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Die Kommunikation zwischen Ost und West fand trotz erschwerter Bedingungen auf unterschiedliche Weise statt. Gegenseitige Besuche wären natürlich das Optimale gewesen, aber lange Zeit war das für die meisten Familien nicht möglich. Nach 1961 war nichts mehr einfach. Das Hauptaugenmerk dieser Publikation richtet sich auf die Zeit ab dem Berliner Mauerbau. Ein wichtiger Teil der Kommunikation zwischen den Verwandten und Freunden stellten die Briefverbindungen dar. Aber wer hat heute noch die Briefe und Postkarten aus vergangener Zeit aufbewahrt? Persönliche Meinungen und Ansichten der Menschen, welche diese Zeit erlebt haben, erinnern an das Trennende und Verbindende, wobei der Unterhaltungswert nicht zu kurz kommt. Zahlreiche Abbildungen ergänzen die teils nachdenklichen, manchmal hoffnungslosen, jedoch oft auch humorvollen Mitteilungen.
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Seitenzahl: 206
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Claudia Stosik
Kommunikation
im
GETEILTEN DEUTSCHLAND
Briefwechsel, Westpakete, Besuchsreisen …. auf gleichwertiger Ebene?
Engelsdorfer Verlag
Leipzig 2023
Titelbild:
Potsdamer Platz 1986: Blick über die Mauer nach Ostberlin
Zur Autorin:
Claudia Stosik, geb. 1961 in Dresden, Studium der Geschichte und Kulturwissenschaften an der staatlichen Fernuniversität Hagen. Masterarbeit über die Schulklasse ihres Vaters: „Die Kriegsjahre 1943-1944 und die Fürstenschüler von St. Augustin zu Grimma – Schuljahrgang 1939-1945“
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Copyright (2023) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Vorbemerkung
Zusammenfassendes zur Entscheidung der Teilung Deutschlands
Gründung der DDR
Reiseverkehr vor und nach Gründung der DDR
Das geteilte Deutschland in den 1950er Jahren
Weihnachten 1952
Der 17. Juni 1953 – Volksaufstand
Besuch im Westen
Aufenthaltsgenehmigung für Bundesbürger
Einreisegenehmigung für DDR-Bürger
Besuche von DDR-Bürgern in der BRD
Rentner auf Besuch in der BRD
Eindrücke vom Besuch im Westen
Schlaraffenland
Besuche von Nichtrentnern in der BRD
Wiedersehen nach langer Zeit
Übersiedlung von DDR-Bürgern in die BRD
Erinnerungen an die alte Heimat
Besuche von BRD-Bürgern in der DDR
Kein Interesse für Besuch in der DDR
Mindestumtausch
Besuch in der geteilten Stadt Berlin
Familientreffen Ost und West
Familientreffen außerhalb Deutschlands
Grenze
Grenzerfahrungen
Sperrgebiete
Waren von West nach Ost und umgekehrt
Westpakete
Kaffee
Obst
Weihnachtspakete von der Familie
Pakete auf Umwegen
Kleidung
Stoffreste und Stoffe
Verschiedene Kleidung – Schuhe und Strümpfe
Lederjacken
Anzug aus englischem Tuch
Die Kalendergeschichte
Verschwundene Pakete
Wünsche
Markenware
Dankbarkeit
Ostpakete
Handarbeiten und Kunsthandwerk
Praktisches für den Haushalt
Briefpapier
Stollenpakete nach „drüben“
Kleinmöbel
Briefe von Ost nach West
Ausflug nach Kipsdorf im Erzgebirge
Urlaub in Rathewalde in der Sächsischen Schweiz
Grüße aus dem Thüringer Wald
Langer Dienst
Ausflug nach Dresden
Urlaubskarte aus der Sowjetunion
Sonstige Themen
Briefe von West nach Ost
Über das Wetter
Über den Urlaub
Hochzeitsgeschenk
Westgeld und verschwundene Briefe
Briefe – langer Postweg
Sonstige Themen
Über die politischen Entwicklungen
Das Jahr
Briefe von Ost nach Ost
Ostern – Absage Westbesuch
Schreibfaulheit
Die neue Freiheit
Intershop
Telefonate
Nachbemerkung
Literatur und Quellen
Internet
Bildnachweise
Personen
Anhang
Die Kommunikation zwischen Ost und West fand trotz erschwerter Bedingungen auf vielfältige Weise statt. Gegenseitige Besuche wären natürlich das Optimale gewesen, aber lange Zeit war das für die meisten Familien nicht möglich, zumindest nicht für die Menschen, welche noch nicht das Rentenalter erreicht hatten. Vor dem Mauerbau im August 1961 war es nicht einfach, Verwandte im Westteil zu besuchen, aber nach dem 17. Juni 1953 änderten sich die Bestimmungen auch für Personen, die sich noch im Arbeitsleben befanden. Umgekehrt gestalteten sich die Einreisebedingungen in den 1950er Jahren für Westdeutsche ziemlich unterschiedlich, es gab keine Regel, man wusste nie, ob die Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird oder nicht. Nach 1961 war nichts mehr einfach. Das Hauptaugenmerk dieser Publikation richtet sich auf die Zeit ab dem Berliner Mauerbau. Im ersten Kapitel werden die Ereignisse, die schließlich zur Teilung Deutschlands führten, knapp erläutert. Im zweiten Kapitel werden die 1950er Jahre im Bezug zum Alltag der Menschen aufgezeigt. Anhand schriftlicher Quellen wird ein kleiner Einblick in dieses Jahrzehnt gewährt.
Ein wichtiger Teil der Kommunikation zwischen den einzelnen Verwandten, Bekannten und Freunden waren die jahrzehntelang geführten Briefverbindungen1. Auch Postkarten schrieb man – nicht nur aus dem Urlaub. Aber wer hat heute noch die Briefe und Postkarten aus vergangener Zeit, die als wichtige Quelle dienen, aufbewahrt?
Dazu schrieb der Vater der Autorin:
„Aber die ergiebigste Quelle sind wieder unsere Briefe, die wir an meine Eltern geschrieben haben. Mein Vater hat dafür gesorgt, dass sie lückenlos erhalten blieben. Nach Jahrgängen sortiert, füllen sie jetzt bei mir acht Ordner. Wir berichteten darin über die Probleme des Alltags jener Jahre, über die Kinder, über unseren Urlaub und anderes.
Brief v. Hans Hüfner vom 25.3.1970 an die Eltern in Groitzsch2
Viel Belangloses ist dabei, aber es ist ein unverfälschtes Spiegelbild der Zeit. Und nicht nur das: sie dokumentieren auch ganz aktuell den wechselvollen Alltag von Familien, in einer Form und in einer Vollständigkeit, wie das in Zukunft zwar noch möglich, aber dank der fortgeschrittenen Kommunikationstechnik kaum noch nötig sein wird.“3
Weil viele Hunderte Briefe gesammelt und erhalten worden sind, ist es naheliegend, passende Textstellen zum jeweiligen Thema oder Ereignis zu zitieren. Außer den eben genannten Quellen wertete ich mehrere hundert Postkarten und Briefe aus, welche ein breites Meinungsspektrum ergeben. Anzumerken wäre, dass die vorliegende Publikation keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, indem alle Aspekte berücksichtigt werden. Es sind persönliche Meinungen und Ansichten der Menschen, die diese Zeit erlebt haben, – also Zeitzeugen –, wobei der Unterhaltungswert nicht zu kurz kommt. Grundlegende Erkenntnisse zum Thema brachten verschiedene Bücher und Dissertationen4, allerdings zeigen sich immer wieder neue Facetten, so dass das Thema unerschöpflich bleibt.
Die persönlichen Mitteilungen zwischen Ost und West wirken authentisch, manch einer schrieb ganz unverblümt seine Meinung, selbst wenn diese Äußerungen auf politischer Ebene nicht DDR-konform ausfielen. Die Namen, Adressen sowie andere persönliche Angaben der verwendeten Postkarten und Briefe werden selbstverständlich nicht erwähnt. Die Vornamen wurden teilweise geändert.
Besonders interessant sind die Aussagen der 1960er und 1970er Jahre, weil von den Schreibenden mitunter politische Meinungen zum Tagesgeschehen geäußert wurden, die aus heutiger Sicht eher harmlos klingen. Trotz allem war Vorsicht angebracht! Inwiefern die Briefe einer intensiven Kontrolle unterzogen wurden, weiß man nicht. Nicht wenige Briefe verschwanden spurlos. Auf Grund der altdeutschen sowie spezifischen Handschriften werden die DDR-Behörden sowieso kaum in der Lage gewesen sein, die Texte zu entziffern, es sei denn, es arbeiteten speziell ausgebildete Schriftexperten in den Zollbehörden oder sonstigen Einrichtungen.
Die chronologische Reihenfolge kann nicht immer eingehalten werden, weil einige Themen inhaltlich unterschiedlichen Kapiteln zugeordnet werden können.
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1 Anm.: Literaturhinweis zum Thema Briefwechsel: Dietzsch, Ina: Grenzen überschreiben? Deutsch-deutsche Briefwechsel 1948-1989, Köln 2004 (Dissertation)
2 Anm.: „Übersetzung“ von Teilen des Briefes im Kapitel „Über die politischen Entwicklungen“, S. 191
3 Hüfner, Hans: Zeitgeschichte aus der Froschperspektive Teil III, 26.-31. Kapitel, S. 9
4 Anm.: Literaturhinweis: Soch, Konstanze: Eine große Freude? Der innerdeutsche Paketverkehr im Kalten Krieg (1949-1989), Frankfurt am Main 2018 (Dissertation)
Es ist Dezember 1952: Der Bruder meines Vaters beabsichtigte mit seiner Familie über Weihnachten zu seinen Eltern nach Sachsen zu reisen. Er verließ noch vor der Gründung der DDR seine Heimat nahe Leipzig. Die Bedingungen in der sogenannten „Ostzone“ waren damals alles andere als einfach – überfüllte Züge, um zur Arbeit zu gelangen, ein leerer Magen, da Lebensmittelkarten nur das Nötigste boten, unklare politische Verhältnisse und vielleicht auch persönliche Gründe bewogen viele junge Menschen in der Nachkriegszeit, ihr Glück in der Westzone zu versuchen. Obwohl er nie in der DDR gewohnt hat, verwehrte man ihm und seiner Familie die Einreise. Alternativen mussten gesucht werden. In einem Brief an die Eltern in Groitzsch schrieb er seine Meinung.
„So sehr wir uns über den langen Brief gefreut haben, umso weniger erfreulich war der Inhalt betreffs der Aufenthaltsgenehmigung. Ich glaube, nun können wir uns wohl damit abfinden, das Weihnachtsfest in der Fremde zu feiern. Da könnte ja nur noch ein Wunder eine Änderung bringen. Und darauf werden wir wohl vergeblich warten. Der Papa scheint sich ja allerhand Schreiberei wegen der Genehmigung gemacht zu haben. Leider scheint das aber auch nicht zu helfen. Das Antwortschreiben von der Volkskammer besagt ja auch gar nichts. Daß es keine Aufenthaltsgenehmigungen gibt, wissen wir ja schon selber, und daß es zur Ausgabe von Aufenthaltsgenehmigungen eines patriotischen Kampfes bedarf, ist für uns gewöhnlich Sterbliche unverständlich. Da müssen wir uns eben auf nächstes Jahr vertrösten. Vielleicht ist dann der patriotischeKampf in Ost und West zu Ende. […]. Wir hatten uns schon ausgedacht, Euch den kleinen [Enkel] über die Feiertage zu bringen. C. wäre mit dem Interzonenzug nach Westberlin gefahren. Jemand von Euch wäre dann nach Magdeburg gekommen und C. hätte dort den Kleinen zum Fenster heraus gereicht. Zurück wäre es umgekehrt gegangen. Durch Gunters Einladung [in München] ist das wohl nun hinfällig geworden. Man kann das aber trotzdem mal im Auge behalten, denn sonst erkennt Ihr ihn ja überhaupt nicht mehr wieder, wenn der Kampf der patriotischen Kräfte noch lange dauert.[…].13
In einem Brief an die Eltern vom 7. Januar 1953 schilderte er noch einmal seine Gedanken zum Weihnachtsfest.
„Wenn es auch schon sicher war, daß wir uns nicht treffen dürfen, so hat man doch im Stillen noch ein ganz klein bißchen Hoffnung gehabt, daß es in letzter Minute noch klappen könnte. Es sollte eben nicht sein. Hoffen wir nun, daß bis zum nächsten Weihnachtsfest die Patrioten ausgekämpft haben und wir uns jetzt schon auf ein Wiedersehen in der Heimat freuen können.“
Um einander zu sehen, kamen die Menschen auf die ausgefallensten Ideen. Einen kleinen Jungen zum Zugfenster hinaus zu reichen, grenzt schon an Absurdität. Das barg ja auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko mit sich. Was wäre gewesen, wenn die „Rückübergabe“ nicht geklappt hätte? Die DDR-Behörden hätten es fertig gebracht, den Eltern ihr Kind vorzuenthalten. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Idee nicht in die Realität umgesetzt.
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Anhand von schriftlichen Quellen wird in Kurzfassung die Situation in den 1950er Jahren dargestellt. Zu diesem Thema meinte der Autor Hans Hüfner:
„Nach dem Beschluss des 2. Parteitages der SED vom 9. Juli 1952, den Sozialismus aufzubauen, sah die Situation so aus: Die innenpolitische Lage spitzte sich im Laufe des Frühjahrs 1953 weiter zu, bis am 11. Juni 1953 mit der Verkündung des „Neuen Kurses“ eine radikale Kehrtwendung erfolgte, und der Aufbau des Sozialismus in der DDR zunächst einmal abgebrochen wurde. Auch der Tod Stalins am 5. März 1953 hatte seinen Anteil an dieser Entwicklung. Die Verkündung des „Neuen Kurses“ trug nicht zur Entschärfung der Situation bei, sie wurde, ganz im Gegenteil, zum Auslöser für die Ereignisse des 17. Juni. – Es war zu spät, um das Volk zu beschwichtigen. Es folgte der Ausnahmezustand, die Panzer.“14
Zeitnah beantwortete mein Großvater am 22. Juni 1953 einen Brief meines Vaters Hans Hüfner vom 18. Juni 1953 – also unmittelbar nach dem Volksaufstand. Es ist ein langer ausführlicher Brief, wobei er seine Gedanken, Hoffnungen und Erlebnisse dieses 17. Juni´s beschreibt.
„Heute kam Dein Brief vom 18. Juni an. Daß auch in Dresden was los war, hat sich ja auch bis zu uns durchgesprochen, von irgendeiner amtlichen Seite erfährt man ja nichts. In der Zeitungsteht ja nur, daß in Berlin von faschistischen Elementen u. westlichen Agenten ein Aufruhr inszeniert worden ist. Aber was in Leipzig, Dresden usw. los war, davon schreibt keine Zeitung, wenn da auch überall in der Zone15 westliche Agenten im Spiele wären, da müßten diese auf rätselhafte Weise in die Zone gesetzt worden sein. Aber jedenfalls das Bewundernswerte ist geschehen, ohne Bühne, ohne Organisation hat sich die Zone wie ein Mann verhalten. In Berlin fing es an u. schon am nächsten Tage war die ganze Zone von Nord bis Süd rebellisch. Wer hätte dieses für möglich gehalten. An einer solchen spontanen Bewegung der Bevölkerung der Zone hätte unsere Regierung nichts weiter tun können als gehen, aber leider waren die russischen Panzer stärker als die unbewaffneten Menschen. Momentan ist die Flamme erlöscht, aber unter der Asche glimmt es weiter. Unsere DDR hat wohl die öffentlichen Gebäude beflaggen lassen, es soll wahrscheinlich die Niederknüppelung der Massen durch die Russen als Sieg ausgelegt werden, aber wir haben doch gesiegt u. die Herren in Berlin haben endlich einmal durch den Mund der gesamten Bevölkerung gehört, was unsere Forderungen sind.
Von Leipzig kann man sagen, daß fast das ganze Leipzig mitgemacht hat. Überall sah man keine Transparente mehr, diese hat man auf dem Markt u. Augustusplatz verbrannt. Dafür las man überall Niederschriften von „Gebt uns freie Wahlen“ usw. auch alle Straßenbahnen waren mit solchen Zeilen beschrieben. Nach H. [des Sohnes] Bericht muß sehr viel in Leipzig los gewesen sein. Leider hat es dabei eine große Anzahl Tote gegeben. Auch in Groitzsch wurde am Mittwoch Nachmittag in sämtlichen Betrieben gestreikt, zum Umzug kam es nicht, da indieser Zeit bereits der Ausnahmezustand verhängt war, dieser ist wohl für die gesamte Zone verhängt worden. Ausgehverbot von abends 9 bis früh 5 Uhr, jetzt von 10 bis 3 Uhr früh. Am Donnerstag früh 9 Uhr hatten die Betriebsfunktionäre in der Hartpappe eine weitere Besprechung über weitere Maßnahmen, dieses hat aber jemand verraten u. ½ 10 Uhr kamen die Russen mit ziemlich starker Macht u. umstellten die Hartpappe, nur durch die Geschicklichkeit des Betriebsführers der Hartpappe fanden keine Verhaftungen statt, diese kamen aber dann die folgenden Tage. Wie viele von Groitzsch im Laufe der Tage verhaftet wurden, weiß ich nicht, es ist aber eine ganz schöne Zahl. U. a. ist einer von der Gewerkschaft fortgeschafft worden. Was wird nun weiter werden? Es ist schon schwer, da der Russe mit seiner Macht die Herren in Berlin beschützt.“16
Über die gleichen Ereignisse an diesem Tag berichtete auch mein Vater, der sich in Dresden aufhielt. An dieser Stelle sollte ein kleiner Einblick in die damaligen Verhältnisse gegeben werden.
„Was zunächst blieb, waren die mit dem „Neuen Kurs“ verbundenen Zugeständnisse, darunter auch grünes Licht für Privatreisen nach Westdeutschland. Meine Eltern machten das erste Mal im September 1954 davon Gebrauch. Aus Anlaß der Herbstmesse gab es eine Busverbindung zwischen Leipzig und Hannover, eine günstige Gelegenheit zu einem ersten Besuch der Familie meines Bruders.“17
***
Von diesem Besuch schrieb der Vater, mein Großvater, eine Ansichtskarte aus Hannover. Das Motiv der Postkarte zeigt einen Teil der Innenstadt mit dem Kröpcke, einem Verkehrsknotenpunkt. Damals fuhr noch die Straßenbahn durch das Zentrum. Das Erstaunliche war, dass bereits Anfang der 1950er Jahre die Stadt Hannover nach den Kriegszerstörungen des Zweiten Weltkrieges bereits weitgehend wieder aufgebaut war.
Hannover – Kröpcke Anfang der 1950er Jahre
Meine Heimatstadt Dresden war zu diesem Zeitpunkt nicht ansatzweise wieder hergestellt. Lediglich im Zentrum begann man am Altmarkt und den anliegenden Straßen nach Räumung der Ruinen neue Häuserzeilen zu bauen.
Die Modalitäten zum Reisen hatten sich erheblich verbessert.
„Für DDR-Bürger änderte sich nach dem 17. Juni 1953 die Situation insofern, dass es keinerlei Einschränkungen für Westreisen mehr gab. Reisegenehmigungen wurden großzügig erteilt. Die Reisedokumente wurden nun nicht mehr als „Interzonenpass“, sondern als „Personalbescheinigung“ bezeichnet. 1955 bin ich das erste Mal auf Westreise gegangen. Es war nicht erforderlich vorher einen Antrag zu stellen. Man konnte im VPKA18 auf der Schießgasse vorsprechen, sein Anliegen vortragen und die Personalbescheinigung nach kurzer Wartezeit gleich mitnehmen. Auch meine Eltern nutzten die neuen Reisemöglichkeiten. Wer „drüben“ keine Angehörigen, Bekannten, Freunde oder sonstige Geldquellen hatte, musste zu Hause bleiben, weil es nicht möglich war, unsere Ostmark gegen Westmark zu tauschen. Das heißt, inoffiziell ging das schon. Jenseits der Grenze und in Westberlin gab es genügend Wechselstuben. Aber bei einem Wechselkurs, der oft noch unter dem Verhältnis 1:5 lag, war das für DDR-Bürger ein eindeutiges Verlustgeschäft. Außerdem waren die Grenzwächter der DDR darauf abgerichtet, illegale Ostmarkbeträge, die DDR-Bürger bei der Ausreise mit sich führten, aufzuspüren und zu beschlagnahmen. Meine Mutter hat einmal eine derartige Intensivdurchsuchung, sprich Leibesvisitation, über sich ergehen lassen müssen.“19
Der Vater von H. Hüfner schrieb am 8. September 1954:
„Lieber Hans!
Am Sonnabend nach 91/2 stündiger Busfahrt sind wir in Hannover gelandet. Die Aufnahme bei W. und C. ist sehr gut. Man kann sich in Hannover wohlfühlen, es ist ja auch eine sehrschöne Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten. Du kämst aus dem Staunen nicht heraus, wenn Du sehen würdest, was hier alles gebaut wird. Umstehendes Bild [Hannover-Kröpcke] gibt einen kleinen Ausschnitt davon.“
So interessant die Reise sich gestaltete, so unangenehm war die Kontrolle der Zollbehörden auf der Hinfahrt am Grenzkontrollpunkt Marienborn auf der Interzonenautobahn.
Dazu hat der Autor Hans Hüfner nach den Erzählungen seiner Mutter folgendes aufgeschrieben:
„An der Grenze wurden die Reisenden aufgefordert, den Bus zu verlassen und sich zur Paß-, Zoll- und Devisenkontrolle in ein Abfertigungsgebäude zu begeben.
Die gesamte Reisekasse hatte mein Vater bei sich, meine Mutter demzufolge nur ein leeres Portemonnaie. Während mein Vater die Kontrollen unbeanstandet durchlief, erweckte das leere Portemonnaie meiner Mutter den Verdacht der Kontrollorgane. Eine Genossin belehrte sie, daß die Ausfuhr von DM der DDR verboten und strafbar sei und forderte sie auf, das versteckte Geld herauszugeben.
Der Versuch meiner Mutter, der Genossin plausibel zu machen, daß nach gutem deutschen Brauch allein das Familienoberhaupt über die Finanzen verfüge, folglich auch die Kasse bei sich trage, fiel nicht auf fruchtbaren Boden. Weil außerdem derartige, mit polizeilichen Befugnissen ausgestattete, weibliche Amtspersonen erfahrungsgemäß notorische Besserwisser sind und sich Fragen eigentlich ersparen könnten, begann die Genossin schließlich, das nicht vorhandene Geld zu suchen.“20
***
Wenige Jahre später hat sich in puncto Aufenthaltsgenehmigungen für Westbürger kaum etwas zum Positiven geändert. Die Grenze ist noch durchlässig, aber es lässt sich nicht leugnen, dass zwei sich sehr unterschiedlich entwickelnde deutsche Staaten existieren, die ihre eigenen Gesetze und Regelungen durchsetzen. Beziehungen spielten auch bei dieser Angelegenheit eine Rolle, wie es im Brief vom Dezember 1957 zu lesen ist. Mein Großvater schrieb in der Vorweihnachtszeit nach Dresden an meinen Vater folgendes:
„Du wirst wohl auch gespannt sein, was bei uns Weihnachten los sein wird. Bis jetzt können wir noch gar nicht sagen, wer alles kommt. Bei Gunter denke ich, daß er eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen wird. Gleichzeitig mit Gunters Antrag wollten wir auch für H. einen Antrag einreichen. Dieser ist schon in Groitzsch nicht angenommen worden, da H. nach 1949 fort ist. Nun hat eine frühere Schulliebste von Gunter mal die Sache von H. in die Hand genommen, sie ist bei der Gemeinde angestellt, heute ist diese persönlich in Borna u. will mal sehen ob sie was erreichen kann…..“21
Weitere Briefe über den Ausgang der Sache sind nicht vorhanden, vermutlich lehnten die Behörden den Antrag auf Einreise in die DDR ab. Diese Vermutung wird bestärkt, denn knapp ein Jahr später schrieb der Großvater wiederum einen Brief mit den Planungen für das kommende Weihnachtsfest.
„Sonst ist noch zu berichten, daß Gunter zu Weihnachten höchstwahrscheinlich kommt….Bei H. ist es aussichtslos nach Hause zu kommen, voraussichtlich weiß er noch nicht, ob er zu W. fährt….“
Über viele Jahre wurde es einigen Menschen verboten, wieder zu Besuch in ihre ehemalige Heimat zu reisen. Das passierte nicht nur in den 1950er Jahren, sondern bis zur sogenannten „Wende“. Wer in der Deutschen Demokratischen Republik nicht erwünscht war, erhielt eine „Reisesperre“! Es gab keine Erklärungen, keine Befristung oder sonstige Mitteilungen zu dieser Angelegenheit. Die Menschen im Ostteil Deutschlands durften lediglich immer wieder einen neuen Antrag für eine Aufenthaltsgenehmigung in die DDR für ihre nahen Verwandten aus dem Westen stellen – selbstverständlich mit wochenlanger Wartezeit und ohne Garantie auf Erfolg!