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Wovon spricht die Dichtung zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Noch immer oder nun erst von der Wildnis der Gesellschaft.
Am Kilometer Null der Empörung, auf der Puerta del Sol in Madrid, sah Volker Braun die Handbibliothek, die seinem neuen Buch den Titel gibt. In ihm stehen die Gedichte wie in improvisierten Regalen, einzelne kleine Schriften, leicht herauszugreifen und zu benutzen. Und von Wanderwesen & Fabelarbeitern ist darin die Rede, den Nackten und den Vermummten, der ungesättigten Menge (ein Riß geht hindurch bis zum Bodensatz), der unbehausten Menschheit. Der Dichter sieht sich auf der warmen Erde, worin die Sohlen wohnen, eine Zuflucht der Sinne suchend und Lust, nicht Hoffnung ziehnd aus dem Rohstoff.
Die vier Sammlungen entstanden in zehn Jahren neben den Prosa- und Theatertexten. »Gedichte sind der Kern der Arbeit, das beiläufige Eigentliche.«
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Seitenzahl: 45
Veröffentlichungsjahr: 2016
Wovon spricht die Dichtung zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Noch immer, oder nun erst, von der Wildnis der Gesellschaft.
Am Kilometer Null der Empörung, auf der Puerta del Sol in Madrid, sah Volker Braun die Handbibliothek, die seinem neuen Buch den Titel gibt. In ihm stehen die Gedichte wie in improvisierten Regalen, einzelne kleine Schriften, leicht herauszugreifen und zu benutzen. Und von Wanderwesen & Fabelarbeitern ist darin die Rede, den Nackten und den Vermummten, der ungesättigten Menge (ein Riß geht hindurch bis zum Bodensatz), der unbehausten Menschheit. Der Dichter sieht sich auf der warmen Erde, worin die Sohlen wohnen, eine Zuflucht der Sinne suchend und Lust, nicht Hoffnung ziehnd aus dem Rohstoff. Die vier Sammlungen entstanden in zehn Jahren neben den Prosa- und Theatertexten. »Gedichte sind der Kern der Arbeit, das beiläufige Eigentliche.«
Volker Braun, geboren 1939 in Dresden, lebt in Berlin. 2015 erhielt er den Prix Argana Mondial de la Poésie.
Volker Braun
HANDBIBLIOTHEKDER UNBEHAUSTEN
Neue Gedichte
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016
Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe 2016
© Suhrkamp Verlag Berlin 2016
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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner
eISBN 978-3-518-74787-2
www.suhrkamp.de
Dämon
Bestimmung
Die Befunde
Der Überfluß
Verlegung eines mittleren Reichs
Das wünscht ich mir: das Bretterhaus am Teich
Beijingnan Railway Station, der Abstieg
Beim Wiederbetreten der Zickzackbrücke
Chimerika , , , , ,
Tweet
Prism
Aufklärende Straftat
Die Verantwortung (Rede Jias)
Erfahrung (Rede Lao Mas)
Erwachen. Nach Lu Xun
Die Blitze zaudern
Rede im Regen
Die Wunde
Dämon
Dotterleben
Steinbrech
Stammbaum
Das Früchtchen
Die Liebenden. Vor Dante
Der vertriebene Dante
Inferno IV. Limbus
Birkenau
Kolyma
Chichén Itzá
Vor den Ruinen
Firma Homer
Überall gehn die Lampen aus
Die Mettenschicht
Kassensturz
Diener zweier Herrn
Die Leguane
Die Freiheit
Das Elbtal
Die Gesellschaft
Santorin
7.5.11
Todesstunde
Telephos an Papenfuß
Totenfeier
La traboule
Die Sühnesäulen
Der Verborgene
Das Durchhaus
Die Kastanien
Die Augenhöhle
Künstliche Welt
Geteilte Stadt
Das Mannsfeld
Die Erweckung
Der Nacktstrand
Heckentheater im Herbst
Goyas Grabstatt
Hyatt Cancun Caribe
Wilderness
Eine Mahlzeit aus Schädeln
Der Morgen der Migranten
Das Getwitter
Wilderness
Müde, Material der Macht zu sein
Utøya Utopia
Canto der Traumata
Schattenwirtschaft
Ein saturierter Satyr
Weltall Atlantis
Anhang: Zeitgeist 2
Das schwere Gepäck in den Flughäfen
Das Füttern der Fahrzeuge
Der Köhlerlaube
Das beschädigte Parlament
Declaration of shame
Gespräch über die Bäume im Gezi-Park
Inbesitznahme der großen Rolltreppe durch die medellíner Slumbewohner am 27. Dezember 2011
Das Wolfgang Heisesche Collegium
Schicksal der Schlenstedtschen Bibliothek
Anmerkungen
Ja, mein Sehnen geht ins Ferne
Wo ich heitre Dinge treibe.
Doch bestimmen mich die Sterne
Daß ich fest am Boden bleibe.
Und so gern ich mich erhebe
Zieht mich eine Last nach unten
Eingenäht in mein Gewebe
Hat sie ihren Ort gefunden.
Abgemagert mein Leib, er weiß mir den Grund nicht zu sagen
Hart ragt das Sternum heraus, unten am Brustbein der Rist.
Wie sich ein weicher Busen daran befestigen könnte
Der mein Blut beschleunt; fest wie für ewig vertäut.
Und die Seele, auch sie, fühlt sich wie vom Fleisch gefallen
Zwangsernährt von dem Schrott. Bring ich sie durch und womit.
Schon ein liebliches Bild, sie weiß es, würde sie laben
Ruhig vor sie gestellt; sättigen mit einem Blick.
Glutender Sommer. Die Äste brechen von Äpfeln
In jedem Kriebsch sitzt der Wurm und wird vom Wege gekickt.
So der Weltfuß geht am Morgen über die Wiesen
Und dein Leben und Leib wird in die Büsche versenkt.
Wo ist dein Ziel? Kein Ziel. Dann sage den Grund mir.
Ich versinke darin. Er ist wie Schlamm mir im Mund.
Nach Fritz Rudolf Fries
Am Morgen ist das Licht wie gelbe Butter
Tropenhitze um halb acht, das Hemde
Naß klebt am nassen Leib, aha:
Der Klimawandel. Vor der Türe
Das Gras hüfthoch, der Lattich mannshoch
An den Chausseen Eukalyptusbäume.
Der Regionalverkehr verläuft im Farn.
Wir blicken noch mit runden Augen in
Den Niederbarnim: Reis und Auberginen.
Ein grüngelacktes Grün bepißt
Von Flachgesichtern, genial an Zahl.
Es war hier eine Menschheit eingesickert
Und macht sich zu schaffen in den Vorgärten
Hyäzinthenfelder! In unsrer Kleinanlage
Platz für Massen, ihre Massen-Ware
Liegt längst in den Läden, faulige Eier.
Wir waren gar nicht auf die Welt gefaßt.
In meiner Laube in der Mittagsschwüle
Deutet mir ein Dutzend Mann den Erdkreis
Nämlich ganze Völker, Staaten sterben
Wenn sie nichts Unerfülltes in sich fühlen
Erwartungslos Europa, Resterampe
Eurasiens. Am Nachmittag, das Wetter-
Glas kocht, General Li-weng
Marschiert in Malchow ein, verspüren
Wir einmal noch was wie die alte Logik.
Der Mann im Turm gefangen unbeweglich
Inoffizieller Informant: Beschreiber
Seiner Befreier also war er selber
Der arme Fritz auf seinem Wickeltisch
Sieht nun nah und Fernsehn alles eins.
Man glaubt nichts mehr und isset mit den Stäben
Am Ufer Schilf, Gewisper aus vier Winden.