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**Ist sie bereit, ihrer größten Feindin zu vertrauen?** Seit Hades' Tod herrschen Chaos und Anarchie in der Unterwelt. Artemis' Tochter Helena wird auserwählt seine rachsüchtigen Komplizen zu jagen und im Olymp vor Gericht zu stellen. Ausgerechnet die Dämonin Caitlyn – Hades' Zweitgeborene und eine Verräterin – soll sie dabei unterstützen. Als Vertreterinnen von Unterwelt und Olymp sind sie bis aufs Blut verfeindet. Doch dann bedroht eine neuerweckte Gefahr das Leben der Götter. Helena bleibt nichts anderes übrig, als mit der attraktiven Caitlyn zusammenzuarbeiten. Aber kann sie einer Frau vertrauen, die früher Hades' rechte Hand war, selbst wenn die Anziehung zwischen ihnen nicht zu leugnen ist? Sie kämpfen für verfeindete Seiten und doch für dasselbe Ziel. Aber im Krieg zwischen Göttern und Dämonen können sie niemandem trauen außer sich selbst. //»Gods & Demons« ist der dritte Band der magischen Romantasy-Reihe »Hades & Bones« von Anna Lukas. Alle Titel bei Impress: -- Band 1: Hades & Bones: Tochter der Unterwelt -- Band 2: Hades & Bones: Prinz des Totenreichs -- Band 3 (Spin-off Hades & Bones): Gods & Demons: Erbin des Schattenreichs Diese Reihe ist abgeschlossen.//
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Anna Lukas
Gods & Demons. Erbin des Schattenreichs
**Ist sie bereit, ihrer größten Feindin zu vertrauen?**
Seit Hades’ Tod herrschen Chaos und Anarchie in der Unterwelt. Artemis’ Tochter Helena wird auserwählt seine rachsüchtigen Komplizen zu jagen und im Olymp vor Gericht zu stellen. Ausgerechnet die Dämonin Caitlyn – Hades’ Zweitgeborene und eine Verräterin – soll sie dabei unterstützen. Als Vertreterinnen von Unterwelt und Olymp sind sie bis aufs Blut verfeindet. Doch dann bedroht eine neuerweckte Gefahr das Leben der Götter. Helena bleibt nichts anderes übrig, als mit der attraktiven Caitlyn zusammenzuarbeiten. Aber kann sie einer Frau vertrauen, die früher Hades’ rechte Hand war, selbst wenn die Anziehung zwischen ihnen nicht zu leugnen ist?
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Danksagung
© privat
Die Autorin Anna Lukas, Jahrgang 1999, lebt mit ihren drei Katzen in der Nähe von Stuttgart, wo sie ihren Master in Online-Marketing absolviert hat. Unter annas.inkspell bloggt die Autorin regelmäßig über Bücher und das Autorenleben. Anna Lukas schreibt seit ihrem zehnten Lebensjahr am liebsten Fantasyromane. Andere Themen, die sie interessieren, sind: Tierschutz, Städte-Reisen und Serien. Doch eine ihrer größten Leidenschaften sind natürlich Bücher.
Für alle, die glauben, sie verdienen keine Liebe.Du verdienst sie.
Which Witch – Florence + the Machine
I F*cking Love You – Zolita
Super Moon – Greg Laswell
Flawless – The Neighbourhood
Anti-Hero – Taylor Swift
My Tears Ricochet – Taylor Swift
I miss you, I’m sorry – Gracie Abrams
Say Yes To Heaven – Lana Del Rey
No Rest for the Wicked – Lykke Li
Heads Will Roll – Yeah Yeah Yeahs
Paint The Town Red – Doja Cat
Comme De Garçons (Like The Boys) – Rina Sawayama
End of Beginning – Djo
Boyfriend – Dove Cameron
Still – Daughter
That’s So Us – Allie X
Caitlyn
Der Dämon in mir liebte die Jagd. Das Adrenalin im Blut und das Wissen um einen bevorstehenden Sprint machten meinen Verstand hellwach, obwohl es bereits spät in der Nacht war und der Mond seinen Höhepunkt am Sternenhimmel bereits erreicht hatte.
Genüsslich lehnte ich mich gegen die kalte Marmorwand und kniff die Lider zusammen, um meine Beute besser beobachten zu können. Hier im Schatten war ich geborgen wie eine Nachtigall im Nest. Ich musste nur auf den richtigen Moment warten, um aus meinem Versteck hervorzupreschen und …
Etwas Schimmerndes sprang mir wie der helle Lichtstrahl eines Autos ins Sichtfeld. Mehrfach blinzelte ich, um meine Augen wieder an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Jetzt erkannte ich das magische Artefakt, das der Dämon aus einem seidenen Tuch gewickelt hatte, um einen raschen Blick darauf zu werfen. Oder wollte er ein wenig von der Magie abschöpfen?
Bei diesem Gedanken graute es mir. Was der Dämon in der Hand hielt, war nichts anderes als ein Überbleibsel von Hades – meinem kaltherzigen Vater und ehemaligem Herrscher der Unterwelt. Es war zwei Jahre her, seit meine Schwester ihn vom Thron gestoßen und der mächtige Blitz von Zeus ihm das Leben genommen hatte. Dabei war sein toter Körper erstarrt und in mehrere magische Splitter, gehüllt in Eis, zersprungen. Malison hatte alle Teile unter ihren Vertrauten aufgeteilt. Hades’ toter Körper besaß selbst nach seinem Tod noch eine erschreckende Kraft. Ich wollte mir nicht vorstellen, was die abtrünnigen Dämonen mit solch einer Macht anstellen konnten. Nun, ich würde auch nicht länger warten, um es herauszufinden.
Forsch schlich ich mich gebückt vorwärts, um mich der Beute zu nähern. Die Kälte des bevorstehenden Herbstes drang bereits durch den dünnen Stoff meiner Hose, sodass meine Knie zu schlottern begannen. Zitternd riss ich mich zusammen und presste die Zähne aufeinander. So etwas Lächerliches wie Müdigkeit oder Frost würde mich nicht von meinem Vorhaben abbringen.
Ich ließ den Dämon nicht aus den Augen, während ich einen Fuß vor den anderen setzte. Er lehnte sich gegen die Mauer eines Springbrunnens. Die Umrandung war mit kleinen Lichtern ausgestattet, die dem Dämon einen unheimlichen Schleier verliehen. Sein bleiches Gesicht war mit einer pechschwarzen Mütze verhüllt, lediglich seine knollige Nasenspitze ragte aus seinem Profil heraus. Ich konnte es nicht erwarten, den Verräter zu erwischen und in den Olymp zu zerren, wo ihn seine gerechte Strafe erwartete …
Das Wasser des Brunnens plätscherte melodisch in meinen Ohren, es war perfekt, um meine Schritte zu überdecken. Jetzt pirschte ich mich noch näher heran.
Mit den Fingerspitzen griff ich an meinen Rücken und umfasste das Heft meines Dolches. Das Metall war kalt, doch ich umklammerte es fest, als würde mein Leben davon abhängen – in gewisser Weise entsprach das tatsächlich der Wahrheit. Meine beiden Klingen hatten mir in den vergangenen Jahren oft genug das Leben gerettet, denn auf Menschen und Dämonen konnte man sich nicht verlassen.
Ich war nur noch wenige Meter von dem Verräter entfernt. Vor meinem geistigen Auge konnte ich bereits sehen, wie ich ihn den Göttern vor die Füße warf. Seit zwei Jahren arbeitete ich als Stellvertreterin der Unterwelt im Olymp, doch die meisten Götter machten dennoch einen großen Bogen um mich. Einst war ich Hades’ treue Ergebene gewesen und blind seinen Befehlen gefolgt. Dass auch noch sein Blut durch meine Adern strömte, verschlimmerte die Lage nur noch. Die Sünden meines Vaters waren auch die meinen.
Plötzlich ertönte ein Knacken – kaum hörbar unter dem Rauschen des Wassers, aber dennoch laut genug, um ein scheues Reh zu verschrecken. Schuldbewusst blickte ich an mir hinab, um den Übeltäter ausfindig zu machen: Ein knorriger Ast hatte sich unter meiner Sohle verhakt, weil ich zu versunken in meine Gedanken gewesen war, anstatt auf mein Umfeld zu achten.
Alles geschah in Sekundenschnelle.
Der Dämon wirbelte herum. Panisch blickte er von links nach rechts, bis er sich in meine Richtung drehte und erstarrte. In seinen Iriden spiegelte sich das Silber meiner Klinge, die neben meinem Oberschenkel ruhte. Er brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen, um zu erkennen, dass ich keine gewöhnliche Französin war, die durch Paris schlenderte, sondern eine echte Gefahr.
Auch ich erkannte die Bedrohung, die von ihm ausging. Denn jetzt, wo sein Körper zu mir gedreht war und das flackernde Licht unter dem Brunnen schwache Strahlen auf seine blassen Gesichtszüge lenkte, erkannte ich ihn. Es war Zerx, ein unreiner Dämon, der nach seinem menschlichen Tod in die Unterwelt gekommen und zu einem der treuesten Dämonen meines Vaters geworden war – jahrhundertelang hatte er ihm gedient.
»Caitlyn?«, fragte er verblüfft und kräuselte die Stirn, als hätte er eine alte Vertraute wiedererkannt. Einst standen wir auf derselben Seite – ich, Hades und seine Dämonen. Doch das war vorbei, und für meine Taten trug ich eine Schuld im Herzen, die ich zu begleichen gedachte. Ich würde keine Ausnahmen machen, nur weil ich ihn einst besser gekannt hatte.
Entschlossenheit flammte in mir auf, die sich offensichtlich in meinen Iriden zeigte. Denn Zerx’ Verwunderung wandelte sich schnell in Furcht.
Der Dämon zögerte nicht länger. Fest packte er den Eissplitter in seiner Hand und absorbierte einen Teil seiner Energie. Durch den Druck spannten sich die Muskeln in seinen Oberarmen an, er begann zu zittern. Kraftwellen durchzuckten seinen Körper und schickten Nebelschweife durch seine Fingerspitzen. Die Macht färbte seine dämonischen Iriden so dunkel wie die Nacht.
Er wird entwischen!
Panik ergriff mich und ließ mich unüberlegt handeln. Ich stemmte die Füße gegen den Betonboden und raste auf ihn zu, während ich nach hinten ausholte, um mit meiner Dolchspitze seinen Brustkorb zu durchbohren. Ein toter Verräter war immer noch besser als ein entflohener.
Die Klinge raste auf die Mitte seines zerzausten Wollmantels zu, wo sein rabenschwarzes Herz wohnte. Das Silber war nur noch wenige Millimeter davon entfernt, als mich eine Energiewelle packte und durch die Luft schleuderte. Die Wucht ließ mich umhertrudeln wie ein Blatt, bis sie mich losließ und ich hart gegen den Stamm einer Eiche prallte. Schmerzhaft stöhnte ich auf.
Genervt klatschte ich die Handflächen gegen den Boden, um mich wieder aufzurappeln. Kurz war meine Sicht verschwommen, doch nach mehrfachem Blinzeln und Fluchen erlangte ich mein Augenlicht wieder.
Zerx hatte bereits die Flucht angetreten. Er rannte direkt in Richtung des Eiffelturms, der bei Nacht so hell wie ein Stern schimmerte. Nicht gerade das beste Versteck, aber Dämonen waren auch nicht für ihre Intelligenz bekannt.
Laut knacksten meine Knochen, während meine Muskeln vor Schmerzen brannten. Für eine Sekunde kniff ich die Augen zusammen und rief meine Heilkräfte auf, um meine Wunden oberflächlich zu heilen. Es kostete mehr Energie, den eigenen Körper zu versorgen, als den eines anderen.
»Beim Höllenhund!«, fluchte ich laut auf, denn das Heilen war dennoch schmerzhaft.
Ich sammelte meinen Dolch vom Boden auf und verstaute ihn in meinem Holster unter dem marineblauen Mantel. Dann nahm ich die Verfolgung auf.
Mit jedem Schritt kam mein Kampfgeist zurück. Hart schlugen meine Sohlen in die Pfützen, gaben ein matschiges Geräusch von sich und schleuderten winzige Wassertropfen durch die Luft. Nässe drang durch meine Stiefelspitzen, breitete sich zu den Socken hin aus.
Zerx hatte einen beachtlichen Vorsprung. Anstatt in irgendeiner Metrostation oder Gasse Unterschlupf zu suchen, raste er direkt auf den Eiffelturm zu. Zielstrebig erklomm er das ächzende Metall und hangelte sich daran hinauf. Das Artefakt hatte ihm offensichtlich neue Kraft eingeflößt.
Amüsiert schnaubte ich auf. Am hellen Tag würde es vor Reportern nur so wimmeln, die daraus Sensationsgeschichten basteln würden. Stattdessen befanden sich hier in der tiefen Nacht nur ein armer Mann, der sich mit einer geflickten Decke auf einer Bank zusammengekauert hatte, und zwei Jugendliche, die in den Schatten bunte Pillen austauschten.
Ich konzentrierte mich auf meine Mission. Dort oben wähnte sich Zerx in Sicherheit, da er offensichtlich noch von meiner Höhenangst wusste. Was er nicht ahnte: Ich hatte diese Furcht bereits vor Jahren stark mindern können. Und was er ebenso wenig wusste: Es gab einen Aufzug.
Lässig schlenderte ich auf den Turm zu und hielt mich links, um vor einem der schweren Standbeine stehen zu bleiben. Während sich Zerx immer noch mit dem rostigen Metall und dem peitschenden Wind abmühte, quetschte ich mich gelenkig durch eine Absperrung, entriegelte ein Schloss und drückte bequem gegen den Knopf am Aufzug.
Geduldig wartete ich und strich mir eine meiner nussbraunen Strähnen hinters Ohr, die in dem fahlen Mondlicht eher rötlich wirkte.
Ping!
Mit einem hohen Klingeln kündigte sich der Aufzug an und öffnete nun seine knallgelben Türen. Zögernd trat ich ein, da mich der Aufzug durch die offene Fensterfront mit dem Gitter an ein Gefängnis erinnerte. Ich schob den Gedanken beiseite und schielte aus dem Fenster, um abzuschätzen, wo ungefähr Zerx landen würde. Er erklomm gerade die letzte Sprosse und griff nach den Streben, um sich schwerfällig über das Geländer zu ziehen. Erster Stock also, dachte ich und drückte auf den Knopf mit der Eins.
Sofort schlossen sich die Türen und der alte Aufzug setzte sich in Bewegung. Der Boden unter mir vibrierte, während der Lift immer mehr an Höhe gewann. Durch das vergitterte Fenster konnte ich einen Blick auf Paris werfen. Abgesehen von den Straßenlaternen und den beleuchteten Sehenswürdigkeiten lag die Stadt fast in Dunkelheit. Lediglich ein paar Lichter in Wohnungen brannten, doch die meisten Menschen schliefen um drei Uhr nachts bereits.
Die Stadt der Liebe, dachte ich ironisch und konnte ein Augenrollen nicht unterdrücken. Meiner Meinung nach war diese Stadt genauso überlaufen und heruntergekommen wie jede Großstadt der Menschen – abgesehen davon, dass es an den Bäckereien köstlich nach Croissants und Macarons duftete. Dennoch war hier nichts so magisch wie es in Serien wie Emily in Paris und Lupin dargestellt wurde.
Ping!
Endlich kam der Aufzug im ersten Stock an und öffnete sich mit einem ächzenden Geräusch.
Eine zähe Windböe fuhr mir entgegen und ließ den Saum meines Hemdes flattern, als ich hinaustrat. Unwillig schlug ich meinen flattrigen Mantel zur Seite, um besser an einen der Dolche zu gelangen. Im Handumdrehen zückte ich ihn und marschierte weiter.
Keine Spur von dem Dämon. Zerx hatte sich in Luft aufgelöst und war von dem Geländer längst verschwunden. Doch sein fauliger Geruch lag immer noch deutlich vor meiner Nase. Sicherlich versteckte er sich und wartete nur auf den richtigen Moment.
Es trieb mich immer weiter hinaus auf die Plattform. Je näher ich dem Geländer kam, desto härter blies mir der Wind entgegen und ließ meine Haare von rechts nach links wehen.
Ich wagte einen Blick hinab in die Tiefe. Definitiv ein Fehler. Die alte Höhenangst meldete sich in meinem Gehirn und verlagerte meine Konzentration. Panisch umklammerte ich das Geländer und sog die Luft scharf ein, um meinen Herzschlag zu beruhigen. Warum sind die Menschen überhaupt so begeistert von hohen Gebäuden?
Der Eiffelturm war in der Tat eine Falle gewesen. Das bemerkte ich jedoch zu spät.
Ein Klirren ertönte.
Instinktiv wirbelte ich herum und hob die Klinge, als der Dämon von dem Gerüst über mir absprang und sein Langschwert auf mich zudonnern ließ. Geschickt parierte ich den Schlag, doch durch die Kürze meines Dolches kam mir die gegnerische Klinge gefährlich nahe und streifte um einen Millimeter meinen Hals. Das Blut pulsierte nun in meinen Ohren. Die Höhe war irrelevant – das Überleben war nun von Bedeutung.
Ein dreckiges Lachen klang aus seiner Kehle. »Hat es dir die Sprache verschlagen, Caitlyn? Du hast doch sonst so ein freches Mundwerk«, säuselte er und blinzelte mehrfach, um gespielt kokett zu wirken. Doch durch das Pechschwarz seiner Iriden war er nur noch unheimlicher.
»Wenn du denkst, ein wenig Höhe bringt mich aus der Fassung, dann liegst du gänzlich falsch«, konterte ich und zückte den zweiten Dolch aus dem Holster.
Verärgerung blitzte in Zerx’ Gesichtszügen auf. »Hades hat dir ein Zuhause gegeben, trotz deiner minderwertigen Heilkräfte, Halbblut. Und wie dankst du es ihm? Indem du ihn verrätst und all seine Anhänger durch die Welten jagst?« Angewidert spuckte er mir vor die Füße, doch sein Hass ließ mich kalt. Viel eher war es so, dass Wut und Vergeltung mich antrieben.
»Du bist hier der Verräter«, meinte ich leichtfertig. »Meine Schwester, Malison Hades, ist die rechtmäßige Erbin der Unterwelt und mein Vater ist tot. Ihr Dämonen könnt noch so viele Artefakte sammeln, ihr werdet ihn dennoch nicht von den Toten zurückholen können.«
Wieder lachte Zerx auf – dieses Mal so laut, dass seine Stimme durch den ganzen Turm hallte und das Metall sein Kichern zu mir zurückprallen ließ. »Du denkst, darum geht es hier?« Amüsiert lachend wischte er sich mit seinen behandschuhten Fingern eine Träne aus den Augenwinkeln. »Du bist erbärmlich, Caitlyn. Du hast weder einen Platz in der Unterwelt bei den Dämonen noch bei den Göttern im Olymp.« Ein schiefes Lächeln schlich sich auf seine schmalen Lippen. »Lass mich dir einen Gefallen tun und dein Elend beenden.«
Ohne Vorwarnung raste er auf mich zu. Er riss die Klinge in die Höhe und schlug mit Wucht auf mich ein.
Gekonnt kreuzte ich meine Dolche, um so seine Wucht abzufangen, doch er hatte an Kraft gewonnen. Die Macht des Artefaktes stärkte seine Angriffe, sodass jeder Schwertschlag in meinen Muskeln vibrierte und mich weiter nach hinten drängte.
Ping!
Irgendwo in der Ferne ertönte der Aufzug, doch ich hatte keine Zeit, es richtig wahrzunehmen. Denn Zerx’ Klinge kam immer näher. Ich parierte einen nächsten Angriff, als er mir einen meiner Dolche aus der Hand schlug und seine Klinge an meinem Daumen entlangfuhr. Wütend fauchte ich, doch ich gab meine Deckung nicht auf. Ich verfestigte den Griff um meine verbliebene Waffe, die die Barriere zwischen Leben und Tod bedeutete. Ein falscher Hieb und es wäre aus.
»Hast du nicht gelernt, dass ein Jäger niemals allein losziehen sollte?«
Er drängte mich immer weiter zurück, bis ich gegen das eisige Metall des Geländers stieß und es keinen Ausweg mehr gab.
»Ein guter Verfolger jagt immer im Rudel«, belehrte er mich mit einem frechen Grinsen, das die Reihe aus schneeweißen Zähnen zum Vorschein brachte.
Lässig hob er das Schwert und ließ es auf mich zudonnern. Schnell parierte ich, doch der Dämon legte immer mehr Wucht in seinen Angriff. Millimeter um Millimeter rückte die tödliche Klinge näher. Schweißperlen bildeten sich an meiner Stirn und liefen an meinen Schläfen entlang, bis sie am Kinn hinab und auf das Metall tropften.
Verzweiflung machte sich in mir breit, bis ich eine Gestalt im Schatten entdeckte. Sie war mir also doch gefolgt.
»Warum lachst du?«, fragte Zerx perplex. »Macht dich der Gedanke an den Tod glücklich?«
Ich spielte auf Zeit und ging unter angestrengtem Atem zurück. »Du hast gedacht, du lockst mich in eine Falle. Aber was hat dich denken lassen, dass ich allein jage?«
Erschrockene Erkenntnis machte sich in seinen Gesichtszügen breit. Zügig riss er die Klinge von mir und wich zur Seite, doch es war zu spät.
Die Jägerin hatte ihre Beute bereits anvisiert und sie verfehlte nie ihr Ziel.
Ein ohrenbetäubendes Sausen ertönte.
Schneller als ich blinzeln konnte, raste der Pfeil durch die kalte Nachtluft und bohrte sich direkt in das Knie des Dämons. Schmerzerfüllt schrie er auf, sein Schrei hallte durch den ganzen Park und beflügelte den Dämon in mir.
Jetzt war ich es, die grinste.
Triumphierend beugte ich mich zu Zerx hinab und legte ihm gespielt freundschaftlich die Hand auf die Schulter, während er sich vor Schmerzen krümmte. »Dein Fehler war zu denken, dass ich allein bin. Doch an meiner Seite ist die Göttin der Jagd. Und nun hast du gelernt, dass Artemis immer trifft.«
Freundschaftlich klopfte ich ihm gegen die Schulter, was sein schmerzhaftes Keuchen nur noch verstärkte. Dann wanderten meine Fingerspitzen an seinem Brustkorb entlang, bis ich in seinen Hosentaschen fand, was ich suchte: Hades’ Eissplitter.
Ich schnappte ihn mir und verstaute ihn in der Manteltasche, dann ließ ich ihn stehen. Mit einer derartigen Wunde würde selbst ein Dämon nicht weit kommen.
Erst jetzt widmete ich mich der Göttin, die sich in den Schatten verbarg. Herausfordernd reckte ich das Kinn.
»Ich hatte alles unter Kontrolle«, behauptete ich mit fester Stimme, doch dahinter bemerkte ich den zitternden Unterton, der die Anstrengung verriet.
Ein amüsiertes Schnauben ertönte, dann trat Artemis aus der Dunkelheit und warf lässig den Bogen über ihre Schulter zurück. Eine Windböe schlängelte sich durch ihre rabenschwarzen Haare und untermalte ihre Schönheit.
Genauso herausfordernd hob sie nun die Brauen. Wenige Zentimeter vor meiner Nasenspitze blieb sie stehen. Das Purpur ihrer Iriden brannte sich förmlich in meine dunkle Seele.
Ihre Stimme hatte einen spöttelnden Tonfall, als sie scharfzüngig erwiderte: »Sicher, du hattest alles unter Kontrolle – das habe ich gesehen.«
Artemis
Caitlyn war unglaublich – im schlechten Sinne. Sie glaubte, sie könnte es mit der ganzen Welt aufnehmen und als Siegerin hervorgehen. Doch es war der Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kam.
»Gern geschehen übrigens. Ich rette dir gern das Leben, Caitlyn – mal wieder«, stichelte ich, da ich genau wusste, wie sehr sie es hasste.
Caitlyns Nasenflügel plusterten sich auf, um dann ein verächtliches Schnauben von sich zu geben. »Wenn ich mich richtig erinnere, war ich es, die einst das Gift einer Schlange aus deinem Körper zog?«, stichelte sie gekonnt zurück.
Unbekümmert zuckte ich die Schultern. »Stimmt, dann sind wir wohl quitt«, meinte ich.
»Wo hast du überhaupt so lange gesteckt? Ich habe das Gefühl, dass ich hier die ganze Arbeit mache, während du Sightseeing in Paris unternimmst.«
»Sicher«, erwiderte ich überspitzt. »Ich hatte noch eine Portion Crêpes vor mir, als du blindlings losgestürmt bist.«
Caitlyn riss entnervt die Hände in die Höhe. »Weil der Ortungszauber der Hexe endlich gewirkt hatte. Hätte ich den Dämon entkommen lassen sollen, damit wir in Ruhe Crêpes essen können?«
»Natürlich nicht«, seufzte ich mit matter Stimme. »Aber ein paar Infos wären nett gewesen, bevor du ohne ein Wort in die Nacht stürmst.«
Caitlyn schien mir gar nicht mehr zuzuhören. Sie lief schnurstracks zurück zu dem Dämon, der mich hasserfüllt anfunkelte. Zugegeben, sein Knie blutete höllisch – von daher war sein Hass vermutlich angebracht.
»Das wird jetzt wehtun«, meinte Caitlyn, wobei sie mit der rechten Hand das Knie des Dämons anwinkelte und mit der anderen die Pfeilspitze auseinanderbrach.
»Mach schon«, brummte der Dämon nur angewidert.
Ohne ein weiteres Wort riss Caitlyn den Pfeil aus dem Knie. Tiefer Schmerz malte sich auf dem Gesicht des Dämons ab, während er erst den Mund aufriss und dann die Zähne fest zusammenpresste vor Qual. Dann schoss Blut aus der Wunde, doch Caitlyn war schneller. Ihre langen Finger umschlossen die Wunde, während sie die Lider zusammenpresste und begann, lateinische Worte vor sich hin zu murmeln. Silberne Schweife bildeten sich an ihren Fingerspitzen und tänzelten wie dünne Fäden durch die Luft, um sich dann auf der Wunde niederzulassen und in das klaffende Loch zu sinken. Nun wurde die Wunde von einem hellen Schein umgeben, während sich die Haut schließlich verschloss. Sekündlich wurde der Blutfluss weniger.
Sorgsam beobachtete ich Caitlyn. Schmerz zog sich über ihre angespannten Schläfen und Müdigkeit trübte ihre Iriden. Das Heilen kostete Energie. Ihre Gabe hatte mich in der Vergangenheit gerettet, während ihr nun mein Bogen stets zur Seite stand. Wir waren ein gutes Team – selbst wenn wir uns vermutlich hassen sollten. Immerhin war ich die Tochter der Göttin der Jagd und hatte all deren Titel und Ehre übernommen, während Caitlyn die Nachfahrin ihres kaltherzigen Vaters Hades und einer Elfe war.
Erschöpft seufzte Caitlyn und ließ sich aus der Hocke nach hinten fallen, um dann ihre Finger auszustrecken. Ein dumpfes Knacksen ertönte, erst dann winkelte sie ihre Finger wieder an und wandte sich mir zu.
»Siehst du? Wieder etwas, das ich erledigen darf. Hätte ich vorher gewusst, dass der Job im Olymp so anstrengend war, hätte ich gleich in der Unterwelt bleiben können«, beschwerte sie sich theatralisch. Sie lehnte sich nach hinten, holte Schwung und schoss in einem Nu zurück auf die Füße und in die Höhe.
Ich machte einen Schritt auf sie zu. »Du vergisst, dass es dein Vater war, der für all dieses Chaos verantwortlich ist.« Beschuldigend nickte ich in Richtung des Dämons, dann wanderte mein Blick zurück zu ihr. »Und du warst auch nicht ganz unschuldig daran, vergessen?«
Caitlyn wich einen Schritt nach hinten, Kränkung und Schmerz blitzten in ihren Augen auf. »Wie könnte ich das jemals vergessen?«
Vielleicht sollte ich mich entschuldigen? Der Gedanke spukte mir im Kopf herum, doch ich bekam die Worte nicht heraus. Stattdessen wich etwas weitaus Uneleganteres aus meinem Mund: »Wenn es dir im Olymp nicht gefällt, steht es dir frei zu gehen. Du warst es doch, die in der Unterwelt nicht mehr glücklich war und nach einem Neuanfang gesucht hat?«
Jetzt würdigte sie mich keines Blickes mehr. Sie wandte das Gesicht zur Seite und blickte über die Reling, wobei das schwache Licht der Stadt auf ihren Wangen schimmerte. »Stimmt«, murmelte sie kaum hörbar. »Vielleicht war es ein Fehler, die Unterwelt zu verlassen.«
Vor Anspannung biss ich mir auf die Unterlippe. Ich wollte nicht, dass Caitlyn den Olymp der Götter verließ und zurück zu den mies gelaunten Dämonen stieg. Trotz allem brachte sie Freude und Abenteuer in mein Leben, die ich nicht mehr missen wollte.
»So meinte ich das nicht.« Überrascht reckte Caitlyn das Kinn zur Seite, um sich dann langsam zurück in meine Richtung zu drehen. »Ich will nicht …« Meine Stimme versagte. Ich will nicht, dass du gehst – diese drei letzten Worte blieben mir im Hals stecken und fanden keinen Weg hinaus.
Herausfordernd zog Caitlyn die Brauen nach oben, während ihre Iriden von rechts nach links huschten, als suchte sie die fehlenden Worte in meinen Gesichtszügen.
»Ich will die Dämonen nicht allein jagen – das wäre langweilig«, presste ich stattdessen hervor.
Caitlyn riss den Kopf zurück und nickte leicht, als würde sie verstehen. Dennoch zeichnete sich Enttäuschung in ihren Augenwinkeln ab.
Für einen Moment herrschte Stille – da waren nur das ferne Hupen eines Autos, das Rattern der Schienen der Metro unter der Erde und das Peitschen des Windes.
»Nun, ich sollte in der Tat gehen«, meinte Caitlyn schließlich. Sie schob ihre dünnen Finger in die Manteltasche und kramte etwas Glänzendes hervor, das sie mir in die Hände legte. Es war einer der Eissplitter von Hades’ totem Körper. Der Splitter schimmerte in einer Mischung aus Silber und Blau, er war überwiegend durchsichtig und wenn man sich anstrengte, war ein Teil von Hades darin wiederzuerkennen. Es wirkte so schön und zerbrechlich wie Eis, aber der Splitter war dennoch unzerstörbar. Verflucht, um für immer zu existieren.
»Woher hast du den?«, staunte ich. Wir beide hatten je einen Splitter zur sicheren Verwahrung bekommen, doch das war ein gänzlich anderes Teil. Ich betrachtete den Splitter genauer. Tief in seinem Inneren zeichneten sich die Umrisse eines Organs ab: Hades’ Herz.
»Zerx hatte ihn bei sich«, erklärte Caitlyn knapp und warf dem dunkelhaarigen Dämon einen abwertenden Blick zu. »Er hat Hades’ Macht angezapft, deswegen war er stärker als ein gewöhnlicher Dämon.«
»Sollte der Splitter des Herzens nicht in einem Grab verborgen sein?«
Langsam nickte Caitlyn. Schuld grub tiefe Sorgenfalten in ihr Gesicht. »Das Herz wurde in Irland mit dem treu ergebenen Dämon meiner Schwester begraben. Zerx muss es entwendet haben, kurz bevor wir seine tagelange Verfolgung aufgenommen haben.«
»Dylan«, erinnerte ich mich an den Namen des Dämons, der im Krieg an unserer Seite gekämpft hatte. Bei diesem Namen zuckte Caitlyn unwillkürlich zusammen.
Plötzlich machte sie auf dem Absatz kehrt, kramte in ihrer Tasche und sank zu Zerx in die Knie. In ihren Händen entdeckte ich schneeweiße Fesseln, die den Träger seiner Macht und Magie beraubten. Zügig band sie es um Zerx’ Hände, dann schnappte sie ihn am Handgelenk und zerrte ihn zurück auf die Beine. Verärgert fluchte er, da das Knie wohl immer noch schmerzte. Dann trat sie zurück an meine Seite.
»Du musst den Eissplitter und den Dämon in den Olymp bringen – irgendjemand versucht hier sich der uralten Macht von Hades zu bedienen.«
»Kommst du nicht mit?«, fragte ich überrascht.
Bestimmt schüttelte Caitlyn den Kopf. »Ich muss meine Schwester warnen und prüfen, ob ihre Artefakte noch in Sicherheit sind.« Sie drückte Zerx in meine Richtung, dann umklammerte ich seine Fesseln und hielt ihn dicht bei mir.
»Denk nicht mal daran zu fliehen – oder der nächste Pfeil landet in deinem Schädel«, zischte ich ihm drohend ins Ohr.
Der Dämon schluckte schwer, dann nickte er mir zu. Er hatte verstanden – er würde so schnell keine Faxen machen, wenn ihm sein Leben etwas wert war.
»Ich öffne dir ein Portal nach Lima, von dort aus kennst du den Weg zurück nach Hause in den Olymp«, meinte Caitlyn knapp, dann streckte sie den Arm von sich und schnappte mit der anderen Hand den Rubin, der in einem silbernen Ring um ihren Finger geborgen war. Sie drehte kraftvoll daran, worauf als Nächstes bläuliche Nebelschweife aus dem Juwel schwappten und auf das metallische Gerüst des Eiffelturms krochen, um sich wenige Meter vor uns zu sammeln. In kreisenden Bewegungen vereinten sich die Fäden und verwandelten sich in einen unaufhaltsamen Strudel. Das Portal würde uns in Sekundenschnelle direkt auf den anderen Kontinent führen.
»Wieso kommst du nicht mit und triffst dich mit Malison in Lima?«, schlug ich mit lauter Stimme vor, da die Windböen nun stärker wurden und gegen meine Ohren schlugen. Ich mochte den Gedanken nicht, dass sie an diesen kalten, von Dämonen umgebenen Ort reiste.
Als Antwort wich Caitlyn von mir zurück, während sie erneut an dem Rubin drehte. Dieses Mal schwappte keine blaue Magie aus dem Stein, sondern blutrote. Die Schweife verteilten sich auf dem Boden und sammelten sich auf der anderen Seite, sodass sich nun die Portale der Erde und der Hölle gegenüberstanden. Wir dazwischen.
»Wir treffen uns im Olymp«, erinnerte mich Caitlyn, während sie einen weiteren Schritt rückwärts machte. Die Schwingen des Portals versuchten jetzt bereits nach ihr zu greifen. Sie schmiegten sich um ihre Beine und krochen an ihren Schenkeln hinauf, zerrten sie in Richtung des Abgrunds. »Ich schulde der Unterwelt noch einen Besuch.«
Caitlyn setzte einen letzten Schritt rückwärts, dann hatten die magischen Schwingen sie im Besitz. Sie flossen über ihre Haare, ergossen sich über ihre blasse Haut und streckten sich über ihre Glieder. Ich blinzelte, und im nächsten Moment war das dunkle Portal verschwunden, genauso wie die Zweitgeborene des Hades.
»Wir treffen uns zu Hause«, wisperte ich leise, obwohl sie längst nicht mehr da war, um meine Worte zu hören. Auf einmal fühlte sich der kalte Wind noch frostiger an, die Stadt wirkte nun einsamer als zuvor.
Es wurde Zeit, Paris zu verlassen. Ich konnte nur hoffen, dass in der Unterwelt alles glattlaufen würde. Nein, ich musste vertrauen.
Ich stieß den Dämon in das bläuliche Portal, legte den Bogen um meine Schulter, dann war ich an der Reihe. Ich nahm Anlauf und stieg direkt in das Portal. Es begrüßte mich wie eine kalte Umarmung bei einem Sprung ins Wasser. Ich verschwand in dem magischen Strudel, der mich im Ganzen verspeiste. Ich ließ mich fallen in dem unendlichen Ozean aus Magie.
Caitlyn
Mit Wucht landete ich auf dem neu verlegten Marmorboden, der so sauber wie eine frisch polierte Münze glänzte. Daher rutschte ich erst einige Meter, bis ich den Schwung verlor und zum Stehen kam. Der blutrote Schleim des Portals hatte sich um meine Kleidung gelegt, worauf ich angewidert die Nase rümpfte. Hinter mir zog sich eine lange Schleimspur, die an Blut erinnerte.
Überrascht blinzelten mich mehrere pechschwarze Augenpaare an. Die Dämonen gingen alle ihren Aufgaben nach, aber dennoch verlangsamten sie ihre Schritte, als sie an mir vorbeiliefen und einen Blick auf die Tochter ihres früheren Anführers warfen. Ein paar von ihnen tuschelten aufgeregt, während andere leise »Verräterin« wisperten.
Viele der Dämonen waren genauso kalt, wie ich sie in Erinnerung hatte. Allerdings bemerkte ich einen Wandel. Ein paar wenige schenkten mir ein aufmunterndes Lächeln, selbst ihre Kleidung war nun nicht mehr ausschließlich dunkel. Die Unterwelt wirkte nun ein wenig einladender als zu Zeiten meines Vaters. Die Wände waren mit eingerahmten Bildern von Wäldern und Meeren verziert, vermutlich dekoriert von dem Greifen-Freund meiner Schwester. Selbst die Glühbirnen strahlten jetzt warmes Licht aus statt kaltes.
»Caitlyn?«
Überrascht wirbelte ich vom Bauch auf den Rücken und zog mich auf die Knie, dann richtete ich mich nach rechts und blickte hinauf. Niemand anderes als der selbstgefällige Greif Ethan Bones stand in seiner menschlichen Gestalt vor mir.
Peinlich berührt stand ich auf und schlug mir eine fette Schleimspur von dem grauen Leinenstoff an den Schenkeln.
»Schön dich zu sehen«, murmelte ich eine gelogene Begrüßung. Ethan und ich pflegten alles andere als eine gute Bekanntschaft. Schließlich hatte ich in den alten Zeiten mehrfach versucht ihn und seine Schwester im Auftrag meines Vaters zu ermorden. Die Vergangenheit lag wie eine Kluft zwischen uns.
»Du suchst vermutlich Malison?«, prüfte er sorgsam, während er den Jutebeutel auf seinem Rücken zurechtrückte. Angesichts seiner warmen Jacke war er wohl gerade selbst auf dem Sprung.
Knapp nickte ich, worauf Ethan einen Finger an die Lippen legte und kurz grübelte. »Sie ist vermutlich noch in einer Besprechung«, meinte er und setzte sich in Bewegung.
Mit eiligen Schritten hechtete ich ihm hinterher. »Besprechung?«, wiederholte ich mit geschärfter Stimme. Es war mir neu, dass Dämonen eine Meinung hatten oder sie besser gesagt teilen durften. Früher einmal waren sie gedankenlose, brutale Soldaten der Unterwelt gewesen.
»Malison will die Menschlichkeit der Dämonen erhalten. Abgesehen von den reinblütigen Dämonen waren sie alle einmal Menschen, die einfach nur falsche Entscheidungen in ihrem Leben getroffen hatten. Natürlich gibt es Ausnahmen, die Kaltblütigen halten wir hinter den Toren unter Verschluss«, erklärte Ethan und nickte in die Richtung des riesigen Eisentores, hinter dem sich die Zellen der gefolterten Seelen und Dämonen befanden.
Wir bogen um eine Ecke, die direkt vor die Tore der großen Halle führte. Geschwind schnappte Ethan nach den Griffen und stieß sie kraftvoll auf, worauf die Helligkeit des Raumes uns entgegenschwappte. Die Kronleuchter schimmerten wie winzige Diamanten an der Decke und blendeten mich für eine Sekunde. Ich blinzelte heftig, erst dann erkannte ich die starrenden, neugierigen Augen.
Rechts und links versammelten sich gesittete Dämonen, die brav in Reih und Glied auf ihren Stühlen saßen und den Worten ihrer Anführerin lauschten – bis wir ihre Aufmerksamkeit stahlen. Jetzt musterten sie mich neugierig, wobei die Blicke ihrer dunklen Seelen wie giftiger Efeu auf meiner Haut brannten.
»Caitlyn Hades«, tuschelten sie aufgeregt.
»Was will sie hier in der Unterwelt?«
»Will sie die Krone stehlen?«
Ich ignorierte die toxischen Bemerkungen. Der einzige Grund, der mich zurück in diese kalten Hallen führte, war die Sicherheit meiner Schwester.
»Caitlyn!«, bemerkte mich Malison nun aufgeregt, als könnte sie ihren eigenen Instinkten nicht trauen. Es war sicherlich ein Jahr her, dass ich die Unterwelt besucht hatte. Zwar fungierte ich im Olymp als Stellvertreterin der dunklen Königin, doch meistens kommunizierten wir über magische Raben oder Nachkommen des göttlichen Boten Hermes. Hier unten quälten mich die Erinnerungen an meine Kindheit und Hades zu sehr, sodass ich mit jeder Sekunde schlecht gelaunter und depressiver wurde. Ich fragte mich, wie Malison das aushielt. Ich vermutete, dass die Macht, etwas zu verändern, und der Greif an ihrer Seite sie auf andere Gedanken brachten.
»Schön dich zu sehen, Malison«, begrüßte ich sie und trat vor. Zwischen den Reihen bestand ein schmaler Gang, durch den ich, dicht gefolgt von dem Greif, ging.
Nun richtete sich Malison von ihrem dunklen Thron auf, wobei das lange rabenschwarze Kleid hin- und herrauschte. »Die Versammlung ist für heute beendet – weitere Anliegen werden wir nächste Woche besprechen«, verkündete sie, worauf mies gelauntes Gemurmel durch die Halle fegte.
Die Dämonen schienen nicht begeistert von dem frühzeitigen Ende zu sein, allerdings folgten sie den Worten ihrer Königin und marschierten in Richtung Ausgang.
Es dauerte einen Moment, bis die Halle sich geleert hatte. Erst dann atmete Malison erleichtert auf und entspannte ihre aufrechte Körperhaltung. Die dunkle Krone auf ihrem Kopf wirkte schwer. Dennoch glänzte sie in dem hellen Lichtstrahl des Kronleuchters und ihre Bestandteile schimmerten durch: Hades’ gefrorene Hörner, Goldpartikel, schwarze Diamanten und … Ich erstarrte. Dylans Federn. Ich schluckte schwer. Malisons früherer Beschützer und bester Freund hatte sein Leben gelassen, um uns alle zu retten und den Krieg zu beenden. Ohne ihn würde meine Schwester nicht mehr leben und Hades immer noch herrschen. Obwohl Dylan durch die Hand meines Vaters gestorben war, hatte ich dennoch Mitschuld an seinem Tod. Meinetwegen hatte er seine Seele gegen das Leben von Ethans Schwester tauschen müssen. Ich hatte keine Ahnung, ob Selene ihn in ihre Dienste gestellt hatte oder ob seine Seele einfach nur verloren war. Daher wusste nun niemand, wo er sich befand. Ich hatte alle Seelen im Olymp durchforstet, genauso wie Malison die ihren in der Unterwelt. Von Dylan keine Spur – als hätte ihn die Seegeisel höchstpersönlich verschluckt.
In meinem Inneren brannte das Verlangen nach Wiedergutmachung für meine Sünden – vielleicht hatte ich auch deswegen den Posten im Götterreich gewählt.
Malison schien meinen bohrenden Blick zu bemerken, denn nun griff sie nach der Krone und legte sie hinter sich auf den Thron. Bevor ich auch nur ein Wort erwidern konnte, schoss bereits Ethan vorwärts und drückte seine Geliebte an sich, um ihr einen Kuss auf die Wange zu pressen.
»Du solltest dir wirklich weniger Termine aufhalsen«, wisperte er ihr ins Ohr. »Du musst auch mal rauskommen aus der Unterwelt.«
Malison legte ihre Stirn gegen seine Schulter und schloss für eine Sekunde die Lider, als würde sie die Gerüche des Greifs tief verinnerlichen. »Stimmt, aber irgendjemand muss die Hölle am Laufen halten.« Ein Lächeln schmiegte sich auf ihre Lippen. »Du solltest wirklich los, Cora wartet sicher schon in Island auf dich«, erinnerte sie ihn. »Wir sehen uns morgen, wenn du zurück bist.«
Ein liebevolles Seufzen drang aus seiner Kehle. »Malison Hades – immer bemüht darum, die Welt zu verbessern, selbst wenn sie dadurch einen Trip nach Island verpasst.« Langsam löste er sich von ihr und trat zurück.
»Wenn ich es nicht versuche, wer dann?«
Frech zwinkerte Ethan ihr zu, dann löste er sich von uns und eilte zum Ausgang, dessen Türen er energisch aufschwingen ließ. Elegant drückte er sich durch den schmalen Spalt, dann fielen die Türen zurück ins Schloss und nur noch wir zwei Schwestern blieben zurück.
Kurz herrschte Stille zwischen uns – so viele ungesagte Worte lagen in der Luft. Schließlich stieg Malison die drei Stufen hinab und blieb vor mir stehen. Wir starrten uns an wie zwei alte Freunde, die sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatten. Dann schoss Malison vor und nahm mich in den Arm.
Kurz erstarrte ich unter ihrer Berührung – die alte Malison hätte ihre Gefühle in Whisky ertränkt und keinerlei Emotionen an sich herangelassen. Doch der Greif tat ihr offensichtlich gut, selbst wenn ich das niemals laut zugeben würde.
Ich erwiderte ihre Umarmung, dann standen wir uns erneut gegenüber.
»Was machst du hier? Ich habe gar nicht mit dir gerechnet«, fragte sie verblüfft. »Nicht, dass ich mich beschweren will, aber dann hätte ich eine Führung organisiert. Seit deinem letzten Besuch haben wir die Gärten vergrößert, die Dämonen …«
Mehrfach schüttelte ich den Kopf. »Das klingt schön, aber deswegen bin ich nicht hier«, erklärte ich knapp. »Artemis und ich haben einen abtrünnigen Dämon gejagt und er hatte einen der Eissplitter bei sich.« Ich verschwieg ihr, dass es das eingefrorene Herz unseres Vaters war, das man höchstwahrscheinlich von Dylans Leichnam geraubt hatte … Grabschändung. Die ganze Wahrheit würde nur alte Wunden aufreißen. »Du musst aufpassen, welchen Dämonen du traust. Es könnten immer noch Anhänger unseres Vaters unter deinen Leuten sein.«
Nachdenklich schob Malison den Unterkiefer hin und her. »Diese Gefahr bestand immer. Sofern du das Artefakt gesichert hast, sehe ich keinen Grund für Panik«, bemerkte sie mit ruhiger Stimme.
Es war beeindruckend, wie ruhig sie blieb.
»Wie sieht die Lage im Olymp aus? Alles wie üblich?«
Ich dachte an die gehässigen Götter. Keiner von ihnen war auf Krieg mit der Unterwelt aus und ich hatte die Anliegen der Hölle gut vertreten. »Alles unter Kontrolle«, versicherte ich ihr.
Entspannt zuckte Malison mit den Schultern. »Dann ist alles in Ordnung. Ist das der Grund, weswegen du den weiten Weg auf dich genommen hast?«
Ich schüttelte den Kopf, dann steckte ich meine Hand in die linke Manteltasche und kramte einen goldenen Umschlag hervor. Er war mit dem Siegel von Zeus’ Blitz versehen, welches die Götter selbst nach seinem Ableben noch als Statussymbol nutzten. Skeptisch reichte ich ihn ihr, da selbst ich nicht wusste, was drinstand.
Neugierig nahm Malison den Umschlag entgegen und betrachtete die verschnörkelten Umrandungen, dann fuhr sie mit dem Zeigefinger unter die Briefkappe und öffnete ihn. Ein kurzes Plopp ertönte, dann war der Umschlag offen und sie zog ein silbern glänzendes Papier hervor. Meine Schwester rückte an meine Seite, damit wir gemeinsam die Worte lesen konnten:
Verehrte Königin der Unterwelt,
wir laden Euch und eine Handvoll Eurer treuesten Dämonen herzlich zu einer Versammlung im Louvre in Paris zum ersten offiziellen Friedensabkommen der Welten ein.
Für Getränke, Essen und Unterhaltung ist gesorgt, bringt ausschließlich gute Laune mit. Waffen sind ungern gesehen. Auf der Rückseite Eurer Einladung findet Ihr alle weiteren Informationen zum Beginn der Feierlichkeiten.
Wir freuen uns, Euch auf dem ersten offiziellen Friedensabkommen der Welten begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Z
Unwillkürlich zogen sich meine Brauen zusammen. Die Einladung klang mehr als kryptisch … seltsam. Artemis und auch keine anderen der Götter hatten etwas von einer Feier erwähnt. Noch dazu die Bemerkung, keine Waffen mitzubringen. Ohne meine Dolche betrete ich kein Gebäude.
»H…hm, eine Versammlung aller Welten, eine gewagte Idee. Allerdings ist es sicherlich nicht schlecht, die Kontakte aufrechtzuerhalten«, lotete Malison bereits die Gefahren und Chancen einer solchen Feier aus.
»Es ist trotzdem gefährlich und bescheuert, alle wichtigen Anführer an einem Ort zu versammeln. Das schreit doch geradezu nach einer Falle«, zischte ich angespannt.
Malison winkte mit der Hand ab. »Und von wem? Es ist zwei Jahre her, seit ich den Thron bestiegen habe, und bisher gab es keinerlei Probleme.«
»Genau das macht mich eben nervös«, drängte ich. Ich konnte nicht glauben, dass alteingesessene Dämonen Malisons Erneuerungen in der Unterwelt hinnahmen, geschweige denn sie befürworteten. »Was, wenn es ein Hinterhalt ist? Wofür steht das Z? Kennst du den Absender überhaupt?«, stichelte ich verunsichert weiter, die Worte flossen beinahe aus meinem Mund.
Skeptisch kniff Malison die Lider zu Schlitzen zusammen, um mich besser zu betrachten. »Schwesterherz, wann war das letzte Mal, dass du richtig geschlafen hast?«
Überrascht riss ich die Augen auf. Erst jetzt bemerkte ich meine zitternden Finger und die aufgeregte Stimmlage. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um runterzukommen. »Mir geht’s gut«, zischte ich verärgert, doch jetzt, wo ich darüber nachdachte, machte sich die Müdigkeit in meinem Körper wieder breit. Die letzten drei Tage hatten Artemis und ich Dämonen durch Paris gejagt, dabei hatten wir kaum ein Auge zugetan. Heute Nacht hatte ich überhaupt keinen Schlaf abbekommen. Inzwischen musste sicherlich der Morgen angebrochen sein.
Malison schien mir meine Antwort nicht abzukaufen. Sie nickte in die Richtung der Stühle und ging in Führung, um sich auf einem der Plätze in der vordersten Reihe niederzulassen. Es waren billige Klappstühle, deren blaue Überzüge bereits von Kratzern und Schrammen übersät waren. Eine elegante Königin darauf sitzen zu sehen … wirkte unpassend. Malison störte sich daran keineswegs und tätschelte den Stuhl neben sich, um mir zu signalisieren mich zu setzen.
Mit einem Seufzer folgte ich ihrer Geste und ließ mich schwerfällig auf den Stuhl plumpsen. Malisons Gesichtszüge waren angespannt. Offensichtlich wurde es Zeit für eine Standpauke der großen Schwester.
»Ich schätze es, dass du meine Ohren und Augen im Olymp bist. Aber überanstrenge dich nicht. Vergiss zwischen all dem Trubel nicht zu leben. Wie wäre es mit Urlaub?«
Ich verdrehte die Augen. Es war die Arbeit, die mich am Leben hielt und mein Herz mit berauschendem Adrenalin füllte. Die Gefahr war meine Sucht. Mit einer Auszeit oder einem sonnigen Urlaub in der Karibik konnte ich nichts anfangen. »Du musst dir keine Sorgen machen, Malison. Ich brauche keine Pause, allerhöchstens eine Mütze Schlaf.« Unwillkürlich wanderten meine Finger an den Rubinring und umspielten die Umrandungen des roten Steins. »Ich muss zurück in den Olymp, Artemis wartet sicherlich schon.«
Malison schenkte mir ein schwaches Lächeln. »Dann sehen wir uns bei der Versammlung. Ich freue mich darauf, Artemis wiederzusehen. Ihr habt sicherlich ein paar aufregende Abenteuer zu erzählen.« Sie warf mir ein freches Zwinkern zu.
Empört stöhnte ich auf. »Artemis und ich sind … Feinde. Das Einzige, das uns zusammenhält, ist dein Friedensabkommen zwischen Göttern und Dämonen.«
Jetzt verdrehte Malison gespielt die Augen. »Sicher«, meinte sie ironisch.
Es wurde definitiv Zeit zu gehen, bevor meine Schwester weitere Andeutungen machen konnte. Zügig drehte ich den Rubinstein und löste ein weiteres Portal aus. Das Rot des Juwels schimmerte nun schwächer, die Magie des Rings war so gut wie aufgebraucht. Eine letzte Reise zurück nach Hause.
Ich stemmte die Hände gegen die Stuhllehne und schwang mich auf, während die blauen Nebelschweife um meine Füße schlichen und sich vor der Treppe zu einem Strudel versammelten. Die Magie des Portals schwankte bereits, ich musste mich beeilen, wenn ich nicht auf altmodische Reisemittel wie Flugzeuge zurückgreifen wollte.
Ein letztes Mal sah ich zu meiner Schwester. Entschlossenheit flammte in meinen Iriden auf, während ich mich rückwärts dem Portal näherte und kurz darauf stehen blieb.
»Ich bin genau dort, wo ich sein soll«, versprach ich ihr, dann machte ich auf dem Absatz eine halbe Drehung und stürzte direkt in die Tiefen des Portals. Es wurde Zeit für den Olymp.
Artemis
Das Portal spuckte mich ruckartig aus dem magischen Strudel und schleuderte mich durch die Luft. Wild schlugen die langen Grashalme um mich und schnitten in meine Waden. Ich geriet ins Rutschen. Matsch sammelte sich unter meinen Sohlen, während ich den bedrohlichen Abgrund hinabglitt.
Der Untergrund verwandelte sich von dichtem Gras zu einer rauen Felsenwand, an dem meine schlammbedeckten Schuhsohlen wie auf Gummi dahinschlitterten. Unterhalb der Klippe führte eine viel befahrene Straße entlang. Das Knurren und Peitschen der Autos hallte wie ein Dröhnen in meinen Ohren und beschleunigte das Blut in meinen Adern. Mit Sicherheit lasse ich nicht zu, dass ein menschliches Ungetüm namens Auto mein Leben beenden würde.
Reflexartig glitt meine Hand an meinen Rücken und zückte einen Pfeil, dessen Spitze ich mit einem Zischen durch die Luft sirren und in den Erdboden einschlagen ließ. Sofort kam ich ruckartig zum Stoppen. Die Wucht der Fallgeschwindigkeit zerrte an den Muskeln meines Oberarms und ließ mich schmerzhaft die Zähne zusammenbeißen.
In der Ferne ertönte ein dreckiges Lachen.
Unwillkürlich warf ich den Kopf in den Nacken, um direkt in Zerx’ hasserfüllte Iriden zu blicken. Das kalte Meeresblau bohrte sich in meine Seele. Das Portal hatte ihn ebenfalls ungünstig auf die Klippe katapultiert, allerdings hatte er das Glück gehabt, eine Palme zu ergattern. Nun lehnte er sich lässig gegen den Baum und ritzte mit den zu lang gewachsenen Fingernägeln winzige Halbmonde in die Rinde. Obwohl Caitlyn sein Knie geheilt hatte, war es dennoch nicht voll funktionsfähig. Ich erkannte es an seiner Verlagerung auf das gesunde Bein. Zerx wusste genau, dass eine Flucht sinnlos war. Stattdessen genoss er amüsiert die Show.
»Halt die Klappe!«, fauchte ich ihn verärgert an. Allerdings schien meine Wut ihn nur noch mehr anzutreiben. Sein Lachen stieg in höhere Töne.
Sein Spott war wie Treibstoff für meinen Kampfgeist. Ich stemmte die Fußspitzen gegen den Matsch, während ich mit der freien Hand einen weiteren Pfeil hervorkramte. Ich stieß die Spitze höher als die erste in den Boden und zog mich daran hinauf, dann löste ich die erste Pfeilspitze und jagte sie wieder in die Erde. Auf diese Weise kämpfte ich mich mühsam die Klippe hinauf, bis ich fast die Kante des Bergkamms erreicht hatte und die Palme in unmittelbarer Nähe war. Ich riss ein letztes Mal den Pfeil aus der Erde, dann krabbelte ich vorsichtig schräg über den Abhang, bis ich die Palme erreichte. Geschwind zückte ich erneut den Pfeil. Ich hob ihn an und drückte die Spitze drohend an Zerx’ Kehle, wobei der Schlamm auf seine Schlagader tropfte und an seinem Schlüsselbein entlangfloss.
»Kein Wort mehr von dir«, brummte ich mies gelaunt. Die Luft der menschlichen Welt war stickig und benebelte meinen Verstand. Die Abgase der Autos waren Gift, das in die Luft ausgestoßen wurde und meine Lunge verpestete. In den letzten zwei Jahren war ich öfter auf der Erde, als mir lieb war. Inzwischen kannte ich ein paar ihrer Erfindungen wie Autos, Fertiggerichte und U-Bahnen. Eine Handvoll Besuche in Großstädten und ich konnte ganz klar sagen: nicht meine Welt.
»Ich dachte, Götter kennen Gnade«, spottete der Dämon, den die Klinge an seinem Hals nicht zu kümmern schien. »Vermutlich seid ihr auch nicht besser als wir Dämonen.«
Wütend fixierte ich ihn durch zusammengekniffene Lider. »Wage es bloß nicht …«
»Artemis?« Eine Stimme riss mich zurück zur Vernunft.
Ich löste mich von dem Dämon, verstaute die Pfeilspitzen im Köcher und packte den Kerl stattdessen am Kragen.
Die Schutzgöttin Eilethyia blinzelte mich mit großen Augen an. Sie blickte über die Klippe, sodass außer ihrer schwarzen Mähne und dem Kopf nichts von ihr zu sehen war.
»Wo bist du denn gelandet?«, scherzte sie amüsiert. »Gut, dass meine Gabe gleich aufgeschrien hat, als du hier angekommen bist. Ich habe direkt gefühlt, dass du meinen Schutz gebrauchen könntest.«
»Ich hatte alles unter Kontrolle!«, gab ich zurück und bemerkte meine giftige Antwort. O Zeus! Caitlyns schlechte Manieren begannen bereits auf mich abzufärben. Ich schüttelte mich, als könnte ich die Hadestochter damit aus meinen Gedanken vertreiben.
»Sieht nicht unbedingt so aus«, meldete sich eine männliche Stimme. Nun lugte der nächste Gott über den Grat und warf seine goldene Haarpracht zurück.
Herakles, du eingebildeter, arroganter …
Sogleich warf er ein Seil über die Klippe, das klatschend gegen die Felswand schlug, bis es sich eingependelt hatte. Instinktiv streckte ich mich und schnappte mit den Fingerspitzen danach, um es dicht zu uns zu ziehen.
»Macht euch fest und ich ziehe euch hoch«, rief Herakles uns entgegen.
Ich biss mir auf die Unterlippe und hielt eine freche Antwort zurück. Für mich wäre es nicht schwer gewesen, das Seil selbst hinaufzuklettern. Ich warf einen Blick zur Seite. Der Dämon wirkte trotz der Muskeln eher schlaksig und deutlich erschöpft, als hätte er seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Ich bezweifelte, dass er hier so leicht hinaufklettern konnte …
Also legte ich das Seil um die Taille des Dämons, wobei er mir kokett zuzwinkerte. Mir wird schlecht. Das Ende des Seils band ich zu einem festen Knoten zusammen. Als Nächstes robbte ich vorwärts, um genug Abstand zwischen mich und den Dämon zu bringen.
»Zieh uns hoch!«, rief ich dem Halbgott entgegen.
Herakles zögerte nicht lange. Mit Wucht zog er an dem Seil und verschwand hinter der Kante. Obwohl er ein Halbblut war, hatten ihn die Götterahnen mit unersättlicher Kraft und Stärke beschenkt. Ich hingegen war mit Schnelligkeit und einem Geschick für den Bogen geboren.
Innerhalb von Sekunden hatte uns der Halbgott die Schlucht hinaufgezogen. Leichtfertig sprang ich auf den festen Boden. Zerx zitterte.
»Wie du so lange überleben konntest, ist mir ein Rätsel«, zog ich den Dämon auf.
»Ha-Ha«, erwiderte er sarkastisch, wobei er die Wangen hob und verärgert die Lider zu dünnen Schlitzen zusammenkniff.
Eilethyia eilte an meine Seite, Verwirrung trat in ihr Gesicht. »Wo ist denn Caitlyn? Sollte sie nicht dabei sein?«
Ich fuhr mit den Händen an meinem Mantel entlang, um die Fingerspitzen wenigstens halbwegs von dem Schlamm zu befreien. »Sie hat einen Abstecher in die Unterwelt gemacht«, gab ich knapp zurück. Dabei hatte sie mich mit dem nervtötenden Dämon vollkommen allein gelassen, jedoch behielt ich diesen Gedanken für mich. Schließlich war es ihre Aufgabe, der Königin der Unterwelt wichtige Angelegenheiten zu übermitteln. Ich hatte keinen richtigen Grund, verärgert zu sein. Sie gehörte zur Unterwelt und ich zum Olymp – so einfach waren die Regeln. Dennoch vergaß ich diese nur allzu oft.
»Sie kommt sicherlich nach«, beschwichtigte mich Eilethyia, als hätte sie meine Gedanken erahnt. »Dann geht es jetzt zurück in die Heimat?«
»Für euch, ja«, erwiderte ich. Mein Blick wanderte von den Palmen auf die Großstadt im Hintergrund. Lima – unser Zugang zum Olymp. Hier war ein riesiges Portal erbaut worden, das einen direkt vor die Tore des Götterberges brachte. Allerdings war es für Menschenaugen unsichtbar.
»Was musst du denn noch erledigen?« Eilethyias Neugierde war sichtlich geweckt, während Herakles den Dämon an den Handfesseln packte und in Richtung des Portals drängte.
»Da ist ein … Handel mit einer Hexe.«
***
Durch das Hin und Her während des Weltenreisens geriet mein Biorhythmus langsam durcheinander. Hier war immer noch Nacht. Der Mond hatte längst seinen Höhepunkt überwunden.