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Dieser Band enthält folgende Romane: Alfred Bekker: Der Erste Reich Manfred Weinland: Die Welten des Prosper Merimee Marc Tannous: Der steinerne Himmel Manfred Weinland: Perlen der Schöpfung AM MORGEN EINER NEUEN ZEIT. Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen. Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung. Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten. Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...
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Großband Raumschiff Rubikon 3 - Vier Romane der Weltraumserie
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RAUMSCHIFF RUBIKON 09 | Das Erste Reich
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1 | Temporale Krise
2 | Sein oder Nichtsein
3 | Die Verschwundenen
4 | Raumschlacht um Nar’gog
5 | Die Rückkehr der CHARDIN-Perle
6 | Prosper, der Mächtige
7 | An Bord der Chardhin-Perle
8 | Das Projekt
9 | Die neue Erde
Raumschiff Rubikon 10 Die Welten des Prosper Mérimée
Am Morgen einer neuen Zeit.
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Raumschiff Rubikon 11 Der steinerne Himmel
Am Morgen einer neuen Zeit.
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Prolog
1. Kapitel | Aufbruch
2. Kapitel | Ankunft
3. Kapitel | Die andere Seite
4. Kapitel | Götterdämmerung | Metrop Washington | im Jahre Null | Ankunft der Stummen Götter
Metrop Washington | 14 Stunden danach
5. Kapitel | Freund oder Feind | unweit der ehemaligen Metrop Washington | im Jahr 22 ZSG (Zeitalter der Stummen Götter)
6. Kapitel | Gefangen!
7. Kapitel | Das Tribunal – | aus den Aufzeichnungen des Reuben Cronenberg
8. Kapitel | Erste Veränderungen | nahe der ehemaligen Metrop Moskau | im Jahre 836 ZSG
Aus den Aufzeichnungen des Reuben Cronenberg.
9. Kapitel | Die Nokturnen
Östlich der ehemaligen Metrop Paris | im Jahr 9267 ZSG
Östlich der ehemaligen Metrop Peking | im Jahr 12476 ZSG
10. Kapitel | Die Schläfer | Brasilianisches Tiefland | im Jahr 15146 ZSG
11. Kapitel | Die Vaku-Farmer
An der japanischen Küste – | im Jahr 7379 ZGS
Am Ende der Welt – | im Jahr 20112 ZSG
Epilog | Heute – | am Ende der Welt
Raumschiff Rubikon 12 Perlen der Schöpfung
Am Morgen einer neuen Zeit.
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Epilog
Dieser Band enthält folgende Romane:
Alfred Bekker: Der Erste Reich
Manfred Weinland: Die Welten des Prosper Merimee
Marc Tannous: Der steinerne Himmel
Manfred Weinland: Perlen der Schöpfung
AM MORGEN EINER NEUEN ZEIT.
Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.
Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.
Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.
Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /COVER: DIETER ROTTERMUND
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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AM MORGEN EINER NEUEN Zeit.
Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.
Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.
Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.
Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden ...
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© by Author
© Cover: Nach Motiven von Pixabay, Adelind, Steve Mayer
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Nar’gog-System, Scobees Zeitebene – ca. 2450 n. Chr.
Felvert betrat die Steuer-Acht von Torstation 1. Im Kontrollzentrum der Station waren zahlreiche Felorer mit Überwachungsaufgaben beschäftigt. Holoprojektoren erzeugten einen Panorama-Blick über das Nar’gog-System. Linien, Farben und Kolonnen sich verändernder Symbole veranschaulichten eine Vielzahl von Parametern.
Raum.
Zeit.
Dimensionen.
All das wurde hier genauestens beobachtet, um die relative Sicherheit zu gewährleisten, in der sich die Heimat der Jay’nac befand. Aber der entartende, bizarre Mutationen hervorbringende Zeitfluss im Rest der Milchstraße blieb ein ständiger Quell der Sorge – sowohl für die felorischen Tormeister als auch für die anorganischen Jay’nac, deren Heimatwelt wie eine letzte Insel der Stabilität in dem temporalen Chaos anmutete.
Felvert bewegte sich in die Mitte des Raumes, dessen Grundfläche den Achten ähnelte, aus denen sein Körper bestand – zwei sich überschneidende Kreise, im weitesten Sinne –, der ansonsten eine wurmähnliche Form hatte.
„Es ist gut, dass du da bist“, sagte ein anderer Felorer, der intensiv an einer Konsole arbeitete. Boolvert hatte derzeit die Kontrollhoheit der Steuer-Acht inne.
„Was ist geschehen?“
„Das weiß ich noch nicht. Aber mehrere der anderen Stationen meldeten Daten mit minimaler Abweichung.“
„Eine temporale Erschütterung? Ich dachte, die könnte uns nichts anhaben. Nicht hier, innerhalb unseres geschützten Bereichs.“
„In diesem Punkt scheinen unsere bisherigen Erkenntnisse nicht ganz zu stimmen.“
„Wir sollten unsere Keelon-Verbündeten um Rat fragen.“
„Sicher.“
Boolvert drehte sich zu Felvert um. Der wurmartige Körper war dabei gerade aufgerichtet. Er besaß keine erkennbaren Sinnesorgane, aber dennoch eine Wahrnehmung, die so umfassend war, dass sie die Fähigkeiten der meisten bekannten Spezies bei weitem in den Schatten stellte. Die anorganischen Jay’nac eingeschlossen, in deren Dienst die Felorer standen.
„Nimm bitte die Werte zur Kenntnis, Felvert“, wandte sich Boolvert an den obersten Tormeister
„Das tue ich. Sie sind in meinem Mentalspeicher, aber ich bin etwas verwirrt. Hast du die bereits interpretiert?“
Boolvert verneinte. „Eine Interpretation möchte ich nicht wagen. Noch nicht. Aber ich habe ein Reihenmodell entwickelt, das uns zeigt, ob es möglicherweise gefährliche Tendenzen gibt.“
„Und? Gibt es sie?“
„Ja.“
Will Felvert mich auf die Probe stellen oder ist er tatsächlich so ratlos wie jeder gewöhnliche Tormeister?, fragte sich Boolvert. Letzteres wäre eine endgültige Bestätigung dafür, dass wir es mit einem absolut außergewöhnlichen Ereignis zu tun haben. In der temporalen Schutzzone des Nar’gog-Systems dürfte so etwas eigentlich gar nicht geschehen... Zu dumm, dass sich das Universum nicht an unsere Axiome hält!
„Dann werden wir das Phänomen weiter beobachten“, stellte Felvert klar.
„Jawohl“, bestätigte Boolvert.
„Ich möchte eine Verbindung zu allen anderen Stationen!“, verlangte Felvert und unterlegte diese Worte mit einer Reihe von Emissionen, die sich an verschiedene andere Sinne der anwesenden Felorer richteten.
Was als Zeichen der Entschlossenheit dienen soll, entpuppt sich als Menetekel der Ratlosigkeit!, erkannte Boolvert. Ein Schwall von Gedanken hielt sein Bewusstsein in Aufruhr. Konnte es sein, dass die felorischen Tormeister und ihre Helfer, die Keelon, irgendeinen temporal-physikalischen Faktor bei der Abschirmung des Nar’gog-Systems unbeachtet gelassen hatten? Die Missachtung irgendeiner Kleinigkeit reichte bereits aus, um für eine Katastrophe zu sorgen. Niemandem hätte das bewusster sein sollen als Wesen wie den Felorern oder den Keelon, die mit der Zeit und den Dimensionen jonglierten und die Realität durch Eingriffe in die Vergangenheit änderten.
Aber vielleicht sind wir zu selbstsicher und überheblich geworden!, überlegte Boolvert. Wir haben die Kräfte des Raumes und der Zeit nach unserem Gutdünken manipuliert und vielleicht holen uns jetzt die Folgen unserer Hybris ein ...
Ein weiterer Felorer meldete sich zu Wort und riss Boolvert aus seinen grüblerischen Gedanken. „Die Konferenzverbindung ist geschaltet, Felvert.“
Gestalten erschienen wie aus dem Nichts. Es handelte sich überwiegend um Felorer. Ein paar Keelon und Jay’nac waren allerdings auch darunter. Sie bildeten einen Halbkreis.
Felvert war bewusst, dass es sich um Hologramme handelte, die mittels einer Transmission in Echtzeit übertragen wurden. Das menschliche Auge hätte sie von der Realität nicht unterscheiden können.
„Es gibt minimale Abweichungen verschiedener Werte“, sagte Felvert. „Eine solche Instabilität dürfte es eigentlich innerhalb unseres Schutzbereichs nicht geben. Das Universum da draußen mutiert. Der Zeitfluss entartet, und das temporale Chaos erfasst alles. Dort sind die Abweichungen normal, aber nicht hier ...“
Unter den Hologrammen entstand ein aufgeregtes Gemurmel.
„Wir haben das natürlich auch registriert, aber sämtliche Werte lagen noch innerhalb der Toleranzgrenzen“, meldete sich einer der erschienenen Tormeister zu Wort.
„Sie müssten exakt mit den Vorgaben übereinstimmen“, gab Felvert zu bedenken. „Ich möchte also alle bitten diese Vorgänge zu beobachten. Es könnte sich um eine sich anbahnende, sehr ernste temporale Krise handeln.“
„Ist das dein Ernst, Felvert?“, fragte ein Felorer namens Gelenervert, der die Leitung der Torstation 2 innehatte. Er war bekannt dafür, mit kritischen Kommentaren nicht zu sparen und keinen Respekt vor Autoritäten zu kennen. „Könnte es nicht sein, dass es ich einfach um periodisch auftretende dimensionale Effekte oder Interferenzen mit Pararealitäten handelt? Du weißt, dass derlei Effekte auch von uns noch wenig erforscht wurden. Ich habe dazu ein Modell entwickelt, das auf 12-dimensionaler Mathematik beruht und eigentlich aussagekräftig genug sein müsste!“
Gelenervert!, durchfuhr es Felvert. Es ist doch immer dasselbe mit dir! Musst dich in den Vordergrund spielen. Aber dazu sollte man nicht unbedingt eine Krisensituation nutzen!
Felvert blieb sachlich. Keine seiner Sinnesemissionen ließ erkennen, wie tief die Verachtung war, die er für Gelenervert empfand, den er für einen anmaßenden Wichtigtuer hielt.
Diese ruhige Beherrschtheit erwartete man von Felvert. Schließlich war es ja durchaus auch möglich, dass doch etwas an Gelenerverts Einwänden dran war. In diesem Fall wäre es seine Pflicht gewesen, darauf einzugehen. Wenn Felvert jedoch ganz ehrlich war, dann wäre ihm nichts so lieb gewesen, als dass sich all die Bedenken, all die Befürchtungen als völlig unbegründet herausstellten.
Am besten, man sicherte sich nach allen Seiten ab. Mit dieser Devise war Felvert immer gut gefahren. Sein unbestrittener Führungsstatus unter den Felorern war der greifbare Beweis für die Richtigkeit dieser Haltung.
Das Hologramm von Gelenervert ließ neben sich ein zweites holographisches Fenster erscheinen, in dem vieldimensionale Diagramme erschienen, die die komplizierten Berechnungen veranschaulichen sollten.
„Die Gefahr einer ernsten Krise kann nicht übersehen werden. Sie liegt gegenwärtig bei 20 Prozent“, sagte Gelenervert. „Ich denke, dazu braucht man nicht viel mehr zu sagen.“
„Zwanzig Prozent? Das ist nicht viel“, behauptete einer der anderen anwesenden Felorer.
„Wenn es dabei bleibt“, erwiderte Gelenervert mit unterschwelligern, sehr ernsten Sinnesemissionen, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Gelenervert setzte eine Pause, ließ die Sinnesemissionen aber weiter auf seine felorische Umgebung. Ein Teil dieser Emissionen wurde durch die Holo-Übertragung herausgefiltert. Doch das, was mit der Transmission zu den Verantwortlichen der anderen Stationen gelangte, war mehr als ausreichend. „Aber wir wissen alle, wie leicht sich diese Tendenz-Werte verändern können“, sagte Gelenervert. „Ich habe außerdem Detailmessungen der Raumzeitstruktur vorgenommen und den dimensionalen Stabilitätsfaktor errechnet. Er liegt knapp unterhalb der Grenze, die wir für stabil halten. Aber dieser Grenzwert ist letztlich willkürlich, das wissen alle hier. Die Situation könnte man durchaus auch als Vorspiel zu einer Katastrophe interpretieren.“
„Was schlägst du vor?“, fragte Felvert.
Die Aufmerksamkeit aller war jetzt auf Gelenervert gerichtet. „Ich bin dafür, bereits prophylaktisch Gegenmaßnahmen zu unternehmen“, erklärte dieser. „Die dimensionale Stabilität sollte durch eine Erhöhung des primären Tempus-Faktors erhöht werden – und zwar bevor es zu spät ist und wir den Kollaps nicht mehr abwenden können.“
„Du bist ein Dunkelwahrnehmer, Gelenervert!“, schalt ihn Boolvert. Eigentlich wäre es Felverts Aufgabe, ihn zurecht zu weisen!, ging es ihm dabei durch den Sinn. Warum tut er es nicht? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er früher so konfliktscheu war. Oder steckt mehr dahinter?
Boolvert kannte Felvert gut genug, um sich über die jetzige Zurückhaltung des obersteten Tormeisters zu wundern. Aber er hatte durchaus eine Idee, woran das liegen konnte. Was, wenn die Abweichungen der temporal-kontinualen Konstanten damit zusammenhängen, dass sich innerhalb unserer Einflusszone etwas befindet, was nicht dorthin gehört. Etwas oder jemand. Boolvert fielen die beiden Organischen ein, die zusammen mit Porlac aus dem intergalaktischen Zwischenraum hierher ins Nar’gog-System gekommen waren.
Scobee und Siroona.
Eine geklonte Erinjij-Frau und eine alt gewordene Foronin, die Jahrhunderte in der Stasis verbracht hatte.
Was für ein sonderbares Paar!, dachte Boolvert. Vielleicht sind sie die Auslöser der minimalen Raumzeitanomalien, die sich trotz aller Stabilisierungsmaßnahmen in unserem Einflussbereich nachweisen lassen!
Boolvert überlegte, ob er dies offen ansprechen sollte. Und gleichzeitig tauchte die Frage in ihm auf, ob Porlac vielleicht angeordnet hatte, diese Symptome zu übergehen und unbequeme Fragen zu unterdrücken. Dass der Sprecher des Granogk sich in besonderer Weise um die beiden kümmerte war unverkennbar. In erster Linie galt das natürlich für das Individuum Scobee.
Fragt sich nur warum, dachte Boolvert . Es scheint tatsächlich so, als wüsste Felvert mehr als wir. Aber warum dieses Versteckspiel? Oder bilde ich mir das alles nur ein? Am Ende bin ich selbst der Dunkelwahrnehmer und mache mich unter den Tormeistern lächerlich ...
Was Gelenervert anging, so unterstellte Boolvert diesem durchaus nicht nur ehrenhaften Motive. Der Leiter von Torstation 2 wollte sich selbst in den Vordergrund spielen und demonstrieren, dass die Felorer sich eigentlich seiner fachlichen Autorität – und nicht der von Felvert – zu beugen hätten. Der Kompetenteste soll den Weg bestimmen, besagte das Gesetz der Felorer. Und als den Kompetentesten empfand Gelenervert natürlich sich selbst.
Persönliche Animositäten aller Art dürfen eigentlich keine Rolle spielen, überlegte Boolvert. Das ist etwas für primitive Spezies. Für Wesen wie dieses augenlose, alt gewordene Monstrum mit seinem konischen Schädel und der Lautmembrane, das sich Siroona nennt und von sich behauptet, einmal eine sogenannte Hohe gewesen zu sein.
Eine allgemeine, teilweise auch heftig geführte Diskussion setzte jetzt unter den Felorern ein. Was war zu tun? Wie sollte man auf die Messergebnisse reagieren? Sollte vielleicht am besten das Granogk, die Elite der Jay’nac, für weitere Instruktionen gefragt werden?
Die Argumente des Für und Wieder wurden ausgetauscht, bis schließlich Felvert dem Ganzen ein Ende setzte.
„Das führt zu nichts“, erklärte er. „Ich teile die Besorgnis, die hier zum Ausdruck gebracht wurde. Aber die richtige Handlungsweise erfordert zunächst eine zutreffende Analyse und dafür liegen einfach noch nicht genug Fakten vor.“
„Und wenn es zu spät ist, bis diese Fakten vorliegen und wir tatsächlich begreifen, was sich abspielt?“, erwiderte Gelenervert. Er schien keinen Respekt mehr vor der tormeisterlichen Kompetenz Felverts zu haben. Normalerweise begegnete man unter Felorern den Argumenten eines erfahreneren Meisters nicht mit einer geradezu herausfordernden Überheblichkeit, wie sie Gelenervert zu Eigen war.
Er überspannt den Bogen!, glaubte Boolvert. Es mag berechtigte Kritik an Felvert geben, aber niemand toleriert es, wenn der oberste Tormeister so behandelt wird.
„Ich habe ein paar Dinge zu berichten, die vielleicht mit den dimensionalen Anomalien zu tun haben könnten“, meldete sich eines der anderen Hologramme zu Wort. Es handelte sich um das von Shyylvert, dem Leiter der Torstation 5, der äußersten aller Stationen. Sie war dem weiten, kalten und temporal chaotischen Universum, vor dem sich die Jay’nac mit Hilfe der Felorer zu schützen gewusst hatten, am nächsten gelegen.
„Normalerweise lassen sich nur selten Jay’nac auf den Stationen blicken“, stellte Shyylvert fest. „Aber in letzter Zeit habe ich eine Veränderung festgestellt. Es waren einige Tormeister auf unserer Station, die mich darauf aufmerksam machten, dass sich mehr Jay’nac als sonst ihr Bewusstsein ordnen und mental von uns stabilisieren lassen.“
„Worauf willst du hinaus?“, fragte Felvert.
Shyylverts Hologramm bewegte sich nach vorn. Er wartete einen Augenblick, ehe er antwortete. „Wir wissen, dass sich Spannungen in der Raumzeit mehr oder minder stark auch auf die mentale Ebene auswirken, ohne, dass sich der Einzelne dessen bewusst sein muss. Er spürt nur, dass etwas nicht stimmt. Und uns ist auch bekannt, dass Jay’nac-Bewusstseine hier besonders sensibel sind ...“
„Du meinst also, das vermehrte Auftreten von Jay’nac, die ihr Bewusstsein von uns ordnen lassen, spricht für eine sich ankündigende Umwälzung im Temporalfluss?“, schloss Felvert. „Ehrlich gesagt, habe ich daran auch schon gedacht, denn auch auf Station 1 gibt es mehr Jay’nac als üblich. Aber im Moment werden wir nichts weiter tun können, als wachsam zu sein und gegebenenfalls schnell zu reagieren.“
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DIE HOLOGRAMME VERBLASSTEN, nachdem die Verbindung unterbrochen worden war. Felvert wandte sich an Boolvert. „Ich werde mich nach Nar’gog begeben“, kündigte er an.
„Um die Angelegenheit dem Granogk vorzutragen?“ vermutete Boolvert.
„Ja. Unter normalen Umständen hätte dazu eine holographische Transmission gereicht, aber durch mein persönliches Erscheinen will ich der Sache vor dem Granogk besonderes Gewicht verleihen.“
„Mentale Stärke sei dein Begleiter, Felvert“, wünschte Boolvert.
„Danke“, gab Felvert zurück. „Ich will mir nicht nachsagen lassen, Informationen nicht rechtzeitig an die Gesamtheit des Granogk weitergegeben zu haben. Vor allem möchte ich auch Porlac sprechen.“
„Ich nehme an, du wirst permanent mit der Station in Verbindung bleiben.“
„Natürlich.“
„Die Situation wird schwierig genug werden“, glaubte Boolvert. „Das Granogk könnte dir deine besondere Beziehung zu Porlac zum Vorwurf machen. Du weißt nicht, wie lange er Sprecher des Granogk bleibt.“
Felverts Erwiderung war ziemlich reserviert. Die begleitenden Sinnesemissionen machten das mehr als deutlich. „Ich bin durchaus in der Lage, mehrdimensional zu denken und habe deshalb all diese Faktoren längst in meine Berechnungen einbezogen.“
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BOOLVERT BRAUCHTE SICH nicht eigens umzudrehen, um wahrzunehmen, wie Felvert die Steuer-Acht verließ. Er ist gereizt, dachte er. Vielleicht nähert sich seine Zeit als oberster Tormeister einfach dem Ende. Kaum er einer hat dem enormen mentalen Druck, der damit verbunden ist, jemals so lange standgehalten wie er.
Boolvert verscheuchte diese Gedanken wieder so gut es ging und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Sein Dienst erforderte höchste Aufmerksamkeit.
Und auch als er abgelöst wurde, um sich mental auszuruhen, ließen ihn die Gedanken an das, was vielleicht auf sie alle zukam, nicht los.
Noch war nicht abzusehen, was wirklich dahinter steckte. Und selbst aufwändigsten Messungen und Berechnungen, die die Felorer jetzt mit Hilfe ihrer leistungsfähigen Rechner anstellten, gaben darüber noch keinen Aufschluss.
Die Schutzmaßnahmen, die man auf den Stationen ergriffen hatte, wurden wieder und wieder überprüft – ohne dass man irgendwelche Versäumnisse entdecken konnte.
Boolvert fühlte sich mental stark aufgeladen. Er konnte nicht sagen, woran das lag, schließlich hatte er innerhalb der letzten Zeiteinheiten keinem Jay’nac das Bewusstsein geordnet, was unter Umständen zur eigenen Überladung mit mentaler Energie führen konnte.
Dass es die Folgen der sich ankündigenden Veränderung waren, glaubte Boolvert hingegen nicht. Warum auch? Auf geistiger Ebene waren die Felorer äußerst robust. Unempfindlicher jedenfalls als die meisten anderen Spezies, die ihnen bekannt waren.
Für kurze Zeit sah Boolvert ein Bild vor sich. Ein Bild des Geistes.
Im Bruchteil einer Sekunde war es wieder verschwunden, und doch hatte es eine Eindringlichkeit, die dem Felorer einen Schock versetzte.
Eine entropische, völlig zerstörte Landschaft hatte er gesehen. Er hatte sofort das Zentralgestirn erkannt. Es war jene Sonne, um die Nar’gog kreiste. Da war er sich absolut sicher. Ein Felorer vermochte die genaue Zusammensetzung des Lichtes zu erkennen, das von einem Stern abgegeben wurde. Und diese Zusammensetzung war wie ein einmaliger Fingerabdruck.
Aber der dazugehörige Planet – Nar’gog – war nicht wiederzuerkennen. Eine vollkommene Ödnis. Das Silizium-Leben, das dort überall gewuchert hatte, war verschwunden. Nur noch totes Gestein war geblieben. Die Spuren des Einsatzes von schweren Waffen waren nicht zu übersehen.
Was soll das gewesen sein? Ein dummer Gedanke? Eine harmlose Vision, die zeigt, was man im Innersten fürchtet? Oder der flüchtige Blick des ungebundenen Bewussteins in eine fremde Dimension? Eine parallele Zeitlinie vielleicht, die unter geringfügig anderen Umständen auch hätte Realität werden können?
Boolvert war entschlossen, sich nicht noch weitere und tiefer gehende Gedanken darüber zu machen. Das war Unsinn. Niemand konnte Nar’gog angreifen. Schließlich war er geschützt und zu diesem Schutz trugen unter anderem die Felorer mit ihren Stationen bei.
Irgendwo im hintersten Winkel seines Bewusstseins meldete sich eine kritische Stimme, die ihn ermahnte, objektiv zu bleiben. Es war grundsätzlich immer besser, der Gefahr ins Auge zu sehen, anstatt ihr mental auszuweichen.
Zunächst zog sich Boolvert in seine Ich-Kapsel zurück. In dieser zylindrischen Schale aus einer besonderen Legierung namens Thomban verbrachte er einige Zeit, um eine schlafähnliche Meditation zur Reinigung des Geistes durchzuführen.
Die besondere Strahlung, die von der Innenbeschichtung der Kapsel emittiert wurde, sorgte bei Felorern für mentale Erholung.
Doch diesmal sorgte der Aufenthalt in der Ich-Kapsel für überhaupt keine Entspannung. Im Gegenteil. Immer wieder wurde er von wirren Visionen geplagt. Bilder, die nicht der Realität entsprachen. Eindrücke von Trümmerlandschaften, zerstörten Stationen und einem Planeten Nar’gog, der nichts weiter war, als ein verbrannter Materiebrocken, der einsam um seine Sonne kreiste.
Heißt das, eine andere Pararealität gewinnt an Wirklichkeit?, fragte sich Boolvert nicht zum ersten Mal. Oder liegen die Ursachen in meinem Bewusstsein? Muss ich mich vielleicht einer grundlegenden Mentalsortierung unterziehen, wie sie bei den Jay’nac so beliebt geworden ist?
Felorer nahmen diese Möglichkeit nur sehr selten in Anspruch. Eigentlich herrschte bei den meisten von ihnen die Meinung vor, dass ein Tormeister so etwas nicht nötig hatte und genug eigene geistige Disziplin besaß, um auf diese geistig stabilisierende Maßnahme verzichten zu können. Ehrenrührig ist es aber auch nicht!, rief sich Boolvert in Erinnerung, denn er hatte einfach das Gefühl, etwas tun zu müssen.
Nur was genau, war ihm nicht klar. Eine innere Unruhe dominierte ihn zunehmend.
Vielleicht wäre es gut, diesmal am Ritual des Austauschs teilzunehmen, dachte er. Boolvert hatte das schon längere Zeit nicht mehr getan. Das hatte mit vielen Dingen zu tun. Der wichtigste Aspekt war der, dass er sich in letzter Zeit mental nicht ausreichend aufgeladen gefühlt hatte, um einen Teil dieser Energie abzugeben.
Und genau das war beim Ritual des Austauschs unerlässlich.
Aber jetzt bist du mental so geladen wie selten – woran auch immer das liegen mag. Einen Augenblick zögerte er noch mit seinem Entschluss, diesmal tatsächlich das Ritual zu besuchen.
Du kannst dich nicht wirklich gedanklich von deiner Aufgabe lösen. Auch jetzt nicht, da du längst abgelöst bist und deinen Geist eigentlich regenerieren solltest. Aber wie soll das gelingen, wenn das Geheimnis dieser feinen Strukturveränderungen der Raumzeit wie ein Damoklesschwert über allem schwebt?
Aber war das nicht immer schon der Fall gewesen? War Nar’gog nicht ohnehin ein äußerst bedrohter Ort, der nur scheinbar eine sichere Festung darstellte? Eine Festung, die sich im Handumdrehen in einen letzten, verzweifelten Rückzugsort verwandeln konnte. Niemand wusste das besser als ein Felorer.
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BOOLVERT ERREICHTE den Ritualraum.
Ungefähr ein Dutzend Felorer hatten sich dort bereits eingefunden. Zwölf – diese Zahl galt als Minimum, aber theoretisch war es auch möglich, das Ritual mit nur zwei Teilnehmern durchzuführen.
Die anwesenden Felorer hatten sich in Form einer Ellipse positioniert.
„Es ist schön, dass auch du teilnehmen wirst“, sagte Hruusert, der bei den Felorern von Station 1 als Zeremonienmeister fungierte. „Du bist herzlich willkommen.“
„Meine Lebensenergie wird der Zukunft dienen“, erwiderte Boolvert. Das war die rituelle Formel. Schließlich ging es ja um nicht weniger als die Zeugung felorischen Nachwuchses.
Ein Singsang begann. Auf akustischer Ebene war ein Akkord von Brummlauten zu hören. Aber auf den anderen Sinnesebenen der Felorer wurden gleichzeitig ebenfalls Informationen ausgetauscht. Ein regelechter Wahrnehmungscluster ergab sich daraus für jeden Teilnehmer des Rituals. Manche dieser Sinne waren so speziell, dass sie nur Felorern zugänglich waren.
Jeder der Teilnehmer löste aus dem Verbund seines aus Achten bestehenden Körpers ein oder mehrere Elemente heraus. In dieses Element wurde die überschüssige mentale Energie umgeleitetet, bevor es in die Mitte geworfen wurde.
Für die Felorer war eine so geballte, inhomogene Ansammlung mentaler Energie durch mehrere ihrer speziellen Sinne wahrnehmbar. Diese Wahrnehmungen wurden im Bewusstsein von Felorern mit der Farbwahrnehmung verschaltet, sodass sie mentale Energie als Farbwolken sahen.
Die Anwesenden verfolgten aufmerksam, was mit den in die Mitte geworfenen achtförmigen Körperelementen geschah. Wie sie sich ordneten, formten, sich miteinander verbanden. Der Zeremonienmeister leistete dazu hin und wieder seinen Beitrag, indem er lenkend und ordnend eingriff.
Die Felorer vermochten die Bewusstseine anderer Spezies wie etwa der Jay’nac strukturell zu ordnen und waren natürlich bei ihrem eigenen Nachwuchs noch in viel höherem Maß daran interessiert, kein mentales Chaos zu produzieren, das sich letztlich nur störend auf die Allgemeinheit ausgewirkt hätte.
Die achtförmigen Elemente, die in die Mitte des Kreises geworfen worden waren, bewegten sich zunächst aufeinander zu und begannen schließlich damit, sich ineinander zu verhaken.
Was daraus schließlich entstand, war noch lange kein vollwertiger felorischer Körper.
Aber ein verheißungsvoller Anfang.
„Ich gebe dir den Namen Ooroonert, so lange, bis du in der Lage bist, dir selbst einen Namen zu wählen, der deiner Persönlichkeit entspricht“, sagte der Zeremonienmeister.
„Ooroonert!“, wiederholten alle Anwesenden.
Der kleine, nur aus wenigen Achterelementen bestehende Proto-Felorer bewegte sich und begann vorsichtig, die Umgebung mit seinen erwachenden Sinnen zu ertasten.
Für ein gewisses Grundwissen war durch den mental strukturierenden Einfluss des Zeremonienmeisters gesorgt worden. Aber die Persönlichkeit, das neue Bewusstsein musste sich erst finden. Die Struktur, in der sich die geistigen Energien zu bewegen hatten, war durch den Zeremonienmeister vorgegeben. Aber innerhalb dieser Grenzen war noch alles möglich.
„Ooroonert“, wiederholte der kleine Felorer seinen eigenen Namen und akzeptierte ihn damit vorläufig. So zumindest interpretierte dies die felorische Ritualordnung. „Ooroonert!“, sagte er noch einmal, diesmal lauter und dabei emittierte er eine Vielzahl von Eindrücken auf anderen Sinneskanälen, die nur für Felorer wahrnehmbar waren.
Der Singsang der zwölf Tormeister, die jeweils eines oder mehrere achtförmige Strukturelemente ihrer eigenen Körper für dieses neue Leben zur Verfügung gestellt hatten, schwoll an.
Ein Symbol für den Wunsch aller, dass dieser Jung-Felorer wachsen und gedeihen möge.
Vom Kleinen zum Großen. Von einzelnen Elementen, die aus unterschiedlicher Quelle kamen, zu einem vollständig ausgebildeten Felorer-Körper. Und vom untergeordneten Chaos mentaler Energie zu einer gefestigten Person, die wusste, dass ihre Persönlichkeit mehr ausmachte, als nur die Summe ihrer sortierten Einzelteile.
Aber das sind Feinheiten, Ooroonert!, dachte Boolvert wohlwollend.
Für einen kurzen Moment verblasste Ooroonerts Gestalt. Sie wurde durchscheinend.
Ein Schwall überraschter Äußerungen auf allen möglichen Sinneskanälen ging jetzt von den Anwesenden aus.
Ooroonert äußerte mehr oder weniger nur Angst und Verwirrung. Seine Existenz hatte gerade erst begonnen und schien bereits gefährdet zu sein.
Für einige Augenblicke verblasste sein kleiner Felorer-Körper so stark, dass er kaum noch sichtbar war.
Alle Anwesenden verharrten für einen kurzen Moment in ihrer Erstarrung. Lähmendes Entsetzen hatte sich in ihnen ausgebreitet. Die Diagnose für diese Krankheit ist eigentlich klar!, ging es Boolvert durch die Windungen der zahllosen achtförmigen Elemente, aus denen sein Körper bestand. Eine Krankheit, die uns alle befallen kann.
Realitätsverfall.
Temporaler Exitus.
„Dimensionsalarm!“, sagte Boolvert. Er nahm Kontakt zur Steuer-Acht auf. Der diensthabende Tormeister meldete sich. „Schwere temporale Krise! Es findet wahrscheinlich eine Überlappung mit einer Pararealität mit entsprechenden Resonanzphänomenen statt!“
„Maßnahmen sind eingeleitet. Die Realitätsstörung wurde lokalisiert! Wir könnten sie eliminieren. Es kann noch kein Bezug zu einer existierenden und überlappungsfähigen Pararealität festgestellt werden.“
„Nein, nicht eliminieren!“, schritt Boolvert ein.
„Aber warum nicht?“, fragte der Diensthabende. „Es ist die gefahrloseste Alternative.“
Boolvert fühlte sich, als ob jemand seine Achten auseinander gerissen und ins All geschleudert hätte. „Das mag sein, aber...“
Der Grund ist doch, dass er ein Teil von dir ist!, überlegte er.
Jetzt meldete sich Felvert von Nar’gog aus über das Kommunikationsnetz der Felorer zu Wort.
„Es muss eine paradimensionale Stabilisierung durchgeführt werden. Sofort. Eine sektorale Eliminierung könnte durchaus auch Folgen haben. Die Gefahr, dass unser Zeitfluss in einen Parastrom abgleitet, ist nicht zu unterschätzen ...“
Niemand widersetzte sich der Autorität Felverts.
Sein Wissen war so immens, dass selbst erfahrene Torwächter nur davon träumen durften, so sichere Entscheidungen treffen zu können. Und im Fall einer Krise verließen sich die anderen gerne auf ihn.
„In Ordnung“, sagte der Diensthabende in der Steuer-Acht von Station 1.
„Koordiniertes Vorgehen aller Stationen!“, ordnete Felvert an. „Wir erhöhen den Botan-Faktor um ein Drittel. Exakt in 12 Mikro-Zeiteinheiten. Ich erwarte Bestätigung von allen Torstationen.“
Die Bestätigungen trafen zeitgleich ein und wurden an Felvert übertragen. Für den Tormeister war es kein Problem, all diese Signale gleichzeitig zu verarbeiten. Multifunktionales Denken war eine Stärke seiner Spezies.
––––––––
WENIG SPÄTER WAR BOOLVERT auf dem Weg zur Steuer-Acht. In dem Moment, als er die Zentrale von Station 1 betrat, war ihm plötzlich sehr eigenartig zumute. Es fiel ihm schwer einen Gedanken zu fassen. Seine Sinne waren auf einmal so ... unscharf. Er vermochte seine Umgebung kaum noch wahrzunehmen.
Optisch verblasste sie – doch nicht nur auf diesem Sinneskanal machte seine Umgebung plötzlich einen sehr viel schwächeren Eindruck. So, als würde die Realität selbst allem entweichen, was mich umgibt!, erkannte er.
Aber in Wahrheit war es vielleicht auch genau umgekehrt, wie ihm wenig später drastisch demonstriert wurde. Mehrere Tormeister versuchten, Boolverts Körper mit ihren Sinnen zu erfassen. Signale der Verwunderung wurden emittiert. Verwirrung breitete sich aus.
„Was ist los mit Boolvert?“
„Er sieht wie eine temporale Krisengestalt aus.“
„Meine Achter-Elemente wurden erst vor 12 Standardzeiteinheiten zusammengelegt und mental gleichgeschaltet!“
„Deine Unerfahrenheit entschuldigt dich.“
„Stabilisierungsprozedur durchführen.“
„Durchgeführt.“
„Erfolg?“
„Negativ!“
„Wiederholen!“
„Verstanden.“
Boolvert hörte diese Stimmen wie aus weiter Ferne. Er stellte nur fest, dass er nicht mehr in der Lage war, sich im Raum zu bewegen. Lediglich die Dimension der Zeit schien ihm geblieben zu sein. Seine Sinne sorgten für eine verwirrende Selbstwahrnehmung, die ihn für Augenblicke daran zweifeln ließ, ob er überhaupt noch existierte. Ein schwacher Schatten des Seins selbst ... Mehr schien nicht mehr vorhanden zu sein.
Rein äußerlich wurde seine Gestalt durchscheinend. Die mentale Integrität zerfiel.
Für einen Moment wusste er nicht mehr seinen Namen.
Versuche dich an den Beginn deiner Existenz zu erinnern!, hämmerte es in ihm. Da Felorer während des Austausch-Rituals einige voll funktionsfähige achtförmige Körperelemente und genügend Bewusstseinsenergie der Ritualteilnehmer erbten, wurden sie mit einem Protobewusstsein geboren, dass bereits vom ersten Augenblick an Erinnerungen ermöglichte.
„Maßnahme erfolgreich!“, meldete jemand. „Systemweite Stabilisierungstendenz erkennbar. Aber es bauen sich Spannungen in der Raumzeit-Struktur auf. Wir werden es erneut mit Anomalien zu tun bekommen ...“
„Deprimierende Aussichten!“
„Tut mir leid, du kannst die Daten ja selbst überprüfen und schauen, ob du einen Grund findest, optimistischer in die Zukunft zu blicken.“
Im nächsten Moment hatte Boolverts Körper wieder Substanz gewonnen.
Etwas später war der Tormeister nahezu fassungslos. Dieses Gefühl, dass die eigene Existenz sich buchstäblich auflöste, war mit nichts zu vergleichen. Für einen Felorer war keine Form der Furcht vorstellbar, die tiefer ging und verstörender war. Viele Erzählungen und so manches Drama rankten sich in der felorischen Kultur gerade um diesen Punkt.
Wie begegnete man dem Faktum, dass man vielleicht innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne in das Stadium der Nicht-Existenz eintrat?
Es gab mathematisch-philosophische Schulen unter den Felorern, die es bevorzugten, dieses Thema völlig aus jedem Diskurs herauszuhalten.
Warum über etwas reden, das – in dem Moment, in dem es eintrat – unabwendbar war? Wozu auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwenden?
Gedanken, die bestenfalls lähmten, im schlimmsten Fall aber eine mental zerstörerische Wirkung ausübten?
Aber die Fragen, die damit zusammenhingen, sich der Tatsache zu stellen, dass die Existenz eines felorischen Lebens keineswegs endlos andauerte, waren offenbar so drängend, dass sie sich nicht auf ewig in den Hintergrund schieben ließen.
Diese Vorgehensweise funktionierte nur an der Oberfläche.
„Du bist wieder da, Boolvert“, stellte einer der diensthabenden Tormeister erleichtert fest. Es war allerdings nicht nur Mitgefühl, das in dieser Aussage mitschwang. Vielmehr fürchteten alle, dass Boolverts Fall bald weitere folgen würden.
––––––––
DAS JAHR 2552 N. CHR.
Eine Zahl ohne Bezug.
Zumindest hier, an diesem Ort, der so seltsam war, dass man ihn beinahe nicht als „Welt“ bezeichnen mochte.
Da waren Formen, Farben. Dinge, die sich veränderten und vage Konturen bildeten. Konturen, die vielleicht Gebäude waren, vielleicht aber auch Lebewesen.
Wie lange bin ich jetzt schon auf Nar’gog?, dachte Scobee. Man kann hier jegliches Zeitgefühl verlieren ...
Die „Stimmen“ des Granogk waren überall zu hören. Scobee ließ den Blick über die bizarren Formen schweifen. Jedwede nur denkbare geometrische Struktur war dabei. Die Elite der anorganischen Jay’nac ... Irgendetwas scheint sie zu beunruhigen.
Das Raunen unter den zum Granogk gehörenden Jay’nac wurde lauter, drängender. Scobee vermochte die Stimmen nicht auseinander zu halten. Sie bildeten ein Cluster, dem sie jedoch sehr wohl die vorherrschende Emotion zu entnehmen vermochte.
Auch Felvert schien beunruhigt. Der wurmartige, aus lauter Achten bestehende Körper des felorischen Tormeisters wirkte unruhig und war in ständiger Bewegung. Jedes einzelne Achter-Element schien davon auch für sich betroffen zu sein. Felvert nahm Kontakt mit einer der speziellen Tormeister-Stationen auf, die das Nar’gog-System schützten.
Aber über das, was er erfuhr, machte er keine Mitteilung.
„Was ist los?“, fragte Scobee.
„Das kann ich dir nicht sagen“, erwiderte Felvert.
„Weshalb nicht?“
„Noch ist die Lage unklar. Aber da ist ... etwas.“
„Wovon sprichst du?“
„Es findet eine Veränderung statt. Sobald ich Näheres darüber weiß, werde ich darüber sprechen.“
Diese orakelhafte Auskunft beruhigte Scobee nicht gerade.
In ihrer Nähe befand sich Porlac, der Sprecher des Granogk. Die Gesamtheit der Jay’nac-Elite begann sich immer deutlicher und drängender zu regen. Es sprach sich herum, dass da etwas vor sich ging, das sie vielleicht alle in Gefahr brachte.
„Das Granogk ist beunruhigt“, stellte Porlac fest und bewegte seinen anorganischen Körper etwas auf Scobee zu. Die GenTec stand inmitten dieser bizarren Menagerie aus anorganischem, auf Silizium basierendem Leben, wobei die Übergänge zwischen belebter und toter Materie und zwischen Lebewesen und Gegenständen fließend waren. Manche Raumschiffe, die auf den Landeplätzen standen, waren in Wahrheit gewaltige Jay’nac- Körper. Dasselbe galt für viele Gebäude. Man konnte sich nie sicher sein, ob man über einen Weg lief oder ob der feste Grund, auf dem man sich befand, nicht in Wahrheit Teil eines oder mehrerer Jay’nac-Individuen war.
––––––––
SCOBEE FIEL AUF, DASS sich Felvert etwas zurückgezogen hatte. Er wanderte hektisch zwischen den kristallinen Strukturen umher, die Nar’gogs Oberfläche mehr oder weniger vollkommen prägten – manche lebendig, andere so tot wie Stein.
Irgendetwas geht da vor sich!, ging es ihr durch den Kopf.
Sie warf einen kurzen Blick zu Siroona, der Angehörigen des ehemaligen foronischen Septemvirats, die jetzt nichts weiter als ein Schatten ihrer selbst war. Die Gedanken wanderten zurück in jene Zeit, als Siroona zusammen mit ihrem Gefährten Sobek und den anderen Hirten die oberste Instanz an Bord der RUBIKON, die von den Foronen SESHA genannt wurde, dargestellt hatte.
Allein der Gedanke an die ungeheuer machtvolle Präsenz Sobeks ließ Scobee unwillkürlich schaudern. Und selbst du, Siroona, bist vor ihm erstarrt, wenn du ehrlich bist. Obwohl er dein Gefährte war und du ansonsten loyal an seiner Seite gestanden hast.
Aber auch Siroona hatte eine für Menschen beängstigende Macht besessen, mit der sie ihrer Umwelt früher mühelos ihren Willen hatte aufzwingen können – vorausgesetzt, es ging nicht gerade darum, den noch mächtigeren Sobek zu beeinflussen, was ihr Zeit ihres Lebens misslungen war.
Eine Rüstung aus unzähligen Nanopartikeln umhüllte sie. Die Außenstruktur ähnelte einem Schwarm winziger Insekten, die sich dicht an sie drängten und ihren alt und gebrechlich gewordenen Körper fast wie ein Korsett stützten. Milliarden und Abermilliarden Nanopartikel mussten es sein. Ihre Zahl war unvorstellbar. Sie wogten wie ein Schwarm durcheinander. Im Moment wurde der Kopf freigegeben, aber ansonsten war sehr oft der komplette Körper von dieser Rüstung bedeckt.
Hast du eine Ahnung, was hier geschieht?, fragte Siroona auf telepathischem Weg.
Alle Foronen waren Telepathen. Oft waren die Gedankenimpulse so stark, dass sie Wesen mit schwächerer mentaler Präsenz durch einen Kontakt auch gleich den eigenen Willen aufzwangen. Die Botschaft wurde dann zum Befehl. Aber Siroona war nicht mehr so stark, auch wenn Scobee bei ihr sehr wohl das Bedürfnis spürte, andere zu kontrollieren.
Aber diese Zeiten waren wohl endgültig vorbei. Glücklicherweise, wie Scobee fand. Dennoch – manchmal hatten Siroonas Gedanken eine Schärfe, die Scobee körperliche Schmerzen verursachte.
„Ich habe keine Ahnung“, sagte Scobee.
Meine Sinne nehmen etwas wahr, das mich verwirrt, gestand Siroona. Ich kann es nicht näher erklären. Aber etwas stimmt hier nicht.
„Was sollte das sein?“
Vielleicht hat es mit dir zu tun.
„Ich verstehe nicht, was du meinst.“
Deine Präsenz wird schwächer. Und das in einem erschreckenden Ausmaß. Ich spüre es ganz deutlich!
Es fröstelte Scobee plötzlich. Sie hob ihre Hand und merkte, dass sie durch sie hindurch sehen konnte. So, als würde sie entstofflicht.
Ich löse mich auf!, durchfuhr es sie. Scobee begriff, dass das Gefühl innerer Kälte nicht mit einer körperlichen Reaktion auf die gemäßigte Außentemperatur zu tun hatte, die selbst in der Nacht auf Nar’gog herrschte.
Genau das meinte ich, äußerte sich Siroona. Aber mir geht es nicht besser. Auch ich verliere an Präsenz ...
„Fragen wir Porlac, was das zu bedeuten hat!“, schlug Scobee vor.
Ich glaube nicht, dass Porlac etwas zur Lösung des Problems beizutragen vermag!
Porlac war unterdessen noch immer in eine rege Kommunikation mit dem Felorer Felvert verwickelt, von der Außenstehende kaum etwas mitbekamen. Aber die Unruhe, die ohnehin schon im Granogk herrschte, verstärkte sich noch.
Scobee bewegte sich auf Porlac zu. Sie stellte fest, dass ihr jede Bewegung schwer fiel. Und vor allem hatte sie das Gefühl, unendlich viel Kraft aufwenden zu müssen, um überhaupt noch vorwärts zu kommen. Ich verliere den Kontakt zu meiner Umgebung!, wurde ihr klar. Mit anderen Worten, ich verschwinde langsam im Nichts. Werde ein Geist ohne Bezug zu Raum und Zeit, zu irgendwas ...
Sie erreichte Porlac schließlich unter Aufbietung all ihrer Kräfte.
Der Prozess der Entstofflichung war inzwischen weiter fortgeschritten. Auch die Beine und ihr gesamter Körper waren nun betroffen.
Sie sprach Porlac an, aber dieser schien sie zunächst nicht zu verstehen. Gleiches galt für Felvert.
Funktionierte ihr Translatorchip nicht mehr richtig?
„Wir verstehen dich kaum noch!“, drang schließlich Felverts Stimme in ihr Bewusstsein.
Wie aus weiter Ferne kamen seine Worte.
„Was soll ich tun?“
„Ich habe mit den Stationen Kontakt aufgenommen und alles Nötige veranlasst“, erklärte Felvert. Es folgten einige Sätze, von denen Scobee nichts verstand. Ob es an der mangelhaften Akustik lag oder an ihren eigenen Verständnismöglichkeiten, war ihr nicht so recht klar. Diese Frage schien ihr im Moment auch nicht weiter wichtig zu sein. Sie stellte fest, dass sie vor allem von namenloser Angst beherrscht wurde. Angst davor, sich vollkommen aufzulösen.
Auch das wird vorübergehen!, meldete sich eine Stimme in ihrem Bewusstsein, bei der sie sich nicht sicher war, ob sie aus ihr selbst kam oder ob vielleicht Siroona es war, die telepathischen Kontakt mit ihr suchte und ihre Gedanken kommentierte. Oder ob sie diese Worte vielleicht sogar tatsächlich GEHÖRT hatte.
Aber wer hatte sie dann ausgesprochen? Porlac? Felvert? Irgendein Jay’nac, der dem Granogk angehörte?
Eine weitere Frage stellte sich plötzlich: Wer ist Porlac?
Es fiel Scobee schwer, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen, abgesehen von der auf einmal beherrschenden Erkenntnis, dass sie sich an einem Ort befand, an dem sie eigentlich nichts zu suchen hatte.
Warum klammerst du dich also an deine Anwesenheit hier, wenn diese doch keine feste Wurzel mehr in der Kausalität der Ereignisse hat?, ging es ihr durch den Kopf.
Ein Kopf, der kaum noch zu sehen war, so durchscheinend wirkte er auf Betrachter. Du musst loslassen ... Die Reste deines Bewusstseins werden sich zerstreuen, als hätte es dich nie gegeben. Aber was ist so schlimm daran? Es wird erholsamer sein, als ein langer Schlaf. Es wird sein wie vor deiner Geburt – wenn man den Beginn deiner Klon-Existenz der Einfachheit halber einmal so bezeichnen will.
Ein Strom aus Bildern, Gedanken und Empfindungen wirbelte in Scobees Innerem durcheinander. Manche davon schienen mit ihr zu tun zu haben. Andere erschienen ihr sehr fremd, und sie war sich nie sicher, ob es sich um Erinnerungssplitter ihres eigenen Lebens oder um fremde Bewusstseinsbruchstücke handelte, die aus irgendeiner Laune heraus in ihre Seele gespült worden waren und jetzt wie in einem Kaleidoskop durcheinander gewirbelt wurden.
Mentales Strandgut.
Sie sah sich selbst an Bord der einstigen Foronenarche, zusammen mit John Cloud und den anderen Mitgliedern der Crew. Unter anderem Jarvis und Resnick – geklonte GenTecs wie sie.
Moment mal...
Auch Jiim und ein Gloride befanden sich an Bord. Da sich die androgynen Gloriden äußerlich kaum voneinander unterschieden, vermochte Scobee nicht zu sagen, um wen es sich handelte.
Aber eines wusste sie.
Resnick gehört nicht dorthin. Er war damals schon lange tot. Und was ist mit Jarvis Nanokörper?
Jarvis’ Bewusstsein war in die einstige Rüstung des Foronen Mont transferiert worden. Er war seitdem – zumindest im physiologischen Sinn – kein Mensch mehr, sondern hatte diese aus Abertrillionen Nanopartikeln bestehende, amorphe Hülle als seinen neuen Körper angenommen.
Aber in der Vision, die Scobee jetzt hatte, sah er aus wie ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Und das ganz offensichtlich nachdem Jiim an Bord kam. Das ist nicht möglich. Was soll das? Ein alternativer Zeitstrom?
Scobees Verwirrung nahm zu, als sie feststellte, dass auch andere dieser Bilder und kleinen Szenen nicht mit ihrer Erinnerung in Überreinstimmung zu bringen waren.
Sie sah sich selbst an Bord einer RUBIKON, die sich hundert Jahre vor Scobees aktueller Gegenwart auf dem Weg zur Erde befand.
Die Ortungsanzeigen, die auf der Holosäule in der Zentrale angezeigt wurden, ließen diesbezüglich keinen Zweifel gelten. Scobee veränderte ein paar Einstellungen. Eine Woche noch, bis wir die Erde erreichen. Das Solare System. Die Heimat der Menschen, die man in weiten Teilen der Galaxis als Erinjij verachtet hat ... Sie teilte die Spannung, die alle an Bord empfanden. Was ist aus der Erde in den vergangenen Jahrtausenden (Jahrtausende?!) geworden? Was aus der Galaxis, die von den Erinjij zu einem Gutteil förmlich überrannt wurde?
Die Szene wurde abgelöst von anderen, die sich vielleicht irgendwann einmal ereignen mochten oder hätten ereignen können.
Eine Menagerie der Möglichkeiten.
In immer schnellerer Folge lösten sie einander ab. Splitter aus Dutzenden von alternativen Zeitlinien. Immer absurder erschienen sie ihr.
In einem dieser Szenarios sah sich Scobee auf dem Mars. Sie öffnete einfach das Visier ihres Helms. Die Atemluft entwich mit einem Knall. Zwischen einem und acht Millibar schwankte der Luftdruck des Mars, was einem Vakuum sehr nahe kam. Sie rang nach Luft und glaubte einige Momente lang, ihr würden durch den Unterdruck die Lungen aus dem Leib gerissen. Die Kälte von minus siebzig Grad dämpfte die Schmerzen. Alles begann sich um sie zu drehen wie in einem Strudel. Bald waren keinerlei Formen mehr erkennbar, nur noch Farben. Alle Sinneseindrücke verschwammen zu einem Brei aus Farben und Tönen. Der Gesang der Ewigkeit, dachte sie. Der letzte klare Gedanke, zu dem sie fähig war.
Sie wehrte sich nicht gegen den Prozess der Selbstauflösung.
Warum auch?
Alles schien so leicht, so gleichgültig.
Dann tauchte unverhofft eine Frage auf: Wer ist Scobee?
Dunkelheit legte sich über sie und hüllte sie wie in ein schwarzes Tuch ein.
Dunkelheit und ...
... absolute Kälte.
Der Eiswind der Zeit.
––––––––
SIROONA HATTE DAS BOHRENDE Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Sie befand sich in einem düsteren Thronsaal – dem Machtzentrum eines gigantischen Reiches, das sie zusammen mit Sobek regierte. Es umfasste weite Bereiche der Milchstraße und man schickte sich gerade an, die Große Magellansche Wolke, die alte Heimat der Foronen zurückzuerobern.
Sobek war vollkommen von seiner Rüstung bedeckt. Es war eine Nanorüstung völlig neuen Typs. Die Partikel, aus denen sie bestand, waren nicht anthrazitfarben, sondern blutrot. Seine Präsenz wurde durch diese Rüstung noch verstärkt. Auf dem gesamten Zentralplaneten war es vollkommen unmöglich, sich seinem Willen zu widersetzen.
Allein Siroona konnte wenigstens ihre Meinung gegenüber der Nummer eins unter den Hohen Sieben äußern.
Die Entscheidungen traf zumeist Sobek allein, sofern er ihr nicht in einem bestimmten Bereich vollkommene Freiheit ließ. Und diese Bereiche waren im Laufe der Zeit immer größer geworden, was mit den Ausmaßen des Imperiums zusammenhing, dass sie errichtet hatten.
Es gab niemanden, der Sobek traute. Niemanden außer Siroona. Und so blieb sie die Einzige, an die er tatsächlich bereit war, Aufgaben zu delegieren.
Ein Gefühl von Macht, Stärke und mentaler Präsenz durchströmte sie. Dieses Gefühl hatte sie lange nicht gekannt. Zuletzt vor Beginn ihres Staseschlafs an Bord der einsamen Station mitten im Leerraum zwischen Andromeda und der Milchstraße. ..
Siroona stutzte.
Ihr war sofort klar, dass sich die Erinnerung an den Staseschlaf nicht mit der Szenerie im Thronsaal vereinbaren ließ.
Zwei Realitäten. Zwei unterschiedliche Zeitlinien. Wann haben sie sich getrennt? Welche Fehler habe ich gemacht? Kann das Alter jener Siroona, die Sobek als Begleiterin und Mitherrscherin zur Seite steht, etwa nichts anhaben?
Der Anzug war in diesem Punkt des Rätsels Lösung.
Siroona besaß ebenfalls eine der neueren roten Rüstungen, und das war wohl der Hauptgrund dafür, dass sie sich so stark fühlte, schließlich waren die Auswirkungen des Alterns nicht einmal für Foronen auf die Dauer zu umgehen.
Aber dann wandelte sich die Szenerie.
Siroona versuchte etwas zu sagen. Sie wollte eine mentale Botschaft an Sobek senden, doch das war nicht möglich. Wie eine Statue hatte Sobek auf seinem Thron Platz genommen.
Warum hörst du mich nicht?
Er blieb taub für ihre mentalen Signale. Taub – und eigenartigerweise wirkte seine Präsenz auf einmal wie abgedämpft. So sehr Siroona sich auch bemühte, ihre Sinne nach ihm tasten zu lassen – es wollte ihr einfach nicht mehr gelingen.
Sobek!
Sobek erhob sich. Er fuhr das Kopfteil seiner rot flimmernden Rüstung zurück, sodass sein augenloses Foronengesicht zum Vorschein kam.
Er scheint irritiert zu sein.
Aber Siroona schalt sich schon im nächsten Moment eine Närrin. Sie hatte nicht den Hauch eines mentalen Kontaktes. Wie konnte sie also beurteilen, was in Sobeks Gedanken vor sich ging?
Gar nicht. Du hast seine Erscheinung, die Bewegungen, sein Gesicht überinterpretiert. Es gibt keinen Anhaltspunkt für deine Annahmen ...
Diese Erkenntnis war für Siroona absolut niederschmetternd.
Vernichtend.
Sie vermochte sich nicht mehr zu bewegen. Erst dachte sie darüber nach, ob es an ihrem Körper lag, der schließlich in der roten Rüstung ebenso gebrechlich geblieben war, wie sie es aus jener anderen Ebene kannte, deren Existenz sich mit dem, was sie gerade erlebte, so wenig vereinbaren ließ.
Aber dann begriff sie, dass es an etwas anderem lag. Sobek – dessen Gesicht genauso alt und verfallen wirkte wie das ihre, ging auf sie zu – und schließlich durch sie hindurch.
Sie war schlicht und ergreifend gar nicht vorhanden. Existierte nicht in der gleichen Raumzeit wie dieser Thronsaal und die Raumzeitparallele, zu der er gehörte.
Im nächsten Moment befand sie sich wieder im Staseblock an Bord der RUDIMENT-Station im intergalaktischen Raum. Sie sah Scobee vor sich, war aber unfähig etwas zu sagen. Im Staseschlaf foronischer Prägung blieb man bei Bewusstsein. Man bekam alles mit, was in der Umgebung geschah.
Vorausgesetzt, es geschah überhaupt etwas.
Die meiste Zeit über hatte sich buchstäblich nichts ereignet, und sie war nahe dran gewesen den Verstand zu verlieren.
Welche Realität gilt jetzt?, fragte sich Siroona. Oder ist es am Ende gar so, dass sie sich ALLE auflösen? Kann man selbst unter Umständen noch glauben zu existieren, während man in Wahrheit schon gar nicht mehr vorhanden ist? Bin ich vielleicht nur ein kleiner Informationsrest in einem morphogenetischen Feld? Ein paar verirrte Gedanken aus einer Schattenwelt, die keine Möglichkeit mehr hat, Realität zu werden und einen Zeitstrom zu dominieren?
Siroona in ihrem Staseblock konnte beobachten, wie die vor ihr stehende Scobee langsam verblasste und schließlich verschwand.
Sie entmaterialisierte.
Nicht einmal ein Hauch ihrer ehemaligen Präsenz ließ sich noch wahrnehmen.
Nein!, durchfuhr es Siroona, denn ihr begannen die Konsequenzen zu dämmern.
Ein Zeitstrom wurde aus der Vielfalt des Multiversums getilgt. Und mit diesem Zeitstrom schien unglücklicherweise ihre eigene Existenz verknüpft zu sein.
Die Konturen ihrer Umgebung veränderten sich. Auch die Präsenzen, die sie spürte. Aber diese Wahrnehmungen waren so furchtbar schwach.
Ein primitiver Organismus wie ihn für Siroonas Maßstäbe der geklonte Körper von Scobee darstellte, hätte die Szenerie vielleicht wie den Blick durch eine zunehmend getrübte Linse wahrgenommen.
Nur hatte Siroona keine Augen, die solche Effekte zugelassen hätten.
Aber ihre eigenen Sinne wurden auf ganz ähnliche Weise getrübt, bis fast nichts mehr erkennbar war.
Es wurde dunkel.
Die Wahrnehmung wurde zeitweilig wieder besser.
Sie hatte fast den Eindruck, als ob zumindest ein paar Lebensgeister sowohl in ihren Körper als auch in ihr Bewusstsein zurückgekehrt wären.
Die Gestirne leuchteten am Himmel. Und Stimmen waren von überall her zu hören. Geistige Stimmen, die zu kristallinen Wesen mit hohem Siliziumgehalt gehörten.
Nar’gog!, erkannte sie. Ich bin wieder unter den Jay’nac
Aber gehörte nicht auch Scobee hierher?
Sie wusste es nicht mehr genau. Ebenso wenig hätte Siroona in diesem Augenblick sagen können, was sie eigentlich auf dieser bizarren Welt zu suchen hatte, von der lediglich der Name durch ihr Bewusstsein geisterte.
Nar’gog.
Zwei Kräfte stritten sich in ihrem Bewusstsein. Da war einerseits die Agonie, die immer mehr von ihr Besitz zu ergreifen drohte. Gleichgültigkeit, die sich wie Mehltau über ihren Geist legte und diesen fast ebenso immobil und lethargisch machte, wie es mit ihrem Körper schon geschehen war.
Die andere Regung, die sich immer deutlich zu Wort meldete, war Auflehnung, Kampf um die eigene Existenz. Der verzweifelte, aber daher auch um so entschlossene Wille, die eigene Existenz nicht aufzugeben und die Integrität des Bewusstseins zu bewahren.
Aber das war schwierig.
Alles drohte ihr aus dem Griff zu geraten.
Einfach zu entgleiten.
Ihre Kräfte schienen nicht auszureichen, um das, was ihre Persönlichkeit ausmachte, länger festzuhalten.
Es wird vergebens sein!, ging es ihr durch den Kopf. Du wirst dein Leben nicht bewahren können. Aus irgendeinem Grund ist deine Existenz in diesem Seitenzweig der Realität offenbar nicht vorgesehen.
Sie schien auf einen toten Ast in der Entwicklung des Kosmos geraten zu sein. Einen toten Ast der Zeit, der entweder aus der Laune eines missgünstigen Schöpfers oder aus purem Zufall nicht mehr fortgesetzt werden würde.
Die Gründe waren eigentlich gleichgültig. Entscheidend war nur das Faktum an sich.
Vielleicht ist es das Beste, sich damit abzufinden!, dachte Siroona. Was ist so schlimm am Zustand der Nicht-Existenz? Bedeutet er nicht auch eine Befreiung von Schmerz und Sorge? Eine Befreiung von all dem, was einen niederdrückt? Ist das Nichts nicht letztlich die höchste Form des Glücks, auch wenn jede Existenzform sich zunächst beharrlich weigert, dies anzuerkennen?
Frieden begann Siroonas Bewusstsein mehr und mehr zu erfassen. Vielleicht zum ersten Mal seit Beginn ihrer Existenz.
Es war der Frieden des Todes.
––––––––
FELVERT HATTE SEHR schnell begriffen, was vor sich ging. Eine starke temporale Krise war im Gange. Und außerdem brach ein Parasturm ungekannten Ausmaßes über das gesamte System herein. Dass beides in irgendeiner Form miteinander in Zusammenhang stand, lag für den Tormeister im Erfassungsbereich seiner Sinne.
Aber was nun eigentlich die Ursache beider Phänomene war, konnte bisher nur Gegenstand von Spekulationen sein.
Über ein Kristallmodul war der Felorer ständig über alles informiert, was auf den Stationen geschah. Sämtliche Daten, die dort eingingen, kamen auch ihm zu. Und da er in permanenter Verbindung mit den jeweils diensthabenden Tormeistern stand, konnte er jederzeit in das Geschehen eingreifen.
Erste Maßnahmen hatte Felvert bereits angeordnet.
Niemand würde diesen Anordnungen widersprechen, was weniger in der Autorität irgendeines Amtes begründet lag, als vielmehr in dem Umstand, dass man ihm am ehesten zutraute, eine Lösung für die auftretenden Probleme parat zu haben.
Eigentlich müsste ich die Ursache längst erkannt haben, aber die kristallisiert sich nicht klar heraus!, überlegte der Felorer verzweifelt. Wenn Informationen fehlen, die eigentlich unerlässlich sind, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können, bleibt nichts anderes übrig, als der Intuition zu folgen!
Genau das tat Felvert. In kritischen, nicht durchschaubaren Situationen hatte er es oft so gehalten. Und meistens dabei richtig gelegen.
Aber diesmal war es besonders schwierig. Die temporalen Stabilitätsparameter waren in einem permanenten Sinkflug begriffen.
„Wir haben eine deutliche Parallele, die unsere Existenz gefährdet!“, meldete Boolvert von Station 1.
„Wodurch wird sie verursacht?“, wollte Felvert wissen.
„Das haben wir bislang nicht herausfinden können. Aber die temporale Entropie erreicht einen Maximalwert, den wir seit der Abschirmung des Nar’gog-Systems noch nicht gemessen haben!“
„Es muss aber eine temporal klar umgrenzte Kausalitätszone geben“, erklärte Felvert.
„Die Kausalitätszone liegt etwa 132 Standard-Chronopotenziale in der Vergangenheit...“
„Also 95 Sonnenumläufe von Nar’gog“, echote Felvert. Das war immerhin ein Anfang. Ein Punkt, an dem man ansetzen konnte.
„Felvert, ich glaube allerdings, dass sich die Parallele schon früher gebildet hat“, meinte Boolvert. „Sie besaß nur bisher einen zu geringen temporalen Relevanzfaktor, um unserer eigenen Existenz gefährlich werden zu können.“
„Trotzdem werde wir ein Abwehrfeld mit einer temporalen Tiefenwirkung von genau 132 Standard-Chronopotenzialen einsetzen“, verlangte Felvert.
„Aber die Parallele existierte bereits früher!“
„Wie weit früher?“
„Das lässt sich nicht ermessen!“
„Das kann nicht sein!“
„An unseren Messwerten gibt es keinen Zweifel.“
„Aber wenn es zutrifft, was du gesagt hast, existierte die temporale Störung bereits zu Beginn des Universums!“
„Eine absurde Schlussfolgerung. Und doch scheint es die einzige Erklärung zu sein!“
Felvert zögerte. Die Vehemenz mit der Boolvert seinen Standpunkt vertrat, irritierte ihn. Eigentlich war das unüblich unter Felorern. Felvert war schließlich ihr oberster Tormeister.
Der Fähigste sollte in Zeiten der Krise die Führung ausüben. Niemals war daran unter Felorern gezweifelt worden. Alle anderen Kriterien mussten im Krisenfall in den Hintergrund treten.
Was bezweckt er damit?, fragte sich Felvert. Glaubt er, er kann sich damit hervortun und für höhere Aufgaben empfehlen? Wohl kaum.
„Führt die Maßnahme durch, die ich angeordnet habe!“, beharrte Felvert.
„Wir werden keine vollständige Restabilisierung erreichen“, gab Boolvert zu bedenken.
„Das mag sein“, erwiderte Felvert. „Aber wir erreichen überhaupt eine Stabilisierung. Für mehr reicht die Energie ohnehin nicht. Möglicherweise werde ich in einem zweiten Schritt die volle Stabilität wiederherstellen.“
Einige Augenblicke vergingen.
„Befehl ist ausgeführt“, meldete Boolvert.
„Auf allen Stationen?“
„Ja, Felvert.“
„Wie sind die gemessenen Werte für Paraenergie?“
„Sie steigen.“
„Das kann nicht sein!“
„Das tun sie aber.“
„Eigentlich müssten die Werte sofort nach Einleitung der Maßnahmen zurückgehen.“
„Station 3 meldet bereits mehrere Fälle von Bewusstseinsstörungen. Ein Teil unserer Tormeister wird über kurz oder lang nicht mehr einsatzfähig sein.“
In Felverts Gedanken – ein Hirn im klassischen Sinn besaß er nicht – wirbelte jetzt alles durcheinander.
„Da fegt ein Parasturm über uns hinweg, der sich von allen anderen unterscheidet, die wir jemals erlebt haben“, äußerte sich Boolvert. „Es ist gut möglich, dass wir alle wahnsinnig werden, wenn wir das hier überleben.“
„Das Risiko müssen wir in Kauf nehmen.“
„Was unsere Gegenmaßnamen angeht, so habe ich Kontakt mit unseren Keelon-Verbündeten aufgenommen. Sie sind derselben Ansicht wie ich. Wir müssen die Sache auf einer breiteren temporalen Basis angehen, sonst schaffen wir es nicht!“
Felvert spürte Ärger in sich aufkommen. Und das, obwohl Emotionen in Situationen wie dieser tunlichst zu vermeiden waren, wie es eigentlich auch dem Kodex der Tormeister entsprach.
„Wenn die Keelon eine Lösung vorschlagen, bin ich gerne bereit, darauf einzugehen. Aber ich glaube, dass sie sich direkt an mich gewendet hätten, wenn dem so wäre. Dass sie das nicht getan haben, zeigt, dass sie genauso ratlos sind wie wir!“
––––––––
EIGENTLICH MÜSSTE ICH auf Station 1 zurückkehren und selbst nach dem Rechten zu schauen!, dachte Felvert. Sein Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen Tormeister war nicht sonderlich ausgeprägt.
Aber eine Rückkehr per Shuttle war unter den gegebenen Bedingungen nicht ungefährlich.
Porlac befand sich ganz in der Nähe. Er hatte Siroona und Scobee zeitweilig verblassen und sogar verschwinden sehen. Aber Ähnliches stellte er auch an sich selbst fest. Zeitweilig war er kaum in der Lage, sich zu bewegen. Er sah eine völlig zerstörte Planetenoberfläche vor sich, als wäre ein Fegefeuer der schlimmsten Art über die Jay’nac hinweggefegt.
Dann tauchten all die anorganischen Lebensformen wieder auf. Auch das Granogk, dessen Gesamtheit gleichzeitig Elite und Herrschaftsorgan dieser Spezies war.
„Porlac, hilf uns!“, hörte er das Granogk rufen.
„Du bist der Einzige, der einen Weg weiß!“
Schön wär’s, dachte Porlac. Aber die Ratlosigkeit des Torwächters Felvert war ihm nicht verborgen geblieben. Felvert hatte ihn hier auf der Oberfläche aufgesucht, um die Problematik zu besprechen, die möglicherweise durch die pure Existenz von Siroona und Scobee hier auf Nar’gog ausgelöst worden war.
Aber noch bevor Porlac alles erfahren hatte, war das paranormale Inferno hereingebrochen.
Porlac spürte die gewaltigen, mental hoch wirksamen Energien, die jetzt, während der temporalen Krise, in den geschützten Bereich vorzudringen vermochten.
Solange konnten wir uns vor der Entartung der Zeit schützen, aber das scheint jetzt vorbei zu sein!, dachte Porlac.
„Unsere Existenz!“
„Es verschwinden so viele!“
„Unternimm etwas, Porlac!“
„Wie soll er etwas unternehmen? Niemand von uns kann das!“
Sie haben Recht!, dachte Porlac. Ich kann nichts tun, außer abzuwarten und darauf zu vertrauen, dass die Torwächter in Zusammenarbeit mit den Keelon das Richtige tun.
Gerade in diesen Augenblick verschwanden Scobee und Siroona völlig.
Es blieb nichts von ihnen. Sie verblassten einfach.
Porlac ertappte sich dabei, dass bereits im nächsten Augenblick der Gedanke in seinem Bewusstsein auftauchte, ob es die beiden überhaupt je nach Nar’gog verschlagen hatte.
Die Temporalkonstante sorgte dafür, dass Erinnerungen, die sich aus einer anderen Zeitebene eingeschmuggelt hatten, innerhalb kürzester Zeit kaum noch abrufbar waren.
Das galt auch für Felorer. Zudem sorgte der starke Parasturm dafür, dass im Moment wohl kein Felorer seine geistigen Kräfte so zu konzentrieren vermochte, dass vorhandenes Potenzial wirklich ausgeschöpft wurde.
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EINER DER HERZMUSKELFÖRMIGEN Keelon, die sich derzeit im Nar’gog-System befanden, hatte sich zur Steuer-Acht von Station 1 begeben.
Boolvert nahm ihn deutlich wahr und schien im Gegensatz zu einigen Felorern nichts von seiner Agilität verloren zu haben. Für Boolvert unterschieden sich die Keelon kaum voneinander – selbst dann, wenn man alle Wahrnehmungskanäle zur Identifizierung heranzog. So kam Boolvert nicht auf den Namen seines Helfers. Aber es war ihm auch zu peinlich danach zu fragen.
Boolvert schirmte reflexartig seine Sinne etwas ab. Die fleischige Erscheinung des Keelon wirkte für das verfeinerte ästhetische Empfinden des Felorers eher abstoßend, sodass die Tormeister sie sich nur in möglichst abgeschwächter Form zumuteten. Sie schirmten einfach einen Teil ihrer Sinne ab, um nicht in unerträglich geballter Form mit den körperlichen Eindrücken eines Keelon konfrontiert zu werden. Mit der Wertschätzung, die die Felorer andererseits für die Fähigkeiten dieser Spezies empfanden, hatte das nichts zu tun.
„Wir haben die Frage, wie wir dem aufgetretenen Problem begegnen könnten, noch einmal diskutiert“, erklärte der Keelon.
„Heißt das, ihr teilt meine Ansicht, dass wir temporal einen breiteren Wirkungsgrad anstreben sollten?“
„Nein“, widersprach der Keelon. „Wir sollten genau das Gegenteil tun.“
„Das kann nicht euer Ernst sein!“, entgegnete Boolvert fassungslos. Hatte er sich so irren können? Die Fähigkeiten der Keelon zu Temporalmanipulationen war einzigartig. Es war also vielleicht ein Gebot der Klugheit, auf sie zu hören.
„Wir schlagen die Konzentration auf den Ursprungsbereich der unsere Realität überlagernden temporalen Alternative vor. Unsere Berechnungen haben ergeben, dass dann ein maximaler Effekt zu verzeichnen ist.“
Boolvert war unschlüssig.
Der Keelon übergab ihm einen Datenkristall. Boolvert aktivierte ihn. Eine Holoprojektion bildete sich, und die Berechnungen der Keelon wurden mit komplizierten Diagrammen veranschaulicht. Die verwendeten Zeichen waren dabei bereits in den Code der Felorer übertragen worden.
Boolvert ging die Berechnungen der Keelon im Einzelnen durch. Und wie man die Sache auch drehte und wendete – der Weg, den sie vorschlugen, hatte einen höheren zu erwartenden Erfolgsfaktor als das, was Felvert angeordnet hatte.
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BOOLVERT VERSUCHTE Kontakt mit Felvert aufzunehmen. Aber das war aus irgendeinem Grund nicht möglich.
„Gibt es eine Störung im Kommunikationssystem?“, fragte Boolvert einen der anderen diensthabenden Tormeister.
Doch dieser verneinte.
„Alles funktionierte einwandfrei. Die temporalen Störungen und der heranziehende Parasturm wirken sich auf die Kommunikation nur unwesentlich aus.“
Wenig später gelang es doch noch, Kontakt zu Felvert herzustellen. Aber er war ganz offensichtlich nicht mehr bei Sinnen und sandte nur wirre Äußerungen an die Station.
Jetzt liegt es an mir!, erkannte Boolvert.
„Die Keelon haben Recht“, entschied er. „Wir werden es auf diese Weise versuchen. Und falls das nicht klappt, werden wir alle vielleicht nichts weiter als Seelenschatten sein, deren letzte Gedanken sich in der Unendlichkeit verlieren.“
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WER?
Ich.
Niemand.
Erwachen.
Licht.
Ein großes rundes Licht, das über den Horizont kroch.
Sie glaubte, es schon einmal gesehen zu haben. Sicher war sie sich aber nicht. Die vermeintliche Erinnerung vermischte sich mit so vielen anderen Eindrücken, dass es ihr unmöglich war, sich auf einen Gedanken zu konzentrieren.
Ein Name fiel ihr ein.
Scobee.
Und dann war es plötzlich ganz leicht. Die wirren Gedankensplitter begannen sich zu ordnen. Bilder, Szenen, Erinnerungen rekonstruierten sich.
Jetzt erst hatte Scobee tatsächlich das Gefühl zu erwachen, obwohl sie ahnte, dass sie schon eine ganze Weile zwischen all den seltsamen kristallinen Formen stand und in Richtung Horizont blickte.
Dorthin, wo sich große Licht als orangerote Kugel zeigte.
Die Sonne Nar’gogs!, erkannte sie.
Fast ein wenig ungläubig betastete sie ihren Körper, so als fiele es ihr schwer, die eigene Existenz als gegeben hinzunehmen. Du existierst noch! Was immer auch geschehen sein mag – mehr kannst du unter diesen Bedingungen wohl nicht erwarten!
Nach und nach kehrte all das in ihr Bewusstsein zurück, was letztlich ihre Person ausmachte. Auf einmal war ihr wieder bewusst, was sie auf Nar’gog wollte und wie sie hierher gelangt war.
„Porlac!“, sagte sie laut. Der Sprecher des Granogk stand ein paar Schritte von ihr entfernt, sah auf und schien ebenso ungläubig darüber zu sein, dass dieser Höllensturm der Parakräfte über ihn hinweggebrandet war, wie es auch Scobees Empfindung entsprach.
Felvert befand sich in seiner Nähe und redete vor sich hin. Offenbar hatte er den Zustand der Verwirrung noch nicht überwunden. Im Hintergrund war ein Chor von aufgeregten Stimmern zu hören.
Das Granogk.
Der allgemeine Tenor ging jedoch davon aus, dass die Hauptgefahr jetzt vorbei war.
Zu glauben, anorganische Silizium-Kristallwesen könnten aufatmen, wäre wohl irgendwie etwas unpassend!, kam es Scobee in den Sinn.
Plötzlich drangen fremde Gedanken in ihren Geist.
Hast du eine Erklärung für das, was geschehen ist?
Scobee drehte sich halb um und bemerkte Siroona. Sie war vollkommen von einer schwarzen Rüstung bedeckt. Auch von dem augenlosen Gesicht war nichts zu sehen.
„Zumindest existieren wir noch“, erwiderte Scobee. Sie wandte sich an Felvert, der sich inzwischen beruhigt hatte.
Der Felorer nahm Kontakt mit der Station auf. Wenig später hatte er sich über die Lage informiert. „Die temporale Krise scheint vorbei zu sein. Die angemessenen Werte sind normal. Offenbar bestand zeitweilig die Gefahr, dass unsere Existenz durch die Dominanz einer Parallelzeit ausgelöscht wird.“
„Heißt das nicht, dass es in der Vergangenheit zu einem Zeitparadoxon gekommen sein muss?“, mischte sich Porlac ein.
„Davon gehen wir aus“, bestätigte Felvert, der erneut Kontakt mit den Stationen aufnahm und für einige Augenblicke nicht ansprechbar war.
Was er anschließend zu berichten hatte, verblüffte alle.
„Bei den Torstationen gehen erstaunliche Messwerte ein. Danach haben sich die temporalen Verhältnisse in der Galaxis wieder vollkommen normalisiert. Es besteht keine erhöhte Geschwindigkeit des Zeitflusses mehr. Nar’gog ist nicht mehr vom Rest der Galaxis abgeschottet.“
„Das Zeitrafferfeld ...“, sagte Porlac.
„... existiert nicht mehr“, vollendete Felvert. „Das Nar’gog-System und der Rest der Galaxis befinden sich wieder auf demselben temporalen Niveau.“
Die Quelle des die Galaxis einhüllenden Feldes hatte nie ermittelt werden können – sosehr sich die Jay’nac und ihre Verbündeten auch darum bemüht hatten.
„Die Keelon sind der Meinung, dass es nicht mehr existiert“, stellte Felvert fest. „Ob sich diese optimistische Einschätzung tatsächlich bestätigt, überprüfen gerade die Stationsbesatzungen.“
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SHYYLVERT, DER FELORISCHE Leiter, der am äußersten Rand des Nar’gog-Systems gelegenen Torstation 5, registrierte wie gebannt die eingehenden Ortungsdaten. Auf der gesamten Steuer-Acht herrschte hektische Betriebsamkeit.
„Es ist kaum zu fassen, aber die Vergleichswerte, die wir von den Keelon erhalten haben, bestätigen sich bei unseren Messungen“, sagte Laanvert. Er war Shyylverts Stellvertreter und übernahm dessen Pflichten immer dann, wenn dieser am Austauschritual teilnehmen wollte oder einfach auch nur eine Pause brauchte.
Shyylvert konnte es kaum fassen.
So lange war das Nar’gog-System notgedrungen eine Art temporale Festung gewesen. Ein Fels in der Brandung der entartenden Zeit. Und jetzt herrschten wieder normale Verhältnisse, so weit die Sensoren der Torstationen reichten.
„Es konnte eine vollständige temporale Stabilisierung erreicht werden“, meldete Laanvert.
„So positiv das auch ist, ich glaube kaum, dass unsere Maßnahmen dafür verantwortlich sind“, stellte Shyylvert klar.
„Das nicht“, gestand ihm Laanvert zu. „Aber immerhin konnten diese Maßnahmen unser aller Existenz erhalten. Und das ist ja auch etwas.“
„Trotzdem würde ich zu gerne wissen, wo die Quelle des Zeitentartungsfeldes lag.“
„Diese Frage zu beantworten dürfte jetzt noch schwieriger sein, als bisher, Shyylvert. Schließlich gibt es nichts mehr, an dem wir die Suche ansetzen könnten.“
„Möglicherweise ist die Quelle auch in eine parallele Zeitebene abgedrängt worden.“
„Dann werden wir in Kürze Schwierigkeiten bekommen, uns auch nur an ihre einstige Existenz zu erinnern.“
Plötzlich ertönte ein Alarmsignal. Ein Hologramm baute sich auf. Die Ortungssysteme von Torstation 5 hatten etwas aufgezeichnet, das vom Rechnersystem als bedeutend genug eingestuft worden war, um den Alarm auszulösen.
Das Hologramm vermittelte nicht nur optische Eindrücke, sondern emittierte darüber hinaus eine Reihe weiterer Sinneswahrnehmungen, von denen viele nur den Felorern zugänglich waren.
„Es wurde ein Objekt geortet, dessen Größe die Toleranzgrenze bei weitem überschreitet“, meldete die Kunststimme des Rechnersystems.
„Heranzoomen!“, befahl Shyylvert. „Sinnes-Emission auf maximale Intensität.“
Eine gewaltige goldene Kugel, die mit immenser Geschwindigkeit auf Nar’gog zustrebte, wurde in der Holowiedergabe sichtbar.
Ein Geschoss von wahrhaft kosmischen Ausmaßen.
„Ich möchte eine vorläufige Analyse“, verlangte Shyylvert, als in einem abgeteilten Fenster der Holoprojektion plötzlich Kolonnen von Zeichen erschienen.