Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg - Michael Hammerbacher - E-Book

Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg E-Book

Michael Hammerbacher

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2001
Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Pädagogik - Pädagogische Soziologie, Note: 1,6, Humboldt-Universität zu Berlin (Erziehungswissenschaften/Phil. - Fak. 3), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Fragestellung der Arbeit ist heute immer noch hoch aktuell. Zur Systematisierung der Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen bediene ich mich einer historischen und vergleichenden Methode. Zwei relevante Zeitabschnitte mit jeweils unterschiedlichen pädagogischen und theoretischen Ansätzen sind zu untersuchen: 1. Erstens die ,,antifaschistische Pädagogik" vom Ende der siebziger Jahre bis zum Ende der achtziger Jahre. Herausragende Beispiele hierfür sind u.a. die Gedenkstättenpädagogik und antifaschistische Stadtrundfahrten. 2. Diese löste ein Jahrzehnt der Dominanz der ,,akzeptierenden Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen" ab, mit dem theoretischen Überbau der ,,Bielefelder Schule" um Wilhelm Heitmeyer, die eine ,,Individualisierungs- und Modernisierungsthese" als Grund für rechtsextremistische und fremdenfeindliche Einstellungen bei Jugendlichen vertritt. Zur Zeit befinden wir uns erneut in einem Paradigmenwechsel in der Sozialwissenschaft und der Pädagogik. Projekte, die die Entwicklung der ,,Zivilgesellschaft" in den Kommunen fördern sollen und eine Theorie für eine Erziehung zur demokratischen Werten und kultureller Vielfalt lösen die ,,akzeptierende Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen" ab. Die Fragestellungen, unter denen die Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen untersucht werden, gliedern sich wie folgt: 1. Welche Erklärung für die jeweils gegenwärtige gesellschaftliche Situation dominierte in der Sozialwissenschaft und in der Öffentlichkeit, die natürlich auch das gesellschaftliche Umfeld und die Strategie der Rechtsextremisten berücksichtigen muss. 2. Welche Akteure handelten mit welcher Methode für welche Zielgruppe gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus? 3. Welche Kritik wurde an der Handlungsstrategie geübt und was führte zu ihrer Ablösung? Am Ende meiner Arbeit setze ich mich dann damit auseinander, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser historischen und vergleichenden Perspektive für eine heutige Handlungsstrategie ziehen lassen und folge meiner These, dass in den dargestellten gesellschaftlichen Situationsanalysen wichtige Faktoren ausgeblendet wurden, deren Berücksichtigung aber für eine adäquate Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg notwendig sind.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffsklärung

2.1. Ausländerfeindlichkeit

2.2. Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie und Ehnozentrismus

2.3. Rassismus

2.4. Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus

3. Von 1970 bis 1989: Antifaschistische Pädagogik in den alten Bundesländern

3.1. Gesellschaftliche Situation in den siebziger und achtziger Jahren

3.2. Empirische Untersuchungen in den achtziger Jahren

3.3. Theoretische Erklärungsversuche in den achtziger Jahren

3.4. Die antifaschistische Handlungsstrategie

3.5. Die Umsetzung der antifaschistischen Pädagogik

3.6. Die Kritik an der antifaschistischen Pädagogik

4. Nach 1989: Die „akzeptierende Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“

4.1. Gesellschaftliche Situation von 1989 bis 1993

4.2. Empirische Studien von 1989 – 1993 aus Berlin/Brandenburg

4.3. Theoretische Erklärungsansätze für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen von 1987 bis 1993

4.3.1. Die Modernisierungs- und Individualisierungsthese

4.3.2. Die These der sozialen Deprivation

4.3.3. Die These der Dominanzkultur

4.4. Zielgruppe und theoretische Herleitung der Handlungsstrategie

4.4.1. Jörg Kraußlach

4.4.2. Benno Hafeneger

4.4.3. Franz Josef Krafeld

4.5. Die pädagogische Umsetzung: Das Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechtsorientierten Jugendcliquen“

4.6. Die Übertragung auf die neuen Bundesländer 1992 bis 1997

4.7. Die Kritik an der „akzeptierenden Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“

4.7.1. Die Kritik an der Theorie

4.7.2. Die Mängel in der praktischen Umsetzung

4.7.3. Die Folgen für das lokale soziokulturelle Klima

4.7.4. Abschied vom Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“?

5. Seit 1997: Zivilgesellschaftliche Handlungskonzepte gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit

5.1. Gesellschaftliche Situation nach 1993

5.2. Empirische Studien von 1997 bis 2000 aus Berlin und Brandenburg

5.3. Theoretische Erklärungsansätze für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auch bei Jugendlichen

5.3.1. Notwendigkeit einer Einbeziehung der DDR-Geschichte

5.3.2. Historische Ursachen

5.3.3. Erklärungsansätze aus der Sicht der Autoritarismusforschung

5.4. Theoretische Herleitung des zivilgesellschaftlichen Handlungskonzepts

5.5. Das zivilgesellschaftliche Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit

5.6. Träger der Maßnahmen und die Umsetzung des Konzeptes

5.7. Die Kritik am zivilgesellschaftlichen Handlungskonzept

5.7.1. Die Kritik an der Theorie

5.7.2. Die Kritik an der Eingrenzung auf die neuen Bundesländer

5.7.3. Die Kritik am Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“

5.7.4. Bewertung und Ausblick

6. Abschließender Vergleich und Ergebnis

7. Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

 

Die Motivation für diese Arbeit, insbesondere die Frage nach den Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg, resultiert aus meiner ehemaligen Tätigkeit als Dozent in der politischen Jugendbildung in Berlin und Brandenburg. In Gesamt- und Berufsschulen Ostberlins und Brandenburgs beobachtete ich häufig die Dominanz einer rechtsextremen Jugendkultur und von fremdenfeindlichen Einstellungen in den Klassen. Die von mir darauf angesprochenen Lehrkräfte ignorierten häufig diese Situation, begegneten ihr zumeist hilflos und einige wenige der Lehrkräfte teilten sogar die Einstellungen der rechten Jugendlichen.

 

Die Erstellung dieser Arbeit fällt in eine Zeit, in der die Diskussion über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit das letztjährige „Sommerloch“ in der bundesrepublikanischen Politik- und Medienlandschaft bestimmte. Den Startschuss für diese öffentliche Diskussion gab die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ am 3. Juli 2000, als ihr Bundesvorstand konstatierte: „Zahlreiche Überfälle auf Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten, Menschen jüdischen und islamischen Glaubens zeigen: Rechtsextremismus ist kein Randproblem der Gesellschaft. (...) Die sogenannten ‚national befreiten Zonen’ haben insbesondere in Ostdeutschland zugenommen. Potenziellen Opfergruppen und auch demokratisch eingestellten Jugendlichen ist eine angstfreie Bewegung im öffentlichen Raum nicht möglich.“[1] Nach dieser Analyse folgte die Schlussfolgerung, „(...) daß zukünftig ‚Bündnis 90/Die Grünen’ der Bekämpfung des Rechtsextremismus deshalb höchste Priorität einräumen und den Punkt auf die für den 12. Juli 2000 geplante Sitzung der Rot-Grünen Koalitionsrunde setzen.“[2] Dies allein hätte nicht ausgereicht, um das Thema zu dem Bestimmenden dieses Sommers in den Medien zu machen. Endgültig setzte es sich in der öffentliche Diskussion nach dem Düsseldorfer Bombenanschlag am 27.Juli 2000 durch, bei dem sechs der neun Opfer jüdische Migranten aus Russland, der Ukraine und Aserbaidschan waren. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde vermutet und das Attentat ist bis heute nicht aufgeklärt.[3]

 

Was hat sich aber heute im Verhältnis zu 1990 in Deutschland eigentlich geändert? Anetta Kahane, Leiterin der Regionalen Anlaufstelle für Ausländerangelegenheiten, Jugendarbeit und Schule in Berlin (RAA) beschrieb 1998 die Situation im Land Brandenburg so: “Wir haben akzeptiert, in einem Land zu leben, in dem besonders Fremde sich nach dem Dunkelwerden nicht mehr frei bewegen können und auf öffentlichen Plätzen und in Verkehrsmitteln ungeschützt sind, einem Land, in dem auf rechte Sprüche, Bedrohung und Gewalt oft mehr mit Verständnis als mit Empörung und dem Gesetz reagiert wird.“[4] Seit 1989 flackert die Diskussion über Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit in unregelmäßigen Abständen auf: “Die gegenwärtige Debatte um Rechtsextremismus ist bereits die dritte ihrer Art in den vergangenen zehn Jahren“[5]. Spätestens nach den Pogromen gegen Asylbewerberheime in Hoyerswerda (1990), in Rostock-Lichtenhagen (1991) und nach den terroristischen Anschlägen auf die Häuser türkischer Einwandererfamilien in Mölln (1992) und Solingen (1993) hatte jede/r die Möglichkeit zu erfahren, wie die Realität in sogenannten „National befreiten Zonen“ in einigen Kommunen der neuen Länder der Bundesrepublik aussieht, aber auch wie feindlich die Stimmung gegenüber Migranten und Migrantinnen in ehemaligen Zentren des deutschen Arbeitermilieus u.a. in Regionen Bremens, des Ruhrgebiets und des Saarlands ist.

 

Die erste große Debatte fand entsprechend auch zwischen 1991 und 1993 statt, als Reaktion auf die hohe Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten, „...die zweifellos eine neue Qualität des Rechtsextremismus in Deutschland darstellte“.[6] Die zweite Welle der Rechtsextremismusdebatte setzte mit dem spektakulären Wahlerfolg der Deutschen Volksunion (DVU) im Frühjahr 1998 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein. Dort erhielt sie 12,8% der abgegebenen Stimmen, und auch weitere Wahlerfolge der extremen Rechten in Bremerhaven 1998 (Die Republikaner 5,2 %) und Brandenburg 1999 (DVU 5,9%) hielten die Diskussion in der Öffentlichkeit lebendig.

 

Christoph Butterwegge bescheinigt der deutschen Sozialwissenschaft nach 1945 eine nur konjunkturelle Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand „Rechtsextremismus“. Er sieht aber an den Diskussionen in den letzten Jahren aus wissenschaftlicher Sicht, daß „während der letzten Jahre eine interessantere Diskussion über Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt geführt wird, als es sie hierzulande je nach 1945 gab“.[7] Die Vielfalt von Untersuchungen und Erklärungsansätzen nach 1990 lassen das Forschungsgebiet heute sehr unübersichtlich erscheinen und daher ist es notwendig, eine für den Rahmen einer Magisterarbeit sinnvolle Eingrenzung und Zentrierung des Forschungsgegenstandes zu leisten.

 

Zur Systematisierung der Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen bediene ich mich in dieser Arbeit einer historischen und vergleichenden Methode. Zwei relevante Zeitabschnitte mit jeweils unterschiedlichen pädagogischen und theoretischen Ansätzen sind zu untersuchen:

 

1. Erstens die „antifaschistische Pädagogik“ vom Ende der siebziger Jahre bis zum Ende der achtziger Jahre. Herausragende Beispiele hierfür sind u.a. die Gedenkstättenpädagogik und antifaschistische Stadtrundfahrten.

2. Diese löste ein Jahrzehnt der Dominanz der „akzeptierenden Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“ ab, mit dem theoretischen Überbau der „Bielefelder Schule“ um Wilhelm Heitmeyer, die eine „Individualisierungs- und Modernisierungsthese“ als Grund für rechtsextremistische und fremdenfeindliche Einstellungen bei Jugendlichen vertritt.

 

Den Schwerpunkt in der historischen Darstellung lege ich auf das Jahrzehnt der akzeptierenden Jugendarbeit. Zur Zeit befinden wir uns erneut in einem Paradigmenwechsel in der Sozialwissenschaft und der Pädagogik. Projekte, die die Entwicklung der „Zivilgesellschaft“ in den Kommunen fördern sollen und eine Theorie für eine Erziehung zur demokratischen Werten und kultureller Vielfalt lösen die „akzeptierende Jugendarbeit mit Jugendlichen in rechten Jugendcliquen“ ab, und die „Individualisierungs- und Modernisierungsthese“ von Wilhelm Heitmeyer in der Sozialwissenschaft als bestimmendes Erklärungsmodell ist abgelöst worden.

 

Die Fragestellungen, unter denen die Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen untersucht werden, gliedern sich wie folgt:

 

1. Welche Erklärung für die jeweils gegenwärtige gesellschaftliche Situation dominierte in der Sozialwissenschaft und in der Öffentlichkeit, die natürlich auch das gesellschaftliche Umfeld und die Strategie der Rechtsextremisten berücksichtigen muß.

2. Welche Akteure handelten mit welcher Methode für welche Zielgruppe gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus?

3. Welche Kritik wurde an der Handlungsstrategie geübt und was führte zu ihrer Ablösung?

 

Am Ende meiner Arbeit setze ich mich dann damit auseinander, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser historischen und vergleichenden Perspektive für eine heutige Handlungsstrategie ziehen lassen und folge meiner These, daß in den dargestellten gesellschaftlichen Situationsanalysen wichtige Faktoren ausgeblendet wurden, deren Berücksichtigung aber für eine adäquate Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg notwendig sind.

 

Die Eingrenzung auf Berlin und Brandenburg bezieht sich im Wesentlichen auf die Darstellung empirischer Untersuchungen und der Darstellung von Beispielprojekten, wie z.B. das Handlungskonzept für ein „Tolerantes Brandenburg“.

 

Häufig verwende ich in den Kapiteln, die die gesellschaftliche Situation und die Empirie betreffen, Datenmaterial des Bundesinnenministeriums über erfaßte rechtsextremistische und fremdenfeindliche Straftaten, da andere Materialien darüber nicht vorliegen. Dies bringt folgende Schwierigkeit mit sich: „Problematisch dabei ist vor allem die offensichtliche Zunahme der Dunkelziffern. Insofern ist der offiziellen Statistik tendenziell misstrauisch zu begegnen, wenngleich sie relativ exakt erhoben sind.“[8] Nicht alle rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten, insbesondere Gewalttaten, werden von den Opfern angezeigt. Wagner und seine Mitarbeiter haben in einer Studie für Leipzig-Grünau errechnet, daß auf eine angezeigte Gewalttat zwölf nicht angezeigte Gewaltstraftaten kommen.[9] Einen weiteren Beleg für eine hohe Dunkelziffer liefert „Der Tagesspiegel“. Die Tageszeitung meldete am 17.1.2001 einen Anstieg der erfassten rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Straftaten: 1999 waren es 10037, im Jahr 2000 rund 14000. Auch die erfassten Gewalttaten stiegen um rund einhundert auf 840.[10] Dies wird so erklärt, „(...) daß die Sensibilität der Behörden und die Bereitschaft der Bürger gestiegen sei, solche Delikte den Strafverfolgungsbehörden zu melden“[11]. 

 

2. Begriffsklärung

 

Im meinem Vorwort erwähnte ich die Vielzahl von Untersuchungen nach 1990 zu dem Themenkomplex „Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ bei Jugendlichen. Dort werden aber unterschiedliche Begriffe für die Beschreibung der gesellschaftlichen Phänomene „Ausländerfeindlichkeit“, „Rassismus“, „Rechtsextremismus“ und einer seiner Dimensionen, der „Fremdenfeindlichkeit“ bei Jugendlichen herangezogen. Diese zentralen Begriffe, um die in den Jahrzehnten nach 1945 in der Bundesrepublik viele Debatten kreisten und die im allgemeinen Sprachgebrauch häufig unscharf unterschieden werden, möchte ich an dieser Stelle zunächst voneinander abgrenzen.

 

2.1. Ausländerfeindlichkeit

 

Das Wort „Ausländerfeindlichkeit“ hat seinen Ursprung in den ersten Ressentiments in den sechziger Jahren gegen die seit 1955 von der damaligen (alt-) bundesrepublikanischen Regierung angeworbenen „Gastarbeiter“ aus Südeuropa. Diesen Terminus „Ausländerfeindlichkeit“ gibt es sonst nirgends auf der Welt und er brachte mit sich, daß die Frage nach der Kontinuität des rassistischen Denkens und Handelns in Bezug auf den nationalsozialistischen Antisemitismus nicht gestellt wurde. Die Juden in Deutschland waren ja Deutsche und keine Ausländer.[12]

 

Fachwissenschaftler und Antifaschisten meiden dieses Wort. Die aus meiner Sicht schärfste und treffendste Kritik an ihm ist die, daß nicht gegen alle Ausländer und „nur“ Ausländer Ressentiments bestehen. „Schweizer Bankiers, Skandinavier und weiße US-Amerikaner leiden nicht darunter“[13], und umgekehrt nutzt es dem jungen Kurden oder Farbigen überhaupt nichts, wenn er von Geburt an „Deutscher“ ist. Die Unklarheit des Begriffes verdeutlichen auch zwei unterschiedliche Definitionen:

 

1. Ausländerfeindlichkeit kann einerseits jede Weigerung sein, den Ausländern diejenigen Rechte einzuräumen, die Inländern zustehen, solange sie nicht die bisher geltende Inländeridentität übernommen haben.[14]

2. Als Ausländerfeindlichkeit sind jene ablehnenden Einstellungen und Verhaltensweisen zu bezeichnen, die Menschen wegen anderer Herkunft, Sprache, Religion oder Kultur diskriminieren; sie geht von der Überlegenheit und Höherwertigkeit der Einheimischen und der gerechten Unterordnung der den „Ausländern“ zugeordneten Menschen aus.[15]

 

Der Begriff „Ausländerfeindlichkeit“ wurde in den letzten Jahren folgerichtig in der öffentlichen Diskussion durch den der „Fremdenfeindlichkeit“ abgelöst. Viele Aktionsbündnisse gegen rechte Gewalt wenden sich in ihrem Namen „gegen Fremdenfeindlichkeit“ und „für Toleranz“. Stellvertretend hierfür steht das „Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“.

 

2.2. Fremdenfeindlichkeit, Xenophobie und Ehnozentrismus

 

Was verbirgt sich aber hinter dem Begriff der Fremdenfeindlichkeit? Sprachgeschichtlich hat er seine Parallele im altgriechischen Wort „Xenophobie“. „Xenos“ wird dort als Bezeichnung für den „Fremden“, aber auch den Gast verwendet. In der wissenschaftlichen Diskussion wird die altgriechische Variante des Begriffs „Xenophobie“ zuvorderst von Anthropologen, Ethnologen und Soziobiologen verwendet, um Menschen eine angeborene Abwehrhaltung gegenüber Zuwanderern zuzuschreiben. Neben der Gleichsetzung mit Erscheinungen im Tierreich dominieren hier evolutionsgeschichtliche Deutungen, daß es sich um ein Residuum aus jener Zeit handle, zu der es – schon mangels geeigneter Vorratshaltung – wenig Möglichkeiten gab, Gäste aufzunehmen und zu bewirten.

 

In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der „Ethnien“ und des „Ethnozentrismus“ wichtig. Unter „Ethnien“ bzw. „ethnischen Gruppen“ wird in der Regel ein größeres Kollektiv von Menschen verstanden, „(...) die wesentliche Elemente der Lebensführung (Sprache, Sozialpraktiken, Mentalität, Weltbilder) bewusst miteinander teilen und diese Tatsache auch auf eine gemeinsame Abstammung zurückführen“.[16]

 

Die Kritik an solchen Definitionen der Begriffe Xenophobie und Ethnozentrismus im Zusammenhang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ist die Ausblendung der ökonomischen und politischen Hintergründe von sozialen Konflikten seitens vieler Ethnologen und Soziobiologen. Eine sinnvolle und notwendige Erweiterung erfährt der Begriff des Ethnozentrismus mit der Einbeziehung dieser Kategorien: „Eine Ethnisierung des Politischen ist dann zu erwarten, wenn staatliche Güter entlang ethnischer Linien ungleich verteilt und deshalb politische Loyalitätsverbände auf der Basis ethnischen Gemeinsamkeitsglaubens organisiert werden.“[17] Wichtiger als die behauptete Natur des Menschen, seine genetische Ausstattung, seine Triebregungen und Instinkte, so meinen die Kritiker, ist sein soziales Umfeld. Dazu gehören die Produktionsverhältnisse, Arbeits- und Existenzbedingungen, (Aus-)Bildungsmöglichkeiten und die politische Kultur des Landes, in dem das Individuum mit „Fremden“ lebt. Zusammengefasst ist für mich eine folgende Begriffsverwendung akzeptabel:

 

Ethnozentrismus in der sozialwissenschaftlichen Diskussion beschreibt eine Haltung, die andere ethnische Gruppen für minderwertig gegenüber der eigenen Gruppe erklärt, ihre Lebensformen und Handlungsweisen jedoch nicht als natürliche, genetisch festgelegte Folgen der Abstammung, sondern unter entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen für veränderbar hält.[18]

 

Der Begriff der „Fremdenfeindlichkeit“ wird zur Zeit in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte in Deutschland über die Diskriminierungen gegen Obdachlose, Ausländer, Andersfarbige, Linke, Fremde u.a. durch Rechtsextremisten am häufigsten verwendet. Das „Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ bedient sich beispielsweise nicht nur im Namen dieses Begriffes, sondern er hat auch in der gesellschaftlichen Situationsanalyse eine hohe Relevanz. Im Handlungskonzept der Brandenburgischen Landesregierung „Tolerantes Brandenburg“ heißt es: “Opfer von Gewalt und Ausgrenzung werden vor allem ‚Fremde’, hauptsächlich Ausländer; der Fremde kann aber auch jemand aus einer anderen Region sein, und ‚Fremdes’ kann alles sein, was ‚anders’ ist.“[19] Die Attraktivität des Begriffes Fremdenfeindlichkeit erklärt sich dadurch, daß sich mit ihm die konkret von Diskriminierungen betroffenen Gruppen unter einem recht unkonkreten Sammelbegriff subsumieren lassen. Dies ist in der wissenschaftlichen Debatte zwar eine relevante Schwäche, aber um gesellschaftliche Verhältnisse zu benennen, gibt es zur Zeit zu diesem Begriff wenig Alternativen. Dies gilt ebenso für den wissenschaftlichen Diskurs, wo der Gebrauch des Wortes verteidigt wird: „Im Falle des Ethnozentrismus und Rechtsextremismus handelt es sich immer um Fremdenfeindlichkeit. (...) Fremdenfeindlichkeit ist Kern und Ausgangspunkt sowohl von Ethnozentrismus und Rechtsextremismus wie von Rassismus.“[20]

 

Eine sinnvolle Vertiefung des Begriffes der Fremdenfeindlichkeit differenziert diesen in folgende drei Varianten:

 

1) die „ethnisch motivierte Fremdenfeindlichkeit“, die fremde Volksgruppen diskriminiert, ohne ihre Eigenschaften grundsätzlich abzuwerten;

2) die „sozioökonomisch motivierte Fremdenfeindlichkeit“, die Mitglieder fremder Volksgruppen im eigenen Land nicht prinzipiell diskriminiert, ihnen aber die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand vorenthalten will;

3) die „rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit“, die die Eigenschaften fremder Volksgruppen als minderwertig erklärt.[21]

 

2.3. Rassismus

 

Der in Deutschland bis in die neunziger Jahre hinein in der Wissenschaft wenig gebräuchliche Terminus „Rassismus“ zur Beschreibung entsprechender gesellschaftlicher Phänomene hat in den letzten Jahren in der öffentlichen Diskussion an Reputation gewonnen. International wird der Begriff von einer Mehrzahl der Wissenschaftler nicht auf ein Vorurteil reduziert, also auf ein Verhalten von Individuen, sondern als ein gesellschaftliches Verhältnis begriffen, das im Zusammenwirken mit Geschlechter- und Klassenverhältnissen zu untersuchen ist.