Grusel-Thriller 07: Höllische Klassenfahrt - Jörg Kleudgen - E-Book

Grusel-Thriller 07: Höllische Klassenfahrt E-Book

Jörg Kleudgen

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Beschreibung

Abschlussklassenfahrt. Drei Schüler sind ahnungslos, dass ihre Väter ein dunkles Geheimnis verbergen. Im beschaulichen Städtchen Waydenbreidt schlummert das Grauen. Der zweite Roman mit Doktor Mazarro.

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Jörg Kleudgen & E. L. BrechtHÖLLISCHE KLASSENFAHRT

In dieser Reihe bisher erschienen:

3401 Jörg Kleudgen & Michael Knoke Batcave

3402 Ina Elbracht Der Todesengel

3403 Jörg Kleudgen & E. L. Brecht Der Fluch des blinden Königs

3404 Thomas Tippner Heimkehr

3405 Melanie Vogltanz Die letzte Erscheinung

3406 Jan Gardemann Die Seltsamen

3407 Jörg Kleudgen & E. L. Brecht Höllische Klassenfahrt

Jörg Kleudgen & E. L. Brecht

Höllische Klassenfahrt

Ein Grusel-Thriller

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Eric HantschTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerInnenillustration: Jörg KleudgenVignette: iStock.com/Hein NouwensSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-960-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Prolog

Waydenbreidt, 1985

Der Abendhimmel glühte blutrot, während die Sonne langsam hinter dem Horizont versank. Seit Tagen schon war die fünfzehnjährige Claudia Bauer den Schikanen ihrer Mitschüler ausgesetzt. Die Klassenfahrt, auf die sie sich so sehr gefreut hatte, war für sie zur reinsten Qual geworden ... Tabasco in der Gesichtscreme, Witze über ihre Zahnspange und die Brille mit den dicken Gläsern. Dann ihre Kleider, die jemand zerschnitten hatte ...

Claudia litt unentwegt. Bis der coole Philipp seinen Arm um sie legte. Philipp, den sie insgeheim seit ihrer ersten Begegnung anhimmelte. Der Mädchenschwarm der Gruppe, mit dem unwiderstehlichen Lächeln und den eisblauen Augen. Abends, als sie alleine auf der großen Liegewiese waren. Er gab ihr einen warmen Tee und legte eine Decke um ihre Schultern. Doch der Tee war nur ein Hilfsmittel, ihren Willen zu brechen. Der hoch­prozentige Schnaps, den Philipp heimlich in die Thermoskanne gefüllt hatte, traf das junge Mädchen wie ein Nackenschlag. Betäubt durch den Alkohol brach ihre Abwehr gegen seine Küsse und seine Liebkosungen augenblicklich zusammen.

Mittlerweile waren auch Philipps Freunde eingetroffen, die ebenfalls darauf aus waren, ihren Spaß zu haben. Claudia richtete sich auf, versuchte wegzurennen, aber ihre Koordination war bereits zu sehr ­beeinträchtigt. ­Heftig stürzte sie und schlug sich ihr Knie auf. Der Schmerz brachte für einen kurzen Moment wieder Klarheit in ihr Bewusstsein. Doch der Alkohol überrollte sie erneut wie eine Welle.

Philipp machte sich an ihrer Bluse zu schaffen, und als es ihm in seiner Ungeduld nicht gelang, sie zu öffnen, riss er sie auf, sodass die Knöpfe wie aufgescheuchte Vögel in alle Richtungen davonflogen. Der Anblick der jugendlichen Brüste reizte die Jungen dermaßen, dass sie endgültig alle Hemmungen fallen ließen. Sie rissen an Claudias Hose und kümmerten sich nicht weiter darum, dass sie laut schluchzte. Sie waren drei alkoholisierte Teenager, die in ihrer Klassenkameradin ein wehrloses Objekt zur Befriedigung ihrer Triebe sahen.

Noch einmal bäumte Claudia sich auf. Zahlreiche Schrammen, die von der groben Behandlung durch die Jungen herrührten, überzogen ihren unschuldigen Körper. Das Blut, das ihr nach einem mehr oder weniger beiläufigen Knuff aus der Nase lief, wischte sie mit ihrem Handrücken weg. Verzweifelt suchte sie den Blick­kontakt zu Philipp, dem sie doch vertraut hatte. Der war aber zu betrunken und stand unter dem Druck, sich vor den anderen als Alpha-Tier zu exponieren.

„Los, Mäuschen, jetzt haben wir richtig Spaß!“ Er stieß das Mädchen zu Boden, hatte aber seine Kraft falsch eingeschätzt.

Claudia stürzte und schlug mit ihrem Hinterkopf auf einen der Steine, die den Wegesrand auf der Liegewiese markierten.

Ein schauriges Knacken ließ die Jungen erstarren.

Das misshandelte Mädchen richtete ihren Blick ein letztes Mal in den Nachthimmel. Sterne, unzählige Sterne, und eine alles verschlingende Dunkelheit spannten sich über ihr.

Fast unhörbar drang ein Flüstern über ihre Lippen: „Ich bleibe hier ...“

Dann fixierte sie jeden einzelnen ihrer Peiniger ein letztes Mal, während das Leben zusehends aus ihr entwich.

Ihr Blick brach.

Claudia Bauer war tot.

Abfahrt

Mittelstadt, 2019, erster Tag der Klassenfahrt

Das letzte Jahr an der Realschule in Mittelstadt neigte sich dem Ende zu. Die Abschlussklassen hatten ihre Klassenfahrten bereits vor einem Jahr geplant, ebenso die Klasse von Regina Ebersbach. Die meisten Schüler hatte sie über fünf Jahre hinweg betreut. Viele stammten direkt aus Mittelstadt. Wie ihre Eltern würden viele als Sechzehnjährige nach den Sommerferien eine Ausbildung in einer der umliegenden Gemeinden beginnen. Einige wenige schafften den Sprung auf die Oberstufe des Gymnasiums im nahe gelegenen Friedberg. Rückblickend fühlte die Lehrerin, wie Stolz in ihr aufstieg. In den letzten fünf Jahren hatte es Tränen, aber auch viele glückliche Momente gegeben, und letztere überwogen aus ihrer Sicht eindeutig.

Die Jungs entwickelten sich zu heranwachsenden Männern, die sie an Körpergröße bereits um einiges überragten. Und die Mädchen zeigten inzwischen deutlich weibliche Formen.

Es war unfassbar, wie sich die Kinder entwickelt hatten. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie die Gruppen zusammenstehen sah. Die Mädchen auf der einen und die Jungs auf der anderen Seite des Eingangs zur Schule.

Regina Ebersbach war erfahren genug, um die positive Anspannung, die zwischen den Jugendlichen schwebte, zu kontrollieren.

Abschlussfahrt!

Eine letzte gemeinsame Unternehmung mit den Freunden der Kindheit, bevor man sich in alle Himmelsrichtungen zerstreute. Nach dieser Woche würde es nur noch wenige Tage dauern und die Zeugnisse würden für viele das angenehme Schulleben beenden. Noch konnten die Jugendlichen nicht einschätzen, in welchem Maß der Ernst des Lebens auf sie wartete.

Regina Ebersbach versuchte, die Schüler zu zählen, was angesichts der ständigen Bewegung, in der sie sich befanden, nicht ganz einfach war. Sie entdeckte Mario und seinen Vater Philipp Brohm. Mario, ein schwieriger Junge. Und sein Vater war nicht weniger kompliziert. Die Elterngespräche waren jedes Mal durchsetzt von Anspannung und den meist unterschwelligen Drohungen des Vaters. Seine Erscheinung widerte die Lehrerin an. Strähnige dunkle Haare, die streng zurückgekämmt waren und ein T-Shirt mit dem Emblem einer Hardrock-Band, die es seit Jahren nicht mehr gab, umspannte die Brust und den unförmigen Bauch. Seine muskulösen Arme waren mit unzähligen Tätowierungen verziert. Philipp Brohm hielt sie verschränkt, als wolle er allen zeigen, dass er jetzt lieber woanders wäre.

Man erzählte sich in Mittelstadt, er habe bereits einige Jahre im Gefängnis gesessen, als seine Frau noch gelebt hatte. Seit etwa zwei Jahren war er alleinerziehend, und wie es schien, entwickelte sich sein Sohn ganz wie der Vater. Er sah ihm auch verblüffend ähnlich! Dieselbe Nase, die stechenden stahlblauen Augen. Ja, da fiel der Apfel nicht weit vom Stamm!

Regina Ebersbach hoffte, dass der Junge bei der mehrtägigen Fahrt keine Schwierigkeiten machen würde. Bereits in der Vergangenheit hatte er mehrfach diszipliniert werden müssen. Sein pubertäres Verhalten war ausgeprägt: Zigaretten auf der Schülertoilette, Raufereien im Schulhof, kleine Erpressungen, Diebstähle. Ein Kind, so unsympathisch wie sein Vater.

Mit eisigem Blick nickte die Lehrerin in Richtung der beiden. „Guten Morgen, Mario!“

Missmutig knurrte der Vater etwas, das wie ’n Morgenklang, aber es hätte auch eine Beleidigung sein können.

Nach und nach verschluckte der Bus die Schüler. Nachdem die interne Hackordnung der Klasse geregelt hatte, wer neben wem sitzen durfte, beruhigte sich die ­Stimmung. Regina Ebersbach atmete auf. Noch ahnte sie nicht, was auf sie und ihre Klasse zukommen sollte. Etwas, von dem sie nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

Sie stieg als Letzte in den Bus und zählte noch einmal die Köpfe ihrer Schützlinge durch. Zufrieden glich sie die Anzahl der Anwesenden mit ihrer Liste ab und nickte auffordernd in Richtung des Busfahrers.

Mit einem Zischen schloss die Hydraulik die Türen und der Bus setzte sich in Bewegung. Als sie an Philipp Brohm vorbeirollten, fuhr der Lehrerin noch einmal ein Schauer über den Rücken. Seine finsteren Augen ruhten auf ihr, und sie fragte sich, warum er der Welt gegenüber so feindselig eingestellt schien. Es war, als sei er von einem dunklen Geheimnis umgeben, das auch ihr zum Schaden gereichen würde.

Der Mann fiel zurück und zwei streitende Jungs zogen die Aufmerksamkeit der Lehrerin auf sich.

Die Fahrt nach Waydenbreidt hatte begonnen.

„Na, denkst du auch daran?“ Es war Matthias Herzog, der lautlos an Brohm herangetreten war.

„Ich ... ach was, die Alte geht mir auf’n Sack!“ Ohne seinen Bekannten anzusehen, redete Brohm weiter. „Wie sie mich und meinen Mario wieder angeschaut hat, ich könnt ihr eine ...“

„Mensch, Phil, du änderst dich nie! Du warst nicht beim letzten Elternabend, es gab einiges zu ...“

„Was will ich denn da?“ Phil Brohm stemmte beide Hände an seine Hüften. „Die hat meinen Mario doch eh auf’m Kieker.“

„Na ja, du warst auch nicht auf dem Elternabend davor ... und davor auch nicht ... und überhaupt ...“

„Was soll ’n das heißen? Willste etwa sagen, ich sei ’n schlechter Vater?“ Beruhigend hob Herzog seine Handflächen nach oben.

„Na ja, es macht zumindest den Eindruck, als würdest du dich nicht für deinen Sohn und seine schulischen Leistungen interessieren“, sagte Herzog vorsichtig.

Brohm knurrte etwas Unverständliches, das sich anhörte wie ein Na und?

Matthias Herzog war bereits als Schüler mit Philipp Brohm befreundet gewesen. Beinahe ihre gesamte Kindheit waren sie Klassenkameraden, doch Herzog hatte sich für einen anderen Weg entschieden. Er war auf das Gymnasium gegangen und hatte anschließend in Frankfurt studiert. Mittlerweile besaß er eine Praxis in Mittelstadt und konnte auf eine erfolgreiche Laufbahn als Psychologe zurückblicken.

Herzog wusste, dass sein Freund Phil weniger Glück gehabt hatte. Der tragische Tod seiner Lebensgefährtin vor einigen Jahren hatte Brohms Charakter noch zusätzlich verfinstert.

Doch so verschieden sich beide Männer auch entwickelt hatten: Über all die Jahre hielten sie losen Kontakt. Selbst als Philipp Brohm im Gefängnis saß, riss das Band der Freundschaft nicht ab.

„Schau mal, da drüben, das ist doch Sven?“ Matthias Herzog zeigte mit seiner rechten Hand in Richtung einer Person, die in einiger Entfernung stand und beide beobachtete. „Ja, hast recht ... der alte Psycho!“, brummte Philipp Brohm.

Beide bewegten sich in Richtung ihres gemeinsamen Bekannten, der sich sichtlich unbehaglich zu fühlen schien.

„Na, Svenni, wie geht’s dir? Lange nicht ...“, begann Philipp mit einem schmierigen Grinsen.

„Lass den Quatsch, Phil, ihr wisst genau, warum ich hier bin!“, flüsterte Sven Goldschmidt mit ernster Miene. Seine Augen lagen tief in dunklen Höhlen. Durch die ausgeprägten Augenränder und seine blasse Haut wirkte Sven Goldschmidt wie eine Gruselgestalt.

Philipp Brohm reagierte als Erster: „Jetzt komm mir nicht mit alten Geschichten!“

„Ich konnte aber die ganze Nacht nicht schlafen.“ Nervös senkte Goldschmidt seinen Blick zu den Fußspitzen. „Ihr wisst genau, dass ich seit damals in Behandlung bin.“

„Dann hättste deine Tochter eben zu Hause lassen sollen.“

„Es ist ihre Abschlussfahrt.“ Mit Tränen in den Augen sah Goldschmidt zu Philipp Brohm. „Ihre Abschlussfahrt, verstehst du? Abschlussfahrt!“ Sven Goldschmidt atmete schwer.

„Jetzt beruhig dich erst mal.“ Matthias Herzog legte seinem Freund die Hand auf die Schulter, doch der begann noch mehr zu zittern.

„Ich hätte Jana damals in eine Parallelklasse versetzen lassen sollen. Wir waren auch in einer Klasse, versteht ihr?“

Herzog nickte vieldeutig.

„Es ist nicht richtig ...“, schluchzte Sven Goldschmidt.

„Jetzt halt mal die Klappe und hör auf zu heulen!“ ­Philipp Brohm baute sich drohend auf. „Wenn dich einer heulen sieht, gibt’s nur Probleme, und die wollen wir nicht, klar?“

Goldschmidt zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Erstaunlich, wie zerbrechlich er ist, dachte Matthias Herzog, der seinen Freund seit seinem Studium psychologisch begleitete.

„Ich versuch’s ja ...“ Sven Goldschmidt sog geräuschvoll Luft in seine Lungen. Langsam beruhigte er sich wieder. Dann fasste er seine Freunde, einen nach dem anderen, ins Auge: „Aber es sind unsere Kinder, die gemeinsam auf Abschlussfahrt gehen!“ Und flüsternd fügte er hinzu: „Und wieder in dieses verfluchte Waydenbreidt ...“

Waydenbreidt, 1985

Mit einem lauten Knall flog die morsche Tür des Bootshauses auf. Da sie keinen Schlüssel hatten, hatte Philipp seine ganze Kraft aufgewandt und die Tür einfach eingetreten. Dort, wo das rostige Vorhängeschloss gewesen war, klaffte ein ausgefranstes Loch. Die Jugendlichen hielten für einen kurzen Moment die Luft an. Hatte auch niemand den Lärm gehört? Doch es blieb alles ruhig. Eingehüllt in nachtschwarzer Dunkelheit betraten die Jugendlichen die Hütte.

Langsam bewegten sie sich in dem düsteren Bootsschuppen, wobei Philipp die Kommandos flüsterte: „Los, kommt her, hier hab ich was!“

Ächzend schleppten seine Freunde Sven und Matthias den reglosen Körper von Claudia in die Hütte. Außer dem schweren Atem der Jugendlichen war nur das Wasser zu hören, das sanft gegen den Steg rollte. Die Dunkelheit machte es den Schülern nicht einfacher. Sie bildeten sich ein, dass die Nacht jedes Geräusch noch verstärkte.

Sven litt am meisten unter der Anspannung. Tränen rannen in feuchten Bahnen über seine Wangen und er schluchzte leise.

„Halt’s Maul!“, zischte Phil, der den beiden anderen körperlich überlegen war. Er zeigte auf eine Stelle, an der er eine Segeltuchplane entdeckt hatte. „Los, da drauf mit ihr!“

Weinend setzte der schmächtige Sven einen Fuß vor den anderen, wie ein Roboter. Matthias folgte ihm keuchend. „Es ist nicht richtig, was wir hier machen“, gab er zu bedenken und ging erschöpft in die Hocke. Mit einem dumpfen Laut fiel der Leichnam auf das Tuch, das Philipp ausgebreitet hatte.

„Ich lass mir von euch Scheißern doch nicht mein Leben versauen!“ Philipp hielt triumphierend ein langes Seil in seiner Rechten, das er an einer Wand des Schuppens hängend gefunden hatte. „Los, wir wickeln sie ein.“ Er begann, die Plane um die Tote zu wickeln. „Fasst mal mit an!“

Die zischenden Kommandos wirkten auf die Freunde wie ein Peitschenknall. Sven schien jedoch nicht überzeugt. Er trat einen Schritt zurück. „Nein, es ist nicht richtig, wir sollten ...“

Damit war das Maß für Philipp voll. Wutentbrannt sprang er mit zwei schnellen Schritten auf seinen Freund zu und packte ihn mit beiden Händen am Hals. „Ich warne dich, du warst genauso dabei wie ich, ist das klar? Wenn mir etwas passiert, dann mach ich euch fertig!“ Mit einem eiskalten Blick, der keine Fragen offenließ, fixierte er auch Matthias.

Keiner seiner Mitschüler widersprach. Sie kannten die Gewaltbereitschaft ihres Freundes. Solche Drohungen setzte er für gewöhnlich auch in die Tat um.

Die Schüler wickelten schweigend das tote Mädchen in die Plane und schnürten Taue und rostige Ketten um das unhandliche Paket. Phil, als Stärkster der drei, zurrte das Seil schließlich fest, sodass nunmehr an den Umrissen zu erkennen war, dass es sich um einen Menschen handelte. Die klirrenden Ketten fixierten die Jugendlichen mit stabilen Drähten.

Mit geschickten Fingern knotete Brohm metallene Werkzeugkästen, die er auf einer Werkbank gefunden hatte, an dem Paket fest. Sie waren mit Werkzeugen aller Art gefüllt und der Junge war sich sicher, dass ihr Gewicht ausreichte, den Körper des Mädchens auf den Grund des Sees sinken zu lassen und dort festzuhalten. Sollten sich die Taue auflösen, die Ketten würden den Körper über Jahre an die Gewichte binden.

„Und nun?“ Matthias brach das Schweigen, als die drei Jugendlichen ihr Werk im fahlen Licht des Mondes betrachteten.

„Los, auf das Paddelboot mit ihr!“, befahl Philipp barsch.

Die Freunde packten die schwere Last und wuchteten sie ächzend in ein vertäutes Ruderboot. „Und jetzt ihr!“, zischte er und setzte selber vorsichtig einen Fuß in das Boot, das bedrohlich tief im Wasser lag.

Matthias folgte ebenso vorsichtig, nur Sven zögerte, ehe er zu seinen Freunden stieg.

Es war bereits nach Mitternacht, als die Schüler sich lautlos mit den Rudern vom Steg abdrückten, um die Mitte des Badesees anzusteuern.

Niemand sprach ein Wort, als sie die Paddel sachte in das dunkle Wasser gruben. Eine unheimliche Stille hatte sich über dem See ausgebreitet.

Entfernt am Ufer brannten vereinzelt Laternen, die kleine Lichtinseln auf die Uferpromenade malten.

Nur der Mond war Zeuge, als die drei die Mitte und damit vermeintlich tiefste Stelle des Sees erreichten. Sie hielten inne. Die Nerven der drei beruhigten sich allmählich. Nur Sven winselte leise und der kühle Nachtwind ließ ruhig das Wasser gegen die Bootswand klatschen. Das waren die einzigen Laute, die das schreckliche Geschehen begleiteten.

Ankunft

Waydenbreidt, 2019, erster Tag der Klassenfahrt

Die Abschlussklasse kam nach einer knappen Stunde Fahrtzeit am Zielort an. Nachdem der Bus die Autobahn verlassen hatte, zog sich das letzte Stück Landstraße wie ein zäher Kaugummi. Endlich erblickten die ersten Schüler den Gebäudekomplex, der das Hotel und die Verwaltung beherbergte. Das Feriendorf bestand aus etwa einhundert Ferienhäusern, die für vier bis sechs Personen konzipiert waren, und gehörte zu einem Hotel mit Restaurant und Wellness-Bereich. Am nahe gelegenen Badesee thronte das Tagungshotel. Wie ein riesiger abgebrochener Zahn ragte die moderne Konstruktion inmitten der natürlichen Idylle in die Höhe. Die helle Fassade, die einst weiß gewesen sein musste, hatte im Laufe der Jahre eine schmuddelig wirkende Eierschalenfarbe angenommen.

Nach Norden hin stieg das Gelände steil an. Die einzelnen Ferienhäuser waren an parallel verlaufenden, asphaltierten Gehwegen aufgereiht.

Diese Wege führten von oben betrachtet in konzentrischen Kreisen um das Hotel herum. Am äußersten Ende des Feriengeländes begrenzte ein dichter Wald das Areal. Einzelne Spazierwege führten in das schattige Gehölz, das den Komplex mit dichten Laubbäumen einrahmte.

Den Mittelpunkt der Anlage bildete der relativ kleine Badesee. Von Osten nach Westen war der See keine drei Kilometer lang und an seiner breitesten Stelle nur etwa 600 Meter breit. Ein geübter Schwimmer konnte ihn ohne Mühe durchqueren. Allerdings besaß das Gewässer eine enorme Tiefe, die es dunkel und unheimlich erscheinen ließ. Gerüchten zufolge sollten die Fische in dem See größer und gefräßiger sein als andernorts. Aber das war sicher Anglerlatein.

Ein Mitarbeiter des Feriendorfes erwartete die Klasse bereits am Eingang und begleitete die Schüler zu ihren Häusern.

Sieben Häuser, Jungen und Mädchen strikt voneinander getrennt, ein Haus für die Lehrerin. Dieses befand sich genau in der Mitte. Regina Ebersbach rechnete damit, dass es Versuche geben würde, die Nachtruhe zu umgehen. Aber sie würde eisern dafür sorgen, dass um einundzwanzig Uhr alle Schüler in ihren Betten lagen. Jeder Versuch, dieses Verbot zu umgehen, hätte unweigerlich zur Folge, dass der betreffende Schüler am folgenden Morgen von seinen Eltern abgeholt würde.

Die Lehrerin war dabei behilflich, Koffer und Taschen in die Häuser zu tragen. Während die Schüler damit begannen, ihre Kleidung in den Schränken zu verteilen, begab sich Regina Ebersbach zur Rezeption, um den Papierkram zu erledigen. Unterschriften auf ­Buchungsbestätigungen, Stromzähler-Stände, jede Menge Versicherungskram und noch einiges mehr.

Sie lief die wenigen Hundert Meter den Hang hinab, an den sich die Reihen der Ferienhäuser schmiegten. Erst ein Blick zurück zu den Häusern zeigte ihr, wie steil der Weg hinaufführte. Zur Rezeption war es noch ein Stück. Regina Ebersbach erhaschte am mächtigen Hotelkomplex vorbei einen Blick auf den Badesee. Friedlich ruhte das Wasser, das nur durch wenige Wellen gekräuselt wurde. Auf den wenigen Stellen, die der Sommerwind bewegte, spiegelte sich das Licht der Mittagssonne und ließ kleine Lichtreflexe aufleuchten. Ein traumhafter Anblick! Wenn ich doch nur nicht zum Arbeiten hier wäre, dachte die Pädagogin.

Allmählich verschwand der See hinter dem Hotel und die Lehrerin suchte nach dem Eingang zur Verwaltung. Eine große, offenstehende Doppelglastür zog sie an, und tatsächlich, zur Linken lag eine lange Holztheke, hinter der emsiges Treiben ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

Einiges Hotelpersonal stand vor einem Fenster, das den Blick zum See und dem angrenzenden Campingplatz freigab. Sie machten den Eindruck, als gäbe es dort etwas Außergewöhnliches zu beobachten.

„Entschuldigung, ich möchte meine Klasse anmelden, bin ich hier richtig?“ Regina Ebersbach kannte die Antwort zwar, aber sie verlieh ihrer Stimme jenen Unterton, der ihr anmerken ließ, dass sie uneingeschränkte Aufmerksamkeit forderte.

Tatsächlich löste sich eine junge Frau aus der Gruppe und trat an die Theke. „Natürlich, verzeihen Sie vielmals, aber wir haben ... ähm ... ein Problem. Nichts, was Sie irritieren sollte.“ Mit einem professionell aufgesetzten Lächeln reichte die Frau der Lehrerin die Unterlagen, die sie unterschreiben sollte.

„Was ist denn geschehen, wenn ich fragen darf?“