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Es gibt keinen Code, den Knox Torren nicht knacken kann. Wenn es darum geht, Informationen auszugraben, kennt er keine Grenzen - vor allem dann nicht, wenn jemand seiner Familie in die Quere kommt. Aber eine Fahnderin mit lückenhafter Vergangenheit stellt ein unlösbares Mysterium für Knox dar. Seit ihrem ersten Zusammentreffen will er die Geheimnisse der Blondine mit dem russischen Akzent lüften. Darya Volkova lebt seit Jahren unter einer falschen Identität. Auf der Suche nach einem Arbeitgeber, der sie aus ihrem bisherigen gefährlichen Leben befreit, hat sie Knox im Visier, den besten Hacker der Branche. Von ihrem ersten Treffen an entwickelt sich etwas viel Intimeres als eine rein berufliche Verbindung, denn Darya spürt, dass sie nicht nur von Knox' Computerkenntnissen angezogen wird. Und Knox hätte sicherlich nie erwartet, Darya das zu geben, was er noch nie zuvor einer Frau geschenkt hat, nämlich seine Liebe. Als Darya von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, ist sie wild entschlossen, Knox und seine Familie nicht in Gefahr zu bringen, selbst wenn sie dafür erneut weglaufen muss. Doch das wird Knox nicht zulassen. Er ist bereit, sie zu retten und als sein Eigentum zu brandmarken. Er setzt alles daran, dass derjenige, vor dem Darya flieht, seine Frau nie wieder berühren kann ... Teil 4 der "Haven Brotherhood"-Reihe.
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Seitenzahl: 547
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Rhenna Morgan
Haven Brotherhood 4: Tempted & Taken
Erotischer Roman
Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Julia Weisenberger
© 2017 bei Rhenna Morgan
© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
© Covergestaltung: Mia Schulte/Sabrina Dahlenburg
© Coverfoto: Shutterstock.com
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-425-2
ISBN eBook: 978-3-86495-426-9
Dieses Werk wurde im Auftrag von Harlequin Books S.A. vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Dieser Roman darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.
Inhalt
Widmung
Vorwort der Übersetzerin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Epilog
Danksagung
Autorin
Obwohl üblicherweise russische Namen und Begriffe aus dem Kyrillischen ins Deutsche umgeschrieben werden müssten, haben der Verlag und ich uns dazu entschieden, das nicht zu tun, da wir auch nicht die Namen der Amerikaner eindeutschen.
Eine klassische Coach in Schwarz oder eine Michael Kors in Pflaume? Dafür, dass es Einkäufe aus einem Secondhandladen waren, waren beide Taschen in erstaunlich gutem Zustand und sie passten perfekt zu Daryas Skinny Jeans und der maßgeschneiderten braunen Bluse.
Sie wackelte in ihren traubenfarbenen Chuck Taylors mit den Zehen und vermisste schmerzlich die Designerschuhe, mit denen ihr früherer Boss und Gönner sie immer versorgt hatte. Bei dem mageren Einkommen, das ihre Fahndungsaufträge ihr einbrachten, waren entweder Schuhe oder Taschen drin, aber nicht beides, und nie im Leben neue Sachen. Am Ende redete sie sich einfach ein, dass man mit Taschen einfacher rennen konnte und in hochhackigen Schuhen nicht, und Gott allein wusste, wann ihre Vergangenheit ihr hässliches Haupt heben und den Startschuss geben würde.
Die Coach-Tasche stand schick und fein am Rand ihres Betts. Sie würde sicherlich mehr Aufmerksamkeit erregen, aber die Boho-Tasche von Michael Kors mit den Quasten und goldenen Ösen besaß weitaus mehr Pep und passte farblich fast perfekt zu ihren Chucks.
Im Leben geht es darum, zu leben. Ich will, dass du für uns beide lebst.
JJs Worte. Sie hatte diese Sätze monatelang in Daryas Kopf gepflanzt und sie schwören lassen, dass sie sie nie vergessen würde.
Und zu leben hieß nicht, dass man mit der Menge verschmolz.
Sie nahm die Boho-Tasche vom Bett und holte den Inhalt aus ihrer abgetragenen Patricia-Nash-Beuteltasche mit den langen Hippie-Fransen. JJ hatte recht. Darya hatte fast zweieinhalb Jahre überstanden, seit sie aus ihrer Heimat in Russland geflohen war, und es gab kein Anzeichen dafür, dass sie auf irgendjemandes Radar aufgetaucht wäre. Musste sie vorsichtig sein und ihre Präsenz im Netz einschränken? Auf jeden Fall. Es war riskant genug, Tag für Tag unter JJs Identität zu funktionieren, ganz zu schweigen davon, etwas so Dummes zu tun, wie die Aufmerksamkeit des Killers auf sich zu lenken, den sie hinter sich gelassen hatte. Aber das hieß nicht, dass sie zu einem Schatten werden musste und ihre schachtelgroße Wohnung nur nachts verlassen durfte. Sie konnte leben. Konnte jeden großartigen Augenblick in der Heimat, die sie sich in dem hauptsächlich unter heißen Temperaturen leidenden Dallas, Texas, geschaffen hatte, einsaugen und ein frisches, neues Leben für sich schaffen.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel eilte sie ins Wohnzimmer und summte dabei den neuen Song von Bruno Mars, den sie vergangene Nacht heruntergeladen hatte. Sie hielt neben ihrem improvisierten Büro im winzigen Esszimmer neben ihrer Einbauküche, bewegte die Maus, um den Ruhezustand ihres Computers zu beenden, und tippte ihr Passwort ein. Automatisch wurden ihre E-Mails aktualisiert, sobald sie das Programm öffnete. Statt herumzusitzen und darauf zu warten, dass der Spam von letzter Nacht heruntergeladen wurde, ging sie in die Küche, um sich eine frische Tasse Kaffee zu nehmen.
Vielleicht, nur vielleicht, wäre heute der Tag, an dem sie von Knox hören würde.
Sie hatte eine ganze Woche gewartet. Sieben Tage voller Erwartung, gefüllt mit dem fast schon zwanghaften Bedürfnis, stündlich E-Mails zu checken. Sie wusste nicht mehr, wie oft sie seine erste Antwort auf ihre erste Nachricht gelesen und wieder und wieder überprüft hatte, ob sie ihn missverstanden hatte.
Ich bin immer offen für neue Geschäftsideen. Meine Softwarefirma bringt dieses Wochenende etwas Neues heraus. Lassen Sie mich das unter Dach und Fach bringen, dann schaue ich, dass ich etwas Zeit freischaufle, um Sie zu treffen.
Es war kein definitives Nein, aber auch kein Ja.
Sie schob die Kaffeekanne wieder auf die Heizplatte. Das nussige, tiefe Aroma der intensiven dunklen Röstung brachte an diesem frühen Morgen etwas Ruhe in ihre aufgewühlten Gedanken. Sie nippte an dem kräftigen Gebräu, lehnte sich an den Tresen und ließ den Sinnspruch auf der Kreidetafel an der Wand auf sich wirken. Die weiße Schrift war verspielt, aber die Worte verloren nie an Wucht.
Träume, als lebtest du für immer. Lebe, als ob du morgen sterben würdest.
Das war ihr Ziel. Die Mission, die sie an dem Tag angenommen hatte, an dem sie JJs Leben als ihres übernommen hatte.
Und Knox Torren war ein integraler Teil ihrer Pläne. Die Grundlage für die Zukunft, die sie sich aufbauen wollte – oder wiederaufbauen, um genau zu sein.
Drei kurze Töne von ihrem Computer zeigten an, dass ihre drei Accounts fertig geladen hatten – einer fürs Geschäftliche, einer für JJs private Korrespondenz und einer für Spammails. Sie zog den einfachen Sprossenstuhl, der zu ihrem Schreibtisch im Stil von Shakespeare passte, zu sich. Als sie San Diego hinter sich gelassen hatte, hatte sie nur wenige von JJs Besitztümern mitgenommen, aber der hier war eines ihrer Lieblingsstücke gewesen. Er war aus rustikalem Kirschholz gefertigt und ein Bollwerk von Eleganz früherer Zeiten in ihrer sonst so genügsamen Existenz. Ihr neues Leben war an diesem Tisch entstanden, geführt von der echten JJ Simpson, ihrem höchstpersönlichen Schutzengel.
Sie zwang sich, zunächst den Spam-Ordner durchzusehen. Sale-Mails speicherte sie, um sie später in Ruhe durchsehen zu können. Haarsträubende Angebote von zweifelhafter Software und billigen Klamotten-Outlets löschte sie mit einer merkwürdigen Genugtuung. Zuerst hatte sie sich die Zeit genommen, sich aus diesen nervigen Werbemails auszutragen, aber dann war ihr klar geworden, dass sie, wenn sie damit weitermachte, so gut wie keine Nachrichten mehr erhalten würde. Und das wäre unglaublich deprimierend.
Nachdem sie fertig war, klickte sie auf ihren Arbeitsaccount. Zwei Nachfragen, drei neue Jobs und eine Preisanfrage von einer neuen Firma.
Gut, das war vielversprechend. Seit sie vor fast neun Monaten nach Dallas gezogen war, hatte sie es geschafft, sechs neue Firmen als Auftraggeber zu gewinnen, die sich auf Inkasso oder Zwangsenteignungen spezialisiert hatten und ihr damit ein sicheres Einkommen boten. Sie verfasste eine rasche Antwort an den potenziellen Neukunden, hängte ihre Preisliste an und besah sich den Rest ihrer E-Mails. Es gab nichts, das nicht bis morgen warten konnte, was bedeutete, dass sie endlich ihrer Neugier nachgeben und zu dem kommen konnte, was hoffentlich besonders gut war.
Sie klickte auf ihren Privataccount.
Viel zu schnell erfasste ihr Gehirn die Absender. Ihre Schultern sanken herab und sie ließ sich zurückfallen. Nichts von Knox. Nichts, was es auch nur wert wäre, gelesen zu werden. Sie schnappte sich ihren Kaffee und sah böse auf den Kalender, der in der Ecke ihres Mailprogramms angezeigt wurde. Egal, ob es ihr gefiel oder nicht, es war wohl an der Zeit, sich der Realität zu stellen. Knox war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der genügend Möglichkeiten hatte, um beschäftigt zu bleiben. Wie standen die Chancen, dass er an etwas interessiert war, das sie anzubieten hatte? Und im Grunde war er nicht der Einzige, der ihr dabei helfen konnte, ihre Ziele zu erreichen. Er war nur auf so schicksalhaft wirkende Weise in ihrem Leben aufgetaucht, dass sie davon überzeugt gewesen war, es wäre das Richtige, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Häufig war sie bereits dem gleichen Bauchgefühl gefolgt und hatte dadurch ihr Leben gerettet. Sie würde jetzt nicht damit anfangen, diese Signale zu ignorieren.
Sie bewegte den Cursor zum Ordner mit ihren Arbeitsunterlagen, öffnete den mit dem Titel „Recherche“ und klickte doppelt auf das Icon ganz oben.
Das Foto, das sie vor einigen Monaten aus einem Online-Zeitungsartikel aus Dallas gespeichert hatte, füllte den Bildschirm. Sieben Männer, die alle äußerst verschieden aussahen, sich jedoch augenscheinlich in der Gegenwart der anderen wohlfühlten, sahen mit echtem Lächeln in die Kamera. Die meisten von ihnen standen, ein paar hatten die Arme um die Schultern der anderen gelegt, einige hatten ihre Drinks zum Prosten erhoben. Zwei der Männer lehnten an glänzenden Motorrädern. Einer hatte dunkles Haar, das bis zu den Schultern reichte, und einen verruchten Glanz in seinen Augen. Der andere war Knox.
Er schenkte der Kamera ein hinterhältiges Grinsen, als ob er ein unanständiges Geheimnis hätte, das er unbedingt erzählen wollte. Er hockte halb auf dem Motorrad und hatte die Beine an den Knöcheln überkreuzt. Während die restlichen Männer die Haare entweder besonders kurz oder so lang trugen, dass sie sich allein schon damit gegen die Konventionen auflehnten, war Knox’ Frisur irgendwo in der Mitte und so geschnitten, dass er wirkte, als ob er sich gerade in den Laken gewälzt hatte. Seine Jeans war so abgetragen, dass sie sich vermutlich so weich anfühlte wie Baumwolle, und sein grünes T-Shirt mit den verblassten weißen Buchstaben schmiegte sich an seinen schlanken, aber wohlgeformten Oberkörper. Ein Tattoo lugte am Rand eines seiner Ärmel hervor und ein zweites befand sich auf seinem entblößten Unterarm. Egal, wie oft sie auch versucht hatte, weiter hineinzuzoomen, sie konnte die Details nicht erkennen, doch es sah aus wie ein Tribal-Muster. So ausgefallen, dass es zu den dicken Lederarmbändern und Armreifen passte, die er an beiden Handgelenken trug. Jason hatte gesagt, dass er eine Mischung aus dem ultimativen Geek und Hacker sei, aber sein Äußeres glich dem eines Rockstars.
Sie wechselte zum nächsten Foto, das sie aus einem Technikartikel gezogen hatte, kurz nachdem er seine erfolgreiche Lystilizer-App herausgebracht hatte. Es war ein bisschen mehr gestellt. Professioneller als das mit seinen Freunden und es fehlte das ehrliche Lächeln, betonte aber seine grauen Augen.
Das nächste Foto war ihr liebstes. Es war Teil einer Geschichte, wie er der Regierung geholfen hatte, nachdem er seine böse Hacker-Zeit hinter sich gelassen hatte, wobei sie ironischerweise ein Polizeifoto von ihm als Achtzehnjährigen benutzt hatten. Selbst damals war er attraktiv gewesen, hatte sein zufriedenes Grinsen auf die Kamera gerichtet und damit deutlich gemacht, dass er keinerlei Reue wegen dem empfand, weswegen er festgenommen worden war. Sie wäre nicht erstaunt, wenn er demjenigen, der das Foto gemacht hatte, den Mittelfinger gezeigt hätte.
Knox war klug. Brillant. Selbst wenn Jason ihr das in den letzten Monaten nicht wieder und wieder gesagt hätte, wäre jeder zu der Erkenntnis gekommen, sobald er ihn auch nur einen Augenblick angesehen hätte. Aus jedem der Fotos strömten Provokation und Charisma.
Seufzend schloss sie die Bilder wieder und alle im Hintergrund laufenden Anwendungen. Ihre Schwärmerei war dämlich. Wieso hatte sie sich von allen Opfern, die sie sich für ihr an Stalking grenzendes Verhalten hätte aussuchen können, gerade einen Hacker ersten Ranges aussuchen müssen? Das war keine gute Idee für ein normales Mädchen. Und eine grauenhafte Idee für eine Frau, die verzweifelt jeder unnötigen Aufmerksamkeit entgehen wollte. Aber Knox war der Beste. Ein Mann, der sich ein tolles Leben aus fast nichts aufgebaut hatte und dafür bekannt war, dass er talentierte Personen unter seine Fittiche nahm.
Die Realität war allerdings die Realität. Wenn er nicht in den nächsten Tagen antwortete, hätte er vermutlich keinerlei Absicht, das noch zu tun, und sie würde auf keinen Fall betteln. Vielleicht besaß sie nicht dieselben angeborenen Fähigkeiten wie er, doch woran es ihr mangelte, das machte sie mit Hartnäckigkeit mehr als wett. Sonst wäre sie immer noch in Russland und das Spielzeug eines Tyrannen.
Sie loggte sich aus ihrem Computer aus, stellte die leere Kaffeetasse in die Geschirrspülmaschine und räumte ihren Tisch auf.
JJs amüsierte Stimme erklang in ihren Gedanken. Entspann dich, Darya. Die Welt wird nicht über dir zusammenbrechen, nur weil du vergessen hast, alles in der richtigen Ordnung aufzustellen.
Darya hängte ihre Tasche über die Schulter und hielt neben ihrem Tisch. Der Untersetzer lag auf der Höhe ihres kabellosen Keyboards und ihr Büroklammerbehälter, der Tacker und die Post-its waren unter ihrem Bildschirm aneinandergereiht.
Sie schob die Post-its aus der ordentlichen Formation, sodass der neongelbe Stapel schief war, und grinste. Es war egal, dass Knox sie nicht kontaktiert hatte. Heute ging es nicht um Strategie oder Planung von Worst-Case-Szenarien. Es ging darum, zu leben und zu geben. Und zwar für sie und für JJ.
Frische Luft, Geschwindigkeit und gute Musik. Normalerweise konnte Knox sich darauf verlassen, dass diese Kombination selbst die übelste Laune oder das schlimmste Problem löste, aber heute klappte es nicht. Die Tatsache, dass er gerade ganze zehn Stunden Schlaf nach zwei Wochen voller Nickerchen hinter sich gebracht hatte, hätte dafür sorgen sollen, dass er in Bestlaune war. Stattdessen saßen ihm Schuldgefühle mit dem Charme eines Sensenmanns im Nacken. Verdammt, dieser dunkle und düstere Drecksack könnte genauso gut seine Sense einsetzen und ihn ausweiden, wenn er schon mal dabei war. Gott allein wusste, dass er das Gleiche gerade bei einem süßen Mädel getan hatte, das in den letzten sechs Monaten dafür gesorgt hatte, dass er ein halbwegs normal funktionierender Mensch geblieben war.
Er lenkte seinen aufgemotzten Audi Roadster vom Highway 75 auf eine Anliegerstraße. Das Verdeck war heruntergeklappt, sodass der Wind ihn von allen Seiten traf. Marcy Playgrounds „Sex and Candy“ dröhnte durch das Innere des Autos und übertönte den Verkehrslärm am späten Montagmorgen. Was er tun musste, war, seinen Kopf aus seinem Arsch zu ziehen, und zwar pronto. Auf keinen Fall wollte er mit wirrem Hirn das Haus eines Zielobjekts durchsuchen, und er brauchte sofort Informationen über eine gewisse JJ Simpson.
Einen Block von JJs Wohnung entfernt stand Becketts unauffälliger weißer Chevy am Straßenrand. Alle fünf Autos, die sie für die Beschattung von Leuten benutzten, waren gleich, hatten nur unterschiedliche Farben, wobei dieser hier dringend eine Fahrt durch die Waschanlage nötig hatte. Er war auch weit entfernt von Becks bevorzugtem Fortbewegungsmittel – einem restaurierten 1970er Corvette-Cabrio in Paradiesapfelrot.
Knox parkte sein himmelblaues Auto hinter Beckett. Über den Parkplatz hinweg war JJs Wohnung im ersten Stock kaum einsehbar. Die hellbraune Farbe des Gebäudes eignete sich gut dafür, das Alter der Anlage zu übertünchen, und die dichten Hecken, die die Häuser umgaben, verliehen dem Ganzen ein wenig Farbe. Aber alles in allem wirkte das Äußere sehr steril.
Die Frau war ein Rätsel. Nachdem er vor ein paar Monaten seinem Bruder Trevor geholfen hatte, hatte er etwas tiefer gegraben, um mehr über die mysteriöse private Fahnderin herauszufinden. Das Resultat war die Erkenntnis, dass ihre Online-Aktivitäten vor ungefähr anderthalb Jahren fast eingestellt worden waren. Schlimmer noch – es gab widersprüchliche Fotos, die er zu derselben Jeannie „JJ“ Simpson zurückverfolgt hatte. Dann hatte sie ihn dazu gezwungen, die Notwendigkeit von Informationen deutlich hochzustufen, indem sie ihn wegen einer angeblichen Geschäftsidee kontaktiert hatte. Falls sie das ernst meinte, würde er ihr zuhören. Aber wenn ihre sogenannte Geschäftsidee auch nur den Hauch eines Erpressungsversuches der Bruderschaft enthielt, wollte er genügend Druckmittel besitzen, um sie auf ihren Platz zu verweisen. Außerdem war er ganz einfach neugierig. Es gehörte verdammt viel Können dazu, sich vor ihm zu verstecken, wenn er in der Stimmung war, nachzubohren – und bei ihr hatte er tief gebohrt.
Knox behielt den Blick weiter auf den Treppenabsatz vor JJs Tür gerichtet und eilte zu Becks Chevy. Die Zentralverriegelung öffnete sich zwei Sekunden, bevor sich Knox’ Finger um den Türgriff schlossen, und ein Schwall kühler Luft erfüllte den Julimorgen, als er die Tür aufmachte. Er glitt auf den Beifahrersitz und zog die Tür zu. „Du weißt schon, dass diese Dinger mit einem automatischen Thermostat ausgerüstet sind?“
„Ich mache dir doch auch nicht die Hölle heiß, dass man sich die Eier in dieser vierrädrigen Rakete verkokelt, die du Auto nennst, oder?“
Dieser gottverdammte Beckett. Sämtliche Brüder machten ihm wegen seines Audi das Leben schwer, besonders weil alle ihre Trucks, Luxussportwagen oder Spezialanfertigungen liebten. Er würde ihn dennoch nie eintauschen. Allein die Farbe brachte ihn zum Lächeln. Es war ein riesiges Fick dich an die Angepasstheit.
Statt wie üblich mit einer Retourkutsche zu reagieren, hob er das Kinn in Richtung JJs Wohnung. „Hast du sie schon gesehen?“
„Nein.“ Beckett drehte das Radio leiser, sodass nur noch das Dröhnen der Klimaanlage zu hören war, und sah ihn scharf an. „Für jemanden, der zum ersten Mal seit einer ganzen Weile mehr als acht Stunden Schlaf bekommen hat, wirkst du verflucht angespannt.“
Es war ziemlich verführerisch, seine Situation herunterzuspielen. Wirklich verdammt verführerisch. Aber die Tatsache, dass seine andauernden Schlafprobleme und seine Vertrauensschwierigkeiten schon wieder eine nette Frau verletzt hatten, machte ihm zu schaffen. Wenn er überhaupt mit jemandem über seine Scheiße sprechen konnte, dann war es Beckett. „Ich habe die Sache mit Tiffany beendet.“
Beckett hielt den Mund.
Knox rutschte auf dem Ledersitz hin und her. Er hatte nicht mit einem Streit gerechnet. Beck hatte ihm über die Jahre weiß Gott oft genug die Hölle heißgemacht wegen der strikten Regeln, die Knox gegenüber den Frauen aufgestellt hatte, mit denen er was hatte. So häufig, dass er ohne ein einziges Wort bereits viel vermittelte.
„Wie hat sie es aufgenommen?“, fragte Beckett schließlich.
„Noch bevor ich vom Parkplatz gefahren bin, hat sie vermutlich zwölf verschiedene Arten ersonnen, wie sie mir die Eier abschneiden kann. Bis ich beim Highway angekommen bin, hatte sie es sich dann selbst ausgeredet.“ Er zuckte mit den Achseln und konzentrierte sich auf die Gruppe von Wohnungen, die sich am Rand des Geländes befanden. Während der vergangenen Woche hatte er einige Schichten übernommen, um JJs Kommen und Gehen zu beobachten, aber er hatte keinen einzigen Blick auf sie erhascht. „Tiffany wird sich davon erholen. Ich schätze, sie findet schneller, was sie sucht, wenn sie nicht von mir herumgeschubst wird.“
Beckett nickte. Seine Augen waren auf dasselbe Ziel gerichtet wie die von Knox. „Und du?“
„Was ist mit mir?“
Er hielt einen Augenblick inne. „Wirst du dich genauso schnell erholen wie Tiffany?“
So viel dazu, dass Beck den Mund hielt. „Erholung ist nicht nötig, wenn man sich nie vollkommen darauf eingelassen hat.“
„Das meine ich nicht. Ich spreche davon, dich von deinen Schuldgefühlen zu lösen.“
Knox stieß einen tiefen Seufzer aus, stemmte den Ellbogen auf die Ablage am Fenster und fuhr sich durch die Haare. „Ich verletze sie nicht gern. Ich bin ehrlich. Ich sage ihnen immer und immer wieder, dass ich niemand für eine Beziehung bin, aber es endet stets gleich.“
„Dann finden wir einen anderen Weg.“
„Welchen? Alk und Pillen werfen mich zu sehr aus der Bahn. Bei unserem Beruf ist das ein Arbeitsrisiko. Trainieren hilft nicht. Arbeit hilft nicht. Aber Sex. Und auch wenn mich das zu einem verdammten Schwein macht, mag ich den Sex. Ich mag die Frauen. Ich mag die Herausforderung. Fuck, es ist der ultimative Kick herauszufinden, wie oft ich sie kommen lassen kann.“
„Und das ist das Problem.“
Der unerwartete Kommentar lenkte Knox’ Aufmerksamkeit von JJs Veranda auf Beckett, der gerade den Kopf schüttelte, als ob er es mit einem Idioten zu tun hätte.
„Was soll das bedeuten?“
„Bruder, du lässt sie kommen. Mehrmals. Als ob es deine von Gott gegebene Aufgabe wäre, sie in die Stratosphäre zu vögeln. Und wenn du deinen Schlauberger-Arsch aus ihren Betten rollst, kümmerst du dich wie ein stolzer großer Bruder um sie. Da helfen weder Ehrlichkeit noch Wiederholungen, um sie davon abzuhalten, nach einem Ehering zu schielen.“
Gottverdammt. Er zwang seinen Blick zurück zur Wohnung ihrer Zielperson. Frustration und Selbstverurteilung brannten in ihm. „Ich bin am Arsch.“
Das brachte Beckett zum Lachen. „Nicht mehr als der Rest von uns.“
Korrekt. Aber wenigstens waren er und Beckett nicht mehr allein, so wie während ihrer Jugend. Jetzt hatte er fünf weitere Brüder, von denen jeder Einzelne sein Kreuz zu tragen hatte.
„Es kommt Bewegung in die Sache.“ Beckett nickte in Richtung der Wohnung.
Und tatsächlich, eine klassisch schöne Blondine in engen Jeans und einem simplen braunen Oberteil erschien auf dem Treppenabsatz, stoppte lang genug, um den Türriegel vorzuschieben, und hüpfte dann fast die Stufen zum Parkplatz hinab. Sie als Blondine zu bezeichnen, war im Grunde unpassend. Im Gegensatz zu dem kalifornischen Gold, das viele Frauen anstrebten, neigten JJs Haare eher zu Weiß. Als ob sie aus einem mystischen Winterreich stammte.
Außer es war gefärbt, wie bei manchen Frauen, die er kannte. Seltsamerweise hoffte er auf das Gegenteil.
„Interessante Automarkenwahl“, sagte Beckett. „Danny würde sagen, dass das ein Pluspunkt für sie ist.“
Der Dodge Challenger, in den JJ stieg, war feuerwehrrot mit schwarzen Rennstreifen und sah aus wie etwas, das einer seiner Brüder aussuchen würde. „Ein guter Autogeschmack heißt noch lange nicht, dass jemand vertrauenswürdig ist.“
„Ich hab’s dir doch gesagt, du bist paranoid.“
„Es hat mich dreiundzwanzig Jahre gekostet, die Familie zu bekommen, die ich wollte. Ich werde nicht zulassen, dass ein Unbekannter sie auseinanderreißt, sofern ich es verhindern kann. Wenn ich deshalb paranoid bin, dann sei es so.“ Knox schüttelte den Kopf. „Außerdem macht mich irgendwas an ihr nervös. Aber ich kann den Finger nicht darauflegen.“ Und bis er sicher wusste, dass seine Familie nicht davon betroffen war, was auch immer es war, würde er nicht lockerlassen. Egal, was für Ärger ihm Beckett bereitete.
Das Brummen des Challenger dröhnte bis dorthin, wo Beck und Knox warteten.
„Mein Stichwort.“ Knox öffnete die Beifahrertür. „Ruf mich an, wenn sie ihr Ziel erreicht hat.“
„Alles klar. Du hast deine Schlüssel?“
Knox klopfte auf seine Hosentasche, in der sich seine Schlagschlüssel befanden. „Obwohl ich kein Pfadfinder war, hat mich noch nie eine verschlossene Tür unvorbereitet erwischt.“
Beckett grinste und winkte ihn weg. „Ich mache es dir leicht. Es ist ein Schlage-Schloss. Ich tippe auf ein fünfstiftiges.“
Knox lachte und erhob sich aus dem Sitz. „Und schon wieder hast du mir den ganzen Spaß verdorben.“ Damit schlug er die Tür hinter sich zu und lief zurück zu seinem Auto. Er hatte es kaum dorthin geschafft, als JJ den Challenger aus der Ausfahrt des Parkplatzes steuerte, der hinaus auf eine Anliegerstraße führte.
Beckett folgte ihr, aber Knox blieb noch auf seinem Posten. Zu häufig hatte er es bei einem Job zu eilig gehabt und die Zielperson war zurückgekommen, weil sie etwas vergessen hatte. Beim letzten Mal hatte Knox, um nicht aufzufliegen, eine äußerst persönliche Begegnung mit einer Stechpalme gehabt. Das verdammte Gestrüpp hatte ihn fertiggemacht, noch mehr als die Zwillinge, mit denen er sich am Abend von Jace und Vivs Hochzeit solo eingelassen hatte, aber es hatte ihm auch die große Bedeutung von Geduld nahegebracht.
Zehn Minuten später ließ er das Verdeck seines Roadsters hochfahren und setzte in den perfekten Parkplatz zurück, um von dort aus direkt auf die Hauptstraße fahren zu können. Eine weitere Lektion, die er über die Jahre hinweg gelernt hatte: Sorge immer dafür, dass du schnell abhauen kannst.
Er zog seine verlässliche Texas-Baseballmütze aus dem Handschuhfach, setzte sie auf und schlenderte zu JJs Wohnung. Mit dem Rucksack über der Schulter sollte er für Beobachter wie ein Freund von JJ wirken, aber jeder Job, den er im hellen Tageslicht erledigte, war ein Risiko.
Das Furchterregendste? Er war süchtig nach dem Rausch. Nicht nach dem, der sich beim Einbrechen einstellte, sondern nach dem, der von der Erwartung geschürt wurde, was auf der anderen Seite der Tür auf ihn wartete. Dort war etwas. Die zwischen seine Schulterblätter gepresste Mündung einer Schrotflinte hätte ihn nicht wirksamer zu Antworten anspornen können als der unter seiner Haut brennende Impuls .
Oben auf dem Treppenabsatz zog er seine Schlagschlüssel hervor und nahm seinen Minihammer aus der Seitentasche an seinem Rucksack. Er neigte den Körper, um seine Handlungen besser zu verbergen, und ließ den Schlüssel ins Schloss gleiten.
Hineinschieben. Ziehen. Klick.
Das Schloss unter dem Türknauf drehte sich so geschmeidig als wäre es mit Butter eingeschmiert.
Er wandte sich dem unter dem Türriegel zu, wiederholte den Prozess und brauchte dafür dreimal Rütteln und ein wenig mehr Finesse als beim ersten.
Weibliche Stimmen erklangen vom Weg unterhalb von ihm, als sich die Bolzen bewegten.
Geschafft.
Er öffnete die Tür, trat ein und schloss sie wieder hinter sich, sodass er sich in dem wunderbar durch die Klimaanlage gekühlten Wohnzimmer befand. Draußen hörte er weiterhin das Geschnatter der Frauen, doch die Deutlichkeit ihrer Worte verklang, als sie sich entfernten.
Er sah sich in dem winzigen Apartment um. Es war ein Standardgrundriss. Wohnzimmer, Einbauküche und eine kleine Essnische auf der einen Seite, Schlafzimmer und angrenzendes Bad auf der anderen. Der braune Teppich war von schlechter Qualität und die Wände in diesem furchtbaren gräulichen Weiß gestrichen, das jeder Vermieter im Land liebte, doch vor allem die Atmosphäre deutete auf eine zurückhaltende, aber spielerisch veranlagte Persönlichkeit. Eine Couch, die an der einen Wand stand, war mit blaugrauem Stoff bezogen und übersät mit farbigen Zierkissen, und der Kaffeetisch war nur eine Glasplatte mit rotgoldfarbenen Beinen.
Er ging weiter hinein. Dort, wo die meisten Leute alles – von Flyern über unbezahlte Rechnungen bis hin zu Ladegeräten und Krimskrams – liegen ließen, war in JJs Wohnung absolut nichts. Nichts lag herum. Aber sie stand wohl auf Wölfe. An einer Wand hing ein breites Gemälde, das drei davon inmitten eines Wintersturms zeigte, jeder in unterschiedlichen Grauschattierungen. An Deko besaß sie nur eine Mischung aus geschnitzten oder Keramiktieren in verschiedenen Posen, doch sonst gab es nichts, was eine gründlichere Inspektion verlangt hätte.
Der Tisch, an dem die meisten Menschen eine Essnische eingerichtet hätten? Gut, das verdiente seine Aufmerksamkeit. Obwohl … so verführerisch es auch war, sich sofort über ihre elektronischen Geräte herzumachen, er wusste es besser. In der Sekunde, in der er den Laptop auf ihrem Tisch öffnete, würde er zeittechnisch gegen ein Schwarzes Loch ankämpfen. Es war sinnvoller, wenn er sich jetzt die übrige Wohnung vornahm und sich um die große Sache am Ende kümmerte.
Das Bad war genauso sauber wie der Rest. Der Spiegel makellos. Alles an seinem Platz. Penibel gefaltete Handtücher hingen über den Haltern. Er bewegte sich langsam tiefer in den engen Raum und atmete den einzigartigen Geruch ein. Er erinnerte ihn ein wenig an die Rosen, die eine seiner Ziehmütter gezüchtet hatte, aber mit einem frischen Unterton. Ähnlich wie ein Morgen nach einem harten Frosttag.
Er schüttelte diese seltsame Empfindung ab, drehte sich zum Schlafzimmer und bekam prompt einen Schock. Die Wände waren in demselben langweiligen Weiß gestrichen wie die anderen, aber was ihnen an Farbe fehlte, machte das Bett mehr als wett. Auf der breiten Matratze lag eine blutrote Decke, die abgenutzt und doch heimtückisch weich wirkte. Der obere Teil war umgeschlagen wie in einem erstklassigen Hotel, sodass darunter Laken sichtbar waren, die nur einen Hauch heller waren. Ein hölzerner Ring, der gebeizt worden war, sodass er zu dem dunklen Espresso-Ton des Kopfteils passte, befand sich an der Decke. An ihm waren durchsichtige scharlachrote Stoffbahnen angebracht, die an beiden Seiten des Betts herabhingen, und Kissen in jeglicher Form und Größe waren kunstvoll am Kopfende drapiert.
Ja, ein Blick auf dieses Bett, und sämtliche Vorstellungen, die er sich von dieser mysteriösen Fahnderin gemacht hatte, wurden auf den Kopf gestellt. Die Frau, die in diesem Bett schlief, passte überhaupt nicht zu den Bildern, die er online gesehen hatte. Es strahlte reinen Sex aus. Es war eine Zuflucht, in die man sich mit einer langen Liste von dekadenten Zielen begab, und die man erst Stunden später wieder verließ.
Fuck, wer war diese Frau?
Er durchsuchte kurz ihre Kommode und überprüfte den Inhalt jeder Schublade nach Informationen oder Hinweisen, die er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Wie alles in ihrer Wohnung war die Kleidung, die er fand, von guter Qualität, aber ein wenig abgetragen. Als ob sie ursprünglich teure Dinge gekauft und lange an ihnen festgehalten oder sie bereits secondhand erworben hätte. Abgesehen von den Büstenhaltern, Höschen und Seidennachthemden. Die waren immer noch in hervorragendem Zustand und in sämtlichen sündhaften Farbschattierungen vorhanden.
Im Kleiderschrank fand er das gleiche Bild vor. Nichts war in Schachteln verstaut, bis auf die Schuhe, die dort hineingehörten. Es gab keine Fotos. Keine Notizen. Nichts. Verdammt, jetzt, wo er darüber nachdachte, hatte er kein einziges verfluchtes Foto in der ganzen verfluchten Wohnung vorgefunden. Mädels standen auf Fotos. JJ jedoch besaß nur eine Menge von Wölfen und eine offensichtliche Vorliebe für Dinge von bester Qualität.
Gut, wo würde eine Frau, die Ordnung schätzte, ihre Geheimnisse verstecken?
Unter dem Bett.
Grinsend stellte er seinen Rucksack auf den Boden, kniete sich neben das Sextopia, das sie erschaffen hatte, und hob den Überwurf hoch.
Bingo.
Er zog zwei viereckige schwarze Plastikbehälter hervor, merkte sich genau, wie sie sie positioniert hatte, und öffnete den Deckel.
Sein leises Lachen durchbrach die Stille des Zimmers. Eine Mischung aus Unmut und reiner Freude durchfuhr ihn. Das war nicht wirklich das Geheimnis, nach dem er gesucht hatte, aber immerhin wusste er es zu schätzen. Aufgereiht auf einem schwarzen Samtkissen lagen ein dicker schwarzer Dildo, ein rosaroter Fingervibrator und ein dünner lilafarbener Analplug.
Oh ja. Das Bett und die sexy Unterwäsche führten einen nicht in die Irre. Wer auch immer JJ war, sie besaß eine verruchte Seite. Neugierig nahm er eine schmale Schachtel aus einer Ecke der Plastikbox und öffnete sie.
Ein einfacher rechteckiger Bilderrahmen aus Chrom befand sich darin. Das Foto ließ seinen Fokus auf einmal laserscharf werden. Zwei Frauen standen neben dem Dodge Challenger, in dem JJ am Morgen weggefahren war. Sie hatten die Arme umeinander gelegt und lächelten breit in die Kamera. Wer immer das Bild gemacht hatte, war weit genug entfernt gewesen, dass er das ganze Auto hatte ablichten können, sodass die Frauen weniger detailreich zu sehen waren, doch es gab keinen Zweifel, wer sie waren. Die eine war die Frau, die er an diesem Morgen die Wohnung hatte verlassen sehen – dieselbe Blondine, die derzeit in den Ausweis- und Führerscheinunterlagen als Jeannie „JJ“ Simpson bezeichnet wurde. Aber die andere war die rotblonde Frau Anfang dreißig, die er auf versteckten und jetzt toten sozialen und beruflichen Netzwerkseiten gefunden hatte.
Eine wilde Mischung von Online-Identitäten verstand er. Das passierte nun einmal in der heutigen Welt, die auf Technologie basierte. Doch dass die beiden Frauen, die hier Arm in Arm abgebildet waren, behaupteten, dieselbe Person zu sein? Zur Hölle, nein. Das Ganze roch nach Identitätsdiebstahl, wenn nicht nach Schlimmerem.
Er machte mit seinem Handy ein Foto von dem Bild, legte alles wieder dahin zurück, wo er es gefunden hatte, und ging zum Computer. Hier mussten die richtigen Informationen sein. Er hoffte, dass kein Passwort nötig wäre und er leicht hineinkäme, während er ihren PC startete.
Keine Chance.
Er fuhr ihn wieder runter, zog seinen eigenen Laptop hervor, baute ihre Festplatte aus und verband sie mit seinem seriellen ATA. Fünf Minuten später – voilà. Kein Passwort notwendig.
Zuerst scannte er ihre Festplatte. Keine geheimen Partitionen. Keine besonderen Einstellungen in ihrem BIOS. Keine Schlösser, um unautorisierte Zugriffe abzuwehren oder zu verlangsamen, also war sie scheinbar nicht nebenbei als Hackerin tätig. Er überprüfte die voreingestellten DNS-Server ihres Routers und stellte sie wie die in seinem Büro ein, damit er zukünftigen Traffic überwachen konnte.
Zufrieden, dass er die Basis gelegt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit ihren Suchanfragen zu. Viel Shopping, keine sozialen Netzwerke außer Pinterest – wo sie kein Nutzerbild eingestellt hatte – und sehr intensive Recherchen bezüglich ihrer Fahndungsarbeit. Abgesehen davon war ihre Onlinepräsenz in den vergangenen dreißig Tagen ziemlich langweilig.
Er öffnete ihren Dateimanager. Wie ihre Wohnung war auch dieser gut organisiert und leicht zu durchschauen. Finanzielles befand sich an einem Ort, und ihre letzten Steuererklärungen zeigten an, dass sie ein solides finanzielles Polster besaß, trotz ihres mageren Einkommens, was darauf schließen ließ, dass ihre Kleidung und Schuhe secondhand waren. In einem anderen Ordner hatte sie Unterordner für die Firmen angelegt, für die sie arbeitete. In einem weiteren befanden sich Rezepte, von denen die meisten einen slawischen Touch hatten. Ganz unten war einer, der mit Zukunft betitelt war.
Er klickte darauf und sah eine kurze Liste von weniger als zehn gespeicherten Artikeln aus dem Internet. Sein Handy vibrierte in seiner hinteren Hosentasche, als er den ersten öffnete, und unheilvolle Aufregung drückte auf seine Schultern. Der Artikel stammte, dank Viv, die das organisiert hatte, aus einem Unterhaltungsmagazin, das den Fokus auf die diesjährige Spendengala für Catherines Kinder gelegt hatte – eine Biker Rally, in der Motorradbegeisterte aus Texas und den umliegenden Staaten zusammengelegt hatten, um Sommerkunstprogramme für Kinder aus benachteiligten Familien, die den Gürtel enger schnallen mussten, zu finanzieren. Das Foto oben im Bericht zeigte ihn und den Rest seiner Brüder in einem halbwegs ungestellten Moment, in dem sie sich um die Motorräder von ihm und Jace versammelt hatten. Das Foto war großartig. Er hatte es selbst auch gespeichert, als der Artikel erschienen war, aber jetzt, wo er es auf JJs Computer gesehen hatte, verblasste jede Hoffnung, dass JJ ehrlich war.
Der Vibrationsalarm seines Handys setzte wieder ein.
Knox überprüfte den Anrufer, ging dann ran und klemmte es sich zwischen Ohr und Schulter. „Ich schätze, JJs Montagmorgenausflug ist nicht länger ein Mysterium?“
„Nein“, sagte Beckett. „Nicht mehr.“
Knox klickte auf den nächsten Artikel und fragte: „Etwas Interessantes?“
„Nur, wenn du Freiwilligenarbeit in einer Seniorenwohnanlage als grandiose Unterhaltung bezeichnest.“
Knox runzelte die Stirn angesichts der neuen Datei, die er geöffnet hatte. Es war ein Technikartikel, der über ihn erschienen war, nachdem er dem FBI dabei geholfen hatte, einen üblen Hacker festzunehmen, der mit einem kolumbianischen Drogenboss gemeinsame Sache gemacht hatte. Er klickte auf die nächste Datei. „Wie bitte?“
„Ich sagte, sie verbringt den Morgen damit, ein paar alte Knacker zu betüddeln, die in einem heruntergekommenen Seniorenzentrum wohnen. Jetzt befindet sie sich in einem Dojo ungefähr fünf Kilometer von ihrer Wohnung entfernt und zieht sich für ihren Taekwondo-Unterricht um.“
Ja, die Information war interessant, aber nicht so erstaunlich wie das, was er in den restlichen Dateien auf ihrem Computer fand. Er sank gegen die Rückenlehne des Stuhls. „Das ist nicht wirklich das, was ich erwartet hatte.“
„Nichts an diesem Mädel ist so, wie wir es erwartet haben“, sagte Beckett. „Hast du sie dir angesehen?“
„Blond. Knapp eins siebzig. Schlank. Blaue Augen. Mag kein Make-up.“
Beckett stieß ein leises Lachen aus. „Diese Beschreibung trifft vielleicht alle hervorstechenden Merkmale, wird ihr aber nicht gerecht. Was immer du für Fotos angesehen hast, sie haben die Realität wirklich richtig krass untertrieben.“
Knox fuhr mit dem Finger vor den perfekt aneinander gereihten Dingen unter ihrem externen Monitor entlang. Zwei Frauen, die einander gekannt hatten, nun dieselbe Identität besaßen und von denen eine vermisst wurde. Offizielle Fotos, auf denen das Aussehen so ähnlich war, dass es der Realität glich, aber nicht ganz stimmte.
Er richtete die Post-its so aus, dass sie parallel zu dem Büroklammerbehälter und dem Tacker waren. „Ich vermute, dass sie sich versteckt. Wahrscheinlich benutzt sie eine gestohlene Identität. Falls ja, hat eine Bearbeitung ihres Ausweis- und ihres Führerscheinfotos dabei geholfen, die Gesichtserkennung zu täuschen. Das würde auch erklären, weshalb sie in einem Altenheim arbeitet. Dort gibt es viele Möglichkeiten für jemand Einfallsreichen, der eine neue Identität braucht, wenn einer der Bewohner das Zeitliche segnet.“
„Das mag für sie ein Problem sein, aber keines, das uns betrifft. Außer, du hast etwas anderes gefunden?“
Knox blätterte noch einmal durch den Inhalt des Ordners, nach wie vor verblüfft darüber, wie viele Geschichten und Fotos darin enthalten waren. „Oh, ich habe etwas anderes gefunden. Allerdings sucht sie nicht nach Infos über die Bruderschaft. Ihr Interesse gilt mir.“
„Soll ich Becks Bestellung wieder mitnehmen und warmhalten, bis er auftaucht?“, fragte Knox’ Kellnerin. Wie die anderen Frauen, die im Trident arbeiteten, trug sie ein schwarzes T-Shirt und Jeans, aber ihre Attitüde passte zu ihrem Outfit. Vollkommen „emo“ und dazu hundert Prozent „Ist mir scheißegal“, wie jeder andere hier. Allerdings war das ebenso seine Einstellung gewesen, als Jace seinen ersten Club gegründet hatte. War es immer noch.
Hier gab es auch das beste Fingerfood in Dallas. Knox bedeutete ihr, weiterzumachen. „Nein, er ist nur ein paar Minuten entfernt. Sobald er in diese Wings beißt, wird ihm die Temperatur vollkommen egal sein, wenn du einfach weiter für Bier sorgst.“
Sie zuckte mit den Achseln, stellte den Korb voller überragender Leckereien auf die Theke und ging davon.
Knox war zu ausgehungert, um auf seinen Bruder zu warten, schnappte sich daher seine eigene Bestellung und legte los. Er hatte gerade seinen ersten Wing gegessen und einen großen Schluck von seinem Fassbier genommen, um ein wenig Befriedigung zu finden, als Beckett hinter ihm herankam und sich den Stuhl zu Knox’ Rechten herauszog. „Du hast die scharfen, oder?“
Als ob er etwas anderes bestellen würde. Die Feier, mit der er und Beckett in der Bruderschaft aufgenommen worden waren, hatte in dieser Bar stattgefunden, und egal ob beabsichtigt oder nicht, die brennend scharfen Wings waren auf einen Schlag zu einem Initiationsritus und einer Tradition geworden. Er nickte und aß weiter. „Sind erst vor ein paar Minuten gebracht worden. Jessie ist am Grill, also kannst du deinen Arsch darauf verwetten, dass wir später dafür bezahlen werden.“
Beckett wickelte die Serviette von seinem Besteck ab und schüttelte sie wie ein Mann, der sich für einen Kampf wappnete. „Das ist es wert.“
„Ja.“
Beckett hielt erst wieder einen Augenblick inne, nachdem er seinen ersten Wing hinuntergeschlungen hatte. Er kippte einen riesigen Schluck Bier hinterher und fragte: „Also gut, was soll dieser Scheiß von wegen: JJ gräbt nach Infos über dich?“
Knox zuckte mit den Achseln. „Keinen Schimmer. Die Artikel waren nicht besonders wichtig. Nur ein paar Kommentare, die allgemein bekanntes Wissen der letzten elf Jahre abgedeckt haben.“
Beckett zögerte. „Elf Jahre?“
Während sein Rachen in Flammen stand und seine Augen so sehr tränten, dass er sich wunderte, warum zum Teufel er seinen Magen weiterhin so quälte, nickte Knox und wischte sich die Finger ab. „Die komplette Spanne. Erinnerst du dich an den Bericht, der damals erschien, nachdem ich dem FBI geholfen hatte?“
„Der mit dem Fahndungsbild von deiner ersten Festnahme?“
„Genau den. Sie hatte ihn. Ich bin nicht ganz sicher, doch es würde mich nicht überraschen, wenn sie jeden Artikel, in dem ich jemals erwähnt wurde, besitzen würde.“
„Aber nicht die über den Rest von uns.“
Knox schüttelte den Kopf und machte mit der nächsten Runde weiter. „Nein. Nur einen von der letzten Aprilrally, in dem ein Foto von uns allen abgebildet war.“
„Und du glaubst, sie hat ihn behalten, weil du drauf bist.“
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Einerseits will ich sie loben, weil sie so sorgfältig war. Andererseits will ich herausfinden, warum sie so fokussiert ist, damit ich das abschließen und meine Konzentration anderen Dingen widmen kann.“
„Vielleicht steht sie einfach auf dich.“
„Auf keinen Fall. Sie hat mich nie getroffen. Das passt nicht.“
Beckett runzelte die Stirn und warf die Überreste eines Wings zurück in seinen Korb. „Es ist nicht, als ob du unter einem Stein leben würdest. Du hättest ihr überall begegnen können. So häufig wie du und ein paar deiner Mädels in den Bars rumlungert, wäre es nicht abwegig, dass sie dich gesehen hat, selbst wenn du sie nie bemerkt hast.“
„Das sind nicht meine Mädels.“
Beckett rollte mit den Augen, schob den Korb weg und schnappte sich sein Bier. „Affären. Harem. Egal. Du vögelst. Häufig. So, wie sie dich bei dem Job mit Natalies Ex kontaktiert hat, würde das einen Haufen erklären.“ Er stützte beide Ellbogen auf den Tresen und grinste. „Vielleicht hast du deinen eigenen Stalker.“
„Wirkt JJ auf dich wie eine Irre?“
Becketts Lockerheit verschwand mit einem Herzschlag und er sah mit einem abwesenden Blick in Richtung Bar. „Nein. Überhaupt nicht. Jeder, mit dem ich sie gesehen habe, machte den Anschein, als wäre sie ein Sonnenstrahl für ihn. Es war richtig gefühlsduselig, aber nicht auf üble Weise. Eher fürsorglich als alles andere.“
Die Kellnerin brachte zwei frische Biere und drehte sich auf dem Absatz wieder herum, ohne lang genug innezuhalten, um herauszufinden, ob sie noch etwas brauchten.
„Übrigens“, bemerkte Beckett, „JJs Taekwondo ist für eine Anfängerin nicht übel. Es dauert vielleicht weitere drei oder sechs Monate, bis ihre Fähigkeiten ausreichen, damit sie sie auch draußen einsetzen kann, aber sie hat eine Begabung dafür.“
„Du hast ihr zugesehen?“
„Fuck, ja, habe ich. Wie jedes andere Lebewesen auf zwei Beinen mit einem Schwanz und einem Herzschlag. Und das schließt die alten Fürze im Seniorenheim mit ein.“
Das Foto, das er von JJ in ihrer Wohnung gefunden hatte, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Es war aus der Ferne aufgenommen worden, aber selbst ohne die detaillierten Gesichtszüge hatte sie sanfter gewirkt als auf den Fotos vom Staat und FBI. „Ich glaube immer noch, dass sie sich hinter der Identität dieser JJ versteckt.“
„Warum?“
„Weil ich widersprüchliche Fotos in demselben sozialen Netzwerk gefunden habe.“
„Ach? So ein Scheiß passiert doch heutzutage ständig. Das weißt du genau.“
„Bei Fremden, ja. Aber ich wette, ich könnte an einer Hand abzählen, wie häufig es vorkommt, wenn die zwei fraglichen Personen einander kennen.“
Beckett stellte sein Bier wieder auf die Bar und schenkte Knox seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Was hat das zu bedeuten?“
Knox nahm sein Handy aus der hinteren Hosentasche, öffnete die Fotos, die er von seiner Online-Suche gespeichert hatte, und begann mit der älteren Version. „Das ist die Jeannie Simpson, auch bekannt als JJ, die ich auf einer alten Arbeitsnetzwerkseite gefunden habe.“ Er wischte zu einem anderen Foto. „Das ist die JJ Simpson aus der Akte des Staates Texas und des FBI.“
„Wie ich schon gesagt habe: Das ist nicht ungewöhnlich.“
Knox wechselte zu der Aufnahme, die er heute Morgen gemacht hatte. „Das ist das Foto, das ich in JJs Wohnung aufgetan habe. Ich habe bereits tief in den Sterbeurkunden gegraben, die die Verwechslung erklären könnten, und nichts gefunden.“
„Glaubst du, sie hat die Frau getötet?“
„Vielleicht. Vielleicht nicht. Ich finde es nur verdammt verdächtig, dass sie einander kannten und eine von ihnen sich heutzutage nirgendwo mehr blicken lässt.“
Für mindestens fünfzehn Sekunden saß Beckett da und ließ sein Bier kreisen. Er schüttelte den Kopf. „Dazu ist sie nicht der Typ. Das fühlt sich nicht richtig an.“
„Vielleicht fühlt es sich nicht richtig an, aber es sieht oberflächlich betrachtet verflucht übel aus.“
„Ich sage dir, sie hat nichts dergleichen ausgestrahlt. Sie ist eine freiwillige Mitarbeiterin in einem verdammten Seniorenzentrum.“
„Ich hab’s doch erklärt. Es wäre die beste Möglichkeit, um sich nach einer neuen Sozialversicherungsnummer umzusehen.“
Beckett runzelte die Stirn. „Du liegst falsch. Ich habe keine konkreten Beweise, aber ich wette, dass du hier den falschen Baum anbellst.“
„Irgendwo muss ich doch anfangen. Online habe ich nur alte Daten und Sackgassen gefunden.“
„Dann geh auf das Treffen ein, um das sie gebeten hat.“
Verflucht, er hasste es, nicht die Oberhand zu haben. „Das gefällt mir nicht. Vielleicht muss ich noch mal absagen und schauen, was ich über die ältere Frau rausbekomme.“
„Verdammte Scheiße, Bruder.“ Beckett ließ den Kopf hängen, als ob er tief in sich nach Geduld suchen müsste, anschließend bannte er Knox mit einem ernsten Blick. „Sie wiegt alles in allem weniger als sechzig Kilo, und auch wenn sie möglicherweise einen von uns überlisten kann, wird sie auf keinen Fall die ganze Bruderschaft überwinden können. Du willst einen Faden, dem du folgen kannst? Dann komm ihr doch näher.“ Er beugte sich betont vor. „Geh. Auf. Das. Treffen. Ein.“
Knox wollte sich winden – mehr als alles andere. Aufstehen, die Bar entlanglaufen und seinem Kopf Raum zum Arbeiten geben. Besser noch wäre, er hätte eine leistungsfähige LAN-Verbindung und eine Menge Zeit mit seinem Computer, ohne unterbrochen zu werden. Stattdessen zog er das Foto hervor, das er in JJs Wohnung gemacht hatte, und besah es sich erneut. „Sie ist schon ein Hingucker, hm?“
Beckett grinste und nahm sein Bier in die Hand. „Ich wette, du überlegst bereits, ob sie Tiffanys Stelle einnehmen könnte.“
„Klar. Das wird nicht passieren.“ Er zog seinen Geldbeutel hervor, um die Rechnung zu zahlen. Sein Bedürfnis, wieder online zu gehen und zu prüfen, ob er lose Fäden übersehen hatte, führte dazu, dass er ein Jucken unter der Haut spürte wie ein Abhängiger, der einen neuen Rausch am Horizont erkennen konnte. „Egal, ob sie gut aussieht oder nicht, ich mische Sex und Arbeit nicht.“
„Einen Tausender“, sagte Beckett.
„Einen Tausender für was?“ Warum er sich nach all den Jahren überhaupt die Mühe machte, sich dumm zu stellen, wusste Knox nicht. Ihm war vollkommen klar, wovon Beck sprach. Immerhin hatte er schon damals, als sie zehn Jahre alt gewesen waren, die Wetten seines Bruders angenommen. Obwohl es seinerzeit um gestohlenen Alk oder Zigaretten gegangen war statt um kalte, harte Kohle. Dennoch bestand die Hälfte des Spaßes darin, Beckett zu ködern.
Beckett warf einen Zwanziger auf die Bar und fuhr herum, um Knox anzusehen. „Einen Tausender, dass du mit JJ deine Grenze überschreitest, und zwar innerhalb eines Monats.“
Oh ja. Das hier würde ein Kinderspiel werden. Auf keinen Fall würde er mit jemandem schlafen, der solche Geheimnisse hatte wie JJ. Er grinste und streckte die Hand aus. „Die Wette gilt.“
Halb verhungert, schweißnass und immer noch kribbelig wegen der Nachwirkungen des Adrenalinrausches marschierte Darya die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie hatte früher geglaubt, dass die Leute, die die Sommer in Texas mit der Hölle auf Erden verglichen, ein wenig melodramatisch waren, aber nachdem sie bei fünfunddreißig Grad auf einem Pferderücken gesessen hatte, neigte sie dazu, ihnen recht zu geben. Und sie hatte tatsächlich gedacht, dass sie nach der Flucht aus ihrem Heimatland nie etwas als zu heiß bezeichnen würde.
Sie öffnete das Schloss und stemmte die Hüfte gegen die Tür, um regelrecht in ihre durch die Klimaanlage gekühlte Wohnung hineinzustolpern. Erster Punkt auf der Tagesordnung: Wasser. Viel Wasser. Direkt danach plante sie, mindestens dreißig Minuten lang lauwarm zu duschen. Obwohl … wenn ihr Hintern ein Mitspracherecht bekäme, würden es vermutlich weitere dreißig Minuten in der Badewanne werden. Nichts ließ eine Frau deutlicher erkennen, dass bestimmte Muskeln weniger benutzt wurden als andere, als ein zweistündiger Wanderritt.
Sie würde das Erlebnis aber für nichts in der Welt eintauschen. Ihr gesamtes Leben hatte sie sich gefragt, wie es wäre, auf einem so wunderschönen Geschöpf zu reiten, und jetzt wusste sie es. Nicht aus Büchern und nicht aus Filmen, sondern aus der Realität.
Eine weitere Erfahrung, die sie ihrer wachsenden Liste von Erfolgen hinzufügen konnte.
Eine Stunde später marschierte sie in Baumwollpyjamahosen und einem unglaublich weichen T-Shirt aus ihrem Bad und fühlte sich so gut wie wiederhergestellt. Sie grübelte darüber nach, was ihr nächstes Abenteuer sein könnte. JJ hatte einmal versucht, sie zum Fallschirmspringen zu überreden, aber Darya hatte am Absprungort den Schwanz eingekniffen. Vielleicht war sie jetzt für so etwas Verwegenes bereit. Oder für Bungee-Jumping. Sie hatte gehört, dass das Texas State Fair ziemlich eindrucksvoll war und einige Bungee-Attraktionen in Miniaturgröße besaß. Eventuell konnte sie dort anfangen und prüfen, ob sie es durchziehen könnte.
Sie zog ihren Schreibtischstuhl heraus, schaltete den Laptop ein und machte sich bereit herauszufinden, welche weniger außergewöhnlichen Dinge geschehen waren, während sie die Welt erobert hatte. Wie immer kam eine gesunde Dosis an Spammails. Sie hielt bei der neuesten Sale-Info für J. Crew und Banana Republic inne und besah sich die aktuellsten Styles. Eines Tages wäre sie in der Lage, sich die Kleidung zu kaufen, die sie wollte, und sie wäre diejenige, die sie bezahlen würde. Kein Wohltäter, egal wie freundlich oder selbstlos er war. Und auf keinen Fall ein Größenwahnsinniger, der über ihr Leben bestimmen wollte.
Sie klickte, abgelenkt von ihren Gedanken, auf die nächste E-Mail.
Keine hübschen Bilder oder fett gedruckten Grafiken.
Nur Text.
Sie runzelte die Stirn und scrollte wieder hoch und ihr stockte der Atem.
Knox Torren.
Endlich!
Sie richtete sich in ihrem Stuhl auf, atmete etwas zittrig aus und begann am Anfang.
JJ,
immer noch an einem Gespräch interessiert? Mein Upgrade ist fertig und ich habe Anfang nächster Woche etwas Zeit. Ich lasse Katy einen Termin für dich am Montag, den 18., um 14 Uhr bei Citadel Security eintragen. Lass mich wissen, falls der Tag für dich nicht passt.
Er hat zugesagt. Ja, poetisch war er in seiner Antwort nicht gerade geworden, aber er hatte ihr einen Termin gegeben, an dem sie ihn treffen konnte. Es war doch egal, dass er keine überflüssigen Worte geschrieben hatte. Wenn sie ihm ihre Idee verkaufen konnte, wäre sie einen riesigen Schritt näher daran, ihre Zukunft in die eigene Hand zu nehmen.
Okay, zugegeben, sie würde ihr zukünftiges Leben unter dem Namen einer anderen führen, aber es wäre immer noch ihres.
Doch mehr als das – sie würde tatsächlich Knox Torren treffen.
Sie stellte die Fersen auf die Sitzkante ihres Stuhls und schlang die Arme um ihre Schienbeine. Es gelang ihr gerade eben, ein aufgeregtes schulmädchenhaftes Quietschen zu unterdrücken. Seit sie die Stelle als persönliche Assistentin bei Yefim erhalten hatte, war sie nicht mehr so glücklich gewesen. Sie war voller Vorfreude und Gewissheit. Es war, als ob sie beim Lotto gewonnen und ein Date mit ihrem Highschool-Schwarm ergattert hätte – und das alles auf einmal!
Wie sollte sie darauf antworten? Er hatte knapp geschrieben, also würde er vermutlich etwas Ähnliches zu schätzen wissen. Vielleicht ein Einzeiler, um zu bestätigen, dass ihr der Termin passte und sie ihn dann treffen würde. Oder wäre selbst das zu viel?
Sie löste die Umklammerung ihrer Schienbeine, griff nach ihrer Maus, um auf den Antwort-Button zu klicken – und erstarrte. Ihre Hand schwebte immer noch Zentimeter vor dem Desktop, und sie konnte nur die drei Gegenstände anstarren, die perfekt arrangiert unter ihrem externen Monitor standen. Sie hatte die Post-its verschoben, bevor sie gegangen war. Da war sie sich sicher.
Ihr Herz trommelte in einem wütenden, unregelmäßigen Rhythmus und ein hektisches Summen erfüllte ihre Ohren. Ein Blick auf das Schloss an ihrer Eingangstür bestätigte, dass der Riegel vorgeschoben war. Die Jalousien waren geschlossen, und niemand war in ihrer Wohnung, außer derjenige versteckte sich unter dem Bett. Sie sprang auf und eilte in ihr Schlafzimmer.
Blödsinn. Der schwarze Mann existiert nicht. Du spinnst dir bloß was zusammen.
Aber sie hatte sie absichtlich verschoben. Daran erinnerte sie sich ganz deutlich.
Sie sank auf die Knie, riss ihre Decke nach oben, lugte unter das Bett und atmete erleichtert aus. Niemand da. Nur die Schachtel, in der sie ihre Spielsachen versteckte und die eine Erinnerung an JJ, die sie mitzunehmen gewagt hatte und die sich genau dort befand, wo sie sie zurückgelassen hatte.
Sie erhob sich, wischte sich ihre zitternden, schweißnassen Hände an den Hüften ab und sah sich im Raum um. Alles andere war vollkommen in Ordnung. Alles war an seinem Platz. Warum fühlte sie sich also so, als ob tausend Blicke auf sie gerichtet wären?
Ruslans Gesicht tauchte kristallklar vor ihrem inneren Auge auf; wie er sie das letzte Mal besitzergreifend und lüstern angesehen hatte, und ihr Magen hob sich wie immer. Es war eine Warnung und ein Versprechen gewesen. Sie war davor weggelaufen und hatte sich nie wieder umgesehen.
Sie machte zwei Schritte zum Ankleidezimmer, packte beide Seiten des Türrahmens, und ihr Blick fiel auf die Koffer, die auf dem obersten Regalbrett lagen. Das Sicherste wäre, wegzulaufen. Dafür zu sorgen, dass Ruslan niemals die Gelegenheit bekommen würde, sein Versprechen wahr zu machen. Er würde sie nicht umbringen. Das zu tun würde ihm nicht das verschaffen, was er wollte, aber sie würde nichtsdestotrotz als leere Hülle enden. Sie hatte es zu häufig bei Männern wie ihm gesehen. Mächtigen Männern, die Frauen bestenfalls als Trophäe und schlimmstenfalls als Hure benutzten.
Sie schluckte und machte zwei weitere Schritte in ihr Ankleidezimmer. Ihr Herzschlag schien in ihrem Hals zu pochen. Es war wie ein Schmetterling, der entkommen wollte.
Lebe für uns beide.
Die letzten Worte, die JJ gesprochen hatte. Yefim hatte ihr das gleiche Versprechen abgenommen – nicht verbal, aber sein Blick, als er ihr bei ihrer Flucht geholfen hatte, hatte dasselbe ausgesagt.
Und ständig auf der Flucht zu sein, war kein Leben.
Sie straffte die Schultern und knirschte mit den Zähnen, stapfte aus dem Raum und ins Wohnzimmer, wobei sie auf dem Weg alle Details wahrnahm. Sie machte es sich auf ihrem Stuhl bequem und zwang sich, langsam und tief zu atmen. Es gab immer die Möglichkeit, dass derjenige, der ihre Sachen gerade hingestellt hatte, nicht Ruslan gewesen war. Immerhin hätte der sie, wenn er sie gefunden hätte, einfach schreiend und um sich tretend weggeschleppt, egal wer es mitbekam. Avtoritet – Amerikaner würden sie als Hauptmänner in der russischen bratva bezeichnen – hörten nur auf ihre pakhan.
Nein, es war wirklich möglich, dass jemand anderes ihre Sachen bewegt hatte. Vielleicht sogar jemand so harmloses wie ein Handwerker. Okay, dass so einer ihre Dinge berührt hatte, war vollkommen unangebracht, aber es war nicht gänzlich abwegig.
Trotzdem wäre es sicherer, wenn sie wachsam bleiben würde. War Ruslan ihr tatsächlich auf der Spur, musste sie klug vorgehen. Sich auf ihre Umgebung konzentrieren, ihre Ressourcen verstärken und so viele Verbündete zusammenscharen, wie sie konnte. Sie sah zu der E-Mail, die sie offengelassen hatte. Ihr Entschluss festigte sich, als sie die Finger auf die Tastatur legte.
Darya hatte eine Woche gewartet. Gewartet, jeden Schritt analysiert und sich dabei fast aufgearbeitet. Abgesehen von den gerichteten Post-its auf ihrem Tisch hatte sie keinen Hinweis darauf gefunden, dass Ruslan oder jemand anderes sie entdeckt hatte. Ihr Leben war so leicht wieder in die übliche Routine verfallen, dass sie sich fragte, ob sie sich vielleicht eingebildet hatte, die Sachen auf dem Tisch schräg zurückgelassen zu haben.
Nichtsdestotrotz stand jetzt der Zeitpunkt für ihr Treffen mit Knox kurz bevor, und damit hoffentlich auch das Sprungbrett, das sie brauchte und durch diesen Termin zu bekommen hoffte. Sie hatte vor dem einstöckigen Gebäude geparkt, das einfache Betonwände hatte, starrte auf das Citadel-Security-Schild aus gebürstetem Chrom und wiederholte die Argumente, die sie mindestens zwanzig Mal pro Tag laut rezitiert hatte. Kühle Luft aus der Lüftung des Wagens traf auf ihre feuchte Haut, hatte aber kaum einen Effekt, da so viel Adrenalin durch ihre Adern pumpte.
Die Uhrzeit auf dem Armaturenbrett wechselte von 13:54 Uhr auf 13:55 Uhr. Sie konnte entweder bis 14 Uhr hier sitzen und zulassen, dass ihre Unsicherheit bis in die Stratosphäre anstieg, oder sie könnte aus ihrem Auto aussteigen und hoffen, dass eine etwas frühere Ankunft ein besonderes Maß an Professionalität zeigen würde.
Sie zog am Griff, schob die schwere Tür auf und schwang ihre Füße, die in Jimmy Choos aus zweiter Hand gehüllt waren, auf den Betonparkplatz. Was den braunen Pumps an Eleganz fehlte, machten sie wett, indem sie ihre Beine betonten, vor allem, da sie sie mit einem dazu passenden Bleistiftrock, der knapp oberhalb ihrer Knie endete, und einer zarten elfenbeinfarbenen Bluse mit einem Stehkragen kombiniert hatte. Dieses Outfit zusammenzustellen hatte Spaß gemacht und war auch eine willkommene Ablenkung gewesen; ein kurzer Trip zurück in eine Zeit, in der sie in der Lage gewesen war, schicke Mode zu genießen, statt ständig zu versuchen, sich anzupassen.
Bevor sie die Hand auf einen der gläsernen Griffe am Eingang legen konnte, erklang das Klicken eines Schlosses, das aufgesperrt wurde. Sie zog die Tür auf, und eine Woge gekühlter Luft, die die Klimaanlage ihres Challenger in den Schatten stellte, blies über ihre Haut. Selbst mit dem Licht, das durch die Doppeltür und die Fenster auf beiden Seiten hereinfiel, dauerte es eine Sekunde, bis ihre Augen sich nach der kräftigen Sonne draußen angepasst hatten.
Eine hübsche Blondine in Jeans und T-Shirt erhob sich hinter einem geschwungenen Empfangstresen aus Ebenholz, der mit mattem Chrom akzentuiert war. Ihre Augen waren von beneidenswertem Grün und ihr Haar war zu einem verwuschelten Pixie-Look gestylt. Sie streckte zum Gruß ihre Hand über die drei Monitore hinweg, die in einem perfekten Halbkreis arrangiert waren. „Sie müssen Jeannie Simpson sein. Ich bin Katy, Knox und Becketts Assistentin. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
Zwei oder drei Wodka-Shots wären nett. Gott wusste, sie brauchte etwas, um ihre Zunge zu lockern. Während das Äußere von Knox’ Gebäude mehr oder weniger nichtssagend war, war das Innere überaus beeindruckend modern eingerichtet. Wie Katys Tisch waren auch die Wände zu ihren Seiten dunkel – nicht ganz schwarz, sondern kohlegrau, und sie schienen aus einer Art Metall zu bestehen statt aus Farbe. Die Wand hinter Katys Tisch allerdings war von einem wunderschönen Taubengrau, was dem begrenzten Raum eine zusätzliche Tiefe verlieh. Klassische und doch trendige zylindrische Hängeleuchten aus gefrostetem weißem Glas befanden sich über jedem Ende ihres Tisches, und zwei undurchdringliche Stahltüren befanden sich rechts und links von ihr. „Wenn es keine Umstände macht, wäre etwas Wasser gut.“
„Überhaupt nicht.“ Katy neigte den Kopf. Neugier schimmerte in ihrem abschätzenden Blick. „Ihr Akzent ist ungewöhnlich. Ich tippe auf Russisch?“
Eine Sekunde lang erlitten Daryas Gedanken einen kompletten Stillstand. Da sie, von ihrer normalen Routine abgesehen, nur wenig tägliche Interaktionen hatte, traf sie selten neue Leute. Daher hatte sie vergessen, dass sie Erklärungen finden musste.
„Ja“, sagte sie, und ihr wurde klar, dass Knox dasselbe erwarten würde. „Ich hoffe, ich bin nicht zu schwer zu verstehen.“
„Gar nicht. Er ist sogar sehr schön.“ Katy drückte ein paar Knöpfe auf ihrem Computer und winkte Darya zu der kleinen Sitzecke auf einer Seite der Eingangstür. „Geben Sie mir einfach eine Sekunde, damit ich Ihr Wasser holen und Knox sagen kann, dass Sie hier sind.“
„Vielen Dank.“
„Keine Ursache.“ Sie legte die Hand auf einen schwarzen Bereich neben einer schweren Tür, und ein dunkles Knacken, das sich so anhörte, wie wenn der Tresor einer Bank geöffnet wird, dröhnte durch das Zimmer. Dann war Darya allein in dieser einschüchternden Umgebung.
Langsam ging sie zu der mit elfenbeinfarbenem Leder bezogenen Couch und dem länglichen Marmorsofatisch. Sitzen kam nicht infrage, nicht, wenn sie irgendeine Art von Ruhe ausstrahlen wollte. Sie war scheinbar allein im Zimmer, aber die Kameras, die in jeder Ecke angebracht waren, machten es relativ wahrscheinlich, dass von irgendwoher Blicke auf sie gerichtet waren. Sie drückte den Griff ihrer Tasche ein wenig fester und tat so, als würde sie die Umgebung draußen vor dem Panoramafenster betrachten. Was wirklich ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, war das Glas selbst, das mehrere Schichten dick und ohne jeden Zweifel in der Lage war, Kugeln zu stoppen. Allerdings machten solche Maßnahmen Sinn für eine Sicherheitsfirma. Genau wie die gesicherten Türen. Zumindest hoffte sie, dass das der Grund für diese strikten Sicherheitsvorkehrungen war. Das letzte Mal, dass sie sich in einer so streng überwachten Umgebung befunden hatte, war an jenem Tag gewesen, als sie Ruslan getroffen hatte und ihre Welt in fünf Minuten von einer verhätschelten Existenz zu einer Hölle geworden war.
Die Tür erklang dröhnend hinter ihr.
Darya drehte sich um. Das höfliche Lächeln, das sie für Katy aufgesetzt hatte, verblasste und ihr stockte der Atem. Statt der Assistentin kam Knox durch die große Tür in ihre Richtung, mit einem Lächeln, das selbst die abgebrühteste Frau entwaffnen konnte, und einer Flasche Wasser locker in der Hand.
Und er war großartig. Viel großartiger, als die Fotos, die sie zusammengesucht hatte, versprochen hatten. Intensiver. Charismatischer. Mehr von allem. Wie auf den Fotos, die sie gesehen hatte, trug er abgewetzte Jeans und schwarze Stiefel im Militärlook. Sein T-Shirt war in einem tiefen Grau, das seinen schlanken, aber muskulösen Oberkörper betonte, und Tattoos lugten unter jedem Ärmel hervor.
Erst als er in Reichweite kam und ihr das Wasser hinhielt, das er mitgebracht hatte, erkannte sie den weißen Aufdruck auf dem T-Shirt: einen klassischen Chevrolet Impala und den Text: Steig ein, Loser. Wir gehen auf die Jagd.
„Sie mögen Supernatural?!“, plapperte sie drauflos.