Hades & Bones: Tochter der Unterwelt - Anna Lukas - E-Book
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Anna Lukas

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Beschreibung

**Auf wessen Seite stehst du?** Malison Hades ist unerschrocken, gerissen und die beste Kopfgeldjägerin der Unterwelt. Doch als sie auf den mysteriösen Wandler Ethan Bones angesetzt wird, kommen ihr erstmals Zweifel an den Aufträgen ihres Vaters, dem Gott der Unterwelt und der Toten. Zwischen ihrer menschlichen und dämonischen Seite hin- und hergerissen, spürt sie eine magische Verbindung zu Ethan, die etwas zu bedeuten haben muss. Deswegen hilft sie dem seltenen Greif bei der Flucht, anstatt ihn an Hades auszuliefern. Die restlichen Kopfgeldjäger lassen allerdings nicht lange auf sich warten und so beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem schnell klar wird, dass Hades weitaus mehr von Ethan will als nur seine Seele. Denn Ethan ist der Schlüssel zu einem perfiden Plan, den Hades schon seit langem verfolgt ... Entdecke griechische Götter, mystische Wesen und eine epische Liebesgeschichte! //»Tochter der Unterwelt« ist der erste Teil der magischen Romantasy-Reihe »Hades & Bones«. Weitere Titel bei Impress:  -- Band 1: Hades & Bones: Tochter der Unterwelt -- Band 2: Hades & Bones: Prinz des Totenreichs -- Band 3 (Spin-off Hades & Bones): Gods & Demons: Erbin des Schattenreichs  Diese Reihe ist abgeschlossen.// 

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Anna Lukas

Hades & Bones: Tochter der Untwerwelt

** Auf wessen Seite stehst du?**

Malison Hades ist unerschrocken, gerissen und die beste Kopfgeldjägerin der Unterwelt. Doch als sie auf den mysteriösen Wandler Ethan Bones angesetzt wird, kommen ihr erstmals Zweifel an den Aufträgen ihres Vaters, dem Gott der Unterwelt und der Toten. Zwischen ihrer menschlichen und dämonischen Seite hin- und hergerissen, spürt sie eine magische Verbindung zu Ethan, die etwas zu bedeuten haben muss. Deswegen hilft sie dem seltenen Greif bei der Flucht, anstatt ihn an Hades auszuliefern. Die restlichen Kopfgeldjäger lassen allerdings nicht lange auf sich warten und so beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem schnell klar wird, dass Hades weitaus mehr von Ethan will als nur seine Seele. Denn Ethan ist der Schlüssel zu einem perfiden Plan, den Hades schon seit langem verfolgt ...

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Vita

Danksagung

© privat

Die Autorin Anna Lukas, Jahrgang 1999, lebt mit ihren drei Katzen in der Nähe von Stuttgart, wo sie ihren Master in Online-Marketing absolviert hat. Unter annas.inkspell bloggt die Autorin regelmäßig über Bücher und das Autorenleben. Anna Lukas schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr am liebsten Fantasyromane. Andere Themen, die sie interessieren, sind: Tierschutz, Städte-Reisen und Serien. Doch eine ihrer größten Leidenschaften sind natürlich Bücher.

Kapitel 1

Malison

Ich genoss die nächtliche Stille, lehnte mich gegen einen der kahlen Grabsteine und ließ meinen Blick von dem Hügel hinab über die Stadt schweifen. Ab und zu vernahm ich die Sirenen von Krankentransportern und Polizeiwagen, hupende Autos oder die Gespräche von Spaziergängern, die in der Dunkelheit auf versteckten Waldwegen neben dem Friedhof umherspazierten. Santiago de Chile war trotz der dunklen Nacht ein einziges Lichtermeer.

Um die Gräber waberte der Nebel, der sich wie eine streunende Katze an meine Unterschenkel schmiegte. Dennoch schob ich die dunkle Atmosphäre auf dem Friedhof eher auf mein Wesen als auf diesen Ort. Was sollte man als Tochter von Hades auch anderes annehmen?

Hier in den Hügeln war die Luft vollkommen klar und nicht mit Feinstaub und Abgasen versehen wie in den dreckigen Straßen der Großstadt. Im Allgemeinen war die Luft allerdings überall sanfter und angenehmer als in meinem Zuhause, der düsteren, kalten Unterwelt.

Ein frischer Wind peitschte mir entgegen und schmiegte sich eng um meinen Nacken. Ich schloss die Augen und genoss die Brise, während ich die Mischung aus stickiger und frostiger Luft in der Unterwelt aus meinem Gedächtnis verbannte.

Ich zog meine Beine dicht zu mir, als ich auf einmal das Schreien einer Krähe bemerkte. Erschrocken machte mein Herz einen Satz. Ich biss mir auf die Unterlippe und öffnete das rechte Auge vorsichtig, um über den Friedhof zu spähen. Noch hatte ich die leise Hoffnung, dass es sich um einen stinknormalen Raben handelte, der sich auf der Suche nach Kadavern auf einem chilenischen Friedhof verirrt hatte. Ich blickte über den Abhang voller Grabsteine, sah den Tau an den Gräsern und die langsam verblassenden Strahlen des Mondes. Mir fiel ein vermodertes Holzschild ins Auge. Darauf stand: Wir sollten zu unseren Mitmenschen netter sein, solange sie noch am Leben sind, und ihnen nicht erst Blumen bringen, wenn sie längst nicht mehr existieren.

Ich riss meinen Blick von dem Schild los; Menschen waren so sensibel und kleinlich. Selbst wenn ich zur Hälfte zu ihrer Spezies gehörte, verspürte ich keine große Empathie für sie. Aber vermutlich lag das an meiner Erziehung im Reich der Toten und meiner erlernten Gefühlstaubheit.

Erneut kreischte die Krähe auf und riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte nach rechts und entdeckte den Vogel auf einem großen grauen Grabstein, von dem aus er mich mit seinen pechschwarzen Augen anstarrte. Er neigte den Kopf zur Seite und nickte mir mit einer groben Geste zu. An seiner Kehle hatte er einen schneeweißen Fleck.

Verdammt!

Ich öffnete das linke Auge und es bestand kein Zweifel mehr, dass es mein Rabe war.

Ich drehte meine Hand und griff nach dem silbernen Armband, das mit goldenen Anhängern versehen war. Einer davon zeigte einen Kreis und war in der Mitte mit einem Schieberegler und einer versilberten Krähe versehen. Ich packte den Regler und drehte daran.

Blitzartig schoss eine lilafarbene Substanz aus dem Anhänger und verbreitete sich schlierenartig auf dem Boden. Der violette Schleier schlängelte sich auf der Erde entlang, bis er den Grabstein erreichte und langsam zu dem Raben vordrang. Das Tier schrie auf, als der Nebel seine Füße erreichte und sich langsam darum wand. Die Schreie verklangen in einer Wolke, die den Raben geradezu verschluckte, bis der Nebel sich wieder lichtete. Doch da war kein Vogel mehr, der auf dem Grabstein saß, sondern ein junger Mann, der seine langen Beine entspannt hin und her schaukeln ließ und mir ein wissendes schiefes Lächeln schenkte.

»Komm da runter, Dylan«, sagte ich und verdrehte dabei die Augen. »Schon mal was von Respekt vor den Toten gehört?«

Überrascht blinzelte er mich mit seinen braunen Augen an und zog die perfekten Brauen nach oben.

»Wieso?«, fragte er verblüfft, sprang leichtfertig von dem Grabstein herab und landete auf der weichen, aufgewühlten Erde des Grabes. Desinteressiert trampelte er zu mir, die begrabene Leiche unter seinen Füßen kümmerte ihn nicht die Bohne.

»Den Menschen sind ihre Toten eben wichtig«, entgegnete ich schroff; eine wirkliche Erklärung für meine Verteidigung der menschlichen Rituale fand ich selbst nicht. Es war für mich eine reine Platzverschwendung, ein solch großes Grundstück für das Begraben von Leichnamen zu nutzen. Hingegen waren die Städte der Lebenden beengend und knapp an Wohnraum. Wozu die Toten so viel Platz brauchten?

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Dylan, der mit geschmeidigen Schritten auf mich zulief, wobei seine pechschwarzen Klamotten sich mit jeder Bewegung auf und ab bewegten.

»Verstehe ich nicht«, meinte er und warf kurz einen Blick zurück auf das Grab, dann sah er wieder mich an und zuckte locker mit den Schultern. »Am Ende kommen ihre dunklen Seelen sowieso bei uns in der Unterwelt an, dabei ist es egal, ob ihr Körper hier in einem Loch verscharrt wurde oder nicht.«

»Du bist wirklich richtig gefühlvoll«, meinte ich und drückte mich mit den Handflächen am Grabstein ab. Ich richtete mich auf und stolzierte auf Dylan zu. Er war größer als ich, doch durch den Fünf-Zentimeter-Absatz an meinen schwarzen Schuhen standen wir uns Kopf an Kopf gegenüber.

»Was hast du gesehen?«, fragte ich prompt und unterstützte meine Frage durch eine hochgezogene Augenbraue.

»Malison Hades«, tadelte er mich lächelnd, »du kommst immer gleich zum Punkt. Bist du so neugierig auf die neue Seele?«

»Natürlich«, entgegnete ich mit rauer Stimme und einem bösen Funkeln in den Augen. In Wahrheit hatte ich allerdings keine Lust darauf, einen armen Idioten aufzuspüren und ihn eine Etage tiefer zu meinem Vater zu schleifen. Irgendwie erhoffte ich mir langsam mehr von meinem dämonischen Leben. Vielleicht ein schickes Penthouse mit Strandblick?

»Es ist Alex Pars, er besucht gerade auf dem Friedhof seine verstorbene Frau – der ideale Zeitpunkt, um zuzuschlagen«, erklärte mir Dylan und richtete seine Haare, die durch sein Gestaltwandeln kreuz und quer abstanden.

»Was hat er getan?«, erkundigte ich mich neugierig, obwohl ich seine Akte sicher gelesen hatte, und spürte, wie meine menschliche Seite die Oberhand gewann. Dämonen stellten solche Fragen nicht, sie konzentrierten sich nur darauf, die Mission zu erfüllen.

»Was kümmert es dich?«, antwortete Dylan ausweichend mit einer Gegenfrage. »Wenn dein Vater uns seinen Namen genannt hat, dann ist er eine verlorene Seele, die aus der Unterwelt entkommen ist und von uns zurückgebracht werden muss. Das ist unser Job, Malison. Wir sind die Kopfgeldjäger der Unterwelt.«

»Was für eine Ehre …«, murmelte ich und setzte ein gespieltes Grinsen auf.

»Ich führe dich hin«, entgegnete Dylan munter, als würden wir lediglich kurz Kaffeepulver für unseren Chef besorgen. »Dir macht das wirklich Spaß, oder?«, staunte ich und musterte ihn von hinten, als wir losliefen.

Er schenkte mir einen irritierten Blick über die Schulter und kniff die Augen zu zwei skeptischen Schlitzen zusammen. »Selbstverständlich«, sagte er euphorisch und lächelte, wobei der Mondschein schwach auf sein bleiches Gesicht fiel. Dylan war ein Dämon, ein Krieger in der Gefolgschaft meines Vaters Hades, und mir zugeteilt worden, als wäre er ein Hund, für den man einen neuen Besitzer gesucht hatte. Er war mein loyaler, spöttischer Begleiter, den man in der Menschenwelt vermutlich zum »Mitarbeiter des Monats« gekürt hätte. »Ich könnte mir keinen besseren Beruf wünschen; das ist der beste seit siebzig Jahren!«

Ich schmunzelte und unterdrückte ein Kichern, denn Dylan wirkte höchstens wie ein junger Erwachsener, obwohl er um die zweihundert Jahre alt sein musste. Tatsächlich war das schon verdammt jung für einen Dämon, dagegen fühlte ich mich mit meinen dreiundzwanzig Jahren wie ein Neugeborenes.

Den Rest des Weges schwiegen wir. Dylan – auch alle anderen Wesen aus der Unterwelt – verstanden sich nicht im Small Talk. Sie hatten ja auch keine menschliche Seite und damit kein stetiges Bedürfnis nach Kommunikation – diese verfluchten Glückspilze! Ich versuchte mein Menschsein und die damit verbundenen Gefühle bestmöglich zu verdrängen. Es war wichtig, einen klaren Schnitt zwischen mir und der menschlichen Welt zu machen, sonst würde mich meine Menschlichkeit irgendwann übermannen. Also unterdrückte ich jegliches Mitgefühl; laut meinem Vater verdienten die Erdenbürger unsere Gnade ohnehin nicht.

Plötzlich flatterte Dylan in seiner Rabengestalt vor meiner Nase davon und setzte sich auf ein frisches Grab, das noch nicht mit einem Grabstein, sondern nur mit einem kleinen Holzkreuz versehen war. Der goldene Anhänger meines silbernen Bettelarmbands schlug bei jedem Schritt gegen mein Handgelenk und erinnerte mich daran, dass es mir die Kontrolle über Dylans Erscheinung schenkte. Doch diese kleine Freiheit gewährte ich ihm, ich wollte nicht jede Sekunde die Meisterin raushängen lassen.

Auf einmal fühlte ich mich beobachtet. Sorgfältig huschte mein Blick über die Gräber, die aufgebrochene Gittertür am Eingang und die Gebüsche, auf der Suche nach einem Augenpaar eines Höllenhundes. Diese Wesen streiften immer wieder unauffällig durch die Welt – auf der Suche nach Seelen, die sie in die Unterwelt zerren konnten. Zweifel machten sich in mir breit, dass ein Haustier meines Vaters die Seele schneller ausfindig machen könnte als ich. Bei dem Gedanken an ihre messerscharfen Zähne und den fauligen Atem schauderte ich. Sie teilten ihre Beute nicht und wenn ich auf einen dieser Hunde traf, würde es zu einem blutigen Kampf kommen.

Dylan streckte seinen kurzen Rabenhals in die Länge und deutete mit seinem Schnabel auf den Grabstein hinab. Ich trat langsam näher und tastete mit meiner rechten Hand wie paranoid nach dem Dolch an meiner Hüfte, bis ich einen menschlichen Rücken vor dem Stein entdeckte und entspannt aufatmete. Es war lediglich mein nächstes Opfer für die Unterwelt.

Ein paar Regentropfen rieselten vom Nachthimmel herab und fielen auf mein glattes schwarzes Haar. Ich schlich auf Zehenspitzen an die verlorene Seele heran und tippte ihr schließlich behutsam mit dem Zeigefinger auf die Schulter. Sofort wirbelte der Mann herum und blinzelte mich mit überraschten, tränengefüllten Augen an.

»Entschuldigen Sie, aber heißen Sie zufällig Alex Pars?«, prüfte ich gespielt schüchtern und ließ ein sanftes Lächeln auf meine zierlichen Lippen gleiten.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Dylan über meine Sorgfalt die Rabenaugen verdrehte. Ich wollte sichergehen, dass wir die richtige Seele in den Abgrund rissen.

Der Mann schluchzte und ließ seinen Blick wieder über das Grab seiner Frau schweifen, wobei der Regen stärker wurde und seine Haare nässte.

»Ich habe meine Frau dort unten gesehen, wissen Sie?«, sagte er krächzend und blickte mich jetzt mit festem Blick an.

Ich dachte an die Qualen und die Folter in der Unterwelt, von der mir Dylan erzählt hatte. Die Dämonen folterten die Menschen gern mit ihren Erinnerungen, Halluzinationen oder ihrer größten Reue in einer endlosen Schleife.

»Ich habe meine liebe Frau in der Hölle immer wieder vor meinen Augen sterben sehen … Und jedes Mal war ich schuld. Ich konnte sie nicht retten, ich war wie paralysiert. Wieso foltert ihr Dämonen uns so?«

Mir stockte der Atem. Er erkannte mich … mein wahres Ich mit den kleinen dunklen Teufelshörnern und den pechschwarzen Augen, die ich vor den Menschen verbarg. Es musste daran liegen, dass er die Unterwelt inzwischen kannte und die Augen nicht davor verschloss wie die anderen Menschen.

»Das ist nur eine Traumwelt«, entgegnete ich und versuchte erst gar nicht mich herauszureden. Seelen, die von der Unterwelt entkommen waren, sahen danach oft die Dämonen und das Überirdische in der menschlichen Welt. Es war mir ein Rätsel, wie es manche Seelen schafften zu entkommen. In der Unterwelt gab es mehrere Theorien dazu. Meist vermuteten wir einen unaufmerksamen Dämonenwächter oder eine Lücke in einem der Gefängnisse. Mein Vater hatte eine andere Theorie. Er sah darin das Werk seiner göttlichen Geschwister, die den Seelen halfen zu fliehen und ihn damit noch mehr bestraften, als sie es sowieso schon getan hatten. Schließlich war es seine Aufgabe, all diese Seelen wieder einzufangen. »Du darfst dich nicht schuldig fühlen, sonst wirst du auf ewig in der Hölle verrotten.«

Er nickte mehrfach, wobei Tränen seine Wangen hinunterliefen, sich mit den Regentropfen vermischten und von seinem kantigen Kinn tropften. »Aber ich bin schuld an ihrem Tod«, sagte er, während sein Blick wie gefesselt auf dem Grab lag. Nun erinnerte ich mich an seine Akte. Er und seine Frau waren durch einen Autounfall gestorben. Die Seele seiner Frau war längst im Himmel, doch seine Schuldgefühle hielten ihn in der Unterwelt fest und sofern sich das nicht änderte, würde er für ewig in den kalten Fängen meines Vaters verweilen.

Ich verfestigte meinen Griff um das kalte silberne Metall, zog es hervor und ließ die glänzende Klinge neben meinem Oberschenkel ruhen. Ich hatte keine Zeit, für diesen armen Kerl die Therapeutin zu spielen, die Unterwelt erwartete ein Opfer und mein Vater war extrem ungeduldig – genau wie ich.

Ohne mich länger von meinen menschlichen Gefühlen ablenken zu lassen, holte ich mit dem rechten Arm aus und ließ die Klinge auf die verlorene Seele zurasen. Ich traf sein rechtes Schulterblatt und er kreischte auf. Die Klinge drang nicht tief durch seinen Knochen, doch das hatte den jämmerlichen Schrei auch nicht ausgelöst. Es war das Dämonengift, mit dem die Dolchspitze benetzt war. Für Dylan und mich war das Gift ungefährlich, doch für jedes andere Lebewesen war es wie ein Parasit, der sekundenschnell in den Körper eindrang und ihm jegliche Muskelkraft raubte.

Pars kippte nach vorn, das Gesicht fiel in das weiche Blumenbeet. Dann fing der Mann ruckartig an zu zucken, wobei er mich an einen glitschigen Fisch erinnerte, den man aus einem Bach geangelt hatte.

Die teuflische Seite in mir machte sich bereit, meine Schläfen fingen an zu brennen und meine Stirn glühte förmlich. Es waren die zwei kleinen Teufelshörner, die versuchten, sich von dem Bann zu lösen und meine wahre Gestalt preiszugeben. Mit der freien Hand griff ich nach meiner silbernen Halskette und umfasste einen hellblauen Kristallanhänger. Rhythmisch glänzte er magisch auf, bändigte meine wahre Natur kurz und erlosch dann; seine Magie war aufgebraucht. Es wurde Zeit zu verschwinden, bevor meine Hörner sichtbar wurden und uns ein Mensch entdecken konnte.

Als hätte Dylan meine Gedanken gelesen, schoss sein Kopf in die Höhe. Seine dunklen Augen traten aus den Höhlen hervor, während er meine Stirn anstarrte. Reflexartig sprang er von dem Grabstein herab, breitete die langen Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. Er flog einen eleganten Kreis, wobei seine pechschwarzen Schwingen wild flatterten, bis er auf meiner Schulter zur Ruhe kam. Er hieb seine lästigen Vogelkrallen in mein Schlüsselbein, was mich fluchen ließ. Ob Dylan es mir wohl erlauben würde, seine Krallen zu stutzen?

»Es wird Zeit, Malison«, dröhnte seine tiefe mystische Rabenstimme in meinem Kopf und ließ mich zusammenzucken.

Ich dachte nicht länger nach, sondern packte die verlorene Seele an der blutenden Schulter und zog den Mann mit einem Ruck dicht zu mir her. Seine blauen Augen starrten mich an.

»Bitte«, wimmerte der arme Kerl.

»Es liegt nicht in meiner Hand«, knurrte ich kaltherzig, als würde diese Ausrede jede Schandtat ausgleichen.

Ich griff nach dem Rubinring an meinem rechten Zeigefinger und drehte ihn einmal um, als der Stein blutrot aufleuchtete und wie ein Alarm blinkte. Es dauerte keine drei Sekunden, bis sich die Nebelschlieren um die Gräber sammelten und scharlachrot verfärbten. Sie türmten sich auf und bildeten eine unheilverkündende Spirale. Es war ein Portal zur Unterwelt, das sich langsam öffnete.

Ich packte den Saum der dunklen Jacke fester, zog den Mann dicht an mein Gesicht und schenkte ihm ein gleichgültiges Lächeln. »Was du in der Unterwelt siehst, hast du dir selbst angetan. Es ist nicht meine Schuld, dass du ein schlechter Mensch bist«, fletschte ich durch zusammengebissene Zähne.

Er öffnete die Lippen, um zu protestieren, doch ich war schneller als sein Mundwerk. Ich ließ seinen Jackenkragen los und schubste ihn mit Wucht grob von mir, wodurch er ins Schwanken geriet und nur noch wenige Zentimeter von dem Portal entfernt war. Dylan sprang leichtfertig von meiner Schulter und flatterte auf ihn zu, um ihm dann mit den spitzen Krallen voran ins Gesicht zu stürzen. Der Todgeweihte schrie auf und schlug mit den Händen wild um sich, während er instinktiv rückwärtslief. Dylans Kraft war nicht gewöhnlich, selbst in der Gestalt einer Krähe schlug er einen Menschen mit Leichtigkeit. Die verlorene Seele hatte keine Chance gegen zwei Ausgeburten der Hölle.

Blut spritzte auf das Grab der Frau, als Dylan seine Krallen aus dem menschlichen Gesicht zog und einen Meter zurückflatterte. Unser Opfer war entstellt. Seine Gesichtszüge waren mit tiefen Kratzern übersät, die Wangen gerötet und mit Blutstropfen besprenkelt und die Augen zerkratzt, sodass er kaum noch etwas sah. Dylan überließ mir den letzten Schlag, der unsere Seele direkt in die Unterwelt und in sein ewiges Gefängnis befördern würde. Mit meinem linken Bein holte ich nach hinten aus, schlug zu und traf mit einer übermenschlichen Wucht auf Alex Pars’ Magengrube.

Unkontrolliert stolperte der Mann rückwärts und fiel mitten in das Portal. Er schrie ein letztes Mal laut auf und stürzte in die Tiefen des roten Strudels, bis die Unterwelt ihn verschluckte und seine Seele aus der Erde riss. Zurück blieb ein lebloser Körper, der wie ein gefällter Baum zur Seite kippte und hart auf den Erdboden knallte.

Meine Augen funkelten triumphierend, während ich an dem Anhänger meines Bettelarmbands drehte und Dylan sich zurück in seine menschliche Gestalt verwandelte.

Er klopfte sich den Staub von den Klamotten, dann schritt er auf mich zu und deutete wie ein Gentleman auf das Portal. »Ladys first«, schnurrte er mit einer verführerischen Stimme.

Ein leichtes Zischen drang aus meiner Kehle. Ich war keine Lady. »Vater wird von unserer neuen Rekordzeit begeistert sein«, rief ich und spürte ein warmes Gefühl des Stolzes in meiner Brust anschwellen.

»Nun, wir gelten ja nicht umsonst als das beste Kopfgeldjäger-Team der Unterwelt«, prahlte Dylan.

Die anderen Dämonen mussten ihn und unseren Erfolg verabscheuen.

Aber er hatte recht, wir waren ein verdammt gutes Duo. Und es wurde Zeit, die Lorbeeren für unseren Erfolg einzusacken.

»Komm schon«, trällerte ich zufrieden, doch es schwang auch ein seufzender Unterton mit. »Gehen wir nach Hause«, entschied ich und machte einen Schritt vorwärts und hinein in das blutrote Portal, das meine dunkle Seele sofort willkommen hieß und jedes meiner Moleküle in sich verschlang, um es in tiefste Dunkelheit zu tauchen.

Kapitel 2

Bones

Ich genoss die Strahlen des Mondes, die auf meine Gesichtszüge fielen und mir Energie einflößten. Ich war wie ausgelaugt, die Anstrengungen der letzten Tage nagten an meinen Kräften und die Angst verdrehte mir die Sinne. Meine Schwester Cora und ich waren seit zehn Tagen auf der Flucht vor der Unterwelt und ihren Lakaien. Ich dachte an meine Mutter, die uns viel über diese Welt gelehrt und uns vor Hades gewarnt hatte. Sie hatte gewusst, dass er von unserer Anwesenheit erfahren würde, sobald wir nur einen Fuß auf diese Erde setzten. Die Götter hatten sie gewarnt, dass er es auf unsere Magie abgesehen hatte. Aber Cora und mir war keine Wahl geblieben, als in diese Welt zu flüchten. Ich spürte förmlich, wie uns die Zeit wie Sand durch die Hände rann. Meine Schwester würde sterben, wenn wir noch viel länger auf dieser trostlosen Erde blieben.

Ich drückte die Türklinke einer Apotheke hinunter, wodurch eine schrille Klingel läutete und meine Ankunft verriet. Hektisch blickte ich von rechts nach links, um zu prüfen, dass mir niemand gefolgt war. Hinter mir quetschte sich eine ältere Dame, die sich auf ihren hölzernen Laufstock stützte, mühsam durch den engen Spalt. Ich ordnete sie rasch als harmlose Großmutter ein und eilte weiter in Richtung Verkaufstheke.

Mit großen Augen blinzelte mich eine junge Frau an und winkte mich nach rechts zu ihrer Seite. Ein sanftes Lächeln zierte ihre Mundwinkel, doch ihre großen Augen wirkten erschöpft.

»Wie kann ich Ihnen helfen? Was brauchen Sie?«, fragte sie mit einer gedämpften Stimme und klimperte mit den falschen Wimpern. Unsicher schob sie sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und klemmte sie sich hinter die Ohrmuschel.

Am liebsten würde ich sagen: Ein Portal zu einer magischen Welt, um den Dämonen der Unterwelt zu entkommen. Aber Menschen waren in ihrer Vorstellungskraft so eingeschränkt, dass sie nicht an übernatürliche Kräfte glaubten und die Magie leugneten. Daher wussten nur die wenigsten Sterblichen von Kreaturen wie mir.

Stattdessen erwiderte ich das freundliche Lächeln der Verkäuferin und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich brauche die stärksten Schmerzmittel, die Sie mir verkaufen können.« Es war nicht das erste Mal, dass ich für Cora Medizin bestellen musste. Seit wir hier waren, litt sie fürchterlich.

Die junge Frau nickte, dann drehte sie sich elegant auf ihrem Absatz um und verschwand hinter ihrem Medikamentenschrank. Ich kramte in meiner grauen Manteltasche, stieß mit meinen Fingerspitzen gegen ein paar kalte Münzen und schob sie sorgfältig auf meine Handfläche, als wären sie aus Glas. Klimpernd zog ich das Geld hervor und legte es auf die Theke, als ich auf einmal eine dunkle Präsenz hinter mir wahrnahm. Bohrende Blicke brannten mir auf den Rücken und benebelten meinen Verstand. Ich war mir nicht sicher, ob ich aus Schlafmangel und Verfolgungswahn halluzinierte oder ob ich tatsächlich in Gefahr war. Es war meine magische Gestalt, auf die es die Unterwelt abgesehen hatte – und sie würde alles tun, um zu bekommen, was Hades sich ersehnte.

Mit flinken Schritten kehrte die Angestellte mit einer kleinen weißen Papiertüte in der Hand zurück und legte sie auf die Theke. Sie ging an ihre Geldkasse und fing an zu tippen, während ich misstrauisch einen Blick über meine Schulter warf. Die alte Dame stand wenige Meter hinter mir und tat so, als würde sie sich die Medikamente in einem Regal anschauen. Ab und zu huschten ihre trüben grünen Augen in meine Richtung und musterten mich abwartend. Ich bildete mir ein, kleine schwarze Pünktchen in ihren Iriden aufblitzen zu sehen, die sich langsam mit dem Grün vermischten und ihren Dämon zum Vorschein brachten.

Ich musste hier weg. Es war egal, ob es Fiktion oder Realität war. Jegliche weitere Sekunde, die ich in den Londoner Straßen verbrachte, erhöhte die Gefahr, entdeckt zu werden.

Eilig packte ich die Papiertüte und murmelte: »Behalten Sie den Rest.« Ich hatte keine Ahnung, ob mein letztes Kleingeld für die Medizin reichte, aber diese Arznei war die einzige Möglichkeit, meiner Schwester Cora auf die Beine zu helfen.

Ich eilte zum Ausgang und riss die sperrige Tür auf, wobei die Klingel erneut ertönte. Dieses Mal kam sie mir lauter vor, als wollte jemand meinen Fluchtversuch verraten. Dann hetzte ich auf die andere Straßenseite, öffnete die Tüte und stopfte die grünen Tabletten in meine Manteltasche. Ich schmiss die schneeweiße Verpackung auf den Asphalt – in diesem Moment war mir mein Überleben wichtiger als die Spuren, die ich hinterließ.

Ich warf einen Blick nach hinten und entdeckte die ältere Dame, die ihren Blick durch die Gegend schweifen ließ. Sie sucht dich, dröhnte mein Unterbewusstsein finster und trieb meinen Herzschlag in die Höhe.

Ich musste verschwinden. Rasch beschleunigte ich meine Schritte, bog nach rechts ab und drängte mich immer mehr in einen Strom aus Menschen, die das lang ersehnte Ende des Arbeitstages erreicht hatten und jetzt in ihre Wohnungen flüchteten.

Ich wurde eins mit der Menge. Dank der Erzählungen meiner Mutter und durch meine Beobachtungen der letzten Tage kannte ich das Verhalten der Menschen ein wenig. Meine Schritte verlangsamten sich, meine Miene wurde finster und mein Verstand versank in der Passivität. Ich verlor das Zeitgefühl, jede Sekunde fühlte sich in die Länge gezogen an. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Uhr es war, als ich nach rechts in eine Nebengasse ausscherte und der Strom an Arbeitern an mir vorbeizog. Hier war es dunkler, es gab keine Straßenlaternen, die den Weg erhellten, sondern nur die schwachen Strahlen des Mondes. Ob Cora sich wohl schon sorgte? In meinem Herzen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Wo zur Hölle war ich überhaupt?

Der Geruch von Urin und Abfall stieg mir in die Nase und verstärkte mein Bedürfnis, zu meiner Schwester zu gelangen. Mein Blick schweifte unwillkürlich in die Höhe zu dem tröstenden Vollmond. Dann wanderten meine Augen weiter zu einem Dach und einer verrosteten Feuerleiter. Es war nicht sehr hoch und wirkte wie die optimale Möglichkeit, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Ohne viel darüber nachzudenken, eilte ich zu der Leiter und griff nach der nächstgelegenen Sprosse. Ich sammelte meine Kräfte in den Armen und zog mich mühevoll nach oben, bis meine Füße eine Sprosse erreichten und mir Halt verschafften. Ich drückte mich mit den Füßen ab und verlieh meinem Körper so Schwung, während meine Hände mich immer höher zogen. Nach ein paar Minuten erreichte ich die letzte Sprosse und schob mich über die Dachkante. Schnaufend stützte ich die Arme auf die Knie, harrte kurz eine Minute aus und richtete mich dann auf.

Die Erde entzog auch mir die Lebenskraft, dieser Planet war nichts für magische Wesen wie mich. Die Luft hier war dichter und schwerer, sodass ich den Druck in meiner Lunge spürte und ein ständiges Kratzen in meiner Kehle, als litt ich an einer allergischen Reaktion. Andere übernatürliche Wesen wie Kobolde und Feen nahmen magische Kräuter zu sich, um diesen Druck auszugleichen. Allerdings hatten Cora und ich einfach kein Geld und keine Zeit, um uns diese Kräuter zu beschaffen.

Ich verdrängte die Gedanken an meine Probleme und trottete über das Dach, wobei mir der kalte Wind ins Gesicht wehte. In der Mitte blieb ich stehen und wippte mit den Füßen über den Rand. Der Nachthimmel war von dunklen Wolken verhangen und verfinsterte die Sicht auf London, aber in der Ferne entdeckte ich einen riesigen Uhrenturm und ein rot leuchtendes Rad, das sich drehte und mir Orientierung gab. Der Anblick beruhigte meinen Herzschlag und ließ mich das erste Mal seit Stunden entspannt aufseufzen. Ich entdeckte eine gefleckte Taube, die elegant neben mir landete, ihren Kopf schief legte und mich mit ihren riesigen dunklen Augen anblinzelte, als würde sie mich um Futter fragen. Als Antwort zuckte ich belanglos mit den Schultern, ich hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen und der Hunger verdrehte mir selbst bereits den Magen. Tatsächlich war ich genauso hungrig wie die Menschen – vielleicht eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die ich mit diesen Wesen hatte. Denn ihr seltsames Streben nach Erfolg, nach Beziehungen und Geld, von dem man mir als Kind erzählt hatte, verstand ich nicht. Für mich funktionierte die Welt anders.

Die Taube gurrte verärgert auf und ich bildete mir ein, dass sie ihre Augen zusammenkniff und mich hasserfüllt anfunkelte. Dann breitete sie ihre schlichten Flügel aus, drückte sich mit den Krallen von dem rauen Boden ab und stürzte hinab in die Dunkelheit. Im Sturz fing sie an zu flattern und machte damit eine schwungvolle Kurve und schoss geradezu in den Himmel empor. Sehnsüchtig blickte ich ihr nach. Ich war neidisch darauf, dass sie einfach in die Lüfte flattern durfte und ich an den Boden gefesselt war. Zu meinem Wesen gehörte das Fliegen; ich vermisste den peitschenden Wind unter meinen Flügeln, die beruhigende Stille in den Lüften und das Gefühl der Freiheit. Doch die Menschen durften nichts von der Existenz der Magie erfahren, das hatte ich in meiner Heimat früh gelernt. Selbst wenn ich nicht verstand, warum mein Zuhause untergegangen war, hielt ich mich wie ein braver Musterschüler an die Grundsätze meiner Erziehung und plante nicht gegen die heiligen Regeln zu verstoßen. Gefahr wäre mit jeglicher Offenlegung von Magie verbunden.

Plötzlich spürte ich wieder die Präsenz von Dunkelheit, die mir einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Ein Dämon, fuhr es mir in den Verstand und alarmierte all meine Sinne. Instinktiv fiel mein Blick nach unten, wo mich pechschwarze Augen trafen und gleichgültig anblinzelten. Mein Herz machte einen Sprung. Dieser Dämon war keine Einbildung und die zwei tödlichen Klingen in seinen Händen ebenfalls nicht. Ein Grinsen schmiegte sich auf die Lippen des Untiers, als es auf mich deutete und schnell rückwärtslief. War es etwa nicht allein? Das Blut schoss mir in den Kopf und erschwerte mir das Denken. Ich musste mich entscheiden: Flucht oder Kampf?

Schlagartig bildete sich ein Riss in der Luft und versprühte blaue Fäden, die sich drehten wie eine Spirale und nach kurzer Zeit ein blaues Portal bildeten. Mein Körper war wie paralysiert und ich konnte keinen Muskel bewegen, obwohl mir mein Verstand zuschrie, dass ich um mein Leben rennen sollte.

In dem strudelnden blauen Portal entdeckte ich auf einmal genau diese pechschwarzen Augen, die mich begierig anstarrten. War das Hades? Oder nur einer seiner Dämonenlakaien? Ich durfte nicht bleiben, um es herauszufinden. Ich schüttelte den Kopf, versuchte mich zusammenzureißen und zwickte mir mit der Fingerspitze in die raue Handfläche, um mich wachzurütteln. Es schien zu helfen, denn ich schaffte es, einen Schritt vorwärtszumachen, dann noch einen und noch einen …

Ich rannte förmlich und ließ die Angst hinter mir. Ich warf einen Blick nach hinten und entdeckte erneut die schwarzen Augen. Inzwischen glitt die Gestalt mit einem Fuß aus dem Portal und zog das andere beschwerlich hinter sich her. Ein bläulicher Schimmer umgab den Dämon – offensichtlich eine Nachwirkung des Portals. Im Mondschein funkelten seine Zähne glänzend, als er mich von der Seite angrinste.

»Ethan Bones«, zischte er mit rauchiger Stimme, die mir die Nackenhaare aufstellte. »Hades würde sich sehr freuen dich als Gast in der Unterwelt begrüßen zu dürfen!«

Wütend schnaubte ich: »Nur über meine Leiche!« Ich hob trotzig das Kinn.

»Das lässt sich arrangieren«, meinte der Dämon trocken, wobei ein düsterer Unterton in seiner Stimme mitschwang.

Der Dämon befreite sich aus den Fängen des Portals und rannte stürmisch auf mich zu. Schnell eilte auch ich weiter, wobei ich dem Ende des Daches gefährlich näher kam und es nur noch einen Ausweg zu geben schien: Ich beschleunigte meine Schritte, raste auf die Dachkante zu und drückte mich schwungvoll ab. Ich flog kurz und näherte mich dem nächstgelegenen Dach, doch mein Anlauf hatte nicht gereicht. Stück für Stück verlor ich an Schwung und glitt langsam hinab in den todbringenden Abgrund. Ich malte mir aus, wie ich auf dem dreckigen Asphaltboden Londons verendete – mit einem Genickbruch und einem zerquetschten Hinterkopf. Daher vergaß ich für eine Sekunde jegliche Vorsicht, breitete wie in Trance die Arme aus und presste die Augenlider aufeinander. Dabei waren die Regeln meiner Welt einfach gewesen:

1. Halte dich von der Erde fern oder Hades wird dich holen.

2. Falls du jemals in einer anderen Welt landest, verhalte dich unauffällig.

3. Beschütze deine Familie – um jeden Preis.

Ich konzentrierte mich auf die Magie in meinem Körper, die durch jeden Winkel verlief und mich so kostbar für die Dämonen machte. Ich spürte, wie an meiner Haut langsam die hellbraunen Federn zum Vorschein kamen und sich meine Knochen unter dem Zwang der Magie verformten. Durch einen magischen Zauber verband sich die Kleidung mit meinem menschlichen Körper und verschwand. Ich atmete tief ein und aus – es schien das erste Mal seit zehn Tagen, dass sich wirklich Luft in meiner Lunge sammelte und vereint aus meiner Luftröhre gepresst wurde. Mein Körper war jetzt wesentlich größer, wodurch meine rechte Flügelspitze gegen die Betonwand stieß und kurz daran entlangkratzte, bis ich mein Flügelpaar dicht zu mir herzog und dann mit Schwung den Staub unter meinen Krähenfüßen aufwirbelte. Ich kreischte, es fühlte sich so gut an, sein wahres Ich zu zeigen. Dann stieg ich auf in die Lüfte und schoss an der Dachkante vorbei, an die mein Verfolger eben herantrat. Er wurde durch die Wucht des Windes nach hinten gefegt. Sofort zuckten die Mundwinkel meines Schnabels amüsiert nach oben.

Ich wollte höher fliegen, aber mein Innerstes wusste genau, dass das nur für Probleme sorgen würde. Zu hoch am Sternenhimmel könnten die menschlichen Flugzeuge meine Flugbahn kreuzen oder neugierige Leute meine Existenz bemerken. Daher zwang ich mich, die Flughöhe von drei Metern über den Dächern nicht zu überschreiten. Ich hatte keine Ahnung, ob ich damit die zweite Regel meiner Heimat einhielt und tatsächlich unauffällig war. Doch es war meine einzige Möglichkeit zu entkommen.

Hinter mir hörte ich den Dämon laut fluchen. Ich warf einen Blick zurück und entdeckte gerade noch, wie er zu seinem Portal eilte und hindurchsprang. Ich ahnte nichts Gutes, Dämonen waren zu stur, um kampflos aufzugeben.

Mein Instinkt hatte richtiggelegen, denn nur wenige Sekunden später bildete sich ein neues Portal unter mir. Ich verstärkte den Schlag meiner Flügel und nahm Fahrt auf, während sich das Portal dieses Mal rascher formte und den dunklen Dämon hervorbrachte.

Er sprang hinaus, eilte auf mich zu und stach mit seinen im Mondlicht glänzenden Dolchen in die Luft, in der Hoffnung, einer meiner Füße zu erwischen. Schmerz durchzuckte mich wie ein Blitz, als er sein Ziel traf und seine Dolchspitze sich in eine meiner drei Vorderzehen bohrte. Die Schwerkraft zog den Dämon zurück auf den Boden, wodurch die Klinge mit ihm nach unten gerissen wurde und mein ganzes Fleisch aufriss. Ich kreischte laut, während das Blut aus meinem Zeh schoss und auf den Dächern eine scharlachrote Spur legte.

Doch ich hörte nicht auf weiterzufliegen. Stattdessen hatte ich durch den Schmerz neuen Antrieb gefunden und flatterte flink zum nächsten Dach. Der Dämon versuchte mir erneut durch ein Portal zu folgen, doch dieses Mal konnte er nicht mithalten. Wir spielten dieses Spielchen eine ganze Weile, bis ich einen erheblichen Vorsprung erreicht hatte und sich mein Verstand langsam in Sicherheit wiegte.

Plötzlich hörte ich ein zischendes Sirren und blickte nach rechts, als ich einen Dolch auf mich zufliegen sah. Erschrocken schnappte ich nach Luft und versuchte mich zur Seite zu wenden, um der tödlichen Klinge zu entkommen, aber sie war zu schnell und traf mich in die Bauchflanke. Ich jaulte auf. Der Dolch bohrte sich tief in mein Fleisch; ich war mir sicher, dass er von einer Hexe verflucht sein musste. Ich entdeckte eine dunkle Schnur, die sich fest um den Dolch gewunden hatte und sich jetzt straffte. Ein mächtiger Ruck brachte mich aus dem Gleichgewicht und ließ mich fallen. Jemand musste an dem Seil gezogen haben und ich würde bald herausfinden, wer das war …

Ich stürzte in die Tiefe, versuchte verzweifelt mit meinen Flügeln zu flattern, aber vergeblich …

Krachend schlug ich mit dem rechten Hinterbein auf dem Beton auf und verstauchte mir das Bein. Ich unterdrückte ein Keuchen. Ich würde es diesen dreckigen Dämonen nicht erlauben, sich an meinem Leid zu laben.

Ein zweites Mal durchzuckte mich der Schmerz, aber jetzt in meinen Vorderbeinen und schwächer. Es war wie ein brennendes Piksen, das sich in meinem Körper ausbreitete und gemächlich ein betäubendes Gefühl auslöste. Ich hob die linke Tatze, fuhr über die Wunde und spürte einen winzigen metallischen Gegenstand. Ein Betäubungspfeil, durchfuhr es mich. Mein Herz raste und ich nahm das Pulsieren in meinen Ohren wahr. Ich wusste nicht, um welches Gift es sich handelte, aber in einem war ich mir sicher: Ich musste von hier verschwinden, bevor mich die Wirkung ausknockte und hilflos zurückließ.

Ich hatte meinen Orientierungssinn verloren. Mein Federkleid war völlig durchnässt, da ich in einer schmutzigen Pfütze gelandet war. Ich hob den Kopf leicht an, wodurch ein paar Tropfen von meinen Federn auf den Boden fielen. Ich kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen, und entdeckte zwei grinsende Dämonen in schwarzen Lederjacken, die abfällig auf mich herabblickten.

»Was soll das sein?«, entgegnete der eine und räusperte sich.

»Ein Greif«, meinte der andere mit geschärfter Stimme und einer Spur von Genervtsein. »Kleiner Klaus, lies endlich die Berichte, bevor wir zu einer Mission aufbrechen«, knurrte er seinen offensichtlich jüngeren Kollegen an.

»Du bist so ein Spielverderber, Nikolai«, konterte Klaus und machte mit seiner rechten Hand eine abfällige Bewegung. »Außerdem habe ich mir die Berichte sehr wohl angeschaut! Für diesen Greif kriegen wir unsere Freiheit zurück – egal ob tot oder lebendig!«

»Falsch«, knurrte Nikolai streng. »Lebendig erwartet uns zusätzlich unendlicher Reichtum.« Sein Blick wanderte weiter zu mir, wobei er seine dämonischen Augen zusammenkniff und eindringlich meine Greifengestalt musterte. »Du bist dem König der Unterwelt viel wert, oder, Ethan Bones?«

Ich hatte keine Lust auf Small Talk – weder mit Menschen noch mit Dämonen. Das Gift breitete sich immer mehr in meinen Adern aus und vergiftete jegliche Zellen, sodass es mir bald schon schwerfiel, die Krallen auf- und abzubewegen. Sicherlich handelte es sich um ein paralysierendes Gift, das mir letztendlich die Kontrolle raubte. Meine Muskeln brannten vor Erschöpfung und sehnten sich nach Ruhe, also gewährte ich ihnen diese Auszeit und ließ mich zusammensacken. Zwar nicht die schlaueste Taktik angesichts des Giftes in meinem Kreislauf, aber für meinen Plan war es essenziell.

Ich senkte den Kopf und landete in einer weiteren Pfütze – einer Mischung aus Wasser und Milch. Wer zum Hades verschüttete in Londons Straßen Milch?

Ich schob diese Frage vorerst beiseite und konzentrierte mich auf meinen Plan. Ich sollte mich tot stellen oder geschwächt wirken, sodass sie mich unterschätzten, ganz dicht vor mir standen und ich sie nur noch packen musste …

Ich konzentrierte mich darauf, meinen Atem flach zu halten und mich nicht zu bewegen. Meine Lider hielt ich zusammengepresst, aber mit dem linken Auge schielte ich durch einen dünnen Spalt vorsichtig zu den Dämonen. Sie blinzelten mich irritiert an, Klaus zuckte verwundert mit den Schultern und warf Nikolai einen ängstlichen Blick zu. »Vielleicht habe ich zu viel Schlangengift benutzt?«, fragte er vorsichtig, als fürchtete er, Nikolai könnte ihn zur Strafe Hades’ Höllenhunden zum Fraß vorwerfen.

»Hm …«, brummte Nikolai nur nachdenklich und ich hörte trotz der Entfernung, wie Klaus nervös atmete.

Dann trottete Nikolai in meine Richtung, hielt einen Meter vor mir an und begann mich mit großen Schritten zu umkreisen. Dabei machten seine schweren dunklen Lederstiefel ein Geräusch, das wie ein schrilles Lied klang.

»Ich glaube, er atmet«, knurrte Nikolai mit einem zufriedenen Unterton.

Aus dem Augenwinkel konnte ich das Aufleuchten seiner eisblauen Iriden erkennen. Vermutlich sah er die goldenen Schätze der Unterwelt bereits vor seinem inneren Auge erstrahlen. »Bring mir das magische Fischernetz. Es wird Zeit, unsere Belohnung abzusahnen«, befahl er dem anderen und deutete mit einem Kopfnicken auf einen braunen Jutebeutel, der in Klaus’ Nähe stand. »Wir werden mit diesem Fang in die Dämonengeschichte eingehen – als die gefürchteten Gebrüder Sergei!«

Wenn die beiden glaubten, einen Greif so leicht unter Kontrolle bringen zu können, waren sie noch dümmer, als sie in ihren identischen schwarzen Lederjacken aussahen.