Heaven: Alle Bände in einer E-Box! - Sarah Stankewitz - E-Book

Heaven: Alle Bände in einer E-Box! E-Book

Sarah Stankewitz

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Beschreibung

**Endlich die E-Box der Bestseller-Trilogie, die den Himmel berührt** Seit dem Verlust ihrer Eltern steht die 18-jährige Hailey gefühlsmäßig zwischen Himmel und Hölle. Alles, was sie einst zu einem glücklichen Mädchen machte, erinnert sie heute nur noch an das, was sie verloren hat. Als dann auch noch der Neue Jayden an ihrer Schule auftaucht, scheint alles nur noch schlimmer zu werden. Denn Jayden ist kein gewöhnlicher Mensch und sein Auftrag lautet, Hailey mit sich in den Abgrund zu ziehen. Doch seine plötzlichen Gefühle zu ihr machen ihm einen Strich durch die Rechnung und plötzlich schöpft Hailey Hoffnung… //Textauszug: »Wie war dein Date?«, fragt er mich dann, vollkommen zusammenhangslos. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Gesprächspartner so schnell von einem Thema zum nächsten springen kann. Fakt ist, dass es mich jedes Mal vollkommen verwirrt. »Wieso willst du das wissen?« Schulterzuckend lasse ich meine Hand weiter über all die alten und kaputten Buchrücken gleiten. »Immerhin hast du mich für ihn versetzt. Deshalb würde es mich brennend interessieren, ob es sich wenigstens gelohnt hat«, gibt er zurück, und ich habe das Gefühl, dass seine Augen sich dabei in meinen Rücken brennen. Oder auf meinen Hintern - Jaden würde ich alles zutrauen.// //Die E-Box zur Heaven-Trilogie enthält folgende Romane: -- Heaven 1: Dem Himmel so nah -- Heaven 2: Wohin wir auch gehen -- Heaven 3: Bis ans Ende der Welt//

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich eventuell Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2017 Text © Sarah Stankewitz, 2016 Umschlagbild: istockphoto.com / © Jasmina007 Covergestaltung: Casandra Krammer Buchdesign, formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60314-9 www.carlsen.de

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016 Text © Sarah Stankewitz, 2016 Redaktion: Marlene Uhlenberg Umschlagbild: istockphoto.com / © Jasmina007 Umschlaggestaltung: Casandra Krammer Buchdesign, formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Prolog

Wenn eine Nacht dein Leben verändert

Jeder kennt ihn – diesen einen Tag, der alles erschüttert. Der Tag, der alles aus der Bahn wirft und dabei dein Leben komplett auf den Kopf stellt. Für manche ist es der Moment, in dem man sich das erste Mal Hals über Kopf in den unerreichbaren Jungen aus der Parallelklasse verliebt. Der erste Liebesbrief, den man von ihm bekommt und das erste Mal, wenn er einem das Herz bricht. In dieser Zeit fühlt es sich an, als würde das Leben keinen Sinn mehr machen, als sei alles vorbei und alles Schöne in einem wäre komplett zerstört worden. Für einige ist es der Moment, in dem man das erste Mal in die Augen seines eigenen Kindes blicken kann – all das sind Augenblicke, die einen vollkommen einnehmen. Puzzleteile, die nur zusammengefügt etwas Ganzes und Großartiges ergeben. Es sind Situationen und Erinnerungen, die alles im Leben verändern. Wenn man an diesem Zeitpunkt angelangt ist, wird nichts mehr sein, wie es noch vor einer Sekunde war. Nach dem nächsten Augenaufschlag wird man alles aus einem anderen Blickwinkel betrachten.

Und für mich – für mich hat sich nicht nur etwas verändert, nein. Ich musste es auf die harte Tour lernen. Für mich ist es diese eine Nacht, die ich für immer verfluchen werde, weil sie mich immer wieder daran erinnert, wie ungerecht das Leben sein kann. Mich daran erinnert, wie lächerlich der Schmerz eines gebrochenen Herzens gegen diese Folter ist. Wie sinnlos es ist, das beliebteste und begehrteste Mädchen in der Schule sein zu wollen. Alles ist egal. Denn wenn ich an all die schrecklichen Stunden zurückdenke, dann läuft es mir eiskalt den Rücken herunter. Meine persönliche Kehrtwende hat mir in dieser Nacht ihr wahres, grässliches Gesicht gezeigt. In der Nacht, in der meine Eltern in den Himmel gegangen sind.

Du öffnest deine Augen und von der Welt, die du kennen und lieben gelernt hast, ist nichts mehr übrig – von einer Sekunde zur nächsten. Jetzt gibt es nur noch einen Satz, der mich beschreiben kann: Ich bin zerrissen. Zersprungen wie eine Porzellantasse, die man mit voller Wucht auf den harten Beton hat knallen lassen. Jeder Mensch hat Eigenschaften, die ihn auszeichnen und jeden von uns zu einem Individuum machen. Früher dachte ich ernsthaft, ich wäre etwas Besonderes – dass niemand auf dieser Welt so wäre wie ich. Und jetzt? Jetzt bin ich nur noch ein Mädchen, das seine Eltern viel zu früh ziehenlassen musste, auch wenn es selbst noch keinen einzigen Schritt in ein eigenes, selbstständiges Leben gehen konnte. Ich bin der Schatten meines früheren Ichs, weil ich alles, was ich einst liebte, verloren habe.

Wenn Eltern ihre Kinder alleinlassen, nehmen sie ein riesiges Stück von ihnen mit sich in den Himmel. Meine Eltern haben alles von mir mit sich genommen, als sie mich in dieser Nacht im Stich ließen.

Es gibt viele erste Male, die man in seiner Lebensspanne durchleben kann. Der erste Kuss, das erste Mal Sex, der erste Streit mit der besten Freundin, die erste schlechte Zensur. Manche Dinge werden beim zweiten Mal schwieriger, manche werden leichter. Doch die Nacht, in der einen die eigenen Eltern verlassen, ist und bleibt ein einmaliges, einschneidendes Ereignis. Und auch, wenn man diese Folter nur einmal über sich ergehen lassen muss, bleibt dennoch der Schmerz, den man immer und immer wieder durchlebt. Wenn man Bilder von ihnen sieht, sich an schöne Momente erinnert. Es ist, als würde man selbst innerlich mit jeder Erinnerung Stück für Stück sterben.

***

»Judy ist schon wieder mit Marc unterwegs«, murmle ich in mein Handy und drücke den flauschigsten Teddybären aller Zeiten eng an mich. Ich kann mich noch lebhaft an den Tag auf dem Jahrmarkt erinnern, als mein Dad alles darangesetzt hat, diesen Bären für mich zu gewinnen – und verdammt, ich bin ihm unendlich dankbar, weil Mr Flauschi mir seitdem jeden Abend versüßt.

»Also ich beneide deine Schwester, Ley«, sagt Caroline und seufzt theatralisch in das Mikrofon ihres neuen Smartphones. Caroline ist meine beste Freundin, seit ich denken kann, aber manchmal frage ich mich, was in ihrem Kopf vorgeht. Judy ist nun wirklich nicht zu beneiden. Ich zähle die wichtigsten Fakten einmal auf: 1. Sie schwänzt ständig den Unterricht, um sich dann auf irgendeiner Party komplett volllaufen zu lassen. 2. Sie kümmert sich weder um unsere Eltern, noch um unseren kleinen Bruder Lucas, welcher der mit Abstand beste kleine Bruder der ganzen Welt ist. 3. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, mich tagein tagaus zu schikanieren. Wow. Super Schwester! Egal wie viel Mühe ich mir gebe, ich kann mir einfach nicht erklären, was ich ihr angetan haben soll. Schon seitdem ich denken kann, hasst sie mich. Aber auch, wenn ich sie deshalb ebenfalls ignorieren sollte, bringe ich es nicht übers Herz. Wie kann man nur seine eigene Schwester derart verabscheuen? Als ich noch kleiner war, habe ich immer zu ihr aufgeblickt. Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem sie angefangen hat sich wie eine verzogene Göre zu benehmen.

Caroline redet am anderen Ende der Leitung, ohne auch nur eine winzige Pause zu machen. Es ist also kein Wunder, dass ich von dem, was sie mir eigentlich sagen will, nur Bruchstücke wirklich verstehen und in meinem Gehirn verarbeiten kann. Kein Mensch ist dafür ausgelegt, solch einen Schwall an Worten in seinen Gehörgang zu lassen – keiner!

»Warte mal, Caro. Ich glaube, unser blöder Nachbar verbrennt schon wieder seinen Müll auf dem Hof. Es riecht, als würden wir in der Hölle schmoren.«

»Dieser Idiot. Weiß der Typ immer noch nicht, dass das verboten ist?«, zischt sie wütend und ich muss an den Tag denken, an dem Caro vollkommen wutentbrannt zu Mr Brians gestürmt ist, um ihm gehörig ihre Meinung zu geigen. Sein Gesichtsausdruck war unbezahlbar – nicht jeder Erwachsene wird von einer dreizehnjährigen Rotzgöre zur Sau gemacht. Caro ist das schlagfertigste Mädchen, das ich kenne, und genau dafür liebe ich sie.

»Ich geh mal nachsehen. Bleib dran«, sage ich, während ich Mr Flauschi behutsam auf mein Kissen bette und aufstehe.

Mit dem Gedanken daran, dass ich jetzt in Carolines Fußstapfen treten sollte, mache ich mich auf den Weg zu dem Fenster, von dem aus man den perfekten Blick auf seinen Garten erhaschen kann. Ich will mich nur vergewissern, ob dieser Typ wirklich so dreist ist, um diese Uhrzeit noch ein Feuer zu entfachen.

Als ich meine Zimmertür öffne, empfängt mich sofort der Geruch von verbranntem Holz und auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wieso diese dichte Rauchwolke in unserem Flur steht, setze ich einen Fuß vor die Tür meiner heiligen Hallen. Der Ort, der mir Sicherheit gibt, wenn ich abends allein mit Lucas zu Hause bin, weil meine Eltern bei Freunden sind und Judy mal wieder betrunken in irgendeiner Ecke liegt.

Sobald ich die Tür zu meinem Zimmer jedoch geschlossen habe, wird mir heiß. Mir wird so heiß, wie ich mich selbst mit 41 Grad Fieber noch nicht gefühlt habe. Es ist, als würde die Luft in diesem Raum brennen und als ich mich endlich aus meiner Schockstarre gelöst habe, sehe ich etwas. Ein Licht am anderen Ende des Flures. Eigentlich gäbe es tausend wichtigere Gedanken, die sich bei diesem Anblick in meinen Kopf krallen müssten, aber ich fixiere nur dieses Licht und frage mich, woher es kommt. Alle Alarmglocken sollten sich in Bewegung setzen, aber ich kann nichts anderes tun, als festgewurzelt vor meinem Zimmer zu stehen.

Feuer. Feuer. Feuer. Überall.

Egal, wohin ich meinen Blick richte, ich sehe, wie sich das orangefarbene Licht immer weiter und schneller ausbreitet. Lucas. Mein kleiner Bruder kommt mir in den Sinn und bevor ich meine Beine in Bewegung setzen kann, höre ich sein entsetztes Schluchzen am anderen Ende des Flures. Das Feuer ist direkt vor seinem Zimmer. Als ich versuche, meinen wild umherschießenden Blick auf sein Zimmer zu richten, sehe ich ihn. Mit einem Mal sehe ich nur noch ihn. Mein Bruder steht schreiend und weinend hinter den Flammen, seine Gestalt ist verzerrt durch das flackernde Licht. In meinen Gedanken ist nur noch Platz für ihn und diesen einzigen Wunsch: ihn zu retten. Sofort reiße ich mich los und einen Augenblick später trennen uns nur noch wenige Schritte – und eine Flamme, die so hoch ist, dass ich nicht weiß, wie ich es schaffen soll, diese brennende Barriere zu überbrücken.

»Lucas, ich hol dich da raus! Hab keine Angst, mein Engel«, wimmere ich, obwohl ich mir allergrößte Mühe gebe, stark zu bleiben. Ich darf jetzt nicht anfangen zu weinen – ich muss stark sein, meinen Bruder aus seinem Zimmer holen und meine Eltern wecken. Das ist alles, was ich tun muss. So schnell wie möglich. Ohne zu zögern, nähere ich mich den Flammen ein weiteres Stück und alles, woran ich denken kann, ist mein verängstigter Bruder, der wie ein Häufchen Elend dort drüben steht und schreckliche Angst haben muss.

Ich setze zum Sprung an und lande mit einem Satz auf der anderen Seite. Prompt lege ich meine Arme um ihn, um ihm Sicherheit zu geben. Er soll sich sicher fühlen, er soll mir vertrauen können. Niemals würde ich ihm etwas zustoßen lassen. Nachdem ich ihm über die Flammen geholfen und ihn auf der anderen Seite abgesetzt habe, werde ich wieder vom flackernden Licht gefangen genommen. Alles, was ich mit diesem Haus und meinem Leben verbinde, bricht in dieser Sekunde wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Unsicher mache ich einen Schritt auf das Feuer zu, aber die Angst vor dem, was mich dahinter erwarten wird, schlingt sich um mein Herz. Meine Atmung beschleunigt sich so sehr, dass es schmerzt. Meine Beine verlieren augenblicklich jeglichen Halt. Die verweinten Augen meines Bruders holen mich zurück in die Realität. Er braucht mich. Unbeholfen setze ich erneut zum Sprung an, aber schon Sekunden später legt sich das Feuer wie eine zweite Haut um meine nackten Beine. Es schmerzt, es brennt, es treibt mir Tränen in die Augen. Der Schmerz durchzuckt mich wie ein Stromschlag. Aber auch, wenn ich am liebsten schreien würde, bleibe ich stumm.

»Mommy, Daddy«, wimmert Lucas und starrt auf die Holztür des Schlafzimmers unserer Eltern. Eine Holztür, die in den letzten Sekunden vom Feuer verschluckt wurde. Ich sehe nichts als Flammen. Verdammt, ich bin zu spät. Ohne auf dieses heiße Gefühl auf meiner Haut oder den Schmerz in meiner Lunge zu achten, stoße ich die Tür zum Schlafzimmer auf. Sobald sie mit der Gardine des Fensters in Berührung kommt, verfängt sich das Feuer in ihr und schlängelt sich wie in einem Zeitraffer durch den gesamten Raum.

»Mom! Dad!«, schreie ich ins Innere des Zimmers, das einzig und allein von den Flammen erleuchtet wird. Wieso antwortet keiner? Verdammt, jetzt antwortet doch endlich!

»Moooom! Daaad!«, schreie ich erneut, lauter als je zuvor, doch als ich noch immer keine Antwort bekomme, mache ich einen Schritt über die beinahe brennende Türschwelle. Lucas krallt sich so fest in mein Handgelenk, dass es sich anfühlt, als würde er seine Finger in mein Fleisch bohren. Gerade als ich über die Schwelle trete, bricht der Holzbalken über unseren Köpfen in sich zusammen und schlägt krachend am Boden auf. Sofort weiche ich ein Stück zurück und schiebe meinen Bruder aus dem Schlafzimmer unserer Eltern heraus. Immer wieder sehe ich panisch zwischen ihm und meinen Eltern hin und her. Die Tränen, die über meine Haut rinnen, zeigen mir, dass ich mich entscheiden muss. Eine Entscheidung, die mich für den Rest meines Lebens begleiten wird. Ein Schluchzen entfährt meiner Kehle, als ich mich umdrehe und Lucas hinter mir her in mein Zimmer zerre. Mit zittrigen Fingern greife ich nach meinem Handy. Es ist zu spät. Es wird zu spät sein. Ich werde schuld sein. All das wird meine Schuld sein.

***

Die Feuerwehr kam bereits nach einigen Minuten, Nachbarn haben sie auf das Feuer aufmerksam gemacht. Menschen, die einfach zugesehen haben, wie unser Haus bis auf seine Grundmauern abbrannte. Zugesehen haben, wie meine gesamte Familie in einzelne Stücke gerissen wurde. Sie haben zugesehen, wie meine Eltern in dieser Nacht ihr letztes Licht verloren haben. Und immer wieder halte ich mir vor Augen, dass ich sie nicht retten konnte.

5 Jahre später

1. Neues Jahr – neues Unglück

»Keine Sorge, Pete. Ich pass auf mich auf«, sage ich und kann mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Obwohl er keinen Grund hat, sich Sorgen um mich zu machen. Pete wäre nicht Pete, wenn er keinen finden würde. Es ist, als wäre er geboren worden, um mich zu beschützen.

»Wenn Dex dich auch nur einmal dumm von der Seite anmachen sollte, kannst du ihm sagen, dass er seine kostbaren Eier bald los ist«, presst er hervor und auch wenn ich es süß von ihm finde, kann ich bestens auf mich allein aufpassen. Es kotzt mich an, dass alle denken, ich müsse beschützt werden. Warum? Nur, weil ich ein menschliches Wesen bin, das Brüste anstatt Muskeln hat?

»Schätzchen, ich krieg das auch allein auf die Reihe. Wenn er mir etwas zu sagen hat, dann soll er all seiner Wut freien Lauf lassen. Dann habe ich wenigstens einen triftigen Grund, um ihn ebenso an meiner Gefühlswelt teilhaben zu lassen. Mein Fuß wollte schon länger Bekanntschaft mit seinem Schritt machen«, gebe ich lachend zurück und lasse meinen Blick durch die Frontscheibe meines Peugeots schweifen, der kaum größer ist als ein Rattenkäfig. »Was? Willst du mir sagen, dass du darauf stehst, deinem Freund zwischen die Beine zu treten? Ich glaube, zum Geburtstag bekommst du von mir einen Flogger geschenkt. Dann kannst du deiner Vorliebe freien Lauf lassen.«

»Exfreund!«, korrigiere ich ihn, ohne auf diese masochistische Anmerkung einzugehen. Immer wieder lasse ich meinen Arm klopfend auf die Schaltung fallen – im Takt der Musik.

»Und ja, ich habe schon oft daran gedacht. Dex hätte es wirklich verdient, dass man ihn in seinem monströsen Testosteronnebel mal in seine Schranken weist. Hör zu, Pete, ich muss rein. Meine erste Stunde fängt gleich an«, flüstere ich in mein Smartphone, als würde mir diese Tatsache Schmerzen bereiten.

»Ich kann es gar nicht fassen, dass schon wieder ein neues Schuljahr anfängt. Dein Letztes.«

»Ich auch nicht, glaub mir. Aber ich muss jetzt wirklich. Wir sehen uns heute Abend. Was gibt es zum Abendessen?« Das liebe ich am meisten an meiner derzeitigen Wohnsituation – mit Pete gemeinsam das Abendessen vorzubereiten und mir währenddessen mit ihm eine Folge The Vampire Diaries reinzuziehen. Ja, ich weiß, was ihr jetzt denkt: Kein Kerl dieser Welt guckt sich freiwillig diesen Twilight-Abklatsch an. Außer, er steht auf ein Mädchen und will es damit beeindrucken. Aber so ist es nicht zwischen Pete und mir und so war es noch nie. So begeistert, wie er von dieser Serie ist, kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass er sich jeden Abend eine Folge anschaut, nur um mich ins Bett zu kriegen. Ich meine – hey er müsste nur nachts in mein Zimmer kommen, um es auszuprobieren. Natürlich würde ich ihm eins überzimmern, aber ich weiß, dass ich zu dieser Notwehr nicht greifen muss.

»Bolognese, Baby.« Grinsend beende ich das Gespräch und lasse meinen Blick erneut nach vorn schweifen, beobachte die zahlreichen Schüler, die wie verrückt gestikulieren, weil sie sich sechs Wochen lang nicht gesehen haben. Hallo? Es waren nur sechs Wochen – was kann in dieser Zeit schon so Spektakuläres passiert sein, dass man am Ende eines Gesprächs beinahe eine Sauerstoffflasche umklammern muss? Ich kapier's nicht.

Prüfend schaue ich ein letztes Mal in den Rückspiegel. Nicht, weil ich mein Make-up überprüfen muss. Nicht, weil es mich juckt, was andere über mich denken. Und auch nicht, um irgendeinem Kerl zu gefallen, damit Dex vor Eifersucht platzt. Es ist mir nämlich vollkommen egal, was dieser Typ macht. Es ist mir egal, was er morgen machen wird und vor allem ist es mir egal, wie sein Leben in zehn Jahren aussieht. Ich muss einfach nur wissen, ob ich es schaffe, meine Fassade aufrechtzuerhalten. In den letzten sechs Wochen konnte ich sein, wie ich bin. Vor Pete muss ich mich nicht verstellen. Vor ihm muss ich kein Lächeln aufsetzen, wenn es mir beschissen geht. Hier fühle ich mich beinahe dazu verpflichtet.

Nach weiteren fünf Sekunden, in denen ich in meine leeren Augen starre, gebe ich mir selbst das Gütesiegel, das Du-wirkst-auf-jeden-glücklich-Siegel. Ich binde mir meine blonden Haare zu einem hohen Zopf zusammen. Wenn ich sie offen trage, könnten manche Freaks aus meiner Highschool wieder behaupten, ich wäre deprimiert wegen Dex. Weil ICH ihn verlassen habe. Deshalb müsse ich mich hinter einem Vorhang aus Haaren verstecken. Glaubt mir – das ist kein Witz. Solche kuriosen Feststellungen sind in meiner Stadt gang und gäbe und ich denke, dass ihr euch ausmalen könnt, wie nervtötend das sein kann. Ich schalte das Radio aus und gerade als ich die Hand zum Türgriff gleiten lasse, ist es, als würde die Erde unter mir beben. Verdammt, was ist hier los? Ist jetzt der Tag gekommen, an dem die Welt untergehen wird? Doch bevor ich mich an das kleine Erdbeben gewöhnen kann, das mich durchzuckt, ist es auch schon vorüber. Unsicher sehe ich mich um, aber niemand scheint es überhaupt bemerkt zu haben. Mein Blick bleibt schließlich am Rückspiegel hängen und – mein Gott eben dachte ich noch, dass ich mich in einem Film wie Krieg der Welten befinden würde, aber jetzt frage ich mich, ob ich nicht eventuell noch sabbernd in meinem Bett liege und träume.

Der hellblaue Lack sticht mir sofort ins Auge und auch wenn es albern klingt, hat diese Farbe eine beruhigende Wirkung auf mich. Womit habe ich das verdient? Ich stecke meinen Kopf durch die beiden Sitze und schaue nach hinten.

Es muss ein Traum sein, denn egal wie oft ich blinzle, das Bild vor meinen Augen ist und bleibt dasselbe: ein 1969 Chevy Camaro Convertible. Fragt mich nicht, woher ich das so genau weiß. Ich gehöre ganz sicher nicht zu den Mädchen, die auf Autos abfahren, aber dieses hier – das ist der Traum jedes The-Vampire-Diaries-Fangirls.

Innerlich bereite ich mich darauf vor, dass er jeden Moment aussteigt. Damon. Hach, was würde ich dafür geben, um einmal in seinem Wagen zu sitzen, um ein Time-out mit ihm zu erleben. Ich glaube, dass jedes Mädchen heimlich diesen Traum hat. Und ich gehöre schließlich ebenfalls zu der Spezies. Damon Salvatore ist der perfekteste perfekte Bad Boy, den ein Autor in der Geschichte der Menschheit erschaffen konnte. Er ist unberechenbar, frech und arrogant, dennoch hat er es geschafft, sich in den letzten Staffeln in etwas viel Größeres zu verwandeln. In einen Mann, der eine weiche Seite an sich hat, wenn er verliebt ist. Ein Mann, der um seine große Liebe kämpft und der jeder sofort den Kopf verdreht. Mir jedenfalls schon – seit ich denken kann. Jetzt mal ehrlich: Will nicht jede Frau diejenige sein, die einen Badboy umpolt? Diejenige, die nicht wie Dreck behandelt wird, sondern wie eine Göttin? Durch die er ein besserer Mensch, ähm – Vampir wird? JA! Mein Gott, zum Glück kann niemand Gedanken lesen, denn dann wäre ich jetzt vollkommen aufgeschmissen.

Ungeduldig warte ich darauf, dass sich der Chevy vor meinen Augen in Luft auflöst. Ich warte darauf, dass mein Traum zerplatzt, aber ich warte vergeblich, denn das Auto rührt sich nicht vom Fleck. Als meine hormongesteuerten Gedanken endlich wieder in die Gänge kommen und ich an das Erdbeben von eben denke, trifft es mich wie ein Schlag ins Gesicht. Fuck. Mein Auto.

Ich reiße die Fahrertür auf, steige aus, gehe um mein Auto herum und mache mich darauf gefasst, dass ich gleich ins Leere starren werde. Doch stattdessen strahlt mich das Blau des Chevys noch immer freudig an. Im nächsten Moment öffnet sich die Tür und auch, wenn der Typ, der aussteigt, optisch mindestens genauso anziehend ist, weiß ich es. Nennt es weibliche Intuition. Dieser Kerl würde auch in 20 Staffeln keine weiche Seite in sich finden. Dieser Kerl könnte nicht ansatzweise so charmant sein wie Damon und dennoch kann ich meinen Blick nicht von ihm lassen. Es ist nicht so, dass ich bei seinem Anblick weiche Knie bekomme und meine Augen sich in rosa Herzchen verwandeln – auf keinen Fall. Aber irgendetwas an ihm hält mich gefangen. Wie in einem Bann.

»Kannst du nicht aufpassen, verdammt?« Mit diesen Worten begrüßt mich Mister Gott in Person und mein kurzweiliges Interesse löst sich wieder in Luft auf. Ich sehe zu meinem kleinen Rattenkäfig und sofort sticht mir der hellblaue Lack an meinem sonst weißen Wagen ins Auge. Verziert wird dieser kleine Farbtupfer durch eine gut ausgeprägte Delle im Blech.

»Spinnst du? Du bist mir doch reingefahren!«, brülle ich ihn beinahe an, weil ich es einfach nicht fassen kann, wie dreist dieser Typ ist. Um uns herum scharen sich bereits sämtliche Schüler und zwischen den ganzen Köpfen kann ich Dex ausmachen, wie er mich amüsiert und spöttisch mustert. Pff.

»Was? Ich glaube, du solltest mal die Augen aufmachen. Guck dir an, was du angerichtet hast. Shit!«, donnert der Fremde und ich kann nichts anderes tun, als ihn fassungslos anzustarren.

»Mein Motor war nicht mal an!«, verteidige ich mich und gehe einen Schritt auf ihn zu, weil es mir trotz allem leidtut. Dieses Schmuckstück sollte niemals einen Kratzer tragen. Immer wieder starre ich auf die blauen Schrammen an meinem Baby. Vielleicht ist mein Rattenkäfig ja jetzt sogar mehr wert – schließlich klebt ein wenig Camaro an ihm. Ich könnte ihn sogar bei eBay reinstellen. Irgendwelche verrückten Mädels würden sicher ihr ganzes Taschengeld in einen Topf schmeißen, um ihn zu bezahlen.

»Was meinst du, wie hoch ist der Schaden?«, frage ich den Typen, der sich gerade hinkniet, um die Delle an MEINEM Traumwagen zu inspizieren. Wieso ist die Welt eigentlich so ungerecht? Ich war immer ein braves Mädchen, habe im Gegensatz zu meiner Schwester nicht einmal unentschuldigt gefehlt und habe immer alles darangesetzt, mein Leben zu perfektionieren. Und dieser Typ da vor mir? Ich bin mir sicher, dass er nicht einmal weiß, was harte Arbeit wirklich bedeutet, und trotzdem ist er derjenige, der diesen Traumwagen fahren darf – und nicht ich. Allein schon deshalb habe ich das Gefühl, ihn hassen zu müssen.

»Egal wie teuer die Reparatur wird ich bin mir sicher, dass es dein Budget locker sprengt«, entgegnet er bissig, richtet sich auf und kommt mir im nächsten Moment verboten nahe. Mein Gefühl rät mir, mich ein Stück nach hinten fallen zu lassen, aber mein Selbstbewusstsein befindet sich gerade im Kampfmodus. Was habe ich vorhin gesagt? Ich kann mich selbst verteidigen, auch wenn ich keinen 40er Bizeps habe. Ein gut ausgeprägtes B-Körbchen tut's auch.

»Sag mal, hörst du mir eigentlich zu? Ich kann auch nichts dafür, dass du zu blöd zum Einparken bist! Ich kann verstehen, dass es echt scheiße ist, aber pack dein Testosteron ein und benimm dich wie ein normaler Mensch und nicht wie ein Neandertaler.«

Als ich auf seine Reaktion warte, habe ich endlich die Gelegenheit, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Nicht weil ich es heiß finde, wenn ein Kerl meint den Obermacho raushängen zu lassen, sondern einfach, weil ich nicht anders kann. Eigentlich will ich mich augenblicklich umdrehen und diesen Volltrottel hier stehenlassen. Doch auf der anderen Seite schaffe ich es nicht, mich von seinem Blick zu lösen. Was zur Hölle ist aus meinem selbst ernannten Killerselbstbewusstsein geworden? Hallo? Bist du noch da?

Wenn er so dicht vor mir steht, könnte man durchaus meinen, er wäre der Dritte im Bunde der Salvatore-Brüder. Seine rabenschwarzen Haare lassen sein Gesicht kalt und unnahbar wirken. Seine Lippen sind zu einer schmalen Linie verzogen und ich frage mich, wie sein Lächeln aussehen muss – sicher zum Kotzen. Ich kenne das Lächeln von solchen Typen. Das Ich-kriege-jede-ins-Bett-Strahlen, das diese Typen aufsetzen, weil sie denken, dass sie unwiderstehlich sind. Seine Augen haben eine so seltsame Farbe, dass ich sie nicht einmal genau definieren kann. Sind sie grau? Oder doch eher grün? Ich habe keine Ahnung, aber wenn ich diesem Mann in die Augen sehe, sehe ich nichts als Ärger. Es ist, als würde in ihnen ein Sturm wüten, der augenblicklich die gesamte Stadt in Schutt und Asche legen kann.

»Ich soll mein Testosteron einpacken? Pack du mal lieber deinen Führerschein aus und zeig mir, dass du überhaupt fahren darfst! Wie kann man, ohne in den Rückspiegel zu schauen, einfach aus einer Parklücke rausfahren«, presst er zwischen den Zähnen hervor und kommt mir dabei noch ein Stück näher. Ob bewusst oder unbewusst, weiß ich nicht. Wie kann er es wagen, mich vor der gesamten Schule so bloßzustellen? Als würde ich in eine Parklücke fahren, um zwei Minuten später wieder abzuhauen. Der Typ muss Drogen nehmen, anders kann ich mir sein albernes Verhalten nicht erklären. Er ist sicherlich auf LSD und denkt deshalb, dass er etwas gesehen hat, was gar nicht da war. Fehlt nur noch, dass er gleich rosafarbenen Einhörnern hinterherjagt.

»Hailey, komm, lass uns reingehen.« Mit diesen Worten werde ich aus meiner Schockstarre gerissen und auch, wenn ich keine Ahnung habe, wer sich gerade an meinem Arm zu schaffen macht, wehre ich mich nicht. Als mein Gehirn wieder in die Gänge kommt, drehe ich mich erneut um, bis ich nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt bin.

»Das wird Konsequenzen haben! Und glaub mir, ich bestehe darauf, dass du mir die Reparatur bezahlst!«, donnere ich so laut, dass sicher alle auf dem Parkplatz zusammenzucken.

»Hailey, ich glaube, er hat Recht. Du bist aus der Lücke rausgefahren und kurz nach dem Aufprall bist du einfach wieder reingefahren. Komm, lass uns jetzt erst einmal reingehen. Du siehst aus, als würdest du jeden Moment hyperventilieren«, sagt Miriam, ein Mädchen aus meiner Klasse. Sie packt mich jetzt noch stärker am Ärmel. Wo bin ich hier? In der Truman-Show? Beobachtet mich gerade jemand, um sich über mich lustig zu machen? Ungläubig schüttele ich den Kopf und lasse mich von Miriam wegschieben. Weg von meinem Traumwagen, weg von dieser verqueren Situation und weg von diesem Arschloch, das mich noch immer wütend anfunkelt.

»Du hast Recht, das wird Konsequenzen haben. Wir sehen uns noch«, ruft er mir hinterher und ich feuere ihm meinen Mittelfinger entgegen.

2. Der Teufel höchstpersönlich

»Hast du den Neuen gesehen? Oh mein Gott, sag ich nur. Wenn ich ihn so ansehe, dann würde ich gern für den Rest meines Lebens in dieser Schule feststecken«, quiekt Victoria, meine beste Freundin, wenn man sie so bezeichnen kann. Auch heute denke ich noch oft an Caroline, weil ich weiß, dass niemand sie jemals ersetzen kann – nicht einmal Vic. Gott, ich vermisse sie so.

»Hallo, Hailey! Schön dich zu sehen, ach übrigens du siehst gut aus. Immerhin haben wir uns sechs Wochen nicht gesehen, weil ich mit eintausend anderen Dingen beschäftigt war«, imitiere ich sie und kann dabei selbst nicht glauben, dass diese sechs Wochen schon wieder um sind. Wütend knalle ich meine Tasche auf den Tisch in der letzten Reihe, weil ich hier das Gefühl habe, während des Unterrichts in eine andere Welt abtauchen zu können – fernab von all den anderen Idioten in meiner Klasse, die ich nur zu gern ausblenden würde. Vic springt auf, schlingt ihre zierlichen Arme um meinen Hals und gibt mir einen feuchtfröhlichen Kuss auf meine linke Wange. Ich könnte schwören, dass ich noch Stunden später Spuren ihres knallroten Lippenstifts auf meiner Haut mit mir herumschleppen muss.

Langsam gleite ich auf meinen Sitz und lasse den Blick durch das Klassenzimmer schweifen. Gott sei Dank ist von Mister Ich-fahr-dir-ins-Auto-und-geb-dann-dir-die-Schuld nichts zu sehen. Als ich jedoch wieder Vic ansehe, weiß ich, dass er gerade die Hauptrolle in ihrem Kopfkino spielt.

»Ich hatte mich bis vor einer Minute wirklich noch gefreut dich zu sehen, Vic. Jetzt hast du es zerstört«, flüstere ich ihr ins Ohr und strahle sie eine Sekunde später gehässig an. »Womit hab ich es zerstört?«, fragt sie empört und stupst mir leicht in die Seite, was mich augenblicklich zusammenzucken lässt. Genervt deute ich auf ihr strahlendes Lächeln.

»Ich sehe es in deinem Blick, Süße. Außerdem hast du dieses paarungswillige Lächeln auf deinen Lippen. Das Lächeln, das sagt: Komm, nimm mich mit und spring mit mir hinter den nächsten Busch. Oder nimm mich mit in dein Spielzimmer, Mr Grey! Ich kann dir nur raten, halt dich von diesem Idioten fern! Er ist nicht Mr Grey und du bist nicht Anastasia, also lass es.« Vic lässt kaum merklich ihre Schultern hängen, aber das interessierte Funkeln in ihren Augen lässt nicht nach. Ich weiß es einfach – dieses Schuljahr wird kein leichtes.

»Er sieht aus wie ein Filmstar, Ley! Wie kannst du da nur so kalt bleiben? Meine Güte, Dex muss dich ziemlich versaut haben, was diesen Punkt betrifft«, entgegnet sie mit einem mitleidigen Blick, für den ich ihr am liebsten in ihren Knackpo treten würde. Ich brauche kein Mitleid. Langsam habe ich das Gefühl, dass alle vergessen haben, dass ich den Schlussstrich gezogen habe – nicht er. Wenn jemand in seinem Stolz verletzt ist, dann definitiv Dex.

»Ich kann dir sagen, wie er in meinen Augen aussieht: Wie eine Ausgeburt der Hölle! Nix Filmstar. Schmink dir das ab, Süße, der hat sie nicht mehr alle! Der hat meinem Peugi eine Delle verpasst«, presse ich verbittert hervor und muss mich beim Gedanken daran mächtig zusammenreißen, ihn nicht auf der Stelle aufzusuchen und ihm noch mal meine Meinung zu geigen. Ganz ruhig, Hailey.

Vic reißt ihre katzengrünen Augen auf, wirft ihre tiefschwarzen Locken nach hinten und formt mit ihren Lippen drei Worte: Oh mein Gott.

»Ehrlich? Wie aufregend ist das denn?«

»Erde an Vic? Der Typ ist mir reingefahren! Daran ist garantiert nichts aufregend. Das ist sogar verdammt nervtötend«, sage ich, noch immer mit einem bissigen Unterton in meiner sonst weichen Stimme. Tja, ich kann auch anders.

»Du weißt ganz genau, dass so die große Liebe anfängt! In Filmen jedenfalls«, flüstert sie kichernd, damit niemand etwas von unserer Unterhaltung mitbekommt. »Glaub mir, wenn es sich in diese Richtung entwickeln sollte, töte mich! Ramm mir ein Messer ins Herz, steck meinen Kopf ins Klo, pinkel mir ans Bein! Egal was, nur bitte unternimm etwas – versprochen?«, gebe ich flüsternd zurück und kann mir jetzt mein Lächeln nicht länger verkneifen. Vic zwinkert mir zu, während sie mir antwortet. »Versprochen. Bleibt mehr für mich übrig.« Kopfschüttelnd wende ich mich wieder den wichtigen Dingen im Leben zu. Zum einen wäre das die Tür, immerhin muss ich im Auge behalten, ob die Ausgeburt der Hölle nicht doch noch hier aufkreuzt. Zum anderen wäre das mein Lehrer, Mr Harden.

Bevor die erste Stunde beginnt, zücke ich schnell mein Handy, um Pete eine Nachricht zu schreiben. Dieser Morgen hat so kurios angefangen, dass ich mich frage, was das gesamte Schuljahr noch alles für mich auf Lager hat.

Ich brauche heute Abend eine riesige Portion Bolognese! Gott, hilf mir, diesen Tag zu überstehen.

Bevor ich auf Senden drücke, überlege ich kurz, ob ich ihm von dem kleinen Vorfall auf dem Parkplatz erzählen soll. Aber so, wie ich meinen besten Freund kenne, weiß ich, dass er alles stehen und liegen lassen würde, um sich den Teufel höchstpersönlich zu schnappen. Auch wenn mich der Gedanke reizt, schüttele ich ihn wieder schnell von mir ab, lasse mein Handy in die Tasche fallen und starre auf die Uhr. Noch zehn Sekunden – in nicht einmal zehn Sekunden kann ich mir sicher sein, in welche Richtung sich dieser Tag entwickeln wird. Wenn die Tür zu bleibt, dann stehen die Karten gut, dass mein Tag nicht vollkommen gegen die Wand fährt. Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier…

Bevor ich den Countdown komplett herunterzählen kann – wie an Silvester wird die Tür mit einem starken Schwung aufgerissen. Bitte, lass es einfach nur Mitchell sein, der den ersten Tag verschlafen hat. Doch so sehr ich auch für diesen Gedanken bete, schon einen Augenaufschlag später ist es, als würde die Luft um mich herum gefrieren. Jede Faser meines Körpers beginnt höllisch zu schmerzen, während ich den Eingang des Klassenzimmers anstiere. Wenn ich dachte, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, dann habe ich mich getäuscht. Wie so oft im Leben. Mein schlimmster Albtraum betritt den Raum, mit seinem Rucksack über der linken Schulter, und schlendert gemütlich zu Mr Harden – so, als wäre er der Star des Tages. An den schmachtenden Blicken, die er von all den Mädchen in den vorderen Reihen zugeworfen bekommt, könnte man sogar meinen, er hat jedes Recht dazu, sich aufzuführen, als wäre er Brad Pitt. Wissen diese Weiber nicht, dass sie den Charakter dieser Typen damit komplett ruinieren? Eines Tages erstickt er sicherlich an all den Herzchen, die ihm entgegenfliegen. Ich muss zugeben, dass mir dieser Gedanke sogar sichtlich gefällt – also los, überhäuft ihn! Werft euch ihm an den Hals, schmeißt Teddys und Schlüppis an die Tafel! Los! Er soll an euren schmachtenden Blicken ersticken und auf der Stelle tot umfallen! Leider muss ich mir eingestehen, dass er nach einigen Sekunden noch immer quicklebendig mit Mr Harden plaudert und schon von weitem kann ich erkennen, dass er sogar unseren Lehrer in seinen Bann gezogen hat.

»Ganz ehrlich, Ley, du musst zugeben, dass er heiß ist.« Vic stupst mich an und zieht mich dadurch aus meiner zornigen Trance heraus. Ich zucke mit den Schultern und hefte meinen Blick wieder auf das noch leere Blatt Papier in meinem niegelnagelneuen Collegeblock. Als ich jedoch aus dem Augenwinkel erkenne, dass er sich in meine Richtung bewegt, sehe ich wieder hoch. Mein Gott, was ist bloß los mit mir? Es ist, als würde mein Unterbewusstsein mich dazu zwingen, ihn anzusehen. Während er also – vollkommen lässig auf mich zu schlendert, fresse ich ihn förmlich mit meinen Blicken auf. Nicht mit erotischen oder versauten Blicken, sondern mit hasserfüllten. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich schon jemals so viel Hass in mir getragen habe wie in dieser Sekunde.

Als er seinen Rucksack auf den einzigen freien Platz fallen lässt, wird mir bewusst, wie schwer dieses Jahr für mich wird. Wenn das erst der Anfang ist, dann werde ich mir entweder einen neuen Platz oder gleich eine neue Schule suchen müssen. Natürlich ist der einzige freie Platz an dem Tisch, der direkt neben meinem steht. Uns trennen nicht einmal zwei Meter voneinander und ich habe keine Ahnung, wie ich mich unter diesen Umständen auf irgendwelche mathematischen Formeln oder biologischen Prozesse konzentrieren soll – absolut keinen Schimmer.

Doch er setzt sich nicht, sondern stolziert sofort wieder nach vorn und baut sich vor der gesamten Klasse auf, als wäre er der Präsident der Vereinigten Staaten. Dass ich nicht lache – jetzt fehlt nur noch das Rednerpult.

»Wie Sie sehen, haben wir einen neuen Mitschüler, der mit Ihnen gemeinsam in diesem Jahr den Abschluss machen wird. Los, erzählen Sie doch etwas über sich, damit wir Sie besser kennenlernen«, sagt Mr Harden und lässt sich dann auf seinem Drehstuhl nieder. Schon immer habe ich ihn dafür beneidet, dass er es so bequem hat, während wir uns auf diesen harten Holzstühlen den Po plattsitzen. »Hey, ich bin Jaden Williams. Abgesehen von einer durchgeknallten Blondine in dieser Klasse, die ihren Führerschein offenbar im Lotto gewonnen hat, könnt ihr mich auch gerne Jade nennen. Ich bin in den Sommerferien in dieses Kaff gezogen und wohne in der Nähe vom Chevialpark. Vorher habe ich in einem noch viel unbedeutenderen Kaff gelebt. Das war's eigentlich auch schon. Ich bin auf jeden Fall heilfroh darüber, dass man hier wenigstens schon mit 18 in eine Bar kommt. Wenn ihr noch irgendwas wissen wollt, fragt mich einfach«, gibt er freudestrahlend in die Runde und ich glaube nicht, dass ich es noch länger schaffe, seelenruhig auf meinem Stuhl zu sitzen. Habe ich mich verhört oder hat er mich gerade indirekt vor der ganzen Klasse beleidigt? Eigentlich sollte man meinen, dass es die Aufgabe eines Lehrers ist, jemanden, der solche Kommentare von sich gibt, in seine Schranken zu weisen. Aber anscheinend befinde ich mich noch immer in einem falschen Film. Mr Harden macht nicht den Anschein, ihn in seine Schranken weisen zu wollen. Ich glaube ernsthaft, dass er den Job verfehlt hat. Jaden. Jetzt hat der Teufel endlich einen Namen und eigentlich habe ich diesen immer gemocht, aber jetzt trieft er vor Abscheu. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz wirft er mir einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu und ich kann nichts anderes tun, als ihm hinter vorgehaltener Hand erneut meinen Mittelfinger zu präsentieren. Ich glaube, in diesem Jahr könnte mein Finger vor lauter Übung richtig muskulös werden. Dann kann ich ihn wenigstens mit meinem Finger k. o. schlagen. Beim Gedanken daran, wie Jaden winselnd vor mir auf dem Boden liegt, stiehlt sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Als er meinen Tisch passiert, scheint er nicht auf meine Unterlagen zu achten, die etwas über den Rand des Tisches hervorlugen – der gesamte Stapel landet klatschend auf dem Boden.

»Mein Gott, kannst du nicht aufpassen?«, bringe ich aufgebracht hervor, beuge mich nach unten und hebe meine Unterlagen wieder auf. Jaden macht keine Anstalten, sich für sein Benehmen zu entschuldigen, richtet seinen Blick stur nach vorn und treibt meine Wut damit auf ein Level, das ich selbst bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte.

»Hallo, ich rede mit dir!«, sage ich mit so viel Nachdruck in der Stimme, dass sich alle im Klassenzimmer zu uns umdrehen. Mr Harden reckt seinen Kopf in die Höhe, sieht sich um und bleibt an mir hängen.

»Miss Anderson, gibt es irgendetwas, das Sie uns mitteilen wollen?« Unsicher blicke ich mich um und sehe in all die gespannten Gesichter. Dex ist der Einzige, der sich nicht zu uns umdreht und ich bin ihm auch sehr dankbar dafür – das erste Mal in meinem Leben.

»Der Neue hat wohl keine Manieren. Er hat meine Unterlagen heruntergeschmissen und hält es nicht für nötig, sich zu entschuldigen«, entgegne ich und werfe einen Seitenblick auf Jaden. Vic stupst mich von der Seite an, aber ich bemühe mich, meinen Blick nicht von ihm abzuwenden, bis er mir endlich ins Gesicht sieht. Was habe ich diesem Kerl eigentlich getan? Mr Harden steht auf, stellt sich vor die Tafel und schüttelt kaum merklich den Kopf, wobei seine grauen Flusen wie im Takt wippen.

»Miss Anderson, wenn Sie Ihre Unterlagen einfach ordentlich auf den Tisch legen würden, dann könnte man dem aus dem Weg gehen. Es ist sehr gewagt, einem anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. Jaden ist nicht einmal in die Nähe Ihrer Unterlagen gekommen«, erwidert er und sieht mir dabei eindringlich in die Augen. »Aber …«, beginne ich, werde jedoch mitten im Satz von Vic unterbrochen. »Er hat Recht, Ley. Jaden hat sie nicht berührt. Hör mal, ich kann ja verstehen, dass du wütend auf ihn bist, aber jetzt gib ihm doch wenigstens eine Chance«, flüstert sie mir ins Ohr und langsam frage ich mich ernsthaft, wieso sich die gesamte Welt über Nacht gegen mich gestellt hat.

***

Nach der ersten Stunde, die sich hinzog wie eine verdammte Schulwoche, stürmt Jaden so schnell aus dem Raum, dass man meinen könnte, er wäre niemals da gewesen. Nachdem Mr Harden mich in meine Schranken gewiesen hatte, habe ich den Mund gehalten und mich auf den Unterricht konzentriert. Natürlich haben wir erst einmal einige organisatorische Dinge besprochen. Immerhin ist dieses Jahr unser letztes. Das Jahr, das uns endgültig formt und für die große, weite Welt bereit macht. Genau aus diesem Grund muss ich alles daransetzen, in diesen nächsten Monaten einen Plan aufzustellen. Was wird passieren, wenn ich mein Abschlusszeugnis in der Hand halte? Wo treibt es mich hin? Wo bin ich in zehn Jahren? All diese Fragen beschäftigen mich genau genommen seit fünf Jahren ständig. Weil ich schon damals wusste, dass ich viel früher in ein eigenständiges Leben entlassen werden würde, als andere von uns. Ich würde früher selbstständig sein müssen, würde Dinge wie Spaß und Freizeit hinten anstellen und mich einzig und allein darauf konzentrieren, meine Eltern stolz zu machen. Ich weiß, dass es albern klingt, aber ich bin mir sicher, dass sie mich beobachten. Jeden Abend, wenn ich in meinem Bett liege und in den Himmel sehe, ist es, als wären die Sterne das Abbild all der verlorenen Seelen der Menschen, die wir lieben. Der Menschen, die wir gehenlassen mussten. Und wenn meine Eltern auf mich herabsehen, dann will ich, dass sie stolz auf mich sind. »Hey, alles in Ordnung?« Vic schnipst mit ihren perfekt manikürten Fingern vor meinem Gesicht herum und rüttelt dann an meinem Arm. Widerwillig blicke ich ihr ins Gesicht und sehe sie fragend an. »Was?«, frage ich sie, weil ich vollkommen vergessen habe, was sie gesagt hat. Oder hat sie überhaupt etwas gesagt? Was zur Hölle stimmt nicht mit mir?

»Ob alles in Ordnung ist. Du jagst mir einen ziemlichen Schrecken ein, wenn du dich so seltsam verhältst. Was ist bloß aus meiner besten Freundin geworden? Ich glaube, ich sollte mich mal mit Pete zusammensetzen«, antwortet sie mir grinsend und wickelt sich währenddessen eine schwarze Locke um den Zeigefinger.

»Tut mir leid. Der Tag hat so schrecklich angefangen, dass ich jetzt schon komplett neben der Spur bin. Ich glaube, ich sollte mal mit unserem neuen, mysteriösen Mitschüler reden. Ich muss mich in diesem Jahr echt auf wichtigere Sachen konzentrieren«, gebe ich zurück und stehe unverzüglich auf, um mich auf die Suche nach ihm zu machen. Hoffentlich interpretiert er diese Geste nicht falsch und denkt am Ende noch, dass ich ihm hinterherrenne wie ein Hund, der den Knochen sucht. Ich bin definitiv kein Vierbeiner und selbst wenn, würde ich garantiert etwas Besserem hinterherrennen. Was soll ich mit einem abgenagtem Hühnerbein, wenn ich einen ganzen Schinken haben kann?

Ich will einfach nur diesen Streit aus der Welt schaffen, damit ich mich auf mein Leben konzentrieren kann. Auf dem Flur tummeln sich so viele Schüler der unteren Klassen, dass ich in dem ganzen Gewusel kaum etwas erkennen kann. Glücklicherweise ist Jaden gefühlte zwei Meter groß, weshalb er die meisten anderen deutlich überragt. Als ich ihn an einem der Spinde ausmachen kann, setze ich meine Beine widerwillig in Bewegung und mache mich darauf gefasst, dass diese Unterhaltung erneut eskalieren wird. Bleib einfach ruhig, Hailey.

Jaden hat seinen Kopf so tief in seinen Spind gesteckt, dass ich mich frage, ob er jemals wieder heil da rauskommen wird.

»Pass auf, dass du nicht aus Versehen in Narnia landest, wenn du deinen Kopf zu weit reinsteckst«, versuche ich mich an einem lockeren Gespräch und hoffe, nicht zu gehässig zu klingen. Augenblicklich zieht er sich zurück, schlägt den Spind zu, steckt sein Handy in die Hosentasche und beäugt mich misstrauisch.

»Was willst du?«, fragt er mich bissig, lehnt sich mit seiner rechten Schulter gegen den Spind und verschränkt die Arme vor seiner Brust. Ein klares Zeichen dafür, dass er diese Unterhaltung genauso ungern führen will wie ich.

»Ich will Frieden schließen«, antworte ich ihm gelassen, auch wenn in meinem Inneren ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch steht.

»Frieden schließen?« Ungläubig sieht er mir in die Augen und ich glaube, dass er in ihnen die Antwort auf seine Frage sucht. Sorry, aber meine Augen sind so leer, dass ich niemandem auch nur einen kleinen Einblick hinter die Fassade gewähre. Das habe ich gelernt, weil ich weiß, wie wichtig es ist, sich selbst zu schützen.

»Ja, Frieden. Es steht nicht auf meiner Tagesordnung, mich mit dir in die Wolle zu kriegen, okay? Das Jahr ist wichtig für mich und ich will, dass alles reibungslos abläuft. Wieso müssen wir uns da dann noch das Leben zur Hölle machen?« Ich habe keine Ahnung, ob er mir überhaupt zuhört, denn sein Blick sieht in diesem Moment verdammt verloren aus. Vielleicht steht vor mir lediglich seine menschliche Hülle, während sein Kopf wirklich in Narnia umherirrt. Wer weiß? Auch wenn es mir schwerfällt, strecke ich ihm meine Hand entgegen und warte darauf, dass er seine in meine legt. Plötzlich fühlt es sich aufregend an, daran zu denken, seine Haut an meiner zu spüren. Vor einer Minute hätte ich ihn nicht einmal mit Handschuhen und Desinfektionsmitteln angefasst, aber jetzt zieht mich seine Haut wie magisch an. Meine Gedanken haben schon den gesamten Morgen über komplett verrückt gespielt und eigentlich habe ich meine Gefühle immer im Griff. Ich verliere nie die Kontrolle über die Dinge, aber jetzt weiß ich nicht mehr, was ich von all dem hier halten soll. Jaden blickt abschätzig auf meine Hand hinab, während er eine Augenbraue missbilligend in die Höhe zieht. Auch jetzt kann ich noch immer nicht sagen, welche Farbe in seinen Augen dominant ist. Seine schmalen Lippen erwecken für eine Sekunde den Anschein, dass sie lächeln wollen, doch schon einen Augenaufschlag später haben sie sich wieder in eine harte Linie verwandelt.

»Ich habe keine Zeit für diesen Kinderkram, Hailey.« Seine Worte peitschen mir ins Gesicht und hinterlassen sofort einen Abdruck auf meiner Haut. Woher kennt er meinen Namen? Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn in seiner Gegenwart erwähnt zu haben.

»Ich auch nicht, deshalb bin ich doch hier!«, sage ich betont freundlich, während ich mir die allergrößte Mühe gebe, nett zu bleiben. Ich versuche es wirklich, aber er macht es mir verdammt schwer.

»Nein, ich meine genau das hier. Es ist anscheinend nicht zu übersehen, dass wir nicht auf einer Wellenlänge sind. Ich kann dich nicht leiden, du kannst mich nicht leiden. Warum belassen wir es nicht einfach dabei?«, fragt er mich zynisch, schließt seinen Spind endgültig ab und wendet sich zum Gehen. Endlich nehme ich meine Hand wieder herunter, weil ich mir in dieser Sekunde so unglaublich gedemütigt vorkomme. Jaden bleibt kurz stehen, wirft mir einen Blick über die Schulter hinweg zu und deutet auf mein Gesicht.

»Du hast übrigens Lippenstift auf der Wange.« Bevor ich seine Worte realisiert habe, ist er am Ende des Gangs verschwunden. Schnell mache ich mich auf den Weg zu den Toilettenräumen, wische mir die Spuren von Vics Lippenstift von der Haut und betrachte mein Spiegelbild. Heute Morgen sahen meine Augen noch leer und verloren aus, doch das Mädchen, dem ich jetzt ins Gesicht sehe, ist anders. Ich erkenne sogar eine winzige Regung in meinen Augen und auch wenn ich nicht weiß, was sie zu bedeuten hat, verliere ich mich in der Vorstellung, dass ich innerlich nicht gänzlich leer bin – auch wenn ich es nicht anders verdient habe.

3. Meine geheime Zwillingsschwester

»Du bist ganz schön spät dran«, begrüßt mich Alessia, als ich die Tür hinter mir geschlossen habe und mir meine Schürze greife. Seitdem ich bei Pete wohne, arbeite ich nach der Schule in einer Pizzeria, um mein finanzielles Polster etwas aufzufrischen. Immerhin lässt Pete mich in seiner Wohnung wohnen und ich würde mich einfach wahnsinnig schlecht dabei fühlen, wenn ich keinen Teil zur Miete beisteuern könnte. Außerdem muss ich an die Tage denken, als ich noch klein war. Als ich noch Träume hatte. Schon damals habe ich mir immer vorgestellt, wie aufregend es wäre, wenn ich eines Tages einen eigenen Laden führen würde. Nach meinen Vorstellungen. Ich hätte alles im Griff – genau dieses Gefühl brauche ich jetzt mehr denn je.

Da ich für italienisches Essen sterben würde, war es für mich selbstverständlich, dass ich mich in der kleinen gemütlichen Pizzeria in der Heerstreet um einen Nebenjob bewerbe. Alessia kenne ich, seit ich ein kleines Kind bin, weil meine Familie damals jeden Freitagabend einen Stammtisch hier hatte. Meine Schwester war die Einzige, die in den späteren Jahren bei all unseren gemeinsamen Abenden gefehlt hat. Ob sie es jetzt bereut? Ich denke schon. Wir sollten jeden einzelnen Tag mit den Menschen genießen, die uns am Herzen liegen – immerhin wissen wir nicht, wie lange wir noch die Möglichkeit haben. Die Möglichkeit, gemeinsam zu lachen, gemeinsam in Erinnerungen zu schwelgen und sich zu sagen, dass man sich liebhat. Immer wieder habe ich mich in den letzten Jahren gefragt, wann ich meinen Eltern das letzte Mal gesagt habe, dass ich sie liebe. Gedacht habe ich es jeden einzelnen Tag – aber gesagt? Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht mehr daran und diese Tatsache schmerzt ungemein.

»Tut mir leid, ich hatte heute Morgen einen kleinen Unfall mit meinem Auto. Ich musste es jetzt erst mal zur Werkstatt bringen«, sage ich seufzend, während ich meinen Zopfhalter löse und mein Haar mir wie ein Fächer über den Rücken fällt. Meine Haare mag ich am meisten an mir – sie haben denselben honigfarbenen Ton wie die meiner Mutter. Alessia drückt mir mein Namensschild in die Hand und setzt sich neben mich, nachdem ich am Tresen Platz genommen habe.

»Ach du scheiße. Wie groß ist der Schaden?«, fragt sie mich entgeistert und heftet sich ihr eigenes Namensschild an ihre Schürze.

»Es wird mich nicht in den finanziellen Ruin stürzen, aber ich werde definitiv in nächster Zeit einige Überstunden machen müssen, um das Geld wieder reinzubekommen«, antworte ich ihr und lasse meinen Blick in das Gästebuch schweifen, um zu sehen, wie viel Kundschaft sich fest angemeldet hat.

»Was ist mit dem Unfallpartner? Übernimmt seine Versicherung keinen Teil der Kosten?«, hakt Alessia nach und am liebsten würde ich ihr sagen, dass sie die Klappe halten soll. Ich liebe diese Frau, aber manchmal stellt sie die falschen Fragen zur falschen Zeit.

»Frag nicht. Glaub mir, ich bin froh, wenn ich so wenig Kontakt wie möglich zu ihm haben muss.« Und mit diesen Worten habe ich das Thema Jaden vorerst abgehakt und mache mich an meine Aufgaben. Schließlich muss ich mich beeilen, wenn zu Hause ein großer Teller Bolognese auf mich wartet.

Leider projiziert sich das ganze Chaos des ersten Schultages auch auf meinen gesamten Arbeitsrhythmus. Es ist, als hätte ich alles vergessen, was ich im letzten Jahr gelernt habe. Kann ein Mensch schon in diesem Alter unter einem fehlerhaftem Gedächtnis leiden? Keine Ahnung, aber genau so würde ich meinen derzeitigen Zustand beschreiben. Als ich den Pizzateig anrühre, vergesse ich die wichtigsten Zutaten, mir sind schon drei Teller zerbrochen und ich hätte einem Gast beinahe ein Glas Rotwein über sein weißes Hemd gekippt. Alessia ist am Ende des Abends so genervt von mir, dass sie mich eine Stunde vor offiziellem Feierabend in die Freiheit entlässt. Sofort greife ich mir meine Jacke, stürme aus dem Laden in die warme Abendluft und setze meinen einzigen Hoffnungsschimmer an diesem Tag in Pete, meine Bolognese und in die vierte Folge der fünften Staffel von The Vampire Diaries.

***

»Oh mein Gott, das ist so lecker«, murmle ich mit vollem Mund vor mich hin, während ich mir bereits die nächste Portion auf die Gabel schiebe. Pete hatte das Abendessen schon fast fertig, als ich die Tür zu unserer Wohnung öffnete. Naja, eigentlich ist es seine Wohnung, aber er beteuert mir immer wieder, dass es auch mein Zuhause ist.

In den letzten Jahren habe ich keinen Ort gefunden, an dem ich mich wirklich sicher gefühlt habe. Kein Ort, der mir dieses vertraute Gefühl eines Elternhauses geben konnte, immerhin war meines nur noch ein großer Haufen Asche. Mittlerweile hat die Stadt das Haus wieder errichtet, aber es ist nicht mehr dasselbe. Jetzt ist es einfach nur noch irgendein Haus, in dem irgendwelche Menschen wohnen, die wahrscheinlich keine Ahnung haben, wie verflucht dieses Gebäude eigentlich ist.

»Ich frage mich manchmal wirklich, wie du deine Figur halten kannst! Du frisst mehr als der dickste Mensch der Welt!«, sagt Pete lachend, wobei ihm seine Ladung Nudeln wieder zurück auf den Teller rutscht. Mittlerweile sitzen wir auf der Couch und haben unsere Teller auf dem Schoß.

»Mein Stoffwechsel ist bombastisch. Aber ich warte auf den Tag, an dem ich auseinandergehe wie ein Hefekloß. Wenn das der Fall sein sollte, halt mich davon ab, in Depressionen zu verfallen. Zwing mich zum Joggen«, antworte ich ihm und schiebe mir eine weitere Ladung in den noch vollen Mund.

»Hat Dex etwas gesagt?«, fragt er mich, nachdem er seinen leeren Teller auf dem kleinen Glastisch vor unserer Couch abgestellt hat. So, wie ich uns kenne, steht der Teller vermutlich übermorgen immer noch an derselben Stelle.

»Nein, er hat mich gepflegt ignoriert, so wie ich ihn. Glaub mir, es wäre mir sogar lieb gewesen, wenn er mich angeschrien hätte. Hauptsache, Jaden lässt mich einfach in Ruhe.« Ich seufze, stelle dann ebenfalls meinen Teller auf dem Tisch ab und kuschle mich in meine Decke ein. Ich habe Pete sofort Rede und Antwort stehen müssen, als ich nach Hause kam. Meine seltsame Nachricht heute Morgen hat ihn den ganzen Tag über beschäftigt und als ich ihm von Jaden erzählt habe, ist er zum Psychopathen mutiert. Eins steht fest, ich darf diese beiden Kerle niemals in einen gemeinsamen Umkreis von fünf Metern lassen – das endet böse.

»Wie lange wird dein Wagen in der Werkstatt sein?«

Schulterzuckend wende ich mich in seine Richtung und ziehe ihn an seinem Ärmel ein Stück näher an mich heran.

»Ich weiß es noch nicht. Erst einmal muss ich mir Gedanken darüber machen, wie ich die Reparatur bezahlen soll. Und wehe du bietest mir jetzt deine Hilfe an, das kannst du dir sofort abschminken! Aber es wäre superlieb, wenn du mich in den nächsten Tagen zur Schule fahren könntest.« Pete zieht seine Augenbrauen in die Höhe und knufft mir in die Seite. Augenblicklich weiche ich nach hinten aus und gehe auf Sicherheitsabstand.

»Ich dachte, ich soll dich zum Joggen animieren? Dann kannst du doch zur Schule walken«, schlägt er mir vor und handelt sich für diesen spitzen Kommentar einen Schlag auf den Oberarm ein.

***

Irgendwann wache ich auf und bemerke, dass es draußen bereits stockdunkel ist. Ich habe keine Ahnung, wann ich eingeschlafen bin, aber ich sehne mich nach meinem Bett, also rapple ich mich auf, schleppe mich in mein Zimmer und lasse mich in die weichen Federn fallen. Sofort landet mein Blick am sternenklaren Himmel, den ich dank meines Dachfensters jede Nacht beobachten kann, um mich ihnen näher zu fühlen.

»Ich vermisse euch«, flüstere ich in die Unendlichkeit und schließe die Augen.

Sekunden später habe ich das Gefühl, berührt zu werden. Ich habe keine Ahnung, was in mich gefahren ist, aber es fühlt sich an, als würde jemand meinen Arm streicheln. Obwohl ich Angst haben sollte, lasse ich mich mit diesem Gefühl auf meiner Haut immer tiefer in meine Träume sinken. Ich stelle mir vor, dass es die Hand meiner Mom ist – das letzte Mal in meinem Leben, dass ich ihre Haut an meiner spüren kann, bevor ich sie endlich für immer gehenlasse.

***

Es dauert einige Tage, bis mein Körper sich wieder daran gewöhnt hat, zurück in der Schule zu sein. Wenn man es gewohnt ist, sechs Wochen lang auszuschlafen, dann fällt es einem in den ersten Tagen verdammt schwer, wieder einen alten Rhythmus zu finden. Zu meiner Erleichterung musste ich mit Jaden seit dem ersten Schultag kein einziges Wort mehr wechseln und ich bin verdammt froh darüber, dass er mittlerweile dazu übergegangen ist, mich zu ignorieren, anstatt mich zu schikanieren. Auch wenn einige es ebenfalls als Schikane empfinden, ignoriert zu werden, ist es für mich einfach nur unendlich wohltuend. Bis jetzt habe ich es noch geschafft, Pete und Jaden voneinander fernzuhalten – obwohl ich mich dafür nicht einmal anstrengen musste. Immerhin sucht Jaden sofort das Weite, sobald ich in seiner Nähe bin. Fast so, als hätte ich die Pest.

»Ich bin schon so gespannt, mit wem ich in einer Gruppe bin«, plappert Vic wild los, als ich mich auf meinen Platz setze und meine Federtasche auspacke.

»Welche Gruppe?«, frage ich sie, weil ich absolut keine Ahnung habe, wovon Vic überhaupt spricht. »Das Biologieprojekt, Ley. Wo bist du nur mit deinen Gedanken? Mr Harden hat in der letzten Woche von nichts anderem mehr gesprochen.« Wenn ich genau darüber nachdenke, könnte sie sogar Recht haben. Doch wo bin ich in der gesamten letzten Woche nur mit meinen Gedanken gewesen, wenn nicht in diesem Klassenzimmer? Fakt ist, dass ich es nicht weiß. »Ach das«, antworte ich ihr, als wäre es mir eben wie Schuppen von den Augen gefallen. Keiner soll wissen, dass ich gedanklich anscheinend vollkommen woanders bin. Vermutlich bin ich in der letzten Woche in Narnia gelandet und nicht Jaden. Gerade als ich seinen Namen gedanklich ausgesprochen habe, betritt er wie aufs Stichwort das Klassenzimmer und setzt sich auf seinen Platz. Wieder einmal schenkt er mir keinerlei Beachtung und auch, wenn ich mich darüber freuen sollte, frage ich mich noch immer, was sein Problem ist. Mit allen anderen Schülern scheint er jedenfalls blendend auszukommen. Im nächsten Moment betritt Mr Harden mit seiner braunen Männerhandtasche den Raum und umgehend verstummen die Gespräche. Es ist erstaunlich, wie brav alle sind, sobald ein Lehrer den Raum betritt. In Filmen werden Schüler an einer Highschool wie Monster dargestellt, aber hier scheinen die Lehrer unsere Klasse vollkommen im Griff zu haben. Als es eine Sekunde später zur Stunde klingelt, beginnt Vic nervös auf ihrem Stuhl auf und ab zu wippen.

»Hast du heute Morgen zu viel Kaffee getrunken?«, frage ich sie lächelnd. Sie sieht mir nur aufgeregt in die Augen, während ihr Wippen ganz neue Dimensionen erfährt.

»Quatsch, ich will nur endlich wissen, in welcher Gruppe ich bin. Irgendwie wünsche ich mir, dass es Drew ist«, schwärmt sie flüsternd vor sich hin und wirft ihm einen schüchternen Blick zu. Drew ist ein Kumpel von Dex und eigentlich will ich ihr sagen, dass sie sich ebenfalls von ihm fernhalten soll, aber Drew ist in Ordnung. Ich habe ihn jedenfalls immer gemocht und ich glaube, er ist der Einzige von ihnen, der mich jetzt nicht abgrundtief hasst.

»Viel Glück«, wünsche ich ihr noch schnell, bevor Mr Harden sich vor die Tafel stellt und die Gruppeneinteilung in den Händen hält. »Guten Morgen, ich habe es gestern Abend dann doch noch geschafft, die Einteilung für unser Projekt vorzunehmen. Wie gesagt, heißt das Thema: Biologische Literatur.«

»Biologische Literatur? Was soll das denn sein?«, frage ich Vic und bemerke leider recht spät, dass ich so laut bin, dass die gesamte Klasse meine Frage bestens verstehen kann. Mr Harden runzelt die Stirn und sieht mich genervt an.

»Miss Anderson, waren Sie in der letzten Woche geistig überhaupt anwesend? Oder haben Sie zufälligerweise eine geheime Zwillingsschwester, von der wir nichts wissen?« Mittlerweile stelle ich mir dieselbe Frage,MrHarden. Das würde ich am liebsten laut aussprechen, halte mich jedoch in letzter Sekunde zurück.

»Damit nun auch wirklich alle wissen, worum es geht: Zwei vollkommen verschiedene und voneinander unabhängige Themengebiete sollen miteinander verknüpft werden. In diesem Falle sind diese beiden, wie der Name schon sagt, die Biologie und die Literatur. Ihr werdet euch innerhalb eurer Gruppe einen Ort in der Natur aussuchen, den ihr auf literarischer Ebene versucht zu beschreiben. Es soll euch zeigen, dass man auch die unterschiedlichsten Bereiche miteinander verknüpfen kann, wenn man sich stark genug reinkniet. Es ist also unausweichlich, dass ihr euch mit eurem Projektpartner auch außerhalb des Unterrichts trefft. Ihr werdet den Lebensraum an diesem Ort dokumentarisch festhalten und es ist ebenfalls wichtig, alles visuell zu gestalten. Von daher würde ich euch raten, dass ein Teil der Gruppe das Literarische und der andere Teil das Visuelle übernimmt. Natürlich könnt ihr auch alles gemeinsam machen, aber es ist sicherlich sinnvoller, eine Arbeitsverteilung vorzunehmen. Am Ende der Projektzeit erwarte ich von jeder Gruppe eine gut ausgearbeitete Facharbeit. Die Zensur wird als Klausur gewertet, also gebt euch Mühe«, gibt er leicht gereizt in die Runde und hängt dann ein weißes Blatt an die Tafel.