Handbuch Elternarbeit - Xenia Roth - E-Book

Handbuch Elternarbeit E-Book

Xenia Roth

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Beschreibung

Das Werk zeigt die vielfältigen Ansprüche und Gestaltungsmöglichkeiten, die sich in der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft von Eltern und pädagogischen Fachkräften im Alltag der Kinderbetreuung bieten. Dabei wird die Wirklichkeit von Familien in heutiger Zeit - zwischen Erwerbs- und Familienleben - ebenso ernst genommen, wie die Ansprüche, die sich an die professionelle Kindertagesbetreuung richten.

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Xenia Roth

Handbuch Elternarbeit

Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in der Kita

Impressum

1. Ausgabe der überarbeiteten Neuausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption: R·M·E Roland Eschlbeck / Rosemarie Kreuzer

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagabbildung: Barbara Mößner

Fotos im Innenteil: Hartmut W. Schmidt, Freiburg

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-32860-2

ISBN (E-Book) 978-3-451-80194-5

Gewidmet all jenen, die zu gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaften beitragen

Inhalt

Vorwort

1 Grundverständnis der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

1.1 Von der Elternarbeit zur Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

1.2 Bildungs- und Erziehungspartnerschaft – Basis für gelingende Erziehungs- und Bildungsprozesse in der Kindertageseinrichtung

1.3 Verantwortlich für die Gestaltung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft – die pädagogische Fachkraft

1.4 Voraussetzungen für ein Gelingen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

1.4.1 Respektvolle Haltung und Wertschätzung

1.4.2 Vorurteilsbewusste Haltung – auf dem Weg zu inklusivem Handeln

1.4.3 Sensibilität für ethnische und soziale Kulturen

1.4.4 Ressourcenorientierte Haltung

1.4.5 Dialogische Haltung

1.4.6 Bereitschaft zur Selbstreflexion

1.4.7 Wissen um systemische Denk- und Arbeitsansätze

2 Rechtliche Grundlagen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

2.1 Verankerung im Bundesrecht

2.2 Für die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft bedeutsam – das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis

2.3 Der Betreuungsvertrag – rechtliche Basis für die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in der Einrichtung

2.4 Rechtliche Verankerung der Partizipation von Eltern– Grundlage der Ausgestaltung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

2.5 Bildungspläne der Länder – Grundlagen für die pädagogische Gestaltung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

2.6 Exkurs: Datenschutz in Kindertageseinrichtungen

2.7 Im Vergleich: Rechtliche Grundlagen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in der Schule

3 Erziehungs- und Bildungspartner

3.1 Pädagogische Fachkräfte

3.1.1 Pädagogische Fachkräfte als Gestalter der Partnerschaft

3.1.2 Pädagogische Fachkräfte und ihre Biografie

3.1.3 Exkurs: Pädagogische Fachkräfte – die besseren Eltern?

3.1.4 Das Rollenverständnis von Eltern und pädagogischen Fachkräften

3.2 Eltern

3.2.1 Erwartungen der Eltern an die Kindertageseinrichtung

3.2.2 Eltern sind vielfach gefordert

3.2.3 »Doing Family« – Familie leben als aktive Herstellungsleistung

3.2.4 Im Blick: Väter

3.2.5 Im Blick: Eltern anderer Kulturen

3.2.6 Eltern als Qualitätsbeobachter

4 Bedeutsame Situationen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

4.1 Der gemeinsame Beginn

4.1.1 Bindung und Bindungsverhalten – Bedeutung für die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

4.1.2 Das Aufnahmegespräch

4.1.3 Die Eingewöhnung für Kind und Eltern

4.1.4 Exkurs: Marte Meo

4.2 Formen der Zusammenarbeit mit einzelnen Eltern

4.2.1 Die Dokumentation der Bildungs- und Erziehungsprozesse des Kindes

4.2.2 Das Entwicklungsgespräch

4.2.3 Tür-und-Angelgespräche

4.2.4 Hospitationen der Eltern

4.3 Formen der Zusammenarbeit mit Gruppen von Eltern oder der Elternschaft als Ganzes

4.3.1 Pädagogische Dokumentation

4.3.2 Elternbefragungen

4.3.3 Der Elternabend

4.3.4 Gesprächskreise für Eltern

4.3.5 Elternberatung und Familienbildung

4.3.6 Exkurs: Die Kita als Familienzentrum

4.3.7 Eltern für die Mitarbeit gewinnen

4.4 Elternbeschwerden sowie Konflikte zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften

4.4.1 Beschwerdemanagement

4.4.2 Konfliktgespräche

4.4.3 Auseinanderliegende Vorstellungen zum Bildungsverständnis

4.4.4 Weitere konfliktanfällige Situationen

4.4.5 Eltern für die Nutzung von Fachdiensten gewinnen

4.5 Der Übergang in die Grundschule

4.5.1 Das Schulwesen als staatlicher Auftrag

4.5.2 Aspekte, die die Verschiedenheit von Kindertageseinrichtung und Schule begründen

4.5.3 Die Orientierung am Kind verbindet die Systeme Kindertageseinrichtung und Schule

4.5.4 Bedeutsame Aspekte für die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft bei der Gestaltung des Übergangs

5 Kinder als Gewinner einer gelungenen Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

5.1 Kinder als Spiegel einer gelungenen Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

5.2 »Um ein Kind zu erziehen, bedarf es eines ganzen Dorfes«

5.3 Das Bild vom Kind – zum frühpädagogischen Bildungsverständnis

5.4 Im Blick: Kinder unter drei Jahren

5.5 Im Blick: Kinder mit Behinderung

5.6 Im Blick: Kindesschutz

Literatur

Verwendete Abkürzungen

Art.

Artikel

Abs.

Absatz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

GG

Grundgesetz

SGB VIII

Achtes Sozialgesetzbuch(Kinder- und Jugendhilfe)

OECD

Organisation for Economic, Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

PISA

Internationale Schulleistungsstudie: Das Akronym »PISA« wird in den beiden Amtssprachen der OECD unterschiedlich aufgelöst– englisch als Programme for International Student Assessment (Programm zur internationalen Schülerbewertung) und französisch als Programme international pour le suivi des acquis des élèves (Internationales Programm zur Mitverfolgung des von Schülern Erreichten).

Gestaltungselemente

Zusammenfassung des Kapitels

Die Zusammenfassung bietet einen Überblick zum Inhalt des Kapitels und verhilft zu einer schnellen Orientierung.

Fragen zur Selbstreflexion

Diese Fragen dienen der Selbstreflexion. Sie können auch den Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen des Teams befördern oder eine Grundlage für ein Supervisionsgespräch sein.

Anregungen für die Praxis

Hier werden Vorschläge und Ideen angeführt, die als Anregung verstanden werden, die Inhalte des Kapitels in die eigene Praxis zu übertragen.

Praxisbeispiele

Diese sollen dabei helfen, die Bedeutung der theoretischen Zusammenhänge für die Praxis nachvollziehen zu können.

Vorwort

Die Augen von Samira Paret leuchten. Die Vierjährige wird von ihrer Mutter früh am Montagmorgen in den Kindergarten gebracht. Das Strahlen Samiras spiegelt sich im Ausdruck ihrer Mutter wider. Samira sprudelt nur so vor Begeisterung, als sie ihrer Erzieherin Petra Berger, die Mutter und Tochter am Eingang begrüßt, erzählt: »Wir haben gestern alle getanzt. Meine Mama, meine große Schwester und Tante Maja. Mein Bruder fand das zwar doof und ist gleich gegangen, aber wir haben weitergemacht. Das hat Spaß gemacht. Wir müssen das nachher hier auch wieder singen. Meine Mama hat in unserer Sprache gesungen, ich so wie im Kindergarten in Deutsch, und meine Schwester hat uns begleitet.« Samira hat sich lebhaft mitgeteilt und rennt weiter – ihre Freundin ist schon da.

»Nun, Frau Paret, da scheinen Sie aber einen munteren Sonntagnachmittag gehabt zu haben. Sie wirken auf mich auch noch ganz froh. Ich habe den Eindruck, das Singspiel von letzter Woche hat bei Ihnen große Kreise gezogen.«

»Ja, Frau Berger. Zuerst hat Samira immer dasselbe gesungen und ist um unseren Tisch getanzt. Ich wollte schon wieder sagen, sie solle ruhig sein. Doch dann habe ich mich erinnert, wie oft ich von Ihnen gehört habe, dass es gut ist, wenn wir unseren Kindern das Gefühl geben, uns für das zu interessieren, was sie tun. Und als die Männer draußen eine rauchen waren, bin ich einfach aufgestanden und habe mit Samira gesungen und getanzt. Ich konnte mich noch erinnern, dass es die gleiche Melodie war wie beim letzten Elternabend. Wir haben dann noch andere Lieder gesungen und getanzt – aus unserer Heimat. Also, wenn Sie Samira diese singen hören…«

»…dann müssen Sie mir demnächst zeigen, wie das geht. Da bin ich mal gespannt. Für Samira scheint es etwas ganz Besonderes gewesen zu sein. Ich freue mich für Sie beide – weiterhin einen guten Tag für Sie.«

Eine gelingende Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen den pädagogischen Fachkräften einer Kindertageseinrichtung und den Eltern – Mutter und Vater – trägt entscheidend dazu bei, dass die Kinder sich frei und offen all den Dingen zuwenden können, die von ihnen entdeckt werden wollen und die ihnen die Kindertageseinrichtung bietet. Sie können sich frei zwischen den Welten des Elternhauses und der Kindertageseinrichtung bewegen. Sie bringen Erlebtes von der einen Welt in die andere, mischen beides und setzen ihre eigene Welt zusammen. Gelingt den Erwachsenen eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft, dann müssen Kinder nicht darauf achten, ob Loyalitäten verletzt werden; sie brauchen auf die Erwachsenen nicht acht zu geben, denn die kommen miteinander zurecht. Die Erwachsenen übernehmen die Verantwortung dafür, dass es dem Kind gut geht, und unterstützen es – auf ihre je eigene Weise – in seiner individuellen Entwicklung. Es ist wichtig, dass pädagogische Fachkräfte die Herausforderungen annehmen, die sich in der Zusammenarbeit mit Eltern stellen, weil eine gute Bildungs- und Erziehungspartnerschaft für die Kinder ein Gewinn ist und bei allen Beteiligten die Zufriedenheit erhöht.

An vielen Stellen ist bereits über die Elternarbeit oder die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern geschrieben worden; vielfach aus der Perspektive eines bestimmten Themas, zum Beispiel der Perspektive der Eingewöhnung der Kinder, der Beobachtung und Dokumentation oder des Elterngesprächs, des Übergangs in die Grundschule etc. Das heißt, es steht in aller Regel ein pädagogisches Thema aus dem Kita-Alltag im Fokus, und die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Eltern für dieses Thema wird aufgezeigt. Was zeichnet nun das vorliegende Handbuch aus?

Sinn, Ziel und Zweck dieses Handbuches: Die Kooperation mit den Eltern eigens in den Blick nehmen

Sinn, Ziel und Zweck dieses Handbuches ist es, die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern eigens in den Blick zu nehmen. Die pädagogischen Fachkräfte wissen um ihre Bedeutung für das Kind, dennoch wird ihr Einfluss im Alltag vielfach unterschätzt. Die eigenständige Betrachtung der Zusammenarbeit mit den Eltern und Familien der Kinder – und zwar mit allen Eltern – wird dann überflüssig, wenn dies zur Selbstverständlichkeit im pädagogischen Alltag geworden ist. Dann überwiegt vielleicht auch das Gefühl der Entlastung bei allen Beteiligten; insbesondere bei den pädagogischen Fachkräften, die für die Gestaltung der Partnerschaft Verantwortung tragen. Soweit ist es jedoch noch nicht. Vielfach wird diese Kooperation noch als Belastung, Anstrengung oder lästiges Anhängsel bei der Arbeit mit den Kindern erlebt.

Die Chancen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft entdecken

Deshalb möchte dieses Handbuch zugleich Mut machen. Es lädt ein, die Chancen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zu entdecken, gegebenenfalls auch immer wieder neu. Bildungs- und Erziehungspartnerschaft entsteht nicht von selbst. Als Bild hilft vielleicht hier das Gärtnern: Es geht darum, eine Saat zu legen, damit Partnerschaft keimen kann, es geht um Pflege und Düngung, vielleicht sogar um einen Zuschnitt, wenn der kritische Diskurs im Vordergrund steht– immer getragen von dem Ziel eines guten Wuchses bzw. zahlreicher Blüten oder Früchte. Im Blick habe ich als Autorin bei diesem Bild allerdings das eigenständige Wachsen aller Beteiligten, also einen bunten, im ersten Moment eigenwillig wilden Garten, und nicht das Biegen, Ziehen und Wachsen auf Spur und Linie. Anstrengend darf es übrigens auch manchmal sein. Aber es gibt Anstrengungen, die uns die Kräfte rauben und uns ermatten lassen. Und es gibt Anstrengungen, die uns ein Stück kräftiger werden lassen. Das Arbeiten an gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaften stärkt die Beteiligten. Eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern aufzubauen und zu gestalten ist als eine Entwicklungsaufgabe anzusehen. Ihr ist mit Blick auf faire Bildungschancen für alle Kinder eine hohe Aufmerksamkeit zuzugestehen. Diese Entwicklungsaufgabe respektiert, dass die Bildung und Erziehung eines Kindes ohne oder gegen seine Familie nicht machbar ist.

Es geht um ein beständiges Üben in der Haltung des Respekts, des Dialoges, des vorurteilsbewussten und kultursensiblen Handelns

Es geht in diesem Handbuch nicht um Methoden und schnell einsetzbares Handwerkszeug. Es geht um eine Haltung und ein beständiges Üben in dieser Haltung. Eine Haltung des Respekts, des Dialoges, des vorurteilsbewussten sowie kultursensiblen und dem Menschen zugewandten Handelns. Sich mit einer solchen Haltung auseinanderzusetzen, einen bewussten Umgang zu pflegen und ein Sich-Üben in dieser Haltung – das ist der rote Faden dieses Buches. Und ich möchte Sie ermutigen: Die Arbeit an der eigenen Haltung unterstützt nicht nur gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Eltern, es ist dieselbe Haltung, die im pädagogischen Alltag professioneller Frühpädagogik mit Kindern gefordert ist und die im persönlichen Alltag eines jeden Menschen wertvoll sein kann. Zum Gelingen von Bildungs- und Erziehungspartnerschaften trägt die Aneignung von Wissen ebenso bei wie die Selbstreflexion des eigenen Tun und Erlebens. Es geht um Herz, Sinn und Verstand. Das Befassen mit und der Einsatz für gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit den Eltern wirken sich förderlich auf viele Bereiche des pädagogischen Handelns aus und können maßgeblich zur Entlastung der Fachkräfte in diesem anspruchsvollen Berufsalltag beitragen. Denn wer in Partnerschaft investiert, erhält in aller Regel etwas zurück.

Auf diesem Hintergrund entwickelt sich die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtung und Eltern zu einer vielgestaltigen Kooperationslandschaft: Nicht über die Eltern reden, sondern mit ihnen. Funktionen und Ziele einer solchen Partnerschaft sind die gemeinsame Förderung des einzelnen Kindes, die Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern sowie die Mitgestaltung und Mitbestimmung. Kindertageseinrichtungen werden durch ein solches Verständnis zu Orten für Familien, zu Orten der Bildung und Erziehung von Kindern und Eltern. Eine demokratisch-partizipative Bildungs- und Erziehungspartnerschaft wirkt so auch präventiv auf Erziehungs- und Bildungsbenachteiligung. Eine gute Zusammenarbeit mit Familien ist ein Qualitätsmerkmal der Arbeit einer Kindertageseinrichtung. Studien legen nahe, dass dort, wo der Austausch zwischen Elternhaus und Kindertageseinrichtung funktioniert, auch die pädagogische Qualität insgesamt höher ist (Viernickel 2009, S. 62; Sylva & Taggart 2010, S. 9).

Basis jeder Bildungs- und Erziehungspartnerschaft ist das Grundverständnis, mit dem die pädagogischen Fachkräfte einer Kindertageseinrichtung den Eltern begegnen – diesem ist denn auch Kapitel1 dieses Handbuches gewidmet. Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist nicht nur ein pädagogischer Anspruch, sie ist als rechtlicher Anspruch der Eltern verankert. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die rechtlichen Grundlagen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Kapitel3 nimmt dann die Erziehungs- und Bildungspartner in den Blick. Zunächst geht es um die pädagogischen Fachkräfte als verantwortliche Gestalter der Partnerschaft. Es folgt eine Annäherung an die Gruppe der Eltern, die – ihrerseits vielfältig in unserer modernen Gesellschaft gefordert – selbst Erwartungen und Ansprüche an die Kindertageseinrichtung stellen. Pädagogische Fachkräfte haben in vielfältigen Situationen des Kita-Alltags die Möglichkeit, die Partnerschaft mit den Eltern zu gestalten und zu vertiefen. Eine Auswahl bedeutsamer Situationen stellt Kapitel 4 vor. Hier soll anhand der ausgewählten Situationen verdeutlicht werden, wie das Grundverständnis einer gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaft konkretisiert, umgesetzt und erfahren werden kann. Gewinner einer gelingenden Zusammenarbeit der pädagogischen Fachkräfte und der Eltern sind die Kinder. Herausgehobene Aspekte hierzu finden sich abschließend in Kapitel 5.

In diesem Handbuch werden bewusst die weibliche und männliche Form oder der besseren Lesbarkeit wegen neutrale Nennungen gewählt. Wir benötigen in der Frühpädagogik dringend eine stärkere Einbindung männlicher Erfahrungen, sei es durch männliche Fachkräfte, die Väter der Kinder oder andere männliche Personen, die sich in der Kindertageseinrichtung engagieren. Deshalb sollte nach meiner Ansicht die Fachliteratur den Überhang weiblicher Präsenz nicht fest- und fortschreiben. Gerade in der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern ist die Genderthematik bedeutsam. Wird von Eltern gesprochen, dann sind andere Erziehungsberechtigte stets mitgedacht.

Eltern sind bildungsmächtige Personen

Die Familie ist die für Kinder entscheidende Bildungsstätte. Eltern sind entsprechend bildungsmächtige Personen. Mit dem Eintritt in die Kindertageseinrichtung öffnen sich Eltern und Kinder einem öffentlich verantworteten Erziehungs- und Bildungsangebot. Dies geschieht freiwillig oder die Lebensumstände machen es erforderlich. Oft können Eltern die Kindertageseinrichtung nicht frei wählen – äußere Bedingungen schränken die Wahl vielfach ein. Dabei hat die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab vollendetem ersten Lebensjahr die Position von Eltern gestärkt. Eltern haben fachpolitisch an Bedeutung gewonnen.

Eltern und Kinder wünschen sich, dass sie willkommen sind. Es gehört zum professionellen Berufsverständnis pädagogischer Fachkräfte, die Gestaltung von Beziehungen zu lernen – ein Leben lang. Das Handbuch soll dieses professionelle Verständnis stärken, unterstützen und begleiten.

Gerald Hüther, Neurobiologe und als solcher vielfältig engagiert, die gewonnenen hirnphysiologischen Erkenntnisse in Handlungspraxis zu vermitteln, bringt immer wieder den Dreiklang »Einladen – Ermutigen– Inspirieren« zu Gehör (Denkwerk Zukunft 2013). Das heißt:

▶ Das Gegenüber einzuladen ist ein Angebot und ein Zuspruch zugleich und lässt ihm den Freiraum, sich zu dieser Einladung zu verhalten.

▶ Das Gegenüber zu ermutigen zeigt die Ernsthaftigkeit der Einladung. Ermutigen bringt zum Ausdruck, dass die Fähigkeiten und Stärken des Gegenübers gesehen werden. Ermutigung heißt auch, sich auf die Herausforderungen eines gemeinsamen Entwicklungsprozesses einzulassen.

▶ Eine ermutigende Einladung auszusprechen gelingt nur, wenn die einladende Person inspiriert ist, um mit Überzeugung tätig zu werden. Sie ist sich sicher, vielleicht getragen von einer Vision, dass es sinnvoll ist, sich auf neue Beziehungen und Entwicklungsprozesse mit anderen Menschen einzulassen.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, den Frohmut und die Zuversicht, immer wieder ermutigende Einladungen auszusprechen und anzunehmen – im Zuge der anspruchsvollen Herausforderung der Zusammenarbeit mit den Eltern und dem Ziel einer fruchtbaren Bildungs- und Erziehungspartnerschaft.

Xenia Roth

In der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft werden Eltern als Partner gesehen. Der Perspektivenwechsel gegenüber der Elternarbeit ergibt sich aus den Erkenntnissen, dass ein respektvoller Umgang der Erwachsenen miteinander und die Berücksichtigung der elementaren Bedeutung der Eltern für das Kind auch eine wesentliche Basis für die Bildungsoffenheit des Kindes darstellen. In einer gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sind Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte sich gegenseitig ergänzende, unterstützende und bereichernde Konstrukteure kindlicher Bildungsbiografien. Verantwortlich für die Gestaltung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sind die pädagogischen Fachkräfte. Sie schaffen die Grundlagen für den Austausch, den entsprechenden Rahmen, die Verbindlichkeit und die Struktur der Zusammenarbeit. Hinter dem Anspruch, die Beziehung und Zusammenarbeit mit den Eltern partnerschaftlich zu gestalten, steht der Anspruch an eine reflektierte innere Haltung der pädagogischen Fachkräfte. Dazu gehören Respekt und Wertschätzung des Gegenübers, eine vorurteilsbewusste und nicht-beurteilende Beziehungsgestaltung, ein ressourcenorientierter Blick, die Sensibilität für ethnische und soziale Kulturen und die Bereitschaft zu Dialog und Diskurs sowie zur Selbstreflexion. Das Wissen um systemische Denk- und Arbeitsansätze gibt Orientierung in komplexen Zusammenhängen, so auch in der Kooperation mit den Eltern.

1.1 Von der Elternarbeit zur Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

Früher hieß es Elternarbeit (vgl. auch Bernitzke & Schlegel 2004, S. 7 ff.), heute geht es um die Gestaltung einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Was ist der Unterschied? Was ist neu oder anders?

Elternarbeit wurde überwiegend als Anhängsel der kindbezogenen Arbeit verstanden. Jedes Kind, dem der pädagogische Alltag zuteil wurde, hatte eben auch noch Eltern, die man ergänzend mit in den Blick nahm. Elternarbeit war häufig nicht viel mehr als die verordnete Unterrichtung der Eltern über den Stand der Dinge (Bauer&Brunner 2006, S.9): Termine der Kindertageseinrichtung, eher spontane unregelmäßige Rückmeldungen zur Entwicklung des Kindes, allgemeine Hinweise für alle Eltern. In diesem Sinne war traditionelle Elternarbeit über lange Zeit tatsächlich ein Stiefkind der Pädagogik. Schon der Begriff Elternarbeit lässt offen, ob die pädagogischen Fachkräfte an den Eltern arbeiten oder ob die Eltern für die pädagogischen Fachkräfte Einsatz zeigen. Elternarbeit als Engagement für die Einrichtung zeigt sich zum Beispiel in der Mitarbeit beim Sommerfest oder bei handwerklichen Einsätzen. Wenn die pädagogischen Fachkräfte ihrerseits mit oder an den Eltern arbeiten, verweist dies deutlich auf eine asymmetrische Beziehung: Eltern werden zu Objekten einer Tätigkeit, die man an ihnen verrichtet. Im Begriff der Elternarbeit findet sich zudem der nicht selten zu beobachtende Wunsch der pädagogischen Fachkräfte wieder, die Eltern zu erziehen, manchmal verbunden mit der unbewussten Hoffnung, den Kindern andere Eltern angedeihen zu lassen.

Begriffe und Definitionen: Partnerschaft und Zusammenarbeit

Demgegenüber bringt der Begriff »Bildungs- und Erziehungspartnerschaft« den Anspruch an die Zusammenarbeit zum Ausdruck, nämlich den Eltern auf Augenhöhe zu begegnen. »Partnerschaft« beinhaltet zudem die Vorstellung einer grundsätzlichen Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Partner (Viernickel 2009, S. 60 f.). Viele Eltern fordern heute mehr Mitsprache und sind aus unterschiedlichen Gründen an der frühen Förderung ihrer Kinder interessiert (Kobelt-Neuhaus 2011, S.30 ff.). Andererseits kann bei einer Begegnung auf Augenhöhe deutlich werden, dass manche Eltern eine enge Partnerschaft gar nicht wünschen, auch wenn sie sehr wohl an Informationen, einem Austausch und vor allem an gegenseitigem Respekt interessiert sind. »Zusammenarbeit« – das klingt sehr nüchtern, nach »Arbeit«. »Partnerschaft« bringt auch zum Ausdruck, dass beide Seiten – Eltern und pädagogische Fachkräfte – »Partner« mit Blick auf die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes sind. Das bedeutet, dass die »Bildungs- und Erziehungspartnerschaft« ganz unterschiedlich gestaltet sein kann, immer geht es jedoch um eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern.

Mit dem Begriff »Partnerschaft« wird die Beziehung zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften stärker in den Mittelpunkt gerückt (Prott & Hautumm 2004, S. 10 f.); sich partnerschaftlich verhalten, bedeutet

▶ fair miteinander umzugehen,

▶ Vertrauen zueinander zu haben,

▶ sich der gemeinsamen Verantwortung bewusst zu sein.

Eine unreflektierte Verwendung dieses Begriffs verkennt, dass Eltern sich nicht gleich als Partner der pädagogischen Fachkräfte sehen können. Partnerschaft muss erst – auf Basis einer guten Zusammenarbeit– wachsen. Ebenso wird mit einer »Partnerschaft« schnell ein moralischer Anspruch verbunden. Es gehört zum Alltag in der Kindertagesstätte, dass manches Verhalten, auch wenn anders gemeint, von den Beteiligten als unfair erlebt wird. Vertrauen ist kein Selbstläufer. Eine vertrauensvolle Partnerschaft ist das Ergebnis eines längeren Prozesses und gemeinsam gegangenen Weges (Viernickel 2009, S. 61).

Es geht um die gemeinsame Anstrengung der Erwachsenen für das Kind

Das Konzept und der Begriff der »Zusammenarbeit« betonen, worum es geht: um die gemeinsame Anstrengung (Prott & Hautumm 2004, S.11). Dies schließt das Gelingen gemeinsamen Handelns ebenso mit ein wie Fehlschläge und Misserfolge in der Zusammenarbeit. Pädagogische Fachkräfte und Eltern können Ziele und Aufgaben selbst bestimmen, miteinander festlegen und erfüllen. Zur Zusammenarbeit gehören auch Beteiligungsrechte der Eltern (ebd., S. 36). Eine solche Kooperation ermöglicht geteilte Erfahrung. Sie kann darin münden, dass die Zusammenarbeit als »Partnerschaft« von selbstbewussten Kooperationspartnern erlebt und gelebt wird.

Kobelt-Neuhaus (2011) sieht in der aktuellen Pädagogik verschiedene Formen der Partnerschaft, die sie begrifflich fasst:

▶ Erziehungspartnerschaft meint die gemeinsame Verantwortung von Eltern und pädagogischen Fachkräften für das Kind. Sie zeigt sich in einem dynamischen Kommunikationsprozess.

▶ Bildungspartnerschaft bedeutet das Zusammenwirken von Bildungsorten, hier die Bildungsorte Kindertageseinrichtung und Familie. Dabei hat das gesamte sozialökologische Umfeld, der Sozialraum von Kindertageseinrichtung und Familie, auf dieses Zusammenwirken Einfluss (Stange u.a. 2012, S. 14 f.).

▶ Kompetenzpartnerschaft beinhaltet, dass Familie und pädagogische Fachkräfte sich in ihren Kompetenzen ergänzen (kompensatorischer Ansatz), um den Kindern umfassend gerecht zu werden. Die Beteiligten bringen ihre Ressourcen in die Zusammenarbeit ein.

Im Wissen um die geteilte Verantwortung für das Kind gestalten Kindertageseinrichtung und Eltern in gemeinsamer Abstimmung und in der Ausrichtung auf ähnliche Ziele die Erziehungs- und Bildungsthemen des Kindes, ohne dass damit die grundsätzliche Erziehungsverantwortung der Eltern infrage gestellt wird. Kooperation vollzieht sich somit auf der Grundlage eines gleichberechtigten Dialogs.

Eine gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaft ist für das Kind bedeutsam

Es geht darum, die Eltern so zu nehmen, wie sie sind. Ursächlich für diesen Perspektivenwechsel, der sich aus dem veränderten Verständnis der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft gegenüber der Elternarbeit ergibt, ist das Wissen um die große Bedeutung der sich gegenseitig respektierenden Haltung von Eltern und pädagogischen Fachkräften für das Kind. Denn für das Kind sind die Eltern – wie immer sie sich ihm gegenüber auch verhalten mögen – die wichtigsten Personen. Ihre Eltern sind für Kinder existenziell: Sie haben ihm das Leben geschenkt. Auch in kritischen Eltern-Kind-Beziehungen, in denen das Kindeswohl gefährdet ist, geht es darum, die Beziehung zwischen Kind und Eltern durch eine Stärkung und Unterstützung der Eltern und deren Verantwortungsübernahme zu verbessern; die Trennung von Kind und Eltern ist ein erheblicher Eingriff in diese bedeutsame Beziehung, deshalb gut abzuwägen und daraufhin zu befragen, ob sich gelingende Wege der Elternstärkung finden lassen. Die Bindungsforschung belegt diese (lebens-)wichtige Beziehung. Eine gute Bindung zu den für das Kind bedeutsamen Menschen, in der Regel Mutter und/oder Vater, ermöglicht den Kindern, leichter und freier zu weiteren Personen Bindungen einzugehen, zum Beispiel zu Großeltern, Nachbarn oder pädagogischen Fachkräften. Und für diese erweiterten Beziehungskonstellationen gilt: Kinder können sich umso freier ihre Welt zu eigen machen und diese erforschen, desto spürbarer die Erwachsenen an einem Strang ziehen oder sich zumindest respektieren und eine Kooperation anstreben. Die Kooperation der Erwachsenen miteinander, ihr gegenseitiger Respekt und ihre Wertschätzung wirken sich dergestalt positiv auf die Kinder aus, dass sie in Freiheit und Neugier der Welt begegnen, Erfahrungsschätze sammeln und von der Unterschiedlichkeit der Erwachsenen, die ihnen begegnen, profitieren können. Sie bleiben bildungsoffen. Kurzum: Die Kinder erfahren Bedingungen für eine ganzheitliche Bildung und Erziehung. Eine Erziehungspartnerschaft mit Eltern aufzubauen und zu gestalten ist eine Entwicklungsaufgabe, die gerade im Hinblick auf faire Bildungschancen für alle Kinder eine lohnende Anstrengung ist (vgl. Kebbe & Reemen 2009, S. 122). Unter diesem Aspekt ist Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern Arbeit an und mit den Kindern.

Die Zusammenarbeit mit Eltern im politischen und fachlichen Diskurs

Die Herausforderungen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sind für die verantwortlichen pädagogischen Fachkräfte gegenüber der Elternarbeit nicht geringer. Im Verständnis der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft geht es um eine kooperative Haltung gegenüber den Eltern. Die Zusammenarbeit mit Eltern und der Aufbau einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft haben im fachlichen und politischen Diskurs einen hohen Stellenwert. Dies spiegelt sich in vielfältigen Argumentationszusammenhängen wider, wenn es darum geht, die grundlegende Bedeutung der Familie zu benennen, den gestiegenen Stellenwert frühkindlicher Bildung herauszustellen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, präventiven Kindesschutz zu verfolgen oder ökonomische Betrachtungen hinsichtlich der Wirksamkeit erfolgreicher Familienbildung zu verfolgen (Cloos & Karner 2010; Stange u.a. 2013, S. 30 f.). Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Eltern wird bildungspolitisch als Standard gesehen.1

Es geht darum, wie das Verhältnis von familialer Erziehung und öffentlicher Kinderbetreuung mit Blick auf die Kinder gut gelingen kann (Cloos & Karner 2010; Liegle 2013). Eine jahrzehntelange Zurückhaltung, die in der gesellschaftlichen Überzeugung bestand, dass sich Politik und Staat nicht in familiale Angelegenheiten einzumischen hätten, und wenn, dann nur im äußersten Fall der Kindeswohlgefährdung, ist in den vergangenen Jahren zunehmend aufgegeben worden (Berth 2011, S. 72 ff.). Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die ihnen obliegende Pflicht (Art. 6 Abs. 2 GG; vgl. Kapitel2). Aufgabe der Gesellschaft und ihrer Institutionen ist es, Eltern zu unterstützen. Hier gründet das Ziel einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. All dies geschieht zum Wohle der Kinder und im Hinblick auf eine höhere Chancen- und Bildungsgerechtigkeit (ebd., S. 172 ff.). Es geht darum, den pädagogischen Alltag so zu gestalten, dass bewusst wird, wie bedeutsam die Eltern für die Kinder sind. Der pädagogische Alltag im Rahmen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft vermag von außen betrachtet möglicherweise gegenüber der traditionellen Elternarbeit keine auffällige Veränderung erfahren haben, aber die innere Haltung der Beteiligten zueinander hat sich wesentlich gewandelt (vgl. Kapitel 1.4).

1.2 Bildungs- und Erziehungspartnerschaft – Basis für gelingende Erziehungs- und Bildungsprozesse in der Kindertageseinrichtung

Ihren Bindungspersonen gegenüber reagieren Kinder besonders sensibel

Eltern sind die ersten und in aller Regel wichtigsten Bindungspersonen ihres Kindes. Damit sind die Eltern auch die wichtigsten Partner der Kindertageseinrichtung bei der Erziehung und Bildung der Kinder.

Erlebt ein Kind, dass seine Eltern respektiert werden, entwickelt es auch ein positives Bild von sich selbst

Jedes Kind reagiert auf individuelle Art und Weise auf jede einzelne Bindungsperson. Allen Bindungspersonen gegenüber ist es jedoch besonders sensibel. Auf der Seite der Erwachsenen wiederum hat jeder Erwachsene seinen ganz speziellen Zugang zum Kind und nimmt auf seine individuelle Art Einfluss auf das Bild, das sich das Kind von der Welt macht, indem er seine eigenen Erwartungen, Wünsche, Hoffnungen und Themen an das Kind heranträgt. Das Kind macht sich also nicht alleine ein Bild von der Welt, sondern es entwickelt sein eigenes Bild von der Welt in den für es wichtigen menschlichen Bezügen. Die Wahrnehmung der Welt, eines Gegenstandes, einer Sache, eines Menschen wird mit geprägt von den persönlichen Beziehungen, in die ein Kind eingebunden ist. So ist Erziehung und Bildung als Prozess sowohl der sozialen Ko-Konstruktion zwischen dem Kind und den für es bedeutsamen Personen als auch der Erwachsenen untereinander zu verstehen (Kobelt-Neuhaus 2011, S. 120 ff.; Neumann 2010, S. 86 ff.). Es gehört daher zur Profession und der damit verbundenen Verantwortung, dass sich die pädagogischen Fachkräfte einer Kindertageseinrichtung zum einen bewusst sind, welche elementare Bedeutung Eltern und Herkunftsfamilie für das Kind haben, und zum anderen wissen, dass sie sich selbst mit ihrem eigenen Blick auf die Welt und ihrer eigenen Persönlichkeit in die Erziehung und Bildung der ihnen anvertrauten Kinder einbringen. In der Kindertageseinrichtung als Ort öffentlicher Erziehung und Betreuung muss die entscheidende Rolle der Bindungspersonen des Kindes beachtet werden: allen voran die Eltern, dann aber auch die fachliche Qualität und Persönlichkeitsbildung der pädagogischen Fachkräfte. Durch sie erfährt das Kind Respekt gegenüber seiner Person und damit für seine Identität. Je mehr das Kind erlebt, dass seine Eltern und die Kultur seiner Familie respektiert und geachtet werden, desto eher kann es ein positives Bild von sich und von sich in der Welt entwickeln. Dieses positive Bild bildet wiederum die Grundlage dafür, mutig und neugierig auf die Welt zuzugehen und sich diese zu erschließen – Basis jeglichen Bildungsgeschehens.

Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte – Ko-Konstrukteure im Bildungs- und Erziehungsprozess

In einer gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaft sind Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte sich gegenseitig ergänzende, unterstützende und bereichernde Konstrukteure kindlicher Bildungsbiografien. Die Grundlage hierfür liegt in der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung. Dabei steht das Kind im Mittelpunkt. Alle Akteure arbeiten an dem Projekt »Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes«. Sie sind integriert in eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Das Kind erlebt, dass Familie und Bildungseinrichtung gleichermaßen an seinem Wohl interessiert sind, einander wertschätzend begegnen und sich wechselseitig bereichern.

Die konkreten Formen der Kooperation zwischen Kindertageseinrichtung und Eltern bestehen dabei durchaus aus den klassischen Elementen der Elternarbeit wie Elterngespräche, Elternmitarbeit oder Elternabende, allerdings erfahren diese mit der grundsätzlichen Haltung im Hinblick auf eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft eine neue Qualität in der Begegnung miteinander. Denn die Eltern sind Partner des Geschehens, ihre Gedanken und Ideen werden im Alltag der Kindertageseinrichtung berücksichtigt; sie sind Subjekte und nicht Objekte des Geschehens.

Die bildungs- und erziehungspartnerschaftliche Zusammenarbeit kann zu einem neuen konzeptionellen Fundament beitragen: Das fachlich begründete, vom pädagogischen Fachkräfteteam erarbeitete Konzept und Profil der Einrichtung muss nicht – wie vielfach im Alltag erlebt – vor den vielfältigen und unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen der Eltern verteidigt und durchgesetzt werden. Das Profil der Einrichtung ist vielmehr Resultat eines gemeinsamen, von gegenseitiger Achtung geprägten Prozesses, der von einem beständigen Diskurs der pädagogischen Fachkräfte, Eltern und Kinder getragen wird und daher zur Grundlage einer andauernden und anregenden Fortentwicklung des Profils der Einrichtung wird.

1.3 Verantwortlich für die Gestaltung der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft – die pädagogische Fachkraft

Die Kindertageseinrichtung ist der Arbeitsplatz der pädagogischen Fachkräfte. Sie schaffen die professionellen pädagogischen Bedingungen für die Erziehung, Bildung und Betreuung der Kinder. Sie legen die Grundlagen für den gemeinsamen Austausch mit den Eltern, den entsprechenden Rahmen, die Verbindlichkeit und die Struktur der Zusammenarbeit und damit die Arbeitsbasis der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern. Besteht für die pädagogischen Fachkräfte der professionelle Anspruch in der Zusammenarbeit, so gilt für Eltern der Grundsatz der Freiwilligkeit (Prott & Hautumm 2004, S. 23).2

Der öffentliche Auftritt der Kindertageseinrichtung oder die Mund-zu-Mund-Propaganda vermittelt den Eltern bereits ein Verständnis einer möglichen Zusammenarbeit, bevor diese durch den Betreuungsvertrag rechtskräftig wird. Der Austausch und die Verständigung zwischen Kindertageseinrichtung und Eltern beginnen also bereits vor der Aufnahme des Kindes, zumindest finden erste Weichenstellungen statt: Ein öffentlich zugängiges Konzept der Einrichtung, Tage der offenen Tür, Elterncafés oder Möglichkeiten zur Hospitation ermöglichen Eltern, die Kindertageseinrichtung auszuwählen, die ihren Vorstellungen und Wünschen entspricht. In einem Aufnahmegespräch (vgl. Kapitel 4.1.2) kann die pädagogische Fachkraft die Eltern auf die bedeutsame Rolle einer guten Beziehung und Zusammenarbeit aufmerksam machen, wozu auch das Eingewöhnungskonzept der Einrichtung beiträgt. Entwicklungsgespräche (vgl. Kapitel 4.2.2) ermöglichen den kontinuierlichen Austausch mit den Eltern. Sie sind notwendiger Bestandteil des fortlaufenden Diskurses über die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes. Eltern erhalten einen Einblick in die Bildungsprozesse der Kinder durch die individuellen Portfolios oder Dokumentationen von durchgeführten Projekten. Die pädagogischen Fachkräfte können die Eltern ermutigen, sich in der Elternvertretung der Einrichtung einzubringen. Auf diese Weise können pädagogische Fachkräfte Akzente setzen und initiativ werden, um eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft aufzubauen und zu pflegen.

All den genannten Gestaltungsmöglichkeiten liegt eine dialogische, diskursive und partizipative Praxis der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zugrunde (vgl. Kapitel 1.4). Es geht also um eine bewusste Beziehungsgestaltung, die der Initiative der pädagogischen Fachkräfte bedarf. Insofern ist die Partnerschaft hinsichtlich ihrer Verantwortlichkeit für die Gestaltung nicht symmetrisch, hinsichtlich ihrer inhaltlichen Gestaltung dagegen eher: Die Wahrnehmungen und Erfahrungen der Eltern werden bei der Ausgestaltung des Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrages berücksichtigt. Hinter dem Anspruch, die Beziehung und Zusammenarbeit mit den Eltern partnerschaftlich zu gestalten, steht ein Anspruch an die innere Haltung der pädagogischen Fachkräfte. Die reflektierte innere Haltung der pädagogischen Fachkraft ist Voraussetzung für ein Gelingen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft.

1.4 Voraussetzungen für ein Gelingen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft

Es zeigt sich, dass bestimmte Haltungen das Gelingen einer kommunikativen Beziehung maßgeblich begünstigen (Fröhlich-Gildhoff u.a. 2006; Ders. u.a. 2011)3. In der professionellen Gestaltung der Beziehung zu den Eltern im pädagogischen Alltag einer Kindertageseinrichtung werden diese Haltungen fachlich reflektiert von den pädagogischen Fachkräften eingesetzt. Dazu zählen:

▶ Eine respektvolle Haltung und Wertschätzung (vgl. Kapitel 1.4.1), d.h. ein ehrliches Interesse am Gegenüber und die Bereitschaft, sich ihm mit ganzer Aufmerksamkeit zuzuwenden.

▶ Eine vorurteilsbewusste und nicht-beurteilende Haltung (vgl. Kapitel 1.4.2), d.h. eine Haltung, die sich die eigenen Vorurteile bewusst macht und sie nicht negiert oder ausblendet. So kann offener und mit wachem Interesse dem Anders- bzw. Fremdsein des Gegenübers begegnet werden. Der »Ansatz vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung«© (vgl. Wagner 2013b) bietet praktische Handlungshilfen für die Gestaltung des pädagogischen Alltags auf dem Weg zu einer inklusiven Praxis.

▶ Sensibilität für ethnische und soziale Kulturen (vgl. Kapitel 1.4.3): Die Kenntnis und das Wissen um unterschiedliche Erziehungskulturen und Sozialisationsziele von Eltern ermöglicht, eine Achtsamkeit für unterschiedliche Lebenswirklichkeiten von Familien zu entwickeln. So kann eine Sensibilität wachsen, Diversität im pädagogischen Alltag zu leben.

▶ Eine ressourcenorientierte Haltung (vgl. Kapitel 1.4.4): Was hat mein Gegenüber an Stärken, was kann er besonders gut? Was bringt mein Gegenüber Wertvolles in die Beziehung ein? Dazu zählt ebenso die Bereitschaft, im Verhalten des Gegenübers eine Stärke zu finden, die bislang als solche nicht gesehen oder bewertet wurde.

▶ Eine dialogische Haltung (vgl. Kapitel 1.4.5): Aktives Hinhören, Zuhören und Wahrnehmen von Aussagen – in Wort und Körperausdruck – meines Gegenübers.

▶ Bereitschaft zur Selbstreflexion (vgl. Kapitel 1.4.6).

Die einzelnen Aspekte einer professionellen Haltung ergeben ein Ganzes

Alle diese Haltungsaspekte ergeben ein Ganzes: eine dem einzelnen Menschen und seiner Lebensperspektive zugewandte Art, die zugleich die eigene Perspektive reflektiert und selbst-bewusst wahrnimmt. Es geht um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im professionellen Wirken als pädagogische Fachkraft (vgl. Krenz 2007, S. 24 ff.). Was auf den ersten Blick wie eine vielfache Herausforderung aussieht, stellt sich in der Auseinandersetzung mit den Einzelaspekten als ein zusammenhängendes Ganzes dar. Die gute und die schlechte Nachricht ist: Die einzelnen Aspekte hängen zusammen. Wer sich in der einen Haltung übt, übt sich auch in den anderen. Man muss also nicht alle Aspekte gleichzeitig im Blick haben. Und wer sich in keiner Haltung übt, riskiert, dass auch andere Aspekte verkümmern.

Die eigene Haltung betrifft die berufliche wie private Beziehungsgestaltung

Dass ein stetes Sich-Üben in diesen Haltungen nicht nur in beruflichen, sondern auch in privaten Zusammenhängen hilfreich ist, liegt auf der Hand. Die Arbeit an der eigenen Haltung kann dazu beitragen, das eigene Leben als bereichernd und erfüllter wahrzunehmen. Im Ergebnis bewahrheitet sich hier der Volksmund: »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.« Letztlich gilt: So wie ich mit mir umgehe, so gehe ich mit anderen um und so gehen andere mit mir um, was bedeutet: So wie ich meine eigene Biografie, mein eigenes Tun und Handeln mit allen Höhen und Tiefen respektiere, so respektiere ich mein Gegenüber, und mein Gegenüber wird sich mir nicht verschließen. Die hier beschriebenen professionellen Haltungen gegenüber den Eltern als Erziehungs- und Bildungspartner entsprechen zudem einer professionellen frühpädagogischen Haltung gegenüber dem Kind. Das bedeutet: In der pädagogischen Praxis entspricht die Grundhaltung gegenüber dem Kind der Grundhaltung gegenüber den Eltern. Letztlich handelt es sich um Haltungen, die menschliches Zusammenleben fördernd beeinflussen. Darüber hinaus ist das Wissen um systemische Denk- und Arbeitsansätze (vgl. Kapitel 1.4.7) hilfreich, um komplexe Zusammenhänge, Beziehungen und Reaktionen von Menschen verstehen bzw. neue und weitere Zugänge öffnen zu können.

1.4.1 Respektvolle Haltung und Wertschätzung

Wesentliches Merkmal einer Haltung, die zum Gelingen einer Bildungs- und Erziehungspartnerschaft beiträgt, ist die grundsätzliche Achtung des Erziehungsauftrags der Eltern. Dazu gehört, dass das Team der Kindertageseinrichtung den Eltern Respekt und Wertschätzung entgegenbringt.

Die pädagogische Fachkraft achtet den Erziehungsauftrag der Eltern

Eltern übernehmen für ihre Familie Verantwortung, und zwar auf eine ihnen eigene Weise. Familie verantwortlich zu leben, ist eine täglich neue Herausforderung; die Forschung spricht nicht umsonst von einer permanent zu erbringenden Herstellungsleistung (»Doing Family«, vgl. Kapitel 3.2.3). Die Familie ist ein zentrales Strukturelement unserer Gesellschaft: Sie erbringt durch ihren Einsatz in der Arbeitswelt Leistungen für die Wirtschaft und Gesellschaft, sie produziert »Humanvermögen« durch Sorge für den Nachwuchs, leistet private Fürsorge zum Beispiel im Pflegebereich und stiftet sozialen Zusammenhalt. Für all dies tragen Eltern maßgeblich Verantwortung und bringen sich ein.

Respekt und Wertschätzung zeigen den Eltern zudem, dass ihnen ein Recht auf Anderssein (vgl. Kapitel 3.2) zuerkannt wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass die pädagogische Fachkraft gegenüber dem Erziehungsverständnis oder den Wertvorstellungen der Eltern gleichgültig sein soll oder sein wird. Der Respekt – und auch die Toleranz – vor dem Anderssein des Gegenübers setzen das Wissen und den Respekt vor der eigenen Wertüberzeugung voraus.

Respekt und Wertschätzung sind aktiv erbrachte Leistungen

Respekt und Wertschätzung dem Gesprächspartner und der Gesprächspartnerin entgegenzubringen, kann zu einer aktiven Leistung und Herausforderung für die pädagogische Fachkraft werden. Wie sollen Respekt und Wertschätzung gelingen, wenn man sein Gegenüber möglicherweise im wahrsten Sinne des Wortes »nicht riechen« kann? Wie, wenn das Gegenüber respektlos mit seiner Umgebung und damit auch dem Team der Kindertageseinrichtung umgeht? Es hilft hier, sich bewusst zu machen, dass eine professionelle Haltung eine Leistung darstellt, die aktiv hervorzubringen und nicht als gegeben anzusehen ist. Die aktive Leistung besteht darin, dem Anderen zu begegnen und ihm nicht auszuweichen, seine Beweggründe zu erforschen (vgl. Kapitel 1.4.7), seine Ressourcen zu ergründen und diese wertschätzend in den Vordergrund zu stellen. Wer Stärken kommuniziert, fördert die Entwicklung von Stärken (Kebbe 2009a). Diese dialogische Haltung und die mit ihr verbundenen Methoden bieten professionelles Handwerkszeug, das im Alltag der pädagogischen Fachkräfte zum Einsatz kommen und eine Unterstützung bieten kann (vgl. Kapitel 1.4.5).

1.4.2 Vorurteilsbewusste Haltung – auf dem Weg zu inklusivem Handeln

Ein häufig vernommener Anspruch in pädagogischen Beziehungen lautet: Begegne deinem Gegenüber ohne Vorurteile. Doch selbst die noch so erfahrene Fachkraft im Erziehungsberuf ist eben – zum Glück– Mensch. Es gehört zum menschlichen Dasein gewissermaßen »ganz automatisch« dazu, zu kategorisieren, zu bewerten und zu beurteilen. Ein solches Verhalten dient zunächst einmal dem sehr sinnvollen Überprüfen, Sichern und Strukturieren der eigenen Lebenswelt: Ist meine Umgebung so, dass ich mich wohl fühle? Meint dieser Mensch es gut mit mir? Gehört er zu meiner Gruppe, zu meinem »Stamm«? Fühle ich mich sicher? Vorurteile können – versucht man ihrer Sinnhaftigkeit auf die Spur zu kommen4– eine Art Sicherungsprüfsystem für den Menschen sein. Es geht also möglicherweise darum, vor etwas zu bewahren.

Vor etwas bewahrt zu werden, das kann durchaus positiv sein. Die Kehrseite davon ist aber konsequenterweise, etwas auszuschließen bzw. von etwas ausgeschlossen zu werden. Genau dies sind die Konsequenzen, die Menschen spüren, wenn sie von Vorurteilen berührt sind. Im pädagogischen Alltag geht es darum, diese Negativseite der Vorurteile zu vermeiden, weil sie Beziehungsgestaltung schwierig, wenn nicht gar unmöglich macht (Wagner 2013c, S. 248 ff.). Wenn Vorurteile aber eine Art Sicherungsprüfsystem des Menschen sind und wie selbstverständlich gefällt werden, dann können sie nicht einfach abgestellt werden. Daher ist ein reflektierter Umgang mit Vorurteilen gefragt. Es geht darum, sich der eigenen Vorurteile bewusst zu werden. Eine damit einhergehende vorurteilsbewusste Haltung erweitert die professionellen Handlungsmöglichkeiten und hilft, Ausschluss-Verhalten, Ausgrenzung und Diskriminierung zu verhindern oder zumindest zu reduzieren.

Die Dinge dieser Welt können auf unterschiedlichste Weise gesehen werden

Eine respektvolle, vorurteilsbewusste und wertschätzende Haltung bringt zum Ausdruck, dass die Dinge dieser Welt auf unterschiedliche Weise betrachtet und gestaltet werden können. Das Bereisen anderer Länder und Kennenlernen fremder Kulturen zeigt dies auf eine vielfach abenteuerliche und mit anregenden Erlebnissen erfüllende Weise. Der Alltag einer Kindertageseinrichtung gleicht vielfach einer solchen Reise, eröffnet neue Welten und Kulturen und kann somit die eigene Welt bereichern oder eigene Werte und Eigentümlichkeiten neu entdecken helfen. Die Neugier, das Andere kennenzulernen, zu verstehen oder in seiner Bedeutung für das Gegenüber zumindest zu erahnen, steht vor Kritik und Ablehnung.

Im Projekt KINDERWELTEN wurde der Ansatz einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung entwickelt

Im Projekt »KINDERWELTEN« wurde der »Ansatz einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung©« entwickelt. Er bietet mit seinen Grundlagen, Zielen, didaktischen Prinzipien eine Orientierung und praktische Handlungshilfe für die Gestaltung des pädagogischen Alltags auf dem Weg zu einer inklusiven Praxis (Wagner 2013b, S. 26). Eine vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung und eine damit verbundene inklusive Praxis können nicht durch eine einzelne pädagogische Fachkraft alleine geleistet werden, auch wenn jede auf ihre Weise einen Beitrag zur Entwicklung einbringen kann. Inklusive Praxis schließt individuelles und institutionelles Handeln ein. Das bedeutet, es handelt sich um einen andauernden gemeinsamen Lernprozess der Beteiligten auf unterschiedlichen Ebenen, es geht um »Verwobenheit statt Trennung« (Weltzien & Albers 2014, S. 16).

Anregungen für die Praxis