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LIEBESFLUCHT NACH KRETA von ELIZABETH POWER Stark und schön wie ein Gott! Als Leon in das Blickfeld von Kaylas Kamera rückt, sieht sie die wilde Natur Kretas plötzlich mit anderen Augen. Dabei ist sie hier, um das Kapitel Männer abzuhaken. Doch kann sie der sinnlichen Ausstrahlung des reichen Griechen wirklich widerstehen? DU HAST MEIN HERZ GESTOHLEN! von CARA COLTER Joshua Cole lässt Danielles Herz höherschlagen: sein strahlendes Lächeln, der muskulöse Körper, sein umwerfender Charme … Aber ein Milliardär und ein Kindermädchen? Als er sie bei einem Bootsausflug zärtlich küsst, scheint sie am Ziel ihrer Träume. Doch für wie lange? TRÄUME IM MONDSCHEIN von SANDRA MARTON Kostümball in London: Wie verzaubert fühlt sich Paige von dem Romeo mit der schwarzen Maske, der eng umschlungen mit ihr im Mondschein tanzt. Sofort spürt Paige, dass er der Mann ihrer Träume ist. Dabei wird Paige in drei Tagen heiraten …
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Seitenzahl: 586
Elizabeth Power, Cara Colter, Sandra Marton
JULIA EXKLUSIV BAND 361
IMPRESSUM
JULIA EXKLUSIV erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage in der Reihe JULIA EXKLUSIV, Band 361 03/2023
© 2013 by Elizabeth Power Originaltitel: „A Greek Escape“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Kai Lautner Deutsche Erstausgabe 2014 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe Julia Extra, Band 385
© 2009 by Cara Colter Originaltitel: „Hired: Nanny Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Elke Schuller-Wannagat Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe Julia Extra, Band 314
© 1988 by Sandra Marton Originaltitel: „Cherish the Flame“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Irene Andreadou Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe Julia, Band 232008
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751519519
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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„Da! Da ist er! Genau auf den haben wir gewartet. Los! Drück schon ab, du lahme Ente, ehe er weg ist!“ Eine Sekunde, bevor der Vogel aufflog und über das kristallklare Wasser entschwand, hatte sie ein Bild von ihm geschossen. „Ha! Du glaubst doch wohl nicht, ich würde dich entwischen lassen?“
Plötzlich durchfuhr es Kayla Young siedend heiß. Sie hatte schon wieder mit sich selbst geredet. Wenn sie nun jemand gehört hatte! Sie wirbelte herum, dass ihre Haare flogen. Niemand war zu sehen! Erleichtert seufzte sie auf und strich sich die langen blonden Strähnen aus dem Gesicht. Auf dem steinigen Gebirgshang befand sich außer ihr keine Menschenseele. Es gab nur den warmen Wind, die karge Vegetation, die gnadenlose Sonne am tiefblauen Himmel und am Fuße des Hanges den endlosen Kieselstrand. Beruhigt ließ sie die Schultern sinken.
Wann hatte sie eigentlich angefangen, mit sich selbst zu sprechen? Vielleicht war es ein Fehler gewesen, allein hierherzukommen. Auch wenn sie es für das Beste gehalten hatte, auf einer einsamen Insel zu sein, während der Mann, mit dem sie eigentlich den Rest ihres Lebens verbringen wollte, in England gerade eine andere heiratete.
Die Wunde, die dieser Verrat bei ihr geschlagen hatte, schmerzte nicht mehr ganz so stark. Die Narbe war jedoch geblieben. Als wolle Kayla dem Schicksal die Stirn bieten, hob sie die Kamera erneut vors Auge. Lediglich die zusammengepressten Lippen verrieten ihre Anspannung, während sie die wundervolle Landschaft durch die Linse der Spiegelreflexkamera betrachtete: die dunstverhangenen Berge, die schimmernde Wasseroberfläche, den erstaunlich muskulösen …
Eigentlich hatte sie einen Kameraschwenk ins Landesinnere machen wollen, aber jetzt richtete sie das Objektiv mit einem Ruck zurück auf den Strand. Dann ließ sie die Kamera sinken, denn auch ohne Zoom konnte sie den Mann deutlich sehen.
Er hatte rabenschwarzes Haar, das in wilden Locken auf seine Schultern fiel. In ausgeblichenen Jeans und einem schwarzen T-Shirt lud er das Angelgerät aus seinem Holzboot. Anscheinend hatte er gerade erst angelegt. Aus seinen muskulösen, braun gebrannten Oberarmen und der Art und Weise, wie das T-Shirt über seinem Oberkörper spannte, schloss Kayla, dass er an harte körperliche Arbeit gewöhnt war. Direkt unter ihr, an der Straße oberhalb des Strandes, parkte ein ramponierter Truck. Als der Mann auf den Wagen – nein, auf sie zuging, konnte Kayla die Augen nicht von ihm abwenden.
Ohne zu wissen, was sie tat, hob sie die Kamera, um ihn näher heranzuzoomen. Auf ihrem heimlichen Beobachtungsposten fühlte sie sich sicher und war gleichzeitig seltsam aufgeregt. Deutlich konnte sie den Dreitagebart in dem markanten Gesicht erkennen. Die herben männlichen Gesichtszüge zeugten von einem Leben, dem es an Herausforderungen bestimmt nicht mangelte. Er schien nicht viel älter als dreißig zu sein – ein Mann, dessen entschlossener Gesichtsausdruck verriet, dass er genau wusste, was er wollte, und es wohl auch bekam. Mit langen Schritten kam er über den Strand, und Kayla entdeckte noch mehr in seiner Körperhaltung, seiner Miene: Stolz und eine Spur Arroganz.
Diesen Mann sollte man sich nicht zum Feind machen, dachte sie und erschauerte ein wenig. Durch die Kameralinse konnte sie jedes Detail seines attraktiven Gesichts deutlich erkennen – den sonnengegerbten Teint, die unwillig gerunzelte Stirn, als er …
Oh mein Gott! dachte sie erschrocken. Er schaut hierher! Er hat mich entdeckt und gesehen, dass ich die Kamera direkt auf ihn halte!
Vor lauter Nervosität drückte sie auf den Auslöseknopf, und ein Blick auf das Display bewies ihr, dass sie den Mann abgelichtet hatte. Offensichtlich hatte auch er es registriert, denn er rief ihr etwas zu. Sie erstarrte, als er seine Schritte beschleunigte und mit finsterer Miene auf sie zustrebte.
Oh nein! Sie wirbelte herum und rannte los. Gleich darauf wusste sie, dass er die Verfolgung aufgenommen hatte.
Warum sie eigentlich davonlief, war ihr nicht so ganz klar. Es wäre viel besser gewesen, sich der Situation zu stellen. Doch sie hatte nicht die geringste Lust, sich mit diesem wütenden Mann auseinanderzusetzen. Außerdem – was hätte sie schon zu ihrer Verteidigung vorbringen sollen? Leider standen Sie gerade vor meinem Objektiv, als ich die wundervolle Landschaft fotografieren wollte – und ich konnte leider nicht aufhören, Sie anzustarren?
Das würde ihn garantiert nicht besänftigen. Während sie bergauf hastete, pochte das Blut in ihren Ohren, und ihre Beine fühlten sich immer schwerer an. Panisch blickte sie über die Schulter und sah, dass der Mann immer näher kam. Dabei war es immer noch ein gutes Stück steil aufwärts, bis sie sich in die Sicherheit der Villa flüchten konnte.
Warum hatte sie ihn überhaupt derart aufdringlich angestarrt? Als ob sie nicht für den Rest ihres Lebens die Nase voll hätte von Männern. Wahrscheinlich hatte sein interessantes Gesicht die Fotografin in ihr gereizt, weiter nichts. Ansonsten hätte sie ihn natürlich keines Blickes gewürdigt, selbst wenn er von Fanfarenstößen begleitet übers Meer gerudert wäre. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Männer waren hinterhältige, gemeine Lügner, die um ihres Vorteils willen betrogen …
„Oh!“ Sie schrie auf, als sie über einen Stein stolperte. Verzweifelt rang sie um ihr Gleichgewicht, doch vergeblich. Sie landete bäuchlings auf dem harten, staubigen Pfad und blieb liegen, atemlos, doch unverletzt, während die Schritte des Verfolgers immer näher kamen.
Dann war er auch schon bei ihr und beugte sich über sie. Schweratmend, mit rauer Stimme, stieß er ein paar Worte in seiner Muttersprache hervor.
Er muss unglaublich durchtrainiert sein, um mich derart schnell einzuholen, schoss es ihr durch den Kopf, bevor sie sich hochstemmte. Ihr langes blondes Haar fiel wie ein seidener Schleier über ihre Schultern. Mit ihren paar Worten Griechisch stammelte sie: „Ich verstehe Sie nicht.“ Sie rang immer noch um Atem.
Erneut sagte er etwas Unverständliches. Gleichzeitig packte er sie an den Schultern, die bis auf die Spaghettiträger ihres Tops nackt waren – und drehte sie zu sich herum.
Aus der Nähe betrachtet wirkte sein sonnengebräuntes Gesicht mit den hohen Wangenknochen noch markanter. Außerdem starrte sie geradewegs in seine kohlschwarzen Augen, die von einem dichten Wimpernkranz umgeben waren. Und auch, wenn er den Mund ärgerlich verzogen hatte, erkannte sie doch deutlich, wie sinnlich die geschwungenen Lippen waren.
„Sind Sie verletzt?“
Erstaunt, dass er sie jetzt auf Englisch ansprach – und darüber, dass er sich nach ihrem Befinden erkundigte –, setzte sie sich auf. „Nein. Aber nur knapp vorbei“, entgegnete sie und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Sie bemühte sich, ihre Nervosität zu verbergen.
„Dann frage ich Sie erneut: Was sollte das eben?“
„Ich habe fotografiert.“
„Mich?“
„Nein. Einen Vogel. Sie sind nur zufällig mit aufs Bild geraten.“ In Kaylas blauen Augen lag ein trotziger Ausdruck.
„Zufällig?“ Sein Blick sprach Bände. Er glaubte ihr kein Wort. Nach wie vor brodelte der Zorn deutlich unter der Oberfläche. „Wie viele Fotos haben Sie gemacht?“ Seine Stimme war tief und sonor, und wenn auch mit starkem Akzent, beherrschte er ihre Muttersprache doch offensichtlich ausgezeichnet.
„Es war ein Versehen und nur ein einziges Foto.“
„Ein Foto zu viel. Wer sind Sie und was wollen Sie hier?“
„Nichts. Ich meine, ich mache Ferien. Das ist alles.“
„Spionieren Sie in Ihren Ferien immer anderen Leuten nach?“
„Ich spioniere Ihnen doch nicht nach!“ Allmählich bekam Kayla es wirklich mit der Angst zu tun. Vielleicht war er ja auf der Flucht? Wurde womöglich von der Polizei gesucht? Das würde seine Verärgerung erklären. „Meine Kamera …?“ Suchend sah sie sich um und entdeckte den teuren Fotoapparat im Gebüsch.
Bevor sie danach greifen konnte, hatte der Mann sich die Kamera geschnappt.
„Machen Sie sie nicht kaputt!“ So wütend, wie der Mann wirkte, befürchtete sie das Schlimmste. Die digitale Spiegelreflex – Ersatz für ihre alte analoge – war ihr kostbarster Besitz. Ein Geschenk, das sie sich selbst gemacht hatte, nachdem sie herausgefunden hatte, dass Craig sie betrog. Manche Frauen aßen, um sich zu trösten. Kayla fotografierte alles, was ihr vor die Linse kam, sozusagen als Therapie, um über den Schmerz hinwegzukommen. Denn seit drei Monaten hatte sie Trost mehr als nötig.
„Warum nicht? Nennen Sie mir einen einzigen Grund.“
Weil sie teuer war, hätte sie am liebsten geantwortet, und weil alle Fotos drauf sind, die ich seit meiner Ankunft gestern gemacht habe. Aber das hätte ihn wahrscheinlich erst recht in seiner Absicht bestärkt – zumindest seinem finsteren Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
„Vielleicht sollte ich den Fotoapparat einfach behalten?“, überlegte er laut. Sein Blick glitt unverhohlen von Kaylas nackten, noch blassen Schultern zu ihren kleinen festen Brüsten, die sich unter dem Top abzeichneten.
„Wenn es Sie glücklich macht!“, parierte sie schnippisch wegen der unverschämten Art, wie er sie ansah. Gleichzeitig beschleunigte sich ihr Puls und ihr wurde ganz mulmig, weil sie ja immer noch nicht wusste, wer er war. Es konnte durchaus möglich sein, dass er von der Polizei gesucht wurde.
Ein Vogel flog laut zeternd aus einem Baumwipfel auf, als wolle er sich über die menschlichen Eindringlinge beschweren, und Kayla zuckte zusammen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie entlegen diese Gegend war. Außer ein paar weiß getünchten Fischerhütten, die sich am Fuße des Hügels befanden, gab es weit und breit kein Anzeichen menschlicher Zivilisation. Das nächste Dorf mit seinen Läden und der Taverne war fast fünf Kilometer entfernt. Von plötzlicher Panik ergriffen, versuchte sie aufzustehen. Da streckte der Mann ihr seine große, schwielige Hand hin, um ihr zu helfen.
Überrascht von dieser Geste – nach all der Feindseligkeit – ergriff sie die dargebotene Hand. Sie fühlte sich warm und fest an, und gleich darauf stand sie dicht vor dem Fremden. Zu dicht für ihren Geschmack, denn sein muskulöser Körper, seine Energie und sein aufregender Geruch weckten ihre Sinne. Sie schluckte und sah zu ihm auf. In ihren flachen Schuhen reichte sie ihm gerade mal bis zu den Schultern. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, weil die Anziehungskraft, die von diesem Mann ausging, sie irritierte. „Ich habe keine Angst vor Ihnen“, behauptete sie.
„Gut“, meinte er trocken und immer noch unfreundlich. „Dann werden Sie mir auch nicht übel nehmen, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass ich es nicht schätze, wenn junge Frauen in meine Privatsphäre eindringen. Falls Sie also weiterhin ihren ‚Urlaub‘ genießen wollen, rate ich Ihnen, sich von mir fernzuhalten.“ Er drückte ihr die Kamera in die Hand. „Haben Sie mich verstanden?“
„Absolut! Und ich kann Ihnen versichern Mr. … Mr. … Unbekannt …“ Sie wartete, doch als klar wurde, dass er nicht die Absicht hatte, ihr seinen Namen zu sagen, fuhr sie fort: „Nichts liegt mir ferner, als in Ihre Privatsphäre einzudringen.“ Mittlerweile hatte sie das Gefühl, dass er bloß ein vergrätzter Einheimischer und ungefährlich war. „Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, alles zu tun, um nicht noch einmal in Ihre Nähe zu geraten.“
„Danke.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging. Fast etwas beleidigt sah Kayla ihm nach. Wenig später, als sie auf die weiße Villa zuging, in der sie wohnte, hörte sie einen Motor aufheulen. Das musste der alte Truck sein, den sie vorhin am Straßenrand gesehen hatte.
Die Begegnung hing ihr immer noch nach, als sie am Abend ihr Essen in die Mikrowelle der gut ausgestatteten Küche schob. Die Villa gehörte Freunden, Lorna und Josh, die gemeint hatten, sie bräuchte dringend einen Tapetenwechsel. Das Haus entsprach mit seiner großzügigen Raumaufteilung und dem offenen Obergeschoss mit freiliegendem Deckengebälk modernsten Ansprüchen. Jedes Zimmer bot einen fantastischen Ausblick auf die hügelige Landschaft.
Seit der Taxifahrer sie gestern vor der Villa abgesetzt hatte, war sie niemandem begegnet. Und der erste Mensch, den sie traf, war dieser Grobian! Immer noch ärgerlich über sein ungehobeltes Benehmen, tippte sie auf dem Display der Mikrowelle die Zeit ein und drückte auf Start.
Obwohl, überlegte sie, immer noch besser ein Grobian als ein Lügner wie Craig Lymington. Wie naiv sie gewesen war, auf seine leeren Versprechungen hereinzufallen! Als er schwor, er wolle sein Leben für immer mit ihr teilen, hatte sie ihm blind vertraut.
„Er wird dir das Herz brechen! Denk an meine Worte“, hatte ihre Mutter sie gewarnt, als sie euphorisch erzählte, dass ihr der künftige Topmanager von Cartwright Consolidated, wo auch sie arbeitete, einen Heiratsantrag gemacht habe.
Sie waren gerade mal zwei Monate verlobt gewesen, als sie die SMS auf seinem Handy entdeckt hatte. Offensichtlich war sie nicht die Einzige, der Craig ewige Liebe schwor.
Sie hätte auf ihre Mutter hören sollen. „Die Männer sind alle gleich! Aber am schlimmsten sind die Karrieretypen“, war ihre ständige Litanei. Aber sie hatte nicht hören wollen. Sie hatte sie als die Worte einer verbitterten, verletzten Frau abgetan. Denn Kaylas Vater war genau so ein Karrieretyp gewesen, der seine Frau vor fünfzehn Jahren verlassen hatte, als Kayla gerade mal acht Jahre alt war.
Deshalb war sie sich auch so sicher gewesen, niemals auf so einen Mann hereinzufallen. Und was war passiert? Ihr war etwas ganz Ähnliches widerfahren wie ihrer Mutter. Aus Schaden wurde man klug. Dazu kam noch, dass sie in der Firma jetzt offensichtlich als Freiwild betrachtet wurde. Einige Manager, die wussten, dass ihre Verlobung geplatzt war, hatten ihr unverhohlen zweideutige Anträge gemacht.
Nachdem sie gekündigt hatte, hätte sie diese unappetitliche Episode liebend gern hinter sich gelassen und ein neues Leben begonnen, aber ihre Mutter hatte es nicht zugelassen. Ständig ritt sie auf der Geschichte herum, voller Genugtuung darüber, dass sie recht behalten hatte. Noch schlimmer wurde es, nachdem sie erfahren hatte, dass Craig tatsächlich heiraten würde.
Als Lorna ihr angeboten hatte, dem Schlamassel zu entfliehen und ein paar Wochen auf einer entlegenen griechischen Insel zu verbringen, hatte Kayla diese Gelegenheit dankbar beim Schopf ergriffen. In der Abgeschiedenheit wollte sie zur Ruhe kommen. Neues Selbstvertrauen finden. Sich neue Ziele setzen.
Als die Mikrowelle piepte, nahm sie die Lasagne heraus, setzte sich an den Tisch und stocherte eine Weile appetitlos im Essen herum. In Gedanken war sie ganz woanders, und zwar nicht bei Craig Lymington. Ein ganz anderer Mann hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Ständig sah sie das markante Gesicht des Fremden vor sich, seine zornig blitzenden Augen. Und sie spürte wieder diese verstörende Anziehungskraft, die von ihm ausging.
Leonidas Vassalio reparierte einen der Fensterläden, die der Wind losgerissen hatte. Seine Züge wirkten so hart wie die Steine, aus denen das uralte Bauernhaus gebaut war, und so finster wie die dunklen Wolken, die sich über ihm am Himmel zusammenbrauten.
Das Haus wird verfallen, wenn ich es nicht bald renoviere, dachte er und ließ seinen Blick vom verwitterten Ziegeldach zu der abblätternden grünen Farbe der Türen und Fensterrahmen schweifen. Seine Armmuskeln spannten sich, als er kräftig eine Schraube festzog.
Kaum vorstellbar, dass dies einst sein Elternhaus gewesen war. Ein schlichtes, einsam gelegenes Bauernhaus, nur über eine kurvenreiche Straße erreichbar. Und doch war ihm diese Insel mit ihrer Felsenküste, dem tiefblauen Meer und den kargen Berghängen zutiefst vertraut. Sie war ein Teil von ihm geblieben, auch als er Teil einer ganz anderen, fremden Welt geworden war.
Es hatte angefangen zu regnen. Schwere, kalte Tropfen liefen ihm übers Gesicht, während er weiterarbeitete und daran dachte, wie kompliziert sein Leben in letzter Zeit geworden war.
Äußerlich gesehen, gehörte er zu den Privilegierten dieser Welt und wurde glühend beneidet. Er jedoch hatte die ganzen Opportunisten, Schmarotzer, die oberflächlichen Frauen und Paparazzi schon lange satt. Wie diese junge Frau, die ihn vorhin am Strand fotografiert hatte. Er hätte wetten können, dass auch sie zu diesen Aasgeiern gehörte. Weshalb hätte sie sich sonst dort aufgehalten, wenn sie nicht für ein Klatschblatt arbeitete? Er hasste Reporter, vor allem, weil sie in letzter Zeit auch nicht gerade zimperlich mit ihm umgegangen waren.
Sein Leben lang hatte er die Öffentlichkeit gemieden und sich bemüht, den Medien kein Futter zu geben. Er war sicher, dass ihn außerhalb Griechenlands so gut wie niemand erkennen würde. Der Name Vassalio war natürlich bekannt. Schuld daran, dass er jetzt im Rampenlicht stand, war nur seine kurze Affäre mit Esmeralda Leigh.
Und dann waren auch noch zwei Top-Manager, denen er die Leitung über ein Tochterunternehmen in Großbritannien übertragen hatte, vertragsbrüchig geworden und hatten den guten Ruf der Vassalio Group ruiniert – und damit auch seinen. Als Unternehmer trug er schließlich die Verantwortung. Aber er war einfach zu beschäftigt gewesen, um zu merken, was sich hinter seinem Rücken abspielte.
Es belastete ihn sehr, dass man einfache Leute belogen und ihnen buchstäblich die Häuser plattgewalzt hatte. Mittlerweile sagte man ihm sogar nach, sich rücksichtslos über die Interessen der Bewohner hinwegzusetzen und ganze Gemeinden zu zerstören, um mit dem Bau von Sportarenen und Wellnessoasen seinen Profit zu maximieren. Die Tatsache, dass jeder Einzelne, der sein Haus verloren hatte, entschädigt worden war – und zwar äußerst großzügig –, war der Presse nur ein paar versteckte Zeilen wert gewesen.
Also war Rückzug angesagt. Er wollte eine Zeit lang vergessen, dass er Leonidas Vassalio, Milliardär und äußerst erfolgreicher Unternehmer, war. Und dafür musste er zurück zu seinen Wurzeln. Hier auf der Insel konnte er abtauchen, denn nur ein einziger Mensch wusste, wo er sich aufhielt. Aber so, wie es aussah, war das schon einer zu viel gewesen, sonst hätte diese neugierige kleine Blondine nicht hier herumspioniert.
Und wenn sie wirklich nur die Vögel fotografiert hat? fragte er sich plötzlich. Aber warum hat sie dann auf mich draufgehalten? Des „Lokalkolorits“ wegen? Ein Einheimischer, der seiner Arbeit nachging, wirkte immer malerisch. Vielleicht habe ich ihr ja auch einfach gefallen? dachte er zynisch. Wäre die Begegnung unter anderen Umständen verlaufen, hätte er zugeben müssen, dass sie ihm durchaus gefiel. Vor allem, als er registrierte, dass sie keinen Ehering trug.
Mit jungen, willigen Blondinen ins Bett zu gehen, hatte zurzeit jedoch keine Priorität. Ihm war nur allzu sehr bewusst, dass das weibliche Geschlecht von seinen körperlichen Vorzügen magnetisch angezogen wurde. Und wenn er eine von ihnen ausgewählt hatte, war es nie vorgekommen, dass sie sich geweigert hätte. Während er die Scharniere des Fensterladens ölte, dachte er an die heftige Reaktion der Blondine auf seine Nähe. Sie musste das sinnliche Prickeln zwischen ihnen gespürt haben, sonst wäre sie nicht zurückgezuckt, als er ihr auf die Füße geholfen hatte.
Wahrscheinlich wohnte sie in einer dieser modernen Villen, die in den letzten Jahren am Hang gebaut worden waren. Zumindest war sie in diese Richtung geflüchtet, als er sie verfolgt hatte. Ob sie allein war oder dort jemanden besuchte? War sie allein hier, musste es dafür einen Grund geben. Und falls er dieser Grund war, dann konnte sie was erleben, wenn sie noch einmal wagte, ihn zu stören.
Ärgerlich, weil er so viele Gedanken an diese Frau verschwendete, beendete er seine Arbeit fürs Erste und flüchtete vor dem Regen ins Haus.
Sie würde ihn noch kennenlernen. Mit Leonidas Vassalio legte man sich besser nicht an.
Kayla musste dringend Lebensmittel einkaufen, da der Sturm letzte Nacht einen Stromausfall verursacht und den Kühlschrank außer Gefecht gesetzt hatte. Als sie am Morgen in die Küche kam, war ihr gleich der Geruch nach verdorbenen Lebensmitteln in die Nase gestiegen.
Eigentlich hätten die fünf Kilometer bis ins nächste Dorf mit dem Auto, das ihre Freunde immer hier auf der Insel ließen, kein Problem sein dürfen, doch dann leitete die höfliche Stimme aus dem Navi sie ins Nirgendwo. Genervt hielt sie auf der Staubpiste an, stellte den Motor ab und bemühte sich eine Weile vergeblich, auf der Landkarte herauszufinden, wo sie sich befand. Als sie den Kleinwagen wieder starten wollte, gab er keinen Mucks von sich.
„Spring an!“, flehte sie und versuchte es erneut. „Bitte!“
Doch es war aussichtslos, und Kayla sank resigniert zurück.
Plötzlich fiel ihr ein, dass Lorna ihr die Telefonnummer von jemandem gegeben hatte, den sie im Notfall anrufen konnte und der angeblich sogar Englisch sprach. Sie kramte im Handschuhfach nach dem Zettel, aber als sie ihr Handy nahm, stellte sie fest, dass sie sich in einem Funkloch befand.
Frustriert warf sie das Handy auf den Beifahrersitz und blickte sich suchend um. So weit das Auge reichte – ein Traumpanorama: Meer, Berge und direkt vor sich pinienbewachsene, steinige Abhänge. Durchs offene Autofenster hörte sie die Zikaden und den Wind. Sie war vollkommen allein und hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand.
Als sie sich umdrehte, entdeckte sie in einiger Entfernung jene Felsengruppe, wo sie am Vortag diesem ruppigen Einheimischen begegnet war. Draußen im Meer erkannte sie eine kleine Insel, die heute, bei klarem Wetter, deutlich zu sehen war.
Die Sonne brannte unbarmherzig, das Handy funktionierte nicht, und das Auto weigerte sich anzuspringen. Kayla war der Verzweiflung nahe, als sie weiter oben am Hang zwischen den Pinien ein heruntergekommenes Gebäude erspähte, das vielleicht einmal ein Bauernhaus gewesen war. Mit seinem stark reparaturbedürftigen Dach wirkte es jedoch unbewohnt.
Null Chance, von dort aus telefonieren zu können. Und wenn doch? Sie schnupperte plötzlich, streckte dann den Kopf aus dem Fenster und roch jetzt ganz deutlich den Rauch eines Holzfeuers.
Erfüllt von neuer Hoffnung, schnappte sie sich ihre Kamera, sprang aus dem Wagen und marschierte energisch los. Unter ihren Füßen wirbelte der Staub auf.
Als sie den gepflasterten Hof betrat, erblickte sie sofort den gelben Truck und erstarrte. Dann bog auch bereits der Besitzer des Fahrzeugs um die Ecke des Hauses. Ungezähmte schwarze Locken, glutvolle, schwarze Augen. Grimmige Miene.
Oh nein! Der griechische Grobian.
Kayla schluckte. Sie konnte es ihm kaum verübeln. Schon wieder drang sie in seine Privatsphäre ein. Wenn auch nicht absichtlich. Hätte sie gewusst, dass er hier wohnte, hätte sie die Beine in die Hand genommen und wäre geflüchtet. Stattdessen stand sie beim Anblick dieser Naturgewalt da wie ein hypnotisiertes Kaninchen.
In der knielangen Cut-off-Jeans und der dunklen, ärmellosen Lederweste, die seinen athletischen Brustkorb und die muskulösen Oberarme zur Geltung brachte, wirkte er atemberaubend männlich, energiegeladen und rücksichtslos.
„Habe ich nicht laut und deutlich gesagt, dass Sie sich von mir fernhalten sollen?“ Mit energischen Schritten kam er auf sie zu. „Was wollen Sie?“ Die Kamera, die sie an sich presste, sagte ihm alles. „Nicht genug Fotos gemacht gestern?“
Er kam Kayla heute noch größer und bedrohlicher vor. Aber sie hatte keine Wahl. „Ich … ich möchte nur Ihr Telefon benutzen“, stammelte sie und ärgerte sich über ihre ängstliche Stimme. Wie blöd, dass dieser Typ sie derart in Angst und Schrecken versetzen konnte.
„Mein Telefon?“
Die Art, wie er sie musterte, sandte ein Prickeln durch ihren Körper. In ihrem T-Shirt und den Shorts kam sie sich plötzlich viel zu spärlich bekleidet vor. „Sie haben doch ein Telefon, oder?“, erkundigte sie sich und war entschlossen, sich nicht schon wieder einschüchtern zu lassen. Dieser Mensch tat ja gerade so, als hätte sie ihn darum gebeten, ihr Kreta zu verkaufen. „Mein Auto … Es ist offenbar kaputt.“ Sie deutete hinter sich.
Sein Blick folgte ihrer Geste. Ihr wurde klar, dass er das Fahrzeug wegen der Bäume und Büsche von hier aus gar nicht sehen konnte. Sie jedoch sah überdeutlich und aus nächster Nähe die mächtigen Muskeln seines Oberkörpers und den Bronzeton seiner Haut.
„Tatsächlich? Wo liegt das Problem?“ Er runzelte die Stirn und fixierte Kayla so durchdringend, dass ihre Knie nachzugeben drohten.
Wie ungewöhnlich dunkel seine Augen sind, schoss es ihr durch den Kopf. Und so dichte schwarze Wimpern. Das Profil stolz und kühn mit hohen Wangenknochen und markantem Kinn. Volle, sinnliche Lippen. Und dann natürlich sein Körper …
Sie ertappte sich bei dem Wunsch, ihn einfach nur anschauen zu wollen. Und zwar alles an ihm. Der Gedanke schockierte sie, doch noch mehr verunsicherte sie, wie stark sie auf seine sinnliche Ausstrahlung reagierte. Das war ihr noch nie passiert. Nicht einmal bei Craig. Erst jetzt erinnerte sie sich, dass er ihr eine Frage gestellt hatte, während sie davon geträumt hatte, ihn nackt zu sehen. Verlegen senkte sie den Blick. „Es fährt nicht mehr.“
„Es fährt nicht mehr oder es springt nicht mehr an?“
Kayla ertappte sich dabei, ihn ein wenig reizen zu wollen, und fragte mit unschuldigem Augenaufschlag: „Ist das nicht dasselbe?“ Ein Blick in die dunklen Augen ihres Gegenübers verriet ihr jedoch, dass man ihm nicht so leicht etwas vormachen konnte, und ihr Instinkt riet ihr, es nicht auf die Spitze zu treiben.
„Springt der Motor an, wenn Sie den Zündschlüssel drehen?“
„Nein. Er macht keinen Mucks mehr. Wenn ich also Ihr Telefon … also falls Sie hier überhaupt Empfang haben … oder … haben Sie vielleicht einen Festnetzanschluss?“ Zweifelnd blickte sie auf das bröckelnde Gemäuer und nahm an, dass es bereits in diesem Zustand gewesen war, ehe es überhaupt so etwas wie Telefone gab.
„Es ist Sonntag. Wen wollen Sie denn anrufen?“
„Eine Werkstatt vielleicht?“, erwiderte sie schnippisch und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass der Mann, dessen Nummer sie von Lorna hatte, erreichbar sein würde. Eigentlich hatte ihre Freundin in England sie gebeten, bei einem Notfall zuerst sie anzurufen. Und wahrscheinlich konnte Lorna ihr besser aus der Patsche helfen als dieser mürrische Muskelprotz hier.
Dieser marschierte jetzt an ihr vorbei. „Wo ist der Wagen?“, fragte er über die Schulter hinweg, und sie musste sich anstrengen, um mit ihm Schritt halten zu können.
Wortlos streckte er die Hand nach dem Schlüssel aus, als sie vor dem Auto standen. Er öffnete wie selbstverständlich die Fahrertür, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn herum.
Der Wagen sprang ohne Probleme an.
„Das … das verstehe ich nicht.“ Kayla starrte das hinterhältige Gefährt fassungslos an und dann den Mann, der ausgestiegen war und jetzt so selbstzufrieden auf sie niedersah, dass sie ihn am liebsten getreten hätte. Oder den Wagen. Oder alle beide! „Ich habe es wirklich wieder und immer wieder probiert!“, beteuerte sie.
Er bückte sich, griff in den Wagen, stellte den Motor ab und ließ den Schlüssel herausfordernd vor ihrer Nase baumeln. „Vielleicht versuchen Sie es jetzt noch einmal.“
Trotzig stieg sie ein und wünschte sich insgeheim, dass der Wagen nicht reagieren würde. Denn wie sollte der Mann ihr sonst Glauben schenken?
Natürlich sprang der Motor an.
Sie ließ sich gegen die Rücklehne sinken und schloss die Augen. War sie nun eher erleichtert oder frustriert?
„Sehen Sie? Ganz einfach, wenn man weiß, wie es geht.“
Er macht sich über mich lustig, dachte Kayla, und da war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. „Vorhin ist er aber nicht angesprungen! Egal, was ich versucht habe. Und wenn Sie sich einbilden, ich hätte das Ganze nur veranstaltet, um mich Ihnen erneut aufzudrängen, dann lassen Sie sich eines gesagt sein: Ich habe wirklich Besseres zu tun, als meine Zeit mit diesen Spielchen zu verplempern. Außerdem funktioniert mein Telefon nicht. Das Navi hat versagt … und Lornas Kühlschrank ist außer Betrieb, und die ganzen Lebensmittel sind verdorben! Und Sie sind so unverschämt zu behaupten, ich lüge! Ich kann Ihnen versichern Mr. … Mr. …“
„Leon.“
„Wie bitte?“ Tränen der Wut standen in ihren Augen.
„Ich heiße Leon“, wiederholte er. „Und wer ist diese Lorna? Ihre Reisegefährtin?“
„Nein. Ich bin alleine hier“, platzte sie heraus. Sie war einfach am Ende ihrer Nerven. „Lorna gehört die Villa, in der ich wohne.“ Lorna, die ihr – mit ihrem Mann Josh – wundervollerweise zu Hilfe gekommen war, indem sie ihr eine Stelle in ihrem Innenarchitekturbüro angeboten hatte, nachdem es Kayla in ihrem bisherigen Job einfach nicht mehr ausgehalten hatte.
„Und Ihr Kühlschrank funktioniert auch nicht?“
„Richtig.“ Und nun? dachte Kayla. Will er jetzt nachsehen, ob das auch gelogen ist?
„Haben Sie denn schon etwas gegessen?“
„Wie bitte?“
Er beugte sich zu der offenen Autotür hinunter. „Ich weiß, ich bin Grieche. Und Sie sind Engländerin. Aber Sie scheinen wirklich besondere Schwierigkeiten zu haben, mich zu verstehen. Ich habe gefragt, ob Sie schon etwas gegessen haben?“
„Nein.“
„Dann fahren Sie hoch zum Haus. Ich komme direkt nach.“
Wie bitte? hätte Kayla beinahe erneut gefragt, schluckte die Frage jedoch rechtzeitig hinunter. Bot er ihr etwa seine Gastfreundschaft an? Das konnte nicht sein! Er war mürrisch, ungehobelt und grob – und für sie ein Fremder. Nun gut, genau genommen nicht mehr ganz, gestand sie sich ein. Und außerdem war er gefährlich attraktiv. Wider besseres Wissen gab sie dem inneren Drang nach, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Letztendlich half auch der Gedanke an all die verdorbenen Lebensmittel in ihrem Feriendomizil.
Als Leon den Hof betrat, war Kayla gerade dabei, die Kamera im Kofferraum zu verstaue. Das gute Stück war dem Hausherrn ein Dorn im Auge, wie sie wusste, und außerdem wollte sie es vor der Sonne schützen. Leon kam auf sie zu, und sie konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden. Ihr Blick glitt über seine athletische Gestalt. Über die breiten Schultern, die muskulösen Oberarme, die breite, sonnengebräunte Brust, die schmalen Hüften. Für einen Mann besaß er äußerst wohlgeformten Beine, und seine Füße steckten in staubbedeckten Sandalen.
Ein kleines ironisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als wäre er sich ihres widerstrebenden Interesses bewusst. „Ums Haus herum.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er an, sie solle vorausgehen.
Die höfliche Geste berührte sie eigenartig angesichts seines sonst so ungehobelten Benehmens. Sie ging um das marode Bauernhaus herum. Sprich nicht mit fremden Männern. Nimm keine Bonbons von Unbekannten, ging ihr die Stimme ihrer Mutter durch den Kopf. Mom würde einen Anfall bekommen, dachte Kayla, wenn sie wüsste, dass ich gerade all ihre Warnungen in den Wind schlage.
„Wie wäre es, wenn Sie mir jetzt etwas über sich erzählen würden?“, hörte sie Leon fragen.
„Was wollen Sie denn wissen?“, erkundigte sie sich, ohne sich umzudrehen.
„Ihren Namen … zum Beispiel.“
Inzwischen befanden sie sich hinter dem Haus, und sie sah eine schattige Terrasse voller Unkraut, die in einen verwilderten Garten überging.
„Kayla“, erwiderte sie. Er beließ es ja auch bei seinem Vornamen.
„Kayla?“
Trotz seines feindseligen Verhaltens war die Art, wie er ihren Namen aussprach, wie eine warme Meeresbrise, die über die duftenden Thymian- und Salbeibüsche an den rauen Berghängen strich. Ein heißer Schauer durchrieselte Kayla. Brannte die Sonne denn schon so sehr – oder weshalb schienen ihre Wangen plötzlich zu glühen?
„Kommen Sie.“ Er deutete auf eine rustikale Bank, die unter einer Pergola stand. In einer runden, gemauerten Feuerstelle brannten ein paar Holzscheite. Daneben, auf einem Stein, lag ein Rost mit Fischen, deren silberne Schuppen im Sonnenlicht glänzten.
„Haben Sie die selbst gefangen?“ Sie hatte in seinem Truck Angelgerät gesehen und fragte sich, ob er täglich mit seinem Holzboot zum Fischen hinausfuhr.
„Vor einer Stunde.“ Er ging in die Hocke und legte ein Holzstück nach. „Was ist?“, fragte er, als sie unbeweglich stehenblieb. „Sind Sie Vegetarierin?“
„Nein, nein“, versicherte sie schnell. Gerade hatte sie sich vorgestellt, wie er frühmorgens bei Sonnenaufgang sein Boot aufs Meer hinaussteuerte, die Angel auswarf und ein paar Stunden später mit seinem Fang zurückkehrte. Wie er die Fische ausnahm und säuberte, um sie zu grillen. Aber sie hatte nicht vor, es ihm zu erzählen.
„Dann setzen Sie sich“, ordnete er an, legte den Eisenrost mit den Fischen auf die Feuerstelle und ging ins Haus.
Kayla nutzte die Gelegenheit, um das heruntergekommene Gebäude genauer zu betrachten. Seine Mauern waren mit wildem Wein überwuchert, und es wirkte fast wie ein Teil des dahinter liegenden Berghangs. Sie fragte sich, ob Leon es zufällig entdeckt und sich dann hier niedergelassen hatte. In diesem Moment kam er mit zwei Tellern, Besteck und einer handbemalte Keramikschüssel mit Brot wieder heraus, und weil sie sich ertappt fühlte, schaute sie schnell woanders hin.
„Verstehe ich Sie richtig?“, fragte er, da sie immer noch unbeweglich an derselben Stelle stand. „Sie haben keinen Hunger?“
Der brutzelnde Fisch auf der Grillstelle duftete mittlerweile köstlich.
„Doch, doch.“ Sie setzte sich schnell auf die Bank, was ihr den Anflug eines Lächelns einbrachte, während er das Geschirr auf einem gusseisernen Tisch abstellte, der, so wie er aussah, bestimmt seit Jahrzehnten auf dieser Terrasse gestanden hatte. „Warum laden Sie mich zum Essen ein, wenn Sie eigentlich nur Ihre Ruhe wollen?“
„Gute Frage.“ Behutsam wendete er die Fische auf dem Rost. Das heruntertropfende Öl zischte laut in der Glut. „Vielleicht, weil ich Sie dadurch besser im Auge behalten kann?“
„Wieso sollten Sie?“ Sie sah ihn aus ihren lebhaften kornblumenblauen Augen an. „Was beunruhigt Sie an meiner Gegenwart so sehr, dass Sie ein Auge auf mich haben müssen? Ich verstehe das nicht. Es sei denn …“
„Es sei denn?“
Plötzlich fing ihr Herz an zu rasen. „Es sei denn, Sie hätten etwas zu verbergen.“
Er kauerte immer noch neben der Feuerstelle, die Arme auf die muskulösen Oberschenkel gestützt und sah sie mit beunruhigend durchdringendem Blick an. Womöglich ist er wirklich auf der Flucht, schoss es ihr durch den Kopf. Warum sollte er sich sonst so heftig sträuben, fotografiert zu werden?
„Haben wir das nicht alle?“, fragte er gespielt freundlich. Vor allem du, meine kleine Skandalreporterin! dachte er.
Er registrierte, wie ein Schatten über ihr hübsches Gesicht huschte. Warum wohl? fragte er sich. Ist es Anspannung? Vorfreude auf ein paar saftige Geschichten für ihr Skandalblatt? „Muss ich gleich etwas zu verbergen haben, nur weil ich meine Privatsphäre schützen möchte?“
Natürlich nicht, gab Kayla insgeheim zu. „Sie haben recht.“ Nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Warum nur ließ sie sich so leicht von ihm verunsichern? Sie spürte, wie er sie forschend betrachtete, ehe er aufstand und erneut ins Haus ging.
„Und was ist mit Ihnen?“, fragte er, als er zurückkam und zwei dickwandige Gläser auf den Tisch stellte. Dann wandte er sich wieder den Fischen zu.
„Was soll denn mit mir sein?“ Ihr Mund fühlte sich plötzlich ungewöhnlich trocken an. Sie registrierte, wie sich die Muskeln seiner Schenkel spannten, als er sich neben den Grill kauerte.
„Sie sind ganz alleine hier. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten.“
„Und welche?“ Fasziniert beobachtete sie, wie er den Fisch auf einen Keramikteller bugsierte. Er reichte ihr den ersten Teller und nahm sich dann selbst.
„Entweder laufen Sie vor etwas davon …“ Er stellte seinen Teller auf einer Obstkiste ab und griff zur Brotschüssel.
„Oder?“, hakte sie nach, während ihr Blick auf seine kräftigen Hände fiel, als er ihr von dem Brot anbot.
„Oder … Sie jagen hinter etwas her.“
„Was sollte denn das sein?“, fragte sie stirnrunzelnd. Sie fühlte sich wie in einem Kreuzverhör. Als wenn er jede ihrer Reaktionen haarscharf beobachten und seine Schlüsse daraus ziehen würde.
„Träume. Sehnsüchte. Abenteuer.“ Er zuckte nonchalant die Achseln. Irgendetwas, um den Namen Vassalio in den Schmutz zu ziehen, ergänzte er gedanklich. „Also, meine bezaubernde Kayla. Was ist es?“
Unwillkürlich machte Kaylas Herz einen Sprung, als er sie so titulierte. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Wie genau er beobachtete. Anscheinend war er ziemlich gerissen. Aber er lebte hier ja auch wie ein Aussteiger. Ob allein, das konnte sie nicht genau sagen, aber seinem Verhalten nach zu urteilen, hätte sie darauf gewettet.
Er schien es gewohnt zu sein, harte körperliche Arbeit zu verrichten, und doch war er, trotz der Muskeln und der animalischen Energie, offenbar sehr klug und voller Einsicht in die menschliche Natur. Das hatte Craig mit seinem Universitätsdiplom und seinem Karriereinstinkt gefehlt.
Allerdings war sie nicht im Geringsten dazu bereit, diesem aufregenden Mann mitzuteilen, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag. Sie war tatsächlich auf der Flucht. Obwohl – bis eben war ihr dies gar nicht so klar gewesen. Die Auflösung ihrer Verlobung und der Trennungsschmerz gingen niemanden etwas an. Schon gar nicht jemanden, den sie gerade erst kennengelernt hatte. Und der sie eigentlich gar nicht hier haben wollte. Auch wenn er sich seltsamerweise nun verpflichtet fühlte, seine Mahlzeit mit ihr zu teilen.
Sie blickte auf ihren Teller, und der leckere Grillfisch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Achselzuckend meinte sie: „Ich habe nach fünf Jahren in meiner Firma gekündigt und danach frei gearbeitet. Nun habe ich eine Auszeit genommen, um zu überlegen, was ich in Zukunft machen will.“ Lornas Firma stand immer wieder kurz vor der Pleite, und es konnte sein, dass sie sich tatsächlich nach einem anderen Job umsehen musste.
Leon nickte, doch ob er ihre Erklärung akzeptierte, konnte sie nicht sagen. Er nahm seinen Teller und setzte sich auf die Kiste. „Sie sind also …“ Er suchte nach dem richtigen englischen Wort. „… Freiberuflerin?“
„Im weitesten Sinne“, bestätigte Kayla. Eigentlich war das viel zu hoch gegriffen. Sie hatte lediglich guten Freunden aus der Patsche geholfen, nachdem deren Buchhalterin mit einer Internetbekanntschaft durchgebrannt war.
Leonidas griff nach einem Tonkrug, der hinter ihm auf einem Baumstumpf stand, hakte seinen Daumen in den Henkel, hob den Krug über die Schulter nach vorn wie ein griechischer Held auf einer antiken Vasenmalerei, und füllte die Gläser.
Ein Krieger, schoss es Kayla durch den Kopf. Einer dieser mythischen Heroen. Klug und gerissen. Nur auf sich selbst gestellt. Ungezähmt.
„Selbst gemacht und alkoholfrei. Probieren Sie!“, forderte er sie auf und dachte daran, dass es besser gewesen wäre, ihr mit dem hiesigen Wein die Zunge zu lösen. Aber sie musste noch fahren, und er trug die Verantwortung. „Was machen Sie denn beruflich?“, erkundigte er sich nun, obwohl er Small Talk hasste und am liebsten direkt zur Sache gekommen wäre.
„Buchhaltung“, erwiderte sie knapp. „Ich habe Betriebswirtschaft studiert.“ Sie trank einen Schluck. Es schmeckte spritzig und leicht. Nach Limone und anderen Zitrusfrüchten. „Wieso lächeln Sie denn so seltsam?“
Weil ich dann ebenso gut behaupten könnte, Sänger in einem Nachtclub zu sein, dachte Leonidas. Trotzdem beeindruckte ihn ihre offensichtliche Erfindungsgabe. „Nun ja, Sie sehen nicht gerade aus wie eine Buchhalterin.“ Er beschloss, ihr Spielchen weiter mitzuspielen, und betrachtete sie unverblümt von Kopf bis Fuß. Wie zart und schlank ihr Hals war. Wie aufregend ihre Figur, obwohl sie so zierlich war. Überrascht stellte er fest, dass sie ihn erregte. Sein Verlangen war so stark, dass es sich in seinen Augen gespiegelt haben musste, denn Kayla errötete.
„Wie stellen Sie sich denn eine Buchhalterin vor?“, fragte sie ein wenig atemlos.
„Jedenfalls nicht blond, bildhübsch … und viel zu neugierig.“
Sie lachte nervös bei diesem zweischneidigen Kompliment und errötete noch tiefer. Heiße Schauer überliefen sie, und das hatte nichts dem guten Essen oder dem warmen Wind zu tun, der die Blätter der alten Olivenbäume am Hang rascheln ließ.
„Und Sie?“, versuchte sie abzulenken. „Ich hatte eigentlich befürchtet, dieses Gebäude würde verlassen sein. Seit wann leben Sie denn hier schon?“ Sie betrachtete das Haus. Hier konnte man wohnen? Obwohl, bei näherer Betrachtung kam es ihr vor, als sei ein Teil des Gebäudes vor einigen Jahren renoviert worden. „Sie leben doch hier, oder?“
„Im Moment, ja.“ Er zögerte. „Ich fand, hier könne man ganz gut … wie sagt man … abhängen.“
„Wollen Sie damit sagen, Sie gammeln einfach so herum?“
Leonidas lachte, und seine weißen Zähne blitzten auf. Der dichte Wimpernkranz seiner Augen verbarg seinen prüfenden Blick. Wie weit würde sie diese Scharade wohl treiben? Gestern hatte sie sich exakt wie eine Skandalreporterin verhalten, die versucht, an neues Material zu kommen, und auch heute war sie wieder mit ihrer Kamera unterwegs gewesen. Trotzdem hatte ihre entnervte Tirade über ihr Handy, ihren Kühlschrank und ihr angeblich kaputtes Auto ehrlich geklungen. Ernstlich aufgelöst. Wenn sein Verdacht jedoch zutraf – und er zweifelte keinen Moment daran –, dann war sie einfach nur eine hervorragende Schauspielerin.
„Ich nenne es lieber ebenfalls ‚eine Auszeit nehmen‘.“
„Heißt das, normalerweise arbeiten Sie?“
„Wenn es erforderlich ist.“ Und das ist sieben Tage die Woche vierundzwanzig Stunden lang der Fall, dachte er grimmig. Eigentlich musste sie das wissen, wenn sie mit dem Namen Vassalio Kohle machen wollte. Und wenn nicht? Etwas irritiert von dieser unvermuteten Überlegung, schob er die Möglichkeit beiseite und fuhr im Stillen fort: Dann hätte sie eben nicht so aufdringlich sein sollen!
„Und was machen Sie beruflich?“, erkundigte sie sich.
Immer noch spielt sie den Unschuldsengel, dachte er. Man sollte sie für einen Oscar nominieren. Sie würde ihn zweifellos gewinnen.
„Ich bin im Baugewerbe.“ Als ob ihr das unbekannt war!
„Ein Maurer!“ Kayla fühlte sich in ihrer Einschätzung bestätigt. Er verrichtete also tatsächlich körperliche Arbeit.
„Im weitesten Sinne“, zitierte er ihre eigene Bemerkung. Doch jetzt hatte er genug von diesem Katz-und-Maus-Spiel. Er stellte seinen Teller ab, stand auf, schob die Hände in die Hosentaschen und baute sich bedrohlich vor Kayla auf. Mit gefährlich sanfter Stimme sagte er: „Mir reicht es jetzt.“
„Wie bitte?“
Das musste er ihr lassen. Sie wirkte ernsthaft perplex. Eigentlich sogar absolut schockiert.
„Dein Spiel ist aus, hübsche Frau.“
„Welches Spiel? Wovon reden Sie?“
„Ach, das wissen Sie nicht.“ Er lachte rau. „Für wie dumm halten Sie mich? Glauben Sie, ich wüsste nicht, warum sie wirklich hier sind?“
„Sie … Sie …“ Kayla sprang auf, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn wütend an. „Sie müssen mich mit jemandem verwechseln! Ich habe keine Ahnung, für was Sie mich halten … aber ich bin jedenfalls nicht diejenige, die Sie erwarten!“
„Ich habe überhaupt niemanden erwartet! Vor allem nicht schon wieder eines jener geldgeilen Flittchen, die nur an ihren Vorteil denken. Oder wollen Sie mir erzählen, dass Sie hergekommen sind, um mir ein Bürgerbegehren zu überreichen?“
„Absolut nicht“, protestierte sie. Wovon redete dieser Mensch eigentlich? „Ich weiß nicht, wo Ihr Problem liegt oder vor wem Sie auf der Flucht sind, aber ich würde es vorziehen, wenn Sie Ihren Frust nicht an mir auslassen!“
Bevor er etwas erwidern konnte, war sie auch schon gegangen.
Ein ohrenbetäubendes Krachen riss Kayla aus dem Schlaf.
Panisch sprang sie aus dem Bett. Was war das für ein Getöse gewesen? Nur Regen und Donner? Seit Stunden hatte sie sich im Halbschlaf gewälzt. Aber ob der Sturm seit Stunden oder erst seit wenigen Minuten tobte, konnte sie nicht beurteilen.
Als sie die Schlafzimmertür öffnete, wurde sie von der Wucht der Sturmböen fast zu Boden gerissen. Trotz der Dunkelheit konnte sie einen mächtigen Gegenstand erkennen, der schräg durch das Dach hereinragte und den Flur versperrte. Im Dach klaffte ein riesiges Loch, durch das der Regen niederprasselte.
Kayla schrie auf, als erneut ein Blitz über den Himmel zuckte. Fast gleichzeitig erschütterte heftiger Donner die Villa. Das Gewitter musste sich direkt über dem Haus befinden.
Sie tastete nach dem Lichtschalter. „Oh nein!“, stöhnte sie auf, als sich nichts tat.
Zurück im Zimmer, fand sie den Stuhl, auf dem ihre Jeans und ein T-Shirt lagen, und zog beides hastig über ihr hauchdünnes Babydoll. Dann schlüpfte sie in ihre Sneakers und suchte ihre Tasche, in der sich der Schlüsselring mit einer kleine Taschenlampe befand.
Überall im Flur lagen Hindernisse. Äste, abgebrochene Deckenbalken, Ziegeln und Stücke des Mauerwerks. Mörtel knirschte unter ihren Schritten, als sie sich unter dem schräg durch das Dach ragenden Baumstamm hindurchzwängte und vorsichtig die Treppe hinunterstieg.
Wieder schrie sie auf, als ein Blitz das Gebäude taghell erleuchtete. Der darauf folgende Donner ließ den Boden unter ihren Füßen beben, und der Sturmwind peitschte den Regen ins Haus.
Doch dann hörte sie noch ein anderes Geräusch: ein lautes Hämmern an der Haustür. Durch das Tosen des Unwetters drang eine Stimme.
„Kayla! Kayla! Sind Sie da? Antworten Sie doch! Ist alles in Ordnung?“ Das Hämmern wurde immer stärker, als wolle jemand die Tür einschlagen.
Endlich war sie unten und riss die Tür auf. Vor Erleichterung wäre sie am liebsten in Tränen ausgebrochen, als sie Leons hünenhafte Gestalt erkannte. Er stand mit erhobenen Fäusten vor dem Eingang, als wolle er das Hindernis einreißen, wenn ihm nicht geöffnet würde. Der Regen strömte ihm über das Gesicht und den muskulösen Oberkörper.
Kayla musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihm nicht um den Hals zu fallen. Er packte sie am Arm und redete zuerst auf Griechisch auf sie ein, ehe er wieder in Englische wechselte. „Raus hier! Schnell!“, befahl er. „Es hat einen Erdrutsch gegeben. Das Haus hier ist nicht sicher.“ Sie zögerte und schaute unsicher nach drinnen. „Ihre Sachen holen wir morgen“, rief er laut, um den Sturm zu übertönen. „Sie kommen mit zu mir.“
Wie gelähmt rührte sie sich nicht vom Fleck, als sie von weiter oben ein berstendes Geräusch vernahm. Doch plötzlich befand sie sich in Leons Armen – beruhigend starken Armen – und wurde zu seinem Truck getragen.
Nachdem er sie auf dem Beifahrersitz abgesetzt hatte, konnte sie sehen, wie er im Licht der Scheinwerfer, die er angelassen hatte, geduckt auf die Fahrerseite rannte.
Er stieg ein und knallte die Wagentür zu. Sein langes Haar war tropfnass, und sein offenes Hemd klebte an seinem kraftvollen Körper, ebenso wie die klitschnasse Jeans.
„Danke! Vielen, vielen Dank!“ Kayla barg das Gesicht in den Händen, als Leon losfuhr. „Ich wusste nicht, was los war“, erklärte sie etwas gefasster und richtete sich auf. „Ich bin aufgewacht und dachte, die Welt geht unter.“
„Hätte gut sein können. Zumindest für Sie, wenn der Baum auf Ihnen gelandet wäre.“
Ist er aber nicht, dachte sie mit grenzenloser Erleichterung. Sie war Leon unendlich dankbar, dass er ihr geholfen hatte, denn ihr war klar, dass sie allein nie mit der Situation zurechtgekommen wäre.
„Was ist passiert?“, erkundigte sie sich. „Waren Sie gerade in der Nähe?“
„So ungefähr.“ Er konzentrierte sich auf die kurvenreiche Straße, da die Scheibenwischer die Wassermassen kaum bewältigen konnten.
Um halb zwei? Kayla hatte eben erst die Uhr am Armaturenbrett entdeckt. Um diese Uhrzeit war er noch unterwegs gewesen? Oder hatte er den Erdrutsch gehört und war ihretwegen gekommen? Bestimmt nicht, überlegte sie. Kein Mann riskierte sein Leben für eine Frau, die er kaum kannte und außerdem nicht mochte. Denn nach den zwei Begegnungen war ihr klar, dass er sie nicht leiden konnte. Davon abgesehen, schien er von Frauen generell nicht viel zu halten.
„Wieso helfen Sie mir, obwohl Sie mir unterstellen, dass ich nur hier bin, um Ihnen Ärger zu bereiten?“ Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn.
„Was hätte ich denn Ihrer Meinung nach tun sollen?“, fragte er, während er weiter konzentriert durch die Windschutzscheibe starrte. „Sie Ihrem Schicksal überlassen?“
Unwillkürlich überlief Kayla ein Schauer. „Ist denn hier auf den Inseln das Wetter immer so?“
„Damit muss man im Frühjahr rechnen“, meinte er kurz angebunden.
Also selbst schuld, dachte sie. „Was wird denn nun aus der Villa? Durch das Dach ist ein Baum gekracht. Er liegt jetzt im Flur.“
„Morgen schauen wir uns den Schaden an.“
„Aber es wird doch alles nass! Die Möbel. Meine Sachen!“
„Davon können Sie ausgehen.“ Er nahm eine scharfe Kurve. „Bei einem Loch im Dach.“
Beinahe hätte Kayla hysterisch aufgelacht. Der Schock wirkte offenbar nach. Dabei war es wirklich überhaupt nicht lustig, dass das kleine griechische Refugium, das sich ihre Freunde so hart erarbeitet hatten, zerstört wurde. „Wie soll ich das Lorna und Josh beibringen?“, überlegte sie laut. „Die beiden haben im Moment Probleme genug!“ Da fiel ihr noch etwas ein. „Oh, mein Gott“, rief sie. „Wo soll ich eigentlich hin? Heute Nacht. Und morgen … und später?“
„Jetzt kommen Sie erst einmal mit zu mir. Und morgen rufen Sie Ihre Freundin an, erzählen ihr, was passiert ist, und dann finden wir eine Lösung.“
Er hatte tatsächlich „wir“ gesagt! Irgendwie fand Kayla das tröstlich – und gleichzeitig beunruhigend. Sie wollte sich diesem Mann gegenüber nicht verpflichtet fühlen!
„Was für eine Lösung?“ Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, wie es weitergehen sollte. Sie kannte sich hier nicht aus, wusste nicht, ob es auf der Insel preiswerte Unterkünfte gab. In Lornas Villa hätte sie umsonst wohnen können. Das hatte sie zwar abgelehnt, aber die Miete, die sie jetzt zahlte, war ein Spottpreis. Natürlich konnte sie auch einfach heimfliegen …
„Auf dieser Inselseite gibt es drei Hotels“, erklärte Leon. „Das Größte ist wegen Renovierung geschlossen, aber die anderen beiden haben bestimmt Zimmer frei.“
„Ich kann unmöglich bei Ihnen übernachten. Ich möchte Ihnen wirklich nicht zur Last fallen.“ Erstens kannte sie diesen Mann ja kaum! Und zweitens war ihr nach zwei Begegnungen mit ihm die Lust vergangen, ihn kennenzulernen. „Sie haben oft genug betont, dass Sie ihre Ruhe wollen!“
„Was Sie ja bisher erfolgreich ignoriert haben“, meinte er trocken.
„Es tut mir leid.“ Sie fühlte sich plötzlich noch elender. „Sie müssen mir nicht helfen. Ich bereite Ihnen nur Ungelegenheiten …“
„Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun? Sie dem Unwetter aussetzen?“ Er lachte, als er ihre erschreckte Miene sah. „Keine Angst“, beruhigte er sie. „Sie kommen erst mal mit zu mir. Der Rest wird sich finden. Und jetzt will ich nichts mehr hören! Okay?“
Kayla nickte, anscheinend nicht ganz überzeugt.
„Was haben Sie gesagt?“, rief er, um das Prasseln des Regens auf der Windschutzscheibe und das Scheibenwischergeräusch zu übertönen.
„Okay!“ Sie blickte starr geradeaus und verkrampfte die Hände im Schoß, bis sie die Piste verließen und auf den Hof vor seinem Haus einbogen.
Als sie drinnen waren, bemerkte Kayla erstaunt, wie sauber und ordentlich es hier war. Leons Zuhause wirkte behaglich, auch wenn die meisten Möbel alt und die Räume ziemlich verwohnt waren. Die einst hübschen Streifenmuster der Sesselpolster waren verschlissen, und die Tapeten im Wohnzimmer waren verblasst. Die übrigen Wände hätten einen neuen Anstrich vertragen können. Trotzdem strahlte das alte Haus mit seinen Steinböden und Holzbalken einen rustikalen Charme aus. Kayla fühlte sich seltsam wohl hier.
Sie war jedoch viel zu müde, um sich noch eingehender mit ihrer Umgebung zu beschäftigen. „Ich weiß nicht“, meinte sie zögernd. „Irgendwie finde ich es nicht richtig, dass ich hier bin.“
„Ich fürchte, im Moment bleibt Ihnen nichts anderes übrig.“ Er nahm zwei Handtücher aus dem Schrank. „Ich habe nicht die geringste Lust, Ihnen mitten in der Nacht ein Hotelzimmer zu besorgen. Und falls Sie tatsächlich nicht wissen, wer ich bin …“ Er warf ihr einen Blick zu, als ob er ihr allmählich wirklich Glauben schenken würde. „Jedenfalls versichere ich Ihnen, dass ich kein Verbrecher bin. Der einzige Grund, weshalb die Polizei Interesse an mir haben könnte, wäre, dass ich irgendwo zu schnell gefahren bin oder falsch geparkt habe.“
Unwillkürlich musste Kayla lächeln, und ihre Anspannung wich. Genau das hat er ja wohl mit seiner Bemerkung beabsichtigt, dachte sie. Wirklich sehr geschickt. Aber sie war einfach zu müde, um weiter darüber nachzudenken.
Sie lehnte ab, als er ihr etwas zu trinken anbot, und folgte ihm in das Zimmer, wo sie schlafen sollte. Es war schlicht und funktional, wenn auch leicht heruntergekommen. Ein großes altmodisches Pfostenbett aus Holz dominierte den Raum. Normalerweise schläft er wohl hier, schloss sie aus den herumliegenden Kleidungsstücken.
„Kein Fünfsternehotel, aber warm und vor allem trocken. Und das Bett ist frisch bezogen.“ Allerdings gab es im Kopfkissen, dort, wo Leons Kopf gelegen hatte, eine Kuhle. „Allerdings habe ich schon eine halbe Stunde drin gelegen“, fügte er mit einem kleinen Grinsen hinzu.
Also hatte er tatsächlich schon geschlafen und war ihretwegen aufgestanden.
Ihre Blicke trafen sich, doch Leon winkte ab. „Schon gut. Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Es war selbstverständlich.“
„Und wo schlafen Sie?“ Aus Angst, missverstanden worden zu sein, fügte sie schnell hinzu: „Verstehen Sie mich nicht falsch …“
„Tu ich nicht“, beruhigte er sie, doch dabei schaute er sie auf eine Weise an, die sie unsicher machte. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Im Wohnzimmer steht eine Couch.“
Die total unbequem aussieht, dachte Kayla. Zumindest für jemanden von seiner Statur. „Das alles ist mir wirklich außerordentlich unangenehm.“
„Unsinn. Außerdem bin ich sicher, dass Sie Besseres gewohnt sind. Wie gesagt, es ist nicht gerade ein Fünfsternehotel.“ Das klang allerdings eher bissig als entschuldigend.
Kayla verkniff sich, ihm mitzuteilen, dass sie tatsächlich einen Vorgeschmack davon bekommen hatte, wie es war, von Luxus umgeben zu sein. Aber sie war nicht scharf darauf, die Erfahrung zu wiederholen. Nicht, wenn es bedeutete, Craig auf seinen Geschäftsreisen rund um die Welt und zu Geschäftsessen in die nobelsten Restaurants zu begleiten. Es hatte ihr die Augen über ihren Ex geöffnet. Sie hatte erkannt, dass es ihm lediglich darum ging, andere Menschen zu beeindrucken. Menschen, die seiner Karriere nützen konnten.
„Ich bin Ihnen wirklich außerordentlich …“ Sie schrie auf, als ein greller Blitz den Raum taghell erleuchtete und ohrenbetäubender Donner die Wände erzittern ließ.
„Keine Angst.“ Plötzlich stand er dicht hinter ihr. „Das Haus wirkt vielleicht etwas baufällig, aber ich versichere Ihnen, es ist äußerst solide. Durch dieses Dach wird kein Baum krachen.“ Beruhigend legte er ihr die Hände auf die Schultern. Es fühlte sich warm an. Irgendwie tröstlich. Und das war seltsam angesichts seines bisherigen Verhaltens ihr gegenüber.
Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Leon ließ die Arme sinken. „Danke. Alles okay“, stieß sie hervor.
„Natürlich. Aber Sie sollten schleunigst die nassen Sachen ausziehen und ins Bett gehen. Ich hoffe, Sie können gut schlafen.“ Damit verließ er das Schlafzimmer.
Der kurze Weg zum Truck und vom Truck zum Haus hatte tatsächlich ausgereicht, sie bis auf die Haut zu durchnässen. Sie fröstelte und war froh, aus den Kleidern herauszukommen.
Sie schlüpfte unter die Laken des großen altmodischen Bettes. So ganz konnte sie es noch nicht fassen, dass sie ausgerechnet in Leons Bett gelandet war. Ob er nackt schläft? schoss es ihr durch den Kopf. Unwillkürlich erschauerte sie, und dann roch sie den Hauch eines herben Duschgels. Doch das war das Letzte, was sie wahrnahm, denn als sie die Augen das nächste Mal öffnete, drang ein Lichtstreif durch die geschlossenen Klappläden vor dem Fenster. Regen und Wind hatten sich verzogen.
Sie sprang aus dem Bett und stieß Fenster und Jalousien auf. Der Himmel war blau. Gleißender Sonnenschein fiel ins Zimmer und wärmte ihren nur spärlich bekleideten Körper.
Vom Schlafzimmer aus übersah man den Hof, die Staubpiste, die zum Haus führte, und die Berghänge, die steil in das glitzernde Meer abfielen. Der Truck stand immer noch an derselben Stelle, wo Leon ihn abgestellt hatte.
Es überlief sie siedend heiß, als sie daran dachte, dass er sie letzte Nacht gerettet hatte. Wie hilflos sie sich in seinen Armen gefühlt hatte, als er sie zum Truck getragen hatte!
„Sie sind ja schon wach“, hörte sie eine inzwischen wohlbekannte Männerstimme scheinbar aus dem Nichts rufen.
Sie zuckte zusammen und entdeckte Leon, der sich unter seinem Truck hervorschob. Anscheinend hatte er etwas repariert.
Verlegen winkte sie ihm zu, beeindruckt von seiner durchtrainierten Figur. Er wirkte verwegen wie ein Pirat mit den ungebändigten Locken, der schwarzen Lederweste und den abgeschnittenen Jeans. Offensichtlich scherte er sich keinen Deut um Konventionen. Er wirkte absolut selbstbestimmt. Dieser Mann würde sich nie den Regeln unterwerfen, nach denen die Craigs dieser Welt funktionieren, schoss es ihr durch den Kopf.
Plötzlich merkte sie, dass Leon sie mit unverhohlenem Interesse betrachtete. Und kurz darauf wusste sie auch, wieso. Sie trug nicht mehr als das hauchdünne cremefarbene Babydoll. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und schlug die Fensterläden zu. Bildete sie es sich nur ein, oder lachte er laut?
Das Badezimmer war sauber und verfügte über brauchbare sanitäre Einrichtungen. Irgendwann heute Morgen musste Leon eine nagelneue Zahnbürste für sie auf der Spiegelablage deponiert haben. Außerdem lagen auf dem Holzschränkchen neben dem Waschbecken zwei dunkelrote Handtücher von erstaunlich guter Qualität. Kayla war beeindruckt und dankbar.
Glücklicherweise befanden sich in ihrer Handtasche ihre Haarbürste und die braune Wimperntusche, die sie noch vor ihrem Abflug in London gekauft hatte. Obwohl sie sich selten schminkte, war Wimperntusche für sie ein Muss. Mit ihrem hellblondem Haar, den hellen Augenbrauen und blassen Wimpern hätte sie sich sonst ein wenig farblos gefühlt. Craig hatte sie in dieser Meinung auch immer bestärkt.
Sie verspürte einen leisen Stich, als sie an ihn dachte. Aber dann sagte sie sich, dass es ihr egal sein konnte, was Craig Lymington dachte, und überraschenderweise ging es ihr sofort besser.
Sie traf Leon im Wohnzimmer. Er verstaute gerade etwas in einer Schublade, die er anschließend abschloss. Trotz der Erlebnisse der letzten Nacht fühlte sie sich erstaunlich frisch. Widerstrebend gestand sie sich ein, dass er wirklich ein unglaublich attraktiver Mann war. Die Weste betonte seinen athletischen Oberkörper und brachte seine muskulösen Arme zur Geltung. Seine Haut schimmerte bronzefarben, und sie fragte sich, ob sie sich wohl so warm und seidig anfühlte, wie sie aussah. Irgendwie war sie froh, dass sie sich die Wimpern getuscht hatte. Selbst ihr glattes langes Haar wirkte heute Morgen besonders üppig und glänzend.
Er blickte auf und schaute sie an. Sein Mienenspiel verriet ihr, dass er sich daran erinnerte, was er vorhin am Fenster gesehen hatte.
„Ich habe versucht, Lorna zu erreichen, aber ich bekomme keine Verbindung. Dürfte ich ihr Festnetztelefon benutzen?“
„Gerne. Es wird Ihnen nur nichts nützen. Es ist nicht angeschlossen.“ Gleichzeitig nahm er sein Handy aus der Westentasche und reichte es ihr. Das Gerät war noch warm von seinem Körper. Unwillkürlich dachte sie daran, wie gut sich letzte Nacht seine Hände auf ihren Schultern angefühlt hatten. Warm, fest und verführerisch.
„Nachdem ich Lorna angerufen habe und Sie mich zurück zur Villa gebracht haben … würden Sie mir dann bitte auch noch sagen, wo ich das nächste Hotel finde?“, stammelte sie.
„Eins nach dem andern. Man sollte nie Pläne auf nüchternen Magen machen.“
„Ist das Ihre Lebensphilosophie?“ Sie bemühte sich, cool zu klingen, obwohl ihre Kehle wie zugeschnürt war.
„Teilweise“, bestätigte er.
Kayla hätte gerne nachgefragt, da er aber unmissverständlich klargemacht hatte, dass er es nicht schätzte, wenn man in sein Privatleben eindrang, hielt sie sich zurück.
Sie wählte Lornas Nummer und bekam erstaunlicherweise sofort eine Verbindung. Sie versuchte ihrer Freundin die Nachricht über die Sturmschäden so schonend wie möglich beizubringen, schließlich war diese nach zwei Fehlgeburten im fünften Monat schwanger. „Ich konnte letzte Nacht den Schaden nicht genau beurteilen, aber wir werden nachher hinfahren und es uns bei Tageslicht ansehen.“
„Wir?“
„Äh, ja. Deine Nachbarn. Sie haben mich bei sich aufgenommen.“ Kayla hätte sich eher die Zunge abgebissen, als die tatsächlichen Umstände zu gestehen.
„Dann bedanke dich bei ihnen bitte ganz herzlich in meinem Namen. Bin ich froh, dass jemand da war und dir zu Hilfe kam.“
Und ich erst! dachte Kayla. Unwillkürlich starrte sie auf Leons breite Schultern, als dieser den Raum verließ, während sie Lorna weiter zuhörte.
„Lornas Eltern werden herkommen und sich um die Villa kümmern“, informierte sie ihn, nachdem sie das Telefonat beendet hatte und ihn in der altmodischen Küche des Bauernhauses fand. Er stand vor einem gusseisernen Herd und hielt eine Bratpfanne in der Hand.
Außer dem Herd gab es in dem Raum noch eine alte Anrichte und einen großen Holztisch, auf dem sich ein Gedeck befand. Zwei Fenster lagen zur Vorderseite des Hauses und erlaubten einen fantastischen Blick über das Meer. Von den anderen Fenstern aus konnte man den in Stufen angelegten Garten überblicken.
„Meine Freunde haben ein kleines Unternehmen und deshalb nicht viel Zeit.“ Sie gab ihm sein Handy zurück, und er steckte es in die Hosentasche.
Im Gegensatz zu dir, fuhr sie in Gedanken fort. Einen Moment lang beneidete sie ihn glühend um seinen unkonventionellen Lebensstil und seine Freiheit. Offensichtlich hatte er es geschafft, sich jeglicher Verantwortung zu entziehen.
„Waren Sie schon immer so unabhängig?“ Sie sah ihm zu, wie er eine Melone aufschnitt und sie neben einen Teller mit frischen Ananasstücken legte. Anscheinend hatte er schon gefrühstückt.
„Eigentlich ja“, meinte er, ohne aufzublicken. „Außerdem sollte man Dinge, die funktionieren sollen, am besten selbst erledigen.“ Das hatte er auf die harte Tour gelernt.