Happy End auf Capri - Elizabeth Power - E-Book

Happy End auf Capri E-Book

Elizabeth Power

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Beschreibung

Hat Libby ihr Kind an die Schwiegereltern "verkauft"? Ihr Schwager Romano kann es nicht glauben. Kurzerhand entführt er sie nach Capri und merkt schnell: Er hat die bezaubernde junge Witwe, die er so leidenschaftlich begehrt, zu Unrecht verdächtigt. Ob Libby ihm verzeiht?

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Seitenzahl: 169

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IMPRESSUM

Happy End auf Capri erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2008 by Elizabeth Power Originaltitel: „Blackmailed For Her Baby“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA, Band 292 Übersetzung: Gudrun Bothe

Umschlagsmotive: NYS444, Elena Sapegina / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2023

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751521772

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Okay, Blaze! Das ist es! Wirf deine fantastische Mähne zurück und strahle! Lächle das Kind an. Vergiss nicht, es ist deine Tochter! Höher … noch höher! Perfekt! Einfach wundervoll, Darling! Wun-der-voll!“

Mechanisch folgte sie den Anweisungen, ohne Gefahr zu laufen, auch nur ein Wort ernst zu nehmen. Das überschwängliche Lob des Kameramannes war ebenso künstlich wie ihre Beziehung zu dem brabbelnden Baby auf ihrem Arm. Oder wie der Spitzname, den ihr irgendjemand zu Beginn ihrer Karriere verpasst und der sie die Erfolgsleiter bis zum Supermodel hinaufgepusht hatte. Entdeckt worden war sie als junges, unbedarftes Ding auf einer kleinen Modenschau, wo sie für einen karitativen Zweck auf dem Laufsteg herumstolzierte.

Doch was interessierte es die Presse oder Öffentlichkeit, dass sie diese Art Zurschaustellung längst satthatte? Oder dass sie unter der Flut der tizianroten Haarfülle, den Designerkleidern und dem raffinierten Make-up immer noch Libby Vincent war? Auch wenn sie gerade auf einer blühenden Sommerwiese stand und für eine Lotion warb, die ihre Haut angeblich so zart und weich wie die eines Babys machte.

Korrekt müsste es sogar Vincenzo heißen, dachte Libby und schnitt innerlich eine Grimasse. Und wer oder was bin ich tatsächlich? Nichts weiter als eine durchschnittliche junge Frau mit einem durchschnittlichen Hintergrund, die weder vor ihren Wurzeln noch vor dem erdrückenden Schuldgefühl davonlaufen kann, sosehr sie es auch versucht …

„Okay! Das war’s! Wunderbar, Darling! Einfach perfekt!“

Mit einem unhörbaren Seufzer ließ sie die Arme sinken und damit auch das Kind. Plötzlich verspürte sie nur noch Erleichterung, weil das Foto-Shooting endlich vorüber war. Keine Sekunde länger hätte sie es aushalten können.

Während Libby durch das hohe Gras schritt, schwang das schneeweiße Batistkleid im Country-Style um ihre schlanken Fesseln. Das kleine Mädchen, das Libby mehr widerwillig in ihren Armen wiegte, strahlte sie zahnlos an und klammerte sich mit seinen winzigen Fingern am Ausschnitt ihres Mieders fest.

Libby sog scharf den Atem ein, als sie sich von einem wilden Verlangen überschwemmt fühlte, dieses kleine Wesen fest an ihre Brust zu drücken und nie wieder loszulassen. Ihre zarten Gesichtszüge gefroren zur Maske, und mit letzter Kraft legte sie den Weg bis zur mobilen Schminkstation zurück, wo das gesamte Team auf sie wartete.

„Hier …“ Die unterdrückten Emotionen ließen ihre Stimme rau und brüchig klingen, als sie das Kind seiner Mutter fast in die Arme warf, woraufhin die Kleine in lautes Protestgeschrei ausbrach und die Ärmchen verlangend nach Libby ausstreckte. Doch die hatte sich bereits abgewandt.

„Ist sie nicht süß?“, fragte Fran, ihre rundliche Maskenbildnerin und selbst Mutter von zwei halbwüchsigen Jungen.

„Wenn du es sagst“, presste Libby hervor und strebte an ihr vorbei, um sich endlich in den großen grünen Wohnwagen flüchten zu können, der im Hintergrund stand.

„Eines darfst du nicht vergessen, Fran …“, hörte sie Steve Cullum spöttisch sagen. Er war einer der Techniker, der, so wie alle Männer am Set, von Libby eine höfliche Abfuhr kassiert hatte, als er sie zum Tanzen ausführen wollte. „In unserer Blaze steckt nicht ein mütterlicher Knochen. Vielleicht nicht einmal ein Herz … zumindest nicht für Männer“, fügte er gehässig hinzu.

Das war es, worüber die Presse ständig spekulierte … ihre Vergangenheit, das Fehlen von Männern in ihrem Leben, manchmal wurde sogar vermutet, sie wäre lesbisch.

„Gibt es vielleicht nur Eis unter dem Feuer?“, hatte einmal ein Klatschblatt getitelt, nachdem sie sich geweigert hatte, dem aufdringlichen Reporter Einsicht in ihr Privatleben zu gewähren oder wenigstens ihre Einstellung zu Ehe, Familie und Kindern preiszugeben.

Warum sollte ich auch?, dachte Libby bitter. Das ist privat und geht die Öffentlichkeit nichts an. Außerdem ist es der Garant dafür, dass niemand meinen wahren Namen erfährt und dadurch womöglich eine Verbindung zu Luca herstellen kann.

Sie spürte einen heftigen Stich im Herzen beim Gedanken an den charmanten Draufgänger, den sie vor Ewigkeiten geheiratet hatte und dessen junges kraftvolles Leben kaum ein Jahr später durch einen tragischen Autounfall beendet wurde. Sie hatte Luca geliebt, aber das war lange her, bevor ihre romantischen und zärtlichen Gefühle durch gewisse Umstände abgetötet wurden, die zu schrecklich waren, um auch nur daran zurückzudenken.

Damals hatte sie tatsächlich geglaubt, dass Glück so eine Art Geburtsrecht sei … sogar für sie.

Damit war es allerdings schlagartig vorbei gewesen, sobald sie sich der Verachtung vonseiten der Vincenzo-Familie ausgesetzt sah. Besonders als sie die Tyrannei von Lucas despotischem Vater und die vernichtende Kritik seines älteren Bruders am eigenen Leib zu spüren bekam …

Wie durch Zauberhand tauchten die dunklen, beunruhigenden Züge von Romano Vincenzo vor ihrem inneren Auge auf, und Libby spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten. Zwischen ihr und dem verheerend attraktiven und ebenso charismatischen wie unbarmherzigen Mann war es Abneigung auf den ersten Blick gewesen.

Nein, das war viel zu schwach ausgedrückt – es ging um viel mehr. Etwas Unfassbares, Bedrohliches hatte ihr das Atmen zur Qual gemacht und seinen brütenden Blick noch dunkler und gefährlicher wirken lassen. Was es war, vermochte sie nie zu ergründen. Und heute, sechs Jahre später, spielte es keine Rolle mehr.

All das lag in ferner Vergangenheit begraben. Mit den Jahren hatte Libby gelernt, die Maske des Gleichmutes bis zur Perfektion zu beherrschen. Deshalb wirkte ihr Lächeln auch ganz natürlich, als sie erneut von Fran angesprochen wurde.

„Kommst du heute Abend zur Party, Blaze?“

„Versuche, mich daran zu hindern!“, forderte sie mit perlendem Lachen und wusste, dass sie damit eine schauspielerische Glanzleistung ablieferte. Und das würde sie auch weiterhin tun, zumindest bis sie endlich in ihrem Porsche saß und von hier verschwinden konnte. Weg von den quälenden Gedanken, die durch ein simples Shooting für eine alberne Hautcreme unverhofft wachgerufen worden waren.

„Eine ganze Woche war ich eingesperrt und musste jeden Morgen um vier aufstehen, nur um mich hier von Moskitos zerstechen zu lassen! Da habe ich es mir redlich verdient, bis morgen früh Party zu machen!“, rief sie über die Schulter zurück.

Na, bravo! Aber was hätte er auch anderes von ihr erwarten können? Etwa, dass sie sich inzwischen geändert hatte?

Romano, der mit verschränkten Armen in der Tür zum Wohnwagen lehnte, zog die Mundwinkel noch ein Stück tiefer.

Da Libby sich erst umdrehte, als sie bereits auf der ersten Stufe stand, wäre sie fast mit dem großen, dunkelhaarigen Mann zusammengestoßen. Er hörte ihr erschrockenes Aufkeuchen, und ihr unverwechselbarer femininer Duft umwehte ihn wie eine warme Sommerbrise.

„Buon giorno, Libby.“

Romano selbst erkannte seine Stimme kaum wieder und spürte, wie ihn die gewohnte Selbstsicherheit und Beherrschung plötzlich im Stich ließen. Sein Herz schlug bis zum Hals, und das Blut rauschte heiß und drängend durch seine Adern, während er wie hypnotisiert ins totenbleiche Gesicht seiner Schwägerin starrte.

Auf den hohen Wangenknochen blühten plötzlich rote Flecken, und die weichen kirschfarbenen Lippen zitterten.

„Tut mir leid, Blaze …“ Frans Stimme brachte Libby in die Gegenwart zurück. „Ich wollte es dir die ganze Zeit über sagen. Entschuldigen Sie bitte, Mr. Vincenzo …“

Romano Vincenzos lackschwarzes Haar glänzte wie das Gefieder eines Raben, als er mit einem knappen Nicken um Libby herumreichte und die Tür des Wohnwagens von innen zuzog. Damit waren Fran und der Rest der Welt ausgeschlossen.

Er hat sich kein bisschen verändert, registrierte ein winziger, noch funktionierender Teil von Libbys Gehirn. Der typische steinreiche Finanztycoon mit der Aura nahezu unverschämter Selbstsicherheit, körperlicher Fitness und makellosem Stil in Kleidung und Auftreten. Immer noch dominierte er den Raum, sobald er ihn betrat, und immer noch erschienen ihr seine fast greifbare Arroganz und Autorität unerträglich.

„W… was willst du hier?“

Libby hätte sich ohrfeigen können, als ihr bewusst wurde, dass Romanos Gegenwart heute wie damals denselben Effekt auf sie hatte. Zum einen schien sich ihre Zunge unerklärlicherweise zu verknoten, zum anderen reizte dieser Mann sie zum Widerspruch und zur Rebellion. Doch er antwortete ihr nicht, und seine undurchdringliche Miene gab nichts preis.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, hakte sie alarmiert nach. „Sag schon, was ist passiert!“

„Nichts, was sollte sein?“, fragte er kühl zurück.

„Gott sei Dank …“, hauchte Libby kaum hörbar.

Fasziniert beobachtete Romano, wie sich die Lider über den seegrünen Augen schlossen, bis die dichten dunklen Wimpern zarten Vogelschwingen gleich die alabasterfarbene Haut berührten. Dann hoben sich ihre Lider, und Libby bedachte ihren Schwager mit einem offenen, kritischen Blick, der ihn überraschte.

„Wie lange bist du schon hier?“, fragte sie direkt.

„Lange genug.“

Seine Stimme war noch genauso dunkel und samtig, wie Libby sie in Erinnerung hatte. Und der eindringliche Blick aus seinen nachtschwarzen Augen hatte ihr von der ersten Sekunde an den Eindruck vermittelt, dass Lucas Bruder bis in die Tiefe ihrer Seele schauen konnte … wenn er nur wollte.

„Warum hast du dich dann nicht früher bemerkbar gemacht?“

Er lachte spöttisch auf. „Um dadurch vielleicht den grandiosen Auftritt des bezauberndsten Models unseres Landes in seiner ebenso hingebungsvollen wie rührenden Mutterrolle zu verpassen?“

Libby biss die Zähne zusammen und zuckte scheinbar achtlos mit den Schultern. „In der Tat keine Rolle, die ich mir freiwillig aussuchen würde“, sagte sie leichthin und dachte daran, wie vehement sie sich tatsächlich gegen diesen Auftrag gewehrt hatte. Doch ihr Agent warnte sie, dass es äußerst unklug sei, eine derart Karriere fördernde Imagekampagne abzulehnen, zumal sie ohnehin die Medien immer wieder mit ihrer Zugeknöpftheit, was private Dinge betraf, vor den Kopf stieß.

Schließlich hatte er gewonnen.

„Hast du deshalb das Kind seiner Mutter übergeben, als handele es sich um einen Sack Kartoffeln?“

„Habe ich das?“ Es fiel ihr unglaublich schwer, so zu tun, als verletze Romano sie nicht mit jedem seiner zynischen Worte bis ins Mark. „Und ich dachte, ich sei besonders behutsam gewesen.“

„Genauso behutsam, wie du es warst, als du Giorgio abgegeben hast?“

„Giorgi …?“ Der Kosename war ihr wie ein sehnsüchtiger Seufzer entschlüpft, ehe sie es verhindern konnte. Hatte Romano nicht eben noch behauptet, alles sei in Ordnung? Aber etwas musste geschehen sein, weil er sich in all den Jahren noch nicht einmal telefonisch bei ihr gemeldet hatte. „Es geht ihm doch gut?“

Romano zögerte nur eine Sekunde, bevor er nickte, doch Libby erschien es wie eine Ewigkeit. „Das hat dich doch die letzten sechs Jahre nicht interessiert. Wieso jetzt?“

Hätte sie diesem harten Mann etwa gestehen sollen, wie sie um ihren kleinen Sohn getrauert und wie sehr sie sich nach ihm gesehnt hatte? Tag für Tag … Nacht für Nacht? Keine Stunde war vergangen, in der sie ihn nicht in ihrem Herzen getragen und innerlich um ihn geweint hatte.

„Du wärst nicht hier, wenn es nicht etwas mit Giorgio zu tun hätte“, schloss Libby nüchtern und fühlte sich wie eine zitternde Sklavin vor ihrem grausamen Herrn, der nicht nur den Schlüssel zum Glück, sondern zu ihrer gesamten Existenz in der Hand hielt. „Willst du mir nicht endlich verraten, was wirklich los ist?“ Ihre Augen wirkten wie dunkle, unergründliche Seen in dem blassen Gesicht. „Oder verschafft es dir vielleicht eine perverse Genugtuung, mich leiden zu sehen?“

„Du und leiden?“ Romano lachte hart auf. „Das ist wohl etwas zu dick aufgetragen, Libby. Noch vor nicht einmal fünf Minuten hattest du nichts anderes im Kopf, als bis morgen früh Party zu machen.“

Libby hatte das Gefühl, als reiße eine viel zu straff gespannte Saite in ihrem Innern, und im nächsten Moment stürzte sie sich zu ihrem eigenen Entsetzen auf den Mann vor sich und umklammerte das Revers seines teuren Maßanzuges.

„Wirst du mir jetzt endlich sagen, was los ist?“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Oder soll ich es aus dir herausschütteln?“

Und dann verließ sie plötzlich alle Kraft angesichts der Erkenntnis, wie sehr er ihr physisch überlegen war und ihr unsinniger Ausbruch ihn amüsieren musste. Doch Romano legte nur ruhig seine gebräunten warmen Hände über ihre verkrampften Fäuste und presste sie gegen seine Brust. In seinen dunklen Augen flackerte ein seltsames Licht, als er seinen Blick auf ihre bebenden Lippen heftete.

„Ganz ruhig“, sagte er heiser.

Insgeheim war er regelrecht geschockt über ihre heftige Reaktion auf seine zugegebenermaßen ebenso unschönen wie unnötigen Sticheleien. Aber er war eben auch kein Heiliger und hatte der Herausforderung einfach nicht widerstehen können. Zumal er genau zu wissen glaubte, was diese kleine Opportunistin zu ihrem unbeherrschten Ausbruch veranlasst hatte. Sie fühlte sich schuldig, und das zu Recht!

Möglicherweise hatte auch sie gelitten. Das wollte er ihr gar nicht absprechen, denn immerhin war sie auch nur ein Mensch … und eine Frau. Die zarten Hände, die er unter seinen fühlte, und der betörend feminine Duft, der seine Sinne umnebelte, ließen daran nicht den geringsten Zweifel.

Nur mit Mühe erinnerte Romano sich selbst daran, dass Libby … oder Blaze, wie sie sich jetzt nannte, nichts weiter als eine hartherzige, berechnende Frau war. Damit konnte er wenigstens umgehen.

„Also gibt es doch noch Feuer unter dem Eis …“, murmelte er ironisch. „Und wir beide wussten schon immer, dass ich es bin, der es zum Brennen bringen kann, nicht wahr, cara?“

„W…was, wovon redest du überhaupt?“, stammelte sie benommen. Er konnte doch unmöglich auch nur ahnen, was allein seine Gegenwart für eine verheerende Wirkung auf ihr Innerstes hatte – damals wie heute! Oder doch …?

Wie grauenvoll, wenn er von ihren verstörenden und sehnsüchtigen Träumen wüsste, in denen er die Hauptrolle gespielt hatte, während sie glücklich mit seinem Bruder verheiratet gewesen war! Aber das hatte doch nur an ihrer Jugend, ihrer Naivität und Unerfahrenheit gelegen. Zumindest hatte sie sich das immer wieder vorgebetet. Denn geliebt hatte sie allein Luca! Und sie tat es immer noch …

Und Giorgio natürlich!

Ihr Blick verdunkelte sich vor Sorge und Trauer. Die Angst, ihre unterdrückten Gefühle nicht mehr länger zurückhalten zu können, machte ihre Knie weich und ließ ihren schlanken Körper erbeben.

„Ich glaube, du setzt dich besser hin“, riet Romano nüchtern.

Erst jetzt spürte Libby, dass er einen Arm stützend um ihre Taille gelegt hatte, und kam seiner Aufforderung hastig nach, indem sie einen Stuhl vom Schminkspiegel zurückzog und kraftlos darauf niedersank.

Romano ließ sie nicht aus den Augen und atmete tief durch. Es würde Libby nicht gefallen, was er ihr zu sagen hatte.

Libby klemmte ihre Hände zwischen die Knie, um sie am Zittern zu hindern, und starrte Romano an, als sei er ihr gerade aus einer Wolke erschienen.

„Würdest du das bitte wiederholen?“, flüsterte sie erstickt, nachdem er seinen Monolog beendet hatte.

Seine harten Züge gaben nichts preis. „Ich denke, du hast sehr gut zugehört, Libby.“

Ja, das hatte sie … erstaunt, verblüfft und ungläubig. Sie konnte es kaum fassen, dass Romano plötzlich leibhaftig vor ihr stand, da konfrontierte er sie bereits mit einer Forderung, die ihr wie ein verrückter Traum erschien, aus dem sie Angst hatte aufzuwachen.

„Du willst, dass ich mit dir nach Italien komme?“, vergewisserte Libby sich vorsichtig.

Um Giorgio zu sehen …

Diese Aussicht war so ungeheuerlich und gleichzeitig so schmerzlich verlockend, dass sie es nicht wagte, sie laut zu wiederholen. Nie hätte sie gedacht, dass ein Mitglied der Vincenzo-Familie ihr so etwas je erlauben, geschweige denn darauf bestehen würde.

Libby zitterte vor Schock so unkontrolliert, dass sie irgendetwas unternehmen musste, um nicht völlig die Fassung zu verlieren. Mühsam erhob sie sich vom Stuhl und ging mit steifen Schritten zur Couch hinüber, auf der sie ihre Privatkleidung abgelegt hatte. Mechanisch und mit bebenden Fingern öffnete sie die Knöpfe des Batistkleides, das sie für den Dreh getragen hatte. Dann streifte sie es von ihren Schultern, sodass es wie ein jungfräulich weißes Blütenblatt zu Boden fiel und sich dort um ihre Füße bauschte.

Romano, der die Witwe seines Bruders nicht eine Sekunde aus den Augen ließ, konnte so viel Kaltschnäuzigkeit kaum fassen. Seelenruhig und mit unnachahmlicher Grazie stieg sie aus dem Stoffbündel, mit nichts anderem an ihrem atemberaubenden Körper als einem geschnürten Spitzenmieder und halterlosen weißen Seidenstrümpfen.

„Wenn es nach mir gegangen wäre, würde ich in diesem Moment ganz sicher nicht hier stehen“, knurrte er grimmig. „Ich tue es nur, weil ein fünfjähriger Junge einfach nicht begreifen kann, warum er keine Mutter hat. Und sich seinen kleinen Kopf darüber zerbricht, ob er vielleicht die Schuld daran trägt, dass sie ihn derart im Stich lassen konnte.“

Libby biss sich verzweifelt auf die Unterlippe, um den Protestschrei zu unterdrücken, der ihrer schmerzenden Kehle entringen wollte.

„Ein Kind, das so verstört darüber ist, dass es sich weigert, in die Schule zu gehen“, fuhr Romano erbarmungslos fort. „Das weder schlafen noch essen, noch mit seinen Freunden spielen will.“

Oder sich mit einem Pony und einem Ausflug ins Disneyland bestechen lassen würde, fügte er in seinem Kopf hinzu. Und der tatsächlich glaubte, sein zio Romano könne alles möglich machen – sogar eine Mutter zurückholen, die ihn nicht haben wollte …

Romano presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Giorgio hatte ihn wieder und immer wieder bedrängt, bis er nicht mehr ein noch aus wusste. Er, der erfolgreiche Geschäftsmann, der einen multinationalen Konzern mit lässiger Hand leitete, kapitulierte vor den flehenden Augen eines Kindes! Eines aufgeweckten, intelligenten Jungen. Lucas Sohn.

Dabei war ihm bis vor Kurzem nicht einmal bewusst gewesen, was für schwerwiegende Probleme seinen kleinen Neffen bewegten.

Mutter hatte recht, dachte Romano grimmig. Sein Vater hätte Libby Vincent – wie sie sich selbst inzwischen nannte – niemals in die Nähe seines einzigen Enkels gelassen. Sogar dann nicht, wenn sie von sich aus versucht hätte, Kontakt zu ihrem Sohn aufzunehmen.

Libby hatte inzwischen das Mieder gelockert, und Romano beobachtete fasziniert, wie sie mit einer graziösen Bewegung ihre schlanken Arme hob und es über den Kopf zog. Das tizianrote Haar fiel wie ein feuriger Fächer über ihren schmalen Rücken herab, und als sie sich etwas zur Seite wandte, um nach ihrer Bluse zu greifen, gewährte sie ihm absolut schamlos einen kurzen Blick auf eine feste, runde Brust.

Romano spürte ein heftiges Ziehen in seinen Lenden und fluchte unhörbar in sich hinein.

Sie war ein Model. Ein Topmodel! Also nicht mehr als ein Körper und ein Gesicht, mit dem sie Ware präsentierte. Sich vor anderen auszuziehen war für Blaze nichts Besonderes. Und trotzdem verursachte ihm der Gedanke an jeden anderen Mann, der sie so gesehen hatte, ein heftiges Brennen im Magen, das er sich nicht erklären konnte.

Und noch schmerzhafter traf ihn die Erkenntnis, dass er ihrer Schönheit immer noch genauso verfallen war wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte … als Frau seines Bruders!

Sie hatte ihn verhext, mit einem einzigen stolzen und gleichzeitig wachsamen Blick aus ihren wundervollen smaragdgrünen Augen. Wachsam, weil sie gleich erkannt hatte, dass er sie durchschaute. Wie sein Vater hatte er in ihr nie etwas anderes gesehen als die berechnende Schlange, der sein jüngerer Bruder verfallen war.

Und trotzdem war es ihm nicht anders ergangen. Er begehrte sie mit aller Macht und beneidete Luca, der die sexuellen Wonnen genießen konnte, die ihm versagt blieben. Wie viele Nächte er wach gelegen und sich vor Begierde und Schuldbewusstsein verzehrt hatte, wusste Romano nicht.

Libby war damals wie ein warmer Frühlingswind in ihr dekadentes, übersättigtes Leben geweht. Ausgestattet mit einer Frische und innerlichen Reife, die ihrem jugendlichen Alter weit voraus war. Aber diese kultivierte Unschuld war nur eine Seite der Medaille gewesen …

Inzwischen trug seine Schwägerin eine lange Bluse aus indischer Baumwolle und musterte ihn aufmerksam unter gerunzelter Stirn, während sie die winzigen Knöpfe auf der Vorderseite schloss. Einen nach dem anderen … sehr bedächtig und mit – für Romanos Empfinden – provozierender Laszivität.