Hall of Gods - Jessica Theiß - E-Book

Hall of Gods E-Book

Jessica Theiß

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Beschreibung

Eonai ist Anhänger der Church of Gods. Wie die Anderen, glaubt er, dass die Götter, die unter ihnen auf der Erde wandeln, sich irgendwann erheben und die Welt vor ihrem Untergang bewahren. Als jedoch der neue Präsident Aeros sein Amt antritt und die Church of Gods verbietet, findet er sich in Zweifeln wieder. Wenn die Götter wirklich existieren, wieso lassen sie zu, dass die Welt im Chaos versinkt? Wieso vereinen sie sich nicht und erfüllen die Prophezeihung? Er fasst einen Entschluss. Wenn sie von sich aus nichts unternehmen, dann muss er nachhelfen. Er muss sie finden und sie dazu bringen, sie alle vor dem Untergang zu retten. Doch das ist gar nicht so einfach. Bald findet er sich inmitten einer Hetzjagd nach den Göttern wieder, aus der er nicht fliehen kann, ohne selbst zum Opfer zu werden.

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Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Gegebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Für all jene, die noch nicht bereit sind, die Hoffnung aufzugeben.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreissig

Prolog

24. November 2244

Jubel dröhnte noch immer durch das gesamte Gebäude, als Raphael Aeroshinaustrat, vor ihmzwei seiner Leibwächter, hinter ihm Sanda Kings gefolgt von drei weiteren, in Schwarz gekleideten Männern, deren Augen hinter dicken, dunklen Sonnenbrillen versteckt lagen, aber trotzdem jeden Zentimeter um sie herum erfassten. Sie waren bereit, bei der ersten, noch so kleinen Bewegung sofort loszuspringen und zu verteidigen, auch wenn es in der heutigen Zeit kaum noch nötig wäre.

Mit undurchdringlicher Miene und schweren Schritten bewegte Raphael sich auf die kleine Bühne zu, die man extra für ihn aufgebaut hatte. Sie lag im Schatten, auf ihr ein Podium aus dunklem Holz, bestrichen in den Farben seiner Partei. Langsam trat er die Stufen hoch, bis er dahinterzumStehen kam, zwischen seinen Fingern ein kleines Gerät, das er sofort ablegte und ein Dokument auf dem Bildschirm heraussuchte. Seine Rede.

Niemand konnte erkennen, ob er von Nervositätgequält wurde, obwohl etliche Kameras auf sein ruhiges Gesicht gerichtet waren, bereit all seine Bewegungen und Worte aufzuzeichnen und in die Welt zu tragen, auf jedem Sender auszustrahlen.

„Heute Abend“, begann Raphael, sah von Linse zu Linse, als versuchte er die Menschen dahinter genauestens anzuschauen, obwohl die Geräte seine gesamte Sicht auf das Publikum dahinter verdeckten. „Schreiben wir Geschichte.“

Stille herrschte um ihn herum. Niemand sprach, alle hingen ihm an den Lippen. „Wir befinden uns an einem Punkt in der Geschichte, der sich nicht wieder umkehren lässt, denn er bedeutet Wachstum und Fortschritt.“

Sanda stand rechts hinter ihm, auch sie zeigte keinerlei Regung und blickte stur geradeaus. Das mochte er so sehr an ihr. Sie passte zu ihm. Er hatte bei ihr eine gute Wahl getroffen, das wusste er.

„Bei all den Fehlern, die meine Vorgänger sich geleistet haben, haben wir nun die Chance, sie umzukehren und die Vereinigten Staaten in eine andere Richtung zu lenken“, sagte er deutlich. Er hatte eine dunkle, warme Stimme, die durch all die Lautsprecher drangen und die Menge beschallte. Er hörte sich selbst dadurch. „In unseren Händen liegt es nun, unsere Länder zu verbessern, sie voranzutreiben und dafür zu sorgen, dass unser Leben noch lebenswerter wird.“

Raphael musste sich nichtumdrehen,umzu sehen, wie Sanda kaum merklich nickte. Er spürte es in seinem Nacken. Sie beide hatten bereits etliche Jahre miteinandergearbeitet und kannten daher die Reaktionen des anderen zu all denThemen. Er konnte sich da voll und ganz auf sie verlassen.

Sie trug ihr langes, dunkelblondes Haar in einem strengen, dicken Dutt gebunden. Ihr Leib steckte in einem schmucklosen, engen Rock, der ihr gerade bis über die Knie reichte. Dazu eine ebenso schmucklose Bluse, bei der jeder Knopf geschlossen war. Die Arme hatte sie hinter ihrem Rücken verschränkt und bewegte sich sonst kein Stück mehr. Ihr Blick war geradeaus gerichtet. Alles an ihr strahlte militärische Kompetenz aus.

„Heute Abend haben diese Länder mich zum Präsidenten gewählt“, fuhr er fort. „Und damit einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Hiermit möchte ich Sie alle dafür beglückwünschen.“

Jubel ertönte im Hintergrund, der wie eine Welle größer wurde, bis sie zu ihm getragen wurde. Für einen Moment hielt er inne und lauschte dem Gesang seiner Wähler, stolz, ihre Stimme in jeder Hinsicht erhalten zu haben.

„Doch damit sind wir noch lange nicht fertig“, unterbrach er sie, sorgte sofort für erneute Stille. „Dies ist erst der Anfang. Der Anfang einer Legislatur, die wir nutzen müssen, um die Veränderung zu erarbeiten, die diese Welt so dringend benötigt.“

Er atmete einmal tief durch, griff nach dem kleinen Glas Wasser, das neben ihm stand und nahm einen kurzen Schluck. Bereits jetzt begann sein Hals leicht zu schmerzen.

„Wir müssen den Tritt fassen, um die Vereinigten Staaten zurück in den Wirtschaftsboom zu bringen, den meine Vorgänger uns verwehrt haben. Wir müssendie Maschinerie der amerikanischen Unternehmen wieder warten, bis sie wieder läuft, bereit uns weiterzubringen.Amerikamuss wieder blühen.Unddas wird es.“

Erneute Siegesschreie aus dem Publikum. Sie stimmten ihm zu. Er hob seine Stimme, um siezu übertönen. „Ich verspreche euch hiermit, sobald ich mein Amt antrete, werden wir neue Handelsabkommen schließen, die Länder Europas einbeziehen, neue Gesetze erlassen und bessere Bedingungen schaffen. Dafür ist bereits jetzt alles vorbereitet. Es fehlt lediglich die Unterschrift des Präsidenten.“

Raphael und Sanda hatten lange an diesen Dokumenten gesessen, sich mit den Oberhäuptern der Länder getroffen, viele Gespräche gehalten und so viele Hände geschüttelt. Prinzipiell war alles in trockenen Tüchern. Die Präsidenten Europas und Asiens warteten nur noch auf seinen Wahlsieg. Mit Sicherheit feierten sie gerade, genauso wie seine Partei es tat. Heute Nacht würde so viel Alkohol fließen.

„Indiesen Abkommenwerden nicht die wirtschaftlichen Aspekte in den Vordergrund gestellt, nein. Wir werden die Arbeitnehmer und Familien in den Vordergrund stellen, bereit, das Beste daraus zu holen, bereit, unsere Gesellschaft in jeder Hinsicht zu verbessern.“

Natürlich war dies gelogen. Dies, sowie beinahe all seine Wahlversprechen. Das gehörte zu den üblichen Machenschaften in der Politik. Man versprach so vieles, was man nicht einhielt oder einhalten konnte. Alles nur, damit das unwissende Volk das Kreuz an der richtigen Stelle machte und somit die Partei mit den besten Worten in die richtige Position brachte. So auch dieses Mal.

„Die Familie wird einen neuen Stellenwert in unserer Gesellschaft erhalten. Wirwerden sie fördern, es den Erziehenden leichter machen, alle zu ernähren und im Leben weiterzubringen. Zeitgleich wird die Wirtschaft damit wachsen können. Wir werden die Arbeitslosenquote niederdrücken, bis jeder sich im Reichtum seines Erwerbs suhlen kann“, erklärte Raphael. „Nicht nur die Oberschicht.“

Etwas, was dieses Land wirklich nötig hatte. Unter Präsident Spangler waren die Arbeitslosenzahlen explodiert. Er hatte sich beinahe ausschließlich um die Wirtschaft gekümmert, dabei die Mittelschicht im Stich gelassen und die Reichen noch reicher werden lassen. Durch seine Aufhebung der Arbeitnehmerschutzgesetze hatte er zugelassen, dass diese ausgebeutet werden konnten. Es mochte der Wirtschaft tatsächlich von Nutzengewesen sein, doch nicht ausreichend genug,umeinen Boom zuerzeugen. Dort würde Raphael eingreifen, neue Gesetze erlassen, die den Erwerbstätigen die nötigen Sicherheiten gaben, aber auch den Arbeitgebern von Vorteil waren. Durch die Handelsabkommen könnte er die Exporte vorantreiben, damit wollte er das ausbleibende Wachstum der letzten Jahrzehnte erreichen.

„Mehr noch, wir werden einen ganz neuen Ansatz fassen, um weiterzukommen. Bereits jetzt laufen die Verhandlungen, um den Zusammenschluss von Kanada und den Vereinigten Staaten in die Wegezu leiten. Die Staaten werden wachsen, bis wir wieder blühen können. Nur, wenn die Regierung ihre eigenen Bürger an die erste Stelle setzt, nur dann werden die Menschen des Landes vollständig in ihre eigene, glorreiche Zukunft investieren.“

Er unterdrückte ein Husten. Aus dem leichten Schmerz war nun ein deutlich stärkerer geworden. Es kratzte sehr in seinem Rachen. Wieder trank er einige Schlücke seines Wassers, räusperte sich so leise wie möglich. Er durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Nicht, solange all die Kameras sich auf ihn richteten.

Viel Zeit blieb ihm nicht mehr für seine Rede. Er musstesich kurzfassen.

„Unter meiner Führung wird Amerika die Probleme der heutigen Zeit in Angriff nehmen, um sie aus der Welt zu schaffen. Wir beseitigen die Trümmer dessen, was unsere Vorhänger uns hinterlassen haben. Gemeinsam werden wir aufbauen, wonach es uns am meisten verlangt. Ein stabiles Gesundheitssystem, blühende Familien, ausreichende Arbeitsplätze, Stabilität in allen Bereichen.“

Wieder räuspern. Er hörte, wie Sanda hinter ihm ebenfalls lauter atmete.

„Ich sehe eine glorreiche Zukunft, in der wir gut und gerne leben werden. Dies ist keine Zeit, in der wir pessimistisch denken sollen. Nein, wir werden dafür sorgen, dass die Menschen wieder optimistisch in den Tag starten können. Alleine heute hat unsere Partei Milliarden von Dollar in die Wissenschaft gesteckt, um für Durchbrüche zu sorgen. Mehr noch, wir haben ebenso viel investiert in den Bau von erneuerbaren Energien, die uns helfen werden, weniger von anderen Nationen importieren zu müssen.“

Er musste dennoch husten. Kurz wandte er sich vom Mikrophon ab.Dies war die größte Lüge. Erneuerbare Energienbrauchten Platz und den hatten sie nicht. Weder in den Staaten, noch in den anderen Ländern der Welt. An der Situation würde er nichts ändern können, außer zurück in die Atomenergie zu investieren. Genau das war sein Plan.

„Die Bürger dieser Staaten haben schon immer eines gewollt. Freiheit. Diese Freiheit werde ich Ihnen bringen. Gemeinsam werden wir die Staaten stärker machen, ihnen Sicherheit bringen, unsere Kulturen reicher und die Welt grandioser als jemals zuvor, ohne die Treue zu unseren Bürgern zu verlieren“, ein letztes Mal holte er tief Luft, bevor er seine Rede abschloss. „Ich danke Ihnen allen, dass Sie mirdiese Möglichkeit geben. Ich werdeSie nicht enttäuschen.“

Unter tosendem Applaus trat er vom Podestweg, drehte den Kameras und Zuschauern den Rücken zu und als er Sanda passierte, folgte sie ihm die Treppen hinunter, an den Leibwächtern vorbei. Gemeinsam gingen sie denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Niemand sprach dabei ein Wort.

Sobald sie die Türen und den Sicherheitsbereich durchquert hatten, wurden sie von Medizinernumzingelt, die ihnen unverzüglich Sitzmöglichkeiten zur Verfügung stellten, die sie dankbar annahmen. Erschöpft von der Anstrengung ließ sich Raphael auf dem Sessel nieder, den man zu ihm getragen hatte, und hustete ausgiebig. Wären Sanda und er noch länger dort draußen geblieben, käme sicherlich etwas Blut dabei mit nach oben.

Man zog ihm die Hand vom Gesichtund drückte dann eine Maske auf, wie man sie sonst benutzte, um gezieltSauerstoff in die Atemwege eines Patienten zu leiten.

Sanfte Finger fummelten an dem Gummi, legten es ihm um den Schädel,umdemganzen etwasmehrHalt zu schenken. Kaum atmete er die ersten Züge des Gases ein, legte sich der Schmerz in seinem Hals und die gereizten Bronchien beruhigten sich. Neben ihm entspannte sich auch seine Vizepräsidentin langsam.

In den vergangenen Jahren hatte die Medizin endlich den Durchbruch geschafft, etwas zu schaffen, das die Verletzungen, ausgelöst durch die unglaublich starke Luftverschmutzung in den Großstädten, linderte und ihnen bei der Heilung half. Zeitgleich gab es mittlerweile auch Medikamente, die dabei Unterstützung leisteten, die Ablagerungen in den Lungen abzutragen, ohne, dass der Körper dabei eine Vergiftungserscheinung erlitt. Raphael hatte genau dies genutzt für seine Rede, um damitzu unterstreichen, wie sehr er tatsächlich plante, Amerika in eine leuchtende Zukunft zu bringen.

In den vorherigen Dekaden mochte vielleicht einiges dafür gemacht worden sein, um die Situation zu verbessern, leider reichte nichts davon wirklichaus, um dieLuftqualität zu steigern. Im Gegenteil. Durch bestimmte Maßnahmen zur Stabilisierung der Erderwärmung kam esdazu, dass dafür an anderen Stellen Abstriche gemacht worden waren.

Das größte Problem daran war, dass das Klima sich durch die lange Untätigkeit etlicher Politiker so sehr geändert hatte, dass ein Großteil Amerikas sich in eine unfruchtbare Wüsteverwandelt hatte. Eben dieser Sand, der mit der Zeit immer feiner und leichter wurde, ließ sich viel zu einfach von Wind tragen, bis hinein in die Städte. Die Feinstaubwerte lagen so hoch, dass man kaum mehr hunderte Meter weit sehen konnte. Wenn es sich vermeiden ließ, blieben die Leute zu Hause oder benutzten die Untergrundwege, die über Luftreinigung verfügten.

„Danke“, murmelte Raphael, als er Minuten später die Maske absetzte und dem medizinischen Personal reichte, das sich um sie versammelt hatte und gerade seine Werte überprüfte. Er hatte sie extra zu diesem Zwecke vom nächsten Gesundheitshaus herbeordert. Sie nickten und entfernten sich von ihm. Sanda neben ihm schien es auch schon deutlich besser zu gehen.

Kurz sah er sich in dem Eingangsbereich des Hochhauses um, das seiner Partei gehörte. Der moderne Betonstil der heutigen Zeit wurde ab und an durch meterhohe Lichtröhren durchbrochen, die eine sanfte Beleuchtung der Sitzmöglichkeiten bot. Etliche Sofas standen schön angeordnet an den Seiten, sodass in der Mitte ein Durchgang sichtbar wurde, der zur Information und den Fahrstühlen leitete. Man hatte bewusst auf die starken Farben verzichtet und möglichst viel dunkles Grün und Braun eingearbeitet in die Möbel, um einen guten Kontrast zu den aktuellen Stilen zu schaffen. Dies war kein Wohnhaus, sondern eine Arbeitsstätte.

Raphael richtete sich auf, glättete seinen Anzug, strich dabei einiges von dem sich darauf befindenden Dreck ab, der auf den Boden rieselte.Man hatte ihn mit einem dünnen Film von Wasserbesprüht, damit der Sand nicht wieder in die Luft ging, sondern der Schwerkraft unterlag.

Als er aufstand, überfiel ihn kurz ein Schwindel, den er ignorierte. Kurz darauf schwand er wieder. Er blickte sich zu seiner Vizepräsidentin um, die ihm mit einem Nicken bedeutete, er solle nur kurz warten, sie käme mit ihm. Wäre sie nicht auch seine Freundin, wäre er ohne sie gegangen. Doch nach all den Jahren der Zusammenarbeit hatten sie eine Bindung zueinander aufgebaut, die er sehr zu schätzen wusste. Von daher blieb er kurz auf der Stelle stehen, während man seinen Sessel wieder wegräumte, um den Durchgang freizuhalten.

Auch Sanda bedankte sich dann, reichte die Maske ihren Helfern und ließ sich den Schmutz von derKleidung klopfen. Jemand föhnte kurz durch ihr Haar, ein anderer reichte ihr ein feuchtes Tuch für das Gesicht. Glücklicherweise war sie nie ein Freund von Schminke gewesen, diese wäre dabei sicherlich von ihrer Haut geschmolzen.

Sie atmete einmal tief die gereinigte Luft des Gebäudes ein, ehe sie zu Raphael trat, der ihr deutete,mitzukommen. Sofort waren zwei Leibwächter zur Stelle, die sie durch den Flur hindurch begleiteten, bevor sie mit ihnen in den hellen Fahrstuhl stiegen, der innen mit einem dicken, flauschigen Teppich ausgestattet war, um noch mehr Feinstaub aufzufangen. Er wurde mehrfach am Tag gereinigt.

Sanda räusperte sich. Raphael sah zu ihr. „Möchtest du etwas sagen, oder ist dein Rachen noch immer gereizt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Angewohnheit. Selbst nach der Behandlung fühlt es sich seltsam an.“

Raphael verstand. Es mochte zwar nicht mehr kratzen, aber auch er spürte das Fremdkörpergefühl der Medizin, die sich wie ein Schutzschild über die Stellen gelegt hatte, an der es zuvor geschmerzt hatte.

„Die Rede hätte besser sein können“, er schnalzte missbilligend mit der Zunge, während er zornig seine Hände zu Fäusten ballte. Er wusste, dass eine bessere Rede kaum möglich gewesen war, alleine wegen der Länge her, die man geplant hatte. Allerdings lag die Schuld da auch bei ihm und das war ihm durchaus klar. Er wollte unbedingt seinen Standpunkt dadurch unterstreichen, dass er ohne Schutzmaske mitPartikelfilter vor die Menschen trat, draußen, fernab jeder Sicherheit. Hätte er sich selbst eine bessere verfassen können? Womöglich nicht. Sein Team war in dieser Hinsicht unheimlich gut. Er hatte es persönlich herausgesucht. Sie waren die Besten der Besten und er vertraute ihnen. So musste er auch diesmal zuversichtlich bleiben. Mit Sicherheit hatten sie mit diesen Worten einen Zweck verfolgt, der zu seinen Vorstellungen passte.

Oben angekommen öffneten sich die Türen miteinem leisen Piepser sowie einer Ansage, in welchem Stockwerk sie sich befanden. Dem Obersten. Raphael liebte die Sicht aus der Höhe. Es half ihm dabei, sich seine Zukunft vorzustellen. Sein Plan war es, noch weiter zu steigen, um das Gesamtbild aus ganz anderen Blickwinkeln betrachten zu können.

Raphael trat auf den Flur hinaus, Sanda und die Leibwächter direkt hinter ihnen, bereit einzuschreiten, sollte es nötig sein. Doch ab hier waren sie sicher. Kaum jemand hatte Zutritt auf diesen Bereich. Nur mit den richtigen Sicherheitskarten konnte man überhaupt auf den Knopf drücken, der einen hierherführte. Zudem standen hier an jeder Ecke Security, die alles genauestens überwachten. Keine Chance für Fremde.

Das größte Büro lag auf der Ostseite. Genau dorthin gingen sie. Der Eingang bestand aus zwei großen, metallenen Flügeltüren, dessen Griffe von den Leibwächtern ergriffenwurden, wartend, dass Raphael sein Handgelenk auf dem Gerät über dem Schloss positionierte, welches den Chip unter seiner Haut auslas, bevor es sich öffnete und die Leibwächter den Weg für Raphael und Sanda freigaben. Beide traten nacheinander ein. Niemand folgte ihnen. Kaum hatten sich die Türen wieder geschlossen, ging Raphael zu seinem großen, massiven Schreibtisch aus Mahagoni hinüber, zog die Schublade auf und nahm ein kleines, unscheinbares Ding heraus. Nur zwei Knöpfe befanden sich daran.

Den grünen drückte er, legte es auf dem Holz vor ihm ab, bevor er sich in dem dicken, ledernen Sessel niederließ. Eine Rarität. Seit Fleisch und Leder im Sinne des Umweltschutzes unbezahlbar wurden, konnte man sich dieses kaum mehr leisten. Er hatte seinen geerbt, pfleglich behandelt und ließ ihn immer wieder aufwerten, wenn es nötig wurde.

Wie der Eingangsbereich war auch sein Büro in dunklen,warmen Farben gehalten. Einige Pflanzen zierten die kahlen Stellen, an denen keine großen Bücherregale Platz fanden. Ein Wunder,dass es noch immer gedruckte Werke gab, die er in die Möbel einräumen konnte, wenn man den Stand der Technik betrachtete. Ihm schien es, als ob man diese mehr als Statement benutzte, weniger als den eigentlichen, ursprünglichen Zweck zu bedienen. Vielleicht aber auch nur als Dekoration.

Sanda nahm ihm gegenüber Stellung. Die Beine dicht aneinander, gestreckt, steif wie ein Pfeiler, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als warte sie auf einen Befehl seinerseits. Man merkte ihr deutlich die Ausbildung im Militär an, die sie nach ihrem Studium genossen hatte. Nicht eine Falte fand sich in ihrer Kleidung, kein einziges Haar schaute aus ihrem Dutt. Nicht eine Gefühlsregung zeigte sich in ihrem herzförmigen Gesicht.

Unter ihrem rechten Auge fand sich ein kleiner, dunkelbrauner Schönheitsfleck, den sie, laut eigenen Aussagen, in der Jugend stets mit Concealer versucht hatte, abzudecken, weil sie sich für ihn schämte. Mittlerweile ignorierte sie diesen vollkommen.

Raphael betrachtete seine langjährige Freundin. Ihre vollen Lippen waren ein starker Kontrast zu ihrem sonst so schmalen Schädel. Ebenso hatte sie eine sanfte Figur. Ihre gerade, zierliche Nase ließ sie jugendlicher wirken, als sie war. Obwohl sie schon siebenunddreißig Jahre auf dieser Welt verweilte, konnte man meinen, sie hätte erst achtundzwanzig gesehen. Auch würde niemand denken, dass sie zwei Kinder geboren hatte. Ihr flacher Bauch und die dünne Taille deuteten auf das Gegenteil hin. Früher wären diese ein Schönheitsmerkmal gewesen, doch die Gesellschaft hatte sich verändert, auch wenn Raphael nicht gefiel, in welche Richtung das Ganze ging.

„Wir haben es geschafft“, sagte Raphael zu ihr. Sie nickte stumm. Obwohl das kleine Gerät auf dem Schreibtisch dafür sorgte, dass keine Person außerhalb des Raumes, in dem sie sich befanden, auch nur den kleinsten Laut von alldem vernehmen konnte, fühlte sie sich scheinbar unwohl dabei, zu ihm zu sprechen.

„Wir haben es geschafft“, wiederholte Raphael. Erst da reagierte sie und für einen ganz kurzen Moment stahl sich ein kleines Siegeslächeln auf ihre Lippen. Ein wenigentspannte sie sich, nahm aber keine lockerere Haltungan.

Erleichtert lehnte sich Raphael in seinen Sitz hinein und trommelte auf dem Holz vor ihm herum. „Ich habe ehrlich gesagt kaum damit gerechnet.“

„Ich schon“, entgegnete ihm Sanda. Sie beäugte kurz den Stuhl an der Seite des Raumes, als würde sie sich wirklich gerne darauf niederlassen. Raphael deutete kurz auf ihn, damit sie es auch tat. Dankbar zog sie ihn bei und nahm ihm gegenüber Platz. Ohne Umschweife griff er in eine seiner Schubladen und nahm einen teuren, alten Whisky hervor sowie zwei kleine Gläser, in die er jeweils einen Schluck gab und ihr einen hinschob.

„Nein, danke“, lehnte sie ab. Er zog die Stirn kraus.

„Nur ein einziges Mal. Ich habe extra nur einen Schluck zum Anstoßen reingemacht“, erklärte er und zeigte erneut darauf. Widerwillig griff sie danach, um mit ihm auf ihren gemeinsamen Sieg anzustoßen. Ihre birkenweißen Finger legten sich um das kalte Material und sie zog es zu sich heran. Raphael wusste, dass sie ihrer Kinder wegen dem Alkohol abgeschworen hatte.Sie wollte den Geruch davon nicht in ihre Nähe bringen. Er respektierte diesen Wunsch normalerweise. Allerdings war der Wahlsieg der Präsidentschaftswahl die erste und einzige Ausnahme, dass er ihr überhaupt welchen anbot. Ab jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Nun, beinahe nichts mehr, korrigierte er sich selbst.

Sanda nippte an ihrem Getränk und verzog kurz das Gesicht auf den bitteren, rauchigen Geschmack, der ihre Zunge benetzte, ehe sie das Glas abstellte und ihren Kollegen betrachtete. Dafür, dass sie gerade einen bedeutenden Schritt geschafft hatten, wirkten beide sehr gefasst und nicht allzu begeistert.

„Wieso hast du mit unserem Gewinn gerechnet?“, wollte Raphael wissen. Nachdenklich verzog sie kurz den Mund, ehe sie antwortete.

„Du bist ein wirklich kompetenter Mann mit einer großartigen Vision für die Zukunft. Mit dem Team, das wir aufgestellt haben und den Worten, die wir hervorgebracht haben, konnten wir beinahe nicht verlieren“, erklärte sie sich. „Außerdem hast du die Senatoren doch schon seit Ewigkeiten auf deiner Seite.“

Es stimmte. Raphael hatte viele Dekaden damit verbracht, Kontakte zu den wichtigsten Politikern und ihren möglichen Nachfolgern aufzubauen. Von eben diesen Verbindungen profitierte er. Ein weiter Weg zu seinem Ziel.

Raphael nickte. „Duhastmehran mich geglaubt, als ich selbst.“

„Du unterschätzt dich sehr, Raphael Aeros.“

Das hingegen stimmte nicht. Raphael wusste, wer er war, wozu er fähig war und wozu er es bringen würde. Wenn er nicht dieses Jahr gewonnen hätte, so konnte er sich sicher sein, in der nächsten Legislaturperiode wäre er an diesem Punkt angekommen. Mit Sanda oder ohne. Er hatte großes vor und eben dieses würde er auch erreichen, komme, was wolle.

„Es gibt eigentlich nur noch eines, was wir erledigen müssen“, murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu seiner Kollegin. Mit seinen Fingern strich er über die glatte Oberfläche seines Schreibtisches. Sanda und er hatten auch diesesThema schon ausführlich besprochen, weshalb sie genau wusste, worum es ging.

„Müssen wir wirklich die Götter vernichten?“, fragte sie unsicher nach. Er wandte sich von ihr ab und stand auf, um ausdem Fenster zu schauen. Vor ihm öffnete sich die Skyline von New America, erbaut aus den Trümmern der dunklen Vergangenheit. Etliche, gigantische Wolkenkratzer türmten sich vor ihm auf,glitzerten in allen Farben. Schade, dass er sie kaum sehen konnte, da die Luftverschmutzung ihm das Bild versaute.

„Ja, Sanda. Das müssen wir“, antwortete er ihr.

„Doch wie?“, wollte sie wissen. Auch sie erhob sich, um an seine Seite zu treten. „Ich dachte, man kann Götter nicht töten.“

Er grinste schelmisch. Durchaus, man konnte es. Er wusste auch genau, wie man das tat. „Götter sterben, wenn sie in Vergessenheit geraten.“

Sanda schien nicht recht zu wissen, wie sie darauf reagieren sollte. „Ich bin mir sicher, dass das unmöglich ist.“

Raphael seufzte und wandte sich ihr zu. Für eine Frau war sie sehr groß gewachsen mit ihren 1,77 m. Ihre braunen Augen starrten zu ihm hinauf, verwirrt über seine Aussagen und seinem Wunsch, auszulöschen, was göttlich war. „Was macht dich denn so sicher?“

„Die Church of Gods“, gab sie zurück. „Solange diese predigen, wird mannicht vergessen können, was die Götter geschaffen haben.“

„Sie haben nichts geschaffen. Sie existieren im Stillen vor sich hin und tun nichts.Weder für die Gesellschaft, noch für die Zukunft der Staaten oder der gesamten Welt.“

„Ich verstehe“, murmelte sie und warf einen Blick zurück zu den Türen, hinter denen die Leibwächter Wache standen. Es schien für sie noch immer sehr seltsam zu sein, plötzlich unter solcher Bewachung zu stehen. Auch bei ihr zu Hause, bei ihren Kindern und ihrem Ehemann, befanden sich Sicherheitsleute, die für ihren Schutz sorgten. Zudem stellte die Partei ihr einen dauerhaften Security, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. Er stand direkt neben dem von Raphael vor dem Büro und wartete darauf, dass sie die Begleitung nach Hause forderte.

„Wann erwartet dich Jeff?“, erkundigte sich Raphael und betrachtete den gelben Dunst hinter den Fenstern. Das schwebende, sichtbare Gift.

„Ich habe ihm gesagt, er soll heute nicht auf mich warten“, meinte sie. Nervös kratzte sie sich am Arm, direkt dort, wo die gigantische Narbe verlief. Sie reichte von der Hand bis hin zur Ellenbogeninnenseite und wurde mit jedem Zentimeter dicker, bis sie am Ende beinahe so breit wie ein Finger war. Als Sanda damals zum ersten Mal in Raphaels Büro gestanden hatte, hatte er sie danach gefragt. Sofort hatte sie diese versteckt, als hätte sie befürchtet, man würde sie deshalb für weniger kompetent halten.

„Du solltest allerdings nicht zu lange feiern“, Raphael hob sein Glas, legte es sich an die Lippen und nippte an dem Whisky, der sich darin befand. Der dunkle, beinahe vanillige Geschmack breitete sich in seinem Mundaus, bevor das Brennen des Alkohols einsetzte. Ein Glück, dass dieses Getränk die schweren Zeiten der Vergangenheit überlebt hatte. Raphael wusste nicht, was er ohne diesen Genuss machen sollte. Ab undan war dies seine beste Belohnung nach anstrengenden Tagen oder getaner Arbeit.

Schnaufend strich sich Sanda über den Rock, als versuche sie Dreck abzuklopfen, der nicht vorhanden war. Das tat sie immer, wenn sie nichts zu sagen wusste. Also stellte Raphael sein Glas auf den Schreibtisch, wandte sich ihr zu und packte sie bei den Schultern, zwang sie, ihn anzuschauen.

„Mach dir keine Sorgen. Wir beide sind bald endlich die Präsidenten der Vereinigten Staaten und haben somit die volle Staatsgewalt. Ohne uns läuft hier nichts mehr und das werden wir ausnutzen“, sprach er auf sie ein. „Und wenn wir die richtigen Knöpfe drücken, werden sie uns aus der Hand fressen.“

Sie nickte leicht, wirkte aber nicht überzeugt.

„Wenn wir die Götter loswerden wollen, um unseren Plan durchziehen zu können, ohne irgendetwas von ihnen befürchten zu müssen, dann werden wir das schaffen.“

„Doch wie?“, hakte sie nach, obwohl sie die Frage schon gestellt hatte. Seufzend beugte sich Raphael runter zu ihr, um ihr besser ins Gesicht blicken zu können.

„Wir werden die Church of Gods abschaffen, wir finden dafür einen Weg“, erklärte er ihr. „Sobald man die Götter nicht mehr anbeten kann, werden sie in einigen Jahren in Vergessenheit geraten und wir können die Nationen vereinen und unter unsere Macht bringen.“

„Aber“, setzte sie an und schloss die Augen, um ihn nicht länger ansehen zu müssen. Sie kam mit seiner Nähe nicht so gut klar, was ebenfalls eine der Dinge war, die er durchaus wusste und zum Teil für seine eigenen Interessen benutzte, so auch dieses Mal. Er mochte ihr darlegen, wie ihr gemeinsamer Plan für die Zukunft aussehen sollte und was sie tun müssten, um ihn genauestens verfolgen zu können, ohne Widerstand zu erfahren. Allerdings tat er dies, indem er sie in eine Nervosität brachte, damit sie das Gefühl bekam, sie wäre schwach und nur durch ihn und seine Hilfe könne sie es schaffen, eine gute Vizepräsidentin zu sein. Daran arbeitete er schon einige Jahre. Zuerst hatte er ihr Vertrauen gewonnen und über ihre Eigenschaften gelernt, um herauszufinden, welche Knöpfe er bei ihr drücken musste, damit er sein Ziel erreichte.

„Ja?“, hakte er nach. Unsicher presste sie ihre Lippen zusammen.

„Wissen sie es?“, fragte sie ihn. Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen und nahm die Hände von ihren Schultern. „Die anderen. Wissen sie... Davon?“

Er hob die Mundwinkel zu einem selbstsicheren Grinsen. „Nein. Und das werden sie auch niemals, denn nur du und ich kennen die Wahrheit.“

Kapitel Eins

24. November 2244

Voller Entsetzen beobachtete Eonai das Schauspiel, das sich vor ihm abspielte. Er hatte die Nachrichten angeschaltet, ließ sie in seiner kleinen Einzimmerwohnung an die Wand projizieren, an der nun die Bilder vorbeiliefen. Neben ihm drangen aus den Lautsprechern die Worte der Nachrichtensprecherin zu ihm. Sie verkündete dasWahlergebnis.Mit großerMehrheit hatte Raphael Aeros sich den Sieg geholt und würde die Vereinigten Staaten in den Ruin führen.

Eonai richtete sich auf. Er saß locker auf seinem Bett, das er zeitgleich auch als Sofa nutzte. Um ihn herum lagen etliche Dokumente, verteilt auf den wenigen Quadratmetern, die ihm zur Verfügung standen, direkt daneben ein kleiner Laptop, auf dem ebenfalls die wichtigsten Neuigkeiten des Tages verkündet wurden, sowie ein Liveticker des Stimmenzählens. Schon in den vergangenen beiden Wochen hatte er dieses eingerichtet und seitdem das Gerät keinen Millimeter verschoben.

Mit angehaltenem Atem saugte er alles auf, was man ihm bot. Die Sprecherin verschwand, man schaltete das Bild auf eine leere Bühne. Von weitem sah man das Gebäude der Neuen Kommunistischen Partei, aus dessen Eingang mehrere Menschentraten. Etliche Leibwächter begleiteten den zukünftigen Präsidenten und seine Vizepräsidenten hinüber zum Podium, blieben links und rechts neben ihnen stehen, um ihnen Schutz zu bieten.

Noch bevor Aeros den ersten Satz sprechen konnte, wurde Eonai übel. Er hatte all seine Reden gehört, all seine Taten seiner politischen Karriere genau in Augenschein genommen und versucht, diesen Kerl zu verstehen.

Nichts Gutes ging von ihm aus. Alleine seine kühle Aura reichte aus, umEonai einen Schauer über den Rücken zu jagen und überall an seinem Körper Gänsehaut zu verursachen. Seinen Hass auf die moderne Gesellschaft und die gegenseitige Akzeptanz der Menschen war allseits bekannt. Es war Eonai schleierhaft, dass man ihn nichtsdestotrotz gewählt hatte und in eine solche Position brachte. Eben einer solchen Person sollte man keine Macht verleihen, große Dinge zu ändern.

Eonai schluckte, als könnte er den Frosch in seinem Hals loswerden, der sich festgesetzt hatte und ihn zu würgen drohte. Angst. Er fürchtete sich vor dem, was kommen mochte.

Mit dem Wechselbad der Gefühle, in dem sich Eonai gerade befand, beobachtete er, wie Aeros sich unmerklich räusperte, bevor er zu Sprechen begann und teilweise seine Wahlversprechen wiederholte, die er nicht vorhatte, einzuhalten. Wiekonnten die Leute nur glauben, dass er die Sachen wirklich durchziehen würde? Wann hatte das auch jemals nur ein Staatsoberhaupt tatsächlich getan in der Geschichte der Vereinigten Staaten? Eonai musste sich beherrschen, nicht die Hände an seine Stirn zu schlagen über die Unfähigkeit der Menschen, diese Lügen nicht zu hinterfragen, sondern als Wahrheit wahrzunehmen und einem Mann wie Aeros die Möglichkeit zu geben, seine Ankündigungen der letzten Dekaden in die Tat umzusetzen.

Eonais Blick fiel auf die Frau, die schräg hinter ihm stand. Sanda Kings war ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt. Schon seit ihrer Ausbildung im Militär hatte sie Schlagzeilen gesammelt, die vor kurzer Zeit erst ausgegraben wurden. VonMobbing und Misshandlung ihrer Kollegen bis hin zur Untergrabung der Autorität ihrer Vorgesetzten und der Anhängerschaft der Gruppe, die sich bemühte, das alte Frauenbild wiederaufzubauen und somit diverse und freie Menschen aus der Welt schaffenwürde.

Sie verzog keine Miene, zeigte keine Gefühlsregung, als sei sie völlig emotionslos und kalt. Ihre Kleidung unterstrich das Ganze. Das Grün ihres Rockes erinnerte nicht an leuchtendes Gras im Sonnenlicht, sondern eher an Oliven, die an Farbe verloren. Es lag eng an, ließ ihr aber genügend Beinfreiheit, um zu kämpfen. Es würde Eonai nicht wundern, wenn sie eine Waffe darunter am Oberschenkel versteckt hielt und bei der ersten falschen Bewegung aus dem Publikum zu schießen begann.

Nervös strich sich Eonai über die nackten Arme und griff automatisch nach der dünnen Decke, die am Fußende des Bettes lag. Er zog sie um seinen Körper, auch wenn sie ihm nicht die Wärmeschenkte,die er nun brauchte.Mit diesem Ergebnis würde er so schnell keine finden. Im Gegenteil. Wieder erschauderte er, während er lauschte.

Schon im Vorhinein hatte Aeros verlauten lassen, dass er vorhatte, die Church of Gods zu schließen. Sie sei Blasphemie in den Augen der großen Religionen und würde Menschen, an denen nichts göttlich sei, zu einer Macht verhelfen, die weder der Gesellschaft, noch der Politik eine Stütze wären, sondern ein großer Dorn im Auge. Der Plan, nur die großen Fünf ausüben zu lassen und den Rest zu vernichten, gehörte zu dem Parteibuch der Neuen Kommunistischen Partei, das man kurz nach seinem Eintritt überarbeitet hatte.

Eonai gefiel das nicht. Schlimmer noch. Er fürchtete sich um seine Zukunft. Selbst, wenn er seinen Wunsch, in ein anderes Land zu ziehen, verfolgen sollte, könnte es gut sein, dass die Dinge, die Aeros und Kings vorhatten, auch diese Nationen betreffen würden. Alles in allem konnte er so ziemlich alles abschreiben, was ihm lieb war.

Obwohl sich AerosMühe zu geben schien, dass man ihm nicht anmerkte, wie sehr ihn die Luftverschmutzung zu schaffen machte, sah man ihm deutlich an, dass er das Husten unterdrückte. Auch bei Kings konnte man schon die Adern am Hals erkennen, die sich zeigten, während sie die Luft anhielt. Nur diese beiden trugen keine Maske mitPartikelfiltern. Ihre Sicherheitsleute hingegen schon, in Schwarz, passend zu ihren Anzügen. Wollte er damit zeigen, dass er stärker war als die äußeren Umstände?

Lächerlicher Prolet, dachte sich Eonai und erhob sich vom Bett. Er konnte nichts mehr ändern. Eine Lage, die er nur zu gerne korrigieren würde. Fluchend strich er sich über den Schädel. Seine Haare trug er altmodisch in kurzem Schnitt. Er mochte es nicht, wie stark gelockt es nachwuchs, auch wenn er es wirklich gerne an anderen sah. Zusammen mit den grauen Stellen in seinem Bart wirkte er älter, als er eigentlich war. Natürlich könnte er sie färben. Doch wozu? Sie würden ohnehin nachwachsen.

Grummelnd wandte er sich von derProjektion ab, befahl dem System mit einem knappen Wort, er solle sie abschalten. Er wollte nicht länger den Lügen des neuen Präsidenten und seinem Anhängsel lauschen. Er hatte besseres zu tun.

Er trug nur ein lockeres,weißes Tanktop, zusammenmit einer dunkelgrauen Jogginghose, die er in den Untiefen seines Schrankes gefunden hatte. Sie hatte nicht einmal Taschen.

Glücklicherweise hatte er sich bereits die Sachen herausgelegt, die er für die Messe anziehen wollte. Ein weißes Hemd mit schrägem Schnitt, dazu eine Jeans in knalligen Farben, wie es aktuell im Trend lag. Seine liebste Farbe war hierbei ein Sonnenblumengelb, da es einen schönen Kontrast zu seiner mahagonifarbenen Haut bildete. Besonders, da es sich von dem rötlichen Unterton abhob.

Seufzend stellte Eonai sich vor den Schrank, betrachtete sein Spiegelbild, während er die Knöpfe an seiner Front schloss. Auch wenn es nicht nötig war, trug er stets eine große Brille mit runden Gläsern. Obwohl man jegliche Sehschwächen mittlerweile schon bei der Geburt eines Kindes beseitigen konnte, hatten sich die Sehhilfen gehalten, wenn auch nur als funktionsloses Accessoire.

Es schlug halb elf. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er erneut Luft ausstieß und die Armbanduhr griff, die neben dem Bett auf dem Nachttischschränkchen lag. Sie war schmucklos, hatte allerdings einen großenWert. Sieschützte den kleinen Chip, den eramHandgelenk unter derHaut trug. Auf ihmwarenetliche, wichtige Informationen gespeichert, darunter seine Bankdaten und seine Identifikationsnummer.

Er zog sie fest zu, positionierte sie an der richtigen Stelle und betrachtete kurz den Bildschirm, der ihm sofort eine Warnung anzeigte. Drei Stunden vierunddreißig hatte er sie nicht mehr getragen und das System befahl ihm, sie nie länger als eine Stunde abzulegen, um die Daten besser erfassen zu können.

Mit schnellen Schritten trat er zur Wohnungstür, nahm sich den dünnen, schwarzen Mantel vom Haken,warf ihn sich über. Wenn er sich beeilte, könnte er es noch zur Mitternachtsmesse schaffen. Kurz streckte er sich, bevor er nach draußen trat, in den Händen eine kleine, schwarze Maske mitstarkem Partikelfilter. Er würde sie aufziehen, sollte er die Untergrundwege verlassen müssen.

Der Flur des Hochhauses, in dem er lebte, gehörte zu denen, die regelmäßig gereinigt wurden, was ihm sehr gut gefiel. Er hatte lange nach einer Wohnung suchen müssen, die ihm einen gewissen Komfort bieten konnte und zeitgleich nicht zu teuer war. Zwar mochte er durch seine journalistische Arbeit genug verdienen, um sich etwas Größeres leisten zu können, doch er mochte es lieber gemütlicher, enger. Zu große Flächen wirkten schnell kühl und leblos.

Er trat in den rechten, kleinen Fahrstuhl, drückte auf den Knopf für den ersten Stock und wartete, bis die Türen sich schlossen. Glücklicherweise war er alleine. In seiner aktuellen Stimmung konnte er es nicht ertragen, andere Menschen um sich herum zu haben. Ironischerweise hatte er vor, in eine Messe zu gehen, wo er neben etlichen Personen sitzen musste. Doch das war etwas Anderes.

Anders als seine Freunde gehörte er zur Church of Gods, nicht zu einem der großen Fünf. Seit knapp einhundert Jahren zeigte sich vermehrt die Religionsfreiheit in den Staaten. Nicht nur gesetzlich, sondern auch gesellschaftlich waren alle Glaubensrichtungen akzeptiert. Im Laufe der darauffolgenden Dekaden waren etliche Gotteshäuser aus dem Boden geschossen, fanden Anhänger und Gemeinden waren geschaffenworden.

Als sich die Türen wiederöffneten, stieg Eonai aus, ging hinüber zu den Treppen, die in den Untergrundbereich führten. Im Jahre 2098 hatte man diese Stadt neu aufgebaut, dabei etliche Wege unter der Erde geschaffen, um sich einfacher von einem Ort zu dem nächsten bewegen zu können, zusammen mit Zügen und elektrisch betriebenen Bussen. Später waren auch noch Transportkapseln hinzugekommen, die allerdings nur von der Oberschicht benutzt worden. Der Rest konnte es sich schlichtweg nicht leisten. Zwar gab es überirdisch noch Straßen, doch diese blieben leer. Eine Zeit lang fuhren dort Fahrräder und Scooter, doch seit die Luftverschmutzung überhandgenommen hatte, waren sie von Monatzu Monat einsamer geworden.

Durch sein Geschichtsstudium hatte Eonai viele Bilder der Vergangenheit betrachten können und wusste, dass normalerweise die Pflanzenwelt sich durch den Beton gebohrt hätte, hätte sie an deren Oberfläche Sonnenlicht abbekommen. Gerne hätte er es mit eigenen Augen gesehen. Allerdings bekamen nur die Bäume, die zur Dekoration an den Seiten der Straßen standen, Sonnenlicht in Form von speziell dafür gebauten Lampen ab. Ab und an verirrte sich Unkraut in den Bereich rundherum, doch das verging schneller, als es wachsen konnte.

Der Geruch von Urin und Alkohol kamEonai entgegen, als er die letzten Stufen passierte und den Untergrund betrat. Er verzog kurz angewidert das Gesicht, bis er sich daran gewöhnte und problemlos zu dem kleinen Coffeeshop gehen konnte, der links neben dem Treppenhaus lag. Die junge Frau, die dort ständig arbeitete, erkannte ihn von weitemund bereitete schon seine Bestellung vor. Wann immer er seine Wohnung verließ, hielt er hier kurz an, um sich einen Kaffee zu holen. Beinahe immer fand er die rothaarige Aniya vor, die ihm mit einem Lächeln seinen Becher reichte, den er dankbar entgegennahm. Mit einem Handgriff schob er die Armbanduhr beiseite und legte den Chip auf den Sensor, um zu bezahlen. Ein leises Piepen ertönte, als die Übertragung genehmigt wurde. Sofort platzierte er wieder alles an Ort und Stelle.

„Alles ruhig heute?“, seine Standardfrage. Er stellte sie jedes Mal und bekam jedes Mal dieselbe Antwort.

„Bis auf Denjyer. Der ist schon wieder eingeschlafen“, sie sah nach hinten zu der anderen Person, die seelenruhig in der Ecke lag und schlief, wie immer, wenn Eonai hier aufkreuzte. Er erinnerte sich nicht daran, jemals ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Sein Haar trug er kurz, manchmal ein Kleid, an anderen Tagen Jeans und ein Hemd.

„Macht er denn überhaupt irgendwelche Arbeit?“, erkundigte er sich und hob seinen Becher an die Lippen, um einen Schluck zu trinken. Beinahe hätte er sich die Zunge verbrannt. Aniya zog kurz die Stirn kraus.

„Du hast deinen Wechselbecher vergessen“, erinnerte sie Eonai. Dieser dachte kurz nach und fluchte dann leise.

„Stimmt. Verdammt“, murmelte er. Sicher könnte er ihn in der Church kurz spülen und dann auf dem Rückweg wieder abgeben. Er betrachtete ihn kurz, las den Namen, den Aniya vor einiger Zeit in ihrer schönen Handschrift darauf geschrieben hatte und lächelte kurz. „Ich bringe den hier einfach nachher sauber zurück.“

„Das wäre super. Sonst kann ich dir morgen keinen frischen mitgeben“, meinte sie und warf einen Blick auf die Uhr. „Aber du solltest jetzt wirklich los, wenn du pünktlich sein willst.“

Er nickte. Sie hatte recht. „Soll ich dir wieder eine Zusammenfassung schreiben und später schicken?“

„Ja bitte!“, Ihre Mundwinkelhoben sich. Das war eine kleine Abmachung, die sie vor einigen Jahren getroffen hatten. Wann immer sie durch die Arbeit eingespannt war und daher nicht an der Messe teilnehmen konnte, fasste Eonai diese für sie zusammen. Das Schöne an der Church of Gods war, dass es jedes Mal einen anderen Aufbau gab. Keine Messe war gleich. Die Worteder Sprecher unterschieden sich stets von den Letzten. Manchmal konnte man einen der Götter dazu bewegen, zu seinen Anhängern zu sprechen, allerdings hatte sich seit Jahren keiner mehr gemeldet, ab und an brachte man die Menschen dazu, von ihren Schicksalsschlägen zu erzählen, um ihnen wieder bewusst zu machen, dass ihre Gemeindeihr Fangschirm war, immer an ihrer Seite blieb und zusammenhielt, was einer der Aspekte darstellte, die Eonai damals bewegt hatten, sich ihr anzuschließen. Es half ihm, gemeinnützige Arbeit zu leisten, wo sie wirklich gebraucht wurde.

Bei jedem einzelnen.

Mit einem freundlichen Wort verabschiedete er sich von Aniya, drehte sich herum und lief zu den Bussen hinüber. Beinahe hätte er seinen üblichen verpasst, doch der Fahrbegleiter hatte extra auf ihn gewartet, indem er die Türe blockierte.Wie Aniya wusste er, dass Eonai zur Mitternachtsmesse wollte. Kurz tauschen die Beiden einige Floskeln aus, dann trat Eonai nach hinten, ließ sich auf einem der freien Sitze fallen und genoss die Düfte, die ihn umwoben.

Parfüm gehörte zwar zu den Luxusgütern der Moderne, doch manchmal stiegen Leute ein, die welches trugen und brachten den Geruch mit sich, der sich im gesamten Innenraum verteilte und in die Nasen aller Passagiere stieg und besonders für Eonai war es, als ob man ihm den Tag damit versüßte.

Heute allerdings nicht. Die Nachricht vonAeros‘Wahlsieggab ihm ein langanhaltendes, mieses Gefühl, an dem nichts rütteln konnte.Wie ein Stein lag es in seinem Magen und drangsalierte ihn. Der Kaffee mochte zwar wärmend sein, doch auch er half keineswegs, seine Laune zu heben.

Seufzend lehnte er den Kopf gegen die Fensterscheibe, um in den schmucklosen Tunnel zu blicken. Glücklicherweise waren dieWände zu den Untergrundwegen aus Glas, sodass er die Mengen, die sich trotz der Uhrzeit von einem Ort zum anderen bewegten, beobachten konnte.

Die meisten Geschäfte waren über die Zeit hier runtergewandert. Der gesamte Bereich unter der Erde erinnerte an ein gigantisches Einkaufszentrum. Blinkende Leuchten sollten Kunden anziehen, Verkaufskräfte standen vor den Läden und versuchten, Menschen in ihre Hallen zu führen und drückten vorbeigehenden Personen Proben in die Hände.Wenn es sich vermeiden ließ, nahm Eonai andereWege.

Eonai war schon immer ein Einzelgänger gewesen. Selbst Freunde hatte er nur wenige. Als er damals zu studieren begonnen hatte, waren etliche von seinen Bekannten weggezogen und seine Kommilitonen waren auch nie lange geblieben. Nur wenige konnte er heute noch Freund nennen.

Er wusste noch genau, wie er damals in der Bibliothek der Universität gehockt hatte und in den Kopf in den ganzen, alten Büchern stecken hatte. So vieles, was er dadurch gelernt hatte und was ihm nun wieder durch die Gedanken flog.

Als Schwarzer verfolgte ihn die Geschichte und er fürchtete, sie würde sich wiederholen. Was, wenn mit Aeros nicht nur die Verbannung kleinerer Religionen und das altmodische Frauenbild aus den Zweitausendern, sondern auch der Rassismus, die systematische Auslöschung von Anhängern bestimmter Glaubensrichtungen und die Benachteiligung sowie Unterdrückung von Menschen,die nicht in sein Bild passten?

Eonai hatte sehr viel gelesen vonden Politikern aus dem Zwanzigsten und Einundzwanzigsten Jahrhunderten. Ihm war übel dabei geworden und zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich so elend gefühlt, dass er einige Tage nicht das Haus verlassen konnte. Lieber würde er sterben, als diese Zeiten durchleben zu müssen. Er musste hart schlucken bei dem Gedanken, es könnte wieder soweit kommen. Er konnte nicht einschätzen, in welche Richtung die neue Regierung unter Aeros gehen würde. Im Gegenteil, ihm blieben nur Mutmaßungen.

Die ganzen bunten Kleider der Einwohner erschienen ihm plötzlich kalt und leblos, wo sie doch den starken Kontrast zu den Massen an Beton und Metall darstellen sollten, die in der Architektur benutzt wurden. Selbst der schönen Kunst, die manch einer an die leeren Wände der Wege und Straßen gesprüht hatte, fehlte es an Gefühl. Womöglich sprach da aber auch nur die unendliche Trauer und Verzweiflung, die Eonai seit der schlechten Nachricht überfallen hatte. Tatsächlich freute er sich kaum mehr auf die Messe, obwohl diese eigentlich die schönen Momente seines Lebens waren. Der einzige Ausbruch aus dem alltäglichen Trott, in dem er steckte.

Er beobachtete,wie die Szenerie sich vor dem Fensteränderte. Obwohl der Untergrund überall ziemlich gleich aussah, so spürte man doch, wenn man sich den weniger wohlhabenden Bereichen näherte. Die Geschäfte verloren an Farbe, die Mengen lichteten sich und vermehrt sah man geschlossene Räume, gefolgt von den etlichen Obdachlosen, die hier in York lebten. Sie bauten sich aus alten Zelten und Tüchern ihre Behausungen in den Bereichen, in denen man sie akzeptierte. Ein Bild des Staatsversagens für jeden gut sichtbar ausgeschildert.

Wie viele Stunden hatte Eonai in diesen Bussen verbracht und dem Elend zugeschaut, sich Gedanken darüber gemacht, wie man es beenden konnte, während all die Politiker, die über die Jahre ihren Positionen innehatten, doch nicht einen Moment für das Leid hier unten Zeit gehabt hatten. Er wusste nicht, was schlimmer war. Die Ignoranz dem Offensichtlichen gegenüber oder die Gier nach dem eigenen Reichtum und Aufstieg, während Menschen vor sich hinsiechten, wartend auf den Tod.

Verdammt, dachte Eonai sich. Wenn er weiter so viel über die negativen Sachen des Lebens nachgrübelte, würde er sicherlich keine Freude mehr finden können. Er zwang sich dazu, die schönen Dinge zu betrachten. Die Hilfe, die die Church of Gods leistete mochte zwar nur ein kleiner Stein in einer gigantischen Mauer sein, die den Obdachlosen ein Zuhause sein könnte, doch der Wille zählte.Dafür zahlte Eonai gerne Abgaben und sammelte Spenden.

Etliche Stopps später stieg er aus, verabschiedete sich von dem Fahrbegleiter und ging gemütlich hinüber zu den Treppen, die aus dem Untergrund herausführten. Beim Erklimmen der Stufen zog er sich die Maske über, passte sie an sein Gesicht an und zog seinen Mantel enger um sich, um sich vor der Kälte, die ihn draußen willkommen hieß, zu schützen.

Bald würde der erste Schnee fallen und gelb von dem Sand in der Luft auf dem Boden landen. Eonai kannte das Bild von dem weißen Nass, doch hatte es noch nie in seinem Leben persönlich betrachten können. Bisher war es immer inder dreckigen Version in York angekommen.

In den 32 Jahren seines Lebens hatte Eonai nicht einen Tag lang diese Stadt verlassen. Es war auch nie nötig gewesen. Alles, was er benötigt hatte, lag genau hier. Zwischen den Hochhäusern der Reichen und Schönen und dem Schmutz der weniger wohlhabenden Gegenden.

Die Church ofGods lag in letzterer.Während dieGotteshäuser der anderen Religionen prunkvolle Bauten waren, die bei guten Tagen bereits aus der Ferne sichtbar wurden, gehörte das der Church of Gods zu denen, die man kaum erkannte. Nur zwei große Flügeltüren zwischen halb zerfallenden Gebäuden ließ erahnen, dass sich hier mehr befand als ein leerstehendes Haus, das womöglich durch Obdachlose besetzt wurde.

Etliche Plakate zierten die Wände in der Nähe, gefüllt mit Sprüchen der großen Fünf, umLeute anzuwerben und die Church zu verletzen. Unbeirrt ging Eonai weiter, trat die wenigen Stufen hinauf, bis er das Gebäude betreten konnte.

Im Sicherheitsbereich blieb er kurz stehen, ließ sich von den Reinigungsventilatoren grob von Sand reinigen, bevor er in den Eingangsbereich ging und dort seine Maske ablegte und im Mülleimer neben der ersten Sitzreihe entsorgte. Sie konnte er nicht mehr anziehen. Die kurze Zeit draußen hatte ausgereicht, um die Filter so zu verunreinigen, dass er danach kaum mehr Luft bekommen würde.

Mit ungutem Gefühl im Bauch scannten seine Augen die Reihen ab, bevor er sich recht weit vorne in einer niederließ, direkt neben den üblichen Verdächtigen. Er grüßte sie mit einem Nicken, das sie erwiderten, bevor alle Blicke sich nach vorne richteten, wartend auf den ersten Sprecher des Abends.

Die Uhr schlug erst wenige Minuten später zwölf. Die sonst laute Halle, in der etliche Gespräche stattfinden sollten, blieb unglaublich still. Es schien, als befürchteten sie alle dasselbe. Das Ende ihrer Gemeinde.

Angespannte Stimmung hing im Saal, als der Erste nach vorne trat, um die Messe zu beginnen. Er räusperte sich vor dem Mikrophon, bevor er zu sprechen begann.

„Liebe Gemeinde“, begann er. „Meine Damen, Herren und Diverse.“

Wenn es Eonai nicht vorher schon bewusst gewesen war, so sickerte es langsam in seine Gedanken. Nur noch einen Monat, bis die letzte Messe stattfinden könnte.

„Heute ist ein dunkler Tag für uns“, sagte der Mann,der vorne hinter dem Podium stand. Er trug dunkles Grau im modernen Schnitt, das Hemd hing ihm aus der Hose heraus, die Haare trug er in einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine Haut glich der Farbe vonKiefernholz, nur etwas kühler im Unterton. Besonders jetzt wirkte es, als ob er blau anlief, halbtot von der Neuigkeit, die er gerade mit der gesamten, anwesenden Gemeinde teilte. „Mit Sicherheit habt ihr von den Wahlergebnissen gehört.“

Die Menge, Eonai inklusive, antwortete mit einem lauten, wütenden Getöse aus Wörtern, die man keinem Kind jemals beibringen würde.

„Bedenkt man, wie sehr Aerosbereits vor seinem Sieg über die Church of Gods gesprochen hat, können wir davon ausgehen“, er holte tief Luft, bevor erweitersprach, alswollte er überhaupt nicht von sich geben, was nun folgen würde. „Dass dies eine unserer letzten Messen ist, sollten wir nicht illegal weitermachen.“

Etwas,was nicht infrage käme.Wenn sein Geschichtsstudium Eonai eines gelehrt hatte, dann, dass es immer einen Denunzianten gab, der die gesamte Organisation in einem Atemzug verraten würde. Sei es in der NS-Zeit gewesen oder in den Bürgerkriegen, die in den weniger entwickelten Ländern im zweiundzwanzigsten Jahrhundert stattgefunden hatten. Irgendjemand verriet es.

Lautes, enttäuschtes Stöhnen drang durch die Halle. Eonai stiegen die Tränen in die Augen. Über die Jahre war für ihn die Church of Gods ein großer Bestandteil seines Lebens geworden, den er nicht aufgeben wollte, aber wohl gezwungen sein würde.

„Manche Dinge liegen außerhalb unserer Hände, so sehr es mich auch stört, dies zu sagen. Ich werdedennoch daran glauben, dass die Götter aufsteigen werden, um uns zu erretten, komme, was wolle.“

Zustimmung. „Die Götter leben schon so lange im Untergrund, wartend auf den Moment, in dem sie die Welt von dem Bösen erlösen können!“

Er hob seine Stimme, um gegendie begeisterten Schreie der Menge anzukommen. „Wir lassen uns nicht von der Politik unterkriegen, wir werden bereit bleiben, uns neu formen, wenn unsere Zeit gekommen ist!“

„Gibt es die Götter denn wirklich?“, rief jemand unsicher aus dem Hintergrund und sorgte sofort für lautstarken Gegenwind, der ihm um die Ohren schlug. Eonai drehte sich um, betrachtete den Neuen in der Gemeinde. Er war erst vor wenigen Wochen durch ein Gemeindemitglied angeworben worden. Auch wenn viele sich nun über diese Frage aufregten, so konnte er sie verstehen.

Selbst er hatte anfangs an der Existenz der Götter gezweifelt, gegrübelt, inwiefern sie überhaupt helfen könnten oder ob es einen Sinn ergab, sie anzubeten, ohne, dass es für sie Beweise gab.

„Ich habe schon mit ein paar von ihnen gesprochen“, antwortete der Zeuge, der hinter dem Pult stand. Seine Miene war ruhig, nicht aufbrausend, wie die Menge. Es schien, als würde auch er nachvollziehen können, wieso der Neuankömmling so reagierte. Für ihn war es nicht die erste kritische Hinterfragung der Religion. „Es gibt sie durchaus. Es mag zwar schon einige Jahre her sein, doch auch sie haben an unseren Messen teilgenommen und manchmal sogar zu uns gesprochen. Wir müssennur an sie glauben.“

„Wieso?“

„Götter sterben nur, wenn man sie vergisst. Wir dürfen sie nicht vergessen, selbst, wenn man uns verbietet, über sie zu lehren.“

Kurz herrschte Stille, als die Worte zu den Leuten durchsickerten.

„Aber, wenn sie uns doch erretten sollen“, warf der Neuankömmling ein. „Wieso haben sie es noch nicht getan?“

„Weil die Zeit dafür noch nicht reif ist“, antwortete jemand von vorne. Eine glockenhelle Stimme. Arian. Er gehörte schon so lange dazu, dass sich Eonai nicht mehr daran erinnern konnte, wann er ihn zum ersten Mal begegnet war. „Wir wissen keinen genauen Punkt in unserer Zukunft. Es könnte morgen schon soweit sein, doch auch noch etliche Jahre dauern, bis sie zu uns kommen.“

„Das ergibt überhaupt keinen Sinn“, jammerte der Neue. Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er sah aus, als ob er voller Qual versuchen würde, der Gemeinde zu glauben, aber sein gesunder Menschenverstand riet ihm davon ab.

„Religion muss keinen Sinn ergeben“, antwortete ihm Eonai. Blicke richteten sich auf ihn. Er war nie jemand gewesen, der viel sprach, umso verwunderlicher war es, dass er es diesmal tat, besonders in einer so hitzigen Diskussion. „Religion ist ein Auffangbecken für alle Bedenken, Qualen und Freuden. Religion bildet eine Gemeinde, die füreinander da ist und alles wird miteinander geteilt, um die Freude zu steigern und die Qual zu verringern.“

„Wir sind nicht alleine, sondern ganz viele“, sprang nun der Zeuge ein. „Viele, die zusammenhalten und helfen, wo wir helfen können.“

„Bereit, einander zu erretten, solange wir es können“, sprach Arien dazwischen. „Solange, bis die Götter sich vereint haben.“

Der Neue schüttelte den Kopf und stand auf. „Ich möchte euch so gerne glauben, doch mit der vermeidlichen Errettung unser aller komme ich nicht zurecht. Wenn es die Götter wirklich gibt, wieso lassen sie zu, dass wir alle überhaupt Leid erfahren? Wieso bleiben sie fern, während wir hier sitzen und darüber sprechen, dass diese Gemeinschaft ein Ende finden wird mit dem neuen Präsidenten? Weshalb sollten sie sich erst vereinen, um zuschlagen zu können? Die Welt ist bereit, gerettet zu werden. Sie ist es schon seit Jahrhunderten. Seit Jahrtausenden.“

„DasTheodizeeproblem“, murmelte Eonai, wiederholte seine Worte dann für alle hörbar. „DasTheodizeeproblem.“

„Was ist das?“, wollte jemand anderes wissen.

„Ein Problem, mit der sich das Christentum viel beschäftigt. Sie beantwortet genau diese Fragen“, sagte Eonai. „Wieso wir warten. Weshalb niemand uns errettet.“

„Wie lautet sie?“

„Es gibt etliche Antworten. Um uns zu testen. Es verfolgt einen Zweck des Lehrens.Wir sollen an unseren Qualen wachsen, um zu guten Menschen zu werden“, kam vomZeugen. „Eine der Sachen, die ich bis heute nicht verstehe. Aber ich bin sicher, die Götter wissen, was sie tun.“

Der Neue schüttelte erneut den Kopf. „Entschuldigt. Aber das ergibt für mich noch immer keinen Sinn. Ich verstehe, dass ihr einer Religion folgt, die euch keine richtigen Antworten liefern kann, doch ich bin mir nicht sicher, ob sie die richtige für mich ist. Verzeiht mir.“

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verließ das Gebäude auf demselben Weg, den er gekommen war. Etliche blickten ihm hinterher, als erwarteten sie, er käme zurück, um weiterzusprechen. Auch sie plagte die Fragen, die er sich getraut hatte zu stellen. Besonders in einer Zeit wie dieser, die schlimmeres ankündigte und die Furcht verteilte, man würde nun zum Ende finden.

Bilder aus seinem Studium blitzten durch Eonais Geist. Wusste er mehr, als die anderen? Kannten sie ihre Vergangenheit? Von seinem eigenen Geschichtsunterricht wusste er nur das letzte Jahrhundert. Doch was ist mit den Dekaden davor? Kannten sie diese? Erkannten sie, was wirklich auf sie zukam? Eonai warnte sich selbst. Er konnte überhaupt nicht erahnen, was vor ihnen lag. Er konnte bloß mutmaßen, doch die Aussichten waren keine guten.

Es könnte genauso gut sein, dass Aeros eine Rettung darstellte, auch wenn sich Eonai das nur sehr, sehr schlecht vorstellen konnte. Nicht, nachdem er von Aeros Handlungen der letzten zwei Jahrzehnte erfahren hatte. Alleine anhand dessen, was er im Laufe seiner politischen Karriere über die Umwelt gesagt hatte, brachte einem das Grauen.

„Die Götter werden uns erretten. Ich bin mir sicher“, sprach jemand aus der vordersten Reihe. Maire, eine Frau mittleren Alters, die bereits graue Haare hatte und sie voller Stolz trug.

„Die Götter werden uns erretten“, antwortete ihr die Gemeinde. Auch der Zeuge wiederholte die Worte.

„Was auch immer geschieht“, mahnte er. „Vergesst sie nicht. Vergesst die Götter niemals.“

Er holte tief Luft, als hätte ihn die Diskussion mitgenommen und ausgelaugt, bevor er weiterreden konnte. „Auch die Götter sind nur Menschen, wenn auch mit göttlicher Kraft. Sie fühlen wie wir und wenn sie uns hier sehen könnten, würden sie sofort an unsere Seite eilen. Tragt das Wort nach draußen, bringt es unter die Menschen, überzeugt sie von unserem Glauben und von unseren Göttern.“

„Was wirdmit unseren Organisationenwerden?Unseren Spendentafeln?“, erkundigte sich ein junger Mann aus dem mittlerenTeil der Halle. „Werden auch sie ausfallen?“

„Ich fürchte, ja“, gab der Zeuge zurück.

„Wie sollen die Obdachlosen ohne uns überleben können?“, fragte ein anderer. „Oder die Leute, die außerhalb der Stadt leben und auf uns angewiesen sind? Sie bekommen doch allesamt nichts durch die Regierung!“

„Ich weiß es nicht.“

Auch Eonai war ratlos. Gab es denn keine Möglichkeit, die Organisationen getrennt von der Church of Gods weiterzuführen? Die Hilfe, die sie immer angeboten hatten, musste doch irgendwie ankommen können. Viele verließen sich doch auf sie.

Egal, was kam, Eonai würde alles versuchen, um seinem Leben diesen Sinn zu geben. Helfen lag in seinem Blut. Er war ein friedliebender Mensch, ein Empath, der mit dem Leid anderer nicht umgehen konnte. Alles an Geld, was er sparen konnte durch seine kleine Wohnung, durch die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und durch günstige Nahrung, steckte er in die Spendenfonds der Church of Gods. Jede freie Zeit, die er hatte, nutzte er, um Lebensmittelauszuliefern, neue Stoffe und Kleider zu besorgen und sie den Obdachlosen zur Verfügung zu stellen. Oder er bezahlte Rechnungen der Heilungsstätten für diejenigen, die es sich nicht leisten konnten.

Die Gemeinschaft musste zusammenhalten, sonst wären sie verloren.

„Gibt es jemanden unter euch, der sprechen möchte?“, warf der Zeuge in die Runde. „Wir sollten unsere Zeit so sinnvoll, wie es nur möglich ist, nutzen, um einander beizustehen.“

Es dauerte einige Momente, bis sich jemand freiwillig meldete und vortritt. Der Zeuge ging zur Seite, umPlatz zu machen und stellte sich unweit von dem Sprecher hin, bereit ihm zu lauschen und Beistand zu leisten.

In Gedanken versunken lauschte Eonai den Worten des Sprechers, der von seiner kranken Mutter berichtete, die sich kaum mehr die Behandlung in den Heilstätten leisten konnte und wenn sie das Geld auftrieben, sie dennoch verjagt wurde, aufgrund ihres Erscheinungsbildes.

Taten christliche Gemeinden etwas für die Armen und Schwachen? Eonai hatte kaum etwas davon gehört, im Gegenteil. Sie schienen ebenfalls, wie die Heilstätten und gehobenerer Gegenden, Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihres Kontostandes auszuschließen und nicht in ihre heiligen Hallen zu lassen. Sie mochten von Nächstenliebe predigen, aber gesehen hatte Eonai kaum etwas davon.

In den alten Geschichtsbüchern sprach man davon, wobei dort viel Korruption vonstattengegangen war und dadurch die Kirche etliche Anhänger verloren hatte. Man hatte das Vertrauen der Gläubigen ausgenutzt, um sich die eigenen Taschen vollzupacken. Die christlichen Führer hatten erstaunliche Gemeinsamkeit mit manchen Politikern.

Seufzend schloss Eonai die Augen, bemühte sich, der Müdigkeit, die ihn nun befiel, zu trotzen. Der gesamte Tag, das Verfolgen der Wahl, die Auswertung der Stimmen, die Arbeit hatten ihn so ausgelaugt, dass er es kaum mehr nach Hause schaffen würde. Doch, sobald die Messe geendet hatte, ging er in die Toilettenräume, wusch den Kaffeebecher aus, den er bei sich trug, packte ihn sicher ein und fischte sich eine frische Maske aus dem Mantel.

Mit schweren Schultern, als trüge er das gesamte Gewicht der Welt auf ihnen, trat er hinaus in die Dunkelheit, folgte den Lichtern, die ihn in den Untergrund zurückführten und stieg in den ersten Bus, der auftauchte. Dieses Mal war kein Fahrbegleiter anwesend, um sicherzustellen, dass niemand die Fahrzeuge beschädigte. Es mochtedafür zwar Kameras geben, doch noch immer kam esvor, dass Menschen ohne Chip und mit Maske eintraten und randalierten. Häufig kamen sie aus anderen Teilen der Staaten, dort, in denen die Technik noch nicht soweit ausgebaut wurde oder einfach die Gelder dafür fehlten.

Illegale Einwanderer. Normalerweise wurde jeder kontrolliert, der die Stadt betrat, doch manchmal glitt jemand ohne Dokumente hindurch und landete hier im Untergrund.

Eonai ließ sich an seinem Stammplatz nieder. Im hinterenTeil, direkt am Fenster. Dieses Mal weigerte er sich, herauszuschauen und an dem Elend vorbeizufahren, sondern starrte in seine leeren Hände. Die Messe hatte ihn auffangen sollen, ihm Perspektiven schenken sollen. Wieso fühlte er sich nun noch verlassener?

Die Einsamkeit störte ihn zum ersten Mal in seinem Leben. Es schien ihm, als verlöre er nun auch die Gemeinde, die ihm die Hoffnung gegeben hatte, jemanden für sich zu finden.

Es war zum Haare raufen. Der gesamte Tag war vollkommen für die Tonne und er wünschte sich, er wäre einfach nicht aufgestanden, sondern liegen geblieben. Könnte er so tun, als gäbe es all die schlechten Neuigkeiten nicht? Würde ihm das helfen, sich wieder gut zu fühlen? Sicherlich nicht. Er verwarf den Gedanken sofort wieder.Was brachte es ihm denn auch, die Wahrheit von sich wegzuschieben. Sie würde ihn doch irgendwann einholen und womöglich wäre sie dann noch schlimmer, als wenn er sie direkt akzeptierte.

Ihm blieb also nur, sich voll und ganz in seine Arbeit zu stürzen, so viel wie möglich über Aeros und seine Pläne in Erfahrung zu bringen und was von dem, was er in seiner Rede gesagt hatte, er tatsächlich in die Tat umsetzte. Vielleicht würde ihn das auch auf andere Gedanken bringen.

Seufzend stiegeranseinerHaltestelle aus,hielt kurz anAniyas Kaffeehaus an,umihr den leeren, sauberen Becher zurückzubringen. Er hielt nicht, um mit ihr zu sprechen, sie schien ihm aber auch anzusehen, dass ihm wirklich nicht danach war. Das mochte er so an ihr. Sie verstand ihn auch ohne Worte.