Harpunentod: Frau Scholles Gespür für Mord - Sophie Tammen - E-Book
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Harpunentod: Frau Scholles Gespür für Mord E-Book

Sophie Tammen

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Beschreibung

Amrum kann tödlich sein. Polizeisekretärin Frau Scholle und ihr Hund Dolores ermitteln. Unterhaltsame Inselspannung von einer Bestsellerautorin, die wie keine andere den Flair von Inseln, Küste und Meer einfängt.  Gabriele Scholle mag ihren Job als Sekretärin bei der Kriminalpolizei. Die gute Seele des Büros hat ein feines Gespür für Ungereimtheiten. Ihr Rat ist immer gefragt. Nun verlangt ihr Mann jedoch, dass sie mit ihm in Rente geht. Auf keinen Fall! Kurzentschlossen reist sie mit ihrer Labradoodle-Hündin Dolores nach Amrum. Dort will sich die Zweiundsechzigjährige die Nordseeluft um die Nase wehen lassen und zu sich kommen. Sie zieht in die Ferienwohnung von Kapitän Behrendsen. Am nächsten Morgen macht sie auf einem Strandspaziergang eine grausige Entdeckung: Ein alter Mann sitzt tot in einem Ruderboot. In seiner Brust steckt eine Harpune. Ist es dieselbe, die der Kapitän am Vortag bei einer Führung über Walfang in der Hand hielt? Frau Scholle kann nicht anders, sie muss ermitteln. Behrendsen wäre ein guter Partner bei den Recherchen. Dumm nur, dass er einer ihrer Hauptverdächtigen ist.  Der erste Fall für die unwiderstehliche Polizeisekretärin Frau Scholle: Sie hat einen feinen Sinn für Mord – und auch ihre Labradoodle-Hündin hat eine besondere Spürnase.

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Seitenzahl: 304

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Sophie Tammen

Harpunentod: Frau Scholles Gespür für Mord

Ein Amrum-Krimi

 

 

 

Über dieses Buch

Amrum ahoi: Wie soll man sich entspannen, wenn es plötzlich tödlich wird?

 

Gabriele Scholle mag ihren Job als Sekretärin bei der Kriminalpolizei. Die gute Seele des Büros hat ein feines Gespür für Ungereimtheiten. Anstatt mit ihrem Mann vorzeitig in Rente zu gehen, reist Gaby mit ihrer Labradoodle-Hündin Dolores nach Amrum. Dort will sie sich die frische Nordseeluft um die Nase wehen lassen und zur Ruhe kommen. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft wird beim abendlichen Strandspaziergang die Inselidylle empfindlich gestört: Ein Mann sitzt tot in einem Ruderboot. In seiner Brust steckt eine Harpune. Ist es dieselbe, die ihr Vermieter, Kapitän Behrendsen, bei der Museumsführung über Walfang in der Hand gehalten hatte? Gaby Scholle kann nicht anders: Sie tauscht Meeresbrise gegen Mordermittlung. Der Käpt’n wäre ein guter Partner bei den Recherchen. Dumm nur, dass er einer ihrer Hauptverdächtigen ist. 

Vita

Sophie Tammen ist das Pseudonym der Bestsellerautorin Anne Barns, deren Erfolgsromane (u.a. «Apfelkuchen am Meer») oft an der deutschen Küste spielen. Auch in ihren Wohlfühlkrimis mit Frau Scholle spürt man die frische Meeresbrise und den Sand unter den Füßen. Wann immer die Autorin eine Auszeit braucht, reist sie nach Amrum. Dort hat sie längere Zeit gewohnt. Dabei hat sie Insel und Menschen ins Herz geschlossen.  

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung bürosüd, München

Coverabbildung PPAMPicture/Getty Images

ISBN 978-3-644-00750-5

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Karte von Amrum aus dem Notizbuch von Gaby Scholle

Kapitel 1

So hatte ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt. Mein Mann tourte mit unserem Wohnmobil durch Bayern, und ich stand an Deck einer Fähre. Zwischen Rolf und mir lagen gut tausend Kilometer, die Berge und, wenn ich angekommen war, auch die Nordsee. Ich sah es positiv: Endlich würde ich mal für mich sein! Nur Dolores begleitete mich.

In den letzten Wochen hatte es viel geregnet, aber pünktlich zu unserer Abfahrt war das Wetter besser geworden. Ich hielt mein Gesicht in die wärmende Morgensonne und sah zu der Insel hinüber, auf die wir zusteuerten. Amrum erwartete uns.

«Wir lassen es uns richtig gut gehen.» Ich beugte mich hinunter und strich über Dolores’ lockigen Kopf.

Sie wedelte mit dem Schwanz und sah mich mit ihren schönen braunen Augen unternehmungslustig an.

Zuerst hatte ich es für keine gute Idee gehalten, dass unser Sohn sich einen Hund anschaffte – einen, den er zum Trüffelsuchen ausbilden wollte. Typisch Max! Er hatte große Pläne mit Dolores gehabt. Doch am Ende hatte sich meine Befürchtung bestätigt. Dolores war in Bausch und Bogen durch die Trüffelsuch-Prüfung gefallen.

Kurz darauf trennte mein Sohn sich von seiner Freundin, und er hatte plötzlich keine Zeit und keinen Platz mehr für einen Hund. Die feinen Pilze blieben unter der Erde, Dolores bei mir.

Eine unerwartete Freude, wie ich feststellte. Die regelmäßigen Spaziergänge mit ihr taten mir gut. Außerdem half sie mir bei der Arbeit. Außerhalb des Kommissariats durfte ich mit niemandem über die Entwicklungen der Kriminalfälle sprechen, die ich als Polizeisekretärin bearbeitete. Es brachte aber meine Gedanken in Ordnung, wenn ich sie laut aussprach. Dolores entpuppte sich als gute Zuhörerin.

Wir waren uns ähnlich. Auch ich hatte Locken, war mal blond gewesen und ebenfalls durch eine wichtige Prüfung gerasselt. Es war nun schon über vierzig Jahre her, und trotzdem sah ich die Bilder immer noch deutlich vor Augen: die Stangen, um die ich rennen, und den Turnkasten, über den ich bei der Aufnahmeprüfung an der Polizeischule springen sollte. Warum ich plötzlich einen inneren Widerstand verspürte und einfach davor stehen geblieben war, weiß ich bis heute nicht. An mangelnder Kondition lag es nicht. Genau genommen war ich nicht durchgefallen, ich wollte nur einfach nicht mehr. So wie Dolores, als sie beim Trüffelsuchen störrisch geworden war und sich geweigert hatte weiterzugehen.

«Wir sind das perfekte Paar, Dolores», sagte ich, «wir werden die Zeit am Meer genießen. Jeden einzelnen Tag.»

Die Frau neben mir schaute zu uns herüber. Wahrscheinlich hatte sie mir zugehört und hielt mich für eine schräge alte Schachtel, weil ich mit meiner Hündin sprach. Aber ich irrte mich, denn sie sagte: «Dolores ist ein schöner Name. Meine Hündin hieß Judy, sie ist leider vor zwei Jahren gestorben.» Ihr Blick wurde traurig. Die Erinnerung schien ihr immer noch wehzutun.

«Oh, das tut mir leid.»

«Sie war perfekt, eine wunderhübsche Border-Collie-Dame mit Charme, Witz und Verstand. Wir haben viel zusammen erlebt.»

Das klang für mich eher wie die Beschreibung der besten Freundin. Wahrscheinlich gehörte diese Frau zu denen, die ihre Vierbeiner wie Menschen behandelten. Ich blickte zu Dolores hinunter. Sie fraß gern, schlief viel und liebte Gassigehen. Sie brachte gerne Bälle oder Stöckchen zurück, wenn ich sie warf. Dolores war eine stinknormale Hündin, keine Freundin.

«Darf ich sie streicheln?», fragte die Frau.

«Gerne. Sie ist lammfromm.»

Das war sie wirklich. Sie würde selbst einen Einbrecher schwanzwedelnd begrüßen, wenn er nur freundlich genug mit ihr sprach. Aber sie war mir lieber als eines von diesen kläffenden und zähnefletschenden Tieren, denen wir manchmal im Park beim Spazierengehen begegneten. Mit der Wasserpistole, in die ich auch einen Schuss Wodka füllte, hielt ich uns diese Tölen vom Leib. Wobei ich mich oft zurückhalten musste, nicht «aus Versehen» Herrchen oder Frauchen abzuschießen.

«Hallo, du Liebe.» Die Frau ging vor Dolores in die Hocke. «Eine hübsche Labradoodle-Lady bist du.» Sie sah zu mir auf. «Und ein sanftes Wesen hat sie auch. Kommt der Pudel in ihr durch? Sie sollen sehr schlau sein.»

«Das ist sie», antwortete ich. «Mein Sohn wollte ursprünglich mit ihr Trüffel finden und reich werden. Aber sie hat nicht mitgemacht. Wozu etwas Essbares suchen, wenn sie es dann nicht auffressen darf?»

Wie auf Kommando schlich Dolores los und schnüffelte zwischen den Stuhlreihen. Wohl in der Hoffnung, noch etwas von dem Brötchen samt Matjes zu finden, das die Möwen einer Passagierin gemopst und direkt an Bord zerteilt hatten.

Als ich Dolores rief, kam sie sofort zurück. Sie hörte – meistens – aufs Wort, zumindest bei den wichtigsten Befehlen hatte Max alles richtig gemacht.

In ihrem Maul transportierte Dolores ein dunkles Tuch, das sie uns schwanzwedelnd präsentierte.

«Das gibt es doch nicht», rief meine Zufallsbekanntschaft überrascht. «Das gehört mir. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich es verloren habe.» Sie streckte die Hand aus, und ich staunte nicht schlecht, als Dolores, ohne zu zögern, ihre Beute herausrückte. «Vielleicht hätte Ihr Sohn sie zum Polizeihund ausbilden sollen. Wenn sie unaufgefordert nach Sachen sucht …»

Der Gedanke gefiel mir. «Mit ihr hätten meine Kolleginnen und Kollegen sicher ihren Spaß. Sie würde das Kommissariat ordentlich aufmischen.»

«Sie sind Kommissarin?»

«Sekretärin beim K11 in Wiesbaden. Mordkommission.»

«Wie aufregend!»

Das war es, auch wenn ich keine Ermittlerin geworden war, wovon ich als junges Mädchen immer geträumt hatte. Doch der Blackout vor dem Turnkasten hatte auch sein Gutes gehabt. Im Innendienst bekam ich alles mit, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen. Auch wenn es mir manchmal in den Fingern juckte, nicht nur auf dem Papier nach Verbrechern zu fahnden, war ich rundum zufrieden mit meiner Berufswahl.

Ich musterte die Frau und überlegte, in welchem Business sie wohl tätig war. Oft lag ich richtig, denn ich hatte ein Gespür für Menschen. Ihre Aussprache hatte einen norddeutschen Einschlag mit einer schnodderigen Intonation. Vermutlich Friesisch. Ob sie von Amrum kam? Insulanern sagte man jedoch eine gewisse Wortkargheit nach. Diese Frau war gesprächig und offen, ihr Lächeln echt, ihre Stimme warm. Sicher konnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun, sie gehörte zu den Guten, da war ich sicher. Beruflich hatte sie viel mit Menschen zu tun. Ich tippte auf den Gesundheitsbereich oder irgendeine Dienstleistung, und mit meinen Vermutungen lag ich selten falsch.

«Ich bin Friseurin. Mein Geschäft ist in Wittdün», sagte sie da, als hätte sie meine Gedanken erraten. Bei diesen Worten betrachtete sie prüfend meine Haare. Ihre waren rotblond, sie trug sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. «Kommen Sie doch mal vorbei, wenn Sie eine Veränderung wünschen oder Lust auf ein Verwöhnprogramm haben. Ich biete auch Kosmetikbehandlungen an.»

Meinte sie damit meine Frisur, mich oder beides? Seit meinem sechzigsten Geburtstag vor zwei Jahren hatte ich meine Haare nicht mehr gefärbt. Ich schaute zu Dolores hinunter. Ihr Fell glänzte in der Morgensonne, es sah aus wie flüssiger goldener Honig. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass Hunde und ihre Besitzer sich auf Dauer optisch annäherten. In dieser Hinsicht hatten wir beide keinen weiten Weg zurückzulegen, ich musste nur etwas an der Farbe meiner Haare ändern. Meine Alterssträhnen waren weiß, und ich stand dazu. Ich gefiel mir, eine Veränderung brauchte ich nicht. Aber ich wollte es mir gut gehen lassen.

«Das Verwöhnprogramm hört sich gut an. Wann kann ich vorbeikommen?», fragte ich spontan.

Die Frau kramte in ihrer Tasche und reichte mir eine Visitenkarte. «Rufen Sie einfach an. Ich bin Ine.»

«Gaby», sagte ich.

Wir schüttelten die Hände. Ine beugte sich zu Dolores hinunter, und als diese ihr eine Pfote entgegenstreckte, mussten wir lachen. «Es freut mich, auch dich kennenzulernen, Dolores.» Sie sah mich an. «Ein langer Name für einen Hund, rufst du sie immer so?»

«Wenn es brenzlig wird oder sie Mist baut, wird sie zu Dolly», erklärte ich.

Sie lachte, dann sah sie zur Insel, die beständig näher kam. Ich folgte ihrem Blick.

«Es ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen. Auch wenn ich nur ein paar Tage weg war.»

Auf mein Bauchgefühl konnte ich mich schon immer verlassen. Sie war Insulanerin oder irgendwann auf die Insel gezogen, wenn sie nicht dort auf die Welt gekommen war, aber das machte keinen Unterschied: Ich hatte richtiggelegen.

«Warst du schon mal auf Amrum?», fragte sie.

Sie duzte mich wie selbstverständlich. Ich mochte ihre unkomplizierte Art.

«Nein, ich bin schon gespannt», antwortete ich.

«Gleich kommen wir steuerbord, also auf der rechten Seite, an den Halligen Gröde und Langeneß vorbei. Dahinter, auf der linken Seite, also Backbord, liegt die Hallig Hooge. Und dann ist auch schon die Silhouette von Amrum mit dem Leuchtturm zu erkennen, unser Wahrzeichen. Oder besser gesagt, eines davon. Es gibt viel zu entdecken auf der Insel. Wo bist du untergekommen?»

«In Norddorf.»

«Gute Wahl. Dann solltest du dir unbedingt ein Stück Friesentorte im Café Schult gönnen. Auch wenn du keinen Kuchen mögen solltest.»

«Wie kann man keinen Kuchen mögen?»

«Stimmt.» Ine kraulte Dolores hinter den Ohren. «Und vergiss nicht, sie immer an die Leine zu nehmen. Vor allem, wenn du in den Dünen spazieren gehst. Sie stehen unter Naturschutz. Jetzt im Frühling brüten die Vögel.»

Im Gegensatz zu manch anderen Hundebesitzern wusste ich, was sich gehört. Auch Kotbeutel hatte ich genügend dabei. «Das ist doch selbstverständlich», sagte ich. Da sah ich aus den Augenwinkeln einen Jungen, der in der Tür nach unten zum Bordrestaurant auftauchte. Ich schätzte ihn auf etwa sieben oder acht. Sein Haar war blond mit einem rötlichen Stich, wie das von Ine.

«Mama!», rief er. «Huar blafst dü?»

«Ich komme gleich», rief Ine zurück, und er trollte sich wieder nach unten. «Mein Sohn», erklärte sie. «Er will mich beim Kartenspielen schlagen. Das gehört zu unserem Ritual, auf der Fähre wird gezockt. Wer gewinnt, darf bestimmen, was es am Sonntag zu essen gibt.»

Ich schmunzelte. «Gemüseauflauf oder Pizza also.»

Sie runzelte die Stirn. «Da hast du recht. Aber wenn es Pizza gibt, habe ich gewonnen. Seit der neue Lehrer auf der Insel unsere Kinder nicht nur unterrichtet, sondern auch erzieht, weiß ich erst, wie ungesund ich mich all die Jahre ernährt habe. Fiete hält mir ständig Vorträge.»

«Dann wünsche ich dir ein gutes Blatt!»

«Danke. Dir eine schöne Zeit auf Amrum. Und vielleicht bis bald?»

«Auf jeden Fall. Aber sag mal, Ine …» Die Sprache, in der die beiden gerade kommuniziert hatten, war mir im Ohr geblieben. «Hast du gerade Friesisch mit deinem Sohn gesprochen?»

«Öömrang», antwortete sie. «Das Amrumer Friesisch. Die Kinder lernen es hier in der Schule, so wie wir früher. Auf der Insel wirst du es häufiger hören. Die alten Amrumer sprechen es, wenn sie sich miteinander unterhalten. Und damit die Sprache nicht in Vergessenheit gerät, sprechen wir Kinder und Kindeskinder es auch.»

«Eine schöne Tradition», sagte ich und freute mich, dass ich richtiglag mit der Vermutung, dass Ine Insulanerin war.

Ine schüttelte den Kopf. «Es ist schlicht unsere Sprache. Und jetzt muss ich los. Man dring teewt, mein Sohn wartet.»

Mein Sohn war gerade in der Schweiz unterwegs, wo er demnächst arbeiten würde. Auch deswegen hatte er mir Dolores aufs Auge gedrückt. Sie passte einfach nicht mehr zu seinem Leben. Seit drei Monaten gehörte sie nun zu mir. Seitdem war ich mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen. In diesem Punkt hatte Max recht, Hunde waren die perfekten Eisbrecher. Seine Freundin, die nun seine Ex war, hatte er beim täglichen Spaziergang entlang des Rheinufers kennengelernt. Er war mit Dolores unterwegs gewesen, sie mit ihrem Zwergpudel. Der kleine Kläffer war ungezogen und anstrengend. Da er seine Erziehung seinem Frauchen verdankte, schätzte ich sie charakterlich ähnlich ein. Deswegen hatte ich meinem Sohn davon abgeraten, so schnell mit ihr zusammenzuziehen. Aber er wollte ja nicht auf mich hören …

Ich sah auf die graue Nordsee, und dabei fiel Ine mir wieder ein. In Gedanken ging ich die Kleidung durch, die sie trug: einen schwarzen Wollmantel, darunter einen hellblauen Rollkragenpullover, dazu eine enge schwarze Stoffhose und ebenso schwarze Stiefeletten. Das Halstuch war grau gewesen, mit hellblauen Blümchen im Farbton des Rollis, wenn ich mich recht erinnerte. Der Junge trug eine olivgrüne Sweatshirt-Jacke zu einer schlabberigen Jeans. Weiße Sneaker zum Reinschlüpfen, die man nicht schnüren musste und die schon sehr ausgelatscht aussahen. Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. Vor ein paar Jahren hatte ich begonnen, meine Gehirnzellen zu trainieren, indem ich Personen aus meiner Erinnerung beschrieb, die ich zufällig traf. Was ich mir anfangs als Aufgabe vorgenommen hatte, hatte sich mit der Zeit verselbstständigt. Es passierte nun ganz von allein.

Es juckte mir in den Fingern, meine Beobachtungen sofort aufzuschreiben. Aber hatte ich mir nicht vorgenommen, mir vom Inselwind den Kopf frei pusten zu lassen? Die Notizhefte hatte ich bewusst zu Hause gelassen. Keine Täterprofile im Urlaub! Schon gar nicht, wenn es sich nicht um Verdächtige handelte. Allerdings sah ich es wie Jean Baptiste Henri Lacordaire.

«Weißt du, Schatz», sagte ich. «In jedem von uns steckt ein Heiliger und ein Verbrecher.» Wer wusste schon, was tief versteckt in Ine schlummerte, auch wenn ich sie für eine Gute hielt? Ich hatte beide Anlagen in mir, wobei ich Verbrechen natürlich immer nur gedanklich verübte.

Dolores legte den Kopf schief und sah mich regungslos an. Sie war eine gute Zuhörerin, aber die Sache mit dem Verstehen mussten wir noch üben.

«Hast du vielleicht Hunger?»

Das Wort «Hunger» verstand sie sofort. Erwartungsvoll wedelte sie mit dem Schwanz.

Wir waren gestern um elf Uhr am Abend von Wiesbaden losgefahren, um pünktlich an der Fähre zu sein, die um kurz nach halb neun von Dagebüll abgelegt hatte. Das Fahren machte mir nichts aus, auch nicht in der Nacht. Im Gegenteil, es entspannte mich, solange ich mich nicht durch überfüllte Städte quälen musste. Zwischendurch hatten wir kurz vor Hamburg eine längere Schlafpause an einer Raststätte eingelegt und heute früh am Morgen noch mal eine, bei der ich meine Sandwiches mit Dolores geteilt hatte. Die große morgendliche Portion Trockenfutter, die sie pünktlich um sieben Uhr dreißig mit einem dezenten Stupser gegen mein Bein einforderte, hatte ich ihr verweigert, weil ich nicht wusste, wie sie mit vollem Magen auf den Seegang reagieren würde. Aber jetzt waren wir schon über eine knappe halbe Stunde unterwegs. Das Wasser war ruhig, Dolores hielt sich tapfer. Und ich mich auch: Ich hatte heute noch kein einziges Mal auf mein Handy geschaut, um mich zu vergewissern, dass es meinen Kindern und Enkelkindern gut ging.

Kapitel 2

«Wie wäre es mit einer Camembert-Schnitte?», fragte ich. Den fordernden Blick von Dolores wertete ich als Zustimmung. Ich folgte dem Beispiel zweier Teenager und setzte mich im Schneidersitz auf den Boden. Meine jahrelange Yogapraxis zahlte sich aus. Ich konnte mich noch immer biegen wie eine Brezel.

Rolf hatte es sich um diese Zeit sicher schon auf seinem Klappstuhl vor dem Wohnmobil gemütlich gemacht, trank Pulverkaffee und las Nachrichten auf seinem Tablet. Meine Tochter hatte mir gestern erzählt, dass er am Nachmittag wohlbehalten in Berchtesgaden angekommen sei. In meinen Gedanken hatte ich meinen Mann schon einige Male zum Teufel gejagt. Als Polizeiobersekretärin mit Zugang zu den Verbrecherakten fielen mir durchaus kreative Methoden dafür ein. Aber letztlich war ich all die Jahre doch die Heilige geblieben, die ihm nur Gutes wünschte. Schließlich war er der Vater meiner Kinder. Und außerdem hatte er auch seine guten Seiten.

Ich holte den Proviant aus dem Rucksack, teilte die Schnitte in zwei Hälften, und eine davon hielt ich Dolores hin. «Guck mal, was die Oma hier Leckeres für dich hat», sagte ich und erschrak im nächsten Moment über mich selbst. Es war schon wieder passiert. Max hatte mit dem Unsinn angefangen, er redete mit Dolores, als wäre er ihr Vater, und er nannte sich auch so, wenn er mit ihr sprach. Als ich das erste Mal gehört hatte, wie mein Sohn «Komm zu Papa, Dolores» gesagt hat, hatte ich mir ernsthaft Gedanken über seinen Gemütszustand gemacht. Immerhin war er schon achtunddreißig, bisher nicht verheiratet, und Enkelkinder waren weit und breit auch keine in Sicht. Von wegen Trüffelsuche! Dolores sollte wohl als Kindersatz herhalten. In dieser unbestechlichen Logik war ich die Oma, und als ich das erste Mal mitbekommen hatte, dass er mich tatsächlich so nannte, wenn er mit seiner Hündin sprach, war ich entsetzt gewesen. Und jetzt rutschte es mir selbst immer öfter heraus. Meistens, so wie jetzt, konnte ich darüber lachen. «Ab morgen bist du wieder ein Hund. Es gibt Trockenfutter, gewogen.»

Ich trank den restlichen Kaffee aus der Thermoskanne, goss etwas Wasser für Dolores in den mitgebrachten Napf, streckte die Beine aus, lehnte mich gegen die Reling und schloss die Augen.

 

Die sonore Stimme des Kapitäns ließ mich aufschrecken. Er gab durch, dass wir in Kürze Amrum erreichen würden.

Ich streckte mich. Dolores lag neben mir, ein sanfter Wind glitt durch ihr lockiges Fell. Auch sie hatte ein Nickerchen gehalten.

«He, aufwachen», sagte ich und streichelte sie. Sie hob den Kopf. Ich rappelte mich hoch und sah der Insel entgegen. Den Leuchtturm hatte ich verpasst, wir fuhren bereits auf die Südspitze Amrums zu.

Da hörte ich die Titelmelodie von Magnum in meiner Hose. Wie sehr hatte ich die Serie in meinen Zwanzigern geliebt! Automatisch erschien Tom Selleck mit seiner ikonischen Rotzbremse unter der Nase vor meinem inneren Auge. Ein echter Mann mit ordentlichem Brusthaar und Charme.

Aber es war Susanne, die mich anrief, eine Kommissarin, mit der sich über die Jahre eine Freundschaft entwickelt hatte. Sie hatte mir über drei Ecken die Ferienwohnung auf Amrum besorgt, die kurzfristig frei geworden war. Bestimmt wollte sie wissen, ob wir gut angekommen sind.

«Die Fähre legt gleich an», sagte ich, «kann ich dich später zurückrufen?»

«Nur ganz kurz, okay? Hier ist das totale Chaos ausgebrochen!» Ich hörte es ihr an, sie war wieder einmal kurz davor, die Krise zu kriegen, was jeden Tag mehrmals vorkam. «Wo finde ich die Akte über den Rosenbusch-Fall?»

Ich musste nicht lange überlegen. «Der Blennemann hat sie. Ich habe sie ihm gegeben, als ich das letzte Mal im Büro war.»

«Das dachte ich mir.» Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie leise: «Georg fehlt mir. Als Chef und auch menschlich. Was haben wir für einen Spaß gehabt, auch wenn wir viel gearbeitet haben. Oder gerade dann.»

«Er fehlt mir auch.» Vor anderthalb Jahren war er in den Ruhestand gegangen. Vor drei Monaten war er überraschend gestorben. Sein Herz hatte einfach so aufgehört zu schlagen. Mit Blennemann, dem neuen Chef, war ich noch nicht warm geworden. Und ich war mir sicher, dass sich das so schnell nicht ändern würde.

«Wir sind ohne dich echt aufgeschmissen, Gaby. Weißt du das?», sagte Susanne da.

Natürlich wusste ich das. Ein Umstand, der mir gefiel. Nur schade, dass es der neue Chef noch nicht bemerkt hatte.

Eigentlich hatte ich vor, mir während des Urlaubs keine Gedanken über die Arbeit zu machen. Eine Herausforderung für mich, da mich die Mordfälle oft noch tagelang beschäftigten, auch wenn sie schon aufgeklärt waren. Schlimmer noch waren allerdings die aktuellen Fälle. Da konnte ich schlecht abschalten und ging in Gedanken immer wieder mögliche Täter oder Motive durch, die nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich waren. Aber meine Auszeit hatte streng genommen noch nicht begonnen, das hier war noch der Anreisetag. Ich konnte einfach nicht anders. «Gibt es denn was Neues?», fragte ich.

«Ich wollte dich im Urlaub nicht damit stören, aber wenn du es unbedingt wissen willst …», antwortete sie, und ich konnte förmlich das schelmische Funkeln in ihren Augen sehen. Susanne wusste, wie ich tickte und wie schwer es mir fallen würde, mich rauszuhalten. Deswegen hatte ich sie sehr nachdrücklich darum gebeten, mir nichts über irgendwelche Fälle zu erzählen. «Wir wissen jetzt, wer der Täter ist.» In ihrer Stimme klang trotz ihrer Professionalität und Erfahrung ein Hauch von Sensationslust mit. Ein Fremder hätte das überhört, aber ich kannte sie schon lang. Sie hatte wohl etwas zu berichten. «So absurd es klingt, aber es war tatsächlich der Gärtner. Du hattest mal wieder recht.»

«Ha!», rief ich.

«Er hat sich mit seinem Alibi widersprochen. So haben wir ihn überführt.»

«Treffer!»

«Absolut. Bitte überleg dir das gut mit dem Vorruhestand, du würdest mir echt fehlen, Gaby. Den anderen auch. Und lass uns später unbedingt noch mal telefonieren.»

«Machen wir, jetzt muss ich erst mal von der Fähre. Ich melde mich. Bis später.»

Eigentlich hatte ich mich schon längst dagegen entschieden, als Rolf den Vorschlag gemacht hatte, dass ich ein paar Jährchen früher in Rente gehen sollte. Ich wollte noch nicht aufhören zu arbeiten, denn es machte mir Spaß. Nur weil mein Mann vier Jahre vor mir pensioniert worden war und sich seitdem langweilte, hieß das nicht, dass ich meinen Job für ihn aufgeben würde. Aber dann war Blennemann als neuer Chef gekommen, ein Unsympath, der mich mit Arbeit überhäufte. Natürlich gehörte es auch zu meinen Aufgaben, Büromaterial zu bestellen. Auch die Datenpflege lag in meinem Zuständigkeitsbereich. Ich verfasste auch gern seine Berichte, die er mir in kurzen Stichpunkten auf den Schreibtisch legte. Aber dass er mir die Pflege des von ihm neu angeschafften Kaffeevollautomaten aufs Auge gedrückt hatte, empfand ich schon fast als Beleidigung. Der Mann trank gefühlt jede Stunde einen Latte macchiato. Den Kaffeetrester entsorgte er hin und wieder, aber sauber machen durfte ich das Ding. Wahrscheinlich würde ich mich daran nicht stören und die Arbeit mit derselben Selbstverständlichkeit erledigen wie meine anderen Aufgaben. Aber er hatte so eine Art von oben herab, die mir missfiel. Ich mochte ihn nicht. Und er mich auch nicht, denn Widerworte war er wohl nicht gewohnt.

Seit er da war, schien mir der Vorruhestand auf jeden Fall wieder verlockender zu sein. Ich hätte nur Susanne nicht von meinen Überlegungen erzählen dürfen. Während mein Mann mir in den Ohren lag, in Rente zu gehen, bearbeitete sie mich seitdem zu bleiben.

Ich atmete tief durch. In den nächsten Wochen wollte ich eine Entscheidung treffen.

Es rumpelte, die Fähre legte an. Obwohl noch niemand von Bord gehen durfte, drängten die Fahrgäste um mich herum zu den Ausgängen. Ein Mann stolperte über meine Füße und ging kopfschüttelnd weiter, ohne etwas zu sagen.

«Entschuldigung!», rief ich ihm hinterher, stand auf und nahm Dolores an die Leine.

«Dann wollen wir mal, Schatz», sagte ich, als das Feld an Deck sich etwas gelichtet hatte. Ich ging in Richtung Ausgang, holte Rucksack und Reisetasche, die ich in der Gepäckaufbewahrung abgestellt hatte, und seufzte. Das letzte Mal, dass ich mit Gepäck auf dem Rücken unterwegs war, war in Schottland, kurz nach dem Abitur. Die volle Reisetasche gehörte Dolores. Ich transportierte darin Trockenfutter, einen Sack Leckerlis, die Hundenäpfe, eine Kuscheldecke, zwei Handtücher zum Abrubbeln und ihren Lieblingsball.

Was machte man nicht alles, wenn man plötzlich Hundeoma war und eine Hand für die Leine frei haben musste!

Der Rucksack war verdammt schwer. Das Auto hatte ich auf dem Parkplatz in Dagebüll stehen lassen, damit ich gar nicht erst in Versuchung kam, es zu benutzen. Ich wollte die Insel zu Fuß erkunden und mir vielleicht ein Rad ausleihen.

Voll bepackt taumelte ich mit Dolores über die Landungsbrücke ans Festland.

***

Sternzeichen Steinbock und Aszendent Jungfrau – ich überließ ungern Dinge dem Zufall. Ich wusste, dass ein paar Meter die Straße hinauf der Bus auf die Fahrgäste wartet. Natürlich hatte ich mich vorher auch online informiert, dass es nur eine Linie gibt, und zwar eine, die der Länge nach über die Insel fährt. Unsere Haltestelle war die letzte, wir mussten in Norddorf Mitte aussteigen.

Der Bus war brechend voll. Ich stand eingequetscht vorne im Mittelgang, in der einen Hand meinen Rucksack, den ich wegen der Enge vom Rücken genommen hatte, und in der anderen die Leine mit Dolores.

Wir fuhren die Hauptstraße durch Wittdün entlang, vorbei an kleinen Cafés, Restaurants und linker Hand einer Buchhandlung. Als wir das Dorf verließen, drückte die Busfahrerin auf der schmalen Straße ordentlich auf die Tube. Ich zuckte ein paar Mal zusammen, als uns Autos entgegenkamen und wir gefährlich nah am Straßenrand entlangbrausten.

Plötzlich musste die Fahrerin bremsen. Instinktiv griff ich an die Stange über meinem Kopf, um mich festzuhalten. Dabei machte sich mein Gepäck selbstständig und rutschte auf einen grauhaarigen Mann, der mit dem Rücken zu mir stand.

«Vorsicht!»

Ich sprang auf, ohne an Dolores zu denken, die zu meinen Füßen lag, und ich tat, was auch der Rucksack tat, ich stürzte auf den Mann.

«Hoppla!» Er drehte sich zu mir um und hielt mich fest. Für einen kurzen Moment war ich überrascht, als ich die verblüffende Ähnlichkeit zwischen ihm und meinem alten Chef bemerkte. Er hatte ein ebenso markant geschnittenes Gesicht, dunkle Augen und ein sympathisches Lächeln, bei dem die linke Mundpartie leicht nach unten kippte. Eben erst hatte ich mit Susanne über ihn gesprochen, und nun spukte er erneut in meinem Kopf rum.

Der Mann zog überrascht die buschigen Augenbrauen hoch. «Keine Sorge. So ein kleines Täschchen wirft mich nicht um», sagte er und unterstrich diese ironische Aussage mit einem Zwinkern. «Da braucht es schon stärkere Geschütze.»

Er sprach mit einem unverkennbaren Akzent, den ich nicht gleich zuzuordnen wusste. Er klang nach einer ungewöhnlichen Mischung aus Friesisch und amerikanischem Englisch, als hätte er eine heiße Kartoffel im Mund.

Ich rückte von ihm ab und fand meine Worte wieder. «Danke fürs Auffangen.»

«Gern geschehen.»

Der Bus hielt am Badeland. Ich beobachtete, wie eine Gruppe gut gelaunter Frauen ausstieg, sah ihnen nach und war sehr zufrieden damit, dass ich zwei Wochen ganz für mich allein hatte. Was für ein Luxus!

Einige Plätze waren frei geworden, aber der grauhaarige Mann blieb stehen, als wir weiterfuhren. Er schaute aus dem Fenster. Ich tat es ihm nach und sah die Dünen vorbeiziehen. Dahinter lag das Meer, auf das ich mich sehr freute.

«Nächste Haltestelle Blaue Maus», verkündete die Busfahrerin.

Ich sah auf, denn diese Kneipe stand auf meiner To-do-Liste. Sie war bekannt für die Auswahl guter Whiskys. Bei meiner Urlaubsplanung hatte ich bei der Onlinerecherche über Amrum einen Artikel über die Blaue Maus gefunden. Sie war im Jahr 2015 von der Fachzeitschrift «Der Whisky-Botschafter» als «beste Whiskybar Deutschlands» ausgezeichnet worden. Das hieß was! Neugierig blickte ich auf das große, rot geklinkerte Haus mit dem Reetdach, das etwas zurückgesetzt von der Straße lag. Auf dem weißen Schild über der Eingangstür stand in blauen Buchstaben der Name. Die Wein trinkende blaue Maus auf dem runden Schild an der Hauswand war das Markenzeichen. Mit ihrem weiß-rot karierten Pullover und dem Leuchtturm im Hintergrund erinnerte sie mich an Käpt’n Blaubär.

«Montags ist Maustag, schöne Frau», hörte ich plötzlich den Mann sagen, der mich aufgefangen hatte. Er meinte tatsächlich mich, was für ein Charmeur. «Wenn Sie vorhaben, mal vorbeizuschauen, würde ich morgen empfehlen. Da treffen sich die Insulaner, meistens so gegen neun, am Abend, versteht sich.» Er legte eine kleine bedeutungsvolle Pause ein. «Und ich bin auch da.»

War das eine Einladung? Der Gedanke gefiel mir, wie ich überrascht feststellte. «Neun Uhr», sagte ich, ohne weiter darüber nachzudenken. «Ist notiert!»

Da schoben sich zwei Frauen vor ihn und versperrten uns die Sicht.

«Ich hoffe, Sie sind trinkfest», hörte ich ihn sagen.

«Ich gebe mein Bestes.» Wein und Sekt vertrug ich nicht gut, aber bei den härteren Getränken konnte ich mithalten. Während der Schottlandreise mit dem Rucksack hatte ich mich nicht nur in Liam, ich hatte mich auch in Whisky verliebt, besonders in die rauchigen Sorten, die fast ein wenig torfig schmeckten. Die Liebe zum Whisky war geblieben.

«Gut, es wäre mir ein Vergnügen, Sie einzuladen», sagte er.

Der Bus fuhr weiter, und ich schaute wieder aus dem Fenster, lächelnd. Wir fuhren am Campingplatz und dem weiß-roten Leuchtturm vorbei, der majestätisch in den Dünen stand. Wir hielten in Süddorf sowie an mehreren Haltestellen in Nebel. Ich bewunderte die hübschen weiß getünchten Reetdachhäuser, die das Bild der Insel prägten, und freute mich auf einen beschaulichen Urlaub.

Als wir in Norddorf-Mitte ankamen, waren wir zwanzig Minuten unterwegs gewesen, es war kurz vor zwölf und der Bus beinahe leer. Auch mein Retter war inzwischen ausgestiegen. Er hatte den Bus bei der «Sturmmöwe» verlassen, ein hübscher Name für eine Haltestelle, wie ich fand. Er hatte mir zugewunken, bevor er auf der Straße nach Norden davongegangen war. Ob er die Verabredung einhalten würde?

Mit meinem Handy kam ich hier nicht ins Internet, sodass ich mir den Weg nicht auf dem Display anschauen konnte. Bei meiner Recherche war ich auf einige Rezensionen über die Insel gestoßen, in denen der schlechte Empfang Thema war. Und dass der eben dazugehörte, wenn man hier Urlaub machte. Ich war gut vorbereitet und holte die Karte aus der Tasche, die ich sicherheitshalber zu Hause ausgedruckt hatte. Bis zur Ferienwohnung war es nicht weit. Am Edeka-Markt vorbei und dann immer geradeaus.

Mit meinem schweren Rucksack und Dolores an der Leine kämpfte ich mich die ansteigende Straße hinauf. Sie führte direkt zu einem Haus, das am Rande der Dünenlandschaft stand. Dort angekommen, atmete ich tief durch. Endlich war ich am Ziel. Das große rote Backsteinhaus mit dem Reetdach gefiel mir auf Anhieb. Hier würde ich es zwei Wochen aushalten.

Als ich das Gartentor öffnete, schwang auch schon die Haustür auf. Vor mir stand ein Mann mit struppigen grauen Haaren, die unter einer schwarzen Schiffermütze hervorblitzten. Mit seinem Vollbart, dem schneeweißen Hemd, über dem er eine grobe schwarze Weste trug und dazu schwarze Cordhosen, erinnerte er mich an William Hurt in der Neuverfilmung von Moby Dick. Seine Rolle als Käpt’n Ahab hatte er meisterhaft gespielt. Der Mann vor mir wirkte allerdings etwas weniger bedrohlich und war glücklicherweise noch mit beiden Beinen ausgestattet.

«Moin», sagte er. «Kann ich Ihnen helfen?»

Er klang unfreundlich. Susanne hatte mir über ihre Freundin ausrichten lassen, dass mein Vermieter zwar immer etwas ruppig wirke, aber im Grunde ein guter Kerl sei, rau und typisch friesisch eben.

«Moin», sagte ich fröhlich. «Wir sind die Spontanmieterinnen für die nächsten zwei Wochen. Mein Name ist Gabriele Scholle.» Ich zeigte auf meine tierische Begleiterin. «Und das ist Dolores.»

Zunächst stand er wie versteinert da. Dann zog er an seiner Pfeife, blies den Rauch aus, brummte etwas Unverständliches und sagte mit einem Fingerzeig auf Dolores bestimmt: «Hunde sind hier nicht erlaubt. Sie müssen sich etwas anderes suchen.»

Letzteres war so gut wie unmöglich, die Insel war zwar nicht gänzlich ausgebucht, aber die Tatsache, dass ich mit Hund anreiste, hatte die Suche ohnehin schon erschwert. Alles, was infrage kam, kostete ein Vermögen oder hatte mir nicht gefallen. Deswegen war der Tipp von Susannes Freundin mir sehr gelegen gekommen. «Ich habe doch eine Buchungsbestätigung von Ihnen bekommen und auch schon bezahlt», sagte ich. «Mit Kreditkarte.»

Käpt’n Ahab zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte etwas ein. «Hier steht es, zwei Personen: Gabriele Scholle und Dolores.» Er steckte das Handy wieder weg und blies mir erneut einen Rauchschwall entgegen. Mit seinem Blick hätte er Schiffe versenken können. «Ich dachte, Sie kämen mit einer Freundin, aber nicht mit einem Hund.» Er drehte sich um und ging zum Haus. «Das Geld werde ich Ihnen zurückerstatten.»

«He, bleiben Sie hier!», rief ich ihm hinterher.

Doch erfolglos, er ignorierte mich und zog mit einem Knall die Tür hinter sich zu. Dolores sah zu mir auf und blickte mich so ratlos an, wie ich mich fühlte.

«Und jetzt?», fragte ich und sah mich um. Was sollte ich nun tun?

Da hielt ein Kleinwagen auf dem Weg vor dem Haus, und kurz darauf stieg niemand anderes als Ine aus. Als sie mich sah, winkte sie mir zu. «Gaby, das ist ja ein Ding! So schnell sieht man sich wieder.» Sie drückte das Tor auf und kam auf mich zu. «Was machst du denn hier?»

Ich zuckte mit den Schultern. «Eigentlich wollte ich die nächsten zwei Wochen hier wohnen, aber der Vermieter hat uns die Tür vor der Nase zugeschlagen. Er dachte, Dolores wäre meine Freundin – allerdings in Menschengestalt. Hunde mag er nicht.»

Ine lachte laut auf. «Der Vermieter ist mein Vater.» Sie ging in die Hocke und kraulte Dolores. «Was meinst du, du Racker, sollen wir dir ein Röckchen anziehen und es noch einmal versuchen?»

«Dein Vater? Was für ein Zufall! Aber das wird nichts ändern, befürchte ich. Seine Ansage war sehr deutlich eben.»

Sie sah zu mir auf. «Es ist nicht so, dass er keine Hunde mag. Es sind die Urlauber, die ihre Hunde nicht anleinen und durch die Dünen laufen lassen, obwohl überall Schilder stehen, dass es sich um ein Naturschutzgebiet handelt. Und er hasst Hundehaare in der Wohnung, weil sie schwer zu entfernen sind.»

«Aber Dolores ist ein Labradoodle, die haaren kaum. Außerdem würde ich nie auf die Idee kommen, sie hier ohne Leine laufen zu lassen, wenn es nicht erlaubt ist.»

«Ich weiß.» Ine stand auf. «Lass mich mal sehen, was ich machen kann. Gib mir fünf Minuten.»

«Ich glaube, da ist etwas mit der Kommunikation schiefgelaufen», lenkte ich ein. «Bitte sag deinem Vater, dass wir uns wirklich sehr freuen würden, wenn er eine Ausnahme macht.»

Es dauerte nicht lange, und Ine war zurück. Sie grinste über das ganze Gesicht. «Ich soll dir ausrichten, dass er Dolores das Fell über die Ohren zieht, wenn er sie auch nur ein einziges Mal in den Dünen erwischt. Und dass die Endreinigung achtzig Euro mehr kostet.» Sie klimperte mit einem Schlüssel. «Komm, wir gehen rein.»

«Da bin ich aber froh, dass wir bleiben dürfen.» Ich griff nach dem Rucksack. «Danke, Ine!»

«Den trage ich, du nimmst die Reisetasche. Papa hat bestimmt schon Tee gekocht. Das macht er immer, wenn Besuch kommt. Und die Wohnung wird dir gefallen!»

 

Die Wohnung war wirklich schön. Etwas altmodisch eingerichtet, aber der friesische Stil gefiel mir. Besonders die hübschen weiß-blauen Kacheln in der Küche und der runde Esstisch im Wohnzimmer hatten es mir angetan. Käpt’n Ahab war wohl doch netter als gedacht. Er hatte für zwei Personen gedeckt. In der Mitte stand eine große friesische Teekanne auf einem Stövchen, in dem eine Kerze brannte, daneben eine Schüssel mit Keksen. Auch an Kluntje hatte er gedacht.

«Die Friesenkekse backt Papa selbst», sagte Ine. «Die sind ein Gedicht.»

«Trinkst du einen Tee mit mir?», fragte ich spontan.

«Das ist lieb, nächstes Mal gerne, aber ich muss leider gleich wieder los.» Sie ging ins Nebenzimmer, und ich folgte ihr. «Hier ist das Schlafzimmer.»

Die Aussicht war traumhaft. Vom Fenster hatte man einen herrlichen Blick auf die mit Strandhafer und Heide bewachsene Dünenlandschaft, durch die sich ein weit