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Nach dem Studium begann für den Autor Hans Hüfner am 1. November 1954 seine Tätigkeit als Hochbauprojektant in einem volkseigenen Projektierungsbüro. Fast 37 Jahre hat er damit zugebracht, am laufenden Bande Bauprojekte der verschiedensten Art zu produzieren. Wie er konstatierte, wäre nichts dabei, was für wert befunden wurde, in die Geschichte der Baukunst einzugehen. Trotz aller technischen und sonstigen Probleme bemühte man sich, die Projekte nicht nur für den Papierkorb zu erarbeiten. Auch mit berechtigter Kritik wurde nicht gespart, frei nach dem Motto: »Arbeite mit, plane mit, regiere mit«, aber das hatte offenbar auf dieser Mitarbeiterebene keine Gültigkeit. Trotzdem mochte er diese Zeit nicht missen, die er nicht nur von Berufs wegen in einem »Kollektiv der Sozialistischen Arbeit« zugebracht hat. Dieses »Kollektiv« bestimmte und gestaltete auch zu einem wesentlichen Teil seine Freizeit. »Betriebliches, Betrübliches und weniger Betrübliches«, ganz auf freiwilliger Basis. Er meinte: »und mit der Stasi hatte es auch nichts zu tun.« Basis seiner Erlebnisse sind Tagebuch- und Kalenderaufzeichnungen. Zahlreiche Fotos runden die humorvoll geschriebenen zeitgeschichtlichen Berichte ab.
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Seitenzahl: 131
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Zum Autor:
Hans Hüfner (1926-2009) wurde in der Kleinstadt Groitzsch südlich von Leipzig geboren. Der Krieg unterbrach seine Schulzeit auf St. Augustin zu Grimma/Sachsen, denn die Schüler des Jahrganges 1926 gehörten zu jenen jungen Menschen, welche ab Februar 1943 als Luftwaffenhelfer für den „Flak-Dienst“ der Leuna-Werke eingesetzt wurden. Ein sich anschließender „Reichsarbeitsdienst“ (RAD) führte ihn nach Ostpreußen. Offensichtlich gehörte es zum ungeschriebenen Gesetz, sich als Schüler einer höheren Schule zur Ausbildung als Reserveoffizier zu melden. Mein Vater absolvierte ab Juni 1944 seine Ausbildung beim Regiment der Hoch- und Deutschmeister in Brünn. Nach Marschbefehl verließ er am 2. April 1945 seinen Standort Znaim und kam nach vielen Wegen und Umwegen schließlich am 12. Mai 1945 in seiner Heimatstadt Groitzsch an. Dort erlernte er bei der Firma Sebastian das Maurerhandwerk, welches er mit der Gesellenprüfung im März 1947 abschloss. An Arbeit mangelte es durch die vielen Kriegszerstörungen nicht. Ab dem Wintersemester 1948/49 studierte Hans Hüfner Architektur an der Technischen Hochschule in Dresden. Nach Beendigung des Studiums 1954 arbeitete er bis 1991 als Architekt in Dresden. Seine Beobachtungen und Eindrücke basieren auf über viele Jahrzehnte geführte Kalender- und Tagebuchaufzeichnungen sowie zahlreichen Briefen.
Hans Hüfner
Claudia Stosik (Hg.)
Aller Anfang ist schwer...
ARCHITEKT ist er geworden
Zeitgeschichte der Jahre 1954 bis 1989
Engelsdorfer Verlag Leipzig 2020
Titelbild:
Der Autor auf seiner Arbeitsstelle in Pirna 1955
Ruinenausbau in Dresden-Neustadt 1956
Zur Herausgeberin:
Claudia Stosik, geb. 1961 in Dresden, Tochter von Hans Hüfner, Studium der Geschichte, Kulturwissenschaften und Literatur an der staatlichen Fernuniversität Hagen. Masterarbeit über die Schulklasse ihres Vaters: „Die Kriegsjahre 1943-1944 und die Fürstenschüler von St. Augustin zu Grimma – Schuljahrgang 1939-1945“
Veröffentlichungen:
•Beitrag beim Ideenwettbewerb der Deutschen Gesellschaft e.V., Werte und Wertewandel, Berlin 2012
•Schicksale im Ersten Weltkrieg – Erinnerung und Gedenken an Menschen in Dresden-Pieschen, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2016
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/DE/Home/home_node.html abrufbar.
Copyright (2020) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Herausgeberin
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Zum Autor
Titel
Impressum
VORBEMERKUNG
Abschied von unserer Studentenzeit
Historisches zu Mutter Ungers Weinstuben
Rückblick aufs Studium
BERUFSLEBEN TEIL 1: 1954 bis 1967
Der Lattenzaun
Zweigstelle Pirna im Entwurfsbüro f. Hochbau Dresden II
Fahrradtour zur Arbeitsstelle
Aller Anfang ist schwer
Kleiderordnung
Kolleginnen und Kollegen
Der Vorgesetzte
Motorisiert
Ein Architekt auf der ersten Stufe seiner Karriere
Das erste Projekt – ein Wohnhaus in Gottleuba
Ruinenausbau in Dresden-Neustadt
Der 1. Mai 1955
Blaufahrt Mai 1955
Fahrt nach Hannover und Hildesheim 1955
Ingenieurpädagogik
Bewerbung als Stadtplaner in Rostock
Sozialgebäude für die Malzfabrik in Schöna
BRIGADE V für LANDWIRTSCHAFTLICHES BAUEN im Entwurfsbüro für Hochbau Dresden II
Versetzung nach Dresden
Die Bezeichnung Brigade
Die neue Arbeitsstelle
750-Jahrfeier der Stadt Dresden
Bauten der Landwirtschaft
Institut für Gartenbau Dresden-Pillnitz
VEB Maschinenfabrik und Eisengießerei Schmiedeberg
Gärtnereiprojekte
Der 1. Mai 1957
Brigade der Bergsteiger
Gasthof Raum
Die Baracke in der Altenzeller Straße
Die gleiche Arbeitsstelle – aber Neuzuordnung
Das Gebäude Tannenstraße 4
BERUFSLEBEN TEIL 2: 1968 bis 1989
Gehaltsüberprüfung
Das Landbaukombinat
Das Betriebsgebäude
Das Brigadetagebuch
Besuch der „agra 1969“
20-jähriges Betriebsjubiläum November 1974
30. Jahrestag der Gründung der DDR
Die Produktionstechnologie im neuen Betriebsgebäude
Froschperspektive
Pioniertreffen 1982
Kollektiv der Sozialistischen Arbeit
Der betriebliche Alltag in ausgewählten Episoden
Sozialistischer Wettbewerb
Nebenarbeit
KULTUR UND BILDUNG der BRIGADE DRESDEN
Die zweite Seite der Medaille
Fotowettbewerbe
Besichtigung des Stadtmodells – August 1969
Brigade-Exkursion nach Görlitz und Bautzen
Besichtigung des Kulturpalastes – Februar 1970
Betriebsferienheime
Besuch der Kunstausstellung in Dresden
Eröffnung der Semperoper im Februar 1985
Beitrag des Autors zum Frauentag 1987
Abteilungsexkursion Berlin 1988
DAS THEMA „SCHLACHTHOF“
Richtfest Verarbeitungsbetrieb
Abschließende Gedanken zum Verarbeitungsbetrieb
Fazit als Architekt
NACHBEMERKUNG
Zusatz der Herausgeberin
Literatur, Zeitungen/ Internet
Quellen
Bildnachweise
Abkürzungsverzeichnis
Anhang
Endnoten
Auch für diesen zweiten Teil1 meiner beruflichen Ausbildung und Karriere gilt:
In erster Linie lasse ich die Fakten sprechen und verzichte weitgehend auf die Wiedergabe meiner Gedanken, die mich bewegt haben könnten als sich die betreffenden Ereignisse ereigneten, denn vermutlich ist das, was ich meine, vor Jahrzehnten gedacht zu haben, doch mehr oder weniger von der gegenwärtigen Sicht auf diese Ereignisse geprägt und damit nicht authentisch.
Hans Hüfner
Dresden, im Februar 2001
Als Abschluss und gleichzeitig Anfang für den Start ins Berufsleben soll an dieser Stelle ein kleines Gedicht den Auftakt machen.
Eintragung in Mutter Unger’s Gästebuch
Wir woll’n nicht zur Studentenzeit
uns säbelschwingend raufen -
und war’n auch selten noch bereit
nach Takt und Drill zu saufen.
Wenn wir mal hier zum Stammtisch geh’n,
nennt man’s nicht „Pflicht der Kneipe“.
Und wer sich selten nur ließ seh’n,
dem sagt man nur: „Er bleibe!“
So fand sich oft die frohe Schar
in Mutter Ungers Klause,
und weil’s gemütlich immer war,
ging keiner gern nach Hause.
Ist auch vorbei die schöne Zeit,
da hier nur Wein geflossen,
wir haben voll Bescheidenheit
auch gern das Bier genossen.
Die Gläser – ach – die sind bei uns
nur dann und wann zum Naschen.
Wer einmal richtig trinken will,
der trinkt gleich aus den Flaschen.
Beachtlich war stets die Batt’rie,
die leer wir hinterlassen.
Doch kam es vor bei uns wohl nie,
daß einer tat erblassen.
Das Bier beflügelt Geist und Blut,
Stoffwechsel auch und Zungen.
Drum hab’n wir voller Übermut
gepinkelt und gesungen.
Doch war’n wir oft auch allzu froh,
hat unser Lärm noch stets Niveau.
So woll’n wir heute Rückschau halten,
weil bald’s Semester-Dutzend voll,
und der Dekan schon uns, den Alten,
zeigt offen seinen Zorn und Groll.
Wer uns verweist auf jene Kücken,
die gerade frisch „matrikuliert“,
den kann man spöttisch an nur blicken:
Wir haben schließlich a u c h studiert!
Laßt sie nur fleißig anmarschieren,
ein Hörsaal faßt 800 Mann,
und einer tut die Liste führen,
der kreuzelt jeden stündlich an.
Mal seh’n, ob die am Ende schlauer
und eher fertig sind als wir,
wenn nie sie streiften eine Mauer
belebt von Mutter Ungers Bier.
Ach, dies Kolleg macht uns Verdruß.
Drum, kurz gefaßt, nun noch den Schluß:
Jetzt sind wir Diplomierende,
– so wollen wir’s beenden –
nach uns sind nur Studierende,
wir aber war’n Studenten!
Dresden, April 1954 – Dipl. Ing. Georg Brückner
***
Im Jahre 1835 eröffnete der Böttchermeister Unger eine Weinstube. Ehemals baute er die Weinfässer für die Loschwitzer Winzer – bis die Reblaus kam und dies auch Auswirkungen auf sein Handwerk hatte. Aus der Not der Winzer, die oftmals ihre Bezahlung in Wein tätigten, beantragte er für sich eine amtliche Schankgenehmigung. Findig wie er war, baute er seine zwei Giebelhäuschen2 zu einem kleinen Lokal um. Die Weinstuben fanden ihren Platz in seinen Wohnräumen, welche sich nach und nach zu Gasträumen entwickelten. Viel Platz boten die Räume nicht, so ungefähr 30 bis 40 Plätze, auch die Raumhöhe war sehr niedrig und die Fenster klein. Aber es war urgemütlich und dafür sorgte auch die „Mutter Unger“, die der Gaststätte den Namen verlieh. Im Jahr 1970 endete mit der letzten Wirtin von Mutter Unger der Schankbetrieb und die Weinstube schloss für immer ihre Pforten.3 Aber der Name hat an Bekanntheitsgrad bis heute nichts verloren. Und die beiden Häuschen stehen auch noch, wenn schon nicht mehr mit gemütlich beisammen sitzenden Wein trinkenden Gästen, dann zumindest noch als Erinnerung dienend für manch ehemaligen Studenten, obwohl diese Generation inzwischen hochbetagt sein müsste.
Mutter Ungers Weinstuben – hier im Jahr 1948
Im Oktober 1954 hatte ich nach sechsjährigem Studium, nach zwölf Semestern, die Diplom-Prüfung in der Fachrichtung Architektur an der Technischen Hochschule Dresden abgelegt. Seitdem durfte ich mich Dipl.-Ing. nennen und auch die Berufsbezeichnung „Architekt“ führen.
Unsere Ausbildung an der TH Dresden war realitätsbezogen und technisch fundiert, aber was die „Architektur“ im engeren Sinne betrifft, wurde ich während des Studiums nie dazu ermutigt, den üblichen, biederen Rahmen zu verlassen. Das wurde auch dadurch erschwert, dass zu Beginn der fünfziger Jahre das offizielle Bauen „nationalen Traditionen“ folgend, seinen Höhepunkt erreichte. Von den angehenden Architekten wurde das zwar strikt abgelehnt, aber weil es offiziell dazu keine Alternative gab, blieben wir, blieb auch ich, mit meinen Übungsentwürfen ziemlich orientierungslos stecken. Ich war mir dessen bewusst, denn ich habe meine Belegarbeiten einschließlich der kostbaren Mappen, worin sie verpackt waren, nach Abschluss des Studiums nicht wieder abgeholt. Ich wollte sie nie wieder sehen.
***
Wegen seines außergewöhnlichen Schicksals hat ihm Christian Morgenstern in seinen „Galgenliedern“ ein Denkmal gesetzt.
Mir war es nicht vergönnt, Gegenstand literarischer Betrachtungen zu werden, weil mir Gleiches in diesem Maße nicht widerfuhr. Dennoch sind gewisse Gemeinsamkeiten unverkennbar.
„Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da“.
Ich, auch ein solcher, aber mit weit weniger spektakulärem Auftritt, welcher, siehe weiter unten, auf geordnete Weise im Sinne des seinerzeit geltenden Arbeitsrechtes und nach Vorlage eines Dokumentes über die bestandene Diplomprüfung an der Architekturabteilung der Technischen Hochschule Dresden, erfolgte. „Und baute draus ein großes Haus“, ich, in Ermangelung der Zwischenräume, aus standardisierten Fertigteilen, was insofern ohne Bedeutung blieb, weil der aus den unterschiedlichsten Bauweisen resultierende Anblick, in beiden Fällen „grässlich und gemein“, dem Senat Anlass zum Einzug bot. „Der Architekt jedoch entfloh“, ich blieb hier und wurde auf andere Weise abgestraft.
Es war einmal ein Lattenzaun
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun,
Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –
Und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.
Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum.
Ein Anblick grässlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.
Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri- od- Ameriko.4
***
Wie schon erwähnt, war das Studium nach zwölf Semestern beendet. Da ich über keinerlei finanzielle Reserven verfügte, sah ich mich schon aus diesem Grunde genötigt, mich ganz schnell nach einer Arbeitsstelle umzusehen. Ich wollte gern in Dresden bleiben, andere wollten das auch, weshalb die Nachfrage nach offenen Stellen größer war als das Angebot. Ich fand es deshalb weniger betrüblich, dass ich am 1. November 1954 meine berufliche Laufbahn in Pirna beginnen sollte. Dort befand sich eine Zweigstelle des „Entwurfsbüro für Hochbau Dresden II des Rates des Bezirkes Dresden“, und von Dresden aus gesehen liegt Pirna nicht aus der Welt, so dass ich alten Gewohnheiten folgend und so lange wie es das Wetter zuließ, mit dem Fahrrad meine Arbeitsstelle erreichen konnte. Das war eine sportliche Alternative zur Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, die außerdem Unabhängigkeit vom Fahrplan verhieß und sogar einen beträchtlichen Zeitgewinn.
***
Von meiner Wohnung aus, in Gruna an der Hepkestraße gelegen, fuhr ich täglich über Seidnitz, Dobritz, Leuben und Sporbitz zunächst nach Heidenau und von dort aus auf der F 172 nach Pirna, wo sich in der Rottwerndorfer Straße, bereits wieder etwas außerhalb, meine Arbeitsstelle befand. Heute möchte man das wegen der damit verbundenen Gefährdungen für Leib und Leben nicht mehr auf sich nehmen. Jedoch im Jahre 1954 war die Verkehrsdichte noch keine solche, auch die Luftverschmutzung durch Kfz-Abgase hatte demzufolge noch längst nicht die heutzutage üblichen und bedrohlichen Konzentrationen erreicht. Die mit großformatigem Kopfsteinpflaster befestigen Abschnitte meines Arbeitsweges zwischen Leuben und Heidenau hatte ich als gegeben hinzunehmen. Mit Vollgummibereifung hätte ich hier nicht fahren mögen, aber im Jahr 1954 war das ja auch kein Thema mehr. Mit anderen Worten: Es gab keine Probleme mit meinem individuellen Personenbeförderungssystem. Nur ein einziges Mal musste ich kapitulieren. Trotz Glatteis und in Verkennung der damit verbundenen Gefahren, hatte ich mich frühmorgens in den Sattel geschwungen, musste aber nach einigen Stürzen kapitulieren und in Niedersedlitz auf die Eisenbahn umsteigen.
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Ein Brief an die Eltern vom 4. November 1954:
„Nachdem ich vorige Woche wieder in Dresden gelandet bin, erfuhr ich, daß ich nun doch nach Pirna fahren muß. Als ich mich in der Hochschule abmeldete und meine Sachen ausräumte, war mir doch etwas eigenartig zumute, denn die schöne Studentenzeit war damit unwiderruflich zu Ende. Aber es nützt alles nichts, man muß und wird sich hoffentlich daran gewöhnen, daß man seine Zeit nicht so einteilen kann wie man gern möchte, sondern daß man jeden Tag 8 Stunden im Büro sitzen muß. Dreimal acht Stunden habe ich nun schon abgebrummt. Am Montag früh 7 Uhr begann der Ernst des Lebens. Soweit ich bisher urteilen kann, habe ich es mit meiner Arbeitsstelle nicht am schlechtesten getroffen. Natürlich muß ich mich erst einarbeiten und noch einmal viel dazu lernen. Es ist ja nicht damit getan, daß man irgendetwas entwirft, sondern man muß auch den damit verbundenen ziemlich umfangreichen Papierkrieg mit erledigen, und das ist für mich etwas ganz Neues. In der Schule haben wir ja in dieser Beziehung überhaupt nichts gelernt. […] Nur wenn früh ½ 6 der Wecker klingelt, verspüre ich nicht die geringste Lust, mich aus meinen Federn zu erheben, denn nach wie vor wird es jeden Tag ziemlich spät bis ich ins Bett komme. So, das wäre mein erster Bericht. Hoffentlich muß ich Euch das nächste Mal nicht schreiben, daß ich inzwischen meine erste Pleite erlebt habe. Aber das gehört nun mal mit dazu, wenn man neu beginnt.“
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Mein Anfangsgehalt betrug 605 DM, netto waren das 451 DM. Das entsprach einer Gehaltsgruppe, in die gemäß den Tarifen für das ingenieurtechnische Personal der Bauindustrie Hochschulabsolventen eingestuft wurden. Große Sprünge konnte man damit nicht machen. Zu meinen ersten Anschaffungen gehörte ein Vergrößerungsgerät zur Vervollständigung meiner fotografischen Ausrüstung, obwohl es nötig gewesen wäre, mich erst einmal standesgemäß einzukleiden. Aber meine Arbeit in Pirna war nicht mit repräsentativen Aufgaben verbunden, und überhaupt gab es in den Büros und Amtsstuben keine derartigen Zwänge, so dass ich die bestehende Notwendigkeit ignorieren konnte. Als ich dann doch eines Tages aus einem besonderen Anlass erstmals mit Anzug und Krawatte und was weiß ich, womit ich noch angetan war, im Büro erschien, erregte das derartiges Aufsehen, dass mich der Chefarchitekt überschwänglich mit den Worten begrüßte:
„Sind Sie’s oder sind Sie’s nicht, Kollege Hüfner, Sie tragen ja heute ein Sakko“.
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In Pirna begann für mich nicht wieder einmal, sondern nun unwiderruflich und endgültig der Ernst des Lebens. Mit zwiespältigen Gefühlen war ich am 1. November an meiner Arbeitsstelle an- und damit in das Berufsleben eingetreten. Zwar mit dem Diplom in der Tasche, aber ohne Berufspraxis, auf einem schäbigen Fahrrad und in abgetragenen Klamotten, hatte ich mich darauf eingestellt, mit Zurückhaltung und Skepsis aufgenommen zu werden. Aber meine Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Bereits nach kurzer Zeit war ich voll integriert. Mit den älteren Kollegen gab es keinerlei Verständigungsprobleme, und auch die jüngeren nahmen mich vorbehaltlos in ihre als „Club der Junggesellen“ deklarierte Gemeinschaft auf, der auch weibliche „Junggesellen“ angehörten.
Nach Ablauf eines verschlüsselten Testprogramms hatten sie herausgefunden, dass sie in politischer Hinsicht von mir nichts zu befürchten hätten. Heinz A. war das ungekrönte Haupt dieses „Clubs der Junggesellen“. Er litt unter dem Komplex, nicht schön genug zu sein für diese Welt, welchen er abzubauen versuchte, indem er den damals aktuellen Schlager, „Ein Mann muss nicht immer schön sein“, als Argument einsetzte, wenn er meinte, das nötig zu haben.
Mittagspause im Garten unseres Bürohauses in der Mühlenstraße in Pirna
Das Betriebsklima in der Zweigstelle Pirna und darüber hinaus in vielen Betrieben der DDR war kollegial, locker, auf jeden Fall aber erträglich. Selbstverständlich gab es auch andere Beispiele, aber einen einheitlich grau eingefärbten Alltag gab es nicht.
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