Haschisch: Phantastische Erzählungen - Oscar A. H. Schmitz - E-Book

Haschisch: Phantastische Erzählungen E-Book

Oscar A. H. Schmitz

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Beschreibung

Dieses eBook: "Haschisch: Phantastische Erzählungen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Oscar A. H. Schmitz (1873-1931) war ein gefragter deutscher Gesellschaftsschriftsteller und Mitglied der Münchner Bohème. In seinerzeit recht populären Schriften beschrieb, analysierte, parodierte und reflektierte er den Oberschicht-Zeitgeist des wilhelminischen Deutschland und dessen Krise nach dem Ersten Weltkrieg. Dazu tritt ein umfassendes Opus an Reise- und Ratgeberliteratur, sowie zahlreiche Schriften, in denen er für Astrologie und Psychoanalyse warb. Mit seinem bereits 1902 erschienenen Erzählwerk Haschisch trug Schmitz wesentlich zur Entwicklung der phantastischen Literatur bei. Es spielt mit tabuisierten Themen wie Erotik, Satanismus, Sadismus, Religion, Tod und Rausch. Inhalt: Der Haschischklub Die Geliebte des Teufels Eine Nacht des achtzehnten Jahrhunderts Karneval Die Sünde wider den Heiligen Geist Die Botschaft Der Schmugglersteig Aus dem Buch: "Meine Erinnerung beginnt wieder bei folgender Situation: ich sitze in einem allseitig geschlossenen Raum am Boden, mit Fellen und Tüchern bedeckt, vor mir brennt ein Reisigfeuer, das seinen Schein auf einen Kreis wildbärtiger Männer wirft. An ihren Gürteln sehe ich reich besetzte Dolche funkeln, ihre rauhen, ungepflegten Glieder sind halb in Lumpen, halb in köstliche, orientalische Decken gehüllt, Offenbar sind es Schmuggler. — Als ich den Blick aufwärts wendete, sah ich den gestirnten Himmel über mir."

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Oscar A. H. Schmitz

Haschisch: Phantastische Erzählungen

Freches Spiel mit dem Tabu

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-3858-6

Inhaltsverzeichnis

Vorrede zur vierten Auflage
Der Haschischklub
Die Geliebte des Teufels
Eine Nacht des achtzehnten Jahrhunderts
Karneval
Die Sünde wider den Heiligen Geist
Die Botschaft
Der Schmugglersteig

Vorrede zur vierten Auflage

Inhaltsverzeichnis

Ich würde und könnte dieses 1897 und 1900 entstandene und 1902 zum ersten Mal erschienene Buch — also lange bevor der Satanismus und das „groteske“ Genre in Deutschland Mode waren — heute nicht mehr schreiben, vielleicht weil meine Phantasie in weniger übermütiger Fülle blüht, vielleicht weil eine universellere Weltbetrachtung das rein ästhetische Flattern von Reiz zu Reiz etwas hemmt. Dennoch freue ich mich, dieses Buch als ein Vierundzwanzigjähriger geschrieben zu haben. Man hat mir die Notwendigkeit nahe gelegt, sein Neuerscheinen in Einklang zu bringen mit meinen in der letzten Zeit gelegentlich geäusserten und heftig angegriffenen Ansichten über die Grenzen zwischen Kunst, Sittlichkeit und Religion. Nun, ein Kunstwerk kann, wie ja heute bis zum Überdruss gepredigt wird, allerdings in sich weder unsittlich noch irreligiös sein. Vielmehr hat es als Kunstwerk mit Sittlichkeit und Religion überhaupt nichts zu tun. Wohl aber kann ein unsittlicher Gebrauch davon gemacht werden und beschränkte Gemüter mögen in ihrem Glauben daran Anstoss nehmen. In diesem Buche nun unterfange ich mich nicht, an den Grundlagen der Familie und Ehe zu rütteln, wenn ich mir auch als Künstler herausnehme, meine Stoffe unter den Merkwürdigkeiten zu suchen, die ausserhalb der Familie liegen. Ebensowenig drücke ich eine Missachtung vor der Religion aus — was ganz und gar meiner eigenen religiösen Gesinnung widersprechen würde —, wenn ich zeige, wie eine gotteslästerliche Schar verruchter junger Leute in dem Augenblick, wo sie glaubt die Sünde wider den Heiligen Geist zu begehen, vor der Allmacht Gottes anbetend in die Knie sinkt. Ein Monsignore in Rom hat mir einmal versichert, dass meine Darstellung, wenn sie auch den Teufel recht eingehend konterfeit, in nichts gegen die katholischen Dogmen verstösst. Ein Gläubiger wird sogar von dem Gedanken erbaut sein, dass Gott die grösste der Sünden, die wider den Heiligen Geist, kaum zulässt. Immerhin ist das Buch nur für gebildete Erwachsene geschrieben. Sein Äusseres wird es aus der Kinderstube fernhalten, sein Preis muss es für die halbwüchsige Jugend unzugänglich machen, und sein Stil dürfte kaum das Interesse der Halbgebildeten erwecken. Damit ist den berechtigten Forderungen der sozialen Sittlichkeit genug getan.

Ich wende mich zunächst an erfahrene Männer. Wenn ihnen das Büchlein solcher Ehre würdig scheint, mögen sie es ihren Geliebten, die es doch in dieser christlich-moralischen Welt nun einmal gibt, und deren Los ist, ausserhalb der Schranken der gesellschaftlichen Moral in wilder Anmut zu blühen, auf den Toilettentisch legen. Es jungen Schwestern und Töchtern zu geben, die sich ihr Schicksal innerhalb dieser Schranken aufbauen sollen, wäre tadelnswert. Es seiner Frau zu schenken, ist meist überflüssig, oft gefährlich, doch kommt es natürlich immer auf die Frau an.

Und dir, schöne Müssiggängerin, die du zufällig durch diese Vorrede gerade zur Lektüre gelockt wirst, sage ich dies: wenn du nicht anders kannst, lies es heimlich, so wie du dich einmal gelegentlich auf einen nicht ganz einwandfreien Ball stehlen magst, wohin du nicht gehörst. Solange du selber weisst, dass du nur eine Escapade begehst, deren man sich nicht rühmen soll, um kein schlechtes Beispiel zu geben, magst du es in des Teufels Namen lesen. Stellst du dich aber auf den Standpunkt heuchlerischer Liederlichkeit, deren drittes Wort lautet: „es ist ja nichts dabei,“ oder aber, gehörst du zu jenen schwatzhaften Gänsen, die immer wieder betonen, die Frau sei in erster Linie Mensch und von derselben sittlichen Natur wie der Mann, dann haben wir beide uns nichts zu sagen.

Nach der Aufführung eines Stückes von mir, welches das „Don-Juan“-Problem behandelt, kam eine moderne Mutter auf mich zu und erzählte mir, wie entzückt ihr achtzehnjähriges Töchterchen aus der Vorstellung gekommen sei und wie erregt man am Familientisch die von mir berührten Fragen erörtert habe. Ich war ganz erschrocken, zumal sich mir nun das Kind selber näherte, und warnte die gute Dame aufrichtig davor, meine Werke jungen Mädchen zu geben. „O wir sind vorurteilslos,“ erwiderte sie. „Aber ich nicht,“ sagte ich in peinlicher Verlegenheit, „bitte, verhindern Sie Ihr Töchterchen, mit mir über mein Stück zu sprechen. Ich wüsste kein Thema, das ich nicht mit einer Frau behandeln könnte, aber zu sexueller Aufklärung fühle ich mich nicht berufen.“

Warum werden diese einfachen Fragen heute so verwirrt? Es geben auch in einer gesund funktionierenden Gesellschaft eine Menge von Gesetzgebern und Moralphilosophen unvorhergesehene Dinge vor. Gerade sie werden ihrer bunten Abenteuerlichkeit wegen den Künstler besonders reizen. Sie verbieten ist heuchlerisch, philisterhaft und ausserdem zwecklos. Darum sollen sie noch lange nicht öffentlich ausgeschrien werden. Auch von dem Künstler ist daher zu verlangen, dass die Form, in der er solche Stoffe behandelt, und von dem Verleger, dass die Art, wie er sie auf den Markt bringt, die Distanzen zu der herrschenden Sittlichkeit wahrt. Man erzählt nicht am Familientisch, dass man gestern mit einer „interessanten“ Dame soupiert hat. So wird man verhindern müssen, dass Bücher, die heikle Themen behandeln, in falsche Hände geraten. Ganz verkehrt, weil kunstmordend, ist das englische System, das dem Künstler einfach die Darstellung solcher Dinge verbietet und dem jungen Mädchen alles zu lesen und zu sehen erlaubt, statt dem Künstler die Freiheit der Darstellung zu lassen, aber jungen Mädchen bisweilen den Zugang zu verbieten. Die französische Gesellschaft war darum so frei und geistreich, weil junge Mädchen streng ausgeschlossen wurden; die englische ist deshalb so langweilig und monoton, weil die „spinsters“ bei allem dabei sein müssen.

Der Autor, der sich auf gewagte Pfade begibt, muss sich eines besonders gepflegten Stils befleissigen und damit hat er die Pflichten der Sittlichkeit und des Taktes erfüllt. Das weitere ist Sorge der Verleger, Buchhändler, Eltern und Vormünder.

Also, Ihr lachenden Curtisanen, Euch lege ich dieses Büchlein meiner Jugend offen ans Herz, und Ihr, selbstsichere und kluge Damen, Euch stecke ich es vielleicht heimlich unter das Kopfkissen!

FRANKFURT A. M., JANUAR 1913.

O. A. H. S.

Der Haschischklub

Inhaltsverzeichnis

An einem Abend des Winters 189* befand ich mich in einem wenig besuchten Pariser Speisehaus. Während ich, ohne meiner Umgebung zu achten, ausschliesslich mit der Mahlzeit beschäftigt war, hörte ich neben mir eine halblaute Stimme, die sich an den Kellner wendete. Die trotz dem fremdländischen Akzent gewandte Ausdrucksweise, welche Vertrautheit mit den Boulevards verriet, fesselte meine Aufmerksamkeit, und ich erkannte in dem schlanken, diskret blonden, schon etwas alternden Dandy den Grafen Vittorio Alta-Carrara. Ich beobachtete, während er, ohne mich zu sehen, sein Menü zusammenstellte, dass sich die vertikale Tendenz seiner Linien seit unserem letzten Zusammentreffen noch verstärkt hatte und eine unübertreffliche Kunst des Anzugs dieser Veranlagung durchaus gerecht wurde; die schmalen langen Beine liess er in die schlanksten Stiefel auslaufen, während die fast entfleischten Finger in spitzbogenförmigen Nägeln endigten. Seine dünnen Lippen, die keine Sinnlichkeit merken liessen, hatten neben dem „ennui“ eine gewisse Bitterkeit angenommen, die seine kühle Persönlichkeit fast menschlicher und etwas nahbarer erscheinen liess.

„Ah, Sie sind in Paris“, sagte der Graf und zeigte sich nur aus Liebenswürdigkeit erstaunt, obgleich zwischen unserem letzten Zusammentreffen und diesem Abend in Paris mehrere Jahre und Länder lagen.

Wir hatten uns einmal in einem römischen Salon kennen gelernt, wo wir eines Abends nach dem Brauch des Landes, jeder mit einer Teetasse in der Hand, zwischen seltenen Statuen eine Stunde lang nebeneinander standen. Später erfuhr ich, dass er einen kalabrischen Vater hatte, der ihn in einer geheimnisvollen Schwärmerei für die grossen, blondhaarigen Frauen des Nordens mit einer ziemlich untergeordneten Norwegerin erzeugt hatte, die immerhin blond und schlank genug war, um den phantastischen Südländer den Duft der Freiaäpfel wenigstens von weitem wittern zu lassen. —

Ein anderes Mal sah ich den Grafen in einem abgelegenen niederländischen Museum, wo er nach den Fragmenten eines unbekannten Kupferstechers, Allaert van Assen, suchte. Dieser Meister — so versicherte er — hatte in Höllenszenen sehr sinnreiche Foltern dargestellt, die beweisen sollten, dass der Schmerz eine gesteigerte Lust sei, dass nur törichte Menschen nicht nach den Genüssen einer ewigen Verdammnis lechzen könnten. Die Inquisition hat diesen Satanisten, der sich nach Spanien verirrte, mit Schneeumschlägen auf Herz und Hirn, wohlweislich und langsam verbrannt und seine Werke vernichtet oder entstellt. — Zum letzten Male hatte ich den Grafen im Handschriftenkabinet einer kleinen deutschen Stadt gesehen, wo er einen arabischen Kodex auszog, der, wie er schwur, die ganze erotische Literatur der Europäer überflüssig machte.

Heute abend war Alta-Carrara wenig mitteilsam. Seine ganze Aufmerksamkeit schien von den Speisen gefesselt zu sein, die ihn, nach seiner besonderen Anweisung zubereitet, durchaus zu befriedigen schienen. Plötzlich unterbrach er sich bei einer Kastaniensuppe, die ihm eine Erinnerung wachzurufen schien:

„Haben Sie nicht einmal einen Vers gemacht — so etwas wie . . .

. . . und eine Lust, gepflückt in tausend Lanzen, der sich die Seele wie aus früherm Sein entsinnt, verklärt mit gelbem Morgenschein die Tiefen, die das Leben schwarz umgrenzen . . .?

Sehen Sie, diese Lust aus tausend Lenzen, dieses Haschischparadies darstellen, das wäre grosse Kunst, aber wir alle reden nur davon, wir schaffen es nicht. Die neue Kunst müsste den Haschisch, das Opium entthronen . . .!“

Ich war überrascht. Niemals hatte ich diesen blassen Menschen so eindringlich mit dem Ton unverkennbarer Aufrichtigkeit reden hören. Und das geschah wegen einer Strophe, die ihn unbefriedigt liess. Ich war bisher geneigt gewesen, ihn nur für einen gebildeten ästhetischen Dandy zu halten. Nun aber kam es mir fast vor, von ihm einen Schrei nach der Unendlichkeit zu hören aus jenem seltsamen Schmerz heraus, der heute manche Geister verwirrt, die früher in gewissen feineren Richtungen des Christentums Genugtuung fanden, vielleicht heute noch finden würden, wenn nicht bestimmte Kapellen (wer weiss auf wie lange) verschlossen wären. — Ich hatte an diesem Abend noch keine Gelegenheit gehabt, den Augen Alta-Carraras zu begegnen und beobachtete erst jetzt jenes beinahe angestrengte Starren, das aussermenschliche Horizonte zu berühren sich abmüht, Ausblicke in künstliche Paradiese sucht, zu denen nur die satanischen Drogen, die der Graf bereits genannt, den Übergang gestatten. — Wir hatten ungefähr gleichzeitig die Mahlzeit beendet, während der Alta-Carrara wieder in die bewusste Zurückhaltung eines einsamen Menschen getreten war, der glaubt sehr höflich gewesen zu sein, weil er ein paar Worte gesprochen hat.

„Ich werde diesen Abend mit Freunden verbringen,“ sagte er plötzlich. „Vielleicht haben Sie Lust und Zeit, an unserer Gesellschaft teilzunehmen?“

Ich war wieder überrascht. Alta-Carrara kannte mich kaum. Er konnte von mir nicht viel mehr mit Sicherheit beurteilen, als die Qualitäten meines Schneiders. Eine unüberlegte Höflichkeit war diesem stets bewussten Menschen nicht zuzutrauen. Ich musste also eine Beziehung annehmen zwischen jener Strophe, die er vielleicht für ein Pantakel meiner Persönlichkeit hielt, und dem Charakter der Gesellschaft, in die er mich einführen wollte.

Wir fuhren nach dem Viertel Batignolles. Unterwegs hoffte ich einige vorbereitende Bemerkungen über den Freundeskreis Alta-Carraras zu hören. Er sprach indessen mit oberflächlicher, fast graziöser Leichtheit über die verschiedensten Dinge, ohne gerade Dummheiten zu sagen. Ich fühlte, dass es ihm nur darum zu tun war, ein neues Stillschweigen zu vermeiden. — Nachdem wir die sechs Treppen eines modernen Mietshauses erstiegen, wies man uns in einen weiten, atelierartigen Raum. In dem dämmerigen Licht rotverschleierter Kerzen gewahrte ich mehrere Männer, die in bequemen, wie mir schien, orientalischen Kleidern auf niedern Polstern lagen. Zwischen den Ruhebetten standen Taburetts mit Nargilehs und dampfenden Duftschalen. Ein sanfter Geruch brennender Harze vermengte sich mit dem Rauch leichter englischer Zigaretten. An den dunkelroten Wänden hingen tiefschwarze Radierungen und Stiche, deren kaum erkennbare Darstellungen wie die Gesichte eines Alpdrucks auf uns niederstarrten. In den Ecken unterschied ich zwischen fremdartigen Gewächsen altmodische musikalische Instrumente wie seltsame Reptilien. Man bewegte sich kaum bei unserem Eintreten. Leichte Grüsse wurden getauscht. Alta-Carrara machte schweigend eine Handbewegung, als stelle er mich vor. Dann liessen wir uns auf Kissen nieder. Von einem zwischen uns stehenden Tischchen nahm der Graf einige Haschischpillen und bot mir lächelnd die Schale.

„Die Umherliegenden“, erklärte er halblaut, „befinden sich in einem Zustand der Angeregtheit, den man nicht Rausch nennen kann. Sie haben nur ganz geringe Dosen Haschisch geschluckt. Sie werden sie in logischen Wortfolgen reden hören, nur vielfachere, seltsamere Zusammenhänge finden sehen, als sie sich sonst erkennen lassen. Wenn wir Glück haben, können wir uns wie in einer Versammlung plötzlich erleuchteter Künstler befinden, denen fabelhafte Worte von den Lippen fliessen, von deren Glanz sie morgen kaum selbst noch etwas ahnen. Andere verzichten auf den Genuss des Haschischs und bewundern die Wirkung, die er in den übrigen hervorbringt. Wer dazu imstande ist, wird durch Musik oder seltsame Erzählungen den Vorstellungen der übrigen besondere Richtungen zu geben suchen. Werfen Sie einmal einen Blick durch diese offene Tür in die Nebenräume; dort befinden sich die, welche ganz in die Abgründe der Unbewusstheit versinken wollen.“

Ich sah in der Dämmerung schlafende Menschen vor venetianischen Spiegeln ausgestreckt.

„Durch die bunten Glasblumen der Spiegel glauben sie in fabelhafte Wasserteiche unterzutauchen“, sagte der Graf. „Die beiden auf Zehen herumgehenden Männer sind geschickte Diener, die sie gegen Kälte und Durst schützen, da sie in ihrer Willenslähmung vorziehen würden, die Lippen verbrennen zu lassen, als das vor ihnen stehende Getränk selbst an den Mund zu führen.“

Ich beschloss gleich meinen Nachbarn durch eine leichte Haschischdosis nur die Sinne zu verfeinern, die Hemmungsvorstellungen des oft ungerufen tätigen Intellekts zu beseitigen, kurz, ein gesteigertes Leben zu geniessen.

Es herrschte grosse Ruhe in dem Raum. Bisweilen fielen einzelne französische Worte, deren Aussprache mir verriet, dass die Anwesenden teils Fremde waren. Ich mochte eine halbe Stunde träumend gewartet haben, als in einer Ecke auf einem Clavichord und einer Gambe ein altmodisches italienisches Divertimento gespielt wurde. Ich fühlte mit besonderem Behagen, wie diese Musik mich und die Gegenstände rings durchdrang, durchblutete, durchglomm. Es schien mir ganz selbstverständlich, wie nun alles aufglühte. Das war die eigentliche Farbe des Lebens. Vorher hatten die Dinge geschlafen. Alles rings war leicht und vor allem sehr gütig. Die Undurchsichtigkeit der Gegenstände schien aufgehoben; alles war farbiges Glas, hinter dem sich nichts mehr verbarg; die Wortfolgen, die ich hörte, waren bestimmt und einfach, wie mathematische Sätze, schienen in Zahlen auflösbar. Mit einem Blick übersah ich Zusammenhänge, die sonst das Ergebnis mühseliger Überlegung sind; die Worte funkelten in den verschiedenen Farben aller Sprachen. Die Silben „Kirche“ klangen zugleich gross und hell wie „église“, misstrauisch-puritanisch wie „church“. Die Buchstaben „Wort“ enthielten gleichzeitig das talismanähnliche „logos“, das runenhafte „waurd“, das spitze fliegende „mot“, die ein wenig gewichtig aufgeputzte „parole“. Bei allen Silben klangen wie Untertöne halbverwehte Reime mit; ich roch, sah, schmeckte jedes Wort, ich fühlte es an wie Seide oder Marmor; ich sah nicht mehr bloss Flächen, sondern ganze Körper von allen Seiten zugleich. Und dieser plötzliche Reichtum der Wirklichkeit, aus der ich keineswegs heraustrat, machte mich übersprudelnd glücklich und dankbar, so dass ich gern anderen Leuten Gutes getan hätte, gesetzt, dass ich dabei auf der Ottomane ausgestreckt bleiben konnte. Ich war mir übrigens vollkommen bewusst, wo ich mich befand. Mir schien, ich hätte eine farbige Brille auf. Wenn ich wollte, konnte ich aber auch an den Gläsern vorbeischielen und sehen, wie unbestimmt, verwirrt und verstaubt das Leben eigentlich ist. Ich war Herr meines Willens und konnte nach Laune die Dinge wirklich und gefärbt betrachten.