagen Forderung? –, ihn und Ovayran mit der RUBIKON zur Andromeda-Perle zu bringen ...“

„ Es ist eine Bitte – und zugleich ein guter Rat“, warf der Gloride ein. „Wer können nichts fordern, dieses Schiff untersteht euch, nicht uns. Aber ihr solltet bedenken, dass das, was wir über die Treymor und die hiesige verwaiste CHARDHIN-Station herausfanden keine Gloriden-interne Gefahr darstellt, sondern ganz direkt auch euch und alle anderen Bewohner dieser Galaxie betrifft.“

„ Das ist nicht von der Hand zu weisen“, meldete sich erstmals Cy zu Wort. Seine Stimme raschelte, als würden Blätter aneinander reiben. Das Organ, das sie erzeugte, verbarg sich tief im Kern des „Busches“, als den das auf der Spore Auri geborene Pflanzenwesen sich darstellte. Cy war eine Erscheinung, die ein Mensch leicht geneigt sein konnte zu unterschätzen. Zu sehr ähnelte er einem bloßen „Gestrüpp“. Doch wer sich auf ihn einließ – wie beispielsweise Jelto – musste diesen Eindruck schnell revidieren. Cy war nicht nur hochintelligent, er hatte auch Dinge erlebt, die prägend für sein ganzes weiteres Leben sein würden – entsetzliche Dinge, unter anderem auf der bizarren Heimatwelt der Jay’nac ...

„ Allerdings“, fuhr der Aurige fort, „stelle ich eure Beweggründe, nach Andromeda zu wollen, in Zweifel. Ich für mein Teil nehme es euch nicht  ab, dass es euch nur darum geht, die Treymor-Gefahr zu bannen. Immerhin – wir reden hier von einem Einflussbereich, den diese Spezies bislang für sich erschlossen hat, der allenfalls Sandkorngröße hat, nimmt man die Milchstraße als Ganzes und diese 18-Lichtjahre-Blase im Vergleich dazu. Außerdem gibt es bislang keinerlei Anzeichen dafür, dass die Treymor Anschläge gegen uns bekannte – und am Herzen liegende – Welten planen. Sie sind, so hat es den Anschein, voll und ganz damit beschäftigt, ihre Einflusssphäre gleichmäßig nach allen Richtungen zu erweitern. Wenn überhaupt, droht den CLARON-Völkern, droht den Erinjij und Jay’nac und wie die Völker alle heißen erst in sehr ferner Zukunft Gefahr. Aus meiner Sicht wäre es weniger gefährlich, mit Augenmaß und ohne Überstürzung zu handeln, als aus einem Impuls heraus auf die Bitte – oder Forderung, egal – einzugehen und uns auf diese weite Reise einzulassen. Bedenkt: Wir wären Monate im Leerraum unterwegs, um die eingeforderte Strecke zu bewältigen. In dieser Zeit sind wir von neuen Informationen und Entwicklungen sowohl in der Milchstraße als auch in Andromeda isoliert. Und wir müssen eine ebenso lange Zeit ins Kalkül ziehen, um wieder hierher zurück zu gelangen! Ein hoher Preis für ein Ziel, das sich mir nicht wirklich in seiner angeblichen Dringlichkeit offenbart ... Aber das ist nur meine ganz persönliche Meinung. Andere mögen anders denken – und dies äußern.“

Das Rascheln verstummte.

Cloud nickte Cy nachdenklich zu, blickte dann in die Runde. Schließlich, als niemand das Wort ergriff, blieb sein Blick auf Fontarayn haften. „Ich teile Cys Bedenken – insbesondere, was eure Motivation angeht, die dich und Ovayran nach Andromeda zieht.“

„ Wir sagen die Wahrheit, wenn wir beteuern, dass es uns darum geht, die Treymor-Gefahr zu bannen“, sagte Fontarayn. „Wir ließen auch verlauten, wie wir dies bewerkstelligen wollen – indem wir die Permanenz der Perlen nutzen, um über die Andromeda-Bastion in jene Vergangenheit vorzustoßen, in der die folgenschwere Gloriden-Expedition startete, die sich zum Ziel setzte, die ERBAUER zu finden – und die damals in die Gewalt der Treymor geriet, womit alles Übel begann.“

„ Mit anderen Worten“, sagte Cloud, „ihr wollt eine Korrektur der Geschichte herbeiführen – ein Zeitparadoxon.“

„ Es ist die einzige Möglichkeit. Und die sinnvollste. Eure Milchstraße wird dadurch, sieht man von den Treymor selbst ab, keinen Schaden erleiden. All die Völker, denen ihr entspringt, bleiben davon unbetroffen. Es geht nur um –“

„ Die Käfer“, schnarrte Jiim. Er klang, als wäre er erkältet – wer ihn kannte, wusste jedoch, dass die heisere, krächzende Stimme immer dann hörbar wurde, wenn er innerlich stark aufgewühlt war. Der Narge vom Planeten Kalser hatte sich ohne seine goldene Rüstung, sein Nabiss, aus der Schmiede der Ganfs in der Zentrale eingefunden. Er trug ein tunikaartiges Kleidungsstück aus scharlachrotem Material, das mit dem Symbol Kalsers und seines zerbrochenen Mondes bestickt war. Plötzlich kippte die Stimme, überschlug sich und fügte schrill hinzu: „Was für eine Naivität! Wie kann man ernsthaft glauben, ein Eingriff dieses Ausmaßes würde nur die Übeltäter treffen?“

Cloud hatte Jiim selten so aufgebracht erlebt. „Worauf willst du hinaus, alter Freund?“, wandte er sich an den Geflügelten, der kurzzeitig als Suprio auf Kalser gewirkt hatte, den es dann aber auf allerlei Umwegen bis in die Große Magellansche Wolke verschlagen hatte, wo sie einander wieder begegneten. Seither war er vollwertiges Mitglied der Mannschaft.

„ Denk nach, Guma Tschonk, denk nach. Das, was wir als jüngere Vergangenheit kennen, würde so niemals stattfinden. Wir würden vielleicht ins Milchstraßenzentrum aufbrechen – aber nicht einmal das ist sicher, denn wer weiß, ob wir Boreguir überhaupt je kennen lernten, wenn seine Welt nicht von den Treymor attackiert worden wäre. Wir alle wissen wenig, fast nichts über sein Leben auf Saskana – und wie genau es zu seiner Strandung auf dem Mars kam. Falls es enge Zusammenhänge zwischen den Treymor-Taten und Boreguirs Leben gibt, dann ...“

„ Dann“, griff Cloud tief bestürzt den Faden auf, „können wir nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass wir je seine Bekanntschaft machten, sollte der Gloriden-Plan und das beabsichtigte Paradoxon in die Tat umgesetzt werden.“ Er fühlte sich auf einmal wie taub und leer. „Was ... spinnen wir den Gedanken weiter ... sogar so weit führen könnte, dass auf einer der Etappen unseres Handelns in der Großen Magellanschen Wolke, als er uns tatkräftig zur Seite stand, in einer neuen Zeitlinie Endstation für uns gewesen sein könnte. Wir hätten niemals den Weg zurück zur Milchstraße gefunden. Wir hätten niemals zwischen Satoga und Jay’nac schlichten helfen können ... oder kurz gesagt: Wir würden in der neuen Zeitlinie in diesem Moment schon gar nicht mehr existieren.“

Fontarayn begegnete dem entsetzten Blick der Crewmitglieder fast gleichmütig. Nach Sekunden des Schweigens sagte er schließlich: „Auch mein Leben verliefe dann völlig anders – aber es würde mir nie einfallen, mich deshalb beklagen zu wollen. Opfer mussten zu allen Zeiten, in allen Zeitaltern der Permanenz erbracht werden. Was zählen eine Hand voll Leben gegen das, was die Treymor schon heute auf dem Gewissen haben?“

Die Meisten waren zu perplex, um darauf etwas zu erwidern.

Nicht so Jarvis.

„ Eine Menge“, drang es knurrig aus seinem Nanokörper. „Verflucht viel zählen diese aus deiner Sicht offenbar armseligen ‚paar Leben’ – erst recht, wenn das eigene darunter ist! Also, was mich angeht, so bin ich rundweg dagegen, dass wir den beiden meschuggenen Glühwürmchen auch noch in die Hände spielen und ihnen dabei helfen, unsere Leben auf den Kopf zu stellen. Oder im Extremfall sogar auszulöschen. Lasst sie uns lieber durch die nächstbeste Schleuse pfeffern!“

Bravo, dachte Scobee. Ein Hoch auf meinen alten Kumpel Jarvis ... der zwar selbst kein konventionelles Leben mehr hat, sich davon aber nicht hindern lässt, das seiner Gefährten bis aufs letzte zu verteidigen. Verdammt, und er hat vollkommen Recht! Wenn John sich darauf einlässt, dann ...

Sie kappte den Gedanken, ohne ihn zu Ende zu führen. Ihr Blick suchte und fand den Mann, der das letzte Wort auf der RUBIKON hatte – seit Sesha ihn zum legitimen Nachfolger Sobeks bestimmt hatte, der das foronische Septemvirat angeführt hatte. Der Höchste der Hohen sozusagen, der, der unter Gleichen immer ein klitzekleines bisschen gleicher gewesen war.

Sie vermied es, die Gedanken allzu sehr in die Vergangenheit und zu dem charismatischen Extraterrestrier aus der Großen Magellanschen Wolke abschweifen zu lassen. Er war ein Verächter allen Lebens gewesen, das er seinem Volk unterlegen glaubte ... und irgendwie spülten Fontarayns Worte all den Widerwillen, ja fast Ekel in Scobee hoch, den sie mit Sobek in Verbindung brachte.

Denn verächtlich klangen auch die Worte des Gloriden, wenn es um Wert und Unantastbarkeit des Individuums ging!

Opfer müssen gebracht werden ...

„ John“, setzte sie an – aber er brachte sie mit einem Wink, einer ebenso knappen wie scharfen Geste seiner Hand zum Schweigen.

Brüskiert sah sie ihn an. Dabei entdeckte sie neue Linien in seinem ehemals jungenhaften Gesicht.

Auch an ihm waren die Ereignisse der letzten Monate nicht spurlos vorbeigegangen.

„ Jarvis reagiert manchmal etwas impulsiv – sieh es ihm bitte nach“, wandte er sich mit gefasster Stimme an den Gloriden. „Deine Äußerungen haben die letzten Zweifel in mir beseitigt. Wir werden nach Andromeda aufbrechen, und zwar unverzüglich. Ich beginne jetzt erst zu verstehen, was davon abhängt, in den Dialog mit eurem Perlenweisesten zu treten. Wenn du diese Entscheidung jetzt deinem Artgenossen Ovayran übermitteln könntest?“

Fontarayn verstand und respektierte die verblümte Aufforderung, Cloud nun mit seinen engsten Crewmitgliedern allein zu lassen. Mit einer katzenhaft geschmeidigen Bewegung erhob er sich und verließ das leicht erhöhte Podest, auf dem die Kommandositze installiert waren.

Ehe er die Zentrale verließ, wandte er sich noch einmal um und sagte mit sanfter, den Raum durchdringender Stimme: „Über die Dauer der Reise müssen wir noch einmal reden – später, sobald ich mit Ovayran gesprochen habe.“

Ohne eine Erwiderung abzuwarten trat er durch das offene Trennschott, dessen Türtransmitter nur noch im Bedarfsfall aktiviert wurde, im allgemeinen aber ausgeschaltet war.

„ Sesha?“, hörte Scobee, wie sich Cloud an die KI wandte. „Sind wir unter uns? Du verstehst, was ich meine ...“

„ Der Gloride bewegt sich schnurstracks in Richtung der Quartiere.“

„ Sehr gut.“

„ Sehr gut?“ Scobee konnte nicht länger an sich halten. „Wie konntest du so einfach auf ihn eingehen – nachdem er bewiesen hat, wie wenig ihm die Leben anderer bedeuten?“

Cloud blieb auch jetzt gelassen. Unverwandt sah er erst sie, dann die anderen in der Runde an. „Gerade weil er es bewiesen hat“, sagte er zu ihrer Verblüffung, „müssen wir nach Andromeda. Ich wüsste keinen anderen Weg, die Katastrophe, die als Damoklesschwert über uns schwebt, vielleicht doch noch zu verhindern.“

„ Ich fürchte, wir verstehen nicht ganz, Guma Tschonk“, fasste Jiim in Worte, was offenbar jeder seiner Freunde dachte.

„ Dann“, sagte ihr Commander, „will ich versuchen, es euch zu erklären.“

Das versuchte er wirklich – und nach Kräften. Cloud war innerlich aufgewühlt wie selten. Einen ähnlichen Zorn auf die Ignoranz der Gloriden, wie Jarvis ihn zum Ausdruck gebracht hatte, verspürte auch er. Allerdings obsiegte bei ihm das kühle Kalkül, und ganz gleich von welchen Seiten er die Zwickmühle, in die sie geraten waren, auch betrachtete, er kam immer wieder zu dem einen Ergebnis: nach Andromeda reisen zu müssen .

Unbedingt.

Aber nicht, um die eigene Existenz in Frage zu stellen, sondern aus dem genau gegenteiligen Beweggrund heraus: um sie zu retten!

„ Fontarayn und Ovayran sind absolut von der Richtigkeit ihres Plans überzeugt“, erläuterte er den Freunden, die an seinen Lippen klebten – sinnbildlich gesprochen – die Überlegungen, die zu seinem Entschluss geführt hatten. „Sie wollen uns nicht vordergründig schaden, sie haben lediglich das aus ihrer Sicht relevante große Ziel vor Augen. Sie wollen die Treymor-Gefahr bannen respektive niemals zur Entfaltung kommen lassen. Wie sie das zu bewerkstelligen trachten, haben sie mir und habe ich euch offenbart. Sie sehen das Allheilmittel in einer Zeitkorrektur.“

„ Was aber keinesfalls in unserem Interesse liegen kann – aus Gründen, die bereits erörtert wurden“, sagte Jarvis. „Heilige Galaxis, John, die radieren uns aus. Die radieren sich selbst  aus, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Du hast sie gehört. Wie kannst du dem Vorschub leisten, indem du ihnen auch noch die RUBIKON zur Verfügung stellst, damit sie auch ja zu ihrer Andromeda-Perle gelangen und die Katastrophe anzetteln können?“ Der Kunstkörper schüttelte sein Haupt. „Ehrlich, das verstehe, wer will. Ich nicht .“

„ Hegt irgendjemand von euch auch nur den Hauch eines Zweifels, dass sie eine Möglichkeit fänden, auch ohne unsere Hilfe nach Andromeda aufzubrechen?“, fragte Cloud, ohne auf Jarvis’ nicht unberechtigte Vorwürfe einzugehen.

Betretenes Schweigen. Schließlich sagte Scobee: „Es würde auf alle Fälle länger dauern, oder? Wir hätten eine Frist.“

„ Was wenig brächte, weil ein Paradoxon, einmal ausgeführt, uns so oder so einholt“, erwiderte Cloud. „Ich für mein Teil glaube, dass Fontarayn und Ovayron sich in ihrer Idee verrannt haben. Aber das heißt nicht, dass alle Gloriden so denken.“

„ Worauf willst du hinaus?“, fragte Algorian. Er vermied es auch nach dem Rückzug Fontarayns aus Clouds Körper, den Commander telepathisch auszuhorchen. Die Intimsphäre war ein hohes Gut, für einen Aorii mindestens so wertvoll und schützenswert wie für einen Menschen.

„ Darauf, dass unsere beste Chance, das Paradoxon zu verhindern, darin besteht, Fontarayns und Ovayrans Wünschen zu entsprechen und sie zur Andromeda-Perle zu bringen.“

„ Aber damit beschleunigen wir unseren Untergang. Die Treymor-Gefahr wird ebenso beseitigt werden wie wir armen Würstchen“, murrte Jarvis.

„ Das liegt an uns“, orakelte Cloud. „An uns ganz allein.“

Scobee sah ihn skeptisch an. „Ich glaube, ich beginne zu verstehen, was du vorhast.“

„ Lass hören.“

„ Du willst versuchen, die Perlen-Obrigkeit ... wie nennt sie sich noch gleich ... Perlenweisester?“

Cloud nickte.

„ Also den Perlenweisesten davon zu überzeugen, dass Fontis und Ovis Idee ein Schuss in den Ofen ist.“

„ Fonti und Ovi?“ Cloud verzog das Gesicht.

„ Das moniert ausgerechnet der, der mich ständig und überall mit ‚Scob’ verunglimpft?“

„ Schon gut. Du hast ja Recht. In beiden Fällen. Das ist meine Idee. Und ich weiß, dass ich sie überzeugen kann – mit eurer Unterstützung. Ein Zeitparadoxon wäre die aller- aber auch wirklich allerallerletzte Möglichkeit. Bevor aber nicht alle sonstigen mittel ausgeschöpft sind, die Treymor-Gefahr einzudämmen, wäre es die völlige Bankrotterklärung für jedes vernunftbegabte Wesen. Und einem Perlen weisesten darf man doch unterstellen, dass er mit Vernunftargumenten zu packen ist, oder?“

Die Skepsis wich auch jetzt nicht aus den Blicken der Freunde. Aber immerhin wussten sie jetzt, woran sie waren und warum Cloud so entschieden hatte.

„ Immerhin“, seufzte Algorian, bevor sie auseinander gingen. „Eine Frist bleibt uns trotzdem. Die Reise zur Andro-Perle wird Monaten dauern. Zeit genug, sich die schlagenden Argumente zurechtzulegen.“

Hier und da nickte man zu seinen Worten.

Noch wussten sie alle nicht, wie sehr er sich gerade in diesem Punkt irren sollte.

2.  

Anomalie

Der schlanke Mann mit dem schütteren Haar setzte sich abrupt in seiner Koje auf und öffnete die Augen.

Noch bevor sich die Lider gehoben hatten, wusste er, dass er nicht allein war.

Im Grunde ein Ding der Unmöglichkeit. Denn jede Kabine der RUBIKON war gesichert, und die Bord-KI war ein Garant für den Erhalt der Privatsphäre.

Dennoch wurde das Gefühl zur Gewissheit, das eigentlich Unmögliche zur Gewissheit.

„ Hallo“, sagte die Lange Paula mit ungewohnt tiefer Stimme. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Prosper Mérimée zog die Brauen nach oben. „Wie kommst du –“

Er schaffte es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen. Die jähe Lichtentladung, in der die Lange Paula verpuffte, blendete ihn. Mérimée stöhnte auf. Als die extreme Helligkeit Sekunden später wieder einem Normalmaß gewichen war und sich Mérimées Netzhäute leidlich erholt hatten, stand eine Gestalt vor ihm, wie sie gegensätzlicher zur Langen Paula gar nicht hätte sein können.

„ Das ist ja verrückt“, murmelte Mérimée. Er schwang die Beine aus der Koje und stellte sie auf den Boden. „Du bist einer der Gloriden, richtig?“

„ Ja“, bestätigte der haarlose Androgyne, der ihm, obwohl Mérimée nach wie vor auf der Kojenmatratze hockte, nur knapp bis zur Schulter reichte. Die Haut hatte einen Goldton. Erkennbare Kleidung trug er nicht, und ebenso mangelte es ihm an eindeutig zuordenbaren Geschlechtsmerkmalen. Aber nach allem, was Mérimée über die seltsamen Bewahrer der CHARDHIN-Perlen gehört hatte, wäre dies auch nur ein weiterer Bestandteil ihrer „Maske“ gewesen, mit denen sie konventionellem Leben gegenübertraten. Stofflichem Leben. Sie selbst konnten offenbar nach Belieben zwischen körperlicher und rein energetischer Zustandsform wechseln. „Ich bin Ovayran.“

„ Der aus Andromeda?“ Mérimée versuchte sich daran zu gewöhnen, dass eine vollkommen fremdartige Existenzform mit ihm sprach, als wären sie sich schon etliche Male begegnet. Der Gloride beherrschte die menschliche Sprache, mit der Mérimée groß geworden war, absolut akzentfrei und aus dem Effeff. Seine Stimme war sonor und wohltuend, passte zu diesem Körper weit besser als zu dem, den Ovayran zuvor kopiert hatte.

„ Der aus Andromeda“, bestätigte Ovayran. „Wie ihr die Nachbargalaxie nennt.“

Mérimée stand auf. Etwas wackliger als sonst – aber war das ein Wunder? „Darf ich etwas fragen?“

„ Tust du das nicht schon die ganze Zeit?“ Der Gloride zwinkerte ihm mit einem seiner wimpernlosen Augen zu.

Obwohl Mérimée wusste, dass der Gloride nur eine abgeschaute Mimik zum Besten gab, schauderte er. Mehr als alles andere war es dieses Zwinkern, was ihm die Unwirklichkeit der Situation ins Bewusstsein rückte.

„ Wie bist du hereingekommen, ohne dass Sesha –“

Ovayran lachte auf. Glockenhell, fast wie aus Kindermund, klang sein emotionaler Ausbruch, bei dem unklar blieb, ob er auch nur Bestandteil seiner humanoiden Maske oder aus einem echten Gefühl heraus kam.

„ Vergiss die Künstliche Intelligenz eures Schiffes“, riet er, ohne dass Mérimée auch nur einen Moment auf die Idee kam, es könnte arrogant gemeint sein. „Sie kommt nicht mit mir zurecht – so wenig wie mit meinem Bruder Fontarayn.“

Mérimée wusste genug, um zu erkennen, dass der Begriff Bruder bei den Gloriden weiter gefasst war als bei Menschen, die damit eine enge Blutsverwandtschaft zu jemandem beschrieben.

„ Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte Mérimée, „ob mir das gefällt.“

„ Dass eure KI nichts mit uns anfangen kann?“

Er nickte. „Dass sie nicht verhindern kann, von euch ausgetrickst zu werden. Du und der andere ... Fontarayn ... ihr scheint, so weit man hört, auf unserer Seite zu stehen. Aber ich glaube, niemand ist sich dessen so völlig sicher. Wenn ihr es insgeheim nicht wärt, hätten wir ein gehöriges Problem – wir alle hier an Bord.“

„ Auch ich habe ein Problem, und deshalb bin ich hier“, sagte der Gloride.

„ Ach?“

„ Mit dir.“

„ Mit mir?“ Mérimée brauchte seine Überraschung nicht zu spielen.

„ In der Tat. Du bist ...“ Ovayran trat einen Schritt auf Mérimée zu, in dem das Verlangen übermächtig wurde, seinerseits einen Schritt zurück zu machen – das aber verhinderte die Kante der Koje, die in seine Kniekehlen drückte. „ ... außergewöhnlich, wenn ich das sagen darf.“

Für einen Moment war Mérimée, als würden sich die Abgründe seines Gedächtnisses öffnen und ein Schwall von mühsam unterdrückten Erinnerungen hervorbrechen. Er strauchelte unter der Wucht dieses Aktes, den er nur mit äußerster Mühe unter Kontrolle bringen und stoppen konnte. Die Bilder, die bis dahin seinen Geist geflutet hatten, wirkten sich auf die Mimik des ehemaligen Zirkusdirektors von der Erde aus. Sein Gesicht wurde ganz grau und – jeder, der ihn kannte, hätte dem Impuls nachgegeben, zu ihm zu eilen und ihn nach seinem Befinden zu fragen – um Jahre, vielleicht Jahrzehnte gealtert.

Ovayran tat nichts dergleichen. Ruhig wartete er ab, bis Mérimée sich wieder gefangen hatte.

„ Außergewöhnlich ...“ Der Mann aus dem Getto, das aus der riesigen Metrop Peking hervorgegangen war und in dem die Keelon-Master über Generationen auf perfide Weise missliebige Erdbewohner inhaftiert hatten, schüttelte den Kopf, als wollte er selbst glauben, was er sagte. „Ich bin nicht außergewöhnlich. Ich war es nicht und werde es nie sein – im Gegensatz zu dir ... Außerirdischer!“

Außerirdischer.

Der Begriff schien Ovayran zu amüsieren.

„ Ich nehme an“, sagte erfast sanft, „dass du ganz genau weißt, worauf ich anspiele.“

„ Nein.“ Mérimée schüttelte unwirsch den Kopf, stieß sich von der Kojenkante ab und machte einen Schritt seitlich an dem Gloriden vorbei ... und dann noch drei, vier schnelle Schritte mehr, mit denen er Distanz zwischen sich und das absonderliche Geschöpf brachte, das seinen Finger zielsicher in eine nie heilende Wunde Mérimées gelegt hatte. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Und wenn ich dich jetzt ersuchen dürfte –“

„ Von dem Muster“, unterbrach ihn Ovayran unbeeindruckt. „Ich spreche von dem Muster in deinem Kopf. Die Anomalie, die dich von allen anderen Menschen oder sonstigen Geschöpfen hier an Bord unterscheidet und absolut einzigartig macht ...“

Das Ding hatte Augen, und von dem Moment an, da es sie öffnete, hörte es auf, ein Ding zu sein.

Aylea versank in dem Anblick, dem sie sich auf einmal ausgesetzt fühlte. Die Zehnjährige spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann und ihr Mund vor lauter Aufregung ganz trocken wurde. Sie schluckte. Einen Moment lang überlegte sie, nach Jelto zu rufen. Doch der Heger und Pfleger des hydroponischen Gartens befand sich ganz am anderen Ende der Landschaft, die in mehr als zwei Dutzend Zonen unterteilt war. Bereiche, die allesamt leicht modifizierten Umwelteinflüssen unterlagen. Unterschiedlichem Licht, unterschiedlicher Temperatur, unterschiedlichem Boden, Luftdruck, Atmosphärengemisch ... Die Abschnitte, die einem Menschen ohne speziellen Schutz gefährlich werden konnten, waren gut sichtbar hervorgehoben. Sesha, das allgegenwärtige Bordgespenst, hatte die dortigen Photonen zur Warnung rötlich eingefärbt.

„ Huch“, entglitt es Ayleas Lippen.

Das metallische Ei, das sie gerade noch ebenso ratlos wie neugierig zwischen den Fingern gedreht hatte, entfaltete sich mehr und mehr. Es war eines von einem guten Dutzend Artefakten, die Sesha über den hydroponischen Garten verteilt geortet hatte, nachdem die Gloriden Fontarayn und Ovayran das Raumschiff auf ein „anderes Realitätslevel“ – so ihre Darstellung des Vorgangs – gehoben hatten.

Offenbar waren dadurch auch die noch seinerzeit von Boreguir angelegten Verstecke ihrer speziellen Tarnung beraubt worden. Der Saskane war nicht nur in der Lage gewesen, sich selbst, sondern auch von ihm ausgesuchte Gegenstände „vergessen“ zu machen. Diese Gabe, die sein in der Nähe des Milchstraßenzentrums beheimatetes Volk in die Wiege gelegt bekommen hatte, die aber die wenigsten seiner Artgenossen so gezielt einsetzen konnten, wie Boreguir es vermocht hatte, schien eine Art psionischen Kokon zu flechten, den weder das Auge noch aufwändige technische Apparaturen, wie sie in der RUBIKON zuhauf vorkamen, durchdrangen. Erst das Einschreiten der Gloriden, deren Erscheinungsform variabel war und offenbar nach Belieben zwischen rein energetisch und organisch wechselte, hatte dies geändert.

Seither durchkreuzte die RUBIKON einen vormals „leeren“ Raumsektor, in dem es inzwischen – nachdem der Paraschleier von den Instrumenten genommen worden war – vor Sternen und Planeten wimmelte.

Ein geheimes Reich war enthüllt worden, regiert von käferartigen Intelligenzen, die sich selbst Treymor nannten und denen es gelungen war, auf die Hochtechnik der ERBAUER zurückzugreifen, den geheimnisumwobenen Schöpfern der über das ganze Universum verstreuten CHARDHIN-Perlen.

Ein leises Summen hatte die Verwandlung des Gegenstands in Ayleas Hand begleitet. Als es nun endete, war auch der in Gang geratene Prozess abgeschlossen.

Vorerst zumindest.

Und immer noch starrten die Augen Aylea an. Augen wie Stahl und dennoch mit einem Blick behaftet, wie er lebendiger nicht hätte sein können.

Das aus dem Ei „geschlüpfte“ Gebilde hatte entfernte Ähnlichkeit mit einem Archäopterix, jenem knapp taubengroßen Urvogel, der Reptilien- und Vogelmerkmale in sich vereint hatte.

Der metallische Blick schien Aylea bis auf die Knochen zu gehen. Sie fröstelte.

„ Se-Sesha?“

„ Keine Gefahr“, meldete sich die KI aus dem Off. Ihre Stimme hatte den gewohnt femininen Touch.

„ Bist du dir sicher?“

„ Nein.“

„ Nein?“ Aylea furchte entgeistert die Stirn.

„ Absolute Sicherheit gibt es nicht. Und in dem Moment, da der Kommandant deine Spielzeuge duldete, Kind, wurde mir die Möglichkeit genommen, präventiv tätig zu werden.“

Aylea verstand, worauf die KI anspielte. Auf John Clouds Erlaubnis, die entdeckten Artefakte im Besitz der Finder zu belassen – und das waren definitiv sie und ihr väterlicher Freund Jelto. „Du meinst, du hättest absolute Sicherheit hinsichtlich der Artefakte nur garantieren können, wenn dir erlaubt worden wäre, sie zu entfernen?“

„ Oder sie zu vernichten“, pflichtete Sesha ihr bei.

Aylea gab sich einen Ruck. Unmittelbar bevor das Ei zu diesem vogelartigen Etwas geworden war, hatte sie der KI den Befehl erteilen wollen, das Objekt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu scannen – falls das nicht längst passiert war.

„ Ist es ein Roboter?“, fragte Aylea. Sie hatte den rechten Arm weit von sich gestreckt. Auf der nach oben gedrehten Handfläche stand auf dürren, kurzen silbrigen Beinchen der „Vogel“. Filigran, zerbrechlich wirkend, zugleich aber auch eine Majestät ausstrahlend, die Aylea auf Anhieb in den Bann schlug.

„ Der Augenschein spräche dafür ...“, hielt sich Sesha betont vage.

„ Und was über den ‚Augenschein’ hinausgeht?“

Bevor die KI antworten konnte, tat es der schwerelose Vogel. Und zwar auf folgenschwere Weise. Er öffnete den Schnabel, und der Schrei, der einen Moment später durch den Garten gellte, brachte schlagartig alle Vegetation zum Welken.

Und nicht nur die hier beheimateten Pflanzen ...

„ Willst du allen Ernstes behaupten, du könntest in meinen Kopf schauen ?“ Prosper Mérimée blickte zunehmend verunsichert auf das Wesen, das mir nichts, dir nichts in seine verschlossene Kabine spaziert war.

„ Wir Gloriden sehen auf andere Weise als Menschen“, erwiderte Ovayran. „Wir sehen das Ganze.“

„ Das Ganze?“

„ Du siehst diesen Raum mit dem, was darin ist. Das ist abhängig von deinen Sinnesorganen. Mein Blick, der an solche nicht gebunden ist, geht darüber hinaus.“

„ Willst du damit sagen, für dich hätten Wände keine Bedeutung? Du schaust durch sie hindurch?“

„ Wände haben dieselbe Bedeutung wie alles andere, was meinen Blick kreuzt. Aber sie sind kein Hindernis. Ich nehme sie wahr – genau wie ich alles wahrnehme, was davor, dahinter, darüber oder darunter liegt.“

„ Auch in deiner ... physischen Gestalt?“ Die Besonderheit der Gloriden hatten sich auch schon bis zu Mérimée herumgesprochen.

„ Sie ist mehr für die Bewohner dieser Ebene gedacht als für uns selbst. Wir ermöglichen es damit anderen, mit uns umzugehen. Außerdem gibt es gewisse Anforderungen in einer Perle, die als reine Lichtgestalt nicht zu erfüllen wären. Betrachte unsere Körper, wie du sie vor dir siehst, als eine Art Kokon. Sein Aussehen ist nebensächlich. Du magst Augen an meinem ‚Kopf’ hier erkennen. Aber das Sehen , wie wir es verstehen, findet nach wie vor auf einer übergeordneten Ebene statt und ist keinerlei Beschränkung unterworfen. Deshalb war es für uns auch nie ein Problem, die getarnten Welten und Sonnen der Treymor zu erkennen.“

„ Mit Verlaub“, Mérimée räusperte sich, „das hört sich ziemlich hanebüchen an.“

„ Darüber wollte ich mit dir auch nicht reden. Mir ist bewusst, wie schwer es für ein dreidimensionales Wesen wie dich ist, sich etwas Höherdimensionales vorzustellen.“

„ Du redest von dir, ja?“ Allmählich gewann er seine Contenance zurück.

„ Offenbar drücke ich mich sehr missverständlich aus.“

Mérimée winkte ab. Schon gut. Es war ironisch gemeint. Aber ich habe Verständnis dafür, dass es einem höherdimensionalen wie dir schwer fallen muss, das zu bemerken ... oder noch besser: zu verstehen.“

„ Das war wieder Ironie, richtig?“ Ovayran zwinkerte dem ehemaligen Zirkusdirektor zu.

„ Du überraschst mich.“

„ So wie du mich. Womit wir wieder beim Grund meines Kommens wären.“

„ Dem Muster. Der Anomalie. In meinem Kopf.“

„ Du weißt davon, oder?“

„ Ich habe damit leben gelernt.“

„ Wie kam es dazu?“

„ Siehst du das nicht – in dem Muster?“

„ Ich beginne Ironie nicht eben als zweckdienliche Artikulationsvariante zu betrachten.“

„ Du willst sagen, es nervt allmählich.“

„ Einigen wir uns einfach für die Dauer des Gesprächs auf Ernsthaftigkeit?“

„ Was hätte ich davon, dir diesen Wunsch zu erfüllen? Warum sollte ich dir überhaupt einen Gefallen tun? Du bist ein Einbrecher. Niemand hat dich hereingebeten. Du hättest anklopfen können! Es wäre der zweifelsfrei bessere Einstieg in eine Unterhaltung gewesen.“

„ Anklopfen ... ihr Menschen seid sonderbare Wesen.“

Mérimée hatte kein Interesse, Ovayran über die Bedeutung des Wortes, das er gerade benutzt hatte, aufzuklären. „Also“, wiederholte er, „was spränge für mich heraus, wenn ich mich auf dich einließe?“

„ Ich könnte dir ein Angebot machen.“

„ Ein Angebot?“

„ Wie viel weißt du über das Abnorme, das in dir nistet?“

„ Weniger als nichts.“

„ Ich könnte es ändern.“

„ Aus purer Nächstenliebe.“

„ Ganz und gar nicht. Wie ich schon sagte. Die Anomalie lockte mich hierher. Ich bin neugierig, was sich dahinter verbirgt. Und sobald ich es herausgefunden habe, werde ich dich an meinen Erkenntnissen teilhaben lassen.“

Mérimée schüttelte ohne lange zu überlegen den Kopf. Kategorisch. „Nein.“

„ Nein?“

„ Es gibt Dinge, an denen man nicht rühren soll ... Würdest du mich jetzt bitte allein lassen? Oder war es am Ende gar kein wohl gemeintes Angebot, sondern nur die Ankündigung dessen, was du ohnehin vorhast und wovon du dich durch mich nicht abhalten lassen wirst?“

„ Es macht mich traurig zu hören, welch geringe Meinung du über mich und meine Art hast.“

„ Wenn ich dich gekränkt haben sollte, tut es mir Leid – aber jetzt geh bitte.“

„ Ich gehe, aber ich werde wiederkommen.“ Ovayran wandte sich der Tür zu.

Mérimée schüttelte ernst den Kopf. „Dann solltest du dich über die schlechte Meinung, die man sich über Gloriden macht, nicht wundern.“

Wortlos ging Ovayran an der Tür vorbei auf die Wand daneben zu ... und fuhr wie ein Blitz in sie.

Es gab keinen Knall, keine Erschütterung. Er war einfach verschwunden.

Prosper Mérimée blickte mit gemischten Gefühlen auf die Stelle, wo der Gloride eben noch in seiner festen Form gestanden hatte.

––––––––

Die Harke entglitt Jeltos Fingern. In seinem Schädel explodierte ein Schmerz, vergleichbar mit dem Eindringen einer Knochenfräse unter Verzicht jeglicher Betäubung. Für einen Moment verschwamm alles vor seinem Blick. Er war nicht einmal mehr fähig, einen Gedanken zu fassen.

Erst als sich die Qualität des Schmerzes änderte und zu einem dumpfen Hintergrundrauschen wurde, kam er wieder zu sich und fand sich am Boden zwischen den Blumen wieder, die er gerade gedüngt und deren Erdreich er aufgelockert hatte. Nun hatte er das komplette Beet mit seinem Körper verwüstet, unter seinem Gewicht niedergewalzt!

Hastig rappelte der Florenhüter sich auf und besah sich den Schaden.

Sekundenlang war er mehr über das erschrocken, was er bei seinem Sturz angerichtet hatte, als dass er sich um das eigene Befinden sorgte.

Dann aber wurde ihm bewusst, dass der Zustand, in dem sich die Blumen befanden, unmöglich nur von seinem Sturz verursacht worden sein konnte. Sie sahen nicht nur zerdrückt aus, sondern völlig ... vertrocknet. Als hätten sie Tage oder Wochen ohne jedes Tröpfchen Wasser aushalten müssen ...

Das Rauschen in seinem Kopf veränderte sich. Seine Glieder waren plötzlich schwer wie Blei. Ein Gefühl versuchte ihn daran zu hindern, den Blick von dem Beet zu lösen und sich im Rest des Gartens umzusehen ... aber das Bedürfnis, sich der Wahrheit zu stellen, war stärker.

Es gab nichts, was ihn auf den Anblick hätte vorbereiten können.

Jelto strauchelte. Seine Beine gaben zum zweiten Mal nach. Er streckte die Arme aus und fing seinen Fall ab, als er auf den Knien landete. Seine Hände gruben sich in die Erde, die sich anders anfühlte als noch Minuten zuvor. Er versuchte, seine Kirlianaura zu aktivieren, über die er mit jeder Pflanze des Universums in Kontakt zu treten vermochte. Selbst mit einem Samenkorn, das tief im Boden heranwuchs ...

Es misslang. Die Aura blieb verborgen; es war, als hätte sie nie existiert – und als würde sie auch nie mehr entflammen.

Noch eine Spur dumpfer, drückender, erstickender wurde das Rauschen in seinem Kopf. In dem geistigen Äther, den Jelto sonst nutzte, um mit der Flora zu kommunizieren, zu interagieren ...

Er rang um Atem. Die Stille, in der keine noch so leise Stimme mehr wisperte und zu ihm sprach, legte sich lähmend auf seinen gesamten Organismus. Schwindel erfasste ihn. Die Umgebung verschwamm erneut. Er fühlte sich der Ohnmacht nahe.

Dann ging ein Ruck durch ihn.

Nein! Muss Sesha verständigen ... bevor Lea mich so sieht ...

So sieht ...

Er blickte an sich herab. Auf die Hände, deren Finger sich bis zum ersten oder zweiten Glied in die lockere Erde gebohrt hatten. Die dunkle, sonst so angenehm duftende Erde ... die jetzt nur leer und tot wirkte, fast schwarz. Und schwarz waren auch seine Hände, seine Unterarme, die bis zu den Ellbogen bloß lagen, weil er die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt hatte.

Schwarz?

Nein, eher ein schwammiges Grau, wie es manchem Pilz, manchem Schädling, den er auf der Erde in den Wäldern seiner Parzelle bekämpft hatte, zu eigen gewesen war.

Die Bäume und Sträucher, die Kakteen und Blumen ringsum, mannigfachen Welten entliehen, lagen danieder, als hätte eine schreckliche Krankheit oder sengende Hitze sie im Zeitraffer hingerafft.

Eine Krankheit, rann es schwer wie stockendes Blut durch seine Ganglien, die auch vor mir nicht Halt macht.

Es war sein letzter Gedanke, bevor die Farbe des Todes, die seinen Körper überzog, auch seinen Geist überwucherte und unter sich begrub.

„ Er hat dir was angeboten?“ Der kleine, dunkelhäutige drahtige Mann, den Mérimée aus der Nachbarkabine zu sich gerufen hatte, war ganz aus dem Häuschen.

„ Sich des Fluchs in meinem Schädel anzunehmen. Dieser temporalen Verzerrung, die mich ein ums andere Mal in höchst missliche Situationen bringt.“

„ Aber du ... hast abgelehnt.“

„ Was hätte ich sonst tun sollen? Etwa annehmen?“

Schulterzucken. Sahbu, sein treues Faktotum, mit dem gemeinsam er im Getto den Zirkus menschlicher Abnormitäten geleitet hatte, schien unsicher, wie er sich an Mérimées Stelle entschieden hätte. „Ich weiß es nicht“, sagte er ehrlich. „Aber du hättest es wenigstens versuchen können, oder? Vielleicht wäre er in der Lage, dich zu heilen. Diese Gloriden haben einiges auf dem Kasten, das haben sie bewiesen.“

„ Mag sein. Aber sie sind mir suspekt. Sie treten hier andauernd als die großen Gönner auf. Das macht sie mir eher verdächtig als sympathisch.“ Er seufzte. „Ich weiß, ich bin gettogeschädigt. Aber ist das ein Wunder? Nach allem, was man uns angetan hat? Im Grunde kommt es einem Wunder gleich, dass wir diesem Wahnsinnigen entronnen sind, den Sarah noch aus ihren Tagen als US-Präsidentin kennt. Dieser Cronenberg ist sadistischer und verschlagener als alle früheren Bandenführer des Gettos zusammen! Er hätte uns kalt lächelnd in Stücke geschnitten – wenn nicht irgendwann diese Anordnung seiner neuen Bosse gekommen wäre. Danach hat er uns in diesen Würfel verfrachtet, und man hat uns im Weltraum ausgesetzt ... Beim BUCH, es fehlte nicht viel, und wir wären jämmerlich erfroren, verhungert, verdurstet oder erstickt. Die Ressourcen des Quaders waren begrenzt. Hätte die RUBIKON uns nicht rechtzeitig aufgefischt ...“

„ Aber sie hat es. Für uns hat ein neues Kapitel, ein neues Leben begonnen. Es wäre dumm, ständig der Vergangenheit, so furchtbar sie auch gewesen sein mag, nachzuhängen. Wir müssen den Blick voraus richten. Cloud ist, so weit ich das einschätzen kann, ein prima Kerl. Genau wie die anderen an Bord prima Typen sind. Sogar dieser Klon, den wir eigentlich zur Hölle wünschen müssten, weil er mitverantwortlich für den mörderischen Wald ist, der um das Getto gepflanzt wurde. Aber wenn ich es richtig verstanden habe, ist er selbst nur ein Handlanger gewesen, mehr Opfer denn Täter ...“

„ Jelto?“

Sahbu nickte.

„ Jelto ist in Ordnung“, sagte Mérimée. „Ich habe ihn schon einige Mal in seinem Garten besucht. Er tut keiner Fliege etwas zuleide. Es sei denn ...“

“ Ja?“

„ Die Fliege pinkelt eines seiner Pflänzchen an.“ Mérimée grinste. Plötzlich stand er auf und ging zu einem der Schränke, die sein Quartier füllten. Er öffnete ein Fach und zog einen Beutel hervor, der wie aus Leder gefertigt wirkte, wahrscheinlich aber den Produktionsstätten der RUBIKON entstammte und rein synthetischen Ursprungs war.

„ Was ist das?“, fragte Sahbu neugierig, als Mérimée den Beutel zu dem Tisch brachte, an dem sie gesessen hatten. Er ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und stellte den Beutel vor sich ab. Es raschelte vage vertraut.

„ Doch nicht etwa ... Traumranken?“ Sahbus Augen wurden groß wie Monde.

Mérimée stieß fast verächtlich die Luft aus. „Woher sollte ich hier wohl Traumranken nehmen?“

Besagte Ranken waren im Getto ein begehrter Artikel gewesen, ein Zwischending aus Droge und Cyberschlüssel. Die Ranken waren in der Lage gewesen, den Geist eines Menschen in Traumwelten zu entführen ... und damit dem realen Elend des Gettos zumindest befristet entfliehen zu lassen.

Sahbu zuckte die Achseln. „Wer weiß. Dir traue ich fast alles zu.“

„ Das ‚fast’ hat dich gerettet.“

Sahbu nickte ungeduldig. „Mach schon auf. Was ist drin? Willst du mir etwas schenken?“

„ Wenn man so will ...“ Mérimée nestelte am Verschluss herum und öffnete ihn.

Sahbu trat näher. Der Geruch, der ihm aus dem Beutel entgegenstieg, zauberte ein seliges Lächeln auf seine Lippen. „Nein – oder ...?“

„ Greif rein“, forderte Mérimée ihn auf. „Er beißt nicht.“

Das ließ sich Sahbu nicht zweimal sagen. Er hatte darüber gelesen. In Büchern, die Bestandteil von Mérimées großer Bibliothek auf der Erde gewesen waren – davon war nur ein verschwindend kleiner Teil gerettet worden und durch ein bis heute nicht erklärbares Wohlwollen der Master mit an Bord der RUBIKON gelangt. Hin und wieder hatte ihm Mérimée sogar ein kleines Filmchen, kaum mehr als ein Fragment, gezeigt, in dem Menschen es getan hatten ... und einmal hatte sein Freund ihm sogar einen Duft präsentiert, der Mérimée zufolge fast aufs i-Tüpfelchen dem Aroma entsprach, das von dem antiquierten Kraut ausgegangen war ... und seither rumorte das diffuse Verlangen in Sahbu, es eines Tages selbst einmal zu schmecken, durch seine Lungen strömen zu lassen – so widersinnig es auch scheinen mochte.

Er tastete in den Beutel. Die trockenen Blätter zerkrümelten unter seiner Berührung.

„ Ist es wirklich das, was ich glaube?“

Mérimée nickte. „Jelto hat ein kleines Kontingent für mich angebaut; ich habe es dann getrocknet. Tabak. Du wühlst gerade in waschechtem Tabak.“

Er öffnete eine Schublade am Tisch selbst und zog ein Stäbchen heraus, das er neben dem offenen Beutel platzierte. „Und das“, sagte er, „ist eine so genannte Selbstgedrehte.“

„ Eine was?“

„ Eine Zigarette.“

Noch einmal verschwand Mérimées Hand im Schubfach. Als sie wieder sichtbar wurde, klickte es vernehmlich, und eine Flamme züngelte zwischen seinen Fingern nach oben. „Du wolltest es doch schon immer mal versuchen ... Feuer?“

Im nächsten Moment, als wäre sie durch das vorausgehende Entzünden der Flamme und durch nichts anderes ausgelöst worden, hallte eine Sirene durch das Schiff.

Die Tonfolge indes stellte klar, dass es sich um mehr als eine simple Brandsirene handelte, mit der Sesha überzogen auf „offenes Feuer“ reagierte.

Um sehr viel mehr.

Kämpfe!, hämmerte es stakkatoartig in dem Klon. Kämpfe, kämpfe, kämpfe verdammt noch mal um dein bisschen Leben!

Jelto merkte nicht, wie er da lag. Wie er leuchtete, nachdem seine Aura ohne sein bewusstes Zutun entflammt war. Wie das Licht, das die Zellen seines Körpers produzierten, ebendiesen Körper auszehrte, ihn zum Welken brachte wie all die liebevoll und mühsam gezogenen Schößlinge, die Blumen, Büsche und Bäume ringsum.

Der Garten war nicht wiederzuerkennen, und wäre Jelto in diesem Moment seinem Anblick ausgesetzt gewesen, hätte ihm dies wahrscheinlich auch noch die letzte Kraft, das letzte Quäntchen Lebenswillen entzogen.

Sein Bewusstsein wühlte sich durch Dunkelheit wie durch schwarzen, leblosen Boden. Es strebte zurück ans Licht, aber die Widerstände, die es zu überwinden hatte, waren enorm.

Kämpfe. Kämpfe. Kämpfe.

Er war drauf und dran, sich taub für das Drängen seiner Seele zu stellen.

Es gut sein zu lassen.

Zu sterben.

Doch dann erinnerte er sich an den Grund, weshalb er auch andere Phasen der Düsternis und Depression überwunden hatte, die ihn mit steter Regelmäßigkeiten überkamen, seit er seinen Garten auf der Erde verloren hatte. Er hatte sich erst einen neuen Lebenssinn zurechtbasteln müssen. Einer hatte ihm dabei geholfen.

Eine.

So wie er ihr nach Leibeskräften half, wann immer es möglich und erforderlich war.

Ein Kind.

Dessen Schicksal im ungewissen lag.

Jelto musste damit rechnen, dass die zerstörerische Macht, die ihn überwältigt hatte, auch vor Aylea nicht Halt machte.

Sie brauchte Hilfe.

Sie durfte nicht sterben.

Ein Kind.

So jung.

So wehrlos und verletzlich ...

Kämpfe. Kämpfe. Kämpfe.

Das tat er.

Und schaffte es tatsächlich, die Niederungen des Todes hinter sich zu lassen, ins Bewusstsein – und damit ins Leben – zurückzufinden ...

Scobee stürmte in den Garten. Genauer: den Friedhof der Pflanzen – denn nichts anderes erwartete sie jenseits des Türschotts.

Hinter ihr trat Jarvis in den riesigen, kathedralenhohen Raum, den Sesha nach Jeltos Maßgaben geformt hatte.

Die Kunstsonnen leuchteten noch immer, spendeten Wärme und Licht. Aber nichts davon kam mehr einer Pflanze, einer Blume oder auch nur einem Saatkorn zugute, das hier heimisch war. Denn nichts von alledem hatte überdauert.

Was überdauert?, fragte sich Scobee im Laufen dumpf.

Was um Himmels willen ist hier vorgefallen?

Überall nur Leichen. Pflanzenkadaver. Überall nur welkes, dahingedorrtes Sein.

„ Kannst du etwas erkennen?“, fragte Scobee.

„ Ja“, bestätigte Jarvis. „Lass mich vorauseilen.“

Sie konnte es gar nicht verhindern. Er war um einiges schneller als sie. Obwohl auch sie sehr schnell sein konnte.

Er überholte und raste zwischen den abgestorbenen Floraresten hindurch.

„ Sesha“, wandte sich Scobee an die KI. „Wer von der Crew befindet sich im Garten? Ist es bei dem geblieben, was du beim ersten Alarm gemeldet hast? Jelto und Aylea?“

„ Jelto und Aylea“, erklärte die KI. „Jarvis ist fast bei dem Florenhüter. Das Mädchen liegt ein Stück weit entfernt. Soll ich dich führen?“

„ Ich bitte darum – rasch!“

Vor Scobee materialisierte eine kugelförmige Markierung in der Luft; eine mobile Projektion, mehr nicht. Aber die rote Marke eilte Scobee in genau dem Tempo voraus, das auch die GenTec halten konnte.

Eine Minute später kniete sie neben Aylea.

Gerade als sie sich zu der Zehnjährigen hinabbeugte, erklang hinter ihr ein durch Mark und Bein gehender Schrei.

„ WO IST SIE?“

Scobee wusste instinktiv, dass er sich um Aylea sorgte.

„ Hier!“, rief sie. „Sie ist hier. Ich bin bei ihr und werde –“

Ihre Stimme erstarb, als sie das bäuchlings da liegende Mädchen vorsichtig auf den Rücken drehte und sah, was mit ihr nicht stimmte.