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»Was haben Sie 2020 gemacht?« In dem Jahr, in dem die Welt »bewegt ist, miteinmal, stillezustehn«. Als die Straßen »entmenscht« sind, die Stadt ruhiggestellt ist und »die Logik der Rettung« lautet: »Nicht vor Publikum, nicht in dieser Saison«. Während »Wetterwandel« und »Weltenaufruhr« andernorts weitertoben: Im Anthropozän findet der Mekong sein Delta nicht mehr, fressen sich Brände in den trockenen Wald, herrscht ein »Krieg der Landschaften«. Und inmitten all dessen wir – der so moderne, aber doch vergängliche Mensch, der »Mensch der Katastrophe«, zu allem fähig, im Guten wie im Schlechten, stets menschlich.
Die neuen Gedichte von Volker Braun vermessen eine Welt, einen Alltag im Wandel. Immer politisch, immer sozial zeigt sich der Mensch in diesem Dazwischen. Und kann sich – trotz allen Fortschritts – die Natur am Ende doch nicht unterwerfen. Aber im ewigen Werden und Vergehen liegt auch ein gewisser Trost.
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Seitenzahl: 33
Volker Braun
Große Fuge
Suhrkamp
Cover
Titel
Inhalt
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Cover
Titel
Inhalt
I
Wachtraum
Nach unserer Zeit
II
.
Große Fuge. Aggregat K
Katarrhsis
Windbürger
Ginster. Plantagenet
Palaver im Sand
Der Aussätzige
Schmerzgedächtnis
Sorgen des Staatswesens
Handschlag
Aggregat K
III
.
Tonkrieger
Arbeitspapier
Leibesbeweis
Sechster Kreis
K wie Kertész
Anatomie. Kleist, Meinhof
Kyborg
Steinabreibung
Große Leinwand
Geisterstunde
Anmerkungen
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Seit langem träume ich nicht, das ist ein schlechtes Zeichen (: ich arbeite auch nachts nicht), ich habe das Unterbewußtsein verloren, Genossen, kein Homeoffice im Schlaf, die gewohnte Schwarzarbeit. Nur ein Wachtraum stellt sich ein, der Traum von einer Sache, die nicht in der Welt ist, oder einer Welt, die nicht meine Sache ist. Ich liege im Bett, erkältet, schweißnaß, und drücke die kahle Stelle am Kopf gegen die Wand. Ich sehe drei übermannslange Raketen im Gelände, wir tragen sie weg, sagt einer (ich), wir fassen vorn und hinten mit bloßen Händen an. Die dritte ruht noch im Gras, aber ein Fremder taucht aus dem Gesträuch und versteht sogleich, sich nützlich zu machen. Wir schleppen die Schwucht ins Haus, das Haus der Kindheit, und bugsieren sie auf das Doppelbett, ausgerechnet in meinen Teil, er setzt sie ordentlich ab und streicht das Laken glatt und schlägt das Deckbett halb über den Eisenleib. Ich bin unzufrieden, ich hatte mich von rechtswegen hineinlegen wollen, wir sind schon wieder im Gelände und betten das Ding im Gebüsch und laufen weg. Langer Marsch um den gesperrten Ort, ein Mädchen schließt sich an, sie hat ein Kind aufgelesen. Der Junge begreift, daß er zu schwer ist, von ihr getragen zu werden, und blickt mich starr an. Doch mein Gewissen widmet sich der Abteilung, die vorbeimarschiert, wir Zivilisten stehen ganz ungünstig neben der Straße und weichen in einen Hohlweg, in dem wir ungesehn weiterlaufen (in den Verhältnissen einfach dabei). Hören eine Ansprache an in einem geklinkerten Durchgang die Treppe hoch und wieder heruntersteigend. Einmal herumgewälzt im Bett – und wir sitzen in Kalksteinbrüchen im heißen Wasser und sehn die wie ein Tafeltuch ausgebreitete Landschaft, an den Nähten der Felder die Zypressenstiche. Die Piazza übrigens ein antikes Wasserbecken, um das man nur herumsteigen kann, es ist verdreckt, halb zugedeckt mit Blattgewächsen, nur zwei drei (Inder?) stehen reglos darin. Ein Truppenrest Barbarossas, der die Blessierten in die Schwemme schickt, bevor sie zum nächsten Schlachthof ziehn. Die düstere Flüssigkeit (Blut?) vermutlich aus den Fleischfabriken, Halbpension unter dem Abendhimmel für Schweinegeld. Oben am Rand des Prospekts ein Brand, der sich in den trockenen Wald frißt, der fuchtige Wind facht eine weiß und braune Rauchsäule an. Und die Brände im Schanzenviertel, der schwarze Block, Polithooligans & 20 000 Beamte, vulgo Notwehr gegen strukturelle Gewalt. Mescalero die Rothaut meldet sich wieder mit einer indianischen Weisheit: nur noch für die Ungewißheit auf die Straße gehen. Und wieder umgedreht das nasse Kissen und weitergewachträumt. Snowden kommt den Hang herunter am Mauerstreifen aus dem Gefängnis (nach meiner Lebenszeit), ein alter gelöschter Mann, der den Kindern hinter der Hand vom Datengestöber erzählt. Er hat sich auf die Wetterbeobachtung verlegt, die Wolkenwäsche (Datenwolken!), und erinnert sich als einziger an Westhofen, Workuta und Rohwedder, vergessene Gegenstände. Was treibt die Menge hier, was stellt sie dar, wer sind die kaschierten Köpfe. Wie bei den Fernsehgeräten versteht man die Worte nicht mehr, verkommene Technik (für die verkommene Öffentlichkeit). Ich murmle was wie morgen wiederzukommen, allein, und mit einem Einzelnen zu sprechen, und man sagt mir, daß ich nur seinen Kopf fassen und ihn mit den Händen reiben müsse. Währenddessen teilen Dealer Verpflegung aus, jede achte Büchse Speed