Gut streiten will gelernt sein! - Daniele Novara - E-Book

Gut streiten will gelernt sein! E-Book

Daniele Novara

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Beschreibung

Streit in der Klasse kann jeden noch so guten Unterricht zermürben.

Ist das soziale Gleichgewicht in einer Klasse gestört, wird viel Energie vom Lehren und Lernen abgezogen und in die Konflikteindämmung investiert.

Oft überwiegt noch die Auffassung, dass gute Schüler und Klassen diejenigen sind, die wenig streiten. Ein offener und konstruktiver Blick auf Schülerkonflikteist da hilfreich. Streit kann nämlich fruchtbar sein für den Gruppenzusammenhalt und Schüler können daraus gestärkt hervorgehen.

Dieses E-Book gibt Ihnen Hilfen an die Hand, um Konflikte als Lernanlässeund Anstöße zur Weiterentwicklung zu begreifen. Unterstützen Sie Ihre Schüler dabei, Streit zuzulassen, ihn zu verstehen und konstruktiv damit umzugehen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 164

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Ähnliche


Daniele Novara und Caterina Di Chio

Aus dem Italienischen übersetzt von Judith Krieg

Gut streiten will gelernt sein!

Schülerkonflikte verstehen und erfolgreich moderieren

Impressum

Gut streiten will gelernt sein!

Daniele Novara

Der Pädagoge, Berater und Aus- und Weiterbildner leitet seit 1989 das Centro Psicopedagogico per la pace e la gestione dei conflitti in Piacenza (CPP – Psychopädagogisches Zentrum für Frieden und Konfliktmanagement, www.cppp.it). Als Experte für Lernprozesse in Konfliktsituationen hat er die sogenannte „mäieutische“ Methode „Gut streiten“ zur Lenkung von Kinderstreit entwickelt. Daniele Novara leitet pädagogische Beratungsstellen für Lehrkräfte und Eltern. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Publikationen.

Caterina Di Chio

Die Grundschullehrerin ist Aus- und Weiterbildnerin sowie Supervisorin im Studiengang Früh- und Grundschulpädagogik der Universität Turin. Caterina Di Chio ist Expertin für die mäieutische Dialogtechnik zur Konfliktlenkung und für Sexualerziehung. An Schulen gibt sie Workshops zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und zur Sexual- und Gefühlserziehung. Sie ist Herausgeberin eines Buches über die Situation von Jugendlichen mit AIDS.

Der Inhalt des gesamten Buches ist eine Gemeinschaftsarbeit beider Autoren. Aus praktischen Gründen hat Daniele Novara den ersten und Caterina Di Chio den zweiten Teil verfasst.

© (deutschsprachige Auflage) 2016 AOL-Verlag, Hamburg

AAP Lehrerfachverlage GmbH

Alle Rechte vorbehalten.

Veritaskai 3 • 21079 Hamburg

Fon (040) 325083-060 • Fax (040) 325083-050

[email protected] • www.aol-verlag.de

Übersetzung: Judith Krieg

Redaktion: Kristina Poncin

Lektorat: Susanne von Ahn

Layout/Satz: Satzpunkt Ursula Ewert GmbH, Bayreuth

Illustrationen: Scott Krausen

Coverfoto: © iStockphoto.com/wgmbh (#59170652)

Fotos: S. 5: © Ilike – Fotolia.com (#39004163);

S. 11: © Anne Katrin Figge – Fotolia.com (#1369442);

S. 87: © Anne Katrin Figge – Fotolia.com (# 1369462)

ISBN: 978-3-403-70404-1

Hinweis: Der besseren Lesbarkeit wegen sprechen wir meistens von Schülern und Lehrern, meinen damit natürlich auch die Schülerinnen und Lehrerinnen.

Italienische Originalausgabe: Litigare con metodo

© 2013, by Edizioni Centro Studi Erickson S.p.A., Trento (Italy); This Work was originally published in Italian under the title of: Litigare con metodo, as a publication of Edizioni Centro Studi Erickson in Italy. Copyright © 2013 by Erickson. The Work has been translated into the German language and republished by permission of Edizioni Centro Studi Erickson. This translation cannot be republished or reproduced by any third party in any form without express written permission of Edizioni Centro Studi Erickson. No part of this publication may be reproduced or distributed in any form or by any means, or stored in any database or retrieval system without the prior permission of Edizioni Centro Studi Erickson.

Das Werk als Ganzes sowie in seinen Teilen unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Der Erwerber des Werkes ist berechtigt, das Werk als Ganzes oder in seinen Teilen für den eigenen Gebrauch und den Einsatz im Unterricht zu nutzen. Die Nutzung ist nur für den genannten Zweck gestattet, nicht jedoch für einen weiteren kommerziellen Gebrauch, für die Weiterleitung an Dritte oder für die Veröffentlichung im Internet oder in Intranets. Eine über den genannten Zweck hinausgehende Nutzung bedarf in jedem Fall der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlages.

Sind Internetadressen in diesem Werk angegeben, wurden diese vom Verlag sorgfältig geprüft. Da wir auf die externen Seiten weder inhaltliche noch gestalterische Einflussmöglichkeiten haben, können wir nicht garantieren, dass die Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt noch dieselben sind wie zum Zeitpunkt der Drucklegung. Der AOL-Verlag übernimmt deshalb keine Gewähr für die Aktualität und den Inhalt dieser Internetseiten oder solcher, die mit ihnen verlinkt sind, und schließt jegliche Haftung aus.

Inhalt

EinleitungRichtig streiten lernen: ein methodischer Ansatz

Erster TeilDie mäieutische Dialogtechnik und ihre theoretischen Voraussetzungen

1 Streiten als Mittel gegen Gewalt

1.1 Wider die Begriffsverwirrung

1.2 Streiten muss erlaubt sein

2 Streitende Kinder: ein Tabu

2.1 Konflikte als Ressourcen wahrnehmen

2.2 Die Tradition

2.3 Die Geschichte der Kindheit und der Mythos des braven Kindes

2.4 Konflikte und Kindheitsprägungen

2.5 Die Bedeutung der „wunden Punkte“

2.6 Und wenn sie sich verletzen?

3 Kinder als Erziehungsverbündete

3.1 Kinder sind kompetent: die entwicklungspsychologische Forschung zur Konfliktfähigkeit

3.2 Die Funktion von Streit in den verschiedenen Entwicklungsphasen

3.3 Wie Streit die Entwicklung der Kinder „schützt“

4 Die mäieutische Methode: vier Schritte zum guten Streit

4.1 Mäieutische Dialogtechnik und Lernprozesse

4.2 Der Pädagoge als Regisseur

4.3 Der erste Schritt zurück: nicht mehr nach dem „Schuldigen“ suchen

4.4 Der zweite Schritt zurück: keine Lösung diktieren

4.5 Der erste Schritt vorwärts: die Kinder zum Dialog über ihren Streit anregen

4.6 Der zweite Schritt vorwärts: die Kinder bei ihrer Einigung unterstützen

5 Typologie des Kinderstreits

5.1 Mimesis: warum Kinder einander nachahmen

5.2 „Exhibitionistisches“ Verhalten: Krankheit unserer Zeit

5.3 Zugehörigkeit: innerhalb und außerhalb der Gruppe

5.4 Missverständnis

5.5 Tyrannei der sozialen Rolle

5.6 Ablaufkontrolle: eine Frage der Regeln

5.7 Mangelnde Gefühlskontrolle

Zweiter TeilDie Bedeutung von Streit für die kindliche Entwicklung: empirische Studien

6 Die empirische Forschung: Vorgehen und Ergebnisse

6.1 Die Versuchsanlage

6.2 Die Forschungsergebnisse

6.3 Schlussfolgerungen

7 Vorhang auf für die Hauptfiguren der Studie: die Pädagoginnen

7.1 Überlegungen der Pädagoginnen vor Versuchsbeginn

7.2 Überlegungen der Pädagoginnen nach dem Experiment

8 Vorhang auf für die Hauptfiguren der Studie: die Kinder

8.1 Kinder und Streit

8.2 Kinder und die mäieutische Methode

9 Lernen mit der mäieutischen Methode

9.1 Welchem Lernkonzept folgt die Methode?

9.2 Eine Kompetenz fürs Leben

9.3 Die Rolle der Pädagogen

Danksagung

Bibliografie

Einleitung

Richtig streiten lernen: ein methodischer Ansatz

Allen Kindern, die für Streit bestraft wurden. Wir widmen ihnen dieses Buch, auf dass sich diese Bestrafung nicht mehr wiederhole und wir die Freiheit haben, gut zu streiten!

Bereits seit 25 Jahren spielt das Centro Psicopedagogico per la pace e la gestione dei conflitti in Piacenza (CPP – Psychopädagogisches Zentrum für Frieden und Konfliktmanagement) eine wichtige Rolle in der Erziehungswissenschaft. Das Buch, das Sie in den Händen halten, versammelt und strukturiert die Ergebnisse eines Forschungsschwerpunktes des Instituts und präsentiert mit einer von Daniele Novara entwickelten, empirisch erprobten Methode ein zentrales Resultat dieser pädagogischen Arbeit.

Viele Jahre lang hat das CPP Pionierarbeit geleistet: Mit Unternehmungsgeist und Überzeugung haben wir die These verfolgt, dass Streiten gelernt werden kann. Wir wollten beweisen, dass Konflikte und Gewalt nicht gleichzusetzen sind, sondern der Konflikt bereits eine höher entwickelte Form zwischenmenschlicher Beziehungen darstellt.

Inzwischen sehen wir uns nicht mehr als Pioniere: In der pädagogischen Gemeinschaft vertreten wir mit Nachdruck, dass Konflikte ihre Berechtigung haben, ja, dass die persönliche Entwicklung, insbesondere von Kindern, durch Streit sogar gefördert werden kann und sollte.

Mittlerweile übernimmt das CPP „subversive“ Aufgaben: Wir unterwandern die Vorstellung, es gäbe heutzutage unbegrenzte Möglichkeiten und Erziehung müsste Kinder und Jugendliche in diesem Sinne fördern, damit sie nicht zurückbleiben und keine Chancen der Hypermoderne verpassen. Denn beim Streiten oder durch Konflikte erfahren Menschen im Gegenteil, dass Grenzen existieren und Regeln wichtig sind.

Kinder mit Methode beim Streiten zu begleiten ist eine subversive Praxis! Kinder können so eine Persönlichkeit ausbilden, die andere und die Bindungen zu ihnen einbezieht, ohne dabei Grenzen, notwendige Wartephasen und Filter zu umgehen.

Erziehung mit Methode, das heißt: Strukturen schaffen und Grenzen setzen, bei Entscheidungen helfen und die Zukunft im Blick haben. Diese Aufgaben können heute die Institution Schule und auch die Familie übernehmen. Kinder sollten Grenzen erfahren und sie sollten dabei begleitet werden: Hierin liegt die subversive Aufgabe der Pädagogen und aller anderen Erwachsenen.

Die hier vorgestellte Methode verbindet klare Regeln mit Kreativität und birgt viel Potenzial für echte Veränderungen an den Institutionen, die sie bereits anwenden oder in Zukunft anwenden wollen. Der Weg, den wir beim Thema Kinderstreit zurückgelegt haben, kann mit folgender Formel zusammengefasst werden: Streit ist nicht nur wichtig – das Streiten zu beherrschen ist sogar eine Kompetenz.

Die Publikationsliste des CPP zeigt die verschiedenen Etappen dieser Entwicklung: Ende der 1980er-Jahre veröffentlichte Daniele Novara ein Büchlein mit dem Titel „Der Streit“ (Il litigio), das neue Erkenntnisse der Verhaltensforschung sowie erste Experimente und Beobachtungen zu Konfliktsituationen unter Kindern heranzog. Auf dieser Grundlage konnten wir Streitigkeiten „rechtfertigen“ und akzeptieren, als Erfahrung, die zur Kindheit dazugehört und spezifische Chancen bietet. Davon ausgehend beschäftigten wir uns auch mit Konflikten unter Erwachsenen. Anfang der 1990er-Jahre erschien dann der Band „Der Friedensimpuls“ (L’istinto di pace), der die Konflikt-Thematik aus der Perspektive der Friedenserziehung betrachtete, was wie folgt zusammengefasst werden kann: Wollen wir ein Verständnis von Beziehungen entwickeln, das voneinander abweichende Positionen berücksichtigt, dann müssen wir Streit und Konflikte miteinbeziehen. Im Jahr 2004 wiederum erschien eine neue Ausgabe von „Sich streiten, sich umarmen“ (Abbracci e litigi), die den Versuch unternahm, das Oxymoron des Titels zu versöhnen: Menschen können enge Beziehungen entwickeln, aber damit das möglich ist, müssen eine gewisse Distanz und Streit erlaubt sein. Auch dies war eine wichtige Phase, die unseren heutigen Arbeitsstand und damit den spezifischen Beitrag des CPP vorbereitet hat: Um gut zusammenzuleben, müssen wir erst das Streiten lernen.

Wir vertreten heute den Standpunkt, dass gutes Streiten, also Streiten mit Methode, möglich ist. Streit ist für uns nicht automatisch mit Schuld verbunden, daher benötigen wir auch kein Oxymoron mehr, das mildernde Umstände schafft. Stattdessen schlagen wir vor, Kompetenzen zu entwickeln, die zu einer konstruktiven Streitkultur beitragen. Zu einem in diesem Sinne effizienten Streit gehört, dass Beziehungen bestehen bleiben und Personen nicht „beseitigt“ werden. Und dies gilt für Kinder in ihrer Entwicklung genauso wie für Erwachsene.

Wir stellen in diesem Buch eine äußerst innovative Methode vor, mit der Kinder lernen können, gut zu streiten. Dabei konzentrieren wir uns darauf, Kinder als Subjekte ihres Lebens und Wachstums zu ermächtigen. Unsere empirischen Untersuchungen, bahnbrechend in der internationalen pädagogischen Forschung auf diesem Gebiet, haben die Wirksamkeit der Methode bestätigt: Kinder sind bereits in der Lage, untereinander Beziehungen zu knüpfen, und es ist möglich, die Entwicklung dieser Ressourcen und Fähigkeiten durch die „Mäieutik“, eine Dialogtechnik zur Konfliktlenkung (siehe Kapitel 4), zu fördern. Auf dieser Grundlage werden auch die zukünftigen Erwachsenen fähig sein, Konflikte in funktionierende und kreative Beziehungen zu integrieren.

Im Laufe der letzten 25 Jahre hat sich der gesellschaftliche und kulturelle Kontext stark verändert. Es ist ein Übergang erfolgt von der autoritären Erziehung durch den Vater hin zur emotionalen Erziehung durch die Kinder – und damit sind nicht nur die heutigen Kinder gemeint, sondern auch die heutigen Erwachsenen, als Kinder ihrer Eltern. Doch auch dieser gegenwärtige nicht-autoritäre Erziehungsstil stellt nicht wirklich die Kinder ins Zentrum, fördert noch nicht konsequent ihre Entwicklung hin zu Autonomie und Ablösung. Um dies zu erreichen, sind unserer Ansicht nach noch Veränderungen nötig: Erwachsene müssen zu wirklich mündigen Erziehungsberechtigten werden, mehr, als dies bisher der Fall ist. Fühlen Erwachsene angesichts von Kinderstreit verschwommen, dass sie nicht angemessen darauf reagieren, dann müssen sie sich die Hintergründe ihres Handelns bewusst machen. Sie sollten bewusste Entscheidungen fällen können und dabei ihre Grenzen und ihre Parteilichkeit im Blick haben, sie sollten in der Lage sein, die Erziehung zu organisieren, ohne dabei die Individualität des Kindes zu missachten.

Wir widmen die von uns vorgeschlagene Methode allen Erwachsenen, die sich heute oder in Zukunft beruflich oder als Eltern um Erziehung kümmern. Ziel ist es, dilettantisches Stückwerk zu vermeiden, improvisiertes Eingreifen der Erwachsenen, das oft persönliche Automatismen zutage bringt oder aber von mangelnder Kommunikation unter den Erziehungsberechtigten oder Pädagogen zeugt.

Erwachsene wollen mit der Erziehung häufig ihre speziellen, persönlichen Probleme lösen. Uns hingegen interessiert eine Erziehung mit Weitblick, mit einem pädagogischen Ziel. Erziehung betrifft die Gemeinschaft. Streit und Konflikte sind ein Weg, Beziehungen auszuhandeln, und betreffen die Gemeinschaft daher ebenfalls. Wenn die Beschäftigung damit nur unsere kleinen persönlichen Probleme lösen soll, dann kommen wir nicht weit.

Und die Forschung steht weiterhin vor offenen Fragen. Für Kinder ist der Streit eine Ablösungspraxis. Ob Interaktionen zwischen sehr jungen Kindern, die noch nicht als Streit bezeichnet werden können, oder richtige Streitigkeiten – immer handelt es sich um Phasen der Ablösung von den Eltern und Erwachsenen, in denen die Kinder mit ihrem Körper, ihren Worten und ihren Gefühlen experimentieren. Zunächst eins mit der Mutter, entdeckt das Kind durch den Streit, dass es einen eigenen „emotionalen Körper“ besitzt, mit dem es sich beschäftigen, den es nutzen kann. Dieser Prozess dauert ein Leben lang und kann durch Streit lediglich angestoßen werden.

Obwohl bereits viel getan und geschrieben wurde, obwohl wir hier unser Wissen über Kinder, über die Entwicklung, über menschliche Beziehungen teilen, bleibt das Terrain, das dieses Buch bearbeitet, doch ein Feld für weitere Studien und Untersuchungen. Um es in Anlehnung an Albert Einstein zu sagen: „Wenn wir (genau) wüssten, was wir tun, würde man es nicht Forschung nennen.“

Paolo Ragusa

Ausbildungsverantwortlicher am CPP, Centro Psicopedagogico per la pace e la gestione dei conflitti, in Piacenza (CPP – Psychopädagogisches Zentrum für Frieden und Konfliktmanagement)

Erster Teil

Die mäieutische Dialogtechnik und ihre theoretischen Voraussetzungen

1 Streiten als Mittel gegen Gewalt

1.1 Wider die Begriffsverwirrung

Eine Fachzeitschrift veröffentlicht die Ergebnisse der Wortschatzarbeit in einer Kindergartengruppe (S. Sironi, Io tra terra e cielo, in: „Scuola Materna“, Nr. 9 2011. Die Gruppenarbeit wird auf S.40 beschrieben). Der Artikel behandelt den Einsatz des didaktischen Instruments „Wörterwurf (Lancio della parola)“, mit dem Eindrücke einer Buchlektüre in der Gruppe geteilt werden. Im angeführten Beispiel schlägt die Erzieherin das Wort „Krieg“ vor und fordert die Kinder auf, alles zu nennen, was ihnen zu diesem Begriff einfällt. Beim freien Assoziieren tauchen unterschiedliche Wörter und Gedanken auf, unter anderem wird „Streiten“ mit „Krieg“ in Verbindung gebracht.

Schon seit Jahren bemühe ich mich darum, mehr Klarheit in die Begriffsverwirrung zu bringen, die Wörter wie etwa „Gewalt“, „Konflikt“, „Krieg“, „Streit“, „Auseinandersetzung“ und „Übergriff“ vermischt und miteinander verbindet. Alle diese Begriffe werden demselben negativ besetzten semantischen Bereich zugeordnet, als bezögen sie sich auf ein und dasselbe Verhaltensmuster. Aber wie kann man vom Afghanistankrieg als einem „Konflikt“ sprechen und so den gewaltsamen Tod von fast 2.800 Menschen pro Jahr (die Zahl bezieht sich auf das Jahr 2010; zur derartigen Verwendung des Begriffs „Konflikt“ sei neben vielen anderen auf den Aufsatz von Dell’Olio 2011 verwiesen) mit einer Auseinandersetzung unter Nachbarn gleichsetzen, die um den Parkplatz streiten, um nur ein Beispiel zu nennen?

Unweigerlich bekommen schon kleine Kinder die Folgen dieser riskanten Vermengung zu spüren, die es unmöglich macht, verschiedene Formen zwischenmenschlicher Interaktion zu unterscheiden. Es ist außerdem schon lange bekannt, dass begriffliche Zuschreibungen auf das Erleben und das persönliche Verhalten zurückwirken. Man könnte es so sagen: Wenn ich es mir zur Gewohnheit mache, ein Kind als „gewalttätig“ zu bezeichnen, das sich aufregt und wie verrückt schreit, wenn es beim Spielen im Hof verliert, dann kann es sein, dass ich irgendwann keinen Unterschied mehr wahrnehme zwischen den Wutschreien und der Ohrfeige, die eben jenes Kind zum Schweigen bringen soll.

Konflikt, Streit und Gewalt sind nicht ein und dieselbe Sache. Ein Streit ist kein Krieg und auch kein gewalttätiger Übergriff. Wir können dies beispielhaft am Ablauf eines Autounfalls beschreiben.

Beispiel

Erster Fall. In einem Kreisverkehr verursacht ein Autofahrer einen Auffahrunfall. Beide Parteien steigen aus. Der Fahrer des beschädigten Autos ist ziemlich wütend und sagt zum anderen: „Haben Sie mich denn nicht gesehen? Wo sind Sie mit Ihren Gedanken?“ Der Schuldige antwortet: „Verflixt, ich habe mich ablenken lassen, ich wollte das nicht.“ Der andere zeigt auf den Blechschaden und antwortet wütend: „Da sehen Sie, das kostet sicher 500 Euro. Sie sollten wirklich besser aufpassen!“ Der zerstreute Autofahrer rechtfertigt sich: „Es tut mir wirklich leid, ich wollte das nicht … ich war nur einen Moment lang unkonzentriert.“ „Nun ja, passiert ist passiert, ich hoffe sehr, dass Sie versichert sind!“ „Ja natürlich, wir regeln das.“ „Also halten wir den Schaden fest.“ „Gut, ich hole die Dokumente.“ Gemeinsam warten die beiden auf die bereits verständigte Polizei.

Zweiter Fall. In einem Kreisverkehr bemerkt ein Fahrer, dass das Auto hinter ihm etwas zu dicht auffährt und drängelt. Er ärgert sich über diese aufdringliche Nähe und denkt: „Was will der? Warum kommt er so nahe ran? Er fährt fast auf. Ich möchte, dass er verschwindet! Jetzt zeige ich es ihm, ich gebe ihm eine Lehre, das hat er davon, wenn er so drängelt.“ Er wird immer wütender, er kennt den Fahrer hinter ihm zwar nicht, aber er erträgt ihn nicht, kann ihn nicht ausstehen. Daher bremst er abrupt und provoziert einen Auffahrunfall. Der Aufprall ist heftig, der hintere Fahrer stößt sich den Kopf und verletzt sich. Ein Krankenwagen holt ihn ab und die Polizei nimmt den Unfall auf.

Ich überlasse es den Lesern, Schlüsse aus diesen beiden Beispielen zu ziehen: Wo haben wir es hier mit Gewalt zu tun, wo mit einem Konflikt, handelt es sich wirklich um dasselbe Muster? Ich bin der Ansicht, dass Gewalt spezifische Merkmale hat, die deutlich von denen des Konflikts abweichen: ein unwiderruflicher Schaden, vorsätzliches Handeln und die Absicht, den Verursacher eines Problems zu beseitigen und damit das Problem zu lösen. Ein Konflikt hat seine Berechtigung, Gewalt hingegen nicht. Bringen wir die beiden Begriffe durcheinander, dann verlieren wir die Fähigkeit, Gewalt wirklich als solche zu erkennen: als Vorsatz, den Gegner spürbar zu schädigen, vor allem aber als Wunsch, ein Problem mitsamt seinem Verursacher zu beseitigen. Gewalt existiert, weil Menschen sich von ihren Gefühlen dominieren lassen, und damit meine ich nicht nur zufällige, emotionale Reaktionen, sondern auch Gefühle, die jahrelang anhalten und eine tyrannische Macht ausüben.

Der Konflikt hingegen ist anderer Natur, er bewegt sich auf einer Beziehungsebene. Unter Konflikt fällt alles, was Beziehungen betrifft, in denen die Parteien in Bezug auf irgendetwas gegensätzliche Positionen einnehmen. Können ein Individuum oder eine Gemeinschaft nicht mit Konflikten umgehen, dann kommen sie aus dem Gleichgewicht und tragen möglicherweise Schaden davon: Wollen wir uns davor schützen und die Angelegenheiten zwischen uns und den anderen besser regeln, dann müssen wir in Konfliktsituationen entsprechend kommunizieren. In folgender Tabelle fasse ich meine Unterscheidung zwischen Gewalt und Konflikt zusammen.

GewaltKonfliktVorsätzliche Schädigung des Gegners mit nicht wieder rückgängig zu machenden psychischen oder körperlichen FolgenAuseinandersetzung, Meinungsverschiedenheiten, Divergenz, Widerspruch, von Kritik begleiteter Widerstand (keine unwiderrufliche Schädigung)Problem (Konflikt) soll gelöst werden, indem sein Verursacher beseitigt wirdAbsicht, sich dem Problem (Konflikt) zu stellen und dabei die Beziehung zu erhaltenVernichtung der Beziehung als vereinfachende und einseitige „Lösung“Entwicklung der Beziehung ist möglich, wenn auch anstrengend und mit Problemen verbunden

Tabelle 1.1: Die Unterscheidung zwischen Gewalt und Konflikt (aus Novara 2011, S. 20)

Konflikte verursachen keine unwiderruflichen Schäden, im Gegenteil, sie bewahren das Entwicklungspotenzial einer Situation. Dies führt uns zu einem anderen wichtigen Punkt, nämlich der subjektiven Wahrnehmung eines Konflikts. Oft werden beleidigende Worte mit gewalttätigem Handeln gleichgesetzt: Aber ist alles, durch das ich mich angegriffen fühle, wirklich Gewalt? Im Konflikt geht es darum, die Beziehung zu bewahren, der Gewalt geht es darum, die Beziehung zu zerstören und zu vernichten. Sicherlich erleben Menschen Situationen sehr unterschiedlich, dennoch bin ich überzeugt davon, dass wir Kränkungen nicht prinzipiell als Gewalt begreifen sollten, da ein unerträgliches Klima allgemeiner Überempfindlichkeit und Gereiztheit die Folge wäre. Die Situation ist paradox: Einerseits messen wir individuellen Befindlichkeiten viel Bedeutung bei und betrachten sie als unantastbaren Teil unserer Persönlichkeit. Andererseits umgeben wir uns gerne mit Menschen, die mit Auseinandersetzungen emotional besser umgehen können und sich nicht gleich angegriffen fühlen.

Analysen können bei dieser Thematik an vielen Punkten ansetzen. Das CPP geht über bestehende Ansätze hinaus und beschäftigt sich bereits seit Jahren mit einer neuen Hypothese. Danach beruhen viele gewalttätige Handlungen auf der Unfähigkeit, Konflikte auszutragen und mit Konfliktsituationen umzugehen. Dieses Unvermögen bezeichnen wir als mangelnde Konfliktfähigkeit. Was ist damit gemeint?

Mangelnde Konfliktfähigkeit

Der Begriff bezeichnet ein Defizit auf der Beziehungs- und der metakognitiven Ebene, mit folgenden Merkmalen:

Einer Person fällt es schwer, Beziehungen mittels Sprache zu gestalten, was einen Kreislauf zur Folge hat: Irritation auf verbaler Ebene löst gewalttätiges Handeln aus.Eine Person neigt dazu, Emotionen auszuleben, ohne sie symbolisch zu filtern und aufzuarbeiten: Psychische Labilität tritt auf diese Weise offen zutage.Eine Person hat Mühe, zwischen dem Inhalt und dem Sender einer konfliktbeladenen Nachricht zu unterscheiden, und verwechselt daher ihr Gegenüber mit dem Problem.

Diese Schwierigkeiten zeugen vom Unvermögen, mit Widerspruch umzugehen oder sich zurückzuhalten. Spannungen werden daher sofort nach außen projiziert, auf die Person, mit der sie zusammenhängen.

Ist eine Person mit mangelnder Konfliktfähigkeit