Grusel-Thriller 11 - Die unerwartete Zeugin - Daniel Weber - E-Book

Grusel-Thriller 11 - Die unerwartete Zeugin E-Book

Daniel Weber

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Beschreibung

Stefan Hanns bekommt unerwarteten Besuch. Die Zeugin eines bestialischen Mordes in Phillipsdorf tritt an ihn heran, um angebliche Wahrheiten aufzudecken. Die Frau verhält sich sonderbar, als wäre sie selbst in den Mordfall verwickelt. Stefan Hanns versucht, das Geheimnis zu enträtseln.Phillipsdorf - Bezirk des Wahnsinns (2. Roman)

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Ähnliche


DIE UNERWARTETE ZEUGIN

PHILLIPSDORF - BEZIRK DES WAHNSINNS NO. 02

GRUSEL-THRILLER

BUCH 11

DANIEL WEBER

INHALT

In dieser Reihe bisher erschienen:

Erster Teil

Das Interview

Interview I

Interview II

Interview III

Interview IV

Interview V

Interview VI

Interview VII

Interview VIII

Zweiter Teil

Nachforschungen

Georg Bürgers Aussage

David Graus Aussage

Rekapitulation von Elsa Leichtfrieds Aussage

Dritter Teil

Die Tat

Krankenbesuch I

Krankenbesuch II

Krankenbesuch III

Krankenbesuch IV

Krankenbesuch V

Vierter Teil

Offene Rechnungen

Epilog

Danke!

Über den Autor

Anmerkungen

IN DIESER REIHE BISHER ERSCHIENEN:

3401 Jörg Kleudgen & Michael Knoke Batcave3402 Ina Elbracht Der Todesengel3403 Jörg Kleudgen & E. L. Brecht Der Fluch des blinden Königs3404 Thomas Tippner Heimkehr3405 Melanie Vogltanz Die letzte Erscheinung3406 Jan Gardemann Die Seltsamen3407 Jörg Kleudgen & E. L. Brecht Höllische Klassenfahrt3408 Daniel Weber Phantasmagoria Park3409 Jan Gardemann Die Rache der Seltsamen3410 Daniel Weber Die zweifelhafte Erbschaft3411 Daniel Weber Die unerwartete Zeugin

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.

Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2023 BLITZ-Verlag  

Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mario Heyer

Logo: Mario Heyer

Satz: Torsten Kohlwey

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7579-5551-9

3410v1

Für meine Eltern, weil mein Lebensweg ohne eure Unterstützung vermutlich ein anderer geworden wäre.

ERSTER TEIL

DAS INTERVIEW

Mein Name ist Stefan Hanns.

Ich bin verrückt.

INTERVIEW I

„Bitte. Setzen Sie sich, Frau Leichtfried.“

„Ach, lassen Sie doch bitte dieses fürchterliche Sie, Herr Hanns. Nennen Sie mich Elsa.“

„Wie Sie ... äh, wie du möchtest. Mein Name ist Stefan. Darf ich dir etwas anbieten, Kaffee, Tee ...“

„Nein, ich brauche naturgemäß nichts. Danke.“

„Oh. Entschuldige. Ich habe vergessen ...“

„Nicht der Rede wert, Stefan. Es ist durchaus unüblich, jemanden wie mich zu treffen. Da passieren kleine Ausrutscher. Ich nehme keinen Anstoß.“

„Dankeschön. Also. Du sagtest, du müsstest mit mir sprechen. Warum?“

„Ich weiß über Dinge Bescheid, die sich in Phillipsdorf in den letzten Monaten abgespielt haben. Mein Gerechtigkeitsempfinden drängt mich dazu, die Dinge klarzustellen, wenn ein Unschuldiger verurteilt wird.“

„Wovon redest du?“

„Ist dir der Name Christoph Biber geläufig, Stefan?“

„Ja, da klingelt was ... Ist das nicht der Student, der im Bernhardshof bis vor ein paar Wochen gewohnt hat? In der Zeitung hat es geheißen, er hat einer jungen Frau die Kehle herausgerissen, nachdem er sie vergewaltigt hat. Du glaubst, er ist unschuldig?“

„Ich glaube es nicht. Ich weiß es.“

„Wie darf ich das verstehen?“

„Durch meine ... persönliche Situation ist es mir vergönnt, Dinge zu sehen und herauszufinden, die normalen Menschen verborgen bleiben. Ich bin ein Wanderer, sozusagen, mich hält es nicht an einem Ort. Ich durchstreife Phillipsdorf schon sehr, sehr lange. Und manchmal, da bleibt mein Interesse an einer Sache kleben und ich beobachte sie länger. So war es bei der Geschichte um Christoph Biber.“

„Willst du damit sagen, du bist Augenzeugin des Verbrechens?“

„Nicht nur des Verbrechens, Stefan, sondern der ganzen Geschichte. Von Bibers Zuzug nach Phillipsdorf bis zum tragischen Tod dieser jungen Frau habe ich die Sache verfolgt.“

„Entschuldige, Elsa, aber ich glaube, da bist du bei mir an der falschen Adresse. Du solltest dich an die Behörden wenden. Wer würde einem Schriftsteller in so einer Sache glauben?“

„Ich stimme dir halbwegs zu, doch meine ... persönliche Situation verbietet es mir, die Behörden aufzusuchen. Das wirst du sicherlich verstehen?“

„Ähm ... Ja.“

„Außerdem. Würde man mir mehr Glauben schenken als dir? Du hast wenigstens die Möglichkeit, die Geschichte zu veröffentlichen. Wende ich mich an die Behörden, kann ich höchstens erwarten, dass man schreiend vor mir davonläuft. Nicht einmal anhören würde mich jemand.“

„Ich fürchte, da hast du recht.“

„Leider. Meine Situation hat nicht nur Vorteile, auch wenn es mir zu Beginn so vorkam. Darf ich dir nun meine Version der Geschichte erzählen, Stefan?“

„Ich denke schon.“

„Wirst du sie veröffentlichen?“

„Ich werde jedenfalls mein Bestes geben, dass ich sie veröffentlichen kann.“

„Das muss mir reichen, schätze ich. Wie viel Zeit hast du?“

„Den ganzen Tag. Helena, meine Großcousine, wird allerdings so gegen zwei Uhr von der Schule nach Hause kommen. Sie ...“

„Ist eine Halb-Ghoula, das weiß ich schon. Ich muss gestehen, ich habe auch dich beobachtet. Dein Kampf gegen die Weißen Diener war übrigens bemerkenswert, wenn ich das sagen darf. Mein Aufeinandertreffen mit diesen Kreaturen war nicht so erfolgreich. Aber davon werde ich dir ebenfalls berichten müssen. Um zum Thema zurückzukommen. Ich denke, dass deine Großcousine und ich keine besonderen Schwierigkeiten haben werden, uns miteinander bekannt zu machen.“

„Da stimme ich zu. Bitte warte. Ich mache mir nur schnell Kaffee und hole Stift und Papier. Dann kannst du beginnen.“

* * *

Haben Sie schon einmal eine Schlafparalyse, oder Schlafstarre, erlebt?

Eine bewusst wahrgenommene Schlafstarre wird zu den Schlafstörungen gezählt. Sie tritt meistens in der Einschlaf- oder Aufwachphase auf und mündet fast immer in ein albtraumhaftes Erlebnis. Stellen Sie sich vor, Sie liegen paralysiert, also erstarrt, mit offenen Augen und vollem Bewusstsein im Bett.

Sie können sich nicht bewegen, weil die Muskeln sperren.

Es fühlt sich an, als seien Sie von unsichtbaren Fesseln zusammengeschnürt.

Nicht einmal den Mund bringen Sie auf, der Kiefer scheint verkeilt.

Nur die Augen rollen rastlos in den Höhlen.

Etwas lauert auf Sie in der Dunkelheit des Schlafzimmers, knapp außerhalb Ihres eingeschränkten Sichtfeldes, das ohnehin wie von einem Schleier überzogen scheint.

Es lauert.

Es bedroht Sie.

Es will Sie.

Angst breitet sich aus. Panik.

Sie wollen schreien, Sie können nicht. Sie wollen um sich schlagen, Sie können nicht. Halbbewusst begreifen Sie, dass Sie träumen – und jetzt wollen Sie sich aus dem Traum herauskämpfen. Die Muskeln spannen sich an, es schmerzt, der Kiefer verkrampft, als Sie den Mund zum Schrei öffnen. In Ihrer Phantasie toben Sie mit Zähnen und Krallen, um Ihrem Gefängnis zu entkommen.

Sie müssten nur einmal den Kopf heftig schütteln, dann sofort das Licht einschalten – und die Gefahr wäre vorüber.

Doch Es bemerkt Ihren Fluchtversuch.

Vielleicht erscheint es Ihnen am Rande des Sichtfeldes, ein bloßer schwarzer Fleck, der sich langsam, so langsam nähert. Oder es sind undeutliche Stimmen hinter Ihnen, wo keine sein sollten, da dort die Wand beginnt. Vielleicht hören Sie Kichern oder einen spitzen Schrei.

Oder eine Hand mit drei Fingern, die sich über ihren Kopf schiebt.

Kurz vor dem Schlimmsten schaffen Sie es aber immer, sich aus dem Schlaf zu reißen.

Es war nur ein Traum, sagen Sie sich.

Aber bedenken Sie: Bei Christoph Biber hat es genauso angefangen.

* * *

Christoph Biber zog im Alter von zwanzig Jahren nach Phillipsdorf.

Sein Vater hatte sich zu Tode gesoffen, als er kaum sechzehn gewesen war, die Mutter starb zwei Jahre später bei einem Autounfall, den sie selbst verursacht hatte. Sie war übermüdet von ihren zwei Jobs, die nötig waren, um das Haus zu erhalten und dem Jungen eine anständige Schulbildung zu finanzieren. Sie übersah schlichtweg ein Stopp-Schild an einer schlecht einzusehenden Kreuzung. Der Lkw, der sie mit knapp sechzig Stundenkilometern rammte, tötete sie sofort.

Christoph war damals gerade achtzehn geworden und stand vor dem Schulabschluss. Er zog zu seiner Großmutter mütterlicherseits, die einzige noch lebende Verwandte, kümmerte sich um die Beerdigung, zu der beinahe keine Gäste kamen, und schaffte die Reifeprüfung gerade so.

Bevor er seinen sechsmonatigen Wehrdienst antrat, bemühte er sich, das Elternhaus in Bachbrunn zu verkaufen, eine schäbige Hütte, deren Wert hauptsächlich im Grundstück bestand. Nicht einmal 100.000 Euro brachte der Verkauf ein. Das war sein ganzes Vermögen.

Die Zeit beim Bundesheer verging für ihn wie in Trance und er begann mit neunzehn Jahren ein Jura-Studium an der Universität Wien – das war es, was seine Mutter sich für ihn gewünscht hätte: Aus dir, Bub, soll einmal was werden, hatte sie früher oft gesagt, meistens überlagert vom alkoholtriefenden Bellen des Vaters: Einen richtigen Beruf soll er lernen, der Pimpf!

Er lebte allerdings nicht lange bei seiner Großmutter, da auch diese bald nach Studienbeginn starb: Herzinfarkt, altersbedingt. Wieder gab es eine Beerdigung, Kosten und einen jungen Mann, der mit der Situation vollkommen überfordert war. (An dieser Stelle sollte bereits klar geworden sein, dass Biber keine Freunde, zumindest keine richtigen, in seinem Leben hatte.)

Die Miete der großmütterlichen Wohnung war teuer. Biber musste einkaufen, hatte Rechnungen zu bezahlen, musste sich versichern. Ja, er würde ein paar Jährchen mit dem Erbe auskommen, aber nicht lange genug. Jeder, der ein Studium hinter sich hat oder gerade studiert, wird wissen: Studium und Teilzeitjob lassen sich nur vereinen, wenn man ein Workaholic ist, vor allem dann, wenn das Studium Jura heißt.

Für Biber stand fest: Entweder er bewarb sich bei einer schlecht bezahlten Stelle im Einzelhandel, oder er verwendete seine ganze gebliebene Energie darauf, das Studium so rasch wie möglich abzuschließen – aber dafür musste er seine Lebenskosten enorm reduzieren, wollte er genug Zeit haben (und nebenbei versichert sein).

Die billigste Bleibe, die man in Wien finden konnte, war und ist der Bernhardshof in Phillipsdorf, dem inoffiziellen 24. Bezirk.

Biber wusste wie jeder in der Stadt um die Geschichten über diesen Ort, aber er war ein pragmatischer Mensch. Für ihn hielten die verwinkelten Gassen, die schattigen Häuserecken und der vage Dunst, der über allem zu schweben scheint, nicht mehr Schrecken bereit, als es ohnehin sein Schicksal und seine Existenzängste taten.

Geister und Dämonen gab es nur in der Phantasie.

Leben und Überleben musste man in der Realität.

Davon war er überzeugt.

Phillipsdorf begrüßte Biber an einem feuchtkalten Vormittag im März 2013. Er hatte sich die Wohnung im Vorfeld nicht einmal angesehen, sondern telefonisch zugesagt und den Mietvertrag postalisch unterschrieben. Dass dies möglich war, überraschte ihn als Jura-Student, aber es war ihm gelegen. Nur schnell raus aus der teuren Wohnung der Großmutter, war die Devise.

Er besaß nicht viel, und das, was er besaß, passte in zwei mittelgroße Koffer, eine Sporttasche und einen Bücherkarton. Der Taxifahrer war sogar so freundlich, ihm an der Straßenseite vor dem Bernhardshof beim Ausladen seiner Sachen zu helfen, aber nur, um recht schnell wieder flüchten zu können.

Die blinden Fenster des Wohnbaus beobachteten, wie Biber den Fahrer bezahlte und dieser wie gehetzt davonfuhr. Hinter einer Scheibe blitzten in der Düsternis zwei Augen auf, mehr nicht.

Biber schauderte es sichtlich.

Er sah sich um. Brüchiger Asphalt, abblätternder Verputz, vernagelte Fenster (vor allem an großen Teilen des Bernhardshofs), kaum Autos und keine Menschen. Keine sichtbaren Menschen. Er spürte nur deren Blicke. Oder die Blicke des Ortes. Männer wie er sind aber eher unempfänglich gegenüber dieser Art Eindrücke.

Irgendwie schaffte er es, den Bücherkarton auf einem der Koffer zu balancieren, während er beide an den ausfahrbaren Griffen hinter sich herzog. Die Sporttasche trug er um den Hals, was seinem Stiernacken nicht die geringste Anstrengung abforderte.

Wenn er Enttäuschung empfand, als er den Torbogen in den Innenhof passierte, so ließ er es sich nicht anmerken. Er blickte ruhig über die abgegrenzten Bereiche zwischen den Wegen, die eigentlich Grün sein sollten, schließlich war es März und es lag kein Schnee. Aber das Gras, das aus dem Boden hier wuchs, war gelblich und verkümmert. Die paar Bäumchen in den Parzellen sahen nur um ein weniges gesünder aus als Skelette.

Kein guter Boden.

Er steuerte die Stiege 1 an, in der die Hausbesorgerin1 lebte.

Die Tür zur Stiege, bestehend aus verwittertem Holz, stand halb offen. Der Flur und die Treppen dahinter lagen in einem Zwielicht, das nur den Stiegenhäusern von Wohnbauten eigen ist. Einen Aufzug sah Biber nicht, was ihn etwas entmutigte, bedachte er sein Gepäck.

Er klopfte an der Tür von Miss Sargent an, die gleich hinter dem Eingang zur Stiege lag, und wartete.

Wartete, bis er seine Faust schon ein weiteres Mal hob, um anzuklopfen. Da hörte er schlurfende Geräusche hinter der schiefen Wohnungstür. Fast schwerfällig ertönte das Klicken und Klacken, als das Schloss entriegelt wurde. Die Tür zog sich eine Handbreit auf.

Ein blasses Auge erschien im dunklen Spalt, das zu einem schlaffen Gesicht mit ungesunder Hautfarbe und strähnigen Haaren gehörte. „Wer sind sie?“, war alles, was die schilfige, aber gutturale Stimme sagte.

Biber trat von einem Fuß auf den anderen, eine Verhaltensweise, wie sie nicht zu diesem stämmigen Mann mit dem kantigen Gesicht und dem militärischen Kurzhaarschnitt passte. „Guten Tag. Ich ... Mein Name ist Christoph Biber. Ich bin der neue Mieter ...“

Weiter kam er nicht. Eine bläulich grau schimmernde Hand streckte ihm zwei Schlüssel an einem Bund entgegen. „Stiege Vier, erster Stock, Tür Fünf.“

Er nahm die Schlüssel rasch an sich, weil er fürchtete, diese ... Person könnte sie ihm entziehen, wäre er nicht schnell genug. Dabei berührten sich kurz ihre Finger. Die von Miss Sargent waren feucht und glitschig.

Christoph Biber schauderte es zum zweiten Mal.

INTERVIEW II

„Du kennst die Hausbesorgerin des Bernhardshofs bereits, nicht wahr, Stefan?“

„Ich sehe sie regelmäßig im Café Bernhard gleich daneben, ja.“

„Du schreibst dort dienstags und freitags.“

„Ähm ... ja.“

„Oh, entschuldige, eine alte Gewohnheit von mir. Ich beobachte gerne und merke mir vieles. Wie auch immer. Wie war dein Eindruck von Miss Sargent?“

„Schwer zu sagen. Wie du weißt, sind die Umstände meines Zuzugs speziell. Sie hat mich mit einem zahnlosen Lächeln begrüßt. Ich bin jedoch alles andere als unglücklich darüber, nicht im Bernhardshof leben zu müssen.“

„Durchaus verständlich. Sie ist eine unangenehme Person im Bestfall. Und faul, wenn du mich fragst. Die Stiegenhäuser schauen aus, das glaubst du nicht. Und die leer stehenden Wohnungen erst. Saustall ist noch freundlich ausgedrückt. Aber ihre Zeit dürfte näher rücken. Ich hoffe, mit ihrer Tochter Emily ändert sich dann ein bisschen was zum Guten.“

„Warum ist es wichtig, dass Miss Sargent ihre Pflichten vernachlässigt?“

„In der Wohnung klebt immer noch Blut.“

* * *

Bibers neue Wohnung war karg, aber er brauchte auch nicht viel. Ein kleines Schlafzimmer, eine Kochnische, ein kleiner Esstisch, ein Badezimmer mit Toilette und eine Abstellkammer. Die Tapeten waren fleckig, die Türchen der Küchenschränke hingen schief, gingen nicht ganz auf oder fehlten einfach. Die Matratze auf dem Bett hing durch, der Kleiderschrank lehnte mehr an der Wand, als dass er stand. In der Dusche konnte man sich kaum umdrehen, das Abflussrohr der Toilette war heillos verkalkt und Schimmel arbeitete in mehreren Ecken, ähnlich dem fragwürdigen Biologie-Projekt eines Zehnjährigen.

Das Erste, was Biber in der Wohnung tat, war lüften.

Das zweite, die Heizung anzustellen, die nicht anständig funktionierte. Er versuchte, sie zu entlüften, aber das brachte nichts. Auf seine geistige Einkaufsliste, die mittlerweile chemisch aggressive Putzmittel und eine Waschmaschine enthielt, fügte er eine warme Winterdecke hinzu plus einen Radiator. Biber machte sich keine Illusionen darüber, von Miss Sargent hier auch nur irgendeine Hilfe zu bekommen.

Nun, die Wohnung war offenbar nicht grundlos spottbillig.

Nachdem er sich rasch eingerichtet hatte, machte er sich auf eine erste Erkundungstour in den Ort. Er wollte sondieren, welche Geschäfte es hier gab und was von seiner Einkaufsliste er heute besorgen könnte. Darum rüstete er sich mit einer Einkaufstasche aus.

Die Straßen begrüßten ihn in ihrem trüben, düsteren Grau, der Himmel war wolkenverhangen. Im März, kurz bevor der Frühling die Zügel in die Hand nimmt, ist das Wetter in unseren Breitengraden ohnehin deprimierend. Das und der Umstand, dass Christoph Biber nicht gerade zum feinfühligen Menschenschlag gezählt werden konnte, mochte dazu beitragen, dass er die allgemeine Düsternis Phillipsdorfs nicht als etwas Besonderes wahrnahm, den vagen Nebel ignorierte, der sich wie Miasma aus den Poren des Asphalts schob.

Sein Weg führte ihn zuerst die Meyrinkgasse hinauf, wo er schon bei seiner Ankunft ein Kaffeehaus erspäht hatte, das ihn als Wiener interessierte. Wo konnte man besser lernen oder sich mit der Pflichtlektüre beschäftigen als in einem Wiener Café mit mürrischen Kellnern und einer meisterhaft zubereiteten Melange? Aber der Ersteindruck dieser Kaschemme ließ seine Schultern sinken.

Das Café Bernhard, wie es über dem Eingang in unvollständigen Buchstaben hieß, sah dermaßen heruntergekommen aus, dass man glauben mochte, es sei schon lange geschlossen, wenn hinter den vor Grind strotzenden Fenstern nicht vage Bewegungen auszumachen gewesen wären. Bloße Schatten bewegten sich träge. Die alte, an vielen Stellen eingekerbte Holztür ging langsam auf und entließ einen untersetzten Kerl mit pockennarbigem Gesicht und feucht glänzenden Lippen. Das dumpfe Summen von Gesprächen kam ihm hinterher und wurde von der zufallenden Tür wieder ausgesperrt.

Biber kreuzte den Blick mit dem Mann. Dieser blieb stehen, kniff die Augen zusammen und musterte den Auswärtigen von oben bis unten, bevor er vorsichtig zurückwich und dann nach links in den Walterweg bog.

Biber wandte sich nach rechts, wo es auf derselben Straße auf den August-Platz hinunterging.

Das erste, was ihm dort auffiel, war der verwahrlost aussehende Brunnen im Zentrum. Wie ein Relikt aus dem Mittelalter ragte er gemauert aus dem Boden und reichte in eine unauslotbare Finsternis. Um ihn herum standen alte, fast ausschließlich baufällige Gebäude in die Höhe: Das Rathaus, das Wirtshaus Fröhlich und Häuserblöcke, die erst auf den zweiten Blick als Geschäfte identifizierbar waren.

Zu Bibers Zufriedenheit erkannte er die Trafik1 und eine Greißlerei.2

In der Trafik stand ein alter Kauz hinter dem Tresen, der Kautabak im Mund hatte und wie in einem Western ausspie, als Biber eintrat. Mürrisch fragte der Trafikant, was der junge Mann denn wolle.

„Drei Packerl Hobby“, sagte Biber eingeschüchtert.

Der Alte knallte ihm die Zigaretten vor die Nase und nannte ihm noch mürrischer den Preis. Biber zahlte und flüchtete.

Als Nächstes ging er zur Greißlerei Reidlinger. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er hoffte, kein weiteres ähnliches Erlebnis in diesem Geschäft zu haben. Was ihm außerdem langsam Gedanken machte, war, dass er bisher keine Leute auf offener Straße gesehen hatte. Nur diesen einen Mann, der aus dem Café gekommen war.

Nun, vielleicht mochte sich das mit der Mittagszeit erklären.

Biber war wenig überrascht, als er feststellte, dass die Greißlerei hier ebenfalls dürftig bis nicht ausgestattet war. Als er die Handvoll Regalreihen erkundete, wusste er sich von zwei Augenpaaren beobachtet. Das eine gehörte der abgehärmten Frau mit den aschblonden Haaren an der Kasse, das andere der ihr ähnelnden jüngeren bei der Feinkost.

Biber nahm sich das billigste Brot, das er finden konnte, die billigste Wurst und den billigsten Käse dazu und suchte dann noch nach Putzmitteln aller Art. Er wurde sogar fündig, was ihm zumindest einen seiner Knoten im Magen löste, und nahm sich aus dem Angebot das giftigste und aggressivste Zeug.

Die Kassiererin tippte die Preise aller Waren einzeln in die Registrierkasse. Quälend langsam hob sie den gekrümmten Finger und presste ihn unnötig lange auf eine Ziffer. Die Kasse ratterte laut bei jedem Artikel.

Biber räusperte sich. „Entschuldigen Sie, ähm, wissen Sie, ob es hier ein Elektrofachgeschäft gibt? Oder eines für Wohnbedarf?“

Die Kassiererin hob den Kopf nicht, sondern blickte ihm mit gesenktem Kinn in die Augen. Ihre waren wie verschleiert, als wabere ein Nebel vor den Iriden. Sie krächzte abweisend: „Einen Elektrohändler finden Sie hier auf dem August-Platz, zwei Geschäfte weiter. Was brauchen Sie von einem Geschäft für Wohnbedarf?“ Sie klang, als mache sie sich lustig über seine Ausdrucksweise.

„Ich brauche eine Winterdecke für meine neue Wohnung“, erklärte er wie ein Schüler, der sich vor der Lehrerin für eine nicht gemachte Hausaufgabe rechtfertigt.

„Vis-à-vis“, war ihre knappe Antwort. Dann: „Dreiundzwanzig siebenundachtzig.“

Das Elektrogeschäft, dessen Namen unidentifizierbar war, glich eher einem Ramsch- oder Second-Hand-Laden als einem Fachgeschäft. Dort ergatterte er ein Uralt-Gerät von einem Radiator. Beige mit schwarzem Gitter vor dem Ventilator, sah er aus, als würde er mehr Lärm als Wärme produzieren. Aber diese alten Dinger verbrauchten nicht umsonst mehr Strom in der Minute als alle Glühbirnen in der Wohnung zusammen in einer Stunde. Biber würde es ab sofort warm haben in seinem neuen Zuhause.

Der zweite Laden, den die Kassiererin empfohlen hatte, nannte sich über dem Eingang Federkleid – Betten, Wäsche und mehr, und wieder hatte Biber das Gefühl, als betrete er ein Geschäft, das sich auf gebrauchte Ware spezialisiert hatte. Die Winterdecke, die er kaufte, würde er gründlich waschen müssen, denn er hasste den Gedanken, dass sich die Hände mit den schwarzen Fingernägeln der Verkäuferin darauf befunden hatten – auch wenn die Plastik-Verpackung dazwischen gewesen war.

Trotz allem versuchte er, seinen Tag positiv zu sehen. Er hatte alles bekommen, was er brauchte und wollte. Das meiste war spottbillig gewesen. Und in der Trafik hatte es seine Zigarettenmarke gegeben.

Das Motto lautete: Es sind die kleinen Dinge im Leben.

* * *

Nach einem kargen Mittagessen, bestehend aus Brot, das sich als zäh herausstellte, Käse und Wurst, machte sich Biber daran, die Wohnung zu putzen. Mit Gummihandschuhen und seinem chemischen Arsenal ausgerüstet, schrubbte und scheuerte und wischte er bis nach Sonnenuntergang. Der Boden war bald nicht mehr klebrig, durch die Fenster konnte man wieder etwas sehen und das Bad blitzte in weiß-silbrigem Glanz. Das angehende Biologie-Projekt war vernichtet.

Von den Dämpfen der Reinigungsmittel schwankend, riss Biber die Fenster auf. Der beißende Geruch ätzte in seiner Nase und brannte in den Augen. Auch sein Hals fühlte sich rau an, sogar die Zigarette konnte er nicht so genießen, wie er es gerne gehabt hätte. Offenbar vertrugen sich die Ausdünstungen von Chlorreiniger und Zigarettenrauch nicht besonders.

Gegen neun Uhr abends war er dann so geschlaucht, dass er nicht einmal mehr lesen wollte. Für heute war es genug. Das Bett war frisch überzogen, nur die Winterdecke hatte er noch nicht gewaschen, aber das konnte bis morgen warten. Wenn er einmal den Radiator die ganze Nacht lang laufen hätte, würde das seine Stromrechnung schon nicht astronomisch werden lassen.

Wie gerädert legte er sich hin.

Durchs Fenster erleuchtete der Mond vage sein karg eingerichtetes Schlafzimmer und der Radiator surrte und ratterte vor sich hin, konnte aber die Geräusche des Hauses und der Nacht draußen nicht vollkommen übertönen.